Egid v. Filek
Ein Narr des Herzens
Egid v. Filek

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Im Schloßhof unter der großen Platane erwartete man den jungen Herrn. Das kleine Ereignis unterbrach die mechanische Arbeit des Alltags wie ein Fest.

Sonntag nachmittag war's. Die Mägde trugen ihre bunte slawische Nationaltracht; schlohweiße Hemden leuchteten, das steif gestärkte Unterzeug raschelte bei jeder Bewegung; sie stießen sich mit den nackten Armen, zischelten und lachten. Die Knechte lehnten an den Mauern umher, rauchten ihre Pfeifen und zwinkerten zu den drallen Dirnen herüber. Wenn ein Sonnenstrahl zwischen den Blättern herabsank, flammten die buntschillernden Stoffe hier und da auf; man glaubte ein vom Wind bewegtes Mohnfeld mit weißen und roten Blüten zu sehen.

Auf der Bank unter der Platane saß der Herr Porges und rauchte seine Sonntagszigarre. Die Beine, die ein wenig einwärts gekrümmt waren, hatte er lässig 16 übereinandergeschlagen. Niemand hatte ihn eingeladen zu kommen, niemand kümmerte sich um ihn. Aber das war ihm gleichgültig. Er wußte, wie unentbehrlich er auf dem Gutshof war seit jenem regnerischen Novemberabend, da er als armer Schnorrer in Lindenburg eingetroffen war – aus einer Stadt im unbekannten Osten, deren Namen niemand aussprechen konnte. Damals hatte er nichts als was er auf dem Leibe trug – einen schmierigen Kaftan, weitgereiste Lederhosen und ein Paar hoher Stiefel, in deren Röhren das Wasser hineinfloß, um bei den Zehen durch verschiedene Löcher wieder zur Erde zurückzukehren Heute war er das Faktotum der Gutsverwaltung. Auf der ganzen Domäne Lindenburg konnte kein größeres Geschäft ohne seine Vermittlung abgeschlossen werden. Er verkaufte den Dorfschönen bunte Seidenbänder, lieh den Bauern Geld, hatte seinen Profit beim Kauf und Verkauf von Rindern, Schweinen und Pferden. Chaim Porges wußte alles, verstand alles, vermittelte alles.

Die große Tür, die aus der Wohnung des Oberverwalters in den Schloßhof führte, sprang auf. Frau Anna Berghof erschien mit 17 rotem Kopf auf der Schwelle. Eben hatte sie ein paar Scheite Holz ins Feuer geworfen; die Gans war noch nicht recht knusperig gebraten.

Au ihrer weißen Schürze rieb Treff, der große Bernhardiner, seinen mächtigen Kopf. Es stand was Besonderes bevor, das sagte ihm der Instinkt – in der Küche witterte sein Geruchsinn die unerhörtesten Genüsse.

Frau Anna rief zu den Mägden herüber: »Wetti!«

Aus der bunten Schar löste sich ein hübsches Ding mit dicken Zöpfen, kaum sechzehn Jahre alt.

»Lauf schnell zum Kapellenkreuz und schau, ob sie schon kommen!«

Sie wischte die bestaubten Hände an der Küchenschürze ab. Ihr Gesicht, noch immer hübsch trotz einiger Falten in den Mundwinkeln, trug den sorgenvollen Ausdruck, der Heinrich immer so nervös machte.

Am Vormittag hatte sie das Telegramm mit der Nachricht von Georgs Matura erhalten. Aber der freudige Mutterstolz war so schnell den Hausfrauensorgen gewichen, daß sie sich von der Bedeutung des Ereignisses keine klare Vorstellung machen konnte. 18

Wie mußte ihn das Büffeln hergenommen haben, den armen Buben! Matura – schon das Wort hatte für sie immer etwas Furchtbares gehabt. Gewiß würde er wieder so blaß und elend aussehen wie vor zwei Jahren, als er den bösen Bronchialkatarrh hatte, den der Herrschaftsarzt sogar für Lungenschwindsucht hielt. O, sie wollte schon für ihn sorgen, wie nur eine Mutter sorgen kann. Alle seine Lieblingsspeisen . . .

Und ihre Gedanken waren wieder in der Küche.

Porges hatte sich, als er der Hausfrau ansichtig wurde, von seinem Sitz erhoben. Aber er fand keine Beachtung.

Nur Frau Neuberg, die jetzt mit Daisy in den Hof trat, nickte ihm freundlich zu. Sie hatte eine auffallende Toilette über ihren umfangreichen Leib gespannt; man trieb gewaltigen Kleiderluxus in ihrer Heimatstadt Grünwald, und den Lindenburger Verwandten und Bekannten mußte man doch auch die neuen Toiletten zeigen, die auf der Esplanade in Gmunden das Kreuzfeuer kritischer Frauenblicke mit Ehren bestanden hatten.

Frau Anna streckte der Freundin die Hand 19 entgegen. Sie waren wie eine einzige große Familie auf dem Schlosse; die Försterin, Frau Neubergs Cousine, stammte ebenfalls aus Grünwald.

Das hinderte alles nicht, daß sich die Frauen gegenseitig ein wenig beklatschten – es gab so wenig Neuigkeiten in diesem Waldwinkel.

Jetzt bildete die Ankunft Georgs das Hauptthema in dem wortreichen Gespräch.

Daisy sah etwas gelangweilt aus. Die Mama hatte an ihrer Frisur gemäkelt – dieses beständige Nörgeln gehörte zu ihren Gewohnheiten. Sie warf das spitze Näschen in die Luft und setzte sich auf die Bank neben Porges.

Eine kleine Katze kam herangeschlichen und schmiegte sich, den Schweif senkrecht emporgestreckt, an ihre Füße. Dabei blickte sie mißtrauisch nach dem Bernhardiner, der langsam näher schritt. Ihre Furcht war aber unbegründet. Treff hatte nur einen Blick unbeschreiblicher Verachtung für sie. Laut gähnend streckte er sich unter die Bank und legte den Kopf auf die Vorderpfoten.

»Ihr werdet doch mit uns zu Abend essen?« sagte Frau Anna mit Bestimmtheit. 20

Frau Neuberg ließ sich ein wenig bitten. »Wir wollen das Familienfest nicht stören,« meinte sie. »Man hat sich doch so viel zu sagen – und über die Zukunft des Jungen wird auch allerlei zu reden sein . . .«

Aber Frau Anna wiederholte ihre Einladung. Sie wollte mit dem Sohne Staat machen.

Als Frau Neuberg erfuhr, daß auch die Försterin geladen sei, gab sie nach.

Daisy spielte mit dem weißen Kätzchen. Es wand sich behaglich in ihren Armen, kratzte mit seinen nadelscharfen Krallen an dem feinen Stoff der Bluse und biß spielend in den vorgehaltenen Finger. Das Bild hätte einen jener französischen Maler des vorigen Jahrhunderts fesseln können, die das graziöse Tändeln des frühreifen Mädchens, halb Kind, halb Dame, in prickelnden Szenen auf die Leinwand zu werfen verstanden.

Jetzt klang die Stimme der kleinen Wetti vom Tore: »Sie kommen!«

Die Mägde hörten zu schnattern auf und reckten die Hälse; die Knechte nahmen ihre Pfeifen aus dem Mund.

Der Wagen rollte über die Zugbrücke in den Hof und hielt mit einem Ruck still. 21

Heinrich, mit dem Herausreichen des Gepäcks beschäftigt, spielte zwischendurch ein wenig den Beobachter.

Er bemerkte, wie peinlich für Georg die stürmischen Willkommküsse der Mutter waren. Vor allen Knechten und Mägden überhäufte sie ihn mit Liebkosungen wie ein Kind.

Daisy trat unbefangen heran und reichte dem Gespielen ihrer Kinderjahre die kleine, feste Hand.

»Wie groß du bist!« sagte er bewundernd.

Sie lächelte artig und zog ihre Hand aus der seinigen.

In den letzten Ferien hatte er Daisy nur wenige Tage gesehen. Frau Neuberg mußte zur Kur nach Karlsbad und kam erst im September mit der Tochter zurück. Gerade in diesem Jahre hatte sich das Mädchen voll entwickelt. Die herben kindlichen Formen waren verschwunden, ihre Bewegungen wurden rund und gelassen, ihr ganzes Wesen atmete die Sicherheit des Weibes, das seine Macht über den Mann zu fühlen beginnt.

»Du hast dich wenig verändert,« meinte sie.

Sie sah in ihm noch den Knaben von damals, mit dem sie durch den Garten getollt 22 war, der auf ihren eigensinnigen Befehl ihr vom höchsten Baumwipfel Kirschen holen mußte. Er aber stand scheu und linkisch da und ärgerte sich, weil er rot wurde.

So sicher und selbstbewußt trat sie auf, so gar nichts vom Kinde war in ihr. Nur die Augen waren noch dieselben – diese braunen, klugen Augen, deren stiller Glanz ihm während des ganzen Arbeitsjahres geleuchtet hatte. Zwischen den zerlesenen Büchern und Heften war ihr Bild vor ihm aufgetaucht und hatte Kraft zu neuer Arbeit gegeben.

Berghof trat auf Porges zu. Der Jude begrüßte ihn mit einem Gemisch von Vertraulichkeit und Unterwürfigkeit.

»Na, Porges, wie stehen die Viehpreise?«

»Wie sollen sie stehen, Herr Oberverwalter? Schlecht stehen sie. Viel zu hoch. Müssen über die Grenze fahren, um einzukaufen. Drüben in Ungarn ist alles billiger.«

Sie sprachen leise und angelegentlich miteinander. Porges fuhr mit den Händen in der Luft herum und rückte Karl immer näher an den Leib. Dieser runzelte die Stirn. Die Zudringlichkeit des Juden ärgerte ihn. Aber 23 er konnte ihn nicht abschütteln. Der geschickte Unterhändler war unersetzlich.

Der Abend brach an.

Über dem Eingang zur Veranda leuchtete ein Transparent, dem jungen Herrn zu Ehren; in farbigen Buchstaben glühte das Wort »Wilkomen«. Die Obermagd hatte das Kunstwerk mit großer Mühe aus buntem Seidenpapier zusammengeklebt. Es war keine kleine Leistung für die harten, an schwere Feldarbeit gewöhnten Hände. Georg lächelte kaum über die sonderbare Orthographie. Es war ja gut gemeint, und Feinheiten in der Rechtschreibung konnte man auch von einer Obermagd nicht verlangen.

Eine warme Welle floß über sein Herz. Wie sie ihn alle lieb hatten – Vater, Mutter, sogar die alten treuen Dienstboten!

Frau Anna legte ihren Arm um Georgs Schulter: »Du siehst doch etwas angegriffen aus, mein Kind. Bewegung in frischer Luft würde dir gut tun. Weißt du was? Vater wird ein Pferd für dich besorgen, dann kannst du ihn begleiten, wenn er auf die Höfe reitet und die Schaffer beaufsichtigt.«

Dann erkundigte sie sich nach Georgs 24 Fragen bei der Reifeprüfung; aber sie verstand von seiner Auskunft nur so viel, als daß eben alles gut und glücklich abgelaufen war. Wenn er von Aoristen und Logarithmen und Gleichungen zweiten Grades sprach, rann ihr ein Schauer über den Rücken. Und er erzählte weiter in dem naiven Glauben, die Mutter müsse doch wenigstens im großen und ganzen seinen Worten folgen können.

Während sie hilflos auf das mit unleserlichen Unterschriften bedeckte Zeugnis starrte, kam die dicke Stasi aus der Küche und fragte an, wieviel Wein geholt werden solle.

Frau Anna erhob sich erleichtert. »Du kannst mit den Damen noch eine Viertelstunde im Park spazieren gehen, Georg. Ich lasse draußen decken – im Zimmer ist's heute zu schwül, nicht wahr?«

Aus den tiefern Teilen des Parkes, wo breitästige Tannen standen, stieg erfrischende Kühle. Über die mächtigen Mauern des alten Schlosses floß das Mondlicht wie ein breiter, silberner Strom. Seltsam schimmerte das blonde Haar Daisys in diesem matten Licht; Georg empfand eine Art Scheu, ihr ins Gesicht zu sehen, als er jetzt mit den Frauen über 25 die breiten, kiesbestreuten Wege wanderte. Er fühlte sich so klein und unbedeutend neben ihr.

Und doch hatten diese alten Bäume ihre glückliche Kindheit behütet. Auf jenem Reisighaufen hatten sie einst einen alten Blechtopf gefunden, den die Köchin weggeworfen, weil ihn der Kesselflicker nicht mehr flicken mochte; er ward als Tarnhelm des jungen Siegfried erklärt und konnte seinen Besitzer unsichtbar machen; ein zerrissener Mädchenschuh war Aschenbrödels Pantoffel, durch ein geheimnisvolles Geschick hierher verschlagen.

Sie sprachen von der Märchenzeit ihres Lebens wie zwei alte Leute, die über solche Dinge erhaben sind – oder vielmehr Daisy sprach, und Georg hörte zu, manchmal mit dem Kopfe nickend. Der Klang ihrer Stimme tat ihm wohl.

Sie deutete mit der Hand auf eine Stelle in der Parkmauer: »Die steinerne Jungfrau! Erinnerst du dich noch?«

Ja, da stand sie, die Marmorjungfrau, mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen, zwischen denen ein Gebetbuch lag . . . Ein alter Grabstein war es, den man einst in 26 die Parkmauer eingelassen hatte. Das Wappen der Lindenburgs, die Linde auf einem Hügel, war zu Füßen der betenden Frauengestalt in den Stein gehauen.

»Das Zauberwort wollten wir erraten, das die steinerne Frau zum Leben erweckt!« Sie sagte es in einem nachsichtigen Ton, als sei sie heute längst, längst hinaus über die süße Torheit jener Zeiten – mit ihren siebzehn Jahren.

Georg seufzte ganz leise. »Ja – wer das Zauberwort wüßte . . . . .« 27



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