Theodor Fontane
Jenseit des Tweed
Theodor Fontane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Spukhäuser

Alt-Edinburg wäre nicht, was es ist, wenn es nicht auch seine Spukhäuser hätte. Jeder, der einmal High-Street hinauf geschritten ist und geschwankt hat, ob er den über den Häusern hängenden Nebel wie eine verflüchtigte Stadt oder die graue Stadt wie einen soliden Niederschlag aus dem Nebel betrachten solle, muß ein Gefühl davon gehabt haben, daß dies eine Festung sei, in der die Gespensterarmee mutmaßlich noch einen letzten Widerstand versuchen würde, wenn der Rest der Welt auch längst den Entschluß gefaßt haben sollte, mit Hexen und Elfen, Brownies und Wichtelmännchen, Puck, Klopfgeist und Klabautermann ein für allemal zu brechen. Was von dem ganzen Lande gilt, gilt auch von seiner Hauptstadt; neben Puritanismus und Dampfmaschine ist der alte nationale Aberglauben in Kraft geblieben. Man begegnet ihm auf Schritt und Tritt. Natürlich ist man auch in Schottland vornehm genug geworden, um in Büchern und Zeitungsspalten über die Schnurren und Finsternisse des Mittelalters fort zu sein, aber man braucht nicht lange sich umzusehen, um wahrzunehmen, wie dünn die Decke ist, unter der die alten Lieblingsgestalten schlafen. Die Gespenster scheinen hier eine Art Landesprodukt zu sein. Und in der Tat, ich möchte den sehen, der nachts, an Scone und Dunsinan vorbei, das große Blach- und Steinfeld der Grafschaft Inverneß durchreiten kann, ohne Gespenstern begegnet zu sein. Meilenweit kein Baum, kein Strauch; die Grampians rechts, ein Gebirgsbach links; nichts hörbar als das Rauschen des Wassers und der Hufschlag des eigenen Pferdes; über den Weg fallen wechselnd die Bergesschatten, und ein Schneehuhn fliegt auf. Wer solchen Ritt machen kann, ohne die Hexen Macbeths um eine Bergwand biegen zu sehen, der hat sich selbst sein Urteil gesprochen. Die Geisterwelt ist ihm verschlossen. Alle schottischen Dichter haben an dem Aberglauben ihres Volkes von ganzem Herzen teilgenommen. Burns, so könnte man einwenden, habe im »Tam O'Shanter« die Gespensterfurcht des Volks mit überlegnem Witze persifliert. Aber man weiß, was man von solchem Witze zu halten hat; er hält nur aus bei hellem Tage. Bei Nacht gleicht er dem Pfeifen und Singen auf einsamem Waldeswege. Walter Scott hatte eine Passion für Gespenstergeschichten und besaß neben der Lust daran auch ein besonderes Geschick, sie vorzutragen.Eine Szene, die sich, beiläufig bemerkt, am reich besetzten Tische des Bankiers und Dichters Samuel Rogers zutrug, zeigt am besten das halb gläubige, halb ironische Verhältnis, in dem Walter Scott zu seinen Gespenstergeschichten stand. Er erzählte eine derselben mit dem größtmöglichsten Aufwand seiner Darstellungsgabe und hielt einen kurzen Augenblick die Gemüter seiner Zuhörer wie in einem Bann des Schreckens. Aber auf Augenblicke nur; Rogers selbst erholte sich zuerst und rief seinen Gästen zu: »Nein, Scott, das ist zu arg; Unsinn von Anfang bis zu Ende«; worauf dieser lebhaft und selbst noch aufgeregt erwiderte: »Aber ich hab' es von meiner Großmutter«, rasch dann und unter lautem Lachen hinzufügend: »Freilich, die alte Frau log entsetzlich.«

In der Altstadt von Edinburg

In der Altstadt von Edinburg

Die Neustadt Edinburg hat nicht das Vorrecht, Spukhäuser zu besitzen, sie hat nur Bildsäulen von Pitt, Lord Melville und Georg IV. und daneben Paläste, die noch zu jung sind, um Geisterherbergen sein zu können; aber Alt-Edinburg, wie eingangs bereits gesagt, hat deren, und wir wollen einen Augenblick bei ihnen verweilen.

Es ist wahr, wir machen bei Aufzählung ihrer Insassen keine absolut neue Bekanntschaft; die nordischen Völker scheinen sich die Gestalten ihres Schreckens nach einem verwandten Bedürfnis und unter ähnlichen Eindrücken zurecht gemacht zu haben, aber wir finden doch bei vielem Gleichen mancherlei Nuancen und Abweichungen. Das Pferd mit der Feuermähne, der unsichtbare Kutschwagen, der lärmend auf die Rampe fährt, selbst der blasse Mann, der dann und wann seinen Kopf abnimmt, sollen uns nicht weiter beschäftigen; auch bei der großen Hand, die brennende Lichter auf den Tisch stellt oder bei dem Seitenstück derselben, den drei Paar Füße, die schottisch tanzen und mit den Hacken zusammenschlagen, wollen wir uns nicht länger verweilen. Aber ein Haus in unmittelbarer Nähe von High-Street, das bis auf diesen Tag verfallen und öde dasteht, hat doch Anspruch darauf, hier seine Geschichte erzählt zu sehn. Auf mich hat sie Eindruck gemacht, weil so wenig Apparat darin sichtbar ist. Das Haus, das ich meine, steht auf einem Platze, der Lawn-Market heißt. Die Bewohner, schlichte Leute, hatten sich Gäste geladen, ein paar Freunde und Verwandte. Es war am hellen, lichten Tag, die Wanduhr setzte eben ein, um zwölf zu schlagen, der Tisch war gedeckt, und im Kamin knisterte das Feuer. Jeder nahm seinen Sitz, und der Hausherr begann das Gebet zu sprechen. Als er bis an die Worte gekommen war: »Führe uns nicht in Versuchung«, öffnete sich eine Stelle in der Wand, wo niemand zuvor eine Tür gesehen hatte, und eine Frauengestalt trat daraus hervor. Sie schüttelte den Kopf, wies auf eine Stelle am Boden und schritt halb abgewandt, wie im Bewußtsein ihrer Schuld, der Stelle zu, auf die sie zuvor gezeigt hatte. Alle Anwesenden, Gäste und Bewohner, flohen entsetzt aus dem Hause. Hundert Jahre und mehr sind seit jenem gestörten Mittagsmahle vergangen, ebensolange steht das Haus verschlossen und leer. Niemand bis jetzt hat sich gefunden, der Lust gehabt hätte, den Schlüssel im rostigen Schloß zu drehen und nachzusehen, ob der Tisch dort oben noch gedeckt sei oder nicht.

Eine andere Geschichte ist die vom Major Weir. Sie hat mehr historisches Fundament, mehr bestimmte Namen, mehr Lokalton; das mag der Grund sein, daß sie unter allen ähnlichen Geschichten die populärste geworden ist. Major Weir hatte bei Dunbar gefochten, er galt für tapfer, aber seine Tapferkeit war nichts im Vergleich zu seiner Frömmigkeit. Das puritanische Edinburg verehrte ihn wie einen Heiligen. Er war unverheiratet und bewohnte ein Haus in Westbow. Mit ihm war seine Schwester Griseldis, gewöhnlich »die alte Grissel« genannt. Er kleidete sich schwarz, predigte in Versammlungen und beherrschte die Stadt durch seinen Einfluß. Nur eins fiel auf: er pflegte einen langen schwarzen Stab zu tragen; solang er diesen in Händen hielt, war er feurig, beredt, hinreißend, sowie er ihn hinwegtat, erschien er alt und hinfällig. Von diesem Stabe gingen Wundergeschichten um. Eines Tages erschien Major Weir vor dem obersten Richter und erhob Anklage gegen sich selbst. Die Richter wollten nicht glauben und wiesen ihn ab. Er beharrte bei seiner Aussage und gab solche Details, daß man zu seiner Verhaftung schreiten mußte. Der Prozeß ward eingeleitet, unerhörte Dinge kamen ans Licht; Betrug, Mord, Unzucht und jede Form nächtlicher Orgien. Bei einer späteren Revision der Prozeßakten hat man alles ins Gebiet des Wahnsinns, der Fiktion und Übertreibung verweisen wollen. Das ist immer das bequemste. Die Zeitgenossen aber glaubten an die volle Wirklichkeit der Dinge und drängten sich mitleidslos um den Holzstoß herum, auf dem das Geschwisterpaar verbrannt werden sollte. Grissel Weir riß sich die Kleider vom Leibe, um, wie sie schrie, »in aller Schande zu sterben«. Ihr Bruder stand stumm und regungslos am Pfahl; nur als ihm die Worte des letzten Gebetes vorgesprochen wurden, schüttelte er den Kopf und murmelte: »Wozu?« Die Flammen schlugen auf; erst als der schwarze Stab verbrannt war, der ihm zu Füßen lag, konnten sie an ihn. Das Haus in Westbow aber hat niemand mehr bewohnt. Vor 10 oder 15 Jahren wurde es niedergerissen. Solange es stand, lebte im Volk der Glaube an ein gespenstisches Treiben innerhalb seiner Mauern; Lichtschein flimmerte nachts aus den Fenstern der ersten Etage, gedämpfte Musik und wildes Tanzen, Gläserklingen und Lachen und Lebehoch. Dazwischen hörte man deutlich das Surren eines Spinnrads; denn Grissel Weir war eine berühmte Spinnerin gewesen, aber das Linnen brach, das aus ihrem Garn gewoben wurde.

Das dritte und letzte Spukhaus, von dem ich zu sprechen habe, steht in Canongate. Das alte Haus ist längst zerstört, aber der genius loci scheint geblieben. Die Geschichte, die sich an dies Haus knüpft, ist folgende. Gegen Mitternacht wurde bei einem Geistlichen, der weiter oberhalb in der Stadt wohnte, an Tür und Laden geklopft. Als er öffnete, sah er mehrere Männer draußen stehn, die ihm mitteilten, daß er sie begleiten möge, um einem Kranken die Sterbesakramente zu reichen. Er gehorchte. Als man High-Street hinunter war, zwang man ihn, sich die Augen verbinden zu lassen; dann schritt man weiter abwärts. Nachdem ihn seine Begleiter noch mehrere Minuten lang die Kreuz und Quer geführt hatten, geleiteten sie ihn die Steintreppe eines Hauses hinauf, öffneten eine Tür im ersten Stock und hießen ihn eintreten. Hier nahm man ihm die Binde ab. Er befand sich in einem geräumigen, wenig erleuchteten Zimmer, in dessen Mitte ein Himmelbett mit dunklen Gardinen stand, der eine Vorhang halb zurückgeschlagen. Zur Seite des Bettes saßen mehrere Männer; in demselben lag eine schöne junge Dame, eine Wöchnerin wie man ihm sagte, erst wenig Stunden zuvor eines Kindleins genesen. Die Männer wiederholten jetzt die Aufforderung, die Worte zu sprechen, die gemeinhin am Bette eines Sterbenden gesprochen würden. Er antwortete, daß ihm der Zustand der Dame das nicht zu erfordern scheine, sie sei keine Sterbende, kaum eine Kranke; drohende Worte indes ließen ihm bald keine Wahl mehr, und zitternd, kaum seiner Sinne mächtig, sprach er die üblichen Gebete. Als er geendet hatte, verband man ihm abermals die Augen und führte ihn treppabwärts; ehe er die letzten Stufen erreicht hatte, hörte er einen Pistolenschuß. Vor seiner Wohnung angelangt, wurde ihm von Seiten seiner Begleiter eine Börse mit Goldstücken aufgedrungen und kurz hinzugefügt, daß er zu schweigen habe, so lieb ihm sein Leben sei. Dann ließ man ihn allein. Er trat in sein Haus, legte sich wie im Fieber nieder und fiel endlich, nachdem er sich lange rastlos hin und her geworfen hatte, in einen tiefen Schlaf. Gegen Morgen erweckte ihn sein Diener mit der Nachricht, daß über Nacht in Canongate ein heftiges Feuer ausgebrochen sei; das ganze Haus sei zerstört und die Tochter des Lord Ravendale in den Flammen umgekommen. Für den Geistlichen war kein Zweifel, daß dies dasselbe Haus sei, in dem er die Nacht vorher die Sterbegebete gesprochen hatte; aber die Furcht hielt ihn ab, zu reden und als Kläger aufzutreten. Dennoch blieben die Vorgänge jener Nacht nicht ganz verschwiegen, und nachdem, ziemlich ein Menschenalter später, der Geistliche gestorben war, fehlte es nicht an Personen, die von der Geschichte wenigstens gerüchtweise Kenntnis hatten. Dies Gerücht fand später eine gespenstische Bestätigung. An derselben Stelle, wo das Haus in Canongate niedergebrannt war, hatte man bald nachher ein neues Gebäude errichtet. Viele Jahre waren seitdem vergangen, der Geistliche längst tot, das neue Haus war fast wieder ein altes geworden; da brach ein zweites Mal Feuer an derselben Stelle aus. Als die Flammen die höchste Höhe erreicht hatten, wurde der Tumult, der wie gewöhnlich in den benachbarten Straßen herrschte, plötzlich durch eine Erscheinung unterbrochen. Eine schöne Frauengestalt, in reiche Nachtgewänder gekleidet, erschien mitten in den Flammen und rief laut in die Stadt hinein:

Einmal verbrannt, zweimal verbrannt,
Das dritte Mal brennen Stadt und Land.

Der Eindruck dieser Worte war so mächtig, daß, wenn in späteren Jahren noch ein Feuer in der Nähe von Canongate ausbrach, die größten Anstrengungen gemacht wurden, das Umsichgreifen desselben zu verhindern, um nicht vielleicht jene furchtbare Prophezeiung in Erfüllung gehn zu sehen

Ein besonderer Reiz dieser Erzählung und ihr charakteristisches Unterscheidungszeichen liegt in der Erscheinung der Frauengestalt in den Flammen; im übrigen erinnert dieselbe lebhaft an jene, wenn ich nicht irre, von Henrik Steffens herrührende, später von Schelling in Terzinen wiedererzählte Geschichte, die unter dem Namen »Die letzten Worte des Pfarrers zu Drottning« bei uns bekannt geworden ist. Die Hauptzüge sind in beiden Erzählungen dieselben, nur Lokalität und Farbe weichen ab.


 << zurück weiter >>