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Zweiter Teil

Das unwahre, d. i. theologische Wesen der Religion

Zwanzigstes Kapitel

Der wesentliche Standpunkt der Religion

Der wesentliche Standpunkt der Religion ist der praktische, d. h. hier der subjektive. Der Zweck der Religion ist das Wohl, das Heil, die Seligkeit des Menschen, die Beziehung des Menschen auf Gott nichts anderes als die Beziehung desselben auf sein Heil: Gott ist das verwirklichte Seelenheil oder die unbeschränkte Macht, das Heil, die Seligkeit des Menschen zu verwirklichen. »Dein Heil sei dein einziger Gedanke, Gott deine einzige Sorge.« Thomas a K. (De imit. lib. I. c. 23). »Denke nichts wider dein eignes Heil. Ich habe zu wenig gesagt; statt wider hätte ich außer sagen sollen.« Bernhardus (De consid. ad Eugenium lib. II). » Wer Gott sucht, ist um sein eignes Heil bekümmert.« Clemens Alex. (Coh. ad gentes). Die christliche Religion namentlich unterscheidet sich darin von andern Religionen, daß keine so nachdrücklich wie sie das Heil des Menschen hervorgehoben. Darum nennt sie sich auch nicht Gotteslehre, sondern Heilslehre. Aber dieses Heil ist nicht weltliches, irdisches Glück und Wohl. Im Gegenteil die tiefsten, wahrsten Christen haben gesagt, daß irdisches Glück den Menschen von Gott abzieht, dagegen weltliches Unglück, Leiden, Krankheiten den Menschen zu Gott zurückführen und daher sich allein für den Christen schicken. Wer übrigens nur aus dem Unglück die Realität der Religion beweist, beweist auch die Realität des Aberglaubens. Warum? weil im Unglück der Mensch nur praktisch oder subjektiv gesinnt ist, im Unglück er sich nur auf das eine, was not, bezieht, im Unglück Gott als Bedürfnis des Menschen empfunden wird. Die Lust, die Freude dehnt den Menschen aus, das Unglück, der Schmerz zieht und drängt ihn zusammen – im Schmerze verneint der Mensch die Wahrheit der Welt; alle Dinge, welche die Phantasie des Künstlers und die Vernunft des Denkers bezaubern, verlieren ihren Reiz, ihre Macht für ihn; er versinkt in sich selbst, in sein Gemüt. Dieses in sich versunkne, auf sich nur konzentrierte, in sich nur sich beruhigende, die Welt verneinende, gegen die Welt, die Natur überhaupt idealistische, in Beziehung auf den Menschen realistische, nur auf sein notwendiges inneres Heilsbedürfnis bezogene Wesen oder Gemüt ist – Gott. Gott als Gott, Gott, wie er Gegenstand der Religion und nur so, wie er dieser Gegenstand, ist er Gott, nämlich Gott im Sinne eines Eigennamens, nicht eines allgemeinen, metaphysischen Wesens, Gott ist wesentlich nur ein Gegenstand der Religion, nicht der Philosophie, des Gemütes, nicht der Vernunft, der Herzensnot, nicht der Gedankenfreiheit, kurz ein Gegenstand, ein Wesen, welches nicht das Wesen des theoretischen, sondern des praktischen Standpunkts ausdrückt.

Die Religion knüpft an ihre Lehren Fluch und Segen, Verdammung und Seligkeit. Selig ist, wer glaubt, unselig, verloren, verdammt, wer nicht ihr glaubt. Sie appelliert also nicht an die Vernunft, sondern an das Gemüt, an den Glückseligkeitstrieb, an die Affekte der Furcht und Hoffnung. Sie steht nicht auf dem theoretischen Standpunkt; sonst müßte sie die Freiheit haben, ihre Lehren auszusprechen, ohne an sie praktische Folgen anzuknüpfen, ohne gewissermaßen zu ihrem Glauben zu nötigen; denn wenn es heißt: ich bin verdammt, wenn ich nicht glaube, so ist das ein feiner Gewissenszwang zum Glauben; die Furcht vor der Hölle zwingt mich zu glauben. Selbst, wenn mein Glaube auch seinem Ursprung nach ein freier sein sollte – die Furcht mischt sich doch immer mit ein; mein Gemüt ist immerhin befangen; der Zweifel, das Prinzip der theoretischen Freiheit erscheint mir als Verbrechen. Der höchste Begriff, das höchste Wesen der Religion ist aber Gott: das höchste Verbrechen also der Zweifel an Gott oder gar der Zweifel, daß Gott ist. Was ich mir aber gar nicht zu bezweifeln getraue, nicht bezweifeln kann, ohne mich in meinem Gemüte beunruhigt zu fühlen, ohne mich einer Schuld zu zeihen, das ist auch keine Sache der Theorie, sondern eine Gewissenssache, kein Wesen der Vernunft, sondern des Gemüts.

Da nun aber der praktische oder subjektive Standpunkt allein der Standpunkt der Religion ist, da ihr folglich auch nur der praktische, vorsätzliche, nur nach seinen bewußten, sei es nun physischen oder moralischen Zwecken handelnde und die Welt nur in Beziehung auf diese Zwecke und Bedürfnisse, nicht an sich selbst betrachtende Mensch für den ganzen, wesentlichen Menschen gilt; so fällt ihr alles, was hinter dem praktischen Bewußtsein liegt, aber der wesentliche Gegenstand der Theorie ist – Theorie im ursprünglichsten und allgemeinsten Sinne, im Sinne der objektiven Anschauung und Erfahrung, der Vernunft, der Wissenschaft überhaupt Also in dem Sinne wird hier und an andern Orten dieser Schrift Theorie genommen, in welchem sie die Quelle der wahren objektiven Praxis ist, denn der Mensch vermag nur so viel als er weiß: tantum potest quantum scit. Der Ausdruck: der subjektive Standpunkt sagt daher soviel als: der Standpunkt der Unbildung und Unwissenheit ist der Standpunkt der Religion.außer den Menschen und die Natur hinaus in ein besonderes persönliches Wesen. Alles Gute, doch hauptsächlich nur solches, welches unwillkürlich den Menschen ergreift, welches sich nicht zusammenreimt mit Vorsatz und Absicht, welches über die Grenzen des praktischen Bewußtseins hinausgeht, kommt von Gott; alles Schlimme, Böse, Üble, doch hauptsächlich nur solches, welches ihn unwillkürlich mitten in seinen moralischen oder religiösen Vorsätzen überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom Teufel. Zur Erkenntnis des Wesens der Religion gehört die Erkenntnis des Teufels, des Satans, der Dämone. Über die biblischen Vorstellungen vom Satan, seiner Macht und Wirkung siehe Lützelbergers Grundzüge der Paulinischen Glaubenslehre und G. Ch. Knapps Vorles. über die christl. Glaubensl. § 62-65. Hierher gehören auch die dämonischen Krankheiten, die Teufelsbesitzungen. Auch diese Krankheiten sind in der Bibel begründet. S. Knapp (§ 65. III. 2. 3). Man kann diese Dinge nicht weglassen, ohne die Religion gewaltsam zu verstümmeln. Die Gnade und ihre Wirkungen sind der Gegensatz der Teufelswirkungen. Wie die unwillkürlichen, aus der Tiefe der Natur auflodernden sinnlichen Triebe, überhaupt alle ihr unerklärlichen Erscheinungen des – sei es nun wirklichen oder eingebildeten – moralischen und physischen Übels der Religion als Wirkungen des bösen Wesens erscheinen, so erscheinen ihr auch notwendig die unwillkürlichen Bewegungen der Begeisterung und Entzückung als Wirkungen des guten Wesens, Gottes, des heiligen Geistes oder der Gnade. Daher die Willkür der Gnade – die Klage der Frommen, daß die Gnade sie bald beseligt, heimsucht, bald wieder verläßt, verstößt. Das Leben, das Wesen der Gnade ist das Leben, das Wesen des unwillkürlichen Gemüts. Das Gemüt ist der Paraklet der Christen. Die gemüt- und begeisterungslosen Momente sind die von der göttlichen Gnade verlassenen Lebensmomente.

In Beziehung auf das innere Leben kann man übrigens auch die Gnade definieren als das religiöse Genie; in Beziehung auf das äußere Leben aber als den religiösen Zufall. Der Mensch ist gut oder böse keineswegs nur durch sich selbst, durch eigene Kraft, durch seinen Willen, sondern zugleich durch eine Menge geheimer und offenbarer Bestimmungen, die wir, weil sie auf keiner absoluten oder metaphysischen Notwendigkeit beruhen, der Macht »Seiner Majestät des Zufalls«, wie Friedrich der Große zu sagen pflegte, zuschreiben. Schelling erklärt in seiner Schrift über die Freiheit dieses Rätsel durch eine in der Ewigkeit, d. h. vor diesem Leben vollbrachte Selbstbestimmung. Welche phantastische, illusorische Annahme! Aber Phantastik, ja bodenlose, kindische Phantastik ist das innerste Geheimnis der sogenannten positiven Philosophen, dieser »tiefen«, ja wohl sehr tiefen religiösen Spekulanten. Je schiefer, je tiefer. Die göttliche Gnade ist die mystifizierte Macht des Zufalls. Hier haben wir wieder die Bestätigung von dem, was wir als das wesentliche Gesetz der Religion erkannten. Die Religion verneint, verwirft den Zufall, alles von Gott abhängig machend, alles aus ihm erklärend; aber sie verneint ihn nur scheinbar; sie versetzt ihn nur in die göttliche Willkür. Denn der göttliche Wille, welcher aus unbegreiflichen Gründen, d. h. offen und ehrlich herausgesagt, aus grundloser, absoluter Willkür, gleichsam aus göttlicher Laune, die einen zum Bösen, zum Verderben, zum Unglück, die andern zum Guten, zum Heil, zur Seligkeit bestimmt, prädestiniert, hat kein einziges stichhaltiges Merkmal für sich, welches ihn von der Macht »Seiner Majestät des Zufalls« unterschiede. Das Geheimnis der Gnadenwahl ist also das Geheimnis, oder die Mystik des Zufalls. Ich sage die Mystik des Zufalls; denn in der Tat ist der Zufall ein Mysterium, obwohl überhudelt und ignoriert von unserer spekulativen Religions-Philosophie, welche über den illusorischen Mysterien des absoluten Wesens, d. h. der Theologie die wahren Mysterien des Denkens und Lebens, so auch über dem Mysterium der göttlichen Gnade oder Wahlfreiheit das profane Mysterium des Zufalls vergessen hat. Man wird diese Enthüllung des Mysteriums der Gnadenwahl zweifelsohne verrucht, gottlos, teuflisch nennen. Ich habe nichts dagegen: ich bin lieber ein Teufel im Bunde mit der Wahrheit, als ein Engel im Bunde mit der Lüge.

Doch wieder zurück zu unserem Gegenstande. Der Teufel ist das Negative, das Böse, das aus dem Wesen, nicht dem Willen kommt, Gott das Positive, das Gute, welches aus dem Wesen, nicht dem bewußten Willen kommt – der Teufel das unwillkürliche, unerklärliche Böse, Schlimme, Üble, Gott das unwillkürliche, unerklärliche Gute. Beide haben dieselbe Quelle – nur die Qualität ist verschieden oder entgegengesetzt. Deshalb hing auch fast bis auf die neueste Zeit der Glaube an den Teufel aufs innigste zusammen mit dem Glauben an Gott, so daß die Leugnung des Teufels ebensogut für Atheismus galt, als die Leugnung Gottes. Nicht ohne Grund; wenn man einmal anfängt, die Erscheinungen des Bösen, Üblen aus natürlichen Ursachen abzuleiten, so fängt man auch gleichzeitig an, die Erscheinungen des Guten, des Göttlichen aus der Natur der Dinge, nicht aus einem übernatürlichen Wesen abzuleiten, und kommt endlich dahin, entweder Gott ganz aufzuheben, oder wenigstens einen andern als den Gott der Religion zu glauben, oder, was das Gewöhnlichste ist, die Gottheit zu einem müßigen, tatlosen Wesen zu machen, dessen Sein gleich Nichtsein ist, indem es nicht mehr wirkend in das Leben eingreift, nur an die Spitze der Welt, an den Anfang als die erste Ursache, die prima causa hingestellt wird. Gott hat die Welt erschaffen – dies ist das einzige, was hier von Gott noch übrigbleibt. Das Perfektum ist hier notwendig; denn seitdem läuft die Welt wie eine Maschine ihren Gang fort. Der Zusatz: er schafft immer, er schafft noch heute, ist nur der Zusatz einer äußerlichen Reflexion; das Perfektum drückt hier vollkommen den religiösen Sinn aus; denn der Geist der Religion ist ein vergangener, wo die Wirkung Gottes zu einem Perfektum gemacht wird. Anders, wenn das wirklich religiöse Bewußtsein sagt: das Perfektum ist heute noch ein Präsens; hier hat dies, obwohl auch ein Produkt der Reflexion, doch einen gesetzmäßigen Sinn, weil hier Gott überhaupt handelnd gedacht wird.

Die Religion wird überhaupt aufgehoben, wo sich zwischen Gott und den Menschen die Vorstellung der Welt, der sogenannten Mittelursachen einschleicht. Hier hat sich schon ein fremdes Wesen, das Prinzip der Verstandesbildung eingeschlichen – gebrochen ist der Friede, die Harmonie der Religion, welche nur im unmittelbaren Zusammenhang des Menschen mit Gott liegt. Die Mittelursache ist eine Kapitulation des ungläubigen Verstandes mit dem noch gläubigen Herzen. Der Religion zufolge wirkt allerdings auch Gott vermittelst anderer Dinge und Wesen auf den Menschen. Aber Gott ist doch allein die Ursache, allein das handelnde und wirksame Wesen. Was dir der andere tut, das tut dir im Sinne der Religion nicht der andere, sondern Gott. Der andere ist nur Schein, Mittel, Vehikel, nicht Ursache. Aber die Mittel ursache ist ein unseliges Mittelding zwischen einem selbständigen und unselbständigen Wesen: Gott gibt wohl den ersten Anstoß; aber dann tritt ihre Selbsttätigkeit ein. Hierher gehört auch die geist- und wesenlose oder vielmehr sophistische Lehre vom Concursus Dei, wo Gott nicht nur den ersten Impuls gibt, sondern auch in der Handlung der causa secunda selbst mitwirkt. Übrigens ist diese Lehre nur eine besondere Erscheinung von dem widerspruchvollen Dualismus zwischen Gott und Natur, der sich durch die Geschichte des Christentums hindurchzieht. Über den Gegenstand dieser Anmerkung, wie überhaupt des ganzen Paragraphen siehe auch Strauß: die christliche Glaubenslehre II. B., § 75 u. 76.

Die Religion weiß überhaupt aus sich selbst nichts von dem Dasein der Mittelursachen; dieses ist ihr vielmehr der Stein des Anstoßes; denn das Reich der Mittelursachen, die Sinnenwelt, die Natur ist es gerade, welche den Menschen von Gott trennt, obgleich Gott, als wirklicher Gott, selbst wieder ein sinnliches Wesen ist. »Solange wir im Körper sind, sind wir von Gott entfernt.« Bernard (Epist. 18 in der Basler Ausgabe von 1552). Der Begriff des Jenseits ist daher nichts als der Begriff der wahren, vollendeten, von den diesseitigen Schranken und Hemmungen befreiten Religion, das Jenseits, wie schon oben gesagt, nichts als die wahre Meinung und Gesinnung, das offene Herz der Religion. Hier glauben wir; dort schauen wir; d. h. dort ist nichts außer Gott, nichts also zwischen Gott und der Seele, aber nur deswegen, weil nichts zwischen beiden sein soll, weil die unmittelbare Einheit Gottes und der Seele die wahre Meinung und Gesinnung der Religion ist. – »Wir haben noch immerdar mit Gott also zu schaffen, daß er uns verdeckt und verborgen ist, und ist nicht möglich, daß wir in diesem Leben von Angesicht zu Angesicht bloß mit ihm handeln können. – Alle Kreaturen sind itzt nichts anders denn eitel Larven, darunter sich Gott verbirgt und dadurch mit uns handelt.« Luther (T. XI. p. 70). »Wärest du allein ledig der Bilde der Kreaturen, du möchtest Gott ohne Unterlaß haben.« Tauler (L. c., p. 313). Darum glaubt die Religion, daß einst diese Scheidewand fällt. Einst ist keine Natur, keine Materie, kein Leib, wenigstens kein solcher, der den Menschen von Gott trennt: einst ist nur Gott und die fromme Seele allein. Die Religion hat nur aus der sinnlichen, natürlichen, also un- oder wenigstens nicht religiösen Anschauung Kunde vom Dasein der Mittelursachen, d. h. der Dinge, die zwischen Gott und dem Menschen sind – eine Anschauung, die sie jedoch dadurch sogleich niederschlägt, daß sie die Wirkungen der Natur zu Wirkungen Gottes macht. Dieser religiösen Idee widerspricht aber der natürliche Verstand und Sinn, welcher den natürlichen Dingen wirkliche Selbsttätigkeit einräumt. Und diesen Widerspruch der sinnlichen mit ihrer, der religiösen Anschauung löst die Religion eben dadurch, daß sie die unleugbare Wirksamkeit der Dinge zu einer Wirksamkeit Gottes vermittelst dieser Dinge macht. Das Wesen, die Hauptsache ist hier Gott, das Unwesen, die Nebensache die Welt.

Dagegen da, wo die Mittelursachen in Aktivität gesetzt, sozusagen, emanzipiert werden, da ist der umgekehrte Fall – die Natur das Wesen, Gott das Unwesen.

Die Welt ist selbständig in ihrem Sein, ihrem Bestehen, nur ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott ist hier nur ein hypothetisches, abgeleitetes, aus der Not eines beschränkten Verstandes, dem das Dasein der von ihm zu einer Maschine gemachten Welt ohne ein selbstbewegendes Prinzip unerklärlich ist, entsprungnes, kein ursprüngliches, absolut notwendiges Wesen mehr. Gott ist nicht um seinetwillen, sondern um der Welt willen da, nur darum da, um als die erste Ursache die Weltmaschine zu erklären. Der beschränkte Verstandesmensch nimmt einen Anstoß an dem ursprünglichen selbständigen Dasein der Welt, weil er sie nur vom subjektiv praktischen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als Werkmaschine, nicht in ihrer Majestät und Herrlichkeit, nicht als Kosmos ansieht. Er stößt also seinen Kopf an der Welt an. Der Stoß erschüttert sein Gehirn – und in dieser Erschütterung vergegenständlicht er denn außer sich den eignen Anstoß als den Urstoß, der die Welt ins Dasein geschleudert, daß sie nun, wie die durch den mathematischen Stoß in Bewegung gesetzte Materie, ewig fortgeht, d. h., er denkt sich einen mechanischen Ursprung. Eine Maschine muß einen Anfang haben; es liegt dies in ihrem Begriffe; denn sie hat den Grund der Bewegung nicht in sich.

Alle religiös spekulative Kosmogonie ist Tautologie – dies sehen wir auch an diesem Beispiel. In der Kosmogonie erklärt sich oder verwirklicht nur der Mensch den Begriff, den er von der Welt hat; sagt er dasselbe, was er außerdem von ihr aussagt. So hier: ist die Welt eine Maschine, so versteht es sich von selbst, daß sie »sich nicht selbst gemacht« hat, daß sie vielmehr gemacht ist, d. h. einen mechanischen Ursprung hat. Hierin stimmt allerdings das religiöse Bewußtsein mit dem mechanischen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßes Machwerk, ein Produkt des Willens ist. Aber sie stimmen nur einen Augenblick, nur im Moment des Machens oder Schaffens miteinander überein – ist dieses schöpferische Nu verschwunden, so ist auch die Harmonie vorüber. Der Mechanikus braucht Gott nur zum Machen der Welt; ist sie gemacht, so kehrt sie sogleich dem lieben Gott den Rücken, und freut sich von Herzen ihrer gottlosen Selbständigkeit. Aber die Religion macht die Welt, nur um sie immer im Bewußtsein ihrer Nichtigkeit, ihrer Abhängigkeit von Gott zu erhalten. Die Schöpfung ist bei dem Mechaniker der letzte dünne Faden, an dem die Religion mit ihm noch zusammenhängt; die Religion, welcher die Nichtigkeit der Welt eine gegenwärtige Wahrheit ist (denn alle Kraft und Tätigkeit ist ihr Gottes Kraft und Tätigkeit), ist bei ihm nur noch eine Reminiszenz aus der Jugend; er verlegt daher die Schöpfung der Welt, den Akt der Religion, das Nichtsein der Welt – denn im Anfange, vor der Erschaffung war keine Welt, war nur Gott allein – in die Ferne, in die Vergangenheit, während die Selbständigkeit der Welt, die all sein Sinnen und Trachten verschlingt, mit der Macht der Gegenwart auf ihn wirkt. Der Mechaniker unterbricht und verkürzt die Tätigkeit Gottes durch die Tätigkeit der Welt. Gott hat bei ihm wohl noch ein historisches Recht, das aber seinem Naturrecht widerspricht, er beschränkt daher soviel als möglich dieses Gott noch zustehende Recht, um für seine natürlichen Ursachen und damit für seinen Verstand um so größern und freiem Spielraum zu gewinnen.

Es hat mit der Schöpfung im Sinne des Mechanikers dieselbe Bewandtnis, wie mit den Wundern, die er sich auch gefallen lassen kann und wirklich gefallen läßt, weil sie einmal existieren, wenigstens in der religiösen Meinung. Aber – abgesehen davon, daß er sich die Wunder natürlich, d. h. mechanisch erklärt – er kann die Wunder nur verdauen, wenn und indem er sie in die Vergangenheit verlegt; für die Gegenwart aber bittet er sich alles hübsch natürlich aus. Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren, etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, sondern nur glaubt, weil es geglaubt wird oder aus irgendeinem Grunde geglaubt werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner ist, so verlegt man auch äußerlich den Gegenstand des Glaubens in die Vergangenheit. Dadurch macht sich der Unglaube Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenigstens historisches, Recht. Die Vergangenheit ist hier das glückliche Auskunftsmittel zwischen Glaube und Unglaube: ich glaube allerdings Wunder, aber nota bene keine Wunder, die geschehen, sondern einst geschehen sind, die gottlob! bereits lauter Plusquamperfekta sind. So auch hier. Die Schöpfung ist eine unmittelbare Handlung oder Wirkung Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott. In der Vorstellung der Schöpfung geht der Mensch über die Welt hinaus, abstrahiert von ihr; er stellt sie sich im Momente der Erschaffung vor als nichtseiend; er wischt sich also aus den Augen, was zwischen ihm und Gott in der Mitte steht, die Sinnenwelt; er setzt sich in unmittelbare Berührung mit Gott. Aber der Mechaniker scheut diesen unmittelbaren Kontakt mit der Gottheit; er macht daher das Präsens, wenn er sich anders so hoch versteigt, sogleich zu einem Perfektum; er schiebt Jahrtausende zwischen seine natürliche oder materialistische Anschauung und zwischen den Gedanken einer unmittelbaren Wirkung Gottes ein.

Im Sinne der Religion dagegen ist Gott allein die Ursache aller positiven, guten Wirkungen, Eigentlich auch aller negativen, bösen, schädlichen, menschenfeindlichen Wirkungen, denn auch diese geschehen, wie sich die sophistische Theologie ausdrückt, nur mit Erlaubnis Gottes; ja der Teufel, der Urheber alles Bösen und Üblen, ist eigentlich nichts als der böse Gott, der Zorn Gottes, personifiziert, vorgestellt als ein besonderes Wesen, der Zorn Gottes daher die Ursache alles Übels. »Die Greuelszenen der Geschichte (z. B. von Jerusalem, Utika) sollen uns an den Zorn Gottes erinnern und bewegen, durch wahre Buße und inbrünstige Anrufung Gott zu erweichenMelanchth. (Declam. T. III. p. 29). Gott allein der letzte aber auch einzige Grund, womit sie alle Fragen, welche die Theorie oder Vernunft aufwirft, beantwortet oder vielmehr abweist; denn die Religion bejaht alle Fragen mit Nein: sie gibt eine Antwort, die ebensoviel sagt wie keine, indem sie die verschiedensten Fragen immer mit der nämlichen Antwort erledigt, alle Wirkungen der Natur zu unmittelbaren Wirkungen Gottes, zu Wirkungen eines absichtlichen, persönlichen, außer- oder übernatürlichen Wesens macht. Gott ist der den Mangel der Theorie ersetzende Begriff. Er ist die Erklärung des Unerklärlichen, die nichts erklärt, weil sie alles ohne Unterschied erklären soll – er ist die Nacht der Theorie, die aber dadurch alles dem Gemüte klar macht, daß in ihr das Maß der Finsternis, das unterscheidende Verstandeslicht ausgeht – das Nichtwissen, das alle Zweifel löst, weil es alle niederschlägt, alles weiß, weil es nichts Bestimmtes weiß, weil alle Dinge, die der Vernunft imponieren, vor der Religion verschwinden, ihre Individualität verlieren, im Auge der göttlichen Macht nichts sind. Die Nacht ist die Mutter der Religion.

Der wesentliche Akt der Religion, in dem sie betätigt, was wir als ihr Wesen bezeichneten, ist das Gebet. Das Gebet ist allmächtig. Was der Fromme im Gebete ersehnt, erfüllt Gott. Er bittet aber nicht etwa um geistige Dinge nur, Nur der Unglaube an das Gebet hat das Gebet schlauerweise nur auf Geistiges eingeschränkt. er bittet auch um Dinge, die außer ihm liegen, in der Macht der Natur stehen, eine Macht, die er eben im Gebete überwinden will; er greift im Gebet zu einem übernatürlichen Mittel, um an sich natürliche Zwecke zu erreichen. Gott ist ihm nicht die entfernte, erste, sondern die unmittelbare, allernächste wirkende Ursache aller natürlichen Wirkungen. Alle sogenannten Mittelkräfte und Mittelursachen sind ihm im Gebete Nichts; wären sie ihm Etwas, so würde daran die Macht, die Inbrunst des Gebetes scheitern. Sie sind ihm vielmehr gar nicht Gegenstand; sonst würde er ja nur auf vermitteltem Wege seinen Zweck zu erreichen suchen. Aber er will unmittelbare Hülfe. Er nimmt seine Zuflucht zum Gebete in der Gewißheit, daß er durchs Gebet mehr, unendlich mehr vermag als durch alle Anstrengung und Tätigkeit der Vernunft und Natur, daß das Gebet übermenschliche und übernatürliche Kräfte besitzt. In der rohsinnlichen Vorstellung ist daher das Gebet ein Zwangs- oder Zaubermittel. Diese Vorstellung ist aber eine unchristliche (obwohl sich auch bei vielen Christen die Behauptung findet, daß das Gebet Gott zwingt), denn im Christentum ist Gott an und für sich das selbstbefriedigte Gemüt, die nichts dem (natürlich religiösen) Gemüte abschlagende Allmacht der Güte. Der Vorstellung des Zwangs liegt aber ein gemütloser Gott zugrunde. Aber im Gebet wendet er sich unmittelbar an Gott. Gott ist ihm also die unmittelbare Ursache, das erfüllte Gebet, die Macht, die das Gebet verwirklicht. Aber eine unmittelbare Wirkung Gottes ist ein Wunder – das Wunder liegt daher wesentlich in der Anschauung der Religion. Die Religion erklärt alles auf wunderbare Weise. Daß Wunder nicht immer geschehen, das versteht sich von selbst, wie, daß der Mensch nicht immer betet. Aber daß nicht immer Wunder geschehen, das liegt außer dem Wesen der Religion, nur in der natürlichen oder sinnlichen Anschauung. Wo aber die Religion beginnt, beginnt das Wunder. Jedes wahre Gebet ist ein Wunder, ein Akt der wundertätigen Kraft. Das äußerliche Wunder selbst macht nur sichtbar die innerlichen Wunder, d. h. in ihm tritt nur in Zeit und Raum, darum als ein besonderes Faktum ein, was an und für sich in der Grundanschauung der Religion liegt, nämlich daß Gott überhaupt die übernatürliche, unmittelbare Ursache aller Dinge ist. Das faktische Wunder ist nur ein affektvoller Ausdruck der Religion – ein Moment der Aufregung. Die Wunder ereignen sich nur in außerordentlichen Fällen, in solchen, wo das Gemüt exaltiert ist – daher gibt es auch Wunder des Zorns. Mit kaltem Blute wird kein Wunder verrichtet. Aber eben im Affekt offenbart sich das Innerste. Der Mensch betet auch nicht immer mit gleicher Wärme und Kraft. Solche Gebete sind deswegen erfolglos. Aber nur das gefühlvolle Gebet offenbart das Wesen des Gebetes. Gebetet wird, wo das Gebet an und für sich für eine heilige Macht, eine göttliche Kraft gilt. So ist es auch mit dem Wunder. Wunder geschehen – gleichviel, ob wenige oder viele –, wo eine wunderbare Anschauung die Grundlage ist. Das Wunder ist aber keine theoretische oder objektive Anschauung von der Welt und Natur; das Wunder befriedigt praktische Bedürfnisse und zwar im Widerspruch mit den Gesetzen, die der Vernunft imponieren; im Wunder unterwirft der Mensch die Natur als eine für sich selbst nichtige Existenz seinen Zwecken; das Wunder ist der höchste Grad des geistlichen oder religiösen Egoismus; alle Dinge stehen im Wunder dem notleidenden Menschen zu Diensten. Also erhellt hieraus, daß die wesentliche Weltanschauung der Religion die Anschauung vom praktischen oder subjektiven Standpunkt aus ist, daß Gott – denn das Wesen der Wundermacht ist eins mit dem Wesen Gottes – ein rein praktisches oder subjektives Wesen ist, aber ein solches, welches den Mangel und das Bedürfnis der theoretischen Anschauung ersetzt, kein Gegenstand also des Denkens, des Erkennens, sowenig als das Wunder, welches nur dem Nicht-Denken seinen Ursprung verdankt. Stelle ich mich auf den Standpunkt des Denkens, des Forschens, der Theorie, wo ich die Dinge an sich selbst, in ihrer Beziehung auf sich betrachte, so verschwindet mir in nichts das wundertätige Wesen, in nichts das Wunder – versteht sich, das religiöse Wunder, welches absolut verschieden ist vom natürlichen Wunder, ob man gleich beide immer miteinander verwechselt, um die Vernunft zu betören, unter dem Scheine der Natürlichkeit das religiöse Wunder in das Reich der Vernünftigkeit und Wirklichkeit einzuführen.

Aber eben deswegen, weil die Religion nichts weiß von dem Standpunkt, von dem Wesen der Theorie, so bestimmt sich für sie das ihr verborgene, nur dem theoretischen Auge gegenständliche, wahre, allgemeine Wesen der Natur und Menschheit zu einem andern, wunderbaren, übernatürlichen Wesender Begriff der Gattung zum Begriffe Gottes, der selbst wieder ein individuelles Wesen ist, aber sich dadurch von den menschlichen Individuen unterscheidet, daß er die Eigenschaften derselben im Maße der Gattung besitzt. Notwendig setzt daher in der Religion der Mensch sein Wesen außer sich, sein Wesen als ein andres Wesen – notwendig, weil das Wesen der Theorie außer ihm liegt, weil all sein bewußtes Wesen aufgeht in die praktische Subjektivität. Gott ist sein anderes Ich, seine andere verlorne Hälfte; in Gott ergänzt er sich; in Gott ist er erst vollkommner Mensch. Gott ist ihm ein Bedürfnis; es fehlt ihm etwas, ohne zu wissen, was ihm fehlt – Gott ist dieses fehlende Etwas, Gott ihm unentbehrlich; Gott gehört zu seinem Wesen. Die Welt ist der Religion Nichts »Ohne die göttliche Vorsehung und Macht ist die Natur NichtsLactantius (Div. Inst. lib. 3. c. 28). »Alles Erschaffene ist, obgleich von Gott sehr gut gemacht, doch im Vergleich zum Schöpfer nicht gut, gleichwie es auch im Vergleich zu ihm nicht ist, denn er schreibt nur sich das Sein im höchsten und eigentlichsten Sinn zu, indem er sagt: Ich bin der ich binAugustinus (De perfect. just. hom. c. 14). – die Welt, die nichts andres ist als der Inbegriff der Wirklichkeit, in ihrer Herrlichkeit offenbart nur die Theorie; die theoretischen Freuden sind die schönsten geistigen Lebensfreuden; aber die Religion weiß nichts von den Freuden des Denkers, nichts von den Freuden des Naturforschers, nichts von den Freuden des Künstlers. Ihr fehlt die Anschauung des Universums, das Bewußtsein des wirklichen Unendlichen, das Bewußtsein der Gattung. Nur in Gott ergänzt sie den Mangel des Lebens, den Mangel eines wesenhaften Inhalts, den in unendlicher Fülle das wirkliche Leben der vernünftigen Anschauung darbietet. Gott ist ihr der Ersatz der verlornen Welt – Gott ist ihr die reine Anschauung, das Leben der Theorie.

Die praktische Anschauung ist eine schmutzige, vom Egoismus befleckte Anschauung, denn ich verhalte mich in ihr zu einem Dinge nur um meinetwillen – eine nicht in sich befriedigte Anschauung, denn ich verhalte mich hier zu einem mir nicht ebenbürtigen Gegenstand. Die theoretische Anschauung dagegen ist eine freudenvolle, in sich befriedigte, selige Anschauung, denn ihr ist der Gegenstand ein Gegenstand der Liebe und Bewunderung, er strahlt im Lichte der freien Intelligenz wunderherrlich, wie ein Diamant, durchsichtig, wie ein Bergkristall; die Anschauung der Theorie ist eine ästhetische Anschauung, die praktische dagegen eine unästhetische. Die Religion ergänzt daher in Gott den Mangel der ästhetischen Anschauung. Nichtig ist ihr die Welt für sich selbst, die Bewunderung, die Anschauung derselben Götzendienst; denn die Welt ist ihr ein bloßes Machwerk. »Schöne und mannigfaltige Formen, glänzende und anmutige Farben lieben die Augen. Nicht sollen aber diese Dinge meine Seele fessele; sie fessele nur Gott, der sie gemacht hat; sie sind zwar sehr gut, weil von ihm gemacht, doch nur Er selbst ist mein Gut, nicht diese Dinge.« Augustin (Confess. lib. X. c. 34). »Die Schrift verbietet uns 2. Korinth. 4, 18, unsern Sinn auf das Sichtbare zu richten. Gott allein ist daher zu lieben, diese ganze Welt aber, d.h. alles Sinnliche, ist zu verachten, jedoch zur Notdurft dieses Lebens zu gebrauchen.« Ders. (De Moribus Eccl. cathol. lib. I. c. 20). Gott ist daher die reine, unbeschmutzte, d.i. theoretische oder ästhetische Anschauung. Gott ist das Objekt, zu dem sich der religiöse Mensch objektiv verhält; in Gott ist ihm der Gegenstand um sein selbst willen Gegenstand. Gott ist Selbstzweck; Gott hat also für die Religion die Bedeutung, welche für die Theorie der Gegenstand überhaupt hat. Das allgemeine Wesen der Theorie ist der Religion ein besonderes Wesen.


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