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Wir hielten alsbald vor dem von Menschen und Wagen umlagerten Hotel Royal, und nachdem wir, den Reisesack in der Hand, eine Viertelstunde lang geduldig gewartet und nur von Zeit zu Zeit unsere ergebene Anfrage: »Can we have a double-bedded room« wiederholt hatten, traf uns endlich ein gnädiges Kopfnicken Mr. Campbells, und eine Zimmernummer nennend, flog nunmehr einer der Kellner vor uns die breite, teppichbelegte Treppe hinauf, um oben angelangt mit einer auffordernden Handbewegung gegen uns in einem der Korridore zu verschwinden. Das große und saubere Zimmer, in das wir geführt wurden, lag nach hinten hinaus, was ein neuer Vorzug war, da die Front des Hauses keine Aussicht bietet, während die Hinterzimmer auf den alten, malerisch gelegenen Stadtteil hinausblicken, der sich am Abhang des Hügels hinauf- und hinunter zieht.
Das schöne Wetter mahnte, keine Zeit zu verlieren und die Stunden bis Sonnenuntergang noch zu einem ersten Ausfluge zu benutzen. Unser Gang führte uns zunächst durch die Stadt. Stadt Stirling liegt teils am Fuße, teils am Ostabhange jenes Felsenhügels, auf dessen höchster Spitze Schloß Stirling ragt. Die vom Hügel herabsteigenden Straßen und Gassen münden mehr oder minder senkrecht in die am Fuß des Hügels sich hinziehende High-StreetHigh-Street hat im Englischen nie die Bedeutung von hochgelegener Straße, sondern immer nur von Haupt-Straße. ein, die jetzt, ohne schön oder irgendwie bemerkenswert zu sein, doch die Hügelstraßen an Ausdehnung und Wohnlichkeit übertrifft. Diese High-Street entspricht mutatis mutandis der Princes-Street von Edinburg, während das Gewirr der hügelansteigenden Straßen und Gassen in Erscheinung, Lage und Fülle historischer Rückerinnerungen an die Altstadt von Edinburg erinnert. Auch die Schloßhügel beider Städte sind in Höhe, Formation und Umgebung nahe verwandt, und ihre Linien unterscheiden sich nur insoweit, daß – um ein etwas kühnes, aber wie ich hoffe, bezeichnendes Bild zu gebrauchen – das Edinburger Schloß einem liegenden, das Stirlinger aber einem sitzenden Löwen gleicht. Beide erheben sich plötzlich und unvermittelt aus der Ebene und blicken, dem Hochlande zugewandt, wie Wächter landeinwärts, die Rückenlinie des wie schlafend daliegenden Edinburger Hügels aber ist eine allmählich ansteigende, während Stirling-Castle bereits, wie vor einem nahen Geräusch, in die Höhe gefahren ist und mit halbsenkrechter Rückenlinie erwartungsvoll dasitzt. Dieser Rückenlinie entsprechend sind natürlich auch die Straßen, die sich dieselbe hinaufziehen: die Edinburger Straßen lang und allmählich sich verlaufend, die Stirlinger Straßen kurz und steil.
Von unserem Ausfluge durch die Stadt zurückkehrend, steigen wir jetzt durch ein Gewirr von Gassen, das endlich in eine breite, platzartige Straße ausläuft, den Hügel hinan und befinden uns alsbald angesichts von Stirling-Castle auf einer mauerumkränzten Esplanade, die den Vorhof zum Schlosse selber bildet. Wir verweilen hier einen Augenblick, weniger um über die Mauereinfassung hinweg nach rechts und links hin in die schöne, lachende Landschaft hineinzublicken, als um den malerisch kostümierten Hochländern einen Blick zu gönnen, die vor und neben uns die ganze Szene beleben. Aus dem Schloßtor heraus treten einzelne und in Gruppen, teils um den Weg zur Stadt hin einzuschlagen, teils um seitabwärts auf einem großen, zur Esplanade gehörigen Rasenplatz an dem Spiele teilzunehmen, das bereits ein Dutzend Mitspieler zählt und in bestem Gange ist. Die ersteren, die mit pathetischem Schritt die Hügelstraße hinuntersteigen, sind in vollem Hochlandskostüm, und die Interimsjacken von weißem Tuch, die sie statt der roten Uniformen tragen, geben ihnen ein doppelt gefälliges Ansehen. Weniger sorglich gekleidet sind die Spieler auf dem Rasen; der Kilt ist abgelegt und die prosaische Hose an seine Stelle getreten; eine Leinwandjacke ersetzt den Rock, und nur der rot und weiß karierte Mützenstreifen gibt die Spielenden als Soldaten eines Hochlandsregiments zu erkennen. Wir treten näher, um dem Spiele zuzusehen, das uns durch seine Neuheit überrascht und von dem wir hören, daß es zu den nationalen Spielen des Landes gehört. Es ist ein Spiel, das zwischen dem Diskuswerfen des alten und dem Bocciaspiel des neuen Roms die Mitte hält, richtiger sich aus beiden zusammensetzt. Statt der Scheiben des einen und der Kugel des andern Spiels nimmt man schwere Eisenringe, die etwas größer und schwerer sind als gewöhnliche Hufeisen und deren Zahl von der Zahl der Mitspielenden abhängt. Ein guter Spieler eröffnet den Reigen, tritt an eine bestimmte Stelle und wirft den schweren Eisenring so weit er kann feldeinwärts. Nun folgen die andern, wobei jeder dem zuerst geworfenen Ringe so nah wie möglich zu kommen sucht. Würde es sich bloß um das Treffen des Ringes handeln, so hätten wir das Bocciaspiel in wenig veränderter Form, da aber der erste Ring mit Aufwand von Kraft auf eine weite Distanz hinausgeschleudert wird, so wird aus dem Geschicklichkeitsspiel zu gleicher Zeit ein Kraftspiel, in dem nur der siegt, der über beides verfügt. Das Spiel fesselte uns so, daß wir, selbst angesichts von Stirling-Castle, ruhig am Rande des Rasenplatzes stehen blieben, Partei ergriffen für diesen und den und mit ungeschwächter Freude zusahen, wenn Mal auf Mal das blank geputzte Eisen durch die Luft flog und wie ein sich drehender Spiegel nach allen Seiten hin die Sonnenstrahlen ausstreute. Das Spiel fesselte uns, aber noch mehr erfreute uns die Stattlichkeit und die Heiterkeit der Leute, die hier ungezwungen, ohne Dressur und Überwachung, die Spiele ihres Landes spielten.
Wir sind sehr irre, wenn wir uns das englische Heerwesen als einen Mechanismus vorstellen, der den letzten Rest von Freiheit und Selbständigkeit aus den Individuen streicht. Das ist durchaus nicht der Fall. Auch der englische Soldat bleibt immer noch ein Engländer, und man hütet sich wohl, ihm von seinem Selbstgefühl mehr zu nehmen, als nötig ist. Armeen, die reich sind an verheirateten Leuten, werden immer von selbst dahin geführt werden, das Individuum zu respektieren und in dem Manne das zu sehen, was er ist, einen Mann.
Wir traten nun durch das ziemlich unscheinbare Burgtor in Stirling-Castle hinein. Gleich zur Rechten war das Wachtlokal. Die Fenster standen offen, kein Posten vorm Gewehr schritt auf und ab, nur ein Sergeant vom berühmten 93sten Regiment (die Sutherlands) saß mit übereinandergeschlagenen Knien auf einem Bänkchen, das zwischen dem Wachthaus und den Gewehren stand, und blätterte in einem Buch. Als wir näher kamen, sah er auf. Es war ein so schöner Mann, daß wir, ohne uns Rechenschaft zu geben von dem, was wir taten, a tempo stehen blieben und mit nicht mißzuverstehenden Zeichen der Bewunderung zu ihm hinaufblickten. Er bemerkte es, stand auf, lächelte uns einen Gruß zu, der zu sagen schien: »Nur zu! Mir sind solche Huldigungen nichts Neues«, und sah uns dann seinerseits freundlich und mit Teilnahme an, bis wir weiter aufwärts hinter den verschiedenen Baulichkeiten des Schlosses verschwanden. Er hatte uns aller Wahrscheinlichkeit nach für Maler gehalten und seit lange daran gewöhnt, von Künstlern und Dilettanten erst bewundert und dann gemalt zu werden, hatte er uns andeuten wollen, daß er nötigenfalls bereits sei, die Pflichten seines Amts mit denen eines Modells in Einklang zu bringen.
Stirling-Castle, in derselben Weise wie der Londoner Tower oder Schloß Edinburg, besteht aus einem bunt zusammengewürfelten Häuserhaufen, der allen möglichen Jahrhunderten und Baustilen angehört und dem nichts gemeinsam ist als der Fels, darauf er steht, und die Wallmauer, die ihn umzieht. Palast, Kapelle und Parlamentsgebäude drängen sich hier auf engstem Raum zusammen, unterbrochen halb und halb verbunden durch Kasernen, Waffen- und Munitionshäuser, von denen einzelne fünfhundert und andere nicht fünfzig Jahre zählen. Eine der Kasernen ist so gestellt, daß sie das ganze Areal des Felsens in fast zwei gleiche Teile teilt, und einen langen überwölbten Gang passierend, der durch die ganze Tiefe dieses Hauses sich hinzieht, erreichen wir am entgegengesetzten Ende den weit vorgeschobensten Punkt des Wallrandes, der nach drei Seiten hin eine entzückende Aussicht gestattet. Nur nach hinten zu verschließt uns der Kasernenbau, den wir soeben passiert haben, die Aussicht auf die Stadt. Das Bild, das sich von dieser Stelle aus vor dem Beschauer entrollt, ist ganz einzig in seiner Art und übertrifft an eigentümlichem Zauber jenes Panorama noch, das uns ein Blick von Edinburg-Castle gewährt.
Worin dies Plus an Reiz und Schönheit zu suchen, ist schwer zu sagen. Aber eine Vermutung sei wenigstens gestattet. Das schöne Bild, das sich einem vom Edinburger Schlosse aus bietet, zersplittert unsere Empfindung, statt sie auf einen Punkt, nach einer Richtung hin zu konzentrieren. Das Gefühl, um dessen Erweckung es sich beim Besuche solcher und ähnlicher Plätze handelt, ist das romantische, und selbst der größte Philister, der in Holyrood oder Edinburg-Castle eintritt, bringt ein gewisses Maß von gutem Willen mit, sich auf fünf Minuten poetisch anregen, romantisch stimmen zu lassen. Er wird seinen Zweck erreichen, seinen kleinen Hausbedarf befriedigen und sich um die größere oder geringere Intensität dessen, was auf ihn wirkt, nicht lange sorgen und kümmern. Ein feinerer Sinn aber, der auf diesem Gebiet wie ein sensibler Elektrometer ein Plus oder Minus zu unterscheiden weiß, wird, wenn er auf der Halbmondbatterie von Edinburg-Castle Posto faßt, zu keinem ungeteilten Genusse kommen. Das Bild, da sich vor seinem Auge entrollt, an malerischer Schönheit dem Bilde, das Stirling-Castle bietet, vielleicht überlegen, wird ihm gleichzeitig eine Fülle von Dingen zeigen, die den romantischen Traum, wenn auch nicht roh und plump zerstören, aber doch immerhin unterbrechen. Sein Empfinden wird zu keiner Einheit kommen. Die Neustadt von Edinburg, die zu seinen Füßen liegt, die Säulen und Statuen, die zu ihm heraufblicken, die Omnibusse, die Princes-Street passieren, die Eisenbahnzüge, die landeinwärts, die Dampfboote, die stromaufwärts ziehen, alles das trägt einen fremd-modernen Klang in das alte Lied, und selbst die Altstadt, die sich oft mehr in allermodernsten Schmutz als in die Patina klassischer Traditionen kleidet, stimmt nicht völlig harmonisch in die alte Weise ein, die wir am liebsten in aller Reinheit und Simplizität vernehmen. Diesen Klang gewährt uns Stirling-Castle, zum wenigsten an jener Stelle seines Wallrands, über die wir uns jetzt hinauslehnen und in die untergehende Sonne blicken, die wie ein feuriger, aber strahlenloser Ball über den Bergen des Hochlands hängt. Vor uns, in Schläge aller Formen und Größen geteilt, dehnen sich bis zum Gebirge hin die Fruchtfelder der schönen Grafschaft Menteith; nichts unterbricht die stille romantische Sprache des Platzes, auf dem wir stehen, wohl aber ist es, als antworte ein Echo aus all den Feldern und Bergen her, die dies jetzt wie verzaubert daliegende Schloß in weiten Kreisen umziehen.
Unmittelbar zu unserer Linken und Rechten steigen zwei kleinere Felsen neben dem eigentlichen Schloßfelsen auf, der eine der Ladies-Rock (rock = Felsen), der andere der Mole-Hill geheißen. Wie zwei Löwenjunge sitzen sie neben dem Alten, der ernst in die Ferne sieht. Auf dem Ladies-Rock saßen einst die Damen des schottischen Hofes wie auf der Höhe eines Amphitheaters und sahen den Turnieren und Ritterspielen zu, die am Fuß des Hügels aufgeführt wurden; der rechts gelegene Mole-Hill aber sah oft die düstere Kehrseite jener heiteren Bilder. Mancher siegte nur beim Turnier und empfing vom Ladiesfelsen her den Kranz seiner Dame, um früher oder später als ein Opfer rach- und eifersüchtiger Majestät auf dem Mole-Hill zu sterben. Der Mole-Hill war der Hinrichtungsplatz.
Und wie oft entschieden sich die Geschicke des Landes auf diesen Feldern, die Stirling-Castle in kaum meilenweitem Kreise umziehen; vierzehn Schlachtfelder sind es, die man, den Wallrand umschreitend, wie einen dichtgeflochtenen Kranz um Stirling gelagert sieht. Nach Norden hin die Stirlinger Brücke und Sheriffmuir, nach Südosten hin Falkirk und Sauchieburn, vor allem aber im Süden jenes Feld von Bannockburn, das noch jetzt in Liedern klingt und jeden einzelnen mit stolzer Freude füllt.
Es bedurfte eines Entschlusses, sich von dem Wallrand loszureißen, der wie ein Zaubergürtel dieses Schloß umzog. Noch ein Blick über die Felder fort bis ins Hochland hinein, dann kehrten wir auf den Schloßhof zurück, um den Anblick der Sehenswürdigkeiten nicht zu versäumen, die Stirling-Castle selber bietet.
Diese Sehenswürdigkeiten bestehen aus dem alten Palaste (einem ehemaligen Lieblingssitze der schottischen Könige), aus der Kapelle, die jetzt als Rüst- und Waffenkammer dient, und aus dem sogenannten »Douglaszimmer«. Das letztere befindet sich in der Nordwestecke des Schlosses und führt seinen Namen in Erinnerung an William Douglas, der hier von König Jakob II. ermordet wurde. Lord William Douglas, dessen Haus ebendamals auf der Höhe seines Ruhmes stand, hatte mit den Lords Roß und Crawford eine Art Schutz- und Trutzbündnis geschlossen, dessen letzter Endzweck sich gegen den König richtete und mindestens die Macht und das Ansehen der Krone erschüttern sollte. König Jakob berief seinen übermütigen Vasallen nach Schloß Stirling, versprach ihm Sicherheit und frei Geleit und suchte ihn, als er wirklich erschien, von dem geschlossenen Bündnis abzuziehen.
Als Douglas unerbittlich blieb, zog der König endlich den Dolch und stieß den Lord mit den Worten nieder: »Wenn nichts helfen will, so helfe dies.« Das Zimmer, in dem dieser Mord (der damals ein ganz ungewöhnliches Aufsehen gemacht zu haben scheint) begangen wurde, zeigt nichts mehr, was an so blutige Vorgänge erinnern könnte. Der Einrichtung, besonders allerhand Schnitzwerk und die Holzbekleidung an Wand und Decke, hat zwar die mittelalterlichen Formen beibehalten, aber alles sah so blink und blank aus, daß man auf den ersten Blick die Nachbildung erkennen konnte. Auch wird sie nicht geleugnet. Ungefähr da, wo Douglas den ersten Dolchstich empfing, stand jetzt ein kleiner Mahagonischreibtisch, an dem ein Bau- und Rechnungsführer seine Quittungen schrieb. Bis vor etwa sechzig Jahren war man in Zweifel darüber, ob das sogenannte Douglaszimmer denn auch wirklich Anspruch auf seinen Namen habe. Einige Geschichtskundige hatten sich nämlich immer geneigt gezeigt, den Schauplatz des Mordes an eine ganze andere Stelle des Kastells zu verlegen. Seit 1794 aber ist der Streit zugunsten der alten Tradition geschlichtet. Als in jenem Jahre der Garten umgegraben wurde, der sich noch jetzt an den Fenstern des Douglasroom entlang zieht, fand man acht Schritt von der Mauer entfernt ein Skelett, mit dessen Hilfe die Akten über diesen Gegenstand geschlossen wurden. Es heißt nämlich in alten schottischen Geschichtsbüchern ganz ausdrücklich, daß der Leichnam des Ermordeten aus dem Fenster geworfen und in einiger Entfernung von demselben von den Dienern des Königs verscharrt wurde. Es muß auffallen, daß in einer Zeit, in der die Dolche von jedermann so lose in der Scheide steckten, gerade dieser Mord ein so nachhaltiges Aufsehen hervorgerufen hat. Es scheint aber, daß man, ganz abgesehen von der Macht des Mannes, der diesem herkömmlichen Zorn zum Opfer fiel, sich selbst in jenen Zeiten von der Hand der Majestät anderer Dinge versah, zumal bei einer Begegnung, der die Zusicherung freien Geleits vorausgegangen war.
Die Welt verlor übrigens an diesem Douglas nicht viel, was folgender Vorfall bezeugen mag. Einige Jahre vor diesem seinem blutigen Ende hatte Lord Douglas einen gewissen Maclallan von Galloway gefangen genommen und ihn rechtswidrig eingekerkert. Jakob II., infolge davon, sandte Sir Patrick Gray, einen Onkel Maclallans, an Lord Douglas ab und gab ihm ein Handschreiben mit, worin die Freilassung Maclallans gefordert wurde. Douglas empfing den Sir Patrick mit übertriebener Ehrfurcht, bat die Verhandlung bis nach der Mahlzeit aufzuschieben und führte seinen Gast zu Tisch. Nach aufgehobener Tafel überreichte Sir Patrick seinen Brief. Lord Douglas überflog den Inhalt, den er längst kannte, und sagte dann: »Wie schade, Sir Patrick, ihr kommt einen Augenblick zu spät.« Mit diesen Worten führte er seinen Gast an eins der Fenster und auf den Hof hinunterzeigend, wo Maclallan bereits enthauptet lag, fügte er hinzu: »Nehmt Euren Neffen mit heim, Sir Patrick, es tut mir leid, daß ihm der Kopf fehlt.« Sir Patrick antwortete: »Wo der Kopf ist, mag auch sein Rumpf bleiben; aber gedenken sollt Ihr dieser Stunde.« So kam es auch. Sir Patrick, der im Nebenzimmer war, als König Jakob und der verwundete Lord Douglas miteinander rangen, sprang hinzu und half dem Lord zu einem raschen Ende.
An der Südseite des Kastells, also dem Douglaszimmer gegenüber, befindet sich der ehemalige Palast, ein reich verzierter alter Bau aus der Zeit Jakobs V. Vom Ladiesfelsen oder besser, hügelabwärts, vom Tal von Menteith aus gesehen, gewährte der alte Königsbau um seiner hohen Fenster und reichen, massigen Ornamentik willen einen prächtigen Anblick, tritt man aber kritisch nah an ihn heran, so halten seine in der Ferne gemachten Zusagen nicht Wort, und man erkennt zum Teil als baren Ungeschmack, was in die Ferne hin nicht ohne Wirkung war.
Der dritte Punkt von Interesse ist die ehemalige Royal Chapel, jetzt eine Waffenkammer. Mr. Wood, der Büchsenmacher, ein lebhafter, kleiner Mann, der die untern Zimmer des Hauses bewohnt, führt uns mit großer Bereitwilligkeit treppauf.
Er ist bescheidener als nötig wäre und versichert uns vorweg, daß es mit den Schätzen seines Zeughauses nicht viel auf sich habe. Wir sind gezwungen, ihm zu widersprechen, denn gleich das erste, was er uns zeigt, ist die ziemlich wohlerhaltene Kanzel dieser ehemaligen Kapelle, die zwar wie ein alter Schrank, dessen man sich schämt, in eine dunkle Ecke geschoben ist, aber sich sofort ihren Platz wieder erobert, sobald man vernimmt, daß John Knox auf ihr gepredigt und von ihr herabsteigend, vor Hof und Königin die Taufe des späteren Jakobs VI. vollzogen habe. Mr. Wood kann ersichtlich nicht recht begreifen, was uns an den wurmstichigen Holzkasten fesselt, und, wie es scheint, ein Freund der Ablenkungstheorie, holt er aus der nächsten Ecke eine Lochaber Axt herbei, die jetzt mit den Worten auf den Boden stößt: »There is something from Bannockburn.« Diese Lochaber Äxte, deren im ganzen 42 auf dem Felde von Bannockburn gefunden wurden, sind jetzt als Raritäten über alle Waffenkammern Europas verbreitet, Schottland selbst besitzt ihrer zwei, von denen die eine jetzt vor uns steht. Ich sah diese alte, berühmt gewordene Waffe hier zum erstenmal. Sie hat nichts von einer Axt, sondern entspricht genau den gradlinigen polnischen Sensen, von denen sie sich nur durch einen Haken unterscheidet, der in halber Höhe des Senserückens aus demselben hervorwächst. Es muß überraschen, daß es zweimal in der Geschichte, unter Verhältnissen, die sich innerlich ebenso verwandt waren, wie sie äußerlich sich fernstanden, dieser Sensenwaffe vorbehalten war, eine Art Sinnbild jenes Schreckens zu werden, den Mut und Vaterlandsliebe in die Reihen eines sonst siegreichen Feindes trugen.
Als Freund B. und ich ein paar Worte in diesem Sinne wechselten, horchte Mr. Wood auf und sagte dann lächelnd: »Ah, deutsch; hab' eine Frau von Deutschland, wird sich sehr freuen.« Mit diesen Worten lief er bis zur Treppe und rief hinunter: »Anne, please come upstairs, some gentlemen want to speak to you.« Antwort schallte zurück, und im nächsten Augenblick kam eine muntere Frau auf uns zu, blond, freundlich, gesprächig, aber freilich durchaus nicht angetan, den englischen Glauben zu widerlegen, daß die Einheit Deutschlands nur in einem Punkte vorhanden sei: in der Unschönheit seiner Bewohner. Sei dem, wie ihm sei, die liebenswürdige Freundlichkeit der Frau läßt uns nicht Zeit zu dem freilich gerechtfertigten Wunsche, daß deutscher Frauenreiz jenseits des Tweed etwas glänzender repräsentiert sein möchte, und nachdem wir die Lochaber Axt wieder in die Ecke gestellt und an anderer Stelle den Fahnenstock des 42sten Regiments (die Seide wurde bei Waterloo bis auf den letzten Fetzen zerschossen) in aller Ehrlichkeit angestaunt haben, treten wir mit Mistreß Wood an das große Mittelfenster der ehemaligen Kapelle, wo wir, auf den schlanken Lafetten zweier indischen Kanonen Platz nehmend, nunmehr von Neuwied zu sprechen beginnen und zunächst der Frage begegnen, ob der Herzog von Nassau noch lebt. Wir geben die beruhigendste Auskunft und erhalten zum Dank die Antwort, daß Mr. Wood ein gutes Haus sei und sie glücklich mache, daß aber die Deutschen doch die besten wären, weil sie heiter seien und reden könnten. Wer weiß, wohin die Berührung so delikater Punkte noch geführt hätte, wenn nicht plötzlich eine Abteilung Hochländer mit Sang und Klang in den vor uns gelegenen Schloßhof eingerückt wäre und den sonderbarsten Zapfenstreich zum besten gegeben hätte, den ich all mein Lebtag gehört habe. Vorauf drei Dudelsackpfeifer, dann Pauke, Trommel und Pickelflöte, so marschierten sie auf, und während sich die Sutherlands und die MacGregors in ihren malerischen Kostümen um die Spielenden herum gruppierten, drückten wir, von plötzlicher Unruhe erfaßt, Mistreß Wood die Hand, versprachen Deutschland zu grüßen und eilten auf den Hof. Zu spät: die Musik schwieg. Als wir aber den Schloßhügel hinunterstiegen und nur dann und wann zurückblickten auf das Turm- und Mauerwerk und zumal auf den malerisch daliegenden Palast, in dessen Fenstern das Abendrot verglomm, klang uns vom Schloßhof her noch ein zweites Lied nach und begleitete uns bergab. Die letzten Paukenschläge verhallten erst, als wir in die Straße am Fuß des Berges einbogen, unter deren Lichtern die beiden Gaslaternen des Royal Hotels als Sterne erster Größe brannten.