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Drei englische Meilen westlich von Melrose liegt Abbotsford, jene »Romanze in Stein und Mörtel«, wie Walter Scott seinen selbsterrichteten Wohnsitz mit einem gewissen Selbstgefühle genannt hat. Der ganze Bau übernimmt wider Willen die Beweisführung, daß sich »eines nicht für alle schickt« und daß die Wiederbelebung des Vergangenen, das Ausschmücken einer modernen Schöpfung mit den reichen poetischen Details des Mittelalters, auf einem Gebiete bezaubern und hinreißen und auf dem andern zu einer bloßen Schnurre und Absonderlichkeit werden kann. Diese Romanze in Stein und Mörtel nimmt sich, um in dem Vergleiche zu bleiben, den der Dichter selbst gewollt hat, nur etwa aus, als habe er in einem seiner Schreibtischkästen hundert hübsche Stellen aus allen möglichen alten Balladen gesammelt, in der bestimmten Erwartung, durch Zusammenstellung solcher Bruchstücke eine eigentlichste Musterromanze erzielen zu können. Es fehlt der Geistesblitz, der stark genug gewesen wäre, die widerstrebenden Elemente zu etwas Einheitlichem zusammenzuschmelzen. Wie man Gesellschaftsgedichte nach Endreimen macht und das Papier umklappt, um völlig außer Zusammenhang mit dem zu bleiben, der vor uns seine Zeile geschrieben hat, so ist Abbotsford einem halben Hundert Schlagwörtern zu Liebe gebaut worden. Das alles soll seinem Erbauer kein Vorwurf sein; aber man bedauert allerdings, der Steinromanze gegenüber nicht den Ton der Liebe und Verehrung anschlagen zu können, an den sich die Lippen fast gewöhnt haben, wenn sie den Namen Sir Walters nennen.
Wir haben in Melrose ein zierliches, zweirädriges Wägelchen gemietet, und vom Eisenbahnhotel aus, wo wir abgestiegen sind, geht es nun westlich die Straße nach Abbotsford hinaus. Der Weg, den wir passieren, hat ganz den Charakter der englischen und südschottischen Landschaft: Tal und Hügel in raschem Wechsel, Hecken und Baumgruppen, Wiesenflächen und Kieswege und ein Wasserstreifen, der in Schlangenwindungen das Ganze durchzieht. Nirgends frappante Schönheit, aber überall lachende Lieblichkeit und die milde Hand der Kultur, von der man sich wie von einem Westwind gestreichelt fühlt. Tausend Schritt hinter Melrose zweigt eine Art Feldweg nach »Chiefswood« ab, einem reizend gelegenen Häuschen, das zu Lebzeiten Sir Walter Scotts von dessen Schwiegersohn, Mr. Lockhart, bewohnt wurde. Walter Scott liebte es, wenigstens einmal in der Woche hier vorzusprechen und einen Nachmittag, oft auch länger, bei Tochter und Schwiegersohn zu verbringen. Mr. Lockhart selbst hat in sehr anschaulicher Weise diese Besuche beschrieben. »Der wohlbekannte Hufschlag Sibylle Greys«, so erzählt er, »und das Bellen von ›Senf‹ und ›Pfeffer‹ (seine zwei Lieblingshunde), vor allem dann sein lauter Jägergruß unter unserem Fenster, ließen uns wissen, daß er die Last der Arbeit abgeschüttelt habe, um, wie er sich ausdrückte, in unserm Gasthause mal wieder nach Lust und Bequemlichkeit zu leben. Dann stieg er ab, und seine und unsere Hunde um sich her, nahm er zunächst unter einer alten Eiche Platz, die fast den ganzen Raum zwischen dem Bach und unsrem Hause überschattete. Hier war es, wo dann gemeinhin Tom Purdie, der Förster, zu ihm trat und in langem Vortrag auseinandersetzte, warum dieser oder jener Baum gefällt und diese oder jene Stelle bepflanzt werden müsse. Am andern Morgen nach dem Frühstück zog er sich in eins der obern Zimmer zurück, schrieb oder beendete ein Kapitel des »Piraten« und schickte es direkt zum Druck an seinen Freund und Verleger John Ballantyne. Dann begab er sich in die Plantage oder irgendwohin, wo er sicher sein konnte, einem halben Dutzend unserer Arbeiter zu begegnen, und begann sofort an ihrer Arbeit mit Axt, Säge und Grabscheit teilzunehmen. Gegen Mittag brach er auf, entweder um noch mit uns zu plaudern oder um in Abbotsford Gäste zu empfangen, an denen nie Mangel war.« -
Während uns unser Kutscher noch von »Chiefswood« und Sir Walter nach seiner besten Kenntnis unterhält, haben wir abermals eine Abzweigung des Weges erreicht, von wo aus man bereits die hübschen Ufer des Huntly-Bachs und dahinter die sogenannte »Reimer-Schlucht« (Rhymers Glen) erkennt. Beide, Ufer und Schlucht, bezeichnen den Platz, wo »Thomas der Reimer« der Elfenkönigin begegnete, und das vielbesungene altschottische Lied, in welchem diese Begegnung beschrieben wird, hat einen Teil seiner Popularität auch auf den Schauplatz, der uns jetzt zur Seite liegt, übertragen. Die ersten Strophen dieser lieblichen Volksballade lauten wie folgt:
Der Reimer Thomas lag am Bach,
Am Kieselbach bei Huntly-Schloß,
Da sah er eine blonde Frau,
Die saß auf einem weißen Roß.
Sie saß auf einem weißen Roß,
Die Mähne war geflochten fein,
Und hell an jeder Flechte hing
Ein silberblankes Glöckelein.
Und Tom der Reimer zog den Hut
Und fiel ins Knie; – er grüßt und spricht:
»Du bist die Himmelskönigin
Und bist von dieser Erde nicht.«
Die blonde Frau, sie hält ihr Roß:
»Ich will dir sagen, wer ich bin,
Ich bin die Himmelsjungfrau nicht,
Ich bin die Elfenkönigin.
Nimm deine Harf' und spiel und sing
Und laß dein bestes Lied erschall'n,
Doch wenn du meine Lippe küßt,
Bist sieben Jahr du mir verfall'n.«
Und Thomas drauf: »O, Königin,
Zu dienen dir es schreckt mich kaum«;
Er küßte sie, sie küßte ihn,
Ein Vogel sang im Eschenbaum.
»Nun bist du mein, nun zieh' mit mir,
Nun bist du mein auf sieben Jahr«;
Sie ritten durch den grünen Wald,
Wie glücklich Tom der Reimer war.
Sie ritten durch den grünen Wald,
Bei Vogelsang, bei Sonnenschein,
Und wenn sie leis am Zügel zog,
So klangen all die Glöckelein.
So klingen auch die zierlichen Verschen. Wir aber, in begreiflicher Furcht vor einem ähnlichen, mehrjährigen Engagement von seiten der Feenkönigin, wenden dem verführerischen Platze den Rücken zu, und gleich darauf ein Zollhaus passierend, wo uns, wie auf vaterländischen Chausseen, ein gelbes Zettelchen als Quittung bürgerlicher Pflichterfüllung eingehändigt wird, fühlen wir uns plötzlich aus dem Bereich aller Feen und Geister wieder heraus, als läge der Schlagbaum wie eine schützende Grenzmauer zwischen uns und ihnen.
Unser Karren rollt weiter und hält erst wieder vor einer weit ausgedehnten Umzäunung, die uns die Welt wie mit Brettern verschließt. Wir steigen ab. Ein einfaches Gittertor öffnet sich und fällt wieder zu; der Rayon von Abbotsford, ein landschaftliches Bild von nicht gewöhnlicher Schönheit, liegt vor uns. Des schloßartigen Hauses mit seiner Fülle von Zinnen und Giebeln werden wir nicht sogleich ansichtig; »die Romanze in Stein und Mörtel« tritt uns erst entgegen, nachdem wir ein freistehendes gotisches Portal passiert haben, das von einem alten Douglas-Schlosse herstammt und nach Art der römischen Triumphbögen wie ein selbständiger Torbau mitten in den Weg gestellt ist. Wir passieren also dies Portal und haben nun das berühmte Abbotsford in nächster Nähe vor uns. Wenn der Bau nicht just so sein sollte, wie er ist, so würde man sofort ausrufen müssen: »Wie verbaut!« Das Ganze löst sich in eine Unzahl von Teilen auf, und von einer Totalwirkung kann eigentlich keine Rede sein. Die Einzelheiten drängen sich so vor, daß die Gesamtdimensionen verlorengehen und der Bau um vieles kleiner erscheint, als er in Wahrheit ist. Das Material, aus dem er aufgeführt wurde, ist ein graublauer Basalt, der im Schottischen »Whinstone« heißt; alle Fenster- und Portaleinfassungen aber bestehen aus derbem Sandstein.
Die Lage des Hauses, halb umgeben vom Tweed (der hier eine Biegung macht) und überall von Hügelabhängen, von Baum- und Parkpartien eingeschlossen, ist anziehend und malerisch genug; dieser naturgeschaffenen Romantik sollte aber nachgeholfen werden, und so entstand jenes Kuriosum, zu dessen näherer Betrachtung wir jetzt schreiten. Zunächst die Außenseite. Im Prinzip ist zwischen ihr und dem Innern des Hauses nicht der geringste Unterschied, und der Sammel-Charakter, den das Ganze hat, tritt auch äußerlich so entschieden hervor, daß man gelegentlich glauben könnte, die Wände seien von Glas und der Kuriositätenkram, der etwa wie Tulaer Arbeit äußerlich in sie eingelassen ist, schimmre von innen durch die Glaswand hindurch. Man hat eine Empfindung wie in Häusern, wo Korridore, Waschkammern und Gesindestuben mit altmodischen Kupferstichen überfüllt sind, weil die Liebhaberei des Besitzers zu einer Fülle führte, die er schließlich nicht bewältigen konnte und die er doch wiederum zu hoch hielt, um sich ihrer ohne weiteres zu entäußern. Wie in den Wohnungen jener Landpastoren, die eine Eiersammlung und einen Glasschrank voll ausgestopfter Vögel haben, der Hausflur gemeinhin dazu benutzt wird, um einen Steinadler, einen Alligator oder eine Walfischrippe aufzustellen, so hat Sir Walter Scott alles das an die Außenwände seiner romantischen Burg verwiesen, was zu groß, zu massig, zu ungeschlacht gewesen wäre, um unter dem Nipp der Zimmerausschmückung zu erscheinen. Unter diesen Ornamenten im Riesenspielzeugcharakter befindet sich unter andern der Torflügel des Tolbooth-Gefängnisses in Edinburg, das im Jahre 1817 niedergerissen wurde. Dies alte, eisen beschlagene Stück Holz ist wie ein Reliefbild, und zwar in Mittelhöhe der Wand, in die Mauer eingelassen und zeigt dadurch, daß es eine Art eingerahmtes Bildwerk und keine Tür sein will. An einer andern Stelle der Mauer befindet sich ein Spitz-Bogenportal (ebenfalls blind), das aus denselben Steinen gebaut worden ist, die bis zum Jahre 1817 das wirkliche Portal des Tolbooth-Gefängnisses bildeten. Inschriften befinden sich zahlreich an jeder der vier Wandflächen, und die an der Ostseite, die da lautet: »Up with the sutors of Selkirk«, teilt den schmalen Raum einer Sandsteinplatte mit einem darüber befindlichen, roh in Stein gekratzten Schwert.
Alle diese Dinge, deren Seltsamlichkeit ich bereits zu Anfang dieses Aufsatzes betont habe und deren Absichtlichkeit keinen besonders günstigen Eindruck möglich macht, sind doch nicht voll so seltsamlich, wie sie dem erscheinen müssen, der all die Umstände und Veranlassungen nicht kennt, die den Ankauf oder die Überreichung solcher Kuriositäten begleiteten. Das Steinportal und der hölzerne Torflügel des niedergerissenen Edinburger Tolbooth-Gefängnisses nehmen sich wunderlich genug aus; wenn man aber weiß, daß »Tolbooth-Gefängnis« nur der prosaische Name ist für das, was wir alle unter dem Namen »das Herz von Midlothian« kennen (niemand weiß genau, warum das Gefängnis zu diesem poetischen Namen kam), so ändert sich dadurch die Sache ein wenig, und wir können nicht umhin, es sinnig und liebenswürdig zu finden, daß der Edinburger Magistrat jene beiden Stücke, wie Bausteine oder zwei Reliefbilder, zur Ausschmückung des Ganzen beigesteuert hat. Eine Reihe von Geschichten und Anekdoten muß man stets gegenwärtig haben, um alle diese Schnurren nicht noch schnurriger zu finden, als sie ohnehin schon sind.
Auch das in Stein gekratzte Schwert mit der Umschrift: »Auf, ihr Schuster von Selkirk« ist keineswegs bedeutungslos. Die Schuster von Selkirk – der Name jener reizenden Stadt und Grafschaft, worin Sir Walter eine Zeitlang als Sheriff fungierte – zeichneten sich in der Unglücksschlacht von Flodden durch ihren Mut und ihre Hingebung aus, etwa wie die 400 Pforzheimer in der Schlacht bei Wimpfen. Im Volke hieß es damals, daß die Schlacht durch einen Verrat des Grafen Home verlorengegangen sei, und so entstand jenes Volkslied: »Die Schuster von Selkirk«, das sich in den Scottschen Sammlungen vorfindet und folgendermaßen lautet:
Wir sind die Schuster von Selkirk,
Und Graf Home, ein Schelm bist du,
Wir halten's mit Blau und Scharlach
Und machen einsohlige Schuh.
Zum Teufel alles, was gelb ist,
Und gelb und grün dazu,
Aber Vivat für Blau und Scharlach
Und jeden einsohligen Schuh.
Wir fechten für Blau und Scharlach
Und den König und unsre Schuh,
Denn wir sind die Schuster von Selkirk
Und Graf Home, ein Schelm bist du.
So das Lied. Hat man diese kleinen Züge und Beziehungen immer gegenwärtig, so wird man um einiges milder in der Beurteilung der ganzen Kollektion. Wir suchen nun einzutreten.
Der Eintritt in die »Kunstkammer«, wie man Abbotsford vielleicht am richtigsten bezeichnet, geschieht durch ein vorspringendes Spitzbogenportal (diesmal nicht blind), das einem der Haupteingänge von Linlithgow-Palace nachgebildet ist. Wir befinden uns, gleich nach Passierung des Portals, zunächst in einem kleinen niedrigen Vorflur, dessen nüchterne Wände mit allerhand Abbildungen englischer Husaren bedeckt sind. Der älteste, jung verstorbene Sohn Sir Walters war Offizier im 10. Husarenregiement, was die Anwesenheit dieser zahllosen »Husaren auf Vorposten«, »Husaren im Biwak« etc. erklären mag. Neben dem Vorflur gewahren wir, von der Größe eines mäßigen Wandschranks, eine Art Portiersloge, in der ein alter Mann, ohne sich durch unser Erscheinen stören zu lassen, ruhig fortfährt, sein Frühstück zu verzehren und immer neue Schinkenschnitten abzuschneiden. Auf meine allerbescheidenste Anfrage, wo wir die Zimmer Sir Walters sehen könnten, antwortete er mit einem Knurrton, der, keiner toten oder lebenden Sprache direkt angehörig, unverkennbar ausdrückt, daß wir gefälligst warten möchten, bis er fertig sei. Dieser unkomplaisante alte Herr war zu Lebzeiten Sir Walters eine Art Förster und Waldhüter, und was mehr sagen will, ein besonderer Liebling seines Herrn gewesen. An der Hand dieses Alten begannen wir nun unsere Wanderung.
Aus dem Vorflur mit seinen Husarenbildern traten wir in die große »Halle«, deren Fußboden aus einer Art Steinparkett von schwarzem und weißem hebridischen Marmor besteht, während die Wände mit alten, reich geschnitzten Eichenpaneelen aus Roslin-Chapel und dem alten Königspalaste in Dunfermlin bekleidet sind. Das Dach oder die Decke der Halle setzt sich aus Bögen von buntbemaltem Eichenholz zusammen. Zwischen diesen Bögen befinden sich die Wappenschilde der Scottschen Familie und aller derer, mit denen Walter Scott für gut fand, verwandt sein zu wollen.
Am Fries der Halle laufen in langer Reihe andere Wappenschilde hin, die in bunten gotischen Buchstaben die gemeinschaftliche Inschrift tragen: »Dies sind die Wappen all der Clans und Häuptlinge, die in alter Zeit die schottischen Marken (das Grenzland) für den König wahrten und hielten. Sie waren treue Männer ihrer Zeit, und fest wie sie standen, so stand Gott zu ihnen.« Die verschiedenen Wappen gehören folgenden acht Familien an: den Douglasses, Kers, Scotts, Turnbulls, Maxwells, Chisholms, Elliots und Armstrongs – lauter Namen, die in den alten Balladen des Landes wie in den Dichtungen Walter Scotts vielfach genannt werden.
Aus der Halle treten wir in Walter Scotts Studier- und Arbeitszimmer. Die Mehrzahl seiner Romane wurde hier entweder komponiert oder niedergeschrieben. Das Zimmer macht durchaus den Eindruck des Wohnlichen und Behaglichen. Die Möblierung und Ausstattung ist gediegen, aber nicht reich und überladen. Der Arbeitstisch und ein lederüberzogener Armstuhl stehen noch an alter Stelle; einige Nachschlagebücher sind dicht zur Hand, und eine leichte Galerie von Gußeisen (tracery work) umläuft, in Mittelhöhe des Zimmers, drei Seiten desselben und erleichtert das Herabnehmen der Bücher.
Nischenartig abgezweigt von dem Studierzimmer und kaum so groß wie eine Schiffskoje, befindet sich neben demselben eine Art Kabinett, worin – in derselben Weise, wie man in Greenwich den besternten Rock Lord Nelsons aufhebt, den er trug, als ihn die Todeskugel aus dem Mastkorb des »Redoutable« traf – unter einem Glaskasten das letzte Sommerkostüm Sir Walters aufbewahrt wird. Es ist sehr elegant und zeigt, neben vielem andern, wie großes Gewicht der Verstorbene auf Äußerlichkeiten legte. Dies Kostüm besteht aus einem olivenbraunen Frack mit Stahlknöpfen, weiß und schwarz kariertem Beinkleid (das bekannte Plaidmuster), braunen Gamaschen, gestreifter Samtweste und grauem, langhaarigem Seidenhut. Die feierliche Empfindung, mit der ich diese Sachen betrachtete, wurde durch die profane Bemerkung »all newly washed«, womit ein süffisanter Londoner Cockney sich selbst und das Maß seines Witzes beglaubigte, rasch unterbrochen, und wir verließen die Kabine ziemlich verstimmt, um nunmehr in das Bibliothekszimmer einzutreten.
Die Bibliothek ist ein sehr geräumiges und reich verziertes Zimmer, für dessen Dimensionen die 20000 (meist sehr schön gebundenen) Bände sprechen, die mit ihren goldbedruckten Lederrücken so sauber geordnet um einen her stehen, als befände man sich in der berühmten Leserotunde des Britischen Museums. Viele dieser Bände sind außerordentlich selten und kostbar; ein wesentlicher Bruchteil der ganzen Bibliothek besteht aus Werken über schottische Altertümer und Hexengeschichten. Über dem Kamin befindet sich das Porträt von Sir Walters ältestem Sohn, dem schon erwähnten Husarenoffizier; die Züge sind fein, aber weichlich, fast kränklich, und der kecke Husarenschnurrbart, den man bekanntlich ebensogut im Ausdruck des Auges wie über der Oberlippe haben kann, fehlt diesem feinen Gesichtchen an beiden Stellen gleich sehr. In einer der Ecken steht eine Silberurne auf einem Porphyrpostament, die Urne selbst ein Geschenk von Lord Byron. Außerdem befinden sich die Büsten Shakespeares und Sir Walters im Zimmer, die letztere (von der Hand Chantreys) natürlich erst nach seinem Tode aufgestellt.
Aus der Bibliothek treten wir in das Gesellschaftszimmer und aus diesem, das außer seinen Zederholzpaneelen und reichem Schnitzwerkmobiliar nichts Besonderes bietet, in die Waffensammlung oder Rüstkammer.
Diese Rüstkammer (Armoury) besteht aus zwei Hälften, die durch eine Wand geschieden sind. Die breite, weit offen stehende Tür aber läßt beide Zimmer als eines erscheinen. Beide Räume sind sehr niedrig, die Decke (Holzwerk) im Tudorstil, und die Fenster mit Glasmalereien bedeckt. Hier, wie sich denken läßt, treffen wir auf den Kern, auf die Kuriosissima des Kuriosums. Die Wände sind mit Raritäten bedeckt, und jede Ecke ist benutzt. Unter den Gegenständen, die einer besonderen Notiznahme wert sind, nenne ich folgende: das Schwert, das Karl Stuart dem Marquis von Montrose überreichte; eine Pistole Grahams von Claverhouse, des bei Killiecrankie gefallenen Stuart-Parteigängers, von dem seine Feinde, die Puritaner, sagten, das Wasser beginne zu zischen, sooft er ein Bad nehme; ein eiserner Kasten, der in der Kapelle Maries von Guise (der Mutter Maria Stuarts) auf Edinburg-Castle gefunden wurde; ein Pulverhorn Jakobs VI.; die Pistolen Napoleons, die nach der Schlacht von Waterloo in seinem Wagen erbeutet wurden; ein Stutzen Andreas Hofers und die Flinte Rob Roys mit den eingravierten Anfangsbuchstaben seines gälischen Namens.
Aus der Rüstkammer treten wir in das angrenzende Eßzimmer, das, statt allen andern Schmucks, ein halbes Dutzend sehr wertvoller Gemälde enthält, und zwar Porträts von Lord Essex (dem Günstling der Elisabeth), Cromwell, Claverhouse, Karl II., Karl XII. von Schweden, Maria Stuart, Rob Roy etc.; außerdem mehrere Ahnenbilder der Familie Scott. Unter diesen zeichnet sich das Porträt eines Alten aus, der in der Familie unter dem Namen »Lang-Bart« fortlebt, weil er nach der Hinrichtung Karls I. gelobt hatte, seinen Bart nicht mehr scheren zu lassen. In diesem Zimmer starb Sir Walter. Es ist dasselbe, in dem sich auch, wie in einem Uhr- und Juwelierladen, ein sechseckiger großer Glaskasten befindet, der tischartig auf einem schweren Mahagonifuß ruht. In diesem Glaskasten präsentieren sich weitere Raritäten: ein Riechfläschchen der Maria Stuart, ein ledernes Geldtäschchen (nach Art eines modernen Portemonnaies) des Rob Roy, ein Paar goldene Sporen, die Prinz Charlie trug, verschiedene Miniaturporträts des Prätendenten und ein in grünen Samt gebundenes Album Napoleons L, ebenfalls bei Waterloo erbeutet. Bei all diesen Dingen genügt die Aufzählung; nur über das vorgebliche Porträt der Maria Stuart sei noch ein Wort gestattet. Es ist das abgeschlagene Haupt der unglücklichen Königin, das auf einer Metallschüssel ruht. In der rechten Ecke steht der Name »Fotheringhay«, als sei der Maler bei der Hinrichtung zugegen gewesen und habe unmittelbar nach derselben und an Ort und Stelle dies Bild angefertigt. Das Ganze erscheint mir aber als eine grobe Täuschung; das Bild ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein ganz modernes Produkt oder aber die Leistung eines italienischen Meisters, vielleicht der abgeschlagene Kopf der Beatrice Cenci, die man hinterher umgetauft und nolens volens zu einer Maria Stuart gemacht hat.
An der Tür des Eßzimmers verabschiedeten wir uns von unserem Wildhüter und traten wieder ins Freie. Wir atmeten auf in der frischen Luft und fühlten uns wie von einem leisen Drucke befreit. Welcher Art dieser Druck war, worin er seinen eigentlichen Grund hatte, ist schwer zu sagen. Ob es die schwüle Luft der Zimmer oder die geistige Atmosphäre der »Romanze in Stein und Mörtel« war, ich mag es nicht entscheiden; vielleicht wirkte beides zusammen. Als der Dichter selbst noch lebte, er, dem diese Dinge etwas bedeuteten, eine Herzenssache waren, belebten sie sich unter dem lebendigen Wort, das er ihnen entgegentrug, wie die alte Sage Fels und Baum unter dem Klang der Leier lebendig werden läßt; jetzt aber, wo diese Klänge schweigen, sind die Steine wieder Stein, und selbst derjenige, der mit schottischer Dichtung und Geschichte wohlvertraut ist, schreitet durch diese Zimmer hin wie durch die Säle eines Wachsfigurenkabinetts.
Ich schied von der »Romanze in Stein und Mörtel« ohne besondere Gehobenheit der Stimmung, jedenfalls ohne alle Begeisterung; dennoch blick' ich mit Freuden auf jenen stillen grauen Tag zurück. Die Fahrt nach Abbotsford war eine Pilgerfahrt, eine erfüllte Pflicht, ein Zug, zu dem das Herz drängte. Was wäre der Ruhm Schottlands ohne die Erscheinung Walter Scotts! Er hat die Lieder seines Landes gesammelt und die Geschichte desselben durch eigene Dichtungen unsterblich gemacht. Eine volle und reine Befriedigung gewährt es mir jetzt, das Zinnen- und Giebelhaus durchwandert zu haben, das auch eine Schöpfung seines dichterischen Genius war und das – wie weit es gegen andere Schöpfungen seines Geistes zurückstehen mag – doch immer die Stätte bleibt, wo der Wunderbaum der Romantik seine schönsten und vor allem seine gesundesten Blüten trieb.