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Zweites Kapitel

Das Wesen der Religion im allgemeinen

Was im Allgemeinen, selbst in Beziehung auf die sinnlichen Gegenstände, von dem Verhältnis des Menschen zum Gegenstand bisher behauptet wurde, das gilt insbesondere von dem Verhältnis desselben zum religiösen Gegenstande.

Im Verhältnis zu den sinnlichen Gegenständen ist das Bewußtsein des Gegenstandes wohl unterscheidbar vom Selbstbewußtsein; aber bei dem religiösen Gegenstand fällt das Bewußtsein mit dem Selbstbewußtsein unmittelbar zusammen. Der sinnliche Gegenstand ist außer dem Menschen da, der religiöse in ihm, ein selbst innerlicher – darum ein Gegenstand, der ihn ebensowenig verläßt, als ihn sein Selbstbewußtsein, sein Gewissen verläßt –, ein intimer, ja der allerintimste, der allernächste Gegenstand. »Gott«, sagt z. B. Augustin, »ist uns näher, verwandter und daher auch leichter erkennbar, als die sinnlichen, körperlichen Dinge.« De Genesi ad litteram lib. V. c. 16. Der sinnliche Gegenstand ist an sich ein gleichgültiger, unabhängig von der Gesinnung, von der Urteilskraft; der Gegenstand der Religion aber ist ein auserlesener Gegenstand: das vorzüglichste, das erste, das höchste Wesen; er setzt wesentlich ein kritisches Urteil voraus, den Unterschied zwischen dem Göttlichen und Nichtgöttlichen, dem Anbetungswürdigen und Nichtanbetungswürdigen. »Ihr bedenkt nicht«, sagt Minucius Felix in seinem Octavian Kap. 24 zu den Heiden, »daß man Gott eher kennen, als verehren muß.« Und hier gilt daher ohne alle Einschränkung der Satz: der Gegenstand des Menschen ist nichts andres als sein gegenständliches Wesen selbst. Wie der Mensch denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott: so viel Wert der Mensch hat, so viel Wert und nicht mehr hat sein Gott. Das Bewußtsein Gottes ist das Selbstbewußtsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen. Aus seinem Gotte erkennst du den Menschen, und wiederum aus dem Menschen seinen Gott; beides ist eins. Was dem Menschen Gott ist, das ist sein Geist, seine Seele, und was des Menschen Geist, seine Seele, sein Herz, das ist sein Gott: Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochne Selbst des Menschen; die Religion die feierliche Enthüllung der verborgnen Schätze des Menschen, das Eingeständnis seiner innersten Gedanken, das öffentliche Bekenntnis seiner Liebesgeheimnisse.

Wenn aber die Religion, das Bewußtsein Gottes, als das Selbstbewußtsein des Menschen bezeichnet wird, so ist dies nicht so zu verstehen, als wäre der religiöse Mensch sich direkt bewußt, daß sein Bewußtsein von Gott das Selbstbewußtsein seines Wesens ist, denn der Mangel dieses Bewußtseins begründet eben das eigentümliche Wesen der Religion. Um diesen Mißverstand zu beseitigen, ist es besser zu sagen: die Religion ist das erste und zwar indirekte Selbstbewußtsein des Menschen. Die Religion geht daher überall der Philosophie voran, wie in der Geschichte der Menschheit, so auch in der Geschichte der Einzelnen. Der Mensch verlegt sein Wesen zuerst außer sich, ehe er es in sich findet. Das eigne Wesen ist ihm zuerst als ein andres Wesen Gegenstand. Die Religion ist das kindliche Wesen der Menschheit; aber das Kind sieht sein Wesen, den Menschen außer sich – als Kind ist der Mensch sich als ein andrer Mensch Gegenstand. Der geschichtliche Fortgang in den Religionen besteht deswegen darin, daß das, was der frühern Religion für etwas Objektives galt, jetzt als etwas Subjektives, d.h. was als Gott angeschaut und angebetet wurde, jetzt als etwas Menschliches erkannt wird. Die frühere Religion ist der späten Götzendienst: der Mensch hat sein eignes Wesen angebetet. Der Mensch hat sich vergegenständlicht, aber den Gegenstand nicht als sein Wesen erkannt; die spätere Religion tut diesen Schritt; jeder Fortschritt in der Religion ist daher eine tiefere Selbsterkenntnis. Aber jede bestimmte Religion, die ihre ältern Schwestern als Götzendienerinnen bezeichnet, nimmt sich selbst – und zwar notwendig, sonst wäre sie nicht mehr Religion – von dem Schicksal, dem allgemeinen Wesen der Religion aus; sie schiebt nur auf die andern Religionen, was doch – wenn anders Schuld – die Schuld der Religion überhaupt ist. Weil sie einen andern Gegenstand, einen andern Inhalt hat, weil sie über den Inhalt der frühern sich erhoben, wähnt sie sich erhaben über die notwendigen und ewigen Gesetze, die das Wesen der Religion begründen, wähnt sie, daß ihr Gegenstand, ihr Inhalt ein übermenschlicher sei. Aber dafür durchschaut das ihr selbst verborgne Wesen der Religion der Denker, dem die Religion Gegenstand ist, was sich selbst die Religion nicht sein kann. Und unsre Aufgabe ist es eben, nachzuweisen, daß der Gegensatz des Göttlichen und Menschlichen ein illusorischer, d.h. daß er nichts andres ist als der Gegensatz zwischen dem menschlichen Wesen und dem menschlichen Individuum, daß folglich auch der Gegenstand und Inhalt der christlichen Religion ein durchaus menschlicher ist.

Die Religion, wenigstens die christliche, ist das Verhalten des Menschen zu sich selbst, oder richtiger: zu seinem Wesen, aber das Verhalten zu seinem Wesen als zu einem andern Wesen. Das göttliche Wesen ist nichts andres als das menschliche Wesen oder besser: das Wesen des Menschen, abgesondert von den Schranken des individuellen, d.h. wirklichen, leiblichen Menschen, vergegenständlicht, d.h. angeschaut und verehrt als ein andres, von ihm unterschiednes, eignes Wesen – alle Bestimmungen des göttlichen Wesens sind darum Bestimmungen des menschlichen Wesens. » Die Vollkommenheiten Gottes sind die Vollkommenheiten unsrer Seelen, allein er besitzt sie unumschränkt... Wir besitzen einiges Vermögen, einige Erkenntnis, einige Güte, allein dieses alles ist in Gott vollkommen.« Leibniz (Theod. Préface). »Alles, wodurch sich die menschliche Seele auszeichnet, ist auch dem göttlichen Wesen eigen. Alles was von Gott ausgeschlossen ist, gehört auch nicht zur Wesensbestimmung der SeeleS. Gregorius Nyss. (de anima Lips. 1837. p. 42). »Unter allen Wissenschaften ist daher die herrlichste und wichtigste die Selbsterkenntnis, denn wenn einer sich selbst kennt, so wird er auch Gott erkennen.« Clemens Alex. (Paedag. Iib. III. c. 1).

In Beziehung auf die Prädikate, d.h. die Eigenschaften oder Bestimmungen Gottes wird dies denn auch ohne Anstand zugegeben, aber keineswegs in Beziehung auf das Subjekt, d.h. das Grundwesen dieser Prädikate. Die Verneinung des Subjekts gilt für Irreligiosität, für Atheismus, nicht aber die Verneinung der Prädikate. Aber was keine Bestimmungen hat, das hat auch keine Wirkungen auf mich; was keine Wirkungen, auch kein Dasein für mich. Alle Bestimmungen aufheben, ist soviel als das Wesen selbst aufheben. Ein bestimmungsloses Wesen ist ein ungegenständliches Wesen, ein ungegenständliches ein nichtiges Wesen. Wo daher der Mensch alle Bestimmungen von Gott entfernt, da ist ihm Gott nur noch ein negatives, d.h. nichtiges Wesen. Dem wahrhaft religiösen Menschen ist Gott kein bestimmungsloses Wesen, weil er ihm ein gewisses, wirkliches Wesen ist. Die Bestimmungslosigkeit und die mit ihr identische Unerkennbarkeit Gottes ist daher nur eine Frucht der neuern Zeit, ein Produkt der modernen Ungläubigkeit.

Wie die Vernunft nur da als endlich bestimmt wird und bestimmt werden kann, wo dem Menschen der sinnliche Genuß, oder das religiöse Gefühl, oder die ästhetische Anschauung, oder die moralische Gesinnung für das Absolute, das Wahre gilt: so kann nur da die Unerkennbarkeit oder Unbestimmbarkeit Gottes als ein Dogma ausgesprochen und festgesetzt werden, wo dieser Gegenstand kein Interesse mehr für die Erkenntnis hat, wo die Wirklichkeit allein den Menschen in Anspruch nimmt, das Wirkliche allein für ihn die Bedeutung des wesentlichen, des absoluten, göttlichen Gegenstandes hat, aber doch zugleich noch im Widerspruch mit dieser rein weltlichen Richtung ein alter Rest von Religiosität vorhanden ist. Der Mensch entschuldigt mit der Unerkennbarkeit Gottes vor seinem noch übriggebliebenen religiösen Gewissen seine Gottvergessenheit, sein Verlorensein in die Welt; er verneint Gott praktisch, durch die Tat – all sein Sinnen und Denken hat die Welt inne –, aber er verneint ihn nicht theoretisch; er greift seine Existenz nicht an; er läßt ihn bestehen. Allein diese Existenz tangiert und inkommodiert ihn nicht; sie ist eine nur negative Existenz, eine Existenz ohne Existenz, eine sich selbst widersprechende Existenz – ein Sein, das seinen Wirkungen nach nicht unterscheidbar vom Nichtsein ist. Die Verneinung bestimmter, positiver Prädikate des göttlichen Wesens ist nichts andres als eine Verneinung der Religion, welche aber noch einen Schein von Religion für sich hat, so daß sie nicht als Verneinung erkannt wird – nichts andres als ein subtiler, verschlagener Atheismus. Die angeblich religiöse Scheu, Gott durch bestimmte Prädikate zu verendlichen, ist nur der irreligiöse Wunsch, von Gott nichts mehr wissen zu wollen, Gott sich aus dem Sinne zu schlagen. Wer sich scheut, endlich zu sein, scheut sich zu existieren. Alle reale Existenz, d.h. alle Existenz, die wirklich Existenz ist, die ist qualitative, bestimmte Existenz. Wer ernstlich, wirklich, wahrhaft an die Existenz Gottes glaubt, der stößt sich nicht an den selbst derb sinnlichen Eigenschaften Gottes. Wer nicht durch seine Existenz beleidigen, wer nicht derb sein will, der verzichte auf die Existenz. Ein Gott, der sich durch die Bestimmtheit beleidigt fühlt, hat nicht den Mut und nicht die Kraft zu existieren. Die Qualität ist das Feuer, der Sauerstoff, das Salz der Existenz. Eine Existenz überhaupt, eine Existenz ohne Qualität ist eine geschmacklose, eine abgeschmackte Existenz. In Gott ist aber nicht mehr, als in der Religion ist. Nur da, wo der Mensch den Geschmack an der Religion verliert, die Religion selbst also geschmacklos wird, nur da wird daher auch die Existenz Gottes zu einer abgeschmackten Existenz.

Es gibt übrigens noch eine gelindere Weise der Verneinung der göttlichen Prädikate als die direkte, eben bezeichnete. Man gibt zu, daß die Prädikate des göttlichen Wesens endliche, insbesondre menschliche Bestimmungen sind; aber man verwirft ihre Verwerfung; man nimmt sie sogar in Schutz, weil es dem Menschen notwendig sei, sich bestimmte Vorstellungen von Gott zu machen, und weil er nun einmal Mensch sei, so könne er sich auch keine andern als eben menschliche Vorstellungen von ihm machen. In Beziehung auf Gott, sagt man, sind diese Bestimmungen freilich ohne Bedeutung, aber für mich kann er, weil und wenn er für mich sein soll, nicht anders erscheinen als so, wie er mir erscheint, nämlich als ein menschliches oder doch menschenähnliches Wesen. Allein diese Unterscheidung zwischen dem, was Gott an sich, und dem, was er für mich ist, zerstört den Frieden der Religion, und ist überdem an sich selbst eine grund- und haltlose Distinktion. Ich kann gar nicht wissen, ob Gott etwas andres an sich oder für sich ist, als er für mich ist; wie er für mich ist, so ist er alles für mich. Für mich liegt eben in diesen Bestimmungen, unter welchen er für mich ist, sein Ansichselbstsein, sein Wesen selbst; er ist für mich so, wie er für mich nur immer sein kann. Der religiöse Mensch ist in dem, was Gott in bezug auf ihn ist – von einer andern Beziehung weiß er nichts – vollkommen befriedigt, denn Gott ist ihm, was er dem Menschen überhaupt sein kann. In jener Unterscheidung setzt sich der Mensch über sich selbst, d.h. über sein Wesen, sein absolutes Maß hinweg, aber diese Hinwegsetzung ist nur eine Illusion. Den Unterschied nämlich zwischen dem Gegenstande, wie er an sich, und dem Gegenstand, wie er für mich ist, kann ich nur da machen, wo ein Gegenstand mir wirklich anders erscheinen kann, als er erscheint; aber nicht, wo er mir so erscheint, wie er mir nach meinem absoluten Maße erscheint, wie er mir erscheinen muß. Wohl kann meine Vorstellung eine subjektive sein, d.h. eine solche, an welche die Gattung nicht gebunden ist. Aber wenn meine Vorstellung dem Maße der Gattung entspricht, so fällt die Unterscheidung zwischen Ansichsein und Fürmichsein weg; denn diese Vorstellung ist selbst eine absolute. Das Maß der Gattung ist das absolute Maß, Gesetz und Kriterium des Menschen. Aber die Religion hat eben die Überzeugung, daß ihre Vorstellungen, ihre Bestimmungen von Gott solche sind, die jeder Mensch haben soll und haben muß, wenn er die wahren haben will, daß sie die notwendigen Vorstellungen der menschlichen Natur, ja, die objektiven, die gottgemäßen Vorstellungen sind. Jeder Religion sind die Götter der andern Religionen nur Vorstellungen von Gott, aber die Vorstellung, die sie von Gott hat, ist ihr Gott selbst, Gott, wie sie ihn vorstellt, der echte, wahre Gott, Gott, wie er an sich ist. Die Religion begnügt sich nur mit einem ganzen, rückhaltslosen Gott; sie will nicht eine bloße Erscheinung von Gott; sie will Gott selbst, Gott in Person. Die Religion gibt sich selbst auf, wenn sie das Wesen Gottes aufgibt; sie ist keine Wahrheit mehr, wo sie auf den Besitz des wahren Gottes verzichtet. Der Skeptizismus ist der Erzfeind der Religion. Aber die Unterscheidung zwischen Gegenstand und Vorstellung, zwischen Gott an sich und Gott für mich ist eine skeptische, also irreligiöse Unterscheidung.

Was dem Menschen die Bedeutung des Ansichseienden hat, was ihm das höchste Wesen ist, das, worüber er nichts Höheres sich vorstellen kann, dieses ist ihm eben das göttliche Wesen. Wie könnte er also bei diesem Gegenstande noch fragen, was er an sich sei? Wenn Gott dem Vogel Gegenstand wäre, so wäre er ihm nur als ein geflügeltes Wesen Gegenstand: der Vogel kennt nichts Höheres, nichts Seligeres, als das Geflügeltsein. Wie lächerlich wäre es, wenn dieser Vogel urteilte: mir erscheint Gott als ein Vogel, aber was er an sich ist, weiß ich nicht. Das höchste Wesen ist dem Vogel eben das Wesen des Vogels. Nimmst du ihm die Vorstellung vom Wesen des Vogels, so nimmst du ihm die Vorstellung des höchsten Wesens. Wie könnte er also fragen, ob Gott an sich geflügelt sei? Fragen, ob Gott an sich so ist, wie er für mich ist, heißt fragen, ob Gott Gott ist, heißt über seinen Gott sich erheben, gegen ihn sich empören.

Wo sich daher einmal das Bewußtsein des Menschen bemächtigt, daß die religiösen Prädikate nur Anthropomorphismen, d.h. menschliche Vorstellungen sind, da hat sich schon der Zweifel, der Unglaube des Glaubens bemächtigt. Und es ist nur die Inkonsequenz der Herzensfeigheit und der Verstandesschwäche, die von diesem Bewußtsein aus nicht bis zur förmlichen Verneinung der Prädikate und von dieser bis zur Verneinung des zugrunde liegenden Wesens fortgeht. Bezweifelst du die gegenständliche Wahrheit der Prädikate, so mußt du auch die gegenständliche Wahrheit des Subjekts dieser Prädikate in Zweifel ziehen. Sind deine Prädikate Anthropomorphismen, so ist auch das Subjekt derselben ein Anthropomorphismus. Sind Liebe, Güte, Persönlichkeit menschliche Bestimmungen, so ist auch das Grundwesen derselben, welches du ihnen voraussetzest, auch die Existenz Gottes, auch der Glaube, daß überhaupt ein Gott ist, ein Anthropomorphismus – eine durchaus menschliche Voraussetzung. Woher weißt du, daß der Glaube an Gott überhaupt nicht eine Schranke der menschlichen Vorstellungsweise ist? Höhere Wesen – und du nimmst ja deren an – sind vielleicht so selig in sich selbst, so einig mit sich, daß sie sich nicht mehr in der Spannung zwischen sich und einem höhern Wesen befinden. Gott zu wissen und nicht selbst Gott zu sein, Seligkeit zu kennen und nicht selbst zu genießen, das ist ein Zwiespalt, ein Unglück. Im Jenseits hebt sich daher auch dieser Zwiespalt zwischen Gott und Mensch auf. Im Jenseits ist der Mensch nicht mehr Mensch – höchstens nur der Einbildung nach –, er hat keinen eignen, vom göttlichen Willen unterschiednen Willen, folglich auch – denn was ist ein Wesen ohne Willen? – kein eignes Wesen mehr; er ist eins mit Gott; es verschwindet also im Jenseits der Unterschied und Gegensatz zwischen Gott und Mensch. Aber dort, wo nur Gott, ist kein Gott mehr. Wo kein Gegensatz der Majestät, ist auch keine Majestät. Höhere Wesen wissen nichts von diesem Unglück; sie haben keine Vorstellung von dem, was sie nicht sind.

Du glaubst an die Liebe als eine göttliche Eigenschaft, weil du selbst liebst, du glaubst, daß Gott ein weises, ein gütiges Wesen ist, weil du nichts Besseres von dir kennst als Güte und Verstand, und du glaubst, daß Gott existiert, daß er also Subjekt oder Wesen ist – was existiert, ist Wesen, werde es nun als Substanz oder Person oder sonstwie bestimmt und bezeichnet – weil du selbst existierst, selbst Wesen bist. Du kennst kein höheres menschliches Gut, als zu lieben, als gut und weise zu sein, und ebenso kennst du kein höheres Glück, als überhaupt zu existieren, Wesen zu sein; denn das Bewußtsein alles Guten, alles Glückes ist dir an das Bewußtsein des Wesenseins, der Existenz gebunden. Gott ist dir ein Existierendes, ein Wesen aus demselben Grunde, aus welchem er dir ein weises, ein seliges, ein gütiges Wesen ist. Der Unterschied zwischen den göttlichen Eigenschaften und dem göttlichen Wesen ist nur dieser, daß dir das Wesen, die Existenz nicht als ein Anthropomorphismus erscheint, weil in diesem deinem Wesensein die Notwendigkeit liegt, daß dir Gott ein Existierendes, ein Wesen ist, die Eigenschaften dagegen als Anthropomorphismen erscheinen, weil die Notwendigkeit derselben, die Notwendigkeit, daß Gott weise, gut, gerecht usw. ist, keine unmittelbare, mit dem Sein des Menschen identische, sondern durch sein Selbstbewußtsein, die Tätigkeit des Denkens vermittelte Notwendigkeit ist. Subjekt, Wesen bin ich, ich existiere, ich mag weise oder unweise, gut oder schlecht sein. Existieren ist dem Menschen das Erste, das Grundwesen in seiner Vorstellung, die Voraussetzung der Prädikate. Die Prädikate gibt er daher frei, aber die Existenz Gottes ist ihm eine ausgemachte, unantastbare, absolut gewisse, gegenständliche Wahrheit. Aber gleichwohl ist dieser Unterschied nur ein scheinbarer. Die Notwendigkeit des Subjekts liegt nur in der Notwendigkeit des Prädikats. Du bist Wesen nur als menschliches Wesen; die Gewißheit und Realität deiner Existenz liegt nur in der Gewißheit und Realität deiner menschlichen Eigenschaften. Was das Subjekt ist, das liegt nur im Prädikat; das Prädikat ist die Wahrheit des Subjekts; das Subjekt nur das personifizierte, das existierende Prädikat. Subjekt und Prädikat unterscheiden sich nur wie Existenz und Wesen. Die Verneinung der Prädikate ist daher die Verneinung des Subjekts. Was bleibt dir vom menschlichen Wesen übrig, wenn du ihm die menschlichen Eigenschaften nimmst? Selbst in der Sprache des gemeinen Lebens setzt man die göttlichen Eigenschaften: die Vorsehung, die Weisheit, die Allmacht statt des göttlichen Wesens.

Die Gewißheit der Existenz Gottes, von welcher man gesagt hat, daß sie dem Menschen so gewiß, ja gewisser als die eigne Existenz sei, hängt daher nur ab von der Gewißheit der Qualität Gottes – sie ist keine unmittelbare Gewißheit. Dem Christen ist nur die Existenz des christlichen, dem Heiden die Existenz des heidnischen Gottes eine Gewißheit. Der Heide bezweifelte nicht die Existenz Jupiters, weil er an dem Wesen Jupiters keinen Anstoß nahm, weil er sich Gott in keiner andern Qualität vorstellen konnte, weil ihm diese Qualität eine Gewißheit, eine göttliche Wahrheit war. Die Wahrheit des Prädikats ist allein die Bürgschaft der Existenz.

Was der Mensch als Wahres, stellt er unmittelbar als Wirkliches vor, weil ihm ursprünglich nur wahr ist, was wirklich ist – wahr im Gegensatz zum nur Vorgestellten, Erträumten, Eingebildeten. Der Begriff des Seins, der Existenz ist der erste, ursprüngliche Begriff der Wahrheit. Oder: ursprünglich macht der Mensch die Wahrheit von der Existenz, später erst die Existenz von der Wahrheit abhängig. Gott nun ist das Wesen des Menschen, angeschaut als höchste Wahrheit; Gott aber, oder, was eins ist, die Religion so verschieden, als verschieden die Bestimmtheit ist, in welcher der Mensch dieses sein Wesen erfaßt, als höchstes Wesen anschaut. Diese Bestimmtheit daher, in welcher der Mensch Gott denkt, ist ihm die Wahrheit und eben deswegen zugleich die höchste Existenz, oder vielmehr schlechtweg die Existenz; denn nur die höchste Existenz ist eigentlich erst Existenz und verdient diesen Namen. Gott ist darum aus demselben Grunde ein existierendes, wirkliches Wesen, aus welchem er dieses bestimmte Wesen ist; denn die Qualität oder Bestimmtheit Gottes ist nichts andres als die wesentliche Qualität des Menschen selbst, der bestimmte Mensch ist aber nur, was er ist, hat nur seine Existenz, seine Wirklichkeit in seiner Bestimmtheit. Dem Griechen kann man nicht die griechischen Eigenschaften nehmen, ohne ihm seine Existenz zu nehmen. Allerdings ist daher für eine bestimmte Religion, also relativ die Gewißheit von der Existenz Gottes eine unmittelbare; denn so unwillkürlich, so notwendig der Grieche Grieche war, so notwendig waren seine Götter griechische Wesen, so notwendig wirklich existierende Wesen. Die Religion ist die mit dem Wesen des Menschen identische Anschauung vom Wesen der Welt und des Menschen. Der Mensch steht aber nicht über seiner wesentlichen Anschauung, sondern sie steht über ihm; sie beseelt, bestimmt, beherrscht ihn. Die Notwendigkeit eines Beweises, einer Vermittlung des Wesens oder der Qualität mit der Existenz, die Möglichkeit eines Zweifels fällt somit weg. Nur, was ich von meinem Wesen absondere, ist mir etwas Bezweifelbares. Wie könnte ich also den Gott bezweifeln, der mein Wesen ist? Meinen Gott bezweifeln, heißt mich selbst bezweifeln. Nur da, wo Gott abstrakt gedacht wird, seine Prädikate durch philosophische Abstraktion vermittelte sind, entsteht die Unterscheidung oder Trennung zwischen Subjekt und Prädikat, Existenz und Wesen – entsteht der Schein, daß die Existenz oder das Subjekt etwas andres ist, als das Prädikat, etwas Unmittelbares, Unbezweifelbares im Unterschiede von dem bezweifelbaren Prädikat. Aber es ist nur ein Schein. Ein Gott, der abstrakte Prädikate, hat auch eine abstrakte Existenz. Die Existenz, das Sein ist so verschieden, als die Qualität verschieden ist.

Die Identität des Subjekts und Prädikats erhellt am deutlichsten aus dem Entwicklungsgange der Religion, welcher identisch mit dem Entwicklungsgange der menschlichen Kultur. Solange dem Menschen das Prädikat eines bloßen Naturmenschen zukommt, so lange ist auch sein Gott ein bloßer Naturgott. Wo sich der Mensch in Häuser, da schließt er auch seine Götter in Tempel ein. Der Tempel ist nur eine Erscheinung von dem Werte, welchen der Mensch auf schöne Gebäude legt. Die Tempel zu Ehren der Religion sind in Wahrheit Tempel zu Ehren der Baukunst. Mit der Erhebung des Menschen aus dem Zustande der Roheit und Wildheit zur Kultur, mit der Unterscheidung zwischen dem, was sich für den Menschen schickt und nicht schickt, entsteht auch gleichzeitig der Unterschied zwischen dem, was sich für Gott schickt und nicht schickt. Gott ist der Begriff der Majestät, der höchsten Würde, das religiöse Gefühl das höchste Schicklichkeitsgefühl. Erst die spätern gebildeten Künstler Griechenlands verkörperten in den Götterstatuen die Begriffe der Würde, der Seelengröße, der unbewegten Ruhe und Heiterkeit. Aber warum waren ihnen diese Eigenschaften Attribute, Prädikate Gottes? weil sie für sich selbst ihnen für Gottheiten galten. Warum schlossen sie alle widrigen und niedrigen Gemütsaffekte aus? eben weil sie dieselben als etwas Unschickliches, Unwürdiges, Unmenschliches, folglich Ungöttliches erkannten. Die Homerischen Götter essen und trinken – das heißt: Essen und Trinken ist ein göttlicher Genuß. Körperstärke ist eine Eigenschaft der Homerischen Götter: Zeus ist der stärkste der Götter. Warum? weil die Körperstärke an und für sich selbst für etwas Herrliches, Göttliches galt. Die Tugend des Kriegers war den alten Deutschen die höchste Tugend; dafür war aber auch ihr höchster Gott der Kriegsgott: Odin – der Krieg »das Urgesetz oder älteste Gesetz«. Nicht die Eigenschaft der Gottheit, sondern die Göttlichkeit oder Gottheit der Eigenschaft ist das erste wahre göttliche Wesen. Also das, was der Theologie und Philosophie bisher für Gott, für das Absolute, Wesenhafte galt, das ist nicht Gott; das aber, was ihr nicht für Gott galt, das gerade ist Gott – d.i. die Eigenschaft, die Qualität, die Bestimmtheit, die Wirklichkeit überhaupt. Ein wahrer Atheist, d.h. ein Atheist im gewöhnlichen Sinne, ist daher auch nur der, welchem die Prädikate des göttlichen Wesens, wie z.B. die Liebe, die Weisheit, die Gerechtigkeit Nichts sind, aber nicht der, welchem nur das Subjekt dieser Prädikate Nichts ist. Und keineswegs ist die Verneinung des Subjekts auch notwendig zugleich die Verneinung der Prädikate an sich selbst. Die Prädikate haben eine eigne, selbständige Bedeutung; sie dringen durch ihren Inhalt dem Menschen ihre Anerkennung auf; sie erweisen sich ihm unmittelbar durch sich selbst als wahr; sie betätigen, bezeugen sich selbst. Güte, Gerechtigkeit, Weisheit sind dadurch keine Chimären, daß die Existenz Gottes eine Chimäre, noch dadurch Wahrheiten, daß diese eine Wahrheit ist. Der Begriff Gottes ist abhängig vom Begriffe der Gerechtigkeit, der Güte, der Weisheit – ein Gott, der nicht gütig, nicht gerecht, nicht weise, ist kein Gott – aber nicht umgekehrt. Eine Qualität ist nicht dadurch göttlich, daß sie Gott hat, sondern Gott hat sie, weil sie an und für sich selbst göttlich ist, weil Gott ohne sie ein mangelhaftes Wesen ist. Die Gerechtigkeit, die Weisheit, überhaupt jede Bestimmung, welche die Gottheit Gottes ausmacht, wird durch sich selbst bestimmt und erkannt, Gott aber durch die Bestimmung, die Qualität; nur in dem Falle, daß ich Gott und die Gerechtigkeit als dasselbe, Gott unmittelbar als die Wirklichkeit der Idee der Gerechtigkeit oder irgendeiner andern Qualität denke, bestimme ich Gott durch sich selbst. Wenn aber Gott als Subjekt das Bestimmte, die Qualität, das Prädikat aber das Bestimmende ist, so gebührt ja in Wahrheit dem Prädikat, nicht dem Subjekt der Rang des ersten Wesens, der Rang der Gottheit.

Erst wenn mehrere, und zwar widersprechende Eigenschaften zu einem Wesen vereinigt werden und dieses Wesen als ein persönliches erfaßt, die Persönlichkeit also besonders hervorgehoben wird, erst da vergißt man den Ursprung der Religion, vergißt man, daß, was in der Vorstellung der Reflexion ein vom Subjekt unterscheidbares oder abtrennbares Prädikat ist, ursprünglich das wahre Subjekt war. So vergötterten die Römer und Griechen Akzidenzen als Substanzen, Tugenden, Gemütszustände, Affekte als selbständige Wesen. Der Mensch, insbesondre der religiöse, ist sich das Maß aller Dinge, aller Wirklichkeit. Was nur immer dem Menschen imponiert, was nur immer einen besondern Eindruck auf sein Gemüt macht – es sei auch nur ein sonderbarer, unerklärlicher Schall oder Ton – verselbständigt er als ein besondres, als ein göttliches Wesen. Die Religion umfaßt alle Gegenstände der Welt; alles, was nur immer ist, war Gegenstand religiöser Verehrung; im Wesen und Bewußtsein der Religion ist nichts anderes, als was überhaupt im Wesen und im Bewußtsein des Menschen von sich und von der Welt liegt. Die Religion hat keinen eignen, besondern Inhalt. Selbst die Affekte der Furcht und des Schreckens hatten in Rom ihre Tempel. Auch die Christen machten Gemütserscheinungen zu Wesen, ihre Gefühle zu Qualitäten der Dinge, die sie beherrschenden Affekte zu weltbeherrschenden Mächten, kurz, Eigenschaften ihres eignen, sei es nun bekannten oder unbekannten Wesens zu für sich selbst bestehenden Wesen. Teufel, Kobolde, Hexen, Gespenster, Engel waren heilige Wahrheiten, solange das religiöse Gemüt ungebrochen, ungeteilt die Menschheit beherrschte.

Um sich die Einheit der göttlichen und menschlichen Prädikate, damit die Einheit des göttlichen und menschlichen Wesens aus dem Sinne zu schlagen, hilft man sich mit der Vorstellung, daß Gott als das unendliche Wesen eine unendliche Fülle von verschiedenen Prädikaten sei, von welchen wir hier nur einige, und zwar die uns analogen oder ähnlichen, die andern aber, welchen zufolge also Gott auch ein ganz andres Wesen sei, als ein menschliches oder menschenähnliches, erst in der Zukunft, d. h. im Jenseits erkennen. Allein eine unendliche Fülle oder Menge von Prädikaten, die wirklich verschieden sind, so verschieden, daß nicht mit dem einen unmittelbar auch das andere erkannt und gesetzt wird, verwirklicht und bewährt sich nur in einer unendlichen Fülle oder Menge verschiedener Wesen oder Individuen. So ist das menschliche Wesen ein unendlicher Reichtum von verschiedenen Prädikaten, aber eben deswegen ein unendlicher Reichtum von verschiedenen Individuen. Jeder neue Mensch ist gleichsam ein neues Prädikat, ein neues Talent der Menschheit. So viele Menschen sind, so viel Kräfte, so viel Eigenschaften hat die Menschheit. Dieselbe Kraft, die in allen, ist wohl in jedem einzelnen, aber doch so bestimmt und geartet, daß sie als eine eigne, eine neue Kraft erscheint. Das Geheimnis der unerschöpflichen Fülle der göttlichen Bestimmungen ist daher nichts andres als das Geheimnis des menschlichen als eines unendlich verschiedenartigen, unendlich bestimmbaren, aber eben deswegen sinnlichen Wesens. Nur in der Sinnlichkeit, nur in Raum und Zeit hat ein unendliches, ein wirklich unendliches, bestimmungsreiches Wesen Platz. Wo wahrhaft verschiedene Prädikate, sind verschiedene Zeiten. Dieser Mensch ist ein ausgezeichneter Musiker, ein ausgezeichneter Schriftsteller, ein ausgezeichneter Arzt; aber er kann nicht zu gleicher Zeit musizieren, schriftstellern und kurieren. Nicht die Hegelsche Dialektik – die Zeit ist das Mittel, Gegensätze, Widersprüche in einem und demselben Wesen zu vereinigen. Aber mit dem Begriffe Gottes verbunden, unterschieden und abgetrennt vom Wesen des Menschen, ist die unendliche Vielheit verschiedener Prädikate eine Vorstellung ohne Realität – eine bloße Phantasie –, die Vorstellung der Sinnlichkeit, aber ohne die wesentlichen Bedingungen, ohne die Wahrheit der Sinnlichkeit –, eine Vorstellung, die mit dem göttlichen Wesen als einem geistigen, d. i. abstrakten, einfachen, einzigen Wesen in direktem Widerspruch steht; denn die Prädikate Gottes sind gerade von dieser Beschaffenheit, daß ich mit dem einen auch alle andern zugleich habe, weil kein wirklicher Unterschied zwischen ihnen stattfindet. Habe ich daher in den gegenwärtigen Prädikaten nicht die zukünftigen, in dem gegenwärtigen Gott nicht den zukünftigen, so habe ich auch in dem zukünftigen Gott nicht den gegenwärtigen, sondern zwei verschiedene Wesen. Für den religiösen Glauben ist zwischen dem gegenwärtigen und zukünftigen Gott kein andrer Unterschied, als daß jener ein Objekt des Glaubens, der Vorstellung, der Phantasie, dieser ein Objekt der unmittelbaren, d.i. persönlichen sinnlichen Anschauung ist. Hier und dort ist er derselbe, aber hier undeutlich, dort deutlich. Aber diese Verschiedenheit eben widerspricht der Einzigkeit, Einheit und Einfachheit Gottes. Warum ist dieses Prädikat ein Prädikat Gottes? weil es göttlicher Natur ist, d.h., weil es keine Schranke, keinen Mangel ausdrückt. Warum sind es andere Prädikate? weil sie, so verschieden sie an sich selber sein mögen, darin übereinstimmen, daß sie gleichfalls Vollkommenheit, Uneingeschränktheit ausdrücken. Daher kann ich mir unzählige Prädikate Gottes vorstellen, weil sie alle in dem abstrakten Gottheitsbegriffe übereinstimmen, das gemein haben müssen, was jedes einzelne Prädikat zu einem göttlichen Attribut oder Prädikat macht. So ist es bei Spinoza. Er spricht von unendlich vielen Attributen der göttlichen Substanz, aber außer Denken und Ausdehnung nennt er keine. Warum? weil es ganz gleichgültig ist, sie zu wissen, ja weil sie an sich selber gleichgültig, überflüssig sind, weil ich mit allen diesen unzählig vielen Prädikaten doch immer dasselbe sagen würde, was ich mit diesen zweien, dem Denken und der Ausdehnung sage. Warum ist das Denken Attribut der Substanz? weil nach Spinoza es durch sich selbst begriffen wird, weil es etwas Unteilbares, Vollkommnes, Unendliches ausdrückt. Warum die Ausdehnung, die Materie? weil sie in Beziehung auf sich dasselbe ausdrückt. Also kann die Substanz unbestimmt viele Prädikate haben, weil nicht die Bestimmtheit, der Unterschied, sondern die Nichtverschiedenheit, die Gleichheit sie zu Attributen der Substanz macht. Oder vielmehr: die Substanz hat nur deswegen unzählig viele Prädikate, weil sie – ja weil sie – wie sonderbar! – eigentlich kein Prädikat, d.i. kein bestimmtes, wirkliches Prädikat hat. Das unbestimmte Eine des Gedankens ergänzt sich durch die unbestimmte Vielheit der Phantasie. Weil das Prädikat nicht Multum, so ist es Multa. In Wahrheit sind die positiven Prädikate: Denken und Ausdehnung. Mit diesen zweien ist unendlich mehr gesagt, als mit den namenlosen unzähligen Prädikaten; denn es ist etwas Bestimmtes ausgesagt; ich weiß damit Etwas. Aber die Substanz ist zu gleichgültig, zu leidenschaftlos, als daß sie sich für Etwas begeistern und entscheiden könnte; um nicht Etwas zu sein, ist sie lieber gar Nichts.

Wenn es nun aber ausgemacht ist, daß, was das Subjekt oder Wesen ist, lediglich in den Bestimmungen desselben liegt, d.h., daß das Prädikat das wahre Subjekt ist, so ist auch erwiesen, daß, wenn die göttlichen Prädikate Bestimmungen des menschlichen Wesens sind, auch das Subjekt derselben menschlichen Wesens ist. Die göttlichen Prädikate sind aber einerseits allgemeine, andererseits persönliche. Die allgemeinen sind die metaphysischen, aber diese dienen nur der Religion zum äußersten Anknüpfungspunkte oder zur Grundlage; sie sind nicht die charakteristischen Bestimmungen der Religion. Die persönlichen Prädikate allein sind es, welche das Wesen der Religion begründen, in welchen das göttliche Wesen der Religion Gegenstand ist. Solche Prädikate sind z.B., daß Gott Person, daß er der moralische Gesetzgeber, der Vater der Menschen, der Heilige, der Gerechte, der Gütige, der Barmherzige ist. Es erhellt nun aber sogleich von diesen und andern Bestimmungen oder wird wenigstens im Verlaufe erhellen, daß sie, namentlich als persönliche Bestimmungen, rein menschliche Bestimmungen sind, und daß sich folglich der Mensch in der Religion im Verhalten zu Gott zu seinem eignen Wesen verhält, denn der Religion sind diese Prädikate nicht Vorstellungen, nicht Bilder, die sich der Mensch von Gott macht, unterschieden von dem, was Gott an sich selbst ist, sondern Wahrheiten, Sachen, Realitäten. Die Religion weiß nichts von Anthropomorphismen: die Anthropomorphismen sind ihr keine Anthropomorphismen. Das Wesen der Religion ist gerade, daß ihr diese Bestimmungen das Wesen Gottes ausdrücken. Nur der über die Religion reflektierende, sie, indem er sie verteidigt, vor sich selbst verleugnende Verstand erklärt sie für Bilder. Aber der Religion ist Gott wirklicher Vater, wirkliche Liebe und Barmherzigkeit, denn er ist ihr ein wirkliches, ein lebendiges, persönliches Wesen, seine wahren Bestimmungen sind daher auch lebendige, persönliche Bestimmungen. Ja die entsprechenden Bestimmungen sind gerade die, welche dem Verstande den meisten Anstoß geben, welche er in der Reflexion über die Religion verleugnet. Die Religion ist subjektiv Affekt; notwendig ist ihr daher auch objektiv der Affekt göttlichen Wesens. Selbst der Zorn ist ihr kein Gottes unwürdiger Affekt, wofern nur diesem Zorne nichts Böses zugrunde liegt.

Es ist aber hier sogleich wesentlich zu bemerken – und diese Erscheinung ist eine höchst merkwürdige, das innerste Wesen der Religion charakterisierende –, daß, je menschlicher dem Wesen nach Gott ist, um so größer scheinbar der Unterschied zwischen ihm und dem Menschen ist, d.h. um so mehr von der Reflexion über die Religion, von der Theologie die Identität, die Einheit des göttlichen und menschlichen Wesens geleugnet, und das Menschliche, wie es als solches dem Menschen Gegenstand seines Bewußtseins ist, herabgesetzt wird. »So groß auch die Ähnlichkeit zwischen dem Schöpfer und Geschöpf gedacht werden kann, die Unähnlichkeit zwischen ihnen muß doch noch größer gedacht werden.« Later. Conc. can. 2 (Summa omn. Conc. Carranza, Antw. 1559, p. 526). – Der letzte Unterschied zwischen dem Menschen und Gott, dem endlichen und unendlichen Wesen überhaupt, zu welchem sich die religiös spekulative Imagination emporschwingt, ist der Unterschied zwischen Etwas und Nichts, Ens und Non-Ens; denn nur im Nichts ist alle Gemeinschaft mit allen andern Wesen aufgehoben. Der Grund hievon ist: weil das Positive, das Wesentliche in der Anschauung oder Bestimmung des göttlichen Wesens allein das Menschliche, so kann die Anschauung des Menschen, wie er Gegenstand des Bewußtseins ist, nur eine negative, menschenfeindliche sein. Um Gott zu bereichern, muß der Mensch arm werden; damit Gott alles sei, der Mensch nichts sein. Aber er braucht auch nichts für sich selbst zu sein, weil alles, was er sich nimmt, in Gott nicht verloren geht, sondern erhalten wird. Der Mensch hat sein Wesen in Gott, wie sollte er es also in sich und für sich haben? Warum wäre es notwendig, dasselbe zweimal zu setzen, zweimal zu haben? Was der Mensch sich entzieht, was er an sich selbst entbehrt, genießt er ja nur in um so unvergleichlich höherem und reicherem Maße in Gott.

Die Mönche gelobten die Keuschheit dem göttlichen Wesen, sie unterdrückten die Geschlechterliebe an sich, aber dafür hatten sie im Himmel, in Gott, an der Jungfrau Maria das Bild des Weibes – ein Bild der Liebe. Sie konnten um so mehr des wirklichen Weibes entbehren, je mehr ihnen ein ideales, vorgestelltes Weib ein Gegenstand wirklicher Liebe war. Je größere Bedeutung sie auf die Vernichtung der Sinnlichkeit legten, je größere Bedeutung hatte für sie die himmlische Jungfrau: sie trat ihnen selbst an die Stelle Christi, an die Stelle Gottes. Je mehr das Sinnliche verneint wird, desto sinnlicher ist der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird. Was man nämlich der Gottheit opfert – darauf legt man einen besondern Wert, daran hat Gott ein besonderes Wohlgefallen. Was im Sinne des Menschen, das ist natürlich auch im Sinne seines Gottes das Höchste; was überhaupt dem Menschen gefällt, das gefällt auch Gott. Die Hebräer opferten dem Jehova nicht unreine, ekelhafte Tiere, sondern die Tiere, die für sie den höchsten Wert hatten, die sie selbst aßen, waren auch die Speise Gottes. Cibus Dei. 3. Mose 3, 11. Wo man daher aus der Verneinung der Sinnlichkeit ein besonderes Wesen, ein gottwohlgefälliges Opfer macht, da wird gerade auf die Sinnlichkeit der höchste Wert gelegt und die aufgegebne Sinnlichkeit unwillkürlich dadurch wiederhergestellt, daß Gott an die Stelle des sinnlichen Wesens tritt, welches man aufgegeben. Die Nonne vermählt sich mit Gott; sie hat einen himmlischen Bräutigam, der Mönch eine himmlische Braut. Aber die himmlische Jungfrau ist nur eine sinnfällige Erscheinung einer allgemeinen, das Wesen der Religion betreffenden Wahrheit. Der Mensch bejaht in Gott, was er an sich selbst verneint. »Wer nämlich«, sagt z. B. Anselmus, »sich verachtet, der ist bei Gott geachtet. Wer sich mißfällt, gefällt Gott. Sei also klein in deinen Augen, damit du groß seist in Gottes Augen; denn du wirst um so geschätzter bei Gott sein, je verächtlicher du den Menschen bist« ( Anselmi Opp., Parisiis 1721, p. 191). Die Religion abstrahiert vom Menschen, von der Welt, aber sie kann nur abstrahieren von den, sei es nun wirklichen oder vermeintlichen Mängeln und Schranken, von dem Nichtigen, nicht von dem Wesen, dem Positiven der Welt und Menschheit, sie muß daher in die Abstraktion und Negation das, wovon sie abstrahiert oder zu abstrahieren glaubt, wieder aufnehmen.

Und so setzt denn auch wirklich die Religion alles, was sie mit Bewußtsein verneint – vorausgesetzt natürlich, daß dieses von ihr Verneinte etwas an sich Wesenhaftes, Wahres, folglich nicht zu Verneinendes ist –, unbewußt wieder in Gott. So verneint der Mensch in der Religion seine Vernunft: er weiß nichts aus sich von Gott, seine Gedanken sind nur weltlich, irdisch: er kann nur glauben, was Gott ihm geoffenbart. Aber dafür sind die Gedanken Gottes menschliche, irdische Gedanken; er hat Plane, wie der Mensch, im Kopf; er bequemt sich nach den Umständen und Verstandeskräften der Menschen wie ein Lehrer nach der Fassungskraft seiner Schüler; er berechnet genau den Effekt seiner Gaben und Offenbarungen; er beobachtet den Menschen in all seinem Tun und Treiben; er weiß alles – auch das Irdischste, das Gemeinste, das Schlechteste. Kurz, der Mensch verneint Gott gegenüber sein Wissen, sein Denken, um in Gott sein Wissen, sein Denken zu setzen. Der Mensch gibt seine Person auf, aber dafür ist ihm Gott, das allmächtige, unbeschränkte Wesen ein persönliches Wesen; er verneint die menschliche Ehre, das menschliche Ich, aber dafür ist ihm Gott ein selbstisches, egoistisches Wesen, das in allem nur sich, nur seine Ehre, seinen Nutzen sucht, Gott eben die Selbstbefriedigung der eignen, gegen alles andere mißgünstigen Selbstischkeit, Gott der Selbstgenuß des Egoismus. »Gott kann nur sich lieben, nur an sich denken, nur für sich selbst arbeiten. Gott sucht, indem er den Menschen macht, seinen Nutzen, seinen Ruhm« usw. S. »P. Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philos. u. Menschh.« Die Religion verneint ferner das Gute als eine Beschaffenheit des menschlichen Wesens: der Mensch ist schlecht, verdorben, unfähig zum Guten, aber dafür ist Gott nur gut, Gott das gute Wesen. Es wird die wesentliche Forderung gemacht, daß das Gute als Gott dem Menschen Gegenstand sei; aber wird denn dadurch nicht das Gute als eine wesentliche Bestimmung des Menschen ausgesprochen? Wenn ich absolut, d. h. von Natur, von Wesen böse, unheilig bin, wie kann das Heilige, das Gute mir Gegenstand sein? gleichgültig ob dieser Gegenstand von außen oder von innen mir gegeben ist. Wenn mein Herz böse, mein Verstand verdorben ist, wie kann ich was heilig, als heilig, was gut, als gut wahrnehmen und empfinden? Wie kann ich ein schönes Gemälde als schönes wahrnehmen, wenn meine Seele eine ästhetische Schlechtigkeit ist? Wenn ich auch selbst kein Maler bin, nicht die Kraft habe, aus mir selbst Schönes zu produzieren, so habe ich doch ästhetisches Gefühl, ästhetischen Verstand, indem ich Schönes außer mir wahrnehme. Entweder ist das Gute gar nicht für den Menschen, oder ist es für ihn, so offenbaret sich hierin dem Menschen die Heiligkeit und Güte des menschlichen Wesens. Was schlechterdings meiner Natur zuwider ist, womit mich kein Band der Gemeinschaft verknüpft, das ist mir auch nicht denkbar, nicht empfindbar. Das Heilige ist mir nur als Gegensatz gegen meine Persönlichkeit, aber als Einheit mit meinem Wesen Gegenstand. Das Heilige ist der Vorwurf meiner Sündhaftigkeit; ich erkenne mich in ihm als Sünder, aber darin tadle ich mich, erkenne ich, was ich nicht bin, aber sein soll, und eben deswegen an sich, meiner Bestimmung nach, sein kann; denn ein Sollen ohne Können ist eine lächerliche Chimäre, ergreift nicht das Gemüt. Aber eben indem ich das Gute als meine Bestimmung, als mein Gesetz erkenne, erkenne ich, sei es nun bewußt oder unbewußt, dasselbe als mein eignes Wesen. Ein anderes, seiner Natur nach von mir unterschiednes Wesen geht mich nichts an. Die Sünde kann ich als Sünde nur empfinden, wenn ich sie als einen Widerspruch meiner mit mir selbst, d. h. meiner Persönlichkeit mit meiner Wesenheit empfinde. Als Widerspruch mit dem göttlichen, als einem andern Wesen gedacht, ist das Gefühl der Sünde unerklärlich, sinnlos.

Der Unterschied des Augustinianismus vom Pelagianismus besteht nur darin, daß jener in der Weise der Religion ausspricht, was dieser in der Weise des Rationalismus. Beide sagen dasselbe, beide eignen dem Menschen das Gute zu – der Pelagianismus aber direkt, auf rationalistische, moralische Weise, der Augustinianismus indirekt, auf mystische, d. i. religiöse Weise. Der Pelagianismus negiert Gott, die Religion – isti tantam tribuunt potestatem voluntati, ut pietati auferant orationem (Augustin de nat. et grat. cont. Pelagium c. 58) –, er hat nur den Schöpfer, d. h. die Natur zur Basis, nicht den Erlöser, den erst religiösen Gott – kurz, er negiert Gott, aber dafür erhebt er den Menschen zu Gott, indem er ihn zu einem Gottes nicht bedürftigen, selbstgenügsamen, unabhängigen Wesen macht (s. hierüber Luther gegen Erasmus und Augustin, 1. c., c. 33). Der Augustinianismus negiert den Menschen, aber dafür erniedrigt er Gott zum Menschen bis zur Schmach des Kreuzestodes um des Menschen willen. Jener setzt den Menschen an Gottes, dieser Gott an des Menschen Stelle; beide kommen auf das nämliche hinaus; der Unterschied ist nur ein Schein, eine fromme Illusion. Der Augustinianismus ist nur ein umgekehrter Pelagianismus, was dieser als Subjekt, setzt jener als Objekt. Denn was dem Gott des Menschen gegeben wird, das wird in Wahrheit dem Menschen selbst gegeben; was der Mensch von Gott aussagt, das sagt er in Wahrheit von sich selbst aus. Der Augustinianismus wäre nur dann eine Wahrheit, und zwar eine dem Pelagianismus entgegengesetzte Wahrheit, wenn der Mensch den Teufel zu seinem Gotte hätte, den Teufel, und zwar mit dem Bewußtsein, daß er der Teufel ist, als sein höchstes Wesen verehrte und feierte. Aber solange der Mensch ein gutes Wesen als Gott verehrt, solange schaut er in Gott sein eignes gutes Wesen an.

Wie mit der Lehre von der Grundverdorbenheit des menschlichen Wesens, ist es mit der damit identischen Lehre, daß der Mensch nichts Gutes, d. h. in Wahrheit nichts aus sich selbst, aus eigner Kraft vermöge. Die Verneinung der menschlichen Kraft und Tätigkeit wäre nur dann eine wahre, wenn der Mensch auch in Gott die moralische Tätigkeit verneinte und sagte, wie der orientalische Nihilist oder Pantheist: das göttliche Wesen ist ein absolut willen- und tatloses, indifferentes, nichts vom Unterschied des Bösen und Guten wissendes Wesen. Aber wer Gott als ein tätiges Wesen bestimmt, und zwar als ein moralisch tätiges, moralisch kritisches Wesen, als ein Wesen, welches das Gute liebt, wirkt, belohnt, das Böse bestraft, verwirft, verdammt, wer Gott so bestimmt, der verneint nur scheinbar die menschliche Tätigkeit, in Wahrheit macht er sie zur höchsten, reellsten Tätigkeit. Wer Gott menschlich handeln läßt, der erklärt die menschliche Tätigkeit für eine göttliche; der sagt: ein Gott, der nicht tätig ist und zwar moralisch oder menschlich tätig, ist kein Gott, und macht daher vom Begriffe der Tätigkeit, respektive der menschlichen – denn eine höhere kennt er nicht – den Begriff der Gottheit abhängig.

Der Mensch – dies ist das Geheimnis der Religion vergegenständlicht Die religiöse, die ursprüngliche Selbstvergegenständlichung des Menschen ist übrigens, wie dies deutlich genug in dieser Schrift ausgesprochen ist, wohl zu unterscheiden von der Selbstvergegenständlichung der Reflexion und Spekulation, diese ist willkürlich, jene unwillkürlich, notwendig, so notwendig als die Kunst, als die Sprache. Mit der Zeit fällt freilich immer die Theologie mit der Religion zusammen. sein Wesen und macht dann wieder sich zum Gegenstand dieses vergegenständlichten, in ein Subjekt, eine Person verwandelten Wesens; er denkt sich, ist sich Gegenstand, aber als Gegenstand eines Gegenstands, eines andern Wesens. So hier. Der Mensch ist ein Gegenstand Gottes. Daß der Mensch gut oder schlecht, das ist Gott nicht gleichgültig; nein! er hat ein lebhaftes, inniges Interesse daran, daß er gut ist; er will, daß er gut, daß er selig sei – denn ohne Güte keine Seligkeit. Die Nichtigkeit der menschlichen Tätigkeit widerruft also der religiöse Mensch wieder dadurch, daß er seine Gesinnungen und Handlungen zu einem Gegenstande Gottes, den Menschen zum Zweck Gottes – denn was Gegenstand im Geiste, ist Zweck im Handeln –, die göttliche Tätigkeit zu einem Mittel des menschlichen Heils macht. Gott ist tätig, damit der Mensch gut und selig werde. So wird der Mensch, indem er scheinbar aufs tiefste erniedrigt wird, in Wahrheit aufs höchste erhoben. So bezweckt der Mensch nur sich selbst in und durch Gott. Allerdings bezweckt der Mensch Gott, aber Gott bezweckt nichts als das moralische und ewige Heil des Menschen, also bezweckt der Mensch nur sich selbst. Die göttliche Tätigkeit unterscheidet sich nicht von der menschlichen. Wie könnte auch die göttliche Tätigkeit auf mich als ihren Gegenstand, ja in mir selber wirken, wenn sie eine andere, eine wesentlich andere wäre, wie einen menschlichen Zweck haben, den Zweck, den Menschen zu bessern, zu beglücken, wenn sie nicht selbst eine menschliche wäre? Bestimmt der Zweck nicht die Handlung? Wenn der Mensch seine moralische Besserung sich zum Zwecke setzt, so hat er göttliche Entschlüsse, göttliche Vorsätze, wenn aber Gott des Menschen Heil bezweckt, so hat er menschliche Zwecke und diesen Zwecken entsprechende menschliche Tätigkeit. So ist dem Menschen in Gott nur seine eigene Tätigkeit Gegenstand. Aber eben weil er die eigne Tätigkeit nur als eine gegenständliche, von sich unterschiedne, das Gute nur als Gegenstand anschaut, so empfängt er notwendig auch den Impuls, den Antrieb nicht von sich selbst, sondern von diesem Gegenstand. Er schaut sein Wesen außer sich und dieses Wesen als das Gute an; es versteht sich also von selbst, es ist nur eine Tautologie, daß ihm der Impuls zum Guten auch nur daher kommt, wohin er das Gute verlegt. Gott ist das ab- und ausgesonderte subjektivste, eigenste Wesen des Menschen, also kann er nicht aus sich handeln, also kommt alles Gute aus Gott. Je subjektiver, je menschlicher Gott ist, desto mehr entäußert der Mensch sich seiner Subjektivität, seiner Menschheit, weil Gott an und für sich sein entäußertes Selbst ist, welches er aber doch zugleich sich wieder aneignet. Wie die arterielle Tätigkeit das Blut bis in die äußersten Extremitäten treibt, die Venentätigkeit es wieder zurückführt, wie das Leben überhaupt in einer fortwährenden Systole und Diastole besteht, so auch die Religion. In der religiösen Systole stößt der Mensch sein eignes Wesen von sich aus, er verstößt, verwirft sich selbst; in der religiösen Diastole nimmt er das verstoßne Wesen wieder in sein Herz auf. Gott nur ist das aus sich handelnde, aus sich tätige Wesen – dies ist der Akt der religiösen Repulsionskraft; Gott ist das in mir, mit mir, durch mich, auf mich, für mich handelnde Wesen, das Prinzip meines Heils, meiner guten Gesinnungen und Handlungen, folglich mein eignes gutes Prinzip und Wesen –, dies ist der Akt der religiösen Attraktionskraft.

Der oben im allgemeinen angegebene Entwicklungsgang der Religion besteht daher näher darin, daß der Mensch immer mehr Gott ab-, immer mehr sich zuspricht. Anfangs setzt der Mensch alles ohne Unterschied außer sich. Dies zeigt sich besonders in dem Offenbarungsglauben. Was einer spätern Zeit oder einem gebildeten Volk die Natur oder Vernunft, das gibt einer frühern Zeit oder einem noch ungebildeten Volke Gott ein. Alle auch noch so natürlichen Triebe des Menschen – sogar den Trieb zur Reinlichkeit stellten die Israeliten als ein positives göttliches Gebot vor. Aus diesem Beispiele sehen wir zugleich wieder, daß Gott gerade um so niedriger, um so gemein menschlicher ist, je mehr sich der Mensch abspricht. Wie kann die Demut, die Selbstverleugnung des Menschen weiter gehen, als wenn er sich sogar die Kraft und Fähigkeit abspricht, von selbst, aus eignem Antriebe die Gebote des gemeinsten Anstandes zu erfüllen! 5. Mose 23, 12.13. Die christliche Religion dagegen unterschied die Triebe und Affekte des Menschen nach ihrer Beschaffenheit, nach ihrem Inhalte; sie machte nur die guten Affekte, die guten Gesinnungen, die guten Gedanken zu Offenbarungen, zu Wirkungen, d. i. zu Gesinnungen, Affekten, Gedanken Gottes; denn was Gott offenbart, ist eine Bestimmung Gottes selbst; wes das Herz voll ist, des geht der Mund über, wie die Wirkung, so die Ursache, wie die Offenbarung, so das Wesen, das sich offenbart. Ein Gott, der nur in guten Gesinnungen sich offenbart, ist selbst ein Gott, dessen wesentliche Eigenschaft nur die moralische Güte ist. Die christliche Religion schied die innerliche moralische Reinheit von der äußerlichen körperlichen, die israelitische identifizierte beide. S. z. B. 1. Mose 35,2. 3. Mose 11,44. 20,26 und Clericus' Kommentar zu diesen Stellen. Die christliche Religion ist im Gegensatze zur israelitischen die Religion der Kritik und Freiheit. Der Israelit traute sich nichts zu tun, außer was von Gott befohlen war; er war willenlos selbst im Äußerlichen; selbst bis über die Speisen erstreckte sich die Macht der Religion. Die christliche Religion dagegen stellte in allen diesen äußerlichen Dingen den Menschen auf sich selbst, d. h. sie setzte in den Menschen, was der Israelite außer sich in Gott setzte. Die vollendetste Darstellung des Positivismus ist Israel. Dem Israeliten gegenüber ist der Christ ein Esprit fort, ein Freigeist. So ändern sich die Dinge. Was gestern noch Religion war, ist es heute nicht mehr, und was heute für Atheismus, gilt morgen für Religion. Erster Teil Das wahre, d. i. anthropologische Wesen der Religion


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