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Das ehelose, überhaupt asketische Leben ist der direkte Weg zum himmlischen unsterblichen Leben, denn der Himmel ist nichts andres als das übernatürliche, gattungsfreie, geschlechtlose, absolut subjektive Leben. Dem Glauben an die persönliche Unsterblichkeit liegt der Glaube zugrunde, daß der Geschlechtsunterschied nur ein äußerlicher Anflug der Individualität, daß an sich das Individuum ein geschlechtloses, für sich selbst vollständiges, absolutes Wesen ist. Wer aber keinem Geschlecht angehört, gehört keiner Gattung an – die Geschlechtsverschiedenheit ist die Nabelschnur, durch welche die Individualität mit der Gattung zusammenhängt –, und wer keiner Gattung angehört, der gehört nur sich selbst an, ist ein schlechthin bedürfnisloses, göttliches, absolutes Wesen. Nur da daher, wo die Gattung aus dem Bewußtsein verschwindet, wird das himmlische Leben zur Gewißheit. Wer im Bewußtsein der Gattung und folglich ihrer Wahrheit lebt, der lebt auch im Bewußtsein der Wahrheit der Geschlechtsbestimmtheit. Er betrachtet dieselbe nicht als einen mechanisch eingesprengten zufälligen Stein des Anstoßes; er betrachtet sie als einen innigen, einen chemischen Bestandteil seines Wesens. Er weiß sich wohl als Mensch, aber zugleich in der Bestimmtheit des Geschlechts, die nicht nur Mark und Bein durchdringt, sondern auch sein innerstes Selbst, die wesentliche Art seines Denkens, Wollens, Empfindens bestimmt. Wer daher im Bewußtsein der Gattung lebt, wer sein Gemüt und seine Phantasie beschränkt, bestimmt durch die Anschauung des wirklichen Lebens, des wirklichen Menschen, der kann sich kein Leben denken, wo das Gattungsleben und damit der Geschlechtsunterschied aufgehoben ist: er hält das geschlechtlose Individuum, den himmlischen Geist für eine gemütliche Vorstellung der Phantasie.
Aber ebensowenig, wie von dem Geschlechtsunterschiede, kann der wahre Mensch von seiner sittlichen oder geistigen Bestimmtheit, die ja aufs innigste mit seiner natürlichen Bestimmtheit zusammenhängt, abstrahieren. Eben, weil er in der Anschauung des Ganzen lebt, so lebt er in der Anschauung seiner nur als eines Teilwesens, das nur ist, was es ist, durch die Bestimmtheit, die es eben zum Teil des Ganzen oder zu einem relativen Ganzen macht. Jeder hält daher mit Recht sein Geschäft, seinen Stand, seine Kunst oder Wissenschaft für die höchste: denn der Geist des Menschen ist nichts als die wesentliche Art seiner Tätigkeit. Wer etwas Tüchtiges in seinem Stande, seiner Kunst ist, wer, wie man im Leben sagt, seinen Posten ausfüllt, mit Leib und Leben seinem Berufe ergeben ist, der denkt sich auch seinen Beruf als den höchsten und schönsten. Wie sollte er in seinem Geiste verleugnen, in seinem Denken erniedrigen, was er durch die Tat zelebriert, indem er mit Freuden demselben seine Kräfte weiht? Was ich gering schätze, wie kann ich dem meine Zeit, meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, so ist meine Tätigkeit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir selbst. Arbeiten ist Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenstand dienen, mich ihm unterwerfen, wenn er mir nicht im Geiste hoch steht? Kurz, die Beschäftigungen bestimmen das Urteil, die Denkart, die Gesinnung des Menschen. Und je höher die Art der Beschäftigung, desto mehr identifiziert sich der Mensch damit. Was überhaupt der Mensch zum wesentlichen Zweck seines Lebens macht, das erklärt er für seine Seele; denn es ist das Prinzip der Bewegung in ihm. Durch seine Zwecke, durch die Tätigkeit, in welcher er diese Zwecke verwirklicht, ist aber der Mensch zugleich, wie etwas für sich, so etwas für andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer daher in dem Bewußtsein der Gattung als einer Wahrheit lebt, der hält sein Sein für andere, sein öffentliches, gemeinnütziges Sein für das Sein, welches eins ist mit dem Sein seines Wesens, für sein unsterbliches Sein. Er lebt mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menschheit. Wie könnte er eine besondere Existenz für sich noch im Rückhalt haben, wie sich von der Menschheit scheiden? wie im Tode verleugnen, was er im Leben bekräftigte?
Das himmlische Leben oder – was wir hier nicht unterscheiden – die persönliche Unsterblichkeit ist eine charakteristische Lehre des Christentums. Allerdings findet sie sich zum Teil auch schon bei den heidnischen Philosophen, aber hier hat sie nur die Bedeutung einer Phantasie, weil sie nicht mit ihrer Grundanschauung zusammenhing. Wie widersprechend äußern sich nicht z. B. die Stoiker über diesen Gegenstand! Erst bei den Christen fand die persönliche Unsterblichkeit das Prinzip, woraus sie sich mit Notwendigkeit als eine sich von selbst verstehende Wahrheit ergibt. Den Alten kam die Anschauung der Welt, der Natur, der Gattung stets in die Quere, sie unterschieden zwischen dem Lebensprinzip und dem lebenden Subjekt, zwischen der Seele, dem Geiste und sich selbst; während der Christ den Unterschied zwischen Seele und Person, Gattung und Individuum aufhob, unmittelbar in sich selbst daher setzte, was nur der Totalität der Gattung angehört. Aber die unmittelbare Einheit der Gattung und Individualität ist eben das höchste Prinzip, der Gott des Christentums – das Individuum hat in ihm die Bedeutung des absoluten Wesens – und die notwendige Folge dieses Prinzips eben die persönliche Unsterblichkeit.
Oder vielmehr: der Glaube an die persönliche Unsterblichkeit ist ganz identisch mit dem Glauben an den persönlichen Gott – d. h. dasselbe, was der Glaube an das himmlische, unsterbliche Leben der Person ausdrückt, dasselbe drückt Gott aus, wie er den Christen Gegenstand ist – das Wesen der absoluten, uneingeschränkten Persönlichkeit. Die uneingeschränkte Persönlichkeit ist Gott, aber die himmlische, unsterbliche Persönlichkeit ist selbst nichts andres als die uneingeschränkte, die von allen irdischen Beschwerden und Schranken erledigte Persönlichkeit – der Unterschied nur der, daß Gott der geistige Himmel, der Himmel der sinnliche Gott ist, daß in Gott gedacht wird, was im Himmel als ein Objekt der Phantasie gesetzt wird. Gott ist nur der unentwickelte Himmel, der wirkliche Himmel der entwickelte Gott. Gegenwärtig ist Gott das Himmelreich, in Zukunft der Himmel Gott. Gott ist die Bürgschaft, die, aber noch abstrakte, Gegenwart und Existenz der Zukunft – der antizipierte, kompendiöse Himmel. Unser eignes zukünftiges, aber von uns, wie wir gegenwärtig in dieser Welt, in diesem Leibe existieren, unterschiednes, nur ideal gegenständliches Wesen ist Gott – Gott ist der Gattungsbegriff, der sich dort erst verwirklichen, individualisieren wird. Gott ist die himmlische, reine, freie Wesenheit, die dort als himmlische, reine Wesen existieren wird, die Seligkeit, die dort in einer Fülle seliger Individuen sich entfaltet. Gott ist also nichts andres als der Begriff oder das Wesen des absoluten, des seligen, himmlischen Lebens, das aber hier selbst noch zusammengefaßt wird in eine ideale Persönlichkeit. Deutlich genug ist dies ausgesprochen in dem Glauben, daß das selige Leben die Einheit mit Gott ist. Hier sind wir unterschieden und getrennt von Gott, dort fällt die Scheidewand; hier sind wir Menschen, dort Götter; hier ist die Gottheit ein Monopol, dort ein Gemeingut; hier eine abstrakte Einheit, dort eine konkrete Vielheit. »Schön, sagt die Schrift (1. Johann. 3, 2), daß wir dann Gott sehen werden, wie er ist, wenn wir ihm gleich sein, d. h. das sein werden, was er selbst ist; denn welchen die Macht gegeben ist, Gottes Söhne zu werden, denen ist auch die Macht gegeben, daß sie zwar nicht Gott sind, aber doch sind, was Gott ist.« De Vita solit. (Pseudo-Bernhard.) »Der Zweck des guten Willens ist die Seligkeit: das ewige Leben aber Gott selbst.« Augustinus (bei Petrus Lomb. lib. II. dist. 38. c. 1). »Die Seligkeit ist die Gottheit selbst, jeder Selige also ein Gott.« Boethius (De consol. Phil. lib. III. Prosa 10). » Seligkeit und Gott sind dasselbe.« Thomas Aq. (Summa cont. Gentiles. Lib. I. c. 101). »Der andere Mensch wird erneuert werden in das geistliche Leben, er wird Gott gleich sein, im Leben, in Gerechtigkeit, Herrlichkeit, Weisheit.« Luther (T. I. p. 324).
Was die Erkenntnis dieses Gegenstandes erschwert, ist nur die Phantasie, welche einerseits durch die Vorstellung der Persönlichkeit und Selbständigkeit Gottes, anderseits durch die Vorstellung der vielen Persönlichkeiten, welche sie zugleich gewöhnlich in ein mit sinnlichen Farben ausgemaltes Reich verlegt, die Einheit des Begriffs auseinandertrennt. Aber in Wahrheit ist kein Unterschied zwischen dem absoluten Leben, welches als Gott, und dem absoluten Leben, welches als der Himmel gedacht wird, nur daß im Himmel in die Länge und Breite ausgedehnt wird, was in Gott in einen Punkt zusammengedrängt ist. Der Glaube an die Unsterblichkeit des Menschen ist der Glaube an die Göttlichkeit des Menschen, und umgekehrt, der Glaube an Gott der Glaube an die reine, von allen Schranken erlöste und folglich eben damit unsterbliche Persönlichkeit. Die Unterschiede, die man setzt zwischen der unsterblichen Seele und Gott, sind entweder nur sophistische oder phantastische, wie wenn man z. B. die Seligkeit der Himmelsbewohner wieder in Schranken einschließt, in Grade einteilt, um einen Unterschied zwischen Gott und den himmlischen Wesen zu etablieren.
Die Einheit der göttlichen und himmlischen Persönlichkeit erscheint selbst in den populären Beweisen der Unsterblichkeit. Wenn kein andres besseres Leben ist, so ist Gott nicht gerecht und gut. Die Gerechtigkeit und Güte Gottes wird so abhängig gemacht von der Fortdauer der Individuen; aber ohne Gerechtigkeit und Güte ist Gott nicht Gott – die Gottheit, die Existenz Gottes wird daher abhängig gemacht von der Existenz der Individuen. Wenn ich nicht unsterblich bin, so glaube ich keinen Gott; wer die Unsterblichkeit leugnet, leugnet Gott. Aber das kann ich unmöglich glauben: so gewiß Gott ist, so gewiß ist meine Seligkeit. Gott ist mir eben die Gewißheit meiner Seligkeit. Das Interesse, daß Gott ist, ist eins mit dem Interesse, daß ich bin, ewig bin. Gott ist meine geborgne, meine gewisse Existenz: er ist die Subjektivität der Subjekte, die Persönlichkeit der Personen. Wie sollte daher den Personen nicht zukommen, was der Persönlichkeit zukommt? In Gott mache ich eben mein Futurum zu einem Präsens oder vielmehr ein Zeitwort zu einem Substantiv; wie sollte sich eins vom andern trennen lassen? Gott ist die meinen Wünschen und Gefühlen entsprechende Existenz: er ist der Gerechte, der Gütige, der meine Wünsche erfüllt. Die Natur, diese Welt ist eine meinen Wünschen, meinen Gefühlen widersprechende Existenz. Hier ist es nicht so, wie es sein soll – diese Welt vergeht –, Gott aber ist das Sein, welches so ist, wie es sein soll. Gott erfüllt meine Wünsche – dies ist nur populäre Personifikation des Satzes: Gott ist der Erfüller, d. i. die Wirklichkeit, das Erfülltsein meiner Wünsche. »Wenn ein unverwüstlicher Körper ein Gut für uns ist, warum wollen wir daran zweifeln, daß Gott einen solchen uns machen werde?« Augustinus (Opp. Antwerp. 1700, T. V. p. 698). Aber der Himmel ist eben das meinen Wünschen, meiner Sehnsucht entsprechende Sein »Der himmlische Körper heißt ein geistiger Leib, weil er dem Willen des Geistes sich fügen wird. Nichts wird dir aus dir selbst widersprechen, nichts sich in dir gegen dich empören. Wo du sein willst, wirst du in demselben Moment sein.« Augustinus (L. c, p. 705, 703). »Nichts Garstiges wird dort sein, nichts Feindseliges, nichts Uneiniges, nichts Mißgestaltetes, nichts den Anblick Beleidigendes.« Ders. (L. c. 707). »Nur der Selige lebt, wie er will.« Ders. (De Civil. Dci. Hb. 10. c. 25). – also kein Unterschied zwischen Gott und Himmel. Gott ist die Kraft, durch die der Mensch seine ewige Glückseligkeit verwirklicht – Gott die absolute Persönlichkeit, in der alle einzelnen Personen die Gewißheit ihrer Seligkeit und Unsterblichkeit haben – Gott die höchste letzte Gewißheit des Menschen von der absoluten Wahrheit seines Wesens.
Die Unsterblichkeitslehre ist die Schlußlehre der Religion – ihr Testament, worin sie ihren letzten Willen äußert. Hier spricht sie darum unverhohlen aus, was sie sonst verschweigt. Wenn es sich sonst um die Existenz eines andern Wesens handelt, so handelt es sich hier offenbar nur um die eigne Existenz; wenn außerdem der Mensch in der Religion sein Sein vom Sein Gottes abhängig macht, so macht er hier die Existenz Gottes von seiner eignen abhängig; was ihm sonst die primitive, unmittelbare Wahrheit, das ist ihm daher hier eine abgeleitete, sekundäre Wahrheit: wenn ich nicht ewig bin, so ist Gott nicht Gott, wenn keine Unsterblichkeit, so ist kein Gott. Und diesen Schluß hat schon der Apostel gemacht. Wenn wir nicht auferstehen, so ist Christus nicht auferstanden und Alles ist Nichts. Edite, bibite. Allerdings kann man das scheinbar oder wirklich Anstößige, was in den populären Beweisen liegt, beseitigen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch, daß man die Unsterblichkeit zu einer analytischen Wahrheit macht, so daß eben der Begriff Gottes, als der absoluten Persönlichkeit oder Subjektivität, von selbst schon der Begriff der Unsterblichkeit ist. Gott ist die Bürgschaft meiner zukünftigen Existenz, weil er schon die Gewißheit und Wahrheit meiner gegenwärtigen Existenz, mein Heil, mein Trost, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt ist; ich brauche also die Unsterblichkeit gar nicht ausdrücklich zu folgern, nicht als eine aparte Wahrheit herauszustellen; habe ich Gott, so habe ich Unsterblichkeit. So war es bei den tiefern christlichen Mystikern, ihnen ging der Begriff der Unsterblichkeit in dem Begriffe Gottes auf: Gott war ihnen ihr unsterbliches Leben – Gott selbst die subjektive Seligkeit, also das für sie, für ihr Bewußtsein, was er an sich selbst, d.i. im Wesen der Religion ist.
Somit ist bewiesen, daß Gott der Himmel ist, daß beide dasselbe sind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis gewesen, nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menschen ist. Wie der Mensch seinen Himmel denkt, so denkt er seinen Gott; die Inhaltsbestimmtheit seines Himmels ist die Inhaltsbestimmtheit seines Gottes, nur daß im Himmel sinnlich ausgemalt, ausgeführt wird, was in Gott nur Entwurf, Konzept ist. Der Himmel ist daher der Schlüssel zu den innersten Geheimnissen der Religion. Wie der Himmel objektiv das aufgeschlossene Wesen der Gottheit, so ist er auch subjektiv die offenherzigste Aussprache der innersten Gedanken und Gesinnungen der Religion. Daher sind die Religionen so verschieden, als die Himmelreiche, und so viel unterschiedne Himmelreiche, als wesentliche Menschenunterschiede sind. Auch die Christen selbst denken sich sehr verschiedenartig den Himmel. Und ebenso verschiedenartig ihren Gott. So haben die frommen christlichen Deutschtümler einen »deutschen Gott«, notwendig also auch die frommen Spanier einen spanischen Gott, die Franzosen einen französischen Gott. Die Franzosen sagen wirklich sprüchwörtlich: Le bon Dieu est Francais. In der Tat existiert auch so lange Vielgötterei, solange es viele Völker gibt. Der wirkliche Gott eines Volks ist der Point d'honneur seiner Nationalität.
Nur die Pfiffigen unter ihnen denken und sagen gar nichts Bestimmtes über den Himmel oder das Jenseits überhaupt, weil es unbegreiflich sei und daher immer nur nach einem diesseitigen, nur für das Diesseits gültigen Maßstab gedacht werde. Alle Vorstellungen hienieden seien nur Bilder, mit denen sich der Mensch das seinem Wesen nach unbekannte, aber seiner Existenz nach gewisse Jenseits vergegenwärtige. Es ist hier ebenso wie mit Gott: das Dasein Gottes sei gewiß – aber was er sei oder wie er sei, das sei unerforschlich. Aber wer so spricht, der hat sich das Jenseits schon aus dem Kopfe geschlagen; er hält es nur noch fest, entweder weil er über solche Dinge gar nicht denkt, oder weil es ihm nur noch ein Herzensbedürfnis ist, aber er schiebt es, zu sehr erfüllt mit wirklichen Dingen, so weit als möglich sich aus dem Gesichte; er verneint mit seinem Kopfe, was er mit seinem Herzen bejaht; denn er verneint das Jenseits, indem er demselben seine Beschaffenheiten nimmt, durch die es allein ein für den Menschen wirklicher und wirksamer Gegenstand ist. Die Qualität ist nicht vom Sein unterschieden – die Qualität ist nichts als das wirkliche Sein. Sein ohne Beschaffenheit ist eine Chimäre – ein Gespenst. Durch die Qualität wird mir erst das Sein gegeben; nicht erst das Sein und hintendrein die Qualität. Die Lehre von der Unerkennbarkeit und Unbestimmbarkeit Gottes, wie die von der Unerforschlichkeit des Jenseits sind daher keine ursprünglich religiösen Lehren: sie sind vielmehr Produkte der Irreligiosität, die aber selbst noch in der Religion befangen ist oder vielmehr hinter die Religion sich versteckt, und zwar eben deswegen, weil ursprünglich das Sein Gottes nur mit einer bestimmten Vorstellung Gottes, das Sein des Jenseits nur mit einer bestimmten Vorstellung desselben gegeben ist. So ist dem Christen nur die Existenz seines Paradieses, des Paradieses, welches die Qualität der Christlichkeit hat, nicht aber das Paradies der Muhamedaner oder das Elysium der Griechen eine Gewißheit. Die erste Gewißheit ist überall die Qualität; das Sein versteht sich von selbst, wenn einmal die Qualität gewiß ist. Im Neuen Testament kommen keine Beweise oder solche allgemeine Sätze vor, worin es heißt: es ist ein Gott, oder es ist ein himmlisches Leben; sondern es werden nur Beschaffenheiten aus dem Leben des Himmels angeführt: »dort werden sie nicht freien.« Das ist natürlich, kann man entgegnen, weil schon das Sein vorausgesetzt ist. Allein man trägt hier schon eine Distinktion der Reflexion in den ursprünglich nichts von dieser Distinktion wissenden religiösen Sinn hinein. Freilich ist das Sein vorausgesetzt, aber nur weil die Qualität schon das Sein ist, weil das ungebrochne religiöse Gemüt nur in der Qualität lebt, gleichwie dem natürlichen Menschen nur in der Qualität, die er empfindet, das wirkliche Sein, das Ding an sich liegt. So ist in jener neutestamentlichen Stelle das jungfräuliche oder vielmehr geschlechtslose Leben als das wahre Leben vorausgesetzt, das jedoch notwendig zu einem zukünftigen wird, weil dieses wirkliche Leben dem Ideal des wahren Lebens widerspricht. Aber die Gewißheit dieses zukünftigen Lebens liegt nur in der Gewißheit von der Beschaffenheit dieser Zukunft als des wahren, höchsten, dem Ideal entsprechenden Lebens.
Wo das jenseitige Leben wirklich geglaubt wird, wo es ein gewisses Leben, da ist es, eben weil ein gewisses, auch bestimmtes. Wenn ich nicht weiß, was und wie ich einst bin, wenn ein wesentlicher, absoluter Unterschied zwischen meiner Zukunft und Gegenwart ist, so weiß ich auch einst nicht, was und wie ich ehedem war, so ist die Einheit des Bewußtseins aufgehoben, ein andres Wesen dort an meine Stelle getreten, mein künftiges Sein in der Tat nicht vom Nichtsein unterschieden. Ist dagegen kein wesentlicher Unterschied, so ist auch das Jenseits ein von mir bestimmbarer und erkennbarer Gegenstand. Und so ist es auch wirklich: ich bin das bleibende Wesen in dem Wechsel der Beschaffenheiten, ich bin die Substanz, die Diesseits und Jenseits zur Einheit verbindet. Wie sollte mir also das Jenseits unklar sein? Im Gegenteil: das Leben dieser Welt ist das dunkle, unbegreifliche Leben, das erst durch das Jenseits klar und licht wird; hier bin ich ein vermummtes, verwickeltes Wesen; dort fällt die Maske: dort bin ich, wie ich in Wahrheit bin. Die Behauptung daher, es sei wohl ein anderes, ein himmlisches Leben, aber was und wie es sei, das bleibe hier unerforschlich, ist nur eine Erfindung des religiösen Skeptizismus, der auf absolutem Mißverstand der Religion beruht, weil er sich gänzlich ihrem Wesen entfremdet hat. Das, was die irreligiös religiöse Reflexion nur zum bekannten Bilde einer unbekannten, aber dennoch gewissen Sache macht, das ist im Ursprung, im ursprünglichen wahren Sinn der Religion nicht Bild, sondern die Sache, das Wesen selbst. Der Unglaube, der zugleich noch Glaube ist, setzt die Sache in Zweifel, aber er ist zu gedankenlos und feige, sie direkt zu bezweifeln: er setzt sie nur so in Zweifel, daß er das Bild oder die Vorstellung bezweifelt, d. h. das Bild nur für ein Bild erklärt. Aber die Unwahrheit und Nichtigkeit dieses Skeptizismus ist schon historisch bewiesen. Wo man einmal zweifelt an der Wahrheit der Bilder der Unsterblichkeit, zweifelt, daß man so existieren könne, wie es der Glaube vorstellt, z. B. ohne materiellen, wirklichen Leib oder ohne Geschlecht, da zweifelt man auch bald an der jenseitigen Existenz überhaupt. Mit dem Bilde fällt die Sache – eben weil das Bild die Sache selbst ist.
Der Glaube an den Himmel oder überhaupt ein jenseitiges Leben beruht auf einem Urteil. Er spricht Lob und Tadel aus; er ist kritischer Natur; er macht eine Blumenlese aus der Flora dieser Welt. Und diese kritische Blumenlese ist eben der Himmel. Was der Mensch schön, gut, angenehm findet, das ist für ihn das Sein, welches allein sein soll; was er schlecht, garstig, unangenehm findet, das ist für ihn das Sein, welches nicht sein soll und daher, wenn und weil es dennoch ist, ein zum Untergang verdammtes, ein nichtiges ist. Wo das Leben nicht im Widerspruch gefunden wird mit einem Gefühl, einer Vorstellung, einer Idee, und dieses Gefühl, diese Idee nicht für absolut wahr und berechtigt gilt, da entsteht nicht der Glaube an ein andres, himmlisches Leben. Das andre Leben ist nichts andres als das Leben im Einklang mit dem Gefühl, mit der Idee, welcher dieses Leben widerspricht. Das Jenseits hat keine andere Bedeutung, als diesen Zwiespalt aufzuheben, einen Zustand zu verwirklichen, der dem Gefühl entspricht, in dem der Mensch mit sich im Einklang ist. Ein unbekanntes Jenseits ist eine lächerliche Chimäre: das Jenseits ist nichts weiter als die Wirklichkeit einer bekannten Idee, die Befriedigung eines bewußten Verlangens, die Erfüllung eines Wunsches: Ibi nostra spes erit res. Augustin (irgendwo). »Darum haben wir die Erstlinge des unsterblichen Lebens in der Hoffnung, bis die Vollkommenheit am jüngsten Tage herbeikommt, darinnen wir das gegläubete und gehoffete Leben fühlen und sehen werden.« Luther (Th. I, S. 459). es ist nur die Beseitigung der Schranken, die hier der Wirklichkeit der Idee im Wege stehen. Wo wäre der Trost, wo die Bedeutung des Jenseits, wenn ich in ihm in stockfinstere Nacht blickte? Nein! dort strahlt mir mit dem Glanze des gediegenen Metalls entgegen, was hier nur mit den trüben Farben des oxydierten Erzes glänzt. Das Jenseits hat keine andere Bedeutung, keinen andern Grund seines Daseins, als den, zu sein die Scheidung des Metalls von seinen beigemengten fremden Bestandteilen, die Scheidung des Guten vom Schlechten, des Angenehmen vom Unangenehmen, des Lobenswürdigen vom Tadelnswerten. Das Jenseits ist die Hochzeit, wo der Mensch den Bund mit seiner Geliebten schließt. Längst kannte er seine Braut, längst sehnte er sich nach ihr; aber äußere Verhältnisse, die gefühllose Wirklichkeit stand seiner Verbindung mit ihr entgegen. Auf der Hochzeit wird seine Geliebte nicht ein anderes Wesen; wie könnte er sonst so heiß nach ihr sich sehnen? Sie wird nur die Seinige, sie wird jetzt nur aus einem Gegenstand der Sehnsucht ein Gegenstand des wirklichen Besitzes. Das Jenseits ist hienieden allerdings nur ein Bild, aber nicht ein Bild eines fernen, unbekannten Dings, sondern ein Porträt von dem Wesen, welches der Mensch vor allen andern bevorzugt, liebt. Was der Mensch liebt, das ist seine Seele. Die Asche geliebter Toten schloß der Heide in Urnen ein; bei den Christen ist das himmlische Jenseits das Mausoleum, in das er seine Seele verschließt.
Zur Erkenntnis eines Glaubens, überhaupt der Religion, ist es notwendig, selbst die untersten, rohsten Stufen der Religion zu beachten. Man muß die Religion nicht nur in einer aufsteigenden Linie betrachten, sondern in der ganzen Breite ihrer Existenz überschauen. Man muß die verschiedenen Religionen auch bei der absoluten Religion gegenwärtig haben, nicht hinter ihr, in der Vergangenheit zurücklassen, um ebensowohl die absolute als die andern Religionen richtig würdigen und begreifen zu können. Die schrecklichsten »Verirrungen«, die wildesten Ausschweifungen des religiösen Bewußtseins lassen oft die tiefsten Blicke auch in die Geheimnisse der absoluten Religion werfen. Die scheinbar rohsten Vorstellungen sind oft nur die kindlichsten, unschuldigsten, wahrsten Vorstellungen. Dies gilt auch von den Vorstellungen des Jenseits. Der »Wilde«, dessen Bewußtsein nicht über die Grenzen seines Landes hinausgeht, der ganz mit ihm zusammengewachsen ist, nimmt auch sein Land in das Jenseits auf, und zwar so, daß er entweder die Natur läßt, wie sie ist, oder sie ausbessert, und so die Beschwerden seines Lebens in der Vorstellung des Jenseits überwindet. Ältern Reisebeschreibungen zufolge denken sich jedoch manche Völker das künftige Leben nicht identisch mit dem gegenwärtigen oder besser, sondern sogar noch elender. – Parny (Oeuv. chois. T. I. Melang.) erzählt von einem sterbenden Negersklaven, der sich die Einweihung zur Unsterblichkeit durch die Taufe mit den Worten verbat: je ne veux point d'une autre vie, car peut-être y serais – je encore votre esclave. Es liegt in dieser Beschränktheit der unkultivierten Völker ein ergreifender Zug. Das Jenseits drückt hier nichts andres aus als das Heimweh. Der Tod trennt den Menschen von den Seinigen, von seinem Volke, seinem Lande. Aber der Mensch, der sein Bewußtsein nicht erweitert hat, kann es in dieser Trennung nicht aushalten; er muß wieder zurück in sein Heimatland. Die Neger in Westindien entleibten sich, um in ihrem Vaterlande wieder aufzuleben. Es ist diese Beschränktheit das direkte Gegenteil von dem phantastischen Spiritualismus, welcher den Menschen zu einem Vagabunden macht, der, gleichgültig selbst gegen die Erde, von einem Stern zum andern läuft. Und es liegt ihr allerdings Wahrheit zugrunde. Der Mensch ist, was er ist, durch die Natur, soviel auch seiner Selbsttätigkeit angehört; aber auch seine Selbsttätigkeit hat in der Natur, respektive seiner Natur, ihren Grund. Seid dankbar gegen die Natur! Der Mensch läßt sich nicht von ihr abtrennen. Der Germane, dessen Gottheit die Selbsttätigkeit ist, verdankt seinen Charakter ebensogut seiner Natur, als der Orientale. Der Tadel der indischen Kunst, der indischen Religion und Philosophie ist ein Tadel der indischen Natur. Ihr beklagt euch über den Rezensenten, der eine Stelle in euren Werken aus dem Zusammenhang reißt, um sie dadurch dem Spotte preiszugeben. Warum tut ihr selbst, was ihr an andern tadelt? Warum reißt ihr die indische Religion aus dem Zusammenhang, in welchem sie ebenso vernünftig ist, als eure absolute Religion?
Der Glaube an ein Jenseits, an ein Leben nach dem Tode ist daher bei den »wilden« Völkern im wesentlichen nichts weiter als der direkte Glaube an das Diesseits, der unmittelbare, ungebrochne Glaube an dieses Leben. Dieses Leben hat für sie, selbst mit seinen Lokalbeschränktheiten, allen, absoluten Wert; sie können nicht davon abstrahieren, sich keine Abbrechung denken; d. h. sie glauben geradezu an die Unendlichkeit, die Unaufhörlichkeit dieses Lebens. Erst dadurch, daß der Glaube der Unsterblichkeit ein kritischer Glaube wird, daß man nämlich unterscheidet zwischen dem, was hier zurück- und dort übrigbleibt, hier vergehen, dort bestehen soll, erst dadurch gestaltet sich der Glaube an das Leben nach dem Tode zum Glauben an ein anderes Leben. Aber gleichwohl fällt auch diese Kritik, diese Unterscheidung schon in dieses Leben. So unterschieden die Christen zwischen dem natürlichen und christlichen, dem sinnlichen, weltlichen und geistlichen, heiligen Leben. Das himmlische, das andere Leben ist kein andres Leben, als das hier schon von dem nur natürlichen Leben unterschiedne, aber hier zugleich noch mit demselben behaftete geistliche Leben. Was der Christ schon hier von sich ausschließt, wie das Geschlechtsleben, das ist auch vom andern Leben ausgeschlossen. Der Unterschied ist nur, daß er dort davon frei ist, wovon er hier frei zu sein wünscht und sich durch den Willen, die Andacht, die Kasteiung frei zu machen sucht. Darum ist dieses Leben für den Christen ein Leben der Qual und Pein, weil er hier noch mit seinem Gegensatz behaftet ist, mit den Lüsten des Fleisches, den Anfechtungen des Teufels zu kämpfen hat. Der Glaube der kultivierten Völker unterscheidet sich also nur dadurch von dem Glauben der unkultivierten, wodurch sich überhaupt die Kultur von der Unkultur unterscheidet – dadurch, daß der Glaube der Kultur ein unterscheidender, aussondernder, abstrakter Glaube ist. Wo unterschieden wird, da wird geurteilt; wo aber geurteilt wird, da entsteht die Scheidung zwischen Positivem und Negativem, Gutem und Schlechtem. Der Glaube der wilden Völker ist ein Glaube ohne Urteil. Die Bildung dagegen urteilt: dem gebildeten Menschen ist nur das gebildete Leben das wahre, dem Christen das christliche. Der rohe Naturmensch tritt ohne Anstand, so wie er steht und geht, ins Jenseits ein: das Jenseits ist seine natürliche Blöße. Der Gebildete dagegen nimmt an einem solchen ungezügelten Leben nach dem Tode Anstand, weil er schon hier das ungezügelte Naturleben beanstandet. Der Glaube an das jenseitige Leben ist daher nur der Glaube an das diesseitige wahre Leben: die wesentliche Inhaltsbestimmtheit des Diesseits ist auch die wesentliche Inhaltsbestimmtheit des Jenseits; der Glaube an das Jenseits demnach kein Glaube an ein anderes unbekanntes Leben, sondern an die Wahrheit und Unendlichkeit, folglich Unaufhörlichkeit des Lebens, das schon hier für das echte Leben gilt.
Wie Gott nichts andres ist als das Wesen des Menschen, gereinigt von dem, was dem menschlichen Individuum, sei es nun im Gefühl oder Denken, als Schranke, als Übel erscheint: so ist das Jenseits nichts andres als das Diesseits, befreit von dem, was als Schranke, als Übel erscheint. So bestimmt und deutlich die Schranke als Schranke, das Übel als Übel von dem Individuum gewußt wird, ebenso bestimmt und deutlich wird von ihm das Jenseits, wo diese Schranken wegfallen, gewußt. Das Jenseits ist das Gefühl, die Vorstellung der Freiheit von den Schranken, die hier das Selbstgefühl, die Existenz des Individuums beeinträchtigen. Der Gang der Religion unterscheidet sich nur dadurch von dem Gang des natürlichen oder vernünftigen Menschen, daß sie den Weg, welchen dieser in der geraden als der kürzesten Linie macht, in einer krummen, und zwar der Kreislinie, beschreibt. Der natürliche Mensch bleibt in seiner Heimat, weil es ihm hier wohlgefällt, weil er vollkommen befriedigt ist; die Religion, die in einer Unzufriedenheit, einer Zwietracht anhebt, verläßt die Heimat, geht in die Ferne, aber nur um in der Entfernung das Glück der Heimat um so lebhafter zu empfinden. Der Mensch trennt sich in der Religion von sich selbst, aber nur, um immer wieder auf denselben Punkt zurückzukommen, von dem er ausgelaufen. Der Mensch verneint sich, aber nur um sich wieder zu setzen, und zwar jetzt in verherrlichter Gestalt. So verwirft er auch das Diesseits, aber nur um am Ende es als Jenseits wieder zu setzen. Dort wird daher alles wiederhergestellt; selbst »kein Zahn oder Nagel« wird verlorengehen. Siehe Aurelius Prudent. (Apotheos. de resurr. carnis hum.). Und dieser in euren Augen rohe, fleischliche und deswegen von euch desavouierte Glaube ist der allein konsequente, der allein redliche, der allein wahre Glaube. Zur Identität der Person gehört die Identität des Leibes. Das verlorne aber wiedergefundne und in der Freude des Wiedersehens um so heller strahlende Diesseits ist das Jenseits. Der religiöse Mensch gibt die Freuden dieser Welt auf; aber nur um dafür die himmlischen Freuden zu gewinnen, oder vielmehr er gibt sie deswegen auf, weil er schon in dem wenigstens geistigen Besitze der himmlischen Freuden ist. Und die himmlischen Freuden sind dieselben, wie hier, nur befreit von den Schranken und Widerwärtigkeiten dieses Lebens. Die Religion kommt so, aber auf einem Umweg, zu dem Ziele, dem Ziele der Freude, worauf der natürliche Mensch in gerader Linie zueilt. Das Wesen im Bilde ist das Wesen der Religion. Die Religion opfert die Sache dem Bilde auf. Das Jenseits ist das Diesseits im Spiegel der Phantasie – das bezaubernde Bild, im Sinne der Religion das Urbild des Diesseits: dieses wirkliche Leben nur ein Schein, ein Schimmer jenes geistigen, bildlichen Lebens. Das Jenseits ist das im Bilde angeschaute, von aller groben Materie gereinigte – verschönerte Diesseits.
Die Verschönerung, die Verbesserung setzt einen Tadel, ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen ist nur ein oberflächliches. Ich spreche der Sache nicht Wert ab; nur so, wie sie ist, gefällt sie mir nicht; ich verwerfe nur die Beschaffenheiten, nicht das Wesen, sonst würde ich auf Vertilgung dringen. Ein Haus, das mir durchaus mißfällt, lasse ich abtragen, aber nicht verschönern. Der Glaube an das Jenseits gibt die Welt auf, aber nicht ihr Wesen; nur so, wie sie ist, gefällt sie nicht. Die Freude gefällt dem Jenseitsgläubigen – wer sollte die Freude nicht als etwas Wahres, Wesentliches empfinden? –, aber es mißfällt ihm, daß hier auf die Freude entgegengesetzte Empfindungen folgen, daß sie vergänglich ist. Er setzt daher die Freude auch ins Jenseits, aber als ewige, ununterbrochne, göttliche Freude – das Jenseits heißt darum das Freudenreich –, wie er hier schon die Freude in Gott setzt; denn Gott ist nichts als die ewige, ununterbrochne Freude als Wesen. Die Individualität gefällt ihm, aber nur nicht die mit objektiven Trieben belastete; er nimmt daher die Individualität auch mit, aber die reine, die absolut subjektive. Das Licht gefällt, aber nicht die Schwere, weil sie als eine Schranke dem Individuum erscheint, nicht die Nacht, weil in ihr der Mensch der Natur gehorcht; dort ist Licht, aber keine Schwere, keine Nacht – reines, ungestörtes Licht. »Nach der Auferstehung wird die Zeit nicht mehr nach Tagen und Nächten gemessen. Es wird vielmehr Ein Tag ohne Abend sein.« Joa. Damascen. (Orth. fidei lib. II. c. 1).
Wie der Mensch in der Entfernung von sich, in Gott immer wieder nur auf sich selbst zurückkommt, immer nur sich um sich selbst dreht, so kommt der Mensch auch in der Entfernung vom Diesseits immer wieder zuletzt nur auf dasselbe zurück. Je außer- und übermenschlicher Gott im Anfang erscheint, desto menschlicher zeigt er sich im Verlaufe oder Schlusse. Ebenso: je übernatürlicher im Anfang oder in der Ferne beschaut das himmlische Leben aussieht, desto mehr stellt sich am Ende oder in der Nähe betrachtet die Einheit des himmlischen Lebens mit dem natürlichen heraus – eine Einheit, die sich zuletzt bis auf das Fleisch, bis auf den Leib erstreckt. Zunächst handelt es sich um die Scheidung der Seele vom Leibe, wie in der Anschauung Gottes um die Scheidung des Wesens von dem Individuum – das Individuum stirbt einen geistigen Tod, der tote Leib, der zurückbleibt, ist das menschliche Individuum, die Seele, die sich davon geschieden, Gott. Aber die Scheidung der Seele vom Leibe, des Wesens vom Individuum, Gottes vom Menschen muß wieder aufgehoben werden. Jede Trennung zusammengehörender Wesen ist schmerzlich. Die Seele sehnt sich wieder nach ihrem verlornen Teile, nach ihrem Leibe, wie Gott, die abgeschiedene Seele, sich wieder nach dem wirklichen Menschen sehnt. Wie Gott daher wieder Mensch wird, so kehrt die Seele wieder in ihren Leib zurück – und die vollkommene Einheit des Dies- und Jenseits ist jetzt wiederhergestellt. Zwar ist dieser neue Leib ein lichtvoller, verklärter, wunderbarer Leib, aber – und das ist die Hauptsache – es ist ein anderer und doch derselbe Leib, Ipsum (corpus) erit et non ipsum erit. Augustinus (v. J. Ch. Doederlein. Inst. Theol. Christ., Altorf. 1781, § 280). wie Gott ein anderes und doch dasselbe Wesen als das menschliche ist. Wir kommen hier wieder auf den Begriff des Wunders, welches Widersprechendes vereinigt. Der übernatürliche Körper ist ein Körper der Phantasie, aber eben deswegen ein dem Gemüte des Menschen entsprechender, weil ihn nicht belästigender – ein rein subjektiver Körper. Der Glaube an das Jenseits ist nichts anderes als der Glaube an die Wahrheit der Phantasie, wie der Glaube an Gott der Glaube an die Wahrheit und Unendlichkeit des menschlichen Gemütes. Oder: wie der Glaube an Gott nur der Glaube an das abstrakte Wesen des Menschen ist, so der Glaube an das Jenseits nur der Glaube an das abstrakte Diesseits.
Aber der Inhalt des Jenseits ist die Seligkeit, die ewige Seligkeit der Persönlichkeit, die hier durch die Natur beschränkt und beeinträchtigt existiert. Der Glaube an das Jenseits ist daher der Glaube an die Freiheit der Subjektivität von den Schranken der Natur – also der Glaube an die Ewigkeit und Unendlichkeit der Persönlichkeit, und zwar nicht in ihrem Gattungsbegriffe, der sich in immer neuen Individuen entfaltet, sondern dieser bereits existierenden Individuen – folglich der Glaube des Menschen an sich selbst. Aber der Glaube an das Himmelreich ist eins mit dem Glauben an Gott – es ist derselbe Inhalt in beiden –, Gott ist die reine, absolute, von allen Naturschranken erledigte Persönlichkeit: er ist schlechtweg, was die menschlichen Individuen nur sein sollen, sein werden – der Glaube an Gott daher der Glaube des Menschen an die Unendlichkeit und Wahrheit seines eignen Wesens – das göttliche Wesen das menschliche, und zwar subjektiv menschliche Wesen in seiner absoluten Freiheit und Unbeschränktheit.
Unsere wesentlichste Aufgabe ist hiermit erfüllt. Wir haben das außerweltliche, übernatürliche und übermenschliche Wesen Gottes reduziert auf die Bestandteile des menschlichen Wesens als seine Grundbestandteile. Wir sind im Schlusse wieder auf den Anfang zurückgekommen. Der Mensch ist der Anfang der Religion, der Mensch der Mittelpunkt der Religion, der Mensch das Ende der Religion.