Gustav Theodor Fechner
Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht
Gustav Theodor Fechner

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VII. Glaubenssätze.

Soll ich hiernach noch mein Glaubensbekenntnis im Sinne der Tagesansicht in einige kurze Sätze zusammenfassen, so stelle ich gern an die Spitze desselben einen Spruch, den ich mich freute in einem kleinen, in orthodoxen Kreisen wohlbekannten, Büchlein "Christliches Vergißmeinnicht", das jeden Tag des Jahres zur kürzesten Morgenandacht mit einem Bibelspruch bedenkt, gerade auf meinen Geburtstag treffend, zu finden.

"Es sind mancherlei Kräfte, aber es ist Ein Gott, der da wirkt Alles in Allen" (l.Cor. 12,6).

Wesentlich dasselbe sagt der erste Satz des folgenden Bekenntnisses, und alle andern hängen nur daran. Mit allen und in allen bleibt wahr, daß das Höchste und Beste des Glaubens, worüber nichts Höheres und Besseres geht, schon Sache der universalen Idee des Christentums ist (s. o.). Der eine Gott über allen und in allem das Jenseits mit gerechter Vergeltung, das höchste sittliche Gebot: Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst, sind keine Neuigkeiten der Tagesansicht, sondern ein Licht von oben, ohne das sie, um es nochmals zu bekennen, nicht Richtung und Ziel gefunden hätte; und mit dieser Anerkenntnis schließt das Bekenntnis.

l. Es ist ein Gott, dessen unendliches und ewiges Dasein das gesamte endliche und zeitliche Dasein nicht sich äußerlich gegenüber noch äußerlich unter sich, sondern in sich aufgehoben und sich untergeordnet hat; so daß, soweit und hoch man das Dasein endlicher Dinge verfolgen und durchmessen will, das göttliche Dasein darüber hinausreicht.

2. Also steht auch der Mensch Gott nicht äußerlich gegenüber, sondern ist ihm zugleich eingetan und Untertan, Leben und Bewußtsein des Menschen im göttlichen mit beschlossen.

"In Gott ruht meine Seele,
Weil Gott lebt, lebe ich,
Denn er allein hat Leben;
Ich kann nicht stehn daneben;
Er kann nicht lassen mich."

(Aus den drei Mot. u. Gr. des Glaubens.)

3. Die Welt zwischen den Menschen ist nicht finster und stumm, sondern Gott sieht mit dem Lichte und hört mit dem Schalle seiner Welt alles, was in der Welt ist und geschieht; und über allem, was er mehr sieht und hört, als seine Geschöpfe, bauen sich auch in ihm höhere Gedanken als in den höchsten dieser Geschöpfe.

4. Die Menschen haben sich zu bescheiden, nicht obenan in der Welt zu stehen, sondern find nur die höchsten individuellen Entwicklungsstufen des irdischen Reiches, welche aber durch höhere Beziehungen darin verknüpft sind und über welchen die Welt noch höhere Stufen einschließt, die sich endlich alle in der höchsten Stufe, d. i. der des göttlichen Daseins, zusammen- und abschließen.

5. Jedes Gestirn hat seine eigne Sinneswelt und darüber aufsteigende höhere Bewußtseinswelt, die sich über der seiner Geschöpfe einheitlich zusammenschließt und gegen die der andern Gestirne abschließt, für das göttliche Bewußtsein aber ganz aufgeschlossen bleibt, so daß die Gestirneeine Zwischen- und Vermittlungsstufe zwischen ihren Geschöpfen und Gott bilden, also auch die Erde.

"In Gott ruht meine Seele,
Der Engel ganze Schaar
In seinen reinen Höhen
Lichtstrahlend seh’ ich gehen
Und einer trägt mich gar."
 
 

6. Wie unser diesseitiges irdisches Leben ein weiteres und höheres um sich und über sich hat, wird es ein solches nach sich haben, indem seine Fortsetzung anstatt im weiteren und höheren Leben verfließend aufzugehen, als neues Entwicklungsmoment darein eingeht und Teil daran gewinnt. Was unsrer Anschauung beim Erlöschen begegnet, daß sie als Erinnerung in einem höheren Gebiete unsres Geistes wiedergeboren wird, davon wird das Entsprechende nur erweitert und gesteigert unserm ganzen Geiste im Geiste darüber, dem er schon jetzt eingetan ist, begegnen.

"In Gott ruht meine Seele;
Du sprichst, daß sie vergeht,
Da trag’ ich keine Sorgen,
Auf immer ist geborgen,
Die jetzt in ihm besteht.

In Gott ruht meine Seele,
Scheint ganz es mit ihr aus,
Die Spur von ihr verloren,
Tritt sie nur neugeboren
Ein in sein höhres Haus."

7. Das jenseitige Leben der Geister wird nicht mehr in dieselben engen räumlichen Schranken gebannt sein, als das diesseitige. Die Geister werden darin in einen freieren innigeren und höheren Verkehr treten als im diesseitigen, und die hier nur angebahnte Gerechtigkeit wird dort nach dem Prinzip erfüllt werben, daß jedem seine Werke nachfolgen und er dort ernten wird, was er hier gesät hat.

8. Unser Irrtum, unsre Torheit und Sünde hängt nur an unsrer Endlichkeit und unserm niederen Standpunkte in Gott, nicht anders als im Menschen selbst Vorstellungen, Gedankenund Triebe gegen seine höhere Einsicht und seinen höheren Willen entstehen und gehen können, doch bleibt die rechte Einsicht, der rechte Wille und das Gebot ihm darüber.

"In Gott ruht meine Seele,
Gott wirkt sie in sich aus;
Sein Wollen ist mein Sollen;
Ich kann dawider wollen;
Doch Er führt es hinaus.

In Gott ruht meine Seele,
Der selber sündigt nicht,
Trägt doch mit seinem Kinde
In sich auch dessen Sünde,
Führt es zuletzt zur Pflicht."

9. Aller Schmerz und alles Leiden, alles Übel in der Welt überhaupt ist nicht durch Gottes Willen noch Zulassung, sondern durch eine Notwendigkeit der Existenz da; aber mit gleicher Notwendigkeit, als es da ist, liegt im Wesen Gottes und hiermit der von ihm abhängigen Weltordnung das Streben es zu heben, zu versöhnen, woran sich seine Geschöpfe mit zu beteiligen haben. Schließlich und vollständig kann er es nur in sich heben und versöhnen, indem er es in allen seinen Geschöpfen tut; und je weiter und höher seine Mittel über seine Geschöpfe hinauf und hinaus in Zeit und Raum und Aufstieg zu höheren Lebensstufen reichen, so sicherer wird die Hebung und Versöhnung sein; man muß sie auch nur von da erwarten. Mit solchem Glauben kann man sich ruhig schlafen legen.

"In Gott ruht meine Seele;
O Trost im größten Leid!
Gott kann’s nicht in sich dulden,
Es sind nur Freudenschulden,
Ich warte meiner Zeit.

In Gott ruht meine Seele;
Es sei das letzte Wort;
Ob fern auch noch vom Hafen,
Ich kann doch ruhig schlafen,
Er ist mein ew’ger Port."

10. In den Ideen der Wahrheit, Schönheit, Güte gipfelt sich das göttliche Wesen, und in Glaube, Hoffnung, Liebe das des Menschen in bezug auf Gott.

"In Gott ruht meine Seele,
Er hält in sich den Rat
Von Wahrheit, Schönheit, Güte,
Daß Einheit im Gemüte
Und Richtschnur sei der Tat.

In Gott ruht meine Seele,
Und schwankt sie noch so viel
Geirrt von irdischen Trieben,
In Glauben, Hoffen, Lieben
Bleibt Er ihr höchstes Ziel."

11. Die göttlichen, d. i. sittlichen Gebote haben den Sinn, daß der Mensch sein Trachten und Handeln in der Richtung auf das eigne Wohl dem Trachten und Handeln in der Richtung auf das Wohl des Ganzen, dem er angehört, unterordne. Der Mensch ist dahin zu erziehen, daß er aus Liebe seine Pflicht tut, und sein Gewissen ihm ohne Rechnung sagt, was recht ist.

12. Die erhabensten und allgemeinsten Lehren des Christentums sind die höchsten, besten und haltbarsten überhaupt, welche die Religion an ihre Spitze stellen kann, und Christus steht an der Spitze aller Zeugen für das Dasein und die Geltung der höchsten, besten, heiligsten Wahrheiten.

"In Gott ruht meine Seele,
Die Seele fleht ihn nicht,
Da Gott den Herrn zu zeigen
Die Zeugen niedersteigen,
Christus voran als Licht."


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