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Die Fackeln längst erloschen, deren Glut
Lichtfurchen zog auf dieses Sees Flut;
Das Leben längst erloschen, hin der Klang,
Der hier im Echo von den Mauern sprang;
Die Mauern selbst zerbröckelt, öd der Turm
Und im Kamine heimisch nur der Sturm.
Michael Bruces »Lochleven«
Lochleven-Castle, mit alleiniger Ausnahme von Holyrood-Palace, steht obenan unter den schottischen Schlössern, die, mit in die Geschichte Maria Stuarts verwebt, durch eben diese Verwebung auch ihrerseits berühmt geworden sind. Im Schlosse von Lochleven saß die schöne Königin fast ein Jahr lang gefangen, jenes letzte Jahr auf schottischem Grund und Boden, das ihrer unheilvollen Flucht nach England vorausging.
Was zur Auflehnung des schottischen Adels gegen die Königin und schließlich zu ihrer Gefangensetzung in Lochleven führte, war bekanntlich ihre Verheiratung mit Bothwell. An der Spitze der Unzufriedenen stand ihr Halbbruder, der Graf von Murray. Bei Carberry-Hill stießen die feindlichen Parteien aufeinander; Bothwell, auf die Anklage hin, »der Mörder Darnleys« zu sein, wurde zum Zweikampf gefordert, lehnte aber schimpflich ab und floh; mit ihm das Heer der Königin. Diese selbst überlieferte sich den Siegern und wurde als Gefangene nach dem der Douglas-Familie zugehörigen Schlosse von Lochleven gebracht.
Dies Schloß von Lochleven zu sehen, war seit vielen Jahren mein Wunsch gewesen, und ich hätte Edinburg nicht verlassen mögen, ohne zuvor einen Ausflug nach diesem reizenden Punkt gemacht zu haben. Es ist eine Unsitte, die, wie überall, so auch in Schottland herrscht, dem Reisenden gleichsam eine bestimmte Reiseroute, eine bestimmte Reihenfolge von Sehenswürdigkeiten aufzudrängen. Irgendeine Eisenbahn- oder Dampfschifffahrt-Kompagnie findet es für gut, diesen See, diesen Berg, diese Insel als das Schönste und Sehenswerteste festzusetzen; regelmäßige Fahrten werden eingerichtet, bequeme Hotels wachsen wie Pilze aus der Erde, Stellwagen und Postillone, Bootsführer und Dudelsackpfeifer, alles tritt in den Dienst der Gesellschaft, und der Reisende, der ein Mensch ist und in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenig Geld das Möglichste sehen möchte, überläßt sich wie ein Gepäckstück diesen Entrepreneurs und bringt sich dadurch um den vielleicht höchsten Reiz des Reisens, um den Reiz, das Besondere, das Verborgene, das Unalltägliche gesehen zu haben. Eine kleine Schönheit, die wir für uns selber haben, ist uns lieber wie die große und allgemeine.
Den Entrepreneurs hat es bisher nicht beliebt, den Leven-See, überhaupt die Grafschaft Fife, unter jene Punkte aufzunehmen, die gesehen werden müssen; es lag außerhalb des Weges, und wenige kümmerten sich darum. Das wird jetzt mutmaßlich anders werden. An demselben Tage, an dem wir aufbrachen, um unsern Besuch auf dem alten Schlosse abzustatten, wurde die Eisenbahn zwischen Edinburg und Lochleven eröffnet, und ich hege keinen Zweifel, daß die betreffende Aktiengesellschaft Sorge tragen wird, den halbvergessenen Punkt wieder zu Ehren zu bringen und mit Hilfe der Romantik die Aktien steigen zu machen.
Wir brachen früh auf von Edinburg. Ich werde dieses schönen Tages nicht leicht vergessen. Wenn es schon ein Glück war, die ersten zu sein, die auf einer bis dahin ziemlich beschwerlichen Tour die eben eröffnete Eisenbahn benützen konnten, so war dies günstige Ungefähr doch nur das Zeichen, das Vorspiel eines glücklichen Tages. Wer kennt nicht die Stimmung, die uns beschleicht, wenn wir zur Sommerszeit am Abhänge eines Waldes ausruhen, hinausblicken auf eine sonnenbeschienene Wiese, hinaufblicken in den Himmel, daran dünne Wolken ziehen, und aus Wald und Feld her rätselhafte Laute vernehmen, als spräche die Natur? Ein Träumen kommt über uns; wir denken nichts Bestimmtes, wir fühlen nichts Bestimmtes, aber die süße Gewohnheit des Daseins zieht wie mit doppelter Süße durch unser Herz. Diese Stimmung war es, die mich den Tag über begleitete; die Klänge eines alten Liedes schmeichelten sich in mein Ohr.
Die Fahrt von Edinburg bis zum Städtchen Kinroß, in dessen unmittelbarer Nähe Lochleven gelegen ist, dauert auch jetzt noch drei bis vier Stunden, wiewohl die Entfernung in gerader Linie kaum fünf deutsche Meilen beträgt. Aber die Eisenbahn beschreibt die wunderlichsten Linien, und man springt vor und wieder zurück, wie ein Springer auf dem Schachbrett. Man fährt zunächst von Edinburg bis Leith und passiert dann in einem Dampfboot den breiten Meerbusen des Forth. Im Hinüberfahren gewahrt man rechtshin das Dorf Aberdour. An den Namen desselben knüpft sich eine der schönsten und ältesten schottischen Balladen, die Ballade von »Sir Patrick Spens«:
Der König sitzt in Dunfermlin-Schloß;
Er trinkt blutroten Wein:
Wer ist mein bester Segler,
Er muß in See hinein!
Höflinge, falsche Freunde des Sir Patrick, antworten dem Könige: »Wer anders könnt' es sein als Sir Patrick.« Nun wird eine Fahrt beschlossen, ein Winter-Seezug (um die Sturmzeit) gegen die Dänen. Die Ehre verbietet dem Sir Patrick, das Kommando abzulehnen, und die ganze Flotte, wie erwartet, scheitert in der Nähe von Aberdour. Niemand wird gerettet.
Nun sitzen viel schöne Frauen
Bei Aberdour am Strand
Und stützen die weiße Stirne
Auf ihre weiße Hand.
Sie tragen goldene Kämme
Und starren hinaus aufs Meer,
Doch sie erharren keinen
Und sehen keinen mehr.
Wir sind glücklicher in unserer Fahrt als der arme Sir Patrick, und erreichen wohlbehalten North-Queens-Ferry, von wo uns die Eisenbahn zunächst nach dem alten Dunfermlin führt. Dies ist dasselbe Dunfermlin, wo der eben zitierte alte Balladenkönig den »blutroten Wein« trank. Es ist eine der ältesten Städte Schottlands und war lange Zeit vor Edinburg und selbst vor Perth eine königliche Residenz. Malcolm Canmore, der Besieger und Nachfolger Macbeths, hatte hier ein Schloß, dessen Ruinen noch sichtbar sind. Von höchstem Interesse ist die alte Abtei, leider durch Um- und Neubauten sehr verunstaltet. Sie ist das Campo Santo der schottischen Könige von Malcolm Canmore (um 1070) bis etwa zur Thronbesteigung der Stuarts. Die Könige vor 1070 liegen auf der Insel Iona (dicht bei Staffa) in langer Reihe begraben; Macbeth beschließt den Zug. Die meisten Grabsteine in der Abtei von Dunfermlin zeigen keine deutlichen Namen mehr, so daß es als besonderes Glück angesehen werden muß, das interessanteste der vorhandenen Königsgräber durch einen Zufall wohlerhalten zu finden. 1818, bei Hinwegschaffung eines Trümmerhaufens (der Jahrhunderte lang das darunter verborgene Grab beschützt hatte), entdeckte man den Grabstein des Robert Bruce mit der Jahreszahl 1329. Man öffnete und fand das Skelett des großen Königs (groß auch körperlich) in Blei gehüllt; selbst ein Teil seines Grabtuches war noch vorhanden. Die Stadt ist auch dadurch interessant, daß Karl Stuart in einem ihrer vielen Paläste geboren wurde.
Von Dunfermlin aus zieht sich die Eisenbahn, statt direkt nach Kinroß zu gehen, meilenweit östlich hin und läuft eine lange Strecke an der Meeresküste entlang. Das Land ist flach, aber nicht reizlos und gewinnt namentlich da, wo man des Loch Leven oder des Leven-Sees ansichtig wird, einen eigentümlichen Zauber. Überhaupt wird der Osten Schottlands ohne Not auf Kosten des Westens vernachlässigt. Was dieser an Großartigkeit der Formationen voraus hat, ersetzt der Osten reichlich durch Lieblichkeit und Leben in der Landschaft und durch jenen Reiz, den ihm Sage und Geschichte verleihen.
Kinroß ist eine anspruchslose kleine Stadt, unmittelbar am See gelegen. Ihr Reiz besteht in ihrer Stille und Abgeschiedenheit, worin sie's dem stillen Linlithgow noch zuvortut. Kein königlicher Palast, kein figurenreicher Brunnen geben dem Orte Bedeutung; er hat nur seinen See, seine Lachsforellen und sein zerfallenes Schloß. Ein solcher Ort hat natürlich nur ein Hotel und spart dem Reisenden die Wahl. Im Salutation-Inn stiegen wir ab, was ungefähr sagen will, im Gasthof zum freundlichen Gruß. Die lachende Wirtin blieb hinter dem Versprechen ihres Hauses nicht zurück, und nachdem wir ein Mittagbrot von Lachsforellen bestellt hatten, die dem Leven-See eigentümlich sind und von jedem gegessen werden müssen, der Kinroß besucht, brachen wir auf, um dem »Schloß im See« unseren Besuch zu machen. Die Mittagssonne stand am Himmel, als wir in das Boot stiegen, das für spärlich eintreffenden Besuch die Kommunikation zwischen dem Ufer und dem Schloß im See unterhält. Der See, der ungefähr eine Drittelquadratmeile umfassen mag, hat zwei kleine Inseln, die übrigens in ziemlicher Entfernung voneinander liegen. Auf der einen befinden sich die Trümmer eines alten Klosters, auf der andern das Schloß von Lochleven.
Diesem fuhren wir jetzt zu. Zwei Leute handhabten die Ruder, ohne sich besonders zu übereilen; der eine ein breitschultriger Bootsknecht, der andere ein blasser, kränklich aussehender Mann, mit etwas Träumerischem im Auge. Er war der Besitzer des Boots, hieß Mr. Marshall und fungierte zugleich als Fremdenführer. Was diesen Mann weit über all die Hunderte von Führern erhebt, die ich kennengelernt habe, war seine unaffektierte Begeisterung für den See und das Inselschloß, dem wir jetzt zuruderten. Zunächst verhielt er sich schweigsam, weil er nicht wissen konnte, ob wir zu den frivolen oder den pietätsvollen Reisenden gehörten, und sein See und Schloß ihm viel zu heilig waren, um eine Profanierung derselben mutwillig herauszufordern; kaum aber, daß er aus meinen Fragen ein ungeheucheltes Interesse und ein gewisses Vertrautsein mit der Geschichte des Orts erkannt hatte, so floß ihm das Herz über, und zu den Ruderschlägen, die im Takte auf- und niedergingen, klangen jetzt die Versrhythmen aller derer, die je ein Lied zu Ehren Lochlevens gesungen haben. Unter all den Zitaten, mit denen er nicht sparsam war, vermißte ich nur eines, ein Zitat aus jener alten Ballade, die von dem Aufenthalt des Grafen Percy auf diesem Schloß spricht. Ich fragte den Rhapsoden von Kinroß, ob er jenes alte Lied nicht kenne, und als er es verneinte, erzählte ich ihm, wie Graf Percy, der aus England fliehen gemußt, auf diesem Schloß Schutz gesucht und gefunden; wie William Douglas aber ihn verraten habe und wie alle Warnungen von Mary Douglas, die den Percy geliebt und das Benehmen ihres Bruders verabscheut habe, umsonst gewesen seien. Vergeblich habe sie ihn an den See geführt und ihm auf dem Grunde desselben, mit Hilfe eines Zauberrings, die Bilder seiner Zukunft und seines Todes gezeigt: den Marktplatz von York, das Schafott, den Lord-Oberrichter und das Beil in der Hand des Henkers. Allen Warnungen und Versicherungen gegenüber habe er immer nur geantwortet:
»Die Douglas waren immer treu,
Auch William Douglas muß es sein.«
und habe endlich das Vertrauen in die Treue der Douglas mit seinem Leben bezahlt. Während ich sprach, konnte ich deutlich wahrnehmen, daß Mr. Marshalls Herz von zwei entgegengesetzten Gefühlen bewegt wurde: das erste war ein Gefühl der Zerknirschung darüber, daß es einem Fremden vorbehalten sein mußte, ihm neuen Stoff zur historischen Belebung seines Sees und Schlosses zuzutragen; die zweite Empfindung aber, die jener unmittelbar auf dem Fuße folgte und sie verdrängte, war die der Freude und des Dankes. Um der Sache willen, die ihm vor allem am Herzen lag, vergaß er rasch und gern, was er im ersten Augenblick als das Bittere einer persönlichen Niederlage empfunden hatte.
Während dieses Gespräches hatten wir die Insel erreicht. Sie war in alten Zeiten so klein, daß sie nur eben den Raum zur Erbauung eines Schlosses hergegeben hatte, das dann wirklich wie aus dem Wasser emporwuchs und von den Wellen des Sees bespült wurde. So war Lochleven-Castle zu den Zeiten der Maria Stuart, so war es noch (wenn auch bereits im Trümmer zerfallen) während der ersten dreißig Jahre dieses Jahrhunderts.
Erst im Jahre 1831 hat eine Kanalanlage, die, ich weiß nicht zu welchem Zwecke, unternommen wurde, den schönen See um seinen Wasserreichtum gebracht und das Niveau desselben um mehr denn vier Fuß erniedrigt. Dadurch haben Schloß und Eiland ihren früheren Charakter verloren, und allmählich sich abflachend, zieht sich jetzt ein breiter tannenbewachsener Gürtel um den alten Mittelpunkt herum.
Dieser ehemalige Mittelpunkt ist durch eine Feldsteinmauer, die ihn einfaßt, noch deutlich erkennbar; die einzelnen Baulichkeiten aber sind zerfallen, mit Ausnahme von zwei Türmen, einem runden und einem viereckigen. An diese beiden Türme knüpft sich jenes Bruchstück aus dem Leben Maria Stuarts, das die Überschrift trägt: Schloß Lochleven. In dem runden Turm, der der kleinere ist und nach Westen blickt, saß sie gefangen. Der Turm bestand aus einem Souterrain und drei Stockwerken, die sich noch alle sehr wohl unterscheiden lassen. Das Souterrain hat Walter Scott in seinem Romane: »Der Abt« als eine Schmiedewerkstatt dargestellt, was, wie Mr. Marshall ernsthaft versicherte, zu den schlimmsten der poetischen Lizenzen gehöre, deren sich der große Dichter jemals schuldig gemacht habe. Es sei eben ein Keller gewesen und weiter nichts. – Die Wölbung über diesem Keller existiert noch, so daß es möglich wird, in dem darüber gelegenen Hochparterre-Raum einen Besuch zu machen. Dieser Raum war das Wohn- und Empfangszimmer der Königin; ich bedauere, seinen Umfang nicht ausgemessen zu haben, doch erschien es mir kaum größer als der durch seine Kleinheit ausgezeichnete »supping-room« im Palaste von Holyrood. Das Zimmer hat zwei Fenster, ein größeres und ein kleineres, mit deren Hilfe die Königin beständig allerhand Zeichen zwischen sich und ihren Anhängern am Westufer des Sees ausgetauscht haben soll. Das Deckengewölbe dieses ersten wie auch des zweiten und dritten Stockwerkes ist eingestürzt, so daß man, die Augen nach oben richtend, wie durch einen geräumigen Schornstein hinauf ins Blaue blickt. Die beiden oberen Stockwerke sind indes durch Fenster- und Kaminnischen noch deutlich markiert. Das Zimmer im zweiten Stockwerk, durch eine schmale Treppe mit dem sitting-room in Verbindung stehend, diente als Schlafzimmer der Königin; über demselben, also im dritten und letzten Stockwerk, befand sich eine Art Wachtlokal, da die mehrfach sich wiederholenden Fluchtversuche der Königin es nötig machten, beständig auf der Hut zu sein. Einmal war es ihr bereits geglückt, in der Verkleidung ihrer Waschfrau die Wächter zu täuschen und glücklich in das Boot zu gelangen, das bestimmt war, die wirkliche Wäscherin nach Kinroß zurückzurudern; als man indessen abstieß und das Boot heftig zu schwanken begann, griff die Königin nach der Bootswand, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. In demselben Augenblick war alles verraten; – diese weiße Hand gehörte keiner Waschfrau von Kinroß. Noch andere Versuche zu ihrer Befreiung hatten stattgefunden, so daß immer größere Strenge, immer peinlichere Überwachung nötig geworden war. Diese Quälereien indes führten schließlich zu einem Bruch in der Douglas-Familie selbst und dadurch mittelbar zur Befreiung der Königin. Ehe ich die Geschichte dieser Befreiung erzähle, führe ich meine Leser nach dem viereckigen Turm, der am Ostrande der Insel liegt und damals von der Familie Douglas bewohnt wurde. Es ist ein interessanter alter Bau, ohne einen andern Eingang als durch die Küche, woraus Mr. Marshall geschlossen hat, daß vornehmer Besuch in Trag- und Schwebesesseln hinaufgewunden worden sei, – eine Hypothese, für die ich nicht die Verantwortung übernehmen mag. An der vom Wasser bespülten Außenwand des Turmes lief auf Pfahl- und Plankenwerk ein Steg hin, an dem das Boot lag, das die Kommunikation zwischen Schloß und Ufer unterhielt. Dieser Steg war nicht anders als durch ein Gittertor zu erreichen, das in dem Winkel lag, wo die Schloßmauer auf den großen Turm stieß. Die Schlüssel zu diesem Gittertor waren in Händen der alten Lady Douglas. Diese saß am Abend des 2. Mai 1568 an der Familientafel, die Schlüssel, die sie immer bei sich führte, neben ihrem Teller auf dem Tisch gelegt. Sie war seit einundzwanzig Jahren Witwe, führte aber immer noch das Regiment. Um den Tisch herum saßen ihre Kinder und Enkel, hinter ihrem Stuhl aber stand ein Page, kaum sechzehn Jahre alt, der ein illegitimer Sohn ihres ältesten Sohnes William war. Sie nannten ihn Willy Douglas und rechneten ihn mit zur Familie. Als es dunkel geworden war, rötete ein Feuerschein den Himmel. Drei Personen im Schloß wußten, was es damit auf sich habe. Diese drei waren: die Königin, deren Freundin und Gesellschaftsdame Mary Seaton und – Willy Douglas. Er trat ans Fenster, wohl wissend, daß er dem Feuerschein begegnen würde, und rief dann wie bestürzt: »Feuer in Kinroß!« Die alte Lady erhob sich von ihrem Platz und sah hinaus; alle anderen folgten. Diesen Augenblick benützte Willy, warf ein Tuch über die Schlüssel, um sie geräuschlose aufheben zu können, und verschwand im nächsten Moment. Als er hinaustrat, schritt vom runden Turm her die Gestalt Mary Seatons über den Schloßhof. Die Wache am Tor hatte sich täuschen lassen – es war die Königin. Im Nu war das Gittertor geöffnet und von außen wieder geschlossen; den Steg entlang eilend sprangen beide ins Boot, und im nächsten Moment schon fielen die ersten Ruderschläge ins Wasser. Nach wenigen Minuten war alles entdeckt, aber das Gitter war geschlossen und kein anderes Boot zur Hand, als eine Art Fährboot, das auf dem Schloßhof stand. Ein Vorsprung von einer Viertelstunde war gewonnen. Als man im Schlosse einstieg, um die Flüchtigen zu verfolgen, landeten sie bereits am Ostufer des Sees und wurden unter lautem Jubel von den dort harrenden Reitern Lord Seatons empfangen. Die Schlüssel aber warf Willy Douglas in den See; dort sind sie von im Sande spielenden Kindern zu Anfang dieses Jahrhunderts gefunden worden.
Diese Geschichte, dem Munde unseres Führers nacherzählt, (der auch hier die Walter Scottsche Version verschmähte) , vernahmen wir bruchstückweise, während wir in dem Wohn- und Eßzimmer der Lady Douglas auf und ab schritten und bald berechneten, wo die Alte gesessen haben müsse, bald an das Eckfenster traten, an dem Willy Douglas ausgerufen hatte: »Feuer in Kinroß!« Die zur Küche führende Treppe hinuntersteigend, gelangten wir wieder ins Freie. Die Nachmittagssonne brannte auf dem grünen, mit Stein und Trümmern überdeckten Schloßhof; so setzten wir uns denn in den Schatten einer dicht am Ufer stehenden prächtigen alten Esche, um das Bild der beiden Türme von Lochleven nochmals auf uns wirken zu lassen; dann sprangen wir ins Boot und fuhren in derselben Richtung zurück, die das flüchtige Paar in jener Nacht genommen hatte. Die Tage von Lochleven waren die letzten Tage Marys auf schottischem Grund und Boden. Am 2. Mai floh sie über den See, am 15. entschied sich ihr Schicksal an jenem Unglückstage von Langside. Willy Douglas bezahlte seine Liebe mit seinem Leben, die Königin aber floh und betrat in Carlisle den Boden Englands.