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Durch die in der materiellen Welt, kurz Natur, waltenden Kräfte werden Veränderungen erzeugt, die, so mannigfaltig sie sind, doch im Prinzip einer allgemeinen Gesetzlichkeit, was Ursachen und Folgen verknüpft, kurz als Kausalprinzip von uns bezeichnet, ein Band finden, wovon im vorigen Abschnitte die Rede war. Dabei ward die Frage berührt, ob der Enderfolg der Wirkung dieser Kräfte nicht durch ein entsprechend allgemeines Prinzip, kurz Finalprinzip, bestimmbar sei.
Zwar, wenn die Zeit kein Ende hat, sollte der Weltgang ein Ende haben? Man brauchte das nicht anzunehmen, um von einem Finalzustande zu sprechen, wenn man einen solchen darunter versteht, dem die Welt ins Unbestimmte (asymptotisch) zustrebtUnter Streben versteht man in der materiellen Welt überhaupt eine Kraft oder Kraftwirkung, die sich durch ihren Erfolg selbst beweist. Wenn keine andersher wirkenden Kräfte in entgegengesetzter Richtung überwiegen oder keine Widerstände die Wirkung aufheben. So besteht ein Streben jedes Körpers nach dem Erdmittelpunkt zu fallen, d. h. eine Kraft, welche ihn dahin zieht, und er fällt wirklich in dieser Richtung, solange keine überwiegend hebenden Kräfte entgegenwirken, oder der Widerstand des Erdbodens nicht den Erfolg seines Strebens aufhebt. Ein an einem Ende befestigtes Seil strebt durch einen daran angebrachten Zug zu zerreißen; doch geschieht es nicht, solange die gegenwirkende Kraft der Elastizität das Zerreißen hindert usw. Daß ein Streben empfunden werden kann, geht das geistige Gebiet an, aber wir beziehen uns zunächst nur auf die materielle Welt im Sinne des Physikers, um erst später die Beziehung auf die geistige Welt mit zu erstrecken., ohne ihn je zu erreichen. Ein Ruhestand könnte es nicht sein. Solange das Gesetz der Erhaltung der Kraft gilt. Aber es könnte eine Weise, ein Verhältnis der Bewegung sein.
Nun ließe sich allerdings recht wohl denken, daß Wirkungen und Gegenwirkungen in der materiellen Welt sich im ganzen immer so kompensierten oder in unbestimmtem Wechsel so überwögen, daß überhaupt von einem Streben der ganzen materiellen Welt nach einem bestimmten Finalzustande oder gar einem Erfolge dieses Strebens, d. i. eine Näherung an einen solchen, nicht zu sprechen sei. Aber es gibt tatsächliche Verhältnisse, die uns doch recht wohl daran denken lassen.
Sei ein sich selbst überlassenes oder unter konstanten Außenbedingungen befindliches materielles System gegeben, dessen Teilchen durch ihre Kräfte in einem begrenzten Raume zusammengehalten werden. Die Rechnung lehrt für gewisse nicht zu schwierige Fälle, die Erfahrung beweist allgemeiner, daß die Teilchen in solche Verhältnisse zueinander treten und durch die von diesen Verhältnissen abhängigen Kraftwirkungen in solche Bewegungen bezüglich einander geraten können, daß sie periodisch, d. h. nach gleichen aufeinander folgenden Zeitabschnitten entweder völlig oder mit größerer oder geringerer Annäherung zu denselben Verhältnissen zurückkehren und mithin auch wegen Wiederkehr der davon abhängigen Kraftwirkungen dieselben Bewegungen bezüglich einander völlig oder approximativ wiederholen, was wir einen völlig oder approximativ stablen Bewegungszustand (nicht zu verwechseln mit einem stablen Gleichgewichtszustand) nennen wollen.
So würde die relative Bewegung von Sonne und Erde, abgesehen von den Störungen durch die andern Planeten und einem etwaigen Widerstande des Äthers, eine völlig stable sein, mit Rücksicht auf die Störungen ist sie eine approximativ stable. So ist die Rotationsbewegung der Erde abgesehen davon, daß die Teilchen an der Erdoberfläche und selbst im inneren Glutmeer mehr oder weniger unregelmäßige Bewegungen machen, eine völlig stable, mit Rücksicht auf diese, in Verhältnis zur gemeinsamen Rotationsbewegung doch nur als gering anzuschlagenden Bewegungen ist sie eine approximativ stable. Die Bewegung eines Pendels und einer an ihren Endpunkten befestigten Saite würde, abgesehen von dem Widerstande der Luft und der Reibung, an den Befestigungspunkten eine völlig stable sein, mit Rücksicht auf diese Umstände ist sie eine approximativ stable. Die gesamten Massen unsres Sonnensystems sind bezüglich einander in einer approximativ stablen Bewegung begriffen, sofern sie wegen der Inkommensurabilität ihrer Umlaufszeiten zwar nie genau, aber doch in längeren Perioden annähernd zu denselben Verhältnissen bezüglich einander zurückkehren, und hiernach annähernd dieselben Bewegungen wiederholen. Unser ganzer Organismus ist auf mehr oder weniger approximativ stable Bewegungszustände in Wachen und Schlaf, Atmen, Kreislauf, peristaltischer Bewegung der Eingeweide usw. eingerichtet. Jede Art Bewegung überhaupt ist, insoweit sie als regelmäßige bezeichnet werden kann, eine stable, indem die Regel selbst einen Gesichtspunkt der Wiederholung bedeutet; und man darf wohl annehmen, obwohl der genaue Beweis noch zu führen ist, daß, insoweit die Bewegungen der Teile eines Systems von räumlicher Anordnung derselben abhängen, Regelmäßigkeit dieser Anordnung auch zu regelmäßigen, hiermit stablen Bewegungen der Teile gegeneinander Anlaß gibt.
Wenn wir freilich die Teilchen eines Systems von vornherein nach Zufall irgendwie angeordnet, ihre Anfangsgeschwindigkeiten beliebig groß und beliebig gerichtet denken, werden auch die verschiedensten Bewegungen derselben gegeneinander und darunter zunächst ganz instable daraus resultieren können. Ein Erfolg dieser Instabilität selbst aber ist, daß die Teilchen, anstatt dieselben Bewegungen bezüglich einander zu wiederholen und mithin zu denselben Verhältnissen zurückzukehren, ins Unbestimmte fort ruhelos in immer neue Verhältnisse geführt werden, bis sie unter allen möglichen Verhältnissen, in die sie solchergestalt geraten können, in die geraten sind, welche entweder eine genaue, oder sollte eine solche nach Sachlage der Ausgangsbedingungen nicht erreichbar sein, möglichst approximative Wiederkehr gestatten, wonach erstere, wenn sie erreicht ist, nie wieder verlassen werden kann; indes die zweite doch einen Grenzwert bezeichnet, von dem kein Rückschritt in der Approximation zu erwarten. Beides freilich nur, solange das System sich wirklich selbst überlassen oder unter konstanten Außenbedingungen befindlich bleibt, und insofern ersteres jedenfalls vom System der ganzen Welt gilt, kann man von einer in der Welt bestehenden Tendenz zur Stabilität sprechen, und das Dasein einer solchen Tendenz als Prinzip aussprechen. In der Tat bezeichnet hiernach Stabilität oder eine vielleicht nicht überschreitbare Approximation daran den Endzustand der Welt, zu dem die gesamten Bewegungen hinstreben, von dem sie aber nicht rückstreben; was allerdings nicht ausschließt, daß ein in einem einzelnen Teile oder Gebiete der Welt erreichter stabler Zustand durch Änderung seiner Außenverhältnisse zeitweis wieder gestört wird, doch nur um einem neuen stablen Zustande mit Beziehung auf diese geänderten Verhältnisse im Sinne der Tendenz des Ganzen entgegenzugehen, worauf weiterhin zurückzukommen.
Als eine aprioristische Seite dieses Prinzips kann man geltend machen, daß, wenn überhaupt von einem Finalprinzip die Rede sein soll, es kein andres als unser Prinzip sein kann; denn sollten die Bewegungen ins unbestimmte sich ändern, so wäre damit eben gesagt, es gebe keinen Endzustand, dem sie sich nähern. Also fällt die Frage nach der Statthaftigkeit unsres Prinzips mit der Frage nach der Statthaftigkeit eines Finalprinzips überhaupt zusammen. Nun wäre freilich sehr erwünscht, dasselbe als ein notwendiges aus der allgemeinen Natur der Kräfte ableiten zu können, was doch bis jetzt nicht der Fall ist. Selbstverständlich daran, also nicht minder aprioristisch ist, daß, wenn einmal Bedingungen eingetreten sind, welche zur Wiederherstellung früherer Bedingungen zurückführen, dieser Zustand der Stabilität bei Ausschluß äußerer ändernder Kräfte nicht wieder rückgängig werden kann, und ebenso selbstverständlich, daß, solange nicht volle Stabilität in diesem Sinne da ist, die Bewegungen ruhelos sich ändern müssen, bis sie erreicht ist, wenn sie überhaupt erreichbar ist. Aber es ist bis jetzt nicht aus der Natur der Kräfte erwiesen, daß bei der für das Denken unbegrenzten Möglichkeit instabler Bewegungsformen diese ruhelose Veränderung wirklich unter allen Umständen mehr und mehr einem stablen Zustande approximiert und unter allen Umständen, wenn nicht volle Stabilität, aber eine Approximation daran ohne Rückschritt erreichbar sei. Wir können also das Prinzip der Tendenz zur Stabilität im angegebenen Sinne nur bis zu gewissen Grenzen als ein aprioristisch selbstverständliches erklären, indes wir es in einigen sich der Rechnung leicht fügenden einfachen Fällen als erwiesen, im übrigen aber als ein sehr allgemeingültiges Erfahrungsprinzip anzusehen haben. Was namentlich den in dasselbe hineintretenden Satz anlangt, daß in einem sich selbst überlassenen oder unter konstanten Außenbedingungen befindlichen System kein Rückschritt in betreff der Annäherung an Stabilität gemacht werde, so können wir auf das Planetensystem weisen, dessen Massen bemerktermaßen zwar nie wieder genau in dieselben Verhältnisse zueinander zurückkehren, aber es doch in einer solchen Annäherung tun, daß gewisse Grenzen der Abweichung nicht überschritten werden.
Als Grenzfälle der Stabilität und Instabilität eines Systems können wir beziehentlich den Fall bezeichnen, wo die Teilchen des Systems immer in denselben Verhältnissen zueinander bleiben, d. i. den Zustand der Ruhe gegeneinander, den wir als absolute (innere) Stabilität des Systems bezeichnen, und den Fall, wo sie ihr Verhältnis durch Zerstreuung ins Unbestimmte fortgehends ändern. Die Tendenz zur Stabilität im Weltganzen geht aber nicht auf absolute, sondern nur auf volle Stabilität, oder möglichste Approximation daran. Denn die Erreichung einer absoluten Stabilität würde ein Verschwinden der lebendigen Kraft in der Welt voraussetzen, was bemerktermaßen dem Gesetze ihrer Erhaltung widerspricht, wogegen volle Stabilität eines Systems rücksichtslos auf die Größe der darin tätigen lebendigen Kraft bestehen kann; nur daß die Verhältnisse der lebendigen Kraft zwischen den einzelnen Teilen des Systems, für welche Stabilität besteht, nicht durch einseitige Steigerung oder Minderung der lebendigen Kraft gewisser Teile verlassen werden können, ohne die Stabilität des Ganzen zu stören.
Um das vorige zusammenzufassen, so besteht das Prinzip der Tendenz zur Stabilität für ein, seinen eignen Kräften überlassenes oder unter konstanten Außenbedingungen befindliches System, welches in einem gegebenen Raum zusammengehalten ist, darin, daß es sich durch die Wirkung seiner inneren Kräfte ohne Rückschritt mehr und mehr einem sog. stabeln Zustand nähert, das ist einem solchen, wo die Teile periodisch, d. h. in gleichen Zeitabschnitten, in dieselben Lagen- und Bewegungsverhältnisse zueinander zurückkehren.
Für das Weltganze kann der Ausspruch dieses Prinzips als streng in Anspruch genommen werden, für Partialsysteme des Weltganzen aber, sofern sie äußeren Einwirkungen seitens andrer Systeme unterliegen, treten weiter folgende Betrachtungen ein, wonach für solche zugunsten wachsender Stabilität des Ganzen zeitweise, doch nur zeitweise, Rückschritte in der Stabilität stattfinden können, indes sie doch schließlich sich der Tendenz des Ganzen fügen müssen.
Blicken wir hiernach von der materiellen Welt hinüber auf die davon getragene, d. i. in einem Verhältnis der Bedingtheit dazu stehende, geistige Welt, so können wir von vornherein Anlaß finden, die allgemeine Tendenz der materiellen Bewegung zur Stabilität in erster mit der ebenso allgemeinen Tendenz zu befriedigenden oder lustvollen Zuständen in letzter, und hiernach auch Stabilität in erster mit Befriedigung oder Lust in letzter in Beziehung zu denken. Etwas bestimmter entwickelt läuft dieser Gedanke darauf hinaus: psychophysische"Psyhologisch" kurzer Ausdruck für Physisch insofern es etwas Psychisches trägt, d. i. in einem Verhältnis der Bedingtheit dazu steht. Vorgänge überhaupt für um so befriedigender oder lustvoller zu halten, je mehr sie sich über eine gewisse Grenze oder Breite, die der Indifferenz, hinaus der vollen Stabilität nähern; für um so unlustvoller, je mehr sie sich unter diese Grenze oder Breite herab von der vollen Stabilität entfernen. Allerdings ist dies zunächst nur eine Hypothese, und ob sie haltbar ist, wird davon abhängen, ob sie durchführbar ist. Vorbehaltlich hierauf unten in einer allgemeineren Betrachtung zurückzukommen, nehmen wir immerhin bei folgender weiterer Erläuterung der physischen Seite des Prinzips auf dessen voraussetzliche psychische Tragkraft mit Rücksicht. Was dabei von Lust- und Unlustverhältnissen bezüglich stabler und instabler Verhältnisse schlechthin ausgesagt wird, läßt sich allgemeiner auf Verhältnisse oberhalb und unterhalb der Indifferenz in vorigem Sinne beziehen.
Man hat innere und äußere Stabilitätsverhältnisse zu unterscheiden; innere, insofern sie sich auf die relativen Bewegungsverhältnisse der Teile eines Systems für sich beziehen, äußere, sofern sie sich auf die Teile zweier oder mehrerer Systeme in bezug zueinander beziehen. Hiernach können zwei Partialsysteme der Welt A und B, deren jedes eine Anzahl Teilchen enthält, in innerer Stabilität für sich, in äußerer Instabilität zueinander und hiermit das Gesamtsystem beider innerlich instabel sein, indem zwar sowohl die Teilchen von A als von B für sich, aber nicht die Teilchen beider in bezug zueinander, wegen Inkommensurabilität ihrer Bewegungen zueinander, nach gleichen Zeitabschnitten in dieselben Verhältnisse zueinander zurückkehren. Hingegen kann kein System innerliche Stabilität besitzen, ohne daß seine Teile, sofern sie selbst noch Teile enthalten, zugleich innerlich und gegeneinander äußerlich Stabilität besitzen.
Versuchen wir nun die psychische Deutung dieser Verhältnisse, so können die psychischen Wesen, die zwei Systemen A, B zugehören, durch innere Stabilität eines jeden für sich genommen in befriedigendem Zustande sein, aber in einem unbefriedigenden Verhältnisse zueinander, welches von dem psychischen Wesen, das dem System A und B und allgemeiner dem Gesamtsystem der Welt zugehört, gespürt wird, und Anlaß wird, den Zustand von A und B solange abzuändern, bis durch wachsende Stabilität im ganzen auch ein zusagenderes Verhältnis für das Ganze eintritt. Hierzu aber muß der innere Stabilitätszustand von A und B für sich zeitweis verlassen werden, was die Unlust mitführt, sich aneinander anzupassen, bis durch die doch erfolgende Anpassung, welche aber nicht plötzlich erfolgen kann, ein zugleich äußeres und inneres Stabilitätsverhältnis für beide und hiermit zugleich für das System beider herbeigeführt ist.
Solange zwei Systeme oder Teile A, B bei innerer Stabilität eines jeden, aber mangelnder äußerer Stabilität bezüglich einander, außer Wirkungsbezug zueinander stehen, wird auch kein gegenseitiger Einfluß auf die Änderung ihres Bewegungszustandes stattfinden können; mithin eine Tendenz, Stabilität zwischen ihnen herbeizuführen, nicht merkbar sein. So wie aber B mit A durch wachsende Nähe oder Zwischeneintritt von Mittelgliedern in Wechselwirkung tritt, wird auch der Stabilitätszustand jedes für sich Abänderungen erleiden, um durch instable Zustände hindurch das System beider einer vollen oder approximativen inneren Stabilität entgegenzuführen, worin die eigne eines jeden für sich wieder inbegriffen ist.
Von andrer Seite dürfte es im Sinne des Prinzips liegen, ohne daß freilich ein bestimmter allgemeiner Beweis dafür schon vorliegt, daß eine in den vorhandenen Bedingungen bestehende Schwierigkeit, A und B einem approximativ stabeln Verhältnisse zueinander entgegenzuführen, durch Eintritt einer Entfernung zwischen ihnen oder Bruch der Vermittlungsglieder, welche die Wirkungsbeziehung zwischen ihnen unterhalten, bis zu gewissen Grenzen kompensiert werden kann, worunter physischerseits zu subsumieren, daß wenn ein Planet nach seinen Verhältnissen zur Sonne nicht in einen stabeln Bewegungszustand in bezug zu ihr zu geraten vermag, er sich zufolge des Gravitationsgesetzes ins Unbestimmte wie ein Komet von ihr entfernt, bis er etwa in die Anziehungssphäre einer andern Sonne kommt, worin er festgehalten wird; indes psychischerseits hierher gezogen werden kann, daß feindliche Individuen, die sich weder einander anzupassen vermögen, noch von welchen eins das andre zu besiegen und dadurch sich zu akkommodieren vermag, sich möglichst vermeiden, fliehen, oder die Verbindung miteinander abbrechen.
Der unvollkommen stable innere Zustand eines Systems läßt sich, allgemein gesprochen, in einen vollkommen oder möglichst approximativ stablen gemeinsamen Bewegungszustand aller Teile und einen instabeln der einzelnen Teile zerlegt oder daraus zusammengesetzt denken. So können die Bewegungen, in welchen die Teile unsrer Erde begriffen sind, aus der allen gemeinsamen stablen Rotationsbewegung der Erde und den instabeln relativen Bewegungen derselben gegeneinander zusammengesetzt gedacht werden. So können die Schwerpunkte zweier Massen eines Systems, auf die man eine gemeinsame Bewegung aller Teile übertragen denkt, in stabler Bewegung bezüglich einander begriffen sein, indem sie sich in regelmäßiger Periode umkreisen, indes die Teilchen beider Massen in instabler Bewegung bezüglich einander begriffen sind. Eine Saite kann im ganzen in regelmäßiger Periode auf- und abschwingen und damit ihren Hauptton mit feinen Obertönen geben, aber zugleich ein störendes Nebengeräusch durch unregelmäßige Schwingungen geben usw.
Und so kann uns auch etwas aus allgemeinen Hinsichten, nach Hauptbeziehungen befriedigen, was uns nach besonderen Bestimmungen Unbefriedigung erweckt.
Insofern alle stabeln Bewegungen periodische sind, kommt überhaupt wesentlich in Rücksicht, daß sich in größere Perioden kleinere einbauen können, und daß sich die Stabilitätsverhältnisse in bezug auf die größeren und kleineren Perioden besonders verfolgen lassen. Soll aber eine volle oder angenäherte innere Stabilität des Systems mit Rücksicht auf die gesamten Bewegungsverhältnisse desselben stattfinden, so gehört dazu, daß nicht nur die Perioden jedes Teilchens für sich, sondern auch die der verschiedenen Teilchen zueinander in ganz oder approximativ rationalen Verhältnissen stehen. Zwei Hauptfälle treten unter diesen Begriff, einmal, daß die Teilchen eines Systems alle dieselbe gemeinsame Bewegung in regelmäßiger Periode annehmen, und daß sie Schwingungen machen, deren Zeiten in rationalen Verhältnissen zueinander stehen.
Aber fassen wir nach der bisherigen nur beispielsweisen Mitbezugnahme auf die psychische Seite des Prinzips dieselbe jetzt allgemeiner ins Auge.
Der Zustand der Lust ist psychischerseits solidarisch mit einem, wenn nicht für sich ins reflektive Bewußtsein tretenden, jedenfalls ins bewußte Leben fallenden, das Bewußtsein mitbestimmenden. Streben, denselben Zustand zu erhalten oder zu steigern, der Zustand der Unlust mit einem Streben, ihn zu verbessern, zu beseitigen, oder zu mindern, in Verbindung. Zwar können wir auch aus freiem bewußten Antriebe einen lustvollen Zustand mit einem unlustvollen vertauschen, aber dann stets nur wegen Konflikts mit überwiegenden Motiven im obigen Sinne. Die Lust des guten, die Pein des bösen Gewissens, die Lust der Empfindung, durch jetzige Unlust größere Lust zu erwerben, die Unlust der Voraussicht, daß wir große Unlust zu tragen haben werden, wenn wir uns jetzt nicht kleinere Unlust gefallen lassen, gehören zu solchen Motiven, sind aber alles Motive im obigen Sinne.
Lust wie Unlust kann sich an die verschiedenartigsten Zustände knüpfen. Jedes Sinnesgebiet hat seine eigentümliche Lust und Unlust; oder vielmehr die Lust und Unlust kann durch Eingehen in verschiedene Sinnesgebiete verschiedene Mitbestimmungen erhalten, worüber schon im 15. Abschnitte gesprochen ist. Es kann uns etwas nach allgemeinen Beziehungen Lust machen, was uns nach besonderen Beziehungen Unlust macht; z. B. ein Gemälde nach seiner allgemeinen Komposition gefallen, indes uns besondere Figuren darin mißfallen. Es kann ferner Lust wie Unlust bei den verschiedensten Graden psychischer Tätigkeit bestehen, z. B. eine leise wie rauschende Musik ebensowohl gefallen als mißfallen, nur daß die Tätigkeit jedenfalls die psychische Schwelle übersteigen mußDas in m. Elem. d. Psychophysik näher erörterte Gesetz der Schwelle besteht darin, daß jeder physische Vorgang, welcher seiner Natur nach eine gegebene Bestimmung des Bewußtseins mitzuführen vermag, doch erst einen gewissen Grad der Stärke, die sog. Schwelle, übersteigen muß, soll die betreffende Bestimmung wirklich bewußt werden., weil Lust wie Unlust wesentlich Bestimmungen des Bewußtseins sind.
Halten wir nun zunächst den ganz allgemeinen Gesichtspunkt im Auge, daß, nach Maßgabe als Instabilität stattfindet, ein Streben besteht, d. h. die Kräfte dahin gehen, diesen Zustand zu verlassen und in Stabilität überzuführen; nach Maßgabe als Stabilität besteht, ein Streben, diesen Zustand zu erhalten oder, im Falle bloßer Approximation daran, soweit es nach Sachlage der Bedingungen möglich ist, noch zu steigern; weiter aber, daß Verhältnisse der Stabilität und Instabilität bei den allerverschiedensten Bewegungsweisen vorkommen können, daß sie nach allgemeineren und besonderen Beziehungen bestehen können, daß sie an keinen besonderen Grad der lebendigen Kraft gebunden sind, so werden wir die oben angegebenen allgemeinsten Bedingungen der Repräsentation von Lust und Unlust erfüllt finden, wenn wir im allgemeinen, mit Vorbehalt näherer Bestimmungen, Lust mit Stabilität, Unlust mit Instabilität psychophysischer Zustände oder Verhältnisse der Bewegung über der Schwelle in Beziehung setzen. Auch kommt der Hinblick auf die geläufigsten Beispiele der Entstehung von Lust und Unlust dieser Hypothese zustatten, indem die gemeinsame Deutung dieser Beispiele im Sinne der Hypothese leicht fällt, während ein andrer verknüpfender Gesichtspunkt für die Mannigfaltigkeit derselben kaum denkbar erscheint; nur daß die Unmöglichkeit einer direkten Beobachtung unsrer psychophysischen Zustände bei den betreffenden Beispielen einer strengen Zurückführung auf die Hypothese im Wege steht. Kürzehalber fassen wir bei der Erörterung hierüber Lust- und Unlustverhältnisse unter der kurzen Bezeichnung ästhetischer Verhältnisse zusammen und nennen Zustände und Bewegungsweisen harmonische oder disharmonische, je nachdem sie mehr nach Seite der Lust oder Unlust neigen.
Nehmen wir einen reinen Ton. Er gefällt uns durch seine Reinheit. Worauf beruht dieselbe? Darauf, daß die Schwingungen in regelmäßiger Periode, also abgesehen vom allmählichen Verklingen, in voller Stabilität vor sich gehen. Beim unreinen Tone mischen sich Schwingungen ein, welche diese regelmäßige Wiederkehr, mithin Stabilität stören. Nehmen wir einen harmonischen Akkord, so kompliziert sich der Schwingungszustand, aber kehrt nach nicht zu langen Zwischenzeiten wieder zu seinem Ausgange zurück. Bei disharmonischen Akkorden, deren Töne Schwingungszeiten haben, welche in rationalen, aber nur durch große Zahlen ausdrückbaren, Verhältnissen stehen, ist dies erst nach längeren Zwischenzeiten, bei solchen, wo sie in irrationalen Verhältnissen stehen, nie der Fall. Nun würde der ideale Fall, daß dieselben Verhältnisse sich erst nach unendlicher Zeit wieder herstellten, als Fall der Instabilität gelten, und unstreitig kommt daher auch die Länge der Perioden, in welchen die Stabilität verläuft, insbesondre für Wesen, deren Leben selbst einer endlichen Periodizität unterliegt, bei der Lust- und Unlustrechnung auf eine noch näherer Bestimmung bedürftige Weise in Betracht; der Takt der Musik und des Tempos, Versmaß und Reim des Gedichts ordnen sich unmittelbar dem Begriffe der Stabilität unter. Die reine Farbe verhält sich wie der Ton. Das regelmäßige Farbenmuster, die Symmetrie, jede Regelmäßigkeit überhaupt geben nach den früher gemachten Bemerkungen unstreitig zu stabeln Bewegungen Anlaß. Es ist wenigstens leicht zu denken, daß die Einstimmigkeit der Teile jedes Kunstwerks zu einem einheitlichen Eindruck auf Erweckung stabler Bewegungen beruht, und daß bei jedem Schmerze Störungen regelmäßiger hiermit stabler Bewegungen in uns stattfinden.
Das bekannte sehr allgemeine ästhetische Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen spricht dafür, daß die Lust überhaupt wächst, je mehr und je mannigfaltigere Perioden sich einer größeren allgemeineren Periode harmonisch, d. h. in stablem Verhältnis dazu, einbauen.
Von der Unlust der Langeweile vermute ich: sie hängt daran, daß, wenn nichts da ist, unsre Aufmerksamkeit zu fesseln und in bestimmter Richtung zusammenzuhalten, unser psychophysischer Prozeß überhaupt in kleine instable Bewegungen zerfällt.
Insofern Bewußtseinsphänomene, welche verschiedenen Teilen unsres psychophysischen Systems, wie Gesichtsorganes, Gehörorganes, Tastorganes zugehören, zugleich unterschieden und in einem einheitlichen Bewußtsein verknüpft werden können, kann auch die Lust oder Unlust, die an den inneren Stabilitätsverhältnissen der Teile für sich hängt, und die, welche an den gegenseitigen äußeren beider, hängt, unterschieden werden. So, wenn zwei für sich wohlgefällige oder mißfällige Farben, welche von verschiedenen Optikusfasern perzipiert werden, eine wohlgefällige oder mißfällige Farbenverbindung darstellen, oder wenn zwei für sich wohlklingende oder mißklingende Töne, welche von verschiedenen Akustikusfasern perzipiert werden, miteinander konsonieren oder dissonieren.
Eigentümlich ist, daß Unlustreize, allgemein gesprochen, ihre Wirkung nicht so leicht erschöpfen, als Lustreize und die Aufmerksamkeit zwar auch nicht kontinuierlich, aber doch anhaltender und in häufigerer Wiederkehr zu fesseln vermögen, als Lustreize; man denke an einen Zahnschmerz, eine Sorge. Ohne den Grund dieses Unterschiedes schon vollkommen klären zu können, glaube ich doch, ein Gesetz der Aufmerksamkeit, was freilich selbst noch einer weiteren Zurückführung bedarf, dafür in Anspruch nehmen zu können, wonach die Aufmerksamkeit besonders durch Änderungen im Gebiete der Phänomene, auf die sie sich bezieht, angezogen wird, sofern Instabilität und Veränderlichkeit eines Bewegungszustandes sich in gewisser Weise identifizieren lassen; auch läßt sich wenigstens im allgemeinen übersehen, daß der betreffende Unterschied im Sinne der Tendenz zur Stabilität oder Harmonie ist. Indem nämlich ein Unlustreiz die Aufmerksamkeit auf sich zieht, zieht er sie zugleich auf die dazu in Bezug stehenden Mittel und das Aufsuchen solcher Mittel, ihn zu beseitigen und bestimmt unsre Tätigkeit in dieser Richtung solange, bis er beseitigt ist. Ein Lustreiz aber braucht die Aufmerksamkeit nicht auf sich und die Mittel, ihn herbeizuführen, zu ziehen, weil er schon da ist. Also ist es mehr im Sinne der Tendenz zur Harmonie, die Aufmerksamkeit auf Unlustreize als Lustreize geheftet zu halten, was freilich den Nachteil für uns hat, daß uns Unlustreize, allgemein gesprochen, länger plagen als Lustreize erfreuen, aber im ganzen den überwiegenden Vorteil bringt, daß sie um so sicherer und nachhaltiger gehoben werden.
Daß unser Prinzip überhaupt viel mehr der optimistischen als pessimistischen Weltansicht zu Hilfe kommt, leuchtet ohne weiteres ein. Denn es geht daraus zwar keine Folgerung für den bestehenden Zustand der Welt hervor, wohl aber für eine nicht erfolglose von jeher bestandene und in Ewigkeit fortbestehende Tendenz zur Besserung der Zustände, worauf wir schon von andrer Seite her durch die Erörterungen des 15. Abschnittes geführt wurden; und es gewährt einen eigentümlichen Trost, ein Prinzip zu kennen, welches diese Besserung verbürgt, und uns derselben unweigerlich so entgegenführt, daß keine Rückschritte darin für das Ganze möglich, die Rückschritte im einzelnen und für den einzelnen aber nur neue Anläufe zu um so dauernderer Besserung sind.
Schließt doch der stable Zustand des Ganzen den alles einzelnen von selbst ein. Solange nun jenem noch entgegen gegangen wird, kann freilich der stable Zustand des einzelnen, was zu anderm in instablen Verhältnissen steht, nach früher gepflogenen Erörterungen wieder verloren gehen, aber eben nur, um das Ganze in der Stabilität zu fördern und das einzelne selbst einem neuen stabeln Zustande entgegenzuführen, in dem es zugleich harmonisch in sich und mit dem Ganzen ist.
Ich versuche nicht, unser Prinzip durch die Lust- und Unlustverhältnisse der Welt noch weiter durchzuführen, nachdem das vorige hinreichend gezeigt haben dürfte, daß einer solchen Durchführung aus allgemeinem Gesichtspunkte kaum etwas im Wege stehen dürfte. Um freilich eine bestimmtere und strengere Repräsentation dieser Verhältnisse auf Grund unsres Prinzips zu geben, können wir nicht bei dem ersten kurzen noch ziemlich unbestimmten Ausdrucke der Beziehung von Lust und Unlust zu Stabilität und Instabilität stehen bleiben; der Versuch, auf nähere Bestimmungen einzugehen, unterliegt aber Schwierigkeiten und Unsicherheiten, zu deren Hebung erst eine weitere und gesichertere Entwicklung der Psychophysik gehören würde, als bis jetzt vorliegt. Also mag auch der folgende Versuch vielmehr nur als erster noch prekärer und weiterer Diskussion zugänglicher Angriff der Aufgabe, denn als schon maßgebend gelten.
Daß vollkommen stable Zustände in uns überhaupt vorkommen sollten, ist von vornherein nicht anzunehmen; doch braucht ein Ton, ein konsunierender Akkord nicht absolut rein zu sein, um uns zu gefallen; auch gibt es eine Menge Seelenzustände, von denen wir weder sagen können, daß sie von Lust, noch daß sie von Unlust begleitet sind, indes doch der unterliegende psychophysische Prozeß entweder stabel oder instabel sein muß. Dies und andres in Rücksicht ziehend, formulieren wir unsre Hypothese bestimmter wie folgt:
Lust und Unlust knüpfen sich an psychophysische Tätigkeiten, welche erstens selbst stark genug sind, um die Schwelle zu übersteigen, mithin überhaupt Bewußtsein zu geben, was wir als quantitative Seite des Vorganges fassen, zweitens (gemäß der schon oben gemachten Bemerkung) sich der vollen Stabilität über eine gewisse Grenze, die Lustschwelle, hinaus nähern oder über eine gewisse Grenze, die Unlustschwelle, hinaus davon entfernen, was wir als qualitative Seite zur quantitativen fassen, indes zwischen beiden Grenzen eine Breite besteht, wo weder Lust noch Unlust ins Bewußtsein tritt, während doch Bewußtsein überhaupt vermöge Übersteigens der Schwelle nach quantitativer Seite da sein kann.
Demgemäß bezeichnen wir auch die Schwelle, welche durch die Stärke der psychophysischen Tätigkeit (die Erhebung derselben durch die Aufmerksamkeit eingeschlossen), zum Bewußtwerden überstiegen werden muß, als qantitative Schwelle, den Approximationsgrad der Tätigkeit an Stabilität, welcher zum Bewußtwerden der Lust oder Unlust noch insbesondere überstiegen werden muß, als qualitative Schwelle.
Psychophysische Zustände, in welchen die qualitative Schwelle der Lust überstiegen wird, heißen uns, nach schon früher eingeführtem Gebrauch, harmonische, solche, in welchen die der Unlust überstiegen wird, disharmonische, zwischen beide fallende indifferente. Harmonische wie disharmonische Zustände können aber ebensowohl bewußt als unbewußt sein, je nachdem die quantitative Schwelle dabei überschritten wird oder nicht. Und es kann also Lust wie Unlust überhaupt ebensowohl dadurch schwinden, daß die psychophysische Tätigkeit oder Bestimmung derselben, welche Lust oder Unlust mitzuführen vermag, unter die quantitative Schwelle sinkt, als daß sie unter die qualitative Schwelle sinkt; und hängt die Stärke des ästhetischen Gefühls überhaupt zugleich und in zusammengesetztem Verhältnisse vom Übersteigen der quantitativen und der qualitativen Schwelle ab.
Nach diesen Erklärungen können wir das Prinzip der Tendenz zur Stabilität auch als Prinzip der Tendenz zur Harmonie bezeichnen und sagen, daß eine Tendenz zur Harmonie die Welt beherrscht, womit doch nach vorigem nicht gesagt ist, daß alle harmonischen Bewegungen in der Welt mit Lust, alle disharmonischen mit Unlust empfunden werden, weil überall erst die Frage besteht, ob sie auch die quantitative Schwelle dazu überschreiten.
Sollte es bloß auf die qualitative Schwelle ankommen, so müßte ein System, dessen Teile in völliger Ruhe bezüglich zueinander sind, sich im größten Lustzustande befinden, da dieser Fall der absoluten Stabilität entspricht; aber er liegt tiefstmöglich unter der quantitativen Schwelle. Ein einfaches Teilchen für sich allein kann nach vorigen Bestimmungen weder Lust noch Unlust empfinden, denn der Zustand der Lust und Unlust ist ein innerer, und da ein einfaches Teilchen keine Teile mehr einschließt, die durch relative Bewegung gegeneinander, sei es die quantitative oder qualitative Schwelle überschreiten könnten, so findet auch für dasselbe kein Anlaß zur Entstehung von innerer Lust oder Unlust statt, sondern nur für das System irgendeiner Mehrheit von Teilchen, was sich mit später im 22. Abschn. folgenden Betrachtungen begegnet. Ebenso kann die abgesehen von den kleinen Störungen völlig stable, Bewegung der Erde um die Sonne keine Ursache der Lust für sie insbesondere sein, weil sie eine Sache äußerer Stabilität für die Erde ist, wohl aber kann sie für das System von Sonne und Erde eine Ursache der Lust sein; nur daß, sofern das System beider nur ein Teilsystem des ganzen Planetensystems und dieses ein Teil des ganzen Weltsystems ist, auch die Lustverhältnisse, die an den relativen Bewegungsverhältnissen der Himmelskörper hängen, in größerem Zusammenhange aufzufassen sind, worüber aber bestimmtere Gesichtspunkte fehlen. Man kann hierbei an die Harmonie der Sphären denken. Um von der Lust und Unlust eines Partialsystems insbesondere zu sprechen, muß es überhaupt seinem psychischen Inhalt als besonderes im Allgemeinbewußtsein unterschieden werden, worüber allgemeine Gesichtspunkte bereits aufgestellt sind, ohne daß die Bedingungen davon schon klar vorliegen.
Freilich ist mit obigem Ausspruche der Hypothese immer noch keine volle Bestimmtheit derselben erzielt. Denn dazu würde gehören, daß wir ein, auf alle Fälle anwendbares, Maß oder doch Maßprinzip der Approximation gegebener Prozesse an volle Stabilität oder Abweichung davon, sowie ein Maß der Lust und Unlust als Funktion dieses Maßes kennten, was beides nicht der Fall ist. Es reicht aber für allgemeinere Bestimmungen und zur Ziehung allgemeinerer Folgerungen schon die Anerkenntnis hin, daß es jedenfalls größere und geringere Grade der Approximation an Stabilität, größere und geringere Grade der Lust und Unlust gibt, und daß diese überhaupt von jenen in der angegebenen allgemeinen Abhängigkeit stehen. Zugleich ist damit der erste allgemeinste Gesichtspunkt zur Aufsuchung eines Maßes der Lust und Unluft psychophysischerseits geboten.
Abgesehen von der Lust und Unlust, die sich nach vorigem an die bestehenden Verhältnisse der Stabilität und Instabilität knüpft, was ich den fundamentalen Quell der Lust und Unlust nenne, haben wir auch noch einen sekundären Quell der Lust und Unlust anzuerkennen, der nicht sowohl mit dem vorigen zusammenfällt, als mit ihm in gleichem oder entgegengesetztem Sinne zusammentreffen kann, und der darin liegt, daß der Fortschritt zur Stabilität, falls er nicht durch zu große Langsamkeit unter eine in dieser Beziehung bestehende Schwelle fällt, Lust, der Rückschritt davon (entsprechend) Unlust erweckt, welche Lust oder Unlust sich zu der Lust oder Unlust, die an den Zuständen selbst hängt, je nach der Richtung steigernd oder mindernd fügt. In der Tat macht es einen großen Unterschied im gesamten Lustresultate, ob ein disharmonischer Akkord sich in einen darauf folgenden harmonischen auflöst, oder beide Akkorde sich in umgekehrtem Sinne folgen. Wir können die Lust am einen, die Unlust am andern beidesfalls besonders spüren, werden aber dazu noch eine Lust oder Unlust je nach der Weise ihrer Folge spüren. Der Kranke, der in Genesung begriffen ist, der Arme, der zur Wohlhabenheit vorschreitet, werden noch während sie krank, arm sind, eine Lust an der Verbesserung ihres Zustandes spüren, der Gesunde, Reiche umgekehrt, während ihr Zustand sich verschlechtert, eine Unlust an der Verschlechterung, selbst ehe der Zustand schon schlecht zu nennen ist.
Nun ließe sich daran denken, diesen Quell der Lust und Unlust für sich selbst zum einzigen und fundamentalen zu erheben, also zu sagen, daß Lust und Unlust überhaupt nicht mit dem Bestande einer großen oder geringen Approximation an Stabilität, sondern mit der Näherungs- und Entfernungsbewegung dazu und davon zusammenhängen, und um so größer seien, je rascher die Näherungs- und Entfernungsbewegung ist, wozwischen es dann auch noch eine Indifferenzbreite gebe; und für den ersten Anblick scheint der Umstand, daß die lustvollste Einwirkung auf uns bei konstanter Forterhaltung mehr und mehr an Lustwirkung verliert und endlich gar der Unlust des Überdrusses Platz macht, darauf zu deuten, daß die möglichste Approximation an den stablen Zustand, die durch fortwährende Einwirkung des Lustmittels zu erreichen ist, anstatt die Lust auf den Gipfel zu heben, dieselbe aufhebt; also die Lust nur so lange besteht und wächst, als die Approximationsbewegung zur Stabilität besteht und sich beschleunigt, hiergegen abnimmt, wenn gegen das Ziel hin diese Bewegung sich verlangsamt, um nach Erreichung des nicht überschreitbaren Zieles der Stabilität durch Abnahme derselben der Unlust zu verfallen. Inzwischen dürften sich die hierher gehörigen Tatsachen triftiger teils dadurch erklären lassen, daß die innere Erregung, welche von der Einwirkung abhängt, nach bekannten Gesetzen der Abstumpfung mehr und mehr der quantitativen Schwelle der Stärke zusinkt, wovon der Grad der Lust mit abhängt, teils dadurch, daß nach Maßgabe als ich die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Gebiet, einen bestimmten Gegenstand hefte, auch die Tendenz zur Stabilität sich vorzugsweise in einem gewissen Teil oder einer gewissen Seite des psychophysischen Systems geltend macht, dieses aber nun im übrigen um so leichter unregelmäßigen Bewegungen verfällt, welche die Unlust der Langeweile erzeugen und hiermit zum Wechsel der Beschäftigung anregen. Denn unstreitig findet eine solche Einrichtung unsres psychophysischen Systems und des Gesamtsystems der Welt überhaupt statt, daß ein approximativ stabler Zustand des ganzen Systems nur mit einem gewissen Verhältnis der Erregung zwischen seinen einzelnen Teilen bestehen kann, welchem die über eine gewisse Grenze fortgesetzte einseitige Erregung irgendeines darunter widerspricht. In der Tat, wenn wir der Anschauung des schönsten Gemäldes endlich überdrüssig werden, ist es nicht, weil uns das Gemälde, sondern weil der mangelnde Wechsel uns zu mißfallen anfängt, das Bedürfnis, uns anders zu beschäftigen, zu lebhaft wird. Außerdem scheint die Komplikation der fundamentalen und sekundären Quelle der Lust und Unlust im obigen Sinne durch Tatsachen wie die obigen selbst erwiesen; und es würde schwer sein, sich vorzustellen, daß jahrelange Schmerzen in einem gegebenen Gebiete der Empfindung, wie solche oft genug vorkommen, sollten an einer kontinuierlich fortgehenden Abnahme der Stabilität hängen können, ohne schon früher zu einer Grenze oder Zerstörung zu führen, wennschon es richtig ist, daß der Organismus endlich dadurch leidet. Hiergegen lassen sich lang dauernde Schmerzen an eine, unter den bestehenden Außenbedingungen nicht verbesserliche starke Abweichung von der vollen Stabilität geknüpft denken, was nicht ausschließt, daß in der Länge der Zeit durch die im Weltganzen bestehende Tendenz zur Stabilität doch auch eine Änderung der Außenbedingungen eintritt, welche eine solche Verbesserung mitführt.
Jedenfalls scheint es mir leichter, die Repräsentation der gesamten Tatsachen, um die sich’s handelt, unter Bezugnahme auf beide Quellen, als bloß auf eine derselben zu bewirken.
Gehen wir nach allem vorigen mit der Betrachtung ins Unbestimmte rückwärts, so wird man die Welt immerhin mit einem chaotischen, d. h. ganz instabeln Zustande anfangend denken können, ohne eine sozusagen unendliche Unlust daran geknüpft zu denken. In der Tat, sei anfangs die Materie, welche sich jetzt in umgrenzte Weltkörper mit geordneten Bewegungen zusammengezogen hat, durch den ganzen Weltraum ordnungslos zerstreut und in ordnungslosen Bewegungen begriffen gewesen, so werden wegen der aus dieser Ausdehnung folgenden Entfernung der Teilchen voneinander die dazwischen wirksamen Kräfte und daraus folgenden Bewegungen der einzelnen Teilchen anfangs ganz schwach gewesen sein, konnten also bis zu einem gewissen Entwicklungsgrade der Welt unter der quantitativen Schwelle bleiben oder wenigstens dieselbe nicht weit übersteigen; und insofern gleich die ersten Bewegungen im Sinne wachsender Stabilität sein mußten, konnte die an dem Fortschritte zur Stabilität im ganzen hängende sekundäre Lust selbst die anfängliche Unlust überwiegen, die etwa an der Summe der instabeln kleinen Bewegungen hing, oder es konnte für das Ganze eine stable Resultante hervorgehen, welche Lust gab. Doch sind das Verhältnisse, in die man wegen ihrer Dunkelheit besser tut, sich nicht zu vertiefen.
Man kann eine Schwierigkeit darin finden, daß Lust sich an die ganze Dauer eines Bewegungsprozesses knüpfen kann, indes die zur Lust erforderliche Stabilität des Prozesses eine Rückkehr desselben zu den Ausgangsbedingungen fordert, die erst nach einer gewissen Zeit zustande kommen kann. Es hebt sich aber diese Schwierigkeit durch folgende Betrachtung. In jedem Momente eines Bewegungsprozesses ist der Gang, den er nehmen wird, durch die bestehenden Bedingungen und das Gesetz der Bewegung schon als bestimmt anzusehen, und mit dieser durch die Dauer der Bewegung sich forterhaltenden Bestimmung ist auch die Bestimmung zur Lust als gegeben anzusehen, ohne daß es der vollen Ausführung der Bewegung dazu bedarf.
Vielleicht kann zur mathematischen Entwicklung unsres Prinzips noch folgender Gesichtspunkt etwas beitragen.
Jede geradlinige Bewegung eines Punktes kann, bei noch so wechselnder Geschwindigkeit und beliebig wiederholten Umkehr der Richtung, nach dem Fourier’schen Prinzip auf eine einzige Weise als eine Zusammensetzung aus einfachst möglichen geradlinigen Schwingungen, im allgemeinen von verschiedener Amplitude a , a', a".. verschiedener Periode T, T', T" ... und verschiedenem Ausgang p, p', p" . ., betrachtet und mathematisch darein zerlegt werden. Die allgemeine oder zusammengesetzte Periode, in welche alle einzelnen Perioden aufgehen, wird dann durch das Produkt T, T', T" ... gegeben. Von andrer Seite läßt sich jede mögliche krummlinige Bewegung, sei es in einer oder mehreren Ebenen ausgeführt, durch Projektion auf drei gegeneinander senkrechte Achsen in geradlinige zerlegen, welche des weiteren die vorige Zerlegung gestatten; und dies auf alle Punkte, welche zu einem psychophysischen Prozesse beitragen, ausdehnen. Welcher Art also dieser Prozeß immer sein möge, so zerlegt er sich schließlich in eine Anzahl einfachster Schwingungen nach den drei Hauptrichtungen, im allgemeinen von ungleicher Amplitude, Periode und Ausgang, welche jedoch in spezialen Fällen auch übereinstimmend werden können. Es wird nun die Lust und Unlust überhaupt als Funktion von a, a', a" . . nach quantitativer Seite, von T, T', T" nach qualitativer Seite zu bestimmen sein, indes das Verhältnis der Ausgangswerte nur mitbestimmend für die Form des Prozesses ohne Einfluß auf dessen ästhetischen Ertrag sein dürfte.
In jedem Falle wird man nur Anlaß haben, einen solchen Komplex von Teilchen und eine solche Fortdauer ihrer Bewegung dieser Behandlung zu unterwerfen, als sie zu einem einfachen oder einheitlichen Bewußtseinsphänomen oder Bewußtsein gehören; im Falle eines einheitlichen aber wird man außer dem Totalprozesse auch noch die Partialprozesse, welche Sonderphänomenen zugehören, in besonderen Betracht ziehen können.