Egid v. Filek
Ein Narr des Herzens
Egid v. Filek

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Im Gärtchen vor der Försterwohnung stand unter den Bäumen der Kaffeetisch gedeckt. Zwischen den dichten Zweigen drang das Licht der Sonne durch und malte zitternde, runde Flecken auf das Tischtuch.

Daisy saß in einem leichten Lehnstuhl aus Rohrgeflecht, den Kopf tief über die Häkelarbeit geneigt.

Paul Sering neben ihr. Er zeichnete mit dem Stock griechische Buchstaben in den Sand und schielte dazwischen nach ihrem Gesicht.

In der Küche klapperte Frau Neuberg mit den Kaffeetassen.

Daisy lehnte sich plötzlich zurück: »Es war wirklich nett von Ihnen, Herr Doktor, uns auf der Urlaubsreise zu besuchen«

Paul schnitt eine höfliche Grimasse. »Freilich ist hier wenig Amüsement. Nicht einmal ein Tennisplatz – von hübschen jungen Damen ganz zu schweigen.«

Er sah ihr voll ins Gesicht. Sie wurde 202 nun doch ein wenig verlegen, als sie fortfuhr: »Was macht denn das braune Hofratstöchterlein?«

»Leider mit den Eltern nach Scheveningen gefahren.«

»Schade. Denn wissen Sie, Doktor« – sie sah ihn von der Seite an, »das wäre eine Partie für Sie. Die Alten haben Geld, und Sie können Karriere machen. Denn eigentlich sind Sie doch ein Streber.«

Er zuckte ein wenig zusammen. »Fräulein Daisy –«

»Ich habe recht, sonst wären Sie nicht so empfindlich. Übrigens gefallen Sie mir so, wie Sie sind. Aber die Grete sollten Sie heiraten. Ich hab's Ihnen schon in Gmunden gesagt, beim Blumenkorso auf dem Traunsee – erinnern Sie sich noch?«

Er lachte. »Ja – Sie waren damals überhaupt abscheulich zu mir.«

Sie sah auf ihre Fingerspitzen herab: »Lange nicht so abscheulich wie Sie gegen mich.«

»Weil ich Ihrer Freundin Else die Cour gemacht habe? Mein Gott, wie Sie das nun wieder nehmen –« 203

»Lassen wir das. Erzählen Sie mir lieber, was Sie alles in Wien erlebt haben, als Sie von Gmunden heimkehrten. Aber hübsch bei der Wahrheit bleiben!«

Ihm wäre augenscheinlich ein anderes Thema lieber gewesen, aber er ging auf ihre Fragen ein und plauderte – von seinem Bureau, seinem Chef, von den Kollegen und ihren Frauen, Liebesgeschichten und boshaften Klatsch – alles durcheinander.

Er verstand es, das Unbedeutende in so hübsche Worte zu kleiden, daß es für einen Augenblick ein ganz persönliches Interesse bekam; und es freute ihn, zu sehen, wie aufmerksam sie ihm zuhörte, wie manchmal ein heimliches Lächeln sich aus ihren Augen stahl.

Und er erzählte von seinen Plänen für den Herbst, die er, der nervöse und ungeduldige Großstadtmensch, dem die Natur im Grunde wenig sagte, schon längst sich zurechtgelegt.

Er brachte das prickelnde Parfum der Residenzstadt mit, wo das Leben sich in breiten, brausenden Strömen dahinwälzt zwischen den mächtigen Fassaden alter Paläste und ehrwürdiger Patrizierhäuser; das nervöse Treiben lärmender Straßen, in denen ungeheure 204 Neubauten emporstiegen, das Donnern und Sausen des großen Verkehrs, das Flüstern der bunten Schar festlich gekleideter Gäste in den Räumen des Künstlerhauses, der Hofoper, des Musikvereinssaals – das alles klang aus seinen Worten.

Und das war die Welt, nach der sie sich sehnte.

Sie dachte an die engen Gassen ihrer kleinen Heimatstadt, an die fade Promenade mit den Lindenbäumen, an die Tafeln mit der Aufschrift: »Hunde sind an der Leine zu führen« oder: »Es ist verboten, mit Schiebkarren und Handwagen die Promenade zu betreten.« Wie öde und erbärmlich ihr das alles erschien!

Der Mann an ihrer Seite konnte sie herausreißen aus dieser kleinen Umgebung, konnte den heißen Wunsch ihres Lebens erfüllen.

Und ein Gefühl der Kameradschaft verband ihn mit ihr. Hinter seinen leicht und lässig hingeworfenen Reden, seinen Scherzen und Wortspielen schlummerte ein stärkeres Empfinden. Das fühlte sie mit der Sicherheit ihres weiblichen Spürsinns.

»Ich freue mich kolossal auf die Oper – 205 hoffentlich geben sie nächsten Monat Mignon,« sagte er leichthin, als ob er zu sich selbst spräche. »Die Kurz wird wohl wieder singen – non cognosci il bel suol« – Er summte leise die Melodie.

Seine Stimme tat ihr so wohl. Sie sah ihn an und errötete leicht, als sein Blick dem ihren begegnete.

Er deutete durch das offene Fenster nach dem Klavier, das an der Rückwand des Zimmers stand. »Singen Sie auch noch immer fleißig?«

»Freilich. Aber das Instrument ist miserabel. Das einzige brauchbare Klavier haben die Berghofs – die Oberverwalters droben im Schloß.«

»Neulich habe ich wieder ein Liedchen komponiert. Im Café Zentral, so um 2 Uhr früh, als ich nach einem flotten Kabarettabend allein in einer Ecke saß, ist mir die Melodie eingefallen. Wenn Sie nett zu mir sind, spiel ich Ihnen das Ding vor.«

»Zu liebenswürdig, Herr Doktor,« sagte sie spöttisch knicksend.

»Nur Schuldigkeit, gnädiges Fräulein. Denn die Widmung lautet: Daisy Neuberg.« 206

»Sehr viel Ehre. Und das ist also der eigentliche Zweck Ihres Besuches: meinen Beifall für diese künstlerische Leistung einzuernten?«

Sie sahen sich in die Augen, ruhig, vorsichtig forschend wie zwei Fechter, die sich mit gekreuzten Klingen gegenüberstehen, ohne daß einer einen Hieb zu schlagen wagt.

Und plötzlich griff er nach ihrer Hand: »Daisy, weißt du denn wirklich nicht, warum ich gekommen bin?«

Sie fühlte, wie die Larve von seinem Gesicht herabsank. Wie er das sagte – so ehrlich, fast demütig bittend –. Eine Blutwelle floß in ihre Wangen.

»Daisy, schau, zwei Menschen wie wir brauchen keine Marlittpose – kein Hinsinken auf die Knie – wir verstehen uns auch ohne die blauseidenen Ideale. – Man hat mir im Ministerium baldige Beförderung versprochen. Was meinst du?«

Sie hob langsam das Gesicht und sah ihn mit ihren klugen, großen Augen an – so ernst und prüfend, als ob sie über die Lösung eines Rätsels nachdenken wollte. 207

Dann glitten ihre Blicke über seine schlanke, sehnige Gestalt, den eleganten Anzug, die schmalen gepflegten Hände mit den glänzenden Fingernägeln.

Ja, dieser Mann paßte zu ihr. Er war eine Ergänzung ihres eigenen Wesens.

Und jung, strebsam, vermögend. Er konnte ihr die Stellung bieten, die ihr angemessen war.

Ruhig sah er ihr ins Gesicht. Er verstand seine Erregung zu bemeistern. Nur einen Moment zuckte seine weiße Hand. Und im selben Augenblick verbarg er sie auf dem Rücken.

Das war es, was sie an ihm so schätzte: diese Haltung, das Beherrschen jeder Bewegung des Körpers und der Seele. Und plötzlich stieg das Bild jenes unreifen Knaben in ihr empor, der vor einigen Tagen an dieser selben Stelle an ihrer Brust gelegen hatte – zitternd, schluchzend wie ein Kind.

Sie wußte ganz bestimmt: wenn sie Paul jetzt abwies, würde er artig lächelnd von gleichgültigen Dingen sprechen, dann der Mama beim Kaffee mit kleinen Klatschgeschichten aufwarten, und mit dem nächsten Zug wegfahren – auf immer. 208

Und nun mußte sie lächeln – fast gegen ihren Willen. Sie reichte ihm die Hand hin: »Eigentlich haben wir uns ja in unsern Briefen schon soviel gesagt, daß –«

Und da sie noch immer seine Hand festhielt, so stand er auf, beugte sich über sie und küßte den lächelnden Mund.

Sie dachte an Georg, an jene warme Nacht mit ihren schweren Düften, an das Almosen des Kusses, das sie ihm hingeworfen hatte. Und es war ihr, als sei jetzt alles ausgelöscht und getilgt, ihr Mitleid mit der heißen, täppischen Liebe dieses Kindes – und auch die Schuld, die sie begangen, indem sie diese nicht stärker zurückgewiesen hatte.

»Also, nun kommt die Mama in Betracht,« meinte Daisy, indem sie sich die Haare aus der Stirn strich. »Sie ist ein bißchen altfränkisch – also beiß halt in den sauren Apfel und halte feierlich um meine Hand an. Übrigens weiß sie alles. Sie hat in meinen Sachen herumgestöbert – das Schnüffeln kann sie einmal nicht lassen – und da fand sie –«

»Am Ende meine Briefe?« fragte Paul belustigt.

»Natürlich.« 209

»Um so besser, dann wird meine Werbung sie nicht überraschen. Da kommt sie übrigens schon.«

Frau Neuberg erschien, hinter ihr die Magd mit dem Kaffeebrett.

»Denk dir, Mama, der Doktor Sering will mich durchaus heiraten,« sagte Daisy gleichmütig und goß sich Milch in die Tasse.

Paul hatte trotz seiner Gewandtheit einen Augenblick die Herrschaft über seine Zunge verloren. Er stotterte ein paar Redensarten, verwickelte sich in einen langen Satz und brach zuletzt ziemlich unvermittelt ab, indem er der Mutter die Hand küßte.

Frau Neuberg hatte sich die Szene weniger formlos gedacht. Aber da der größte Wunsch ihres Lebens sich nun so rasch und einfach erfüllt hatte, umarmte sie den künftigen Schwiegersohn mit großer Umständlichkeit und trocknete einige Tränen von ihren Augen, die sich zur richtigen Zeit eingestellt hatten.

Daisy schenkte inzwischen ganz ruhig die Tassen voll und fragte: »Wieviel Stück Zucker, Mama?«

Endlich setzte sich Frau Neuberg nieder. 210

»Das Geschäftliche besprechen wir heute beim Nachtmahl,« meinte Daisy, »es ist selbstverständlich, daß Paul einige Tage hier bleibt. Beim Bergwirt wird sich schon ein Unterkommen finden.«

Mit seligem Lächeln rührte die Mutter in ihrer Kaffeetasse herum.

Paul Sering hatte ihr eigentlich immer gefallen. Sein Titel, seine vornehmen Bekanntschaften, sein elegantes Auftreten bestachen sie vom ersten Augenblick an. Und so klang aus allem, was sie zu ihm sagte, ein Grundton von Behagen und Befriedigung.

»Schau, Ma, da steht Treff,« sagte Daisy, auf den Bernhardiner deutend, der seine Schnauze zwischen die Gitterstäbe steckte.

Sie nahm ein Stück Zucker, trat zum Zaun und legte es dem Tier auf die feuchte Schnauze. »Hüt dich! Hüt dich!« Und sie fand ein grausames Vergnügen daran, den Hund recht lange warten zu lassen, bis er den Zucker schnappen durfte.

Paul lächelte sarkastisch. »Sehen Sie, liebe Mama, so sind nun die Mädels. Erst halten sie uns den Zucker hin, dann heißt's: Hüt dich!«

Frau Neuberg mußte herzlich lachen. 211

»Wenn Treff sich da herumtreibt, wird sein junger Herr auch nicht weit sein. Richtig, dort kommt er. Wie schlecht er aussieht!«

»Vom Wachsen,« meinte die Mutter und schnitt sich ein Stück Kuchen ab. »Er ist ja noch ein halbes Kind.«

Georg trat zwischen den Bäumen der Straße hervor. Er ging langsam, mit gesenktem Kopf.

Daisy rief ihn an: »Komm, Georg – Vorstellung durch einen Gartenzaun: Herr Georg Berghof, mein Jugendgespiele, Herr Doktor Paul Sering, mein Verlobter«

Paul hatte sich erhoben und verbeugte sich, einen Blick von neugieriger Teilnahme auf das blasse Gesicht heftend.

Georg stand versteinert. Er sah, wie der andere unbefangen seinen Arm um die Schulter des Mädchens legte.

Daisy wich seinem Blick aus.

»Warum sagst du nicht Bräutigam, Daisy?« fragte Frau Neuberg. Sie strahlte vor Mutterstolz.

»Bräutigam ist ein abscheuliches Wort. Es erinnert an Brathering, Bratenrock und dergleichen.« 212

»Ich finde es auch schrecklich veraltet,« meinte Paul. »Nicht wahr, Herr Berghof.«

Georg schien aus einem Traum zu erwachen. »Freilich, freilich,« erwiderte er mit starrem Lächeln.

Ein Schwindel hatte ihn erfaßt. Krampfhaft klammerte er sich an die grünen Gitterstäbe, mühsam zwang er sich zu ein paar gleichgültigen Worten.

Daisy bemerkte seine Verwirrung und wollte der peinlichen Szene ein Ende machen. »Gehen wir nicht ein wenig spazieren, Mama? Wir wollten dir doch die Gegend zeigen, gelt, Paul?«

»Sehr angenehm. Kommen Sie mit, Herr Berghof?«

»Nein, ich – ich muß noch ins Schloß hinauf,« erwiderte Georg. Er stotterte einige Abschiedsworte und ging.

»Mir scheint gar, dieser gute Georg ist verliebt in dich,« neckte Paul. »Er hat dich so sonderbar schwärmerisch angestarrt.«

»Ich kann's ihm nicht verbieten, ist doch Hoffnung so süß.«

Daisy trällerte das Lied Carmens. 213

»Ihr Weibsen seid doch ein unglaublich boshaftes Volk.«

»Bist am Ende gar eifersüchtig auf den armen kleinen Jungen.«

»Gewiß nicht,« erwiderte Paul ernsthaft. »Aber mit Gefühlen soll man nicht spielen.«

»Er wird sich trösten. Komm jetzt, die Mama drin im Zimmer setzt schon den Hut auf.«

Aber es war ihr doch sehr angenehm, daß man einen Weg einschlug, der weit vom Schlosse fort in den großen Fichtenwald und zum Ufer des Flusses führte. 214



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