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Schriftstellerische Arbeiten in Lausanne.
1846.
Wir müssen jetzt etwas von der Kehrseite des Bildes zeigen. Seine Briefe setzen uns in den Stand, ihn ebenso klar inmitten der Mühen und Bedrängnisse seiner schriftstellerischen Thätigkeit zu sehen, als in seiner Muße und seinen Genüssen, und wenn der so gegebenen Schilderung seines häuslichen Lebens in der Schweiz ein Bericht über die unterdessen durchlaufenen Wechselfälle der literarischen Arbeit hinzugefügt wird, so wird damit eine so vollständige Darstellung des Menschen geboten werden, als dieselbe in irgend einer Periode seiner Laufbahn möglich ist. In der That ist sein Leben in Lausanne ein vollkommener Mikrokosmos des größeren Lebens, von dem es ein Theil ist; nichts fehlt darin, als die Londoner Straßen. Das war, wie wir bald sehen werden, damals seine Hauptentbehrung; aber vorläufig empfindet der Leser dies noch nicht und er sieht sonst den großen Beobachter und Humoristen in jeder Beziehung im besten Lichte: interessirt für Alles, was sich einer durch und durch ernsten und eifrig forschenden Natur empfahl, von unbegrenzter Popularität bei Allen die mit ihm verkehrten, nichts übersehend, mit einem Einblick, der ebenso wohlwollend als scharf war und, selbst wenn er anscheinend am müßigsten war, nie müßig im Sinne seiner Kunst, sondern Tag auf Tag die Erfahrungen vermehrend, welche den Umkreis derselben erweiterten und einer Phantasie, welche immer geschäftig an der Arbeit, lebhaft und in außerordentlichem Grade thätig war und ganz unermüdlich schien, einen freieren und gesunderen Spielraum eröffneten. Eine echte Liebe zur Natur erfüllte sein Herz zu allen Zeiten, und so seltsam es scheinen mag, diese mit denjenigen Formen humoristischer Charakterzeichnung in Zusammenhang zu bringen, welche mit seinem Genie am meisten identificirt sind, so ist es doch wörtlich wahr, daß die Eindrücke dieser großartigen Schweizer Scenerie ihm bei der Arbeit vieler späteren Jahre gegenwärtig waren, als ein wirklicher, fühlbarer, obschon vielleicht selten als ein unmittelbar bewußter Einfluß. Als er nachher sagte, er habe, während er das Buch schrieb, das ihn damals beschäftigte, jede Stufe der Leiter des hölzernen Seekadetten, jeden Sitz der Kirche, in welcher die Trauung von Florence stattfand, jedes Bett in dem Schlafzimmer von Dr. Blimber's Schule nicht minder klar gesehen, weil er sich selbst um jene Zeit an dem Genfer See befand, hätte er mit ebenso viel Wahrheit sagen können, daß er sie grade dieses Umstandes wegen um so klarer sah. Er entwickelte seinen Humor zu dessen größesten Leistungen durch die Freiheit und Kraft seiner Phantasie, und während die kleinsten und gewöhnlichsten Gegenstände um ihn her der einen Nahrung boten, hätte der andere ohne darüber hinausgehende höhere Anregung verschmachten oder zu Grunde gehen können. Dickens hatte wenig Liebe für Wordsworth, aber er selbst war ein Beispiel der Wahrheit, welche dieser große Dichter nie müde wurde einzuschärfen: daß die Natur wirksamen Beistand hat für Alle, denen es gestattet ist, in ihre Wunder und Geheimnisse einzudringen.
Noch eine andere Eigenschaft tritt in diesen Briefen, wie in vielen schon früher angeführten, hervor; denn in der That bieten sie alle eine wunderbar treue Reproduktion seiner Natur. Er nahm seine Arbeit nicht leicht und die Arbeit, welche ihn gerade beschäftigte, nahm ihn für den Augenblick ganz hin. Aber die Vorstellung, welche er, mit Recht oder mit Unrecht, über die Bedeutung dessen hegte, was er zu thun hatte, über den Grad, in welchem auch Andere durch die erfolgreiche Uebung des Einflusses, den er besaß, berührt wurden und über das Urtheil, welches er sich über das wahre Maaß seines Werthes oder seiner Größe bilden durfte, schloß nicht nothwendigerweise Anmaßung oder Selbstüberschätzung ein. Wenige Menschen haben von beiden weniger gehabt als er. Es war ein Theil der stark ausgeprägten Individualität, durch die ihm so viel gelang, daß er im Allgemeinen auch demjenigen was er auszuführen strebte, einen so hohen Werth beimaß. Er hätte sonst nicht die Hälfte der Arbeit bemeistern können, die er sich vorsetzte, und wir sind im Stande, uns eine Ansicht über das Gewicht und die Wahrheit solcher Selbstbeurtheilung zu bilden, welche jetzt für uns gerechter ist, als sie uns damals von andern hätte scheinen mögen. Die laute Anmaßung kleiner Menschen in großen Wirkungskreisen und das entschlossene Selbstvertrauen großer Männer in kleinen Wirkungskreisen sind wesentlich verschiedene Dinge. Respice finem. Die genaue relative Bedeutung aller unsrer Bestrebungen wird durch feinere Berichtigungen der Gegenwart und der Zukunft festgestellt als durch solche, die dem zeitgenössischen Urtheil möglich sind; und seit Dickens' Tode hat es nicht an Anzeichen gefehlt, welche den Glauben befestigen, daß der Werth, welchen er sich für berechtigt hielt den Arbeiten beizumessen, denen sein Leben gewidmet war, durch die Zeit vermehrt, nicht verringert werden wird.
Wie man sich erinnern wird, hatte Dickens die Absicht, in Lausanne nicht nur die vier ersten Hefte seines größeren Buches zu schreiben, sondern auch das Weihnachtsbuch, zu welchem seine Phantasie über ein Schlachtfeld ihm den Gedanken gab; und während ich das, was über Dombey zu sagen ist, für ein späteres Kapitel aufspare, soll in diesem und dem folgenden nur die Rede sein von dem, was er in der Schweiz begann und beendete. Man wird daraus erkennen, um welchen Preis er auch nur so viel neben seinen andern und umfangreicheren Verpflichtungen zur Ausführung brachte.
Er hatte unruhige Phantasieen und Besorgnisse, ehe er an seinem ersten Gedanken festhielt. »Ich habe während der letzten Tage gedacht,« schrieb er am 25. Juli, »daß gute Weihnachtscharaktere sich aus der Vorstellung eines Mannes entwickeln ließen, der zehn oder fünfzehn Jahre im Gefängniß gesessen hat, wobei seine Gefangenschaft die Lücke bildet zwischen den Personen und Verhältnissen des ersten Theiles und den veränderten Personen und Verhältnissen des zweiten und seinem eigenen veränderten Geiste. Obgleich ich wahrscheinlich mit der Schlachtidee fortfahren werde, möchte ich doch wissen, was Du von dieser denkst.« Sie wurde später in einer modificirten Form für die » Geschichte zweier Städte« benutzt. »Ich werde die kleine Geschichte unverzüglich anfangen,« schrieb er einige Wochen später; »aber es ist mir dunkel eine äußerst gespenstische und wilde Idee aufgestiegen, die ich nun wahrscheinlich für das nächste Weihnachtsbuch aufsparen muß. Nous verrons. Sie wird Nachts in den Straßen von Paris und in denen von London reifen.« Schließlich nahm sie die Gestalt des › Haunted Man‹ an, der erst im Winter des Jahres 1848 geschrieben wurde. Endlich erfuhr ich, daß das erste Blatt fertig war und daß selbst seine eifrige geschäftige Phantasie ihn nicht mehr davon abbringen werde.
Aber andere unbefriedigte Wünsche und Begierden waren inzwischen in ihm hervorgebrochen, worüber ich gegen das Ende des zweiten Heftes von Dombey hörte. Das erste Heft hatte er zu Ende Juli beendet und an dem zweiten, das er am 8. August anfing, war er noch in der ersten Septemberwoche beschäftigt, als diese merkwürdige Ankündigung mich erreichte. Es war sein erstes eingehendes Geständniß dessen, was er so beständig, und im Fortschritt der Jahre womöglich noch stärker, fühlte, daß keine Stelle seiner Briefe einen solchen Strom aufhellenden Lichtes über diejenigen Theile seines Lebens verbreitet, welche immer das größte Interesse erregen werden. Sehr viel von dem Folgenden muß in diesem Lichte gelesen werden. »Du kannst Dir kaum vorstellen,« schrieb er am 30. August, »welch' unendliche Mühe ich mir gebe und wie unendlich schwer ich es finde, schnell vorwärts zu kommen. Die Erfindung scheint, Gott sei Dank, die leichteste Sache von der Welt; und der Sinn für das Lächerliche ist nach dieser langen Ruhe« (es waren seit der Beendigung von Chuzzlewit jetzt zwei Jahre verflossen) »so ausgelassen lebhaft in mir, daß ich mich fortwährend zusammennehmen muß, um mich nicht von der Höhe des Genusses in Extravaganzen hineinzustürzen! Aber die Schwierigkeit mit dem, was ich einen schnellen Schritt nenne, vorzurücken, ist ungeheuer, es ist beinah eine Unmöglichkeit. Vermuthlich ist dies theilweise die Wirkung von zwei Jahren des Ausruhens und theilweise der Abwesenheit der Straßen und vieler Menschengestalten. Ich kann Dir nicht beschreiben, wie sehr ich diese entbehre. Es scheint, als gäben sie meinem Gehirn eine Nahrung, die es, wenn es an der Arbeit ist, nicht entbehren kann. Eine oder zwei Wochen kann ich an einem einsamen Orte (wie in Broadstairs) wunderbar schreiben, und ein Tag in London erfrischt mich und bringt mich wieder in Gang. Aber die Mühe und Arbeit, Tag auf Tag ohne diese Laterna magica zu schreiben, ist unermeßlich!! Ich sage dies keineswegs in niedergeschlagener Stimmung, denn wir fühlen uns hier vollkommen behaglich und der Ort gefällt mir sehr, und die Leute sind noch freundlicher und mögen mich noch lieber leiden als in Genua. Ich erwähne es nur als eine merkwürdige Thatsache, zu deren Entdeckung sich mir bis jetzt nie eine Gelegenheit geboten hat. Meine Gestalten scheinen geneigt still zu stehen wenn kein Menschengewühl sie umwogt. Ich schrieb in Genua sehr wenig (nur die Sylvesterglocken) und es kam mir vor, als empfände ich dort einen derartigen Einfluß – aber o Himmel! ich hatte doch wenigstens eine halbe Meile von allnächtlich erleuchteten Straßen zum Umherwandern und ein großes Theater, wo jeden Abend gespielt wurde.« Am Schlusse des Briefes bemerkte er, der allgemeine Gedanke des Weihnachtsbuchs sei in ihm so ziemlich zur Reife gediehen und er brenne, an die Arbeit zu gehen. Er meinte, es werde zur Abwechselung am besten sein, keine Feen oder Geister darin zu haben, sondern eine einfache häusliche Erzählung daraus zu machen. Sein Brief wurde am Sonntage geschrieben und er sagte. »Ich hoffe das zweite Heft morgen zu vollenden und mit der Post am Dienstag abzuschicken. Am Mittwoch beabsichtige ich den Kampf des Lebens anzufangen. Ich werde daran fortarbeiten, ohne mich wieder Dombey zuzuwenden, und wenn ich es nur in einem Monat fertig bringen kann.« Ich mußte ihn, als ich von diesen Plänen erfuhr, warnen, daß er zu viel versuche.
In weniger als einer Woche nach diesem Datum war sein zweites Heft fertig, sein erstes Blatt des kleinen Buches geschrieben und sein Vertrauen größer. Sie hatten wunderbares Wetter gehabt, so klar, daß er von der Straße nach Neufchatel den ganzen anderthalb Meilen entfernten Mont Blanc so deutlich sehen konnte, als stände er dicht darunter in dem Hofe des kleinen Gasthauses in Chamounix, und obgleich es wieder regnete, als er schrieb, Der früher von ihm erwähnte Regensturm hatte sich nicht wiederholt, aber das Wetter war unbeständig geworden, und er äußerte sich folgendermaßen über einen Regenfall, der jenen Sommer in England so unglücksvoll machte. »Was für ein Sturm muß das in London gewesen sein! Ich wollte wir könnten hier so etwas haben . . . Es donnert, während ich schreibe, aber ich fürchte es sieht nicht schwarz genug aus, um sich aufzuklären. Der Wiederhall in den Bergen ist von so erstaunlicher Art, daß ein fünf oder zehn Minuten fortgesetztes Rollen des Donners hier zu den gewöhnlichsten Vorkommnissen gehört. . . .« Das war zu Anfang August und am Ende des Monats schrieb er. »Ich vergaß, Dir zu erzählen, daß wir gestern vor acht Tagen, um halb acht Uhr Morgens, einen kräftigen Erdstoß hatten, der vielleicht eine Viertelminute dauerte. Ich wurde dadurch im Bette aufgeweckt. Die Empfindung war so seltsam und anders als alle andern, daß ich mit lauter Stimme ausrief, es müsse ein Erdbeben sein.« lagen seine »nagelbeschlagenen Schuhe« und sein »großer wasserdichter Rock« neben ihm, als Ausrüstung zu einem »Spaziergang von drei Meilen« vor dem Dîner. Dann, drei Tage später, kam eine Art Nachtrag zu dem vorher gemachten Bekenntniß, den man mit demselben Interesse lesen wird. »Die Abwesenheit zugänglicher Straßen ist mir jetzt, da ich so viel zu thun habe, noch immer in eigenthümlicher Weise lästig. Es ist wirklich ein geistiges Phänomen. Vermuthlich würde ich, wären Straßen hier, dieselben nicht bei Tage durchwandern, aber Nachts fehlen sie mir unbeschreiblich. Es scheint, als könne ich meine Gespenster nicht anders los werden, als indem ich sie im Menschengewühl verliere. Aber, wie Du sagst, es gibt Straßen in Paris, und zwar gute gedankenerweckende Straßen, und Ausflüge nach London werden dann sehr leicht sein. Wenn ich mit dem Weihnachtsbuch fertig bin, werde ich auf einige Tage nach Genf hinüberfliegen, ehe ich Dombey wieder aufnehme. Dieser Ort gefällt mir immer besser und ich habe, glaube ich, nie angenehmere Leute gesehen, als diejenigen, aus welchen unser kleiner Kreis besteht. Er ist so klein, daß man nicht im mindesten belästigt wird, und das Interesse an dem Unnachahmlichen scheint täglich zu wachsen. Ich las ihnen gestern Abend vor acht Tagen das erste Heft vor, mit unerzählbarem Erfolge, und die alte Mrs. Marcet, die verteufelt scharfsinnig ist, errieth sogleich (aber ich sagte ihr nicht, daß sie Recht habe), daß Paul sterben würde. Sie zeigten Alle eine so lebhafte Theilnahme, daß es ein großes Vergnügen war, ihnen vorzulesen, und wenn Alles gut geht, werde ich von hier Abschied nehmen in einem durch die versprochene Vorlesung des Weihnachtsbuchs ihnen entlockten glänzenden Funkenschauer.« Wenig ahnten wir beiden damals, wohin diese Vorlesungen führen würden, aber schon damals nahmen sie in seinen Gedanken die Form eines Scherzes an, den die geringste geistige Veranlassung hätte in Ernst verwandeln können. Schon in seinem nächsten Briefe schrieb er mir: »Ich dachte neulich, daß in diesen Tagen der Vorträge und der Vorlesungen sich möglicherweise sehr viel Geld machen ließe (wäre es nicht infra dignitatem), wenn man Vorlesungen aus seinen eigenen Büchern veranstaltete. Es würde ein wunderliches Unternehmen sein. Ich glaube, es würde ungeheuer ziehen. Was denkst Du davon? Willst Du nach Dean-Street gehen und Dich erkundigen, wie es mit Miß Kelly's Engagementsbuch (es muß ein gewaltiger Band sein) steht? Oder soll ich das St. James-Theater nehmen?« Meine Antwort läßt sich aus seiner Erwiederung schließen; aber selbst damals, als er seinen Scherz erhöhte und weiter trieb, argwöhnte ich ernstere Wünsche bei ihm, als er eingestehen wollte; und nach einem Dutzend Jahren sollte die Zeit kommen, wo ich, mit einem dem seinigen gleichen Ernste, aus Gründen, welche an Ort und Stelle erwähnt werden sollen, fortfuhr dem entgegenzutreten, worauf er sein Herz zu entschieden gesetzt hatte, um es aufzugeben und wovon ich noch immer nur wünschen kann, er hätte ihm, nebst Allem was sein ungeheurer Gewinn schien, entsagt. »Ich glaube, Du hast nicht Deinen gewöhnlichen Scharfsinn gezeigt, indem Du Covent Garden für mich miethetest. Ich fürchte, es ist zu groß für meinen Zweck. Nichtsdestoweniger nehme ich Alles an, was Du den Eigenthümern vorschlagen magst.«
Bald traten jene Wechsel von Unruhe und Verdruß ein, die ich nur zu gewiß vorausgesehen hatte. »Du besinnst Dich,« schrieb er, »auf Deinen Einwand gegen die zwei Geschichten. Ich habe denselben zu leicht genommen. Ich hätte bedenken sollen, daß ich in Wahrheit nie vorher die Eröffnung zweier zusammen versucht habe – da die eine immer schon ziemlich weit vorgeschritten war, wenn ich mit einem Paare fuhr. Jetzt ist mir Alles klar. Die anscheinende Unmöglichkeit, einer jeden ihre Stelle anzuweisen, verbunden mit jenem Verlangen nach Straßen, verschlug mich so vollständig aus meiner Bahn, daß ich bis zum vorigen Mittwoch oder Donnerstag wirklich zuweilen das völlige Aufgeben des Weihnachtsbuches für dies Jahr, und die Beschränkung meiner Arbeiten auf Dombey und Sohn ins Auge faßte. Ich strich den Anfang einer ersten Scene aus – was ich noch nie vorher gethan habe, und schweifte, mit einem Gedanken im Kopfe, wild um denselben her, ohne ihn in eine natürliche Form bringen zu können. Endlich gelang es mir gottlob mit einem Male, und nachdem ich bis gestern erfreuliche Fortschritte gemacht und gestern von halb zehn bis sechs gearbeitet hatte, befand ich mich gestern Abend in einem solchen Zustande der Begeisterung darüber, daß ich glaube, ich war einen oder zwei Zoll größer geworden. Heute bin ich etwas kühler und habe obendrein Kopfweh; aber ich fange wirklich an zu hoffen, daß Du es für eine hübsche Geschichte halten wirst, in der einige zarte Gedanken in angenehmer Form zur Darstellung kommen, mit einer guten menschlichen Weihnachtsgrundlage. Mir ist, als sähe ich einen großen häuslichen Effekt in dem letzten Theile.«
Dies wurde am 20. September geschrieben, aber sechs Tage später änderte sich das Bild und überraschte mich nicht wenig. Ich würde einem der am wenigsten bedeutenden von Dickens' Büchern den Raum mißgönnen, der ihm hier gegeben wird, ginge nicht die Erläuterung weiter als die kleine Erzählung auf welche sie sich bezieht, insofern sie ein Abbild seiner Stimmungen beim Schreiben, mit ihrer Schwäche wie mit ihrer Stärke darbietet, das vollkommen wahrheitsgetreu und auf alle Epochen seines Lebens anwendbar ist. Bewegung und Veränderung, während er arbeitete, waren, wie wir gesehen haben, bei ihm nicht bloße Rastlosigkeit; es war keine Unlust zur Arbeit und keine Vergnügungssucht, die zu solchen Zeiten sein eifriges Verlangen nach frischem Menschengewühl und nach Gesichtern, in denen er die Geschöpfe seiner Phantasie verlieren oder finden konnte, veranlaßten; und wenn man sich hieran erinnert, wird man in Bezug auf die sensitiven Zustände, unter welchen er sonst diese Anstrengungen seines Gehirns durchführte, vieles begreifen, was ohne dies keineswegs klar sein würde. »Ich »muß Dir« (20. September) »eine sehr überraschende Nachricht geben. Ich fürchte, es wird diesmal kein Weihnachtsbuch erscheinen. Ich würde Alles darum geben, Dir dies persönlich sagen zu können. In der That habe ich einen Augenblick daran gedacht, heute Abend nach London abzureisen. Ich habe beinahe ein Drittel des Buches fertig. Es verspricht hübsch zu werden; es ist, hoffe ich, ein ganz neuer Gedanke in der Geschichte, aber denselben ohne die übernatürlichen Mächte durchzuführen, die sich jetzt nicht mehr hineinbringen lassen, und sich doch auf natürliche Weise in dem erforderlichen Raume zu bewegen, oder innerhalb engerer Grenzen, als derjenigen eines Vicar of Wakefield, stellt sich mir, wenn ich die vorangegangene Arbeit an Dombey in Rechnung ziehe, als eine so verwirrende Schwierigkeit dar, daß ich besorge, meine Kraft zu erschöpfen, wenn ich damit fortfahre und zu dem größeren Werke nicht mit der nöthigen Geistesfrische zurückkehre. Hätte ich weiter nichts als das Weihnachtsbuch zu thun, so würde ich es thun; aber die Aussicht, ermattet zu sein, wenn ich das andere wieder aufnehme und ein bloßes Rennen gegen die Zeit daraus zu machen, entsetzt und quält mich unbeschreiblich. Ich habe den ersten Theil fertig; ich weiß das Ende und das Resultat des zweiten und den ganzen dritten Theil (es sind im Ganzen nur drei Theile). Ich kenne die Bedeutung aller Charaktere und den Gedanken, den ein jeder zur Darstellung bringen soll, und ich habe die Haupteffekte auf dem Papier skizzirt. Es kann nicht ganz glücklich enden, aber es wird heiter und angenehm enden. Allein der Muth sinkt mir vor dem Anfange des zweiten Theiles – des längsten – und vor der Einführung des Nebengedankens. (Der Hauptgedanke ist schon voll entwickelt.) Ich weiß nicht, wie es kommt. Vielleicht ist es, daß ich an diesem ruhigen Orte beständig an der Arbeit gewesen bin, und die Furcht vor Dombey, und die Unmöglichkeit, mich derselben in Lärm und Aufregung zu entledigen. Ueberdies ist auch der gleichzeitige Anfang zweier Bücher ohne Zweifel eine furchtbare Quelle der Verlegenheit, denn ich bin jetzt sicher, daß ich das Weihnachtslied nicht am Anfang von Chuzzlewit hätte erfinden, oder vor den Sylvesterglocken an ein neues Buch hätte gehen können. Aber gewiß ist, daß ich krank, schwindelig und launenhaft zaghaft bin. Ich habe schlechte Nächte, bin voller Unruhe und Angst und beständig quält mich der Gedanke, daß ich das Mark des größeren Buches vergeude und mir Ruhe gönnen sollte. Einen Brief, den ich Dir vor diesem geschrieben, habe ich zerrissen. Das Weihnachtsbuch war darin für dieses Jahr vollständig aufgegeben; aber jetzt bin ich entschlossen, noch einen Versuch zu machen. Ich will morgen nach Genf gehen und am Montag und Dienstag versuchen, ob ich in der veränderten Umgebung wacker vom Fleck kommen kann. Wenn es mir nicht gelingt, bin ich überzeugt, daß es das Beste ist, sofort aufzuhören und nicht, während ich jenes lange Buch vor habe, meinen Muth und meine Hoffnung zu vergeuden. Du magst Dir vorstellen, daß es eine sehr ernste Sache ist, wenn ich so beinahe etwas aufgebe, woran ich ein tiefes Interesse nehme, und wovon vierzehn oder fünfzehn enggeschriebene Seiten Manuskript, die mich haben lachen und weinen machen, in meinem Pult liegen. Daß ich diesen Brief überhaupt schreibe, läßt mich fürchten, daß der Brief, den ich Dir am Dienstag Abend schreiben werde, die Sache nicht bessern wird. Betrachte es um des Himmels willen als ein äußerst ernstes Ding und nicht als eine Laune des Augenblicks. Vorigen Sonnabend, nach der Arbeit eines langenTages, und vorigen Mittwoch, nach Beendigung des ersten Theils, war ich voll Eifer und Freude. Sonst habe ich, seit ich anfing, immer wieder über dem Gedanken gebrütet, daß es thöricht war, je daran zu denken und daß ich mir für Dombey Ruhe gönnen sollte.«
Der versprochene Brief, der aber am Mittwoch, nicht am Dienstag Abend geschrieben wurde, kam an und ließ die Frage noch unerledigt. »Als ich hierher kam« (Genf, 30. September) »hatte ich ein blutunterlaufenes Auge und solches Kopfweh mit einem Schmerz über der Stirne, daß ich dachte, ich müßte mich schröpfen lassen. Ich bin jedoch bedeutend besser geworden und fühle mich heute wieder ganz wohl . . . Ich bin noch nicht entschieden, was ich mit dem Weihnachtsbuch thun kann. Ich würde Alles geben, könnte ich mich mit Dir darüber berathen. Ich habe heute Morgen den zweiten Theil angefangen und eine gute Morgenarbeit daran gethan; aber ich fühle mich des Stoffes innerhalb des nothwendigen Raumes und der Abtheilungen nicht Herr, und die Aussicht mit der andern Arbeit, die von so überwiegender Bedeutung ist, in Rückstand zu gerathen, beunruhigt mich sehr. Ich bin ganz gewiß, wenn (bei gutem Gesundheits- und Gemüthszustande) das Weihnachtsbuch mir selbst nicht gefällt, es viel besser sein wird, nicht damit fortzufahren, sondern meine Kraft für Dombey zu reserviren und ein Heft im Voraus fertig zu behalten. Andererseits bin ich furchtbar abgeneigt, es aufzugeben und schwanke so heftig zwischen beiden Gedanken auf und ab, daß ich nicht weiß, was ich thun soll. Mein Verlangen, mich mit Dir berathen zu können, kann ich Dir nicht beschreiben. Nachdem ich den zweiten Theil einmal angefangen habe, will ich ihn morgen und am Freitag hier fortsetzen (am Sonnabend kommen die Talfourds zu uns nach Lausanne, um am Montag wieder abzureisen), wenn ich inzwischen nicht neue Gründe sehe, es aufzugeben. Dabei soll es bleiben – daß mein Brief vom nächsten Montag die Sache endgültig entscheiden soll. Aber wenn Du mit Bradbury und Evans noch nicht über meinen letzten Brief gesprochen hast, so glaube ich, würde es besser sein, dies jetzt zu thun . . . Da ich die größere Geschichte gerade angefangen habe, und diese Kampf des Lebens-Geschichte (deren Grundgedanken ich wirklich für sehr hübsch halte) zu künftigem Gebrauch daliegt, suche ich mich über diese Nichtveröffentlichung eines Weihnachtsbuchs (wenn es sein muß) leicht hinwegzusetzen. Aber ich möchte, daß Du Dir, für den Fall, daß ich nicht weiterschreibe, überlegtest, wie ich durch eine zeitgemäße Ankündigung in dem November- oder Decemberheft von Dombey mir meine Stellung am besten prospektiv sichern könnte . . . Der Himmel schicke mir Befreiung aus der Noth! Wenn ich die Sache nicht durchführe, so wird es das erste Mal sein, daß ich ein begonnenes Unternehmen aufgebe und ich werde es nicht aufgeben ohne einen sehr verzweifelten Kampf. Wäre es nicht wegen Dombey's, so könnte ich es ebenso leicht thun als voriges oder vorvoriges Jahr. Aber ich kann nicht umhin, beständig darauf zurückzukommen, und dies, verbunden mit den eigenthümlichen Schwierigkeiten, welche der Gegenstand für ein Weihnachtsbuch darbietet, sowie mein schlechtes Befinden, entmuthigt mich sehr. . . . Kate ist hier und läßt Dich bestens grüßen.« Am folgenden Tage fügte er eine Nachschrift hinzu. »Georgy ist von Lausanne herübergekommen und läßt Dich gleichfalls bestens grüßen. Mein Kopf ist noch immer viel besser als vorher. Mein Auge gewinnt seine alte Farbe von schönem Weiß, gefärbt mit himmlischem Blau, zurück. Wäre ich nicht hierher gekommen, ich glaube, ich würde ein schlimmes schleichendes Fieber bekommen haben. Der Anblick der rauschenden Rhone schien mein Blut wieder in Bewegung zu setzen. Ich glaube nicht, daß es für diesmal nöthig sein wird, mich schröpfen zu lassen; aber eine Zeit lang stand es schlechter mit mir, als ich Dir eingestanden habe. Sollte ich einen Rückfall haben, so werde ich es sofort thun lassen.«
Er blieb zwei Tage länger in Genf, das ihm einen guten Eindruck machte, erzählte auf unterhaltende Weise, wie der erste Anblick des Gases dort ihn ganz bange gemacht und wie er gezittert habe bei dem Lärm der Straßen, den er für ebenso groß erklärte, als den Aufruhr der Straßen von Richmond in Surrey, Die bekannte oberhalb Londons an der Themse gelegene kleine Landstadt. – D. Uebers. wie aber sowohl seine Gesundheit als seine Schriftstellerei doch dadurch gewonnen habe. Insofern hatte sein Ausflug den gewünschten Erfolg, obgleich er den Ort schnell verlassen mußte, um seine englischen Besucher in Rosemont zu empfangen.
Ein sehr neues gesellschaftliches Erlebniß hatte er jedoch in seinem Hotel an dem Abend ehe er fortging, und wir wollen dasselbe hier erwähnen, ehe er nach Lausanne zurückeilt; denn es kann jetzt kaum noch irgend Jemanden beleidigen, auch wenn die Namen genannt würden. »Und nun, Sir, will ich Dir bescheiden, zahm, wörtlich den Besuch in dem kleinen auserwählten Kreise beschreiben, der Dir meinem Versprechen gemäß das Haar zu Berge stehen machen sollte. In unserm Hotel waren Lady A. und Lady B., Mutter und Tochter, die in den Palazzo Peschiere einzogen, kurz ehe wir denselben verließen, und die eine tiefe Bewunderung haben für Deinen gehorsamen Diener, den unnachahmlichen B. Sie sind beide sehr gescheidt. Lady B., außerordentlich bewandert in lebenden und todten Sprachen, Büchern und gesellschaftlichen Vorgängen, sehr hübsch, Mutter zweier Kinder und noch nicht fünfundzwanzig Jahre alt. Lady A., fett, frisch und rosig, matronenhaft, aber voller Lebhaftigkeit und von gutem Aussehen. Sie war mit nichts Anderm zufrieden zu stellen, als daß wir bei ihnen dinirten, und am Freitag um sechs begaben wir uns demnach in ihr Zimmer hinunter. Ich wußte, daß sie ihre Sonderbarkeiten hatten. So z. B. war es mir bekannt, daß Lady A. in voller Abendtoilette allein, zu Fuß, durch die Straßen von Genua, die schmutzigen italienischen Nebenstraßen, nach der Soirée des Gouverneurs gegangen war und sich in dem Staatspalast angekündigt hatte, indem sie an die Thür klopfte. Ich bin auch Lady B. in voller Abendtoilette begegnet, als sie ohne Mütze oder Hut, mit allem möglichen klingelnden Geschmeide geschmückt, eine halbe Stunde weit neben der Sänfte her, in welcher ihre Frau Mama thronte, in die Oper ging. Ich wurde daher nicht überrascht durch solche kleine Funken in der Conversation (der jungen Dame) wie: ›O Gott, was für eine Predigt hatten wir hier vorigen Sonntag! Und haben Sie je solch infernalischen Bettel gelesen wie Mrs. Gore's?‹ – und dergleichen mehr. Und wäre es nicht um Kate und Georgy gewesen (die, wie wir später übereinkamen, entschieden im Wege waren), würde ich Alles für sehr spaßhaft gehalten haben. Auch warf ich nichtsdestoweniger den Ball zurück, ließ mich gewaltig gehen, machte einige ziemlich derbe Späße und fand den größten Beifall. ›Sie rauchen, nicht wahr?‹ sagte die junge Dame während einer Pause in dieser Sorte von Unterhaltung. ›Ja,‹ sagte ich, ›ich rauche gewöhnlich eine Cigarre nach dem Essen, wenn ich allein bin.‹ – ›Ich will Ihnen eine gute geben,‹ sagte sie, ›wenn wir hinausgehen.‹ Nun, Sir, wir gingen zu rechter Zeit hinaus und trafen dort eine amerikanische Dame, die in demselben Hotel wohnte, und aussah wie das, was wir in Altengland ›eine reguläre Bettelhure‹ nennen: – aufgedunsenes Gesicht (geschminkt), beträchtlich entwickelte Figur, ein betrunkenes Auge, ein blaues, tiefausgeschnittenes Atlaskleid mit kurzen Aermeln und Schuhen von demselben Stoff. Auch eine Tochter, gleichfalls mit aufgedunsenem Gesicht, gleichfalls mit stark entwickelter Figur, gleichfalls mit tiefausgeschnittenem Kleide mit kurzen Aermeln und Schuhen von demselben Stoff, und einem noch nicht thatsächlich betrunkenen Auge, aber auf dem Wege dazu. Die amerikanische Dame verheirathete sich mit sechszehn Jahren; die Tochter ist jetzt sechszehn Jahre alt, sie werden oft für Schwestern gehalten &c. Als dies vorüber war, holte Lady B. eine Cigarrenkiste hervor und gab mir eine, wie sie sagte, aus dem stärksten Tabak gemachte Cigarre, die nach sechs Zügen einen Elephanten über den Haufen werfen würde. Die Kiste war voll von Cigaretten, tüchtig großen, aus ziemlich starkem Tabak; ich rauche sie hier immer und pflegte sie in Genua zu rauchen und kannte sie wohl. Als ich meine Cigarre ansteckte, steckte Lady B. ihre an meiner an, lehnte sich in Unterhaltung mit mir an den Kamin, streckte ihren Leib vor, faltete die Arme und lachte und sprach und rauchte, indem sie ihr hübsches Gesicht seitwärts in die Höhe warf, und wie eine Manchester Baumwollenmühle an ihrer Cigarette dampfte, auf die gentlemännischste Weise, die mir je vorgekommen ist. Auch Lady A. steckte sich eine Cigarre an; die amerikanische Dame steckte die ihre an, und in fünf Minuten war das Zimmer eine Rauchwolke, in deren Mitte wir wacker qualmten, während die amerikanische Dame Geschichten von ihrer ›Hookah‹ oben erzählte und verschiedene Arten von Pfeifen beschrieb. Aber selbst dies war nicht Alles. Denn sofort kamen zwei Franzosen herein, mit denen und mit der amerikanischen Dame Lady B. sich zum Whist hinsetzte. Die Franzosen rauchten natürlich (sie waren wirklich bescheidene Herren und schienen in Verlegenheit) und Lady B. fuhr während der nächsten zwei Stunden fort zu spielen, fortwährend mit einer Cigarre im Munde. Sie rauchte gewiß sechs oder acht. Lady A. gab es bald auf – ich glaube, sie that es bloß aus Eitelkeit. Die amerikanische Dame hatte den ganzen Morgen geraucht. Ich nahm keine zweite Cigarre, und Lady B. und die Franzosen behielten das Feld für sich.
»Stelle Dir dies vor in einem großen Hotel, wo nicht bloß ihre eigenen Domestiken, sondern ein halbes Dutzend Kellner beständig aus und ein gingen! Ich zeigte keine Spur von Ueberraschung; aber ich bin nie in meinem Leben so überrascht, so lächerlich außer Fassung gebracht gewesen. Denn unter allen ›Damen‹, mit denen ich je in Berührung kam, hatte ich nie eine Frau – kein Hökerweib und keine Zigeunerin – rauchen sehen.« Größere und weitergehende Erlebnisse waren ihm vorbehalten; aber es war genug in der hier geschilderten Scene, was ihn ebensowohl in Staunen setzen als belustigen konnte.
Doch jetzt ist der Sonnabend gekommen; er ist zurückgeeilt, um die Freunde zu begrüßen, die sich auf dem Wege nach seinem Landhause befinden, und nach seiner Ankunft, noch ehe sie erschienen waren, schreibt er mir, um mir bessere Nachricht zu geben über sich selbst und seine Arbeit.
»In der athemlosen Zwischenzeit« (Rosemont, 3. Oktober) zwischen unserer Rückkehr von Genf und der Ankunft der Talfourds (die wir binnen einiger Stunden erwarten), kann ich nichts besseres thun, als Dir zu schreiben. Denn ich glaube, es wird Dir ganz recht sein, wenn ich mein Versprechen, und damit zugleich den Montag, anticipire. Ich habe mich in Genf viel wohler gefühlt, obgleich gelegentlicher Schwindel und Kopfweh, die, ich habe nicht den geringsten Zweifel darüber, der Abwesenheit von Straßen zuzuschreiben sind, mich noch beunruhigen. Es herrscht hier auch eine Ansicht, daß die Leute mitunter verzagt und träge werden durch diese große Masse stillen Wassers, den Lemansee. Jedenfalls habe ich mich sehr unbehaglich gefühlt, jedenfalls bin ich jetzt, wie ich hoffe, viel besser und endlich hoffe und vertraue ich jetzt, daß das Weihnachtsbuch zu rechter Zeit kommen wird!! Ich habe in Genf drei sehr gute Arbeitstage gehabt und denke, ich werde den zweiten Theil (der dritte ist der kürzeste) heute über acht Tage beenden können. Sobald ich damit fertig bin, werde ich Dir die beiden ersten zusammen schicken. Ich glaube nicht, daß man mit den Illustrationen anfangen kann, ehe der dritte ankommt; denn es ist eine ganz eigenthümliche Geschichte und ein Künstler sollte das Ende wissen, was er schwerlich wird, wenn er es nicht liest.« Dann, nach einem Bericht über die übermenschlichen Anstrengungen, die er machte, um seine Besucher in seinem Puppenhause einzuquartieren (»Ich konnte mich nicht mit dem Gedanken versöhnen, sie Nachts fortzuschicken. Es ist auf diesen Landwegen und in diesen Wäldchen so finster, wenn der Mond nicht scheint«), skizzirte er mir das, was er auszuführen hoffte und wirklich ausführte. Er wollte durch große Bemühungen das kleine Buch am 20. beenden; wollte auf eine Woche nach Genf gehen, um etwas an Dombey zu arbeiten, wenn er sich einigermaßen kräftig fühlte; und jedenfalls wollte er sein drittes Heft bis zum 10. November abschließen, und dann an diesem Tage nach Paris aufbrechen: »so daß ich, statt ohne Nutzen hier zu bleiben, meine Zwischenzeit der Muße benutzen werde, die Reise zu machen und in ein neues Haus zu kommen und so im Voraus eine Prise Salz auf den Schwanz des laufenden Heftes zu streuen hoffe . . . . Ich erschrecke bei dem Gedanken, daß ich wieder in Mißmuth verfallen und blutunterlaufene Augen bekommen könnte.« Obgleich ich damals nicht wußte, wie ernstlich krank er gewesen war, beeilte ich mich doch, ihn zu erinnern, daß es schlechte Oekonomie sei, aus der Ruhe selbst ein Geschäft zu machen; doch ich erhielt pünktliche Nachricht, daß Alles eintreffe, wie er wünschte. Die Talfourds blieben zwei Tage »und ich glaube, sie waren sehr glücklich. Er zeigte sich im günstigsten Lichte, in seiner uns so wohl bekannten Weise, die nicht weniger liebenswerth ist, weil sie so komisch ist, und hättest Du ihn sehen können, wie er rund um die Kutsche herumging, in der sie hierher gekommen waren, als Vorspiel zu der Bezahlung des Kutschers, mit dem er nicht sprechen konnte, in einer Münze, die er nicht verstand, Du würdest es nie vergessen.« Seine Freunde verließen Lausanne am 5., und fünf Tage später schickte er mir zwei Drittel des Manuskripts seines Weihnachtsbuches.
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