Theodor Fontane
Jenseit des Tweed
Theodor Fontane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Floddenfield

Der Tag von Floddenfield ist in der schottischen Geschichte das düstere Gegenstück zu dem Glanztage von Bannockburn. Bannockburn ist auch bei uns ein gekannter und oft genannter Name geworden, von Floddenfield spricht niemand. Und doch sind die Momente, die dieser Unglücksschlacht teils vorausgingen, teils sie begleiteten, derart, daß sie an Interesse hinter dem Ruhmestage der schottischen Geschichte nicht zurückbleiben. Ich will versuchen, diese Momente hier in möglichster Kürze zusammenzustellen; vielleicht, daß sie den einen oder andern meiner Leser zu einer mehr künstlerischen Gestaltung anregen. W. Scott hat allerdings bereits in seinem schönen Gedichte »Marmion« diese Vorgänge wo nicht zum alleinigen Gegenstand, so doch zum Kern einer trefflichen epischen Dichtung gemacht. Die Vorgänge eignen sich aber meines Erachtens mehr zu dramatischer als epischer Behandlung.

Es wird nötig sein, bei der Schilderung, die ich vorhabe, bis zur Thronbesteigung Jakobs IV. zurückzugehen, jenes ritterlichen und trotz aller Fehler viel beklagten und viel gefeierten Königs, dessen Leben und Tod den Mittelpunkt dieses Kapitels bilden.

Der Tag von Sauchieburn (18. Juni 1488) hatte Jakob III., dem sogenannten Fiedler-König, Thron und Leben gekostet; sein eigener Sohn, damals erst 15 Jahre alt, hatte auf Seiten des aufrührerischen Adels gegen den Vater gefochten und war ihm als Jakob IV. gefolgt. Diese Schlacht und die Szenen, die sie begleiteten, sind nicht ohne rührende Züge. So wird erzählt, daß der König ganz gegen seine Gewohnheit tapfer gekämpft habe; erst als er des Banners seines Sohnes in den Reihen der Aufständischen ansichtig geworden sei, habe er allen weitern Widerstand aufgegeben und sei geflohen. Auf der Flucht, so wird weiter berichtet, scheute sein Pferd vor einer alten Frau, die mit einem Wassereimer auf dem Kopf an ihm vorüberging. Der König wurde abgeworfen und erschlagen, niemand weiß von wem. Jakob IV. begab sich vom Schlachtfelde aus nach Linlithgow und bald darauf nach Stirling. Als er in die Kapelle trat, fand er daselbst die Mönche zu einem Trauergottesdienst versammelt und hörte die Litaneien, worin sie den Tod des Königs beklagten. Jakob IV. war tief ergriffen und unterzog sich peinlicher Buße, wozu, wie man erzählt, noch folgender Vorfall beigetragen haben soll: Wenige Tage nach der Schlacht erschien Sir Andrew Wood vor seinem jungen König, der, was nötig ist hierbei zu bemerken, in so völliger Entfremdung von seinem Vater groß gezogen war, daß er kein deutliches Bild desselben in seiner Seele trug. Jakob IV., der noch immer an die Möglichkeit dachte, daß sein Vater nicht erschlagen sei, trat jetzt rasch an Sir Andrew Wood heran und begrüßte ihn, durch eine gewisse Ähnlichkeit der Züge getäuscht, halb freudig, halb beschämt mit den Worten: »Du bist mein Vater!«, worauf der Alte unter Tränen erwiderte: »Nicht Euer Vater, Herr aber Eures Vaters treuster Diener!« Diese Vorgänge übten einen tiefen Einfluß auf das Gemüt des Königs, und bald nach seiner Thronbesteigung legte er, zum Zeichen seiner Buße, einen breiten Eisengürtel an, dessen Gewicht er von Jahr zu Jahr vermehrte. Aber das Bewußtsein seiner Schuld begleitete ihn durchs Leben und zeigte sich in plötzlichen Trübsinnsanfällen, die ihn oft mitten in der Freude oder bei lustigen Gelagen heimzusuchen pflegten.

Des jungen Königs Herrschaft war unrechtmäßig erworben, aber unleugbare Herrschergaben, Kraft, Mut, Zuversicht, ließen bald vergessen, wie und wodurch sie gewonnen war. Die Macht der Krone und mit ihr das Ansehen des Gesetzes wuchs rasch im Lande auf Kosten eines übermächtigen Adels, besonders seit der Vermählung mit Margarete von England, die, in allen Kämpfen wenigstens, in denen es sich um Befestigung des königlichen Ansehens handelte, ihrem jungen Gemahl den Beistand und die Mitwirkung des englischen Hofes als wertvollsten Brautschatz zugeführt hatte. Dennoch blieb es auch dieser Heirat versagt, ein dauerndes gutes Einvernehmen zwischen den beiden Höfen zustande zu bringen. Die auf Feindschaft gestellten Traditionen beider Länder, das schlaue Intrigenspiel Frankreichs, vor allem aber die Ruhmsucht und Eitelkeit des jungen Königs selbst führten verhältnismäßig rasch zu jener Katastrophe, die mit der völligen Niederlage des Landes und dem Tode des Königs endete. Diese Niederlage ist der Tag von Flodden.

Es wird nötig sein, mit wenigen Strichen die damalige Situation zu zeichnen. Es war die Zeit der »heiligen Ligue«. Spanien, Deutschland, England rüsteten sich in den letzten Regierungsjahren Ludwigs XII. zur Bekämpfung Frankreichs, das zu allem übrigen auch unter dem Bannfluch des Papstes stand. Ludwigs Anstrengungen waren natürlich dahin gerichtet, auch seinerseits Bundesgenossen ins Feld zu stellen und namentlich England durch ein schnell anzuschürendes Zerwürfnis mit Schottland von dem kontinentalen Kriegsschauplatz fernzuhalten. Seine Bemühungen fanden bei König Jakob raschen Eingang, der teils nach landesüblicher Vorstellung in Frankreich seinen natürlichen Bundesgenossen sah, teils lüstern war nach Ruhm und Kriegeslorbeer. König Jakob war zum Kampf entschlossen und sehnte ihn herbei, aber hätte er auch die klarste Vorstellung von der Mißlichkeit und Gefahr dieses Kampfes gehabt, die Art und Weise, in der von Frankreich aus die Aufforderung zu Kampf und Beistand an ihn erging, würde über all seine Bedenken rasch den Sieg davon getragen haben. Ludwig XII. kannte genau den Punkt, der bei seinem königlichen Vetter berührt werden mußte, und von dem Augenblick an, wo Anna von Bretagne, die schöne Gemahlin Ludwigs, einen Brief an König Jakob geschrieben und unter Übersendung eines Türkisringes ihn beschworen hatte, ihr Ritter zu sein, war Schottland fester und zuverlässiger an das Interesse Frankreichs gekettet, als wenn die Wohlfahrt des Landes ein solches Bündnis vorgeschrieben hätte. Noch einmal, König Jakob war zum Kampf entschlossen, er träumte von einem neuen Tage in Bannockburn und schien vergessen zu wollen, daß es sich damals, zu König Roberts Tagen, um die Verteidigung und die Freiheit des Vaterlandes, nicht aber um einen Eroberungszug, einen Krieg nach außen, gehandelt hatte. Was aber der König übersah oder wenigstens nicht sehen wollte, wurde um so klarer von seinen Räten und den hervorragendsten Personen seiner Umgebung gesehen. Der alte Graf Angus, mit dem Zunamen »Bell-the-Cat« (s. S. 70) beschwor den König, seinen Frieden mit England zu machen; niemand aber war eindringlicher und beredter als die Königin selbst, die, als Schwester Heinrichs VIII., mit ihrem Herzen zwischen den streitenden Parteien stand. Inwieweit Queen Margaret um jene Geistererscheinungen gewußt hat, die dem Zuge des Königs unmittelbar vorausgingen und das ganze Land in Staunen und Schrecken versetzten, ist nie aufgeklärt worden. Welcher Art diese Erscheinungen waren, werde ich jetzt zu erzählen haben.

Der König hatte bereits seine Barone nach Boroughmoor, einem weiten Blachfeld bei Edinburg, berufen und begab sich, während das Heer sich sammelte, auf kurze Zeit nach Linlithgow, um im dortigen Palast die letzten Tage vor dem Zuge gegen England zuzubringen. Die Bitten der Königin wiederholten sich hier, aber erfolglos, wie früher. Am Tage vor seinem Aufbruch trat der König, von den Lords seines Hofhalts begleitet, in die nahe am Palaste gelegene Kirche, um in einer der Seitenkapellen sein Gebet zu sprechen und den Beistand Gottes für seinen Kriegszug anzurufen. Es war um die Zeit des Abendgottesdienstes, und der Vespergesang im Schiff der Kirche schwieg eben, als eine wunderlich gekleidete Gestalt in dieselbe Kapelle trat, in der der König betete, und sich durch den Kreis der Lords und Hofbeamten hindurchdrängte.

Der Eintretende war unnatürlich groß, wohl sieben Fuß, dabei barhaupt und ganz in weiße Gewänder gekleidet. Langes rötliches Haar fiel ihm schlicht auf Nacken und Schulter herab, in der Rechten hielt er einen schweren Eichenstab, an den Füßen aber trug er dicksohlige Schuhe, wie jemand, der viel über Berge steigt. So haben ihn Sir David Lindsay und Sir John Inglis beschrieben, die neben dem König standen und zwischen die der seltsame Gast sich ohne Gruß oder Frage hineindrängte. Der König sah starr zu ihm auf, als der Pilger (denn das schien er seinen Aufzuge nach sein zu wollen) jetzt zu sprechen begann: »Mich sendet meine Mutter; steh ab, König, von dem, was du vorhast; nichts Gutes wartet deiner, noch derer, die dich begleiten. Meide die Weiber und hüte dich vor ihrem Rat; wo nicht, bist du der Schande verfallen!« Er sprach diese Worte laut und eindringlich; als Sir David Lindsay sich ermannte und nach der Gestalt greifen wollte, die fast Arm an Arm mit ihm gestanden hatte, war sie wie ein Schemen verschwunden.

Es verlautet nichts darüber, wie der Eindruck war, den diese Erscheinung auf den König machte, und ob er mehr in ihr sah als die Erfindung einer von Eifersucht geplagten Königin. Gleichviel, die Dinge waren zu weit gediehen, um über Nacht geändert werden zu können, und am nächsten Morgen schon begab sich Jakob nach Boroughmoor, um daselbst über die inzwischen eingetroffenen Barone Musterung abzuhalten und seinen Zug gegen England anzutreten. Aber die Geisterwelt, einmal erschlossen, schien nicht ohne einen zweiten Versuch den Platz räumen und ihr Spiel verloren geben zu wollen.

Die Musterung über das Heer, wohl 50000 Mann stark, war abgenommen, und der Marsch gegen Süden auf den nächsten Morgen festgesetzt. Die Truppen lagerten draußen auf dem Blachfeld, aber viele von den Lords und Clanführern waren in die Stadt gekommen, um die letzten Stunden vor dem Aufbruch beim Weine zu verplaudern. Mitternacht war bereits vorüber, und noch immer stand man plaudernd an den Ecken oder zog singend durch die Straßen. Endlich schwieg der Lärm, auch die letzten Nachzügler schienen die Stadt verlassen zu haben, und nur einzelne Bürger von Edinburg, die sich bei ihren Freunden verspätet hatten, stiegen noch, von Canongate kommend, die dunkle High-Street hinauf. Es waren ihrer drei, unter ihnen Sir Richard Lawson. Als sie in die Nähe der St.-Giles-Kirche gekommen waren und auf dem Platze standen, wo sich das Wahrzeichen der Stadt, das alte City-Kreuz, auf seinem hohen, achteckigen Postamente erhob, hörten sie von der Brüstung her folgende Worte in die Nacht hineinrufen:

Vernimm, König Jakob: zieh aus, zieh ein!
In vierzig Tagen bist du mein.
Ob Schwert dich trifft, ob Rosses Huf,
Du mußt gehorchen meinem Ruf.
Du bist gestrauchelt, ich hab' dich gewiß,
Das Licht muß enden in Finsternis.

Die Bürger waren stehen geblieben; einige andere, die von der entgegengesetzten Seite des Platzes gekommen waren und dieselben Worte in aller Deutlichkeit gehört hatten, hatten sich zu ihnen gesellt. Man sprach laut hin und her, was zu tun und was zu lassen sei, konnte sich aber nicht einigen. Nichtsdestoweniger lief die Nachricht von dieser abermaligen Erscheinung wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und als der König am andern Morgen den Palast von Holyrood verließ, um ins Lager zu reiten und sich an die Spitze des seiner harrenden Heeres zu stellen, lag eine Wolke auf seiner Stirn, die nur allzudeutlich sagte, daß ihm der gespenstische Vorgang dieser Nacht kein Geheimnis geblieben war.

Angesichts des glänzenden Heeres indes, glänzender als irgendein anderes, das jemals Schottlands Grenze überschritt, mochte mit gutem Grund der Trübsinn weichen, der auf Augenblicke sein leicht bewegliches Gemüt beschlichen hatte, und lachend wie die Augustsonne, die auf die hundert Rüstungen seiner Heerführer fiel, begrüßte er jetzt die Seinen und gab den Befehl zum Aufbruch. Man hielt sich zunächst in westlicher Richtung. Als der lange, blinkende Zug über die Hügel zog, die in mäßiger Entfernung das schöne fruchtbare Tal von Linlithgow umschließen, stand Königin Margarete auf dem höchsten Turm des Palastes und sah dem blinkenden Zuge nach, von dem sie in ihrem Herzen wußte, daß er zum Tode und nicht zum Siege zog.

In kurzen Tagemärschen bewegte sich das Heer der Grenze zu und überschritt den Tweed. In den ersten Tagen des September nahm es seine Aufstellung auf den nach zwei Seiten hin steil abfallenden Hügeln von Flodden, an deren Südrand sich der Till-Fluß in ziemlicher Breite vorbeizog und die schon gut gewählte Stellung noch fester und schwerer zugänglich machte. Der König, der erfahren hatte, daß das englische Heer in raschen Märschen unter Führung des Grafen von Surrey heranziehe, glaubte bei der Sicherheit der gewählten Stellung das Spiel völlig in Händen zu haben und gab sich sorglos den Zerstreuungen des Augenblicks hin. Ganze Nächte verbrachte er außerhalb des Lagers, und man erzählt sich, daß Lady Heron, eine schöne, den Engländern ergebene Frau, ihn durch allerhand Verführungskünste auf ihrem Schlosse festgehalten und seine chevalereske Überspanntheit, allerhand Liebes- und Ritterdienste von ihm heischend, zu seinem Verderben benutzt habe. Von anderer Seite wird dies Verhältnis geleugnet; gleichviel, als er am Vormittag des 8. ins Lager zurückkehrte, mußte er gewahr werden, daß Graf Surrey inzwischen das unausführbar Gedachte ausgeführt und seine Stellung im Rücken des schottischen Heeres eingenommen hatte. Stromaufwärts hatte man eine Furt entdeckt und unter dem Schutz der Nacht den Till-Fluß überschritten.

Unter den älteren Heerführern gab sich angesichts dieses Flankenmarsches der Engländer eine gewisse Unruhe kund; die Ruhe aber, mit der der eben im Lager eintreffende König die Nachricht von der stattgehabten Überflügelung aufnahm, zeigte deutlich, daß er die vorteilhafte Stellung auf den Hügeln entweder aus bloßem Zufall oder in der Absicht gewählt hatte, um gegen Überfall und Überraschung, die seiner Natur zuwider waren, möglichst gesichert zu sein. Jetzt, wo er das englische Heer offen und kampfbereit vor sich sah, gab er aus freien Stücken und mit voller Freudigkeit den Befehl, die Hügel hinabzusteigen und sich auf der Ebene von Flodden den Engländern gegenüber aufzustellen, um so mehr, als sein eigenes Heer der Zahl nach das stärkere war.

Zu anderer Zeit und unter einem anderen Fürsten würde die Mehrheit der schottischen Barone einer solchen Aufforderung, deren Widersinnigkeit ins Auge sprang, schwerlich nachgekommen sein; die Liebe und das Ansehn aber, das der König um seiner ritterlichen Tapferkeit willen bei hoch und niedrig genoß, war so groß, daß man mit einer Art Enthusiasmus gehorchte. Der Sporn nationaler Eitelkeit kam hinzu, und Kampflust und Zuversicht schufen zuletzt einen Taumel, dem nur wenige nüchtern genug waren, zu widerstehen. Einzelne Historiker haben die Beweggründe, die den König dazu trieben, eine sichere Position mit einer mindestens weniger sicheren zu vertauschen, in nichts weniger als einer überspannten Vorstellung von Ritterlichkeit finden wollen und sind der Ansicht gewesen, daß der geschickte Flankenmarsch der Engländer, der ihn in der Tat von aller Kommunikation mit Schottland abzuschneiden drohte, jeden anderen Ausweg unmöglich gemacht habe. Dem ganzen Charakter des Königs aber entspricht durchaus die Versicherung Pitscotties, der in seinem Geschichtswerke eigens hervorhebt, daß der König sich am Tage vor der Schlacht verschworen habe, nicht Wind nicht Wetter vor seinem Gegner voraus haben zu wollen, auch nicht auf die Gefahr hin, in diesem Kampfe unterzugehen.

Am Abend des 8. September standen sich beide Heere in Schlachtordnung gegenüber, auf den Hügeln von Flodden brannten noch einzelne Hütten, die man im Momente des Abmarsches in Brand gesteckt hatte. So kam die Nacht. Der König hatte sein Lager auf platter Erde genommen; im Halbkreis um ihn her lagerten die Grafen Home und Huntly, Lord Lennox, Lord Crawford, die Grafen Bothwell und Montrose und einige andere noch. Plaids von allen Farben deckten den Boden oder hüllten den einen oder anderen der Schläfer ein. Der König hielt sich wach und sah nach den Lagerfeuern der Engländer hinüber. Es mochte Mitternacht sein, als der alte Bell-the-Cat, das Haupt der Douglas, der so oft seine Warnerstimme erhoben hatte, in diesen Kreis halb wacher, halb schlafender Edelleute trat, und vor dem Könige sich niederlassend, ihn noch einmal beschwor, das Schicksal seines Landes nicht an den Ausgang des nächsten Tages zu knüpfen. Schottland habe nur dies eine Heer, es werde stark und unüberwindlich sein, wenn es die Verteidigung des eignen Landes gelte; aber dieser Angriffskrieg, der den Stolz und die Entrüstung eines stärkern Gegners wach gerufen habe, müsse und werde zum Verderben führen; selbst ein Sieg würde nur der erste Schritt zu einer um so größern Niederlage sein. »Laßt uns zurück«, so schloß er, »die Englischen sind ermüdet vom Marsch, sie werden unsern Abzug nicht stören, und ehe die Sonne herauf ist, haben wir den Tweed im Rücken und wieder schottisch Land unter den Füßen. Da laß uns ihrer warten.« Der König erwiderte spöttisch: »Geh heim, Douglas, wenn du dich fürchtest!« und wandte sich ab, zum Zeichen, daß er dieser Ermahnungen überdrüssig sei. Bell-the-Cat erhob sich und rief dem König zu: »Du bist undankbar, Jakob, wie ihr's alle gewesen seid; ich mag keinem König dienen, der nur Furcht hört, wo Liebe spricht.«

Während dieses Gesprächs waren die Lords aufgesprungen und hatten sich um den König gestellt. Eine peinliche Stille trat ein, als Angus vor ihnen vorbei ins Freie schritt und ohne Gruß oder Abschied den Platz verließ. Auch der König schien betroffen. Aber die Verstimmung sollte nicht lange währen, denn kaum, daß Bell-the-Cat den Kreis verlassen und seine Richtung nach dem rechten Flügel hin, wo die Douglas standen, eingeschlagen hatte, so trat eine andere Gestalt in den Kreis ein, deren lachende Jugend und männlich schöne Erscheinung rasch den Eindruck verwischte, den die Worte Bell-the-Cats hervorgerufen hatte. Es war der Graf von Caithneß. Vor länger als Jahresfrist vom König wegen Friedensbruchs in die Acht erklärt, war der Geächtete gezwungen worden, in den unzugänglichen Bergen seiner Grafschaft Zuflucht zu suchen. Dort, an der nördlichsten Spitze Schottlands, wo er von der felsigen Küste aus die benachbarten Orkney-Inseln übersehen konnte, hatte er unter seinen Clansleuten gelebt, in den Hütten jener Sinclairs, die damals wie heut bekannt waren durch ihre Armut und Tapferkeit. Nur dann und wann hatte er sich in Städte und belebtere Gegenden gewagt, bis Thurso und selbst bis Inverneß. Auf einem Markttage in Inverneß war es, wo er zuerst von dem Zuge hörte, den König Jakob gegen England vorhabe, und sei es, daß sein altes Vasallengefühl wieder lebendig in ihm wurde oder daß er in seinem Herzen sehr wohl wußte, wie der Zorn des Königs am ehesten und besten zu besänftigen sei, gleichviel, sein Plan war rasch gemacht, und 300 Sinclairs um sich sammelnd, zog er gegen Süden, um sich dem Heere des Königs anzuschließen. Als er auf dem Boroughmoor von Edinburg erschien, war der König schon ausgezogen, aber unbeirrt in seinem Vorhaben, folgte der Graf dem Heereszuge, erreichte Floddenfield in der Stunde der Entscheidung und trat jetzt an den König heran, in demselben Augenblick fast, wo Bell-the-Cat den König verlassen hatte. Er ließ sich auf ein Knie nieder und bat um Gnade. Der König, der zu keiner Zeit einem so ritterlichen Appell widerstanden haben würde, geriet unter dem Einfluß des Moments, wo jeder kleinste Vorfall, der die Worte Bell-the-Cats vergessen machen konnte, ihm doppelt willkommen sein mußte, in ein fast überschwengliches Gefühl des Dankes und der Freude. Er hob den Knienden auf, küßte ihn und belehnte ihn aufs neue nicht nur mit allem, was die Grafen von Caithneß jemals besessen, sondern fügte noch Schenkungen und allerhand Gerechtsame dem alten Besitzstand hinzu. Auf der Stelle sollte der Freibrief ausgestellt werden. Da kein anderes Pergament im Lager war, so wurde eine Trommel geholt und auf das Fell derselben die Schenkungsurkunde niedergeschrieben. Die Familie der Grafen von Caithneß besitzt diese Rolle bis diesen Tag, umwickelt mit allerhand Strängen und Schnüren, die man von derselben Trommel genommen hat.

Am Morgen des 9. September begann die Schlacht. Jegliche Art geschickten Manövrierens, jede Benutzung von Terrainvorteilen schien man für diesen Tag als unwürdige Fechterstückchen außer Spiel gelassen zu haben; es war, als ob beide Nationen übereingekommen seien, wie bei einem bloßen Faustkampfe feststellen zu wollen, wer den besten Schlag zu tun verstände. Die Schotten eröffneten den Kampf, und zwar auf ihrem linken Flügel. Hier standen die Borderer (Grenzer), die Männer von Annandale und Liddesdale. In beständigen Grenzkämpfen geschult und gestählt, galt von ihrem Mute dasselbe, was von ihren Speeren galt: beide waren um zwei Ellen länger als irgend sonstwo im Lande. In wildem Anlauf sich auf den rechten Flügel der Engländer stürzend, durchbrachen sie ihn fast so rasch und glänzend, wie ein Reiterhaufen ein Viereck durchbricht. Weit über das Ziel hinausschießend und die Flucht der Engländer verfolgend, kehrten sie endlich um, um nach der Räubersitte ihres Landes das Lager zu brandschatzen und die Toten zu plündern.

Während so am linken Flügel kostbare Minuten versäumt wurden, fielen am rechten die Würfel der Entscheidung. Auch hier hatten die Schotten, fast ausschließlich Hochländer vom Clan der Campbells und Gordons, angegriffen, aber mit schlechtem Erfolg. Ihnen gegenüber hielt englische Reiterei unter Befehl von Sir Edward Stanley und Fußvolk, dessen vorderste Reihe aus Bogenschützen von Lancashire bestand. Dies war eine ausgezeichnete Truppe, in Schottland ebenso gefürchtet wie in England berühmt, wo man doch seit den Tagen Robin Hoods gewöhnt war, die höchsten Anforderungen an diese Kunst zu stellen. Ein Hagel von Pfeilen zerstreute, im Nu fast, die ohnehin wild und ungeordnet angreifenden Hochländer, und die nachrückende englische Reiterei säuberte alsbald das Feld. Als Sir Edward sein Werk getan und keinen Feind mehr vor sich sah, sammelte er die Seinen und in schräger Linie über die schottische Schlachtreihe hinaus vordringend, faßte er jetzt das Zentrum des Feindes im Rücken.

Hier im Zentrum kämpfte man seit 5 Stunden Mann gegen Mann, nichts war gewonnen und nichts war verloren, kein Kommandowort wurde gegeben oder gehört, man schlug sich und stand im Blut. So stand der Kampf, als die vordersten Reihen Sir Edward Stanleys im Rücken des Feindes erschienen. Ohne ein Kommandowort abzuwarten, wechselten die zuhinterst stehenden Glieder der Schotten ruhig die Front und fochten weiter. Gedrängt von zwei Seiten, schien sich nichtsdestoweniger der Sieg auf die Seite der Schotten neigen zu wollen; Sir Edward Stanley zog sich in seine frühere Stellung zurück, und Graf Surrey, matt oder das Blutvergießens müde, ging auf eine kurze Strecke rückwärts, um zu mustern, was ihm geblieben sei. In diesem Moment scheinbaren Sieges, als der nach zwei Seiten hin abrückende Feind zum ersten Male Gelegenheit gab, von der Kampfesarbeit auszuruhn und statt auf die Feinde vor sich, auf die Freunde neben sich zu blicken, in diesem Moment scheinbaren Sieges erkannten die Schotten, daß sie geschlagen seien. Was sie während des Kampfes nicht gesehen hatten, das sehen sie jetzt. Die vielen Tausende, die auf dem siegreich verteidigten Streifen Land gestanden hatten, waren zu ebenso vielen Hunderten zusammengeschmolzen. Alle Führer waren erschlagen, Crawford tot, Montrose tot; man suchte nach dem König, aber man suchte vergebens. Als die Sonne des nächsten Tages auf die Wahlstatt fiel, fanden die Engländer das Feld von dem Feinde verlassen, den sie gestern vergeblich bekämpft hatten. Keine Verfolgung fand statt; Graf Surrey wußte, daß die führerlosen Trümmer ohnehin auseinanderfallen würden.

Wo der König fiel, wer ihn fand und wo man ihn fand, darüber ist niemals Zuverlässiges bekannt geworden. So kam es, daß sich auf lange Zeit hinaus beim Volk der Glaube lebendig erhielt, König Jakob sei nicht gefallen, er lebe noch und habe das Kreuz genommen, um die große Schuld seines Lebens, die Auflehnung gegen seinen Vater, am Heiligen Grabe abzubüßen.

Dieser Glaube fand Nahrung in dem Umstand, daß sich unter den Trophäen, die Graf Surrey nach London heimführte, jener Eisengürtel nicht vorfand, den der König, wie jeder Schotte wußte, seit 25 Jahren getragen und nie abgelegt hatte. Aber freilich andere Schätze führten die Sieger heim, die kaum minder deutlich sprachen und das entgegengesetzte Zeugnis ablegten. Des Königs Schwert und Dolchmesser waren gefunden worden, und vor allem jener verhängnisvolle Türkisenring, den ihm die Königin Anna als das Zeichen ihrer Huld und ihres Zutrauens gesandt hatte. Schwert und Dolch befinden sich bis diesen Augenblick im College of Heralds, d. h. in der Wappenkammer zu London.

Der Tag von Floddenfield war der eigentliche Sterbetag Schottlands; in den 90 Jahren, die noch zwischen diesem Tag und der Vereinigung beider Königreiche liegen, war das Land wenig mehr als eine eroberte Provinz, der man übereingekommen war, den Schein und den Glauben an ihre Selbständigkeit zu lassen. Seine Macht und sein Ansehn waren gebrochen, und von der Trauer, die das ganze Land erfüllte, gibt am besten das Lied Kunde, das den Titel: »The Flowers of the Forest« führt und nicht ohne Grund das Sterbelied Schottlands genannt worden ist. Es lautet wie folgt:

Ich hörte sie singen, wenn morgens sie gingen
Die Herde zu melken, die draußen steht;
Nun hör' ich ihr Wehe, wo immer ich gehe -
Die Blumen des Waldes sind abgemäht.

Vorüber das Necken an Wegen und Hecken,
Still eine neben der andern geht,
Sie können nicht scherzen mit Trauer im Herzen,
Und was sie sprechen, ist leises Gebet.

Kein Erntereigen; es schweigen die Geigen,
Kein Tänzer, der fröhlich im Tanze sich dreht.
Auf Märkten und Messen die Lust ist vergessen -
Die Blumen des Waldes sind abgemäht.

Kommt Dämmerstunde, nicht mehr in die Runde
Das Haschen und Pfänderspielen geht,
In stiller Kammer verbirgt sich ihr Jammer -
Die Blumen des Waldes sind abgemäht.

Dahin unsre Kränze! Wir zogen zur Grenze,
Wo Englands Banner im Winde geweht,
Unsre Blumen vom Walde, sie ruhn auf der Halde,
Die Blüte des Landes ist abgemäht.

Ich hörte sie singen, wenn morgens sie gingen,
Die Herde zu melken, die draußen steht;
Nun klingt ihre Klage von Tage zu Tage:
Die Blumen des Waldes sind abgemäht.


 << zurück weiter >>