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Da war am Nordflügel des Schlosses, wo ein dichtes Gewirr von Efeuranken fast die ganze Wand bedeckte, eine kleine Säulenhalle angebaut. Eine Nachbildung der Loggia dei Lanzi in Florenz.
Ein Blumenparterre hatte sich einst zu Füßen der steinernen Löwen ausgebreitet. In seiner Mitte lang ein Springbrunnenbecken mit einer Marmorgruppe. Knaben spielten mit Delphinen, der Meergott beugte sein bärtiges Gesicht zu einer lachenden Nixe herab. Das leise Geplätscher der fallenden Tropfen begleitete einst in lauen Sommernächten die Melodien aus der Hochzeit des Figaro: es klang mit bei der sehnsüchtigen Liebesklage der Susanne, die eine junge Sängerin, die Favoritin des Grafen Lindenburg, in die Nacht hinaussang. Der Hausherr saß zwischen den mächtigen Säulen, auf seinem goldenen Degenknauf spielte das Mondlicht, und seine Blicke streichelten die schöne Gestalt. Damen 98 und Herren hörten träumend zu. Und schlanke Mädchenfinger strichen über die Tatzen der Marmorlöwen.
Jetzt waren die mächtigen Pranken abgebrochen, Sprünge durchzogen die starken Leiber. Dem Meergott im Bassin fehlten die Arme, auf dem Grunde wuchs das Gras in langen Büscheln, seit hundert Jahren spielte der Springbrunnen nicht mehr. Nur die Löwen hielten noch Wache am Fuße der Treppe, und die Säulen stiegen frei und stark empor; mit silbernen Obertönen klang die Renaissance herein in die schweren Akkorde der Gotik.
Es war das kühlste Plätzchen im Park. An heißen Sommernachmittagen fanden sich oft dort die Frauen zusammen, um ein Plauderstündchen zu halten und die Zeitversäumnis durch irgendeine Handarbeit vor sich selbst zu rechtfertigen.
Die Försterin strickte einen Strumpf für ihren jüngsten Enkel. Frau Neuberg empfand ein neues Sofakissen als dringende Notwendigkeit und stickte eifrig an einer Rose von ganz unmöglichem Rot.
Neben ihr gähnte Daisy in ihre 99 Häkelarbeit hinein. Vor einer Viertelstunde war sie zu den Frauen gekommen, und alle hatten plötzlich geschwiegen. Unter den halbgeschlossenen Lidern fühlte sie, daß die Mutter sie einige Male von der Seite ansah. Es lag irgend etwas in der Luft.
Aber sie tat ganz unbefangen und häkelte ruhig weiter, auf den Augenblick lauernd, wo die Mutter sprechen würde.
Endlich sagte Frau Neuberg unsicher: »Daisy, die rote Wolle ist mir ausgegangen.«
Sie tat, als hörte sie nicht. Man wollte sie also wegschicken, um ungestört plaudern zu können. Daß die Mutter beständig ihre Heimlichkeit haben mußte.
»Hole mir die große Strähne aus der Wohnung, hier ist der Schlüssel.«
Sie sah der Mutter voll ins Gesicht und bemerkte mit Genugtuung, daß sie rot wurde. Dann schob sie den Schlüssel langsam in die Tasche und ging.
Die Frauen rückten zusammen und lauschten gespannt.
Es war eine jener Alltagsgeschichten, an denen seit undenklichen Zeiten alle verheirateten Frauen, ob jung oder alt, so innigen 100 Anteil nehmen, als befolgten sie ein ehernes Naturgesetz, gegeben zur Erhaltung der menschlichen Gattung.
Ein junger Mann hatte Daisy in Gmunden hofiert – ernstlich hofiert; die Mutter sah weiter nichts als eine kleine Sommerliebelei darin. Heute aber hatte sie in irgendeiner Schublade einen Stoß von Briefen gefunden – die Adressen von Mädchenhand – ohne Unterschrift – und darin war von ernsten Dingen die Rede, in jenem affektierten und spielenden Ton, den man jungen Mädchen gegenüber anschlägt, aus Furcht vor altmodisch klingenden Phrasen.
Kurz, ein richtiges Verhältnis. Es konnte nur Paul Sering sein, darüber bestand für Frau Neuberg kein Zweifel.
Sie jammerte darüber, daß die Tochter ihr kein Wort davon gesagt hatte. »Da lebt man nun so viele Jahre an der Seite des Kindes und glaubt, man kenne jede Falte seines Herzens, und doch – und doch – und dieses Heimlichtun, dieses Verstecken –«
Ein ganz klein wenig spielte sie vor den Freundinnen mit ihrem mütterlichen Schmerz Komödie. Denn am Ende war Paul Sering 101 keine schlechte Partie, das wußte sie längst. Aber es kränkte sie doch, daß Daisy niemals von seinen Absichten gesprochen hatte.
Die Försterin meinte: »Liebe Marie, es gibt Dinge, in denen wir von unsern Kindern keine volle Aufrichtigkeit verlangen dürfen. Hand aufs Herz: hast du dich deiner Mutter anvertraut, als du so alt warst wie Daisy?«
»Das ist etwas ganz anderes,« eiferte Frau Neuberg. »Wenn es sich um eine harmlose Liaison handelt, ist mir's gleichgültig, ob ich alle Details weiß, aber hier –«
»Ich fürchte, daß du selbst nicht ohne Schuld bist, Marie,« erwiderte die Försterin. »Wenn du wirklich deinem Kinde so nahe stündest, so wäre es auch mit seinen Sorgen und Freuden zunächst zu dir gekommen.«
»Ach, Daisy ist eine verschlossene Natur,« meinte Frau Neuberg verstimmt.
Frau Anna legte ihren Tischläufer hin und sah gedankenvoll auf das blaurote Muster. Eine verwandte Saite in ihrer Brust schwang mit bei den Worten der Freundin. War es nicht, als hätte sie auch Georgs Vertrauen verloren, seit der Schwager so großen Einfluß auf ihn gewonnen hatte? 102
»Laß dem Mädchen ruhig seinen Willen,« sagte die Försterin. »Vielleicht ein Jahr Probezeit – und wenn die jungen Leute dann noch so denken wie jetzt, sind sie eben für einander bestimmt. Als meine Rosa vor zehn Jahren in den armen Assistenten verliebt war, hab ich auch nichts dagegen tun können. Und heute ist sie glückliche Mutter von fünf Kindern.«
Frau Anna erkundigte sich nach den Verhältnissen des jungen Mannes.
»Ach, so weit wäre alles gut. Die Eltern sind wohlhabend, und er ist ein strebsamer Mensch, – Ministerialbeamter, hat einen Hofrat zum Onkel; übrigens bekommt meine Daisy auch eine ganz anständige Mitgift,« setzte sie voll Stolz hinzu.
Man sprach noch lange und eingehend über den interessanten Fall.
Darin waren alle einig: die Sache sei so rasch wie möglich dahin zu lenken, daß aus den beiden jungen Leuten ein anerkanntes Brautpaar werde.
»Sie brauchen doch nicht gleich zu heiraten,« meinte Frau Anna. »Es ist ja viel besser, wenn sie sich noch etwas näher kennen 103 lernen, und du kannst inzwischen die Ausstattung fertig machen. Mein Gott, die Brautzeit ist ja doch das Schönste. Wenn dann später die Sorgen um Haus und Kinder kommen und der Mann sich nicht mehr recht um einen kümmert, dann wird alles so ganz anders, als man sich's in der Jugend ausgemalt hat.«
Die zwei Frauen seufzten. Sie stimmten der Oberverwalterin von ganzem Herzen bei.
Keine von ihnen hatte in der Ehe eine Erfüllung der rosigen Mädchenträume gefunden.
Von den acht Kindern der Försterin waren zwei in zarter Jugend gestorben. Die Sorge um die andern hatte die blasse, schwache Frau beinahe aufgerieben. Der Förster ging, wenn ihm das »blöde Gejammer« zuwider wurde, in den Wald oder ins Wirtshaus; dort erholte er sich von seiner Familie, wie er zu sagen pflegte, wenn er angeheitert war. Die Buben gab er in die Stadt in billige Kosthäuser, ließ sie studieren, die Mädchen wurden baldigst verheiratet. Damit war die Pflicht der Erziehung für ihn erledigt. Heute waren alle Kinder versorgt und die Eltern 104 nach dreißig entbehrungsreichen Jahren wieder allein.
Frau Neuberg war von so viel Familienglück verschont geblieben, weil ihr Mann bald gestorben war. Aber auch er war ihr stets nur der Herr, niemals der Kamerad gewesen.
Und dennoch sahen diese Frauen in der Ehe, in der Versorgung des Mädchens das höchste Ziel, die Krone des Lebens.
Daisy kam zurück, die dicke Strähne grellrote Wolle um den Hals geschlungen. Frau Neuberg hatte ihren Auftrag vollständig vergessen und warf ihr nur einen bekümmerten Blick zu, den das Mädchen nicht beachtete.
Nach fünf Minuten bemerkte Daisy spitz: »Warum hast du mich denn eigentlich fortgeschickt, Ma, wenn du die Wolle gar nicht brauchst?«
Frau Neuberg wollte gereizt erwidern, da kam im richtigen Augenblick die dicke Stasi herangeschlurft und fragte in ihrem harten Dialekt die Oberverwalterin: »Soll ich nit schon Feuer machen zur Jausen, gnä Frau?«
Frau Anna nickte und erhob sich, während die Försterin und Frau Neuberg ihre Handarbeiten zusammenpackten. 105
Langsam ging Frau Anna dem Schlosse zu. Das Gespräch mit den Freundinnen beschäftigte sie noch immer.
Droben im Zimmer, wo Tische und Stühle mit Schnittmustern und Leinenstücken bedeckt waren, arbeitete sie ein wenig an ihrer neuen Bluse und gab durch die Tür in die anstoßende Küche der Stasi ihre Befehle. Dann warf sie die Arbeit in den Nähkorb.
Während das Holzfeuer im Herde knisterte, zog sie eine Schublade der großen Kommode auf und kramte darin umher.
Sie öffnete ein Album mit Photographien. Manche von ihnen waren im Lauf der Jahre mißfarbig, braungelb und blaß geworden; gerade über sie glitten jetzt die Blicke der Frau mit einem sorgenden, fragenden Ausdruck, als wollten sie die Vergangenheit beschwören, die Zeiten wieder heraufrufen, da sie noch ein junges, blühendes Weib war und so viele Forderungen an das Leben stellte.
Da saß sie in der verlogenen Kleidertracht, die man vor fünfzehn Jahren getragen hatte, und auf ihrem Schoß stand ein kleiner Bub und blickte mit großen Kinderaugen in die Welt. Es war eine Amateuraufnahme; im 106 Hintergrund sah man einen Haufen durcheinander geworfenes Spielzeug; das Bild war in Georgs Kinderzimmer aufgenommen. Dort stand noch der Baukasten, das Bilderbuch, da lagen die großen Glaskugeln, die ihm die Mutter gebracht hatte. Das Kind sah so kräftig und wohlgenährt aus. War damals oder später etwas in seiner Pflege, in seiner Erziehung von den Eltern versäumt worden? Sie erforschte ihr Gewissen ernstlich: die Kindermädchen, die sie ihm gehalten hatte, waren doch lauter brave, verläßliche Geschöpfe gewesen. Sie selbst konnte unmöglich den ganzen Tag sich mit dem Kinde abgeben. Es gab so viel im Hause zu tun: die Praktikanten, die verköstigt werden mußten, die viele Arbeit in der Küche! Und der Bub stellte oft die unglaublichsten Fragen, die wirklich zu beantworten niemand die Zeit fand.
Das wußte sie freilich nicht, daß die braven Kindermädchen, wenn es ihnen zu langweilig wurde, sich mit dem Baukasten und den Glaskugeln zu beschäftigen, lieber mit den jungen Burschen Kurzweil trieben und sich nur dann schleunigst neben das Kind setzten, wenn der Schritt der Hausfrau in der Nähe zu hören war. 107
Daß diese armen Bauernkinder, in einer ganz verschiedenen Welt aufgewachsen, keine Gesellschaft für ihren kleinen Jungen sein konnten, daran dachte Frau Anna nicht.
Da war ein anderes Bild, das zeigte ihn in den ersten Hosen – sie erinnerte sich noch so gut an die Lobsprüche, die ihre Eltern dem hübschen, kräftigen Buben spendeten, wenn sie aus Grünwald zu Besuch kamen.
Sie empfand die Freude und das Glück aller jungen Mütter über das körperliche Gedeihen des kleinen Wesens. Und sie tat, als wäre es ihr ganz persönliches Verdienst, daß er in der guten Landluft so prächtig gedieh. Aber wenn er dann der Großmutter auf den Schoß kroch und zu erzählen anfing, dann schob sie ihn aus dem Zimmer, höchstens belustigten sich die Frauen ein paar Minuten lang über die sonderbaren Wendungen, die er in seinem kindlichen Kauderwelsch vorbrachte. Es schien ihnen alles so drollig, was dieser kleine Bajazzo sprach, man konnte sich so recht amüsieren mit diesem lebendigen Spielzeug.
Das merkten sie wieder nicht, daß dem Kind die Absicht durchaus fernlag, andere zu 108 unterhalten; sonst wären sie nicht ärgerlich geworden, wenn er im Vorzimmer, wohin man ihn verbannt hatte, halbe Stunden lang zornig heulte, während sie drinnen von neuen Kleidern und alten Bekannten sprachen.
Langsam wandte sie die Blätter des Albums um. Ein Bildchen fiel heraus – ein süßlicher Farbendruck; aus einem Kranz von weißen Rosen blickte der Kopf irgendeines Heiligen, und darunter stand: »Zur ersten Kommunion«. Und daneben ein Bild Georgs im Alter von vierzehn oder fünfzehn Jahren. Es war nicht mehr das Kindergesicht mit den vollen Wangen und dem gutmütig freundlichen Blick. Etwas Fremdes lag über den leicht verschleierten Augen, ein eigentümlich herber Zug spielte um den Mund.
Was war es gewesen, das ihr das Kind entfremdet hatte? Unklar und verworren zogen die Gedanken durch ihren Kopf. Sie fühlte, daß etwas Unbekanntes zwischen ihr und der Seele des Knaben stand.
Warum kam er nie zu ihr, wie er als Kind getan, wenn der kleine Körper irgendeinen Schmerz empfand? Warum hing er so sehr an dem Onkel – dem Fremden? 109
Die Stasi meldete, daß die Jause fertig sei. Ob die gnädige Frau einschenken wolle?
Der feine Duft des frischen Kaffees durchzog das ganze Haus. Frau Anna richtete das große Präsentierbrett her und trug es selbst hinaus auf die Veranda. Georg saß schon an dem gedeckten Tisch und las in einer Zeitschrift.
Berghof trat herein, mit hohen, staubigen Stiefeln und rotem Gesicht. Überall standen kleine Schweißperlen, auf der Stirn, den Wangen, sogar im Nacken, der mächtig gewölbt war wie der eines Stiers. Draußen auf dem Feld war die Dreschmaschine im vollen Gang.
Er setzte sich auf den Rand des Stuhles wie einer, der sofort wieder aufbrechen will, und stürzte eine Tasse Kaffee hinab. Die braunen Tropfen hingen an seinem struppigen Schnurrbart.
»Wo ist der Neruda?« fragte Heinrich.
»Draußen bei der Lokomobile. Er muß mir auf den Heizer aufpassen – dieser elende Kerl ist schon wieder halb betrunken.«
Er wischte sich den Mund mit der Serviette und stand auf. Georg blätterte in seiner Zeitschrift und summte leise die Melodie des 110 Kirchenliedes von Palestrina. Aber jeder dritte Ton war falsch.
»Komm einmal mit hinaus, Georg. Wir haben eine neue Dreschmaschine, ausgezeichnete Konstruktion, von Hofherr und Schranz. Das muß dich doch interessieren. Komm nur, du sitzest mir viel zu viel hinter den Büchern.«
Seufzend legte Georg das Heft weg und folgte dem Vater.
Heinrich blieb mit der Schwägerin zurück.
Ein paarmal setzte sie zum Sprechen an. Endlich, während sie mit nervösen Fingern ein Stück Kuchen zerkrümelte, brachte sie heraus: »Du solltest – dem Kinde – doch nicht solche Dinge in den Kopf setzen, Heinrich.«
Erstaunt zog er die Brauen empor. »Welchem Kinde?«
»Na, du weißt wohl, daß ich Georg meine.«
»Georg nennst du ein Kind?« Es war ein Ruf der Entrüstung.
»Jedenfalls ist er unser Kind. Und ich glaube, daß er gewisse Dinge noch zeitig genug erfahren wird, ohne daß man ihm jetzt seine Ruhe zu nehmen braucht . . . Warum liest er beständig in deinen Büchern herum? Das sind doch Sachen, die gar nicht für ihn passen! Und 111 dann diese nackte Figur da unten, die du ihm gezeigt hast . . . Ich finde das alles sehr – sehr unpassend.«
Sie war hochrot vor Erregung. Die Spitze ihres Fußes zuckte unter dem Kleidersaum auf und nieder. Heinrich hatte sie noch niemals so gesehen.
»Liebe Anna,« erwiderte er, sich zur Ruhe zwingend, »ich glaube Georgs Natur besser zu verstehen als – als viele andere, und gesetzt den Fall, er fragte mich wirklich um Dinge, die einen heranreifenden Menschen beschäftigen, so würde ich ihm auch ehrlich antworten.«
»Ich weiß nicht, ob du das so ohne weiteres darfst,« antwortete sie. »Auch Karl ist der Meinung, daß der Junge voll phantastischer Gedanken steckt, die für seine Zukunft schädlich sind. Wenn du ihn in solchen Dingen noch bestärkst, so tust du ihm und uns damit nichts Gutes. Ich will dich nicht verletzen, aber das ist nun meine Meinung.«
Sie erhob sich mit einer raschen Bewegung und ging hinaus.
Er griff mechanisch nach der Kaffeetasse und setzte sie wieder hin. Der kleine Silberlöffel klirrte heftig. 112
»Ob du das so ohne weiteres darfst . . .« das Wort klang ihm im Ohr und peitschte seine Nerven auf wie das Klirren des silbernen Löffels. Es war ja lächerlich, was diese beschränkte Frau da gesprochen hatte, einfach komisch war es.
Niemals hatte sie sich um die Seele des Kindes gekümmert. Wenn der junge Vogel flügge wird, verläßt er das Nest – das war Naturgesetz in der ganzen organischen Welt – warum nicht auch in der geistigen?
Und doch – und doch –
Es ringelte sich etwas auf aus diesen Worten, das kroch kalt und feucht an ihm empor und umstrickte lähmend wie eine Schlange seine Glieder.
Er stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf und sah aus dem Fenster hinaus auf das große, weithin gestreckte Stoppelfeld.
Die Lokomobile stieß schwarze Rauchwolken hinauf in den Himmel. Die Dreschmaschine schlug mit ihren stählernen Gliedern um sich; es war wieder das alte, unermüdliche Ringen und Kämpfen um den Segen des Feldes. Im Westen hoben sich dunkle Wolken; mit atemloser Hast arbeitete man, um vor 113 Einbruch der Nacht fertig zu werden. Die Hühner benutzten die gute Gelegenheit, liefen hierhin und dorthin, zwischen den Stoppeln umher und pickten die Körner auf, die Brosamen, die vom Tisch des unendlich reichen Herrn fielen.
Heinrich erkannte den Bruder; er stand in Hemdärmeln auf einer Leiter, die an dem Getreideschober lehnte, und deutete mit der Hand nach der Lokomobile. Ein schriller Pfiff durchschnitt die Luft, so scharf und grell, daß er das Murren des Donners übertönte, das aus der langsam emporsteigenden Wolkenwand kam.
Dort, in diesem Getriebe hastig arbeitender Menschen, ward Georgs Zukunft bereitet. Dort, zwischen den Rädern der Maschinen, in dem goldenen Strom niederflutender Körner, auf den fruchtbaren Breiten der gesegneten Erde lag seine Welt.
»Sollte ich vielleicht doch nicht das Recht haben, ihn zu mir herüber zu ziehen?«
Die scheu gemurmelte Frage starb in dem Rollen des fernen Gewitters. 114