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»Nun?« brach Chaney das Schweigen. Dieses kurze Wort riß meine fünf Sinne wieder zusammen.
»Haben Sie die beiden gesehen?« stieß ich hervor. »Haben Sie die Tür beobachtet?«
»Gesehen? Wen?« rief Chaney.
»Craye! Paley! Sie müssen hier herausgekommen sein!«
»Wir haben den Eingang beobachtet, seit wir hier sind, seit etwa zwei Stunden. Wir haben weder Craye noch Paley gesehen. Was ist mit ihnen los?«
Ich schnappte nach Luft – ich glaube, ich kam mir recht lächerlich vor. Und anstatt die Frage zu beantworten, stellte ich eine neue Frage.
»Wo ist Chippendale?«
Die drei Männer sahen sich um, als erwarteten sie, Chippendale werde plötzlich feste Form annehmen.
»Er lungerte hier herum und ging hier noch vor gar nicht langer Zeit auf und ab«, sagte Chaney. »Aber was soll er? Was ist da drin passiert?«
Halstead legte sich ins Mittel; denn er sah, daß ich ziemlich konfus war.
»Was da drin passiert ist?« sagte er. »Craye und Paley haben durch einen klugen Trick, den ich dummer Kerl nicht gleich durchschaut habe, Camberwell und mich in einen kleinen Privatbillardraum gelockt, uns dort eingeschlossen und den Schlüssel mitgenommen! Das ist ungefähr vor dreiviertel Stunden passiert. Natürlich verließen sie den Klub, sowie sie uns festgesetzt hatten.«
»Craye?« rief Chaney. »Was hat denn der damit zu tun? . . .«
Jetzt fand ich meine Sprache wieder.
»Keiner von Ihnen weiß es!« rief ich aus. »Aber Halstead hat es herausgefunden . . . Craye ist Crowther!«
Die beiden Detektive starrten einander verständnislos an. Und Chaney stieß einen lauten Fluch aus.
»Verdammt!« brach er los. »Warum haben wir daran nicht früher gedacht? Aber ist es sicher?«
Ich wies auf Halstead. »Fragen Sie ihn!« sagte ich.
»Er ist Frank Crowther, todsicher«, erklärte Halstead. »Sie erinnern sich, Chaney, daß ich Ihnen und Camberwell damals, als Sie mich in Milthwaite besuchten, sagte, daß Frank Crowther ein auffallendes Muster von Tätowierung an seinem Arm habe. Schön, ich habe Camberwell heute abend Gelegenheit gegeben, Craye im Schwimmbassin im Klub zu sehen, und er kann Ihnen sagen, daß . . .«
»Ja, darüber besteht gar kein Zweifel, daß Craye Crowther ist«, unterbrach ich ungeduldig. »Hauptsache ist – wohin sind er und Paley gegangen? Wir müssen handeln!«
Aber jetzt trat Doxford in Aktion.
»Ruhig, ruhig, immer mit der Ruhe, Mr. Camberwell!« sagte er: »Sie vergessen, daß das alles für mich und Windover spanische Dörfer sind. Wer ist Crowther? Was hat er mit der Sache zu tun? Oder wenn er Craye ist, was . . .« hier unterbrach er sich; »wir stecken ja alle noch wie in einem dicken Nebel. Weg mit den Geheimnissen! Klären Sie uns doch endlich auf.«
»Das geht nicht mit ein paar Worten!« rief ich aus. »Man müßte Bände schreiben! Aber – hören Sie mal zu: Die Frau, die in Little Custom Street ermordet wurde . . .«
»Da wurden zwei Frauen ermordet«, unterbrach Windover. »Von welcher sprechen Sie?«
»Von der ersten – der unbekannten Frau«, fuhr ich ungeduldig fort. »Von der Frau, die Hannington im ›Sentinel‹-Büro besucht hatte. Sie war in Wirklichkeit eine Mrs. Crowther, die Frau eines Mannes namens Frank Crowther, der sie in Milthwaite, in Yorkshire, vor einigen Jahren heiratete. Und Crowther ist Craye!«
»Lord Cheverdales rechte Hand?« rief Doxford aus.
»Nennen Sie ihn rechte und linke Hand, wenn Sie wollen«, sagte ich. »Er ist Crowther!«
»Und eben dabei, Cheverdales Tochter zu heiraten«, vollendete Doxford. »Glauben Sie wirklich . . .«
Halstead lachte spöttisch.
»Ich glaube nicht, daß es jetzt dazu kommen wird!« sagte er. »Los, Herrschaften, was soll jetzt geschehen? Ich bin kein Detektiv – ich bin ein einfacher Geschäftsmann aus Yorkshire, aber mir scheint, Sie müssen nun etwas tun. Craye und Paley sind auf und davon! Daß sie mich und Camberwell zusammen gesehen haben, hat wahrscheinlich ihren Verdacht erregt. Ich glaube, Crowther, alias Craye, hat mich wiedererkannt, obwohl er sich nichts merken ließ – sie haben uns hübsch hineingelegt.«
»Aber hören Sie«, fing Doxford wieder an, »was vermuten Sie denn?! Glauben Sie, daß diese beiden Männer etwas mit den Morden zu tun haben? Meinen Sie . . .«
Ich schlug beide Hände zusammen vor lauter Ungeduld. »Wir vermuten nur, was Tatsache ist«, rief ich aus. »Daß nämlich Crowther Hannigton ermordet hat und dann seine eigene Frau, dann Mrs. Goodge und den Hindu! Haben Sie es jetzt erfaßt?«
»Aber wieso? Warum«, fragte Doxford. »Warum?«
»Weil Mrs. Crowther wieder aufgetaucht ist und Craye als ihren Mann identifiziert hat, als Frank Crowther, und weil sie es Hannington, der ein alter Freund von ihr war, gesagt hat«, antwortete ich ungeduldig. »Verstehen Sie nicht, Mann? Craye wollte gerade Miß Chever heiraten, und Mrs. Crowthers Gegenwart . . . Großer Gott, es ist doch so klar wie nur etwas!«
»Ach so – ich verstehe!« sagte Doxford langsam. »Hm! Aber der andere Kerl, Paley? Was ist mit ihm? Was hat er damit zu tun?«
»Auch das ist klar!« antwortete ich. »Paley ist sicher sein Mitschuldiger. Auf jeden Fall weiß er etwas. Das erhellt deutlich daraus, daß er mit Craye oder Crowther heute abend gemeinsame Sache gemacht hat!«
»Also Mitschuldiger«, sagte Doxford noch immer nachdenklich. »Hm, das ist ja ebenso schlimm wie . . .«
»Ich habe meine eigene Meinung darüber«, unterbrach Halstead. »Meiner Meinung nach ist Craye in Paleys Händen! Ich glaube, Paley hat ihn erkannt!«
Doxfords Gesicht verriet noch keine Entschlußkraft.
Chaney schlug die Hände zusammen, als ob eine plötzliche Erleuchtung über ihn gekommen sei. »Jetzt verstehe ich!« rief er aus. »Sehen Sie, Doxford«, fuhr er fort. »Sie alle wissen nicht, was Camberwell und ich wissen. Sie sind einer ganz anderen Spur nachgegangen – Sie dachten, diese Morde seien politischer Natur. Camberwell und ich, wir suchten das Motiv in der Lebensgeschichte der unbekannten Frau, die zweifellos Mrs. Crowther war. Nun, Sie erinnern sich, daß Crowther – aber wir wollen ihn doch Craye nennen – in der Mordnacht mit Lord Cheverdale zu Abend gegessen hat und zu Fuß wegging. Jetzt, wo ich alles weiß, behaupte ich, daß er Hannington auf Cheverdales Grundstück getroffen hat. Hannington, der ein sehr heftiger und impulsiver Mann gewesen sein soll, hat sich immer dafür eingesetzt, wahres oder eingebildetes Unrecht wiedergutzumachen.. Da Mrs. Crowther ihm nun nachmittags erzählt hatte, daß Francis Craye – Lord Cheverdales rechte Hand und zukünftiger Schwiegersohn – in Wahrheit Crowther heißt und ihr rechtmäßiger Mann ist, hat Hannington Craye bestimmt zur Rede gestellt. Woraufhin Craye ihn schleunigst niederschlug und tötete. Hannington hatte ihm sicher törichterweise gesagt, wo Mrs. Crowther zu finden war, und Craye ging zu ihr und ermordete auch sie. Was halten Sie davon?«
»Mir scheint, Sie haben's erfaßt!« murmelte Doxford. »Aber Paley?«
»Warum verließ Paley sofort Cheverdale-Haus, nachdem die Leiche Hanningtons entdeckt worden war?« fuhr Chaney fort. »Aus irgendeinem Grund hatte er Craye in Verdacht. Daher ging er ihm nach. Camberwell und ich wissen auch, wohin: er fuhr nach Portland Place; dort verließ er sein Auto und ging die Riding House Street entlang. Er war eine kleine Weile weg – beachten Sie, bitte, daß er ganz in der Nähe von Little Custom Street war –, kam aber dann zum Auto zurück und ließ sich bis Whitehall Gardens fahren. Und Craye hat seine Wohnung in der Nähe von Whitehall Gardens. – Also suchte Paley dort Craye auf. Und ich behaupte, daß Paley von da an Graye in seiner Hand hatte. Was meinen Sie dazu?«
»Gut«, sagte Doxford, »ich glaube, das klärt die ganze Sache. Natürlich ist Paley nach allem mitschuldig. Aber . . .«
Halstead machte eine ungeduldige Bewegung. »Wollt ihr Burschen denn nicht irgend etwas tun?« fragte er. »Die beiden sind auf und davon! Aber Sie müssen sie kriegen, verstehen Sie? Was für einen Sinn hat es, schwatzend hier in Pall Mall herumzustehen? Tun Sie doch etwas!«
»Ja, aber was?« fragte Doxford. »Vielleicht etwa in Crayes Wohnung gehen und höflich anfragen, ob Mr. Craye zu Hause ist? Oder nach Cheverdale-Haus gehen und dort nach Mr. Paley fragen? Na, jedenfalls wollen wir etwas tun. Los! Gehen wir zum Revier!«
Wir quetschten uns in ein Auto und fuhren nach New Scotland Yard. Doxford, Windover und Chaney besprachen auf der Fahrt verschiedene fachliche Einzelheiten. Aber wir kamen nicht dazu, die Schwelle des Hauptquartiers zu überschreiten. Als unser Wagen hielt, traten zwei Beamte zu uns, und der eine belegte Doxford mit Beschlag.
»Hören Sie, Mr. Doxford«, rief er. »Soeben ist eine Meldung gekommen: ein Mann ist in einer Wohnung in Riding House Street erschossen aufgefunden worden. Wollen Sie hinfahren?«
Riding House Street? Wir fünf sahen einander schweigend an.