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XI

Dick und Nicole hatten die Angewohnheit, zusammen zum Frisör zu gehen und sich den Haarschnitt und die Haarwäsche in angrenzenden Räumen machen zu lassen. Von Dicks Seite her konnte Nicole das Klicken der Scheren, das Klimpern des Wechselgeldes und die »voilàs« und »pardons« hören. Am Tag nach seiner Rückkunft gingen sie hinunter, um sich in der von Ventilatoren bewegten, parfümierten Luft die Haare schneiden und waschen zu lassen.

Vor dem Carlton-Hotel, dessen Fenster dem Sommer genau so hartnäckig den Eintritt verwehrten wie so viele Kellertüren, fuhr ein Wagen an ihnen vorbei, in dem Tommy Barban saß. Was Nicole in der Geschwindigkeit von seinem Gesichtsausdruck erhaschen konnte – nämlich daß er verschlossen und nachdenklich, im Augenblick jedoch, als er sie sah, wachsam und sprungbereit war –, raubte ihr die Ruhe. Sie fühlte das Bedürfnis, dahin zu fahren, wohin er fuhr. Die Stunde beim Frisör erschien ihr wie eine der vergeudeten Zwischenzeiten, aus denen sich ihr Leben zusammensetzte – wie ein neues kleines Gefängnis. Die Frisöse in ihrem weißen Kittel, schwach nach Lippenstift und Eau de Cologne riechend, erinnerte sie an manche Pflegerinnen.

Im anschließenden Raum döste Dick unter einem Umhang und einer Schicht Seifenschaum vor sich hin. Im Spiegel konnte Nicole den Gang zwischen der Damen- und der Herrenabteilung überblicken und fuhr zusammen, als sie Tommy hereinkommen und scharf in den Herrensalon einschwenken sah. Mit einem plötzlichen Gefühl der Freude wußte sie, daß es jetzt eine Art Auseinandersetzung geben würde.

Sie hörte Bruchstücke von deren Anfang.

»Hallo, ich möchte euch sprechen.«

»... wichtig.«

»... wichtig?«

»... durchaus annehmbar.«

Gleich darauf kam Dick in Nicoles Kabine; ärgerlich sah er hinter dem Handtuch hervor, mit dem er sich das Gesicht hastig abgewischt hatte.

»Dein Freund befindet sich in einer tollen Verfassung. Er will uns zusammen sprechen. Ich habe eingewilligt, damit es überstanden ist. Komm mit.«

»Aber mein Haar – es ist erst halb geschnitten.«

»Tut nichts – komm mit!«

Verstimmt ließ sie sich von der erstaunten Frisöse die Handtücher wegnehmen.

Mit dem Gefühl, unsauber und schlecht frisiert zu sein, folgte sie Dick aus dem Hotel.

»Wir wollen ins Café des Alliés gehen«, sagte Dick.

»Hauptsache wir sind allein«, meinte Tommy.

Unter den Bäumen, deren Laub sich im Sommer zu einer Kuppel wölbte, fragte Dick: »Willst du etwas genießen, Nicole?«

»Ein Zitronenwasser.«

»Für mich ein Halbes«, sagte Tommy.

»Blackenwite und einen Siphon«, sagte Dick.

»Ii n'y a plus de Blackenwite. Nous n'avons que le Johnny Walkair.«

»Sie ist – nicht – eingestellt auf Lärm,
doch auf die leise Tour
versuch es nur –«

»Deine Frau liebt dich nicht«, sagte Tommy unvermittelt, »sie liebt mich.«

Die beiden Männer blickten sich an, mit einer eigentümlichen Hilflosigkeit im Ausdruck. Zwischen Männern in einer derartigen Situation können nur wenig Worte gewechselt werden, denn ihr Verhältnis zueinander ist ein indirektes und besteht darin, wieviel jeder von ihnen von der Frau, um die es sich handelt, besessen hat oder besitzen wird, so als liefen ihre Empfindungen durch die gespaltene Persönlichkeit der Frau hindurch wie durch eine gestörte Telefonleitung.

»Einen Moment«, sagte Dick. »Donnez-moi du gin et du siphon.«

»Sehr wohl, der Herr.«

»So, nun fahr fort, Tommy.«

»Es ist mir ganz klar, daß eure Ehe sich totgefahren hat. Nicole ist darüber weg. Ich habe fünf Jahre darauf gewartet.«

»Was meint Nicole dazu?«

Beide blickten sie an.

»Ich habe Tommy sehr liebgewonnen, Dick.«

Er nickte mit dem Kopf.

»Du machst dir nichts mehr aus mir«, fuhr sie fort. »Es ist nur noch Gewohnheit. Es ist nie wieder geworden, wie es war, seit Rosemarie.«

Tommy, den dieser Punkt nicht interessierte, unterbrach heftig:

»Du verstehst Nicole nicht. Du behandelst sie immer wie eine Patientin, weil sie einmal krank gewesen ist.«

Plötzlich wurden sie durch einen hartnäckigen Amerikaner von verdächtigem Aussehen unterbrochen, der Nummern des ›Herald‹ und der ›Times‹ frisch aus New York verkaufte.

»Hab alles dabei, Jungs«, verkündete er. »Seid ihr schon lange hier?«

»Cessez cela! Allez ouste!« schrie Tommy und dann, zu Dick gewandt: »Also keine Frau erträgt es, so –«

»Jungs«, unterbrach der Amerikaner wieder. »Ihr denkt, ich vertrödle meine Zeit – aber massenhaft andere finden das nicht.« Er entnahm seiner Brieftasche einen schmutzigen Zeitungsausschnitt – er stellte Scharen von Amerikanern dar, die von einem Überseedampfer mit Säcken voller Gold an Land gingen. »Ihr meint wohl, für mich fällt nichts davon ab? Irrtum. Bin gerade aus Nizza gekommen, um mir die ›Tour de France‹ anzusehen.«

Als Tommy ihn mit einem heftigen »Allez-vous-en!« weggejagt hatte, rief Dick ihm nach: »Wann kommt das Rennen hier vorbei?«

»Jeden Augenblick, Kleiner.«

Er entfernte sich schließlich mit munterem Winken, und Tommy wandte sich wieder Dick zu.

»Elle doit avoir plus avec moi qu'avec vous.«

»Sprich englisch! Was meinst du mit ›doit avoir‹?«

»Doit avoir? Würde bei mir mehr Glück finden.«

»Ihr würdet neu füreinander sein. Aber Nicole und ich haben zusammen viel Glück genossen.«

»L'amour de famille«, sagte Tommy spöttisch.

»Wenn ihr, du und Nicole, heiraten würdet, wäre das nicht auch ›L'amour de famille‹?« Der wachsende Tumult draußen ließ ihn abbrechen; es fanden Zusammenrottungen auf der Promenade statt; zuerst war es nur eine Gruppe, dann strömten die Menschen in Scharen aus den Schlupfwinkeln hervor, in denen sie Mittagsruhe gehalten hatten, und säumten die Bordschwelle.

Jungen sausten auf Rädern vorbei, Automobile, die mit kunstvoll herausstaffierten Sportsleuten vollgepfropft waren, glitten die Straße entlang. Hörner kündeten mit hellem Ton das Herannahen des Rennens an, und nichtsahnende Köche in Unterhemden erschienen in den Türen des Restaurants, als bei einer Straßenbiegung die Prozession sichtbar wurde. Erst fuhr ein einsamer Radfahrer in rotem Trikot, die untergehende Sonne im Rücken, zielbewußt und zuversichtlich im Rhythmus der lauten, ermunternden Zurufe vorbei. Dann drei Rennfahrer auf einmal, in einer Maskerade aus verblichenen Stoffen, mit Beinen, auf denen sich eine gelbe Kruste von Staub und Schweiß gebildet hatte, ausdruckslosen Gesichtern und schweren, unendlich müden Augenlidern.

Tommy sagte: »Nicole wünscht eine Scheidung – ich nehme an, du wirst keine Schwierigkeiten machen.«

Eine weit auseinandergezogene Gruppe von weiteren fünfzig folgte den ersten Radrennfahrern; einige lächelten und waren befangen, andere waren offensichtlich erschöpft, die meisten von ihnen gleichgültig und müde. Ein Gefolge von kleinen Jungen kam vorbei, ein Trupp unbeirrbarer Nachzügler und ein leichter Lastwagen mit den Opfern von Unfällen und Niederlagen. Die drei gingen an ihren Tisch zurück. Nicole wünschte, Dick hätte die Initiative ergriffen, aber er schien sich damit zufriedenzugeben, mit seinem zur Hälfte rasierten Gesicht dazusitzen, das so gut zu ihrem halbgeschnittenen Haar paßte.

»Es stimmt doch, daß du nicht mehr glücklich mit mir bist?« fuhr Nicole fort. »Ohne mich könntest du deine Arbeit wieder aufnehmen – und du könntest besser arbeiten, wenn du dich nicht über mich ärgern müßtest.«

Tommy machte eine ungeduldige Bewegung.

»Das hat ja keinen Zweck. Nicole und ich lieben uns, und das ist es, worauf es ankommt.«

»Gut denn«, sagte der Doktor. »Da alles abgemacht ist, wie wäre es, wenn wir zum Frisör zurückgingen.«

Tommy suchte Streit: »Da sind noch verschiedene Punkte –«

»Nicole und ich werden alles besprechen«, sagte Dick sachlich. »Keine Bange – ich bin im Prinzip einverstanden, und Nicole und ich verstehen uns. Die Gefahr der Mißverständnisse ist geringer, wenn dreieckige Erörterungen vermieden werden.«

Widerwillig erkannte Tommy die Logik dessen, was Dick sagte, an, doch beseelte ihn die unwiderstehliche, in seiner Rasse begründete Neigung, einen Vorteil herauszuschlagen.

»Es versteht sich von selbst«, sagte er, »daß ich von diesem Augenblick an die Rolle von Nicoles Beschützer übernehme, bis die Einzelheiten geregelt worden sind. Und ich werde dich unnachsichtig zur Verantwortung ziehen für jeden Mißbrauch der Tatsache, daß ihr weiter im selben Haus wohnt.«

»Es ist nie meine Art gewesen, jemand meine Liebe aufzudrängen«, sagte Dick.

Er nickte ihnen zu und entfernte sich zum Hotel, während ihm Nicole mit den Blicken folgte.

»Er hat sich anständig benommen«, mußte Tommy zugeben. »Liebling, sind wir heute abend zusammen?«

»Ich denke doch.«

So hatte es sich also – mit einem Minimum an Pathos – abgespielt. Nicole fühlte sich durchschaut; es war ihr klar, daß Dick seit der Sache mit der Kampfereinreibung alles gewußt hatte. Und doch fühlte sie sich glücklich und erregt, und der sonderbare kleine Wunsch, Dick alles darüber erzählen zu können, verging schnell. Aber ihre Augen folgten seiner Gestalt, bis sie zu einem Fleckchen wurde, das sich unter den anderen Fleckchen in der sommerlichen Menge verlor.


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