Gustav Theodor Fechner
Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht
Gustav Theodor Fechner

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XXI. Grundverhältnis zwischen materiellen und geistigem Prinzip. Dualismus und Monismus.

Mit Fleiß habe ich in der allgemeinen Darstellung der Tagesansicht die Grundbeziehung zwischen Leib und Seele, Materie und Geist unbestimmt gelassen, um nur eine entsprechend innige Beziehung beider Prinzipe durch die Welt als in uns selbst stattfindet, zur Geltung zu bringen (Kap. IV). In der Tat, mag diese Beziehung hier wie da dualistisch oder monistisch gefaßt werden, solange es hier wie da konsequent im selben Sinne und widerspruchslos mit der Erfahrung geschieht, wird sich die Tagesansicht damit vertragen können; nur dem Monadologen wüßte ich sie weder eingänglich noch zugänglich zu machen, wie im folgenden Abschnitte zu besprechen. Faßt man die Grundansicht dualistisch, so wird man von einer Beseelung der ganzen Welt wie von der Beseelung unsres Leibes sprechen können, indem man dabei das seelische oder geistige Wesen von dem körperlichen als grundwesentlich verschieden, doch mit ihm verbunden und nach bestimmten Gesetzen wechselwirkend und zusammenwirkend ansieht; faßt man sie monistisch, so wird man beiden Prinzipien ein gemeinsames Grundwesen unterlegen, und sofern doch beide unterschieden werden sollen, je nach mehr materialistischer, idealistischer oder spinozistischer Fassung der Ansicht, im Geist nur eine Funktion oder ein Resultat der materiellen Zusammenstellung und Auseinanderfolge, oder in der Materie eine äußere Manifestation des Geistes, oder in beiden nur verschiedene Erscheinungsweisen, Seiten, Bestimmungen, Stufen, Attribute eines und desselben, Grundwesens sehen können. Gleichviel, wofern man nur immer statt von einer oder der andern Grundansicht a priori auszugehen, von Tatsachen der Erfahrung ausgeht und mittelst Erfahrungsschlüssen darüber hinausgeht, wird sich das, was man so findet, im allgemeinen nach einer wie der andern Ansicht darstellen, sowie aus einer in die andre übersetzen lassen, und damit den wesentlichsten Gesichtspunkten der Tagesansicht in jedem Falle gerecht werden lassen. Ungeachtet nun die dualistische Ansicht heutzutage philosophischerseits wenig in Geltung ist, sind doch die im Leben vorherrschenden Ausdrucks- und Vorstellungsweisen im Sinne derselben gehalten, und so bediene ich mich auch gern des sich darunter unterordnenden Ausdrucks Beseelung der Welt, Beseelung des menschlichen Leibes, ohne selbst damit eine dualistische Vorstellungsweise zu verbinden, es doch jedem überlassend, ob er eine solche damit verbinden will. Nur wird er, um den wesentlichen Bestimmungen der Tagesansicht gerecht zu werden, in Widerspruch aber mit der üblichen Fassung der dualistischen Ansicht, die Verbindung zwischen materiellem und geistigem Prinzip nicht bloß als eine ausnahmsweise, bloß für Menschen und Tiere bestehende, und nicht bloß auf das Diesseits beschränkte, überhaupt nicht als eine äußerlich trennbare, ansehen dürfen.

Nun aber ist es eine allgemeine Regel der Wissenschaft, nicht zwei Prinzipe anzunehmen, für die es an einer Vermittlung fehlt, wenn sich mit einem auskommen läßt, was die Vermittlung entbehrlich macht, und die monistische Ansicht behält demnach prinzipiell den Vorteil eines einheitlichen Charakters vor der dualistischen voraus. Freilich steht diesem Vorteil von andrer Seite die Schwierigkeit entgegen, klar zu machen, wie das, was im Grundwesen eins sein soll, überhaupt unterschieden werden, ja gar den Schein zweier ganz verschiedenen Grundwesen annehmen kann. Welches Unvermögen in dieser Beziehung bei den Materialisten wie nicht minder bei Spinoza; welche Unklarheit bei Schelling und Hegel. Und das bringt mit, daß dualistische Darstellungsweisen, für welche diese Schwierigkeit im Prinzip wegfällt, leicht klarer, hiermit populärer ausfallen als monistische; auch bleiben sie vielen monistischen Auffassungen insofern noch vorzuziehen, als mit ihnen sozusagen die Sache noch nicht verfahren ist, denn es ist leichter, eine klare dualistische als unklare monistische in eine klare monistische zu übersetzen.

Für ein wirklich philosophisches Interesse bleiben jedenfalls die Vorteile des monistischen Standpunktes überwiegend, und habe ich denselben schon in früheren Schriften nach meiner Weise vertreten. Eingehend geschah dies in Zendavesta II 312 ff., mit einiger Vertiefung in der Schrift über die Seelenfrage 198 ff. und ganz kurz nach den Hauptzügen im l. Kap. meiner "Elemente der Psychophysik". Es sei mir gestattet, hier nur auf das Wesentlichste davon zurückzukommen.

Wenn jemand das Gehirn eines toten Menschen oder Tieres vor sich hat, so sieht er eine weiße, für das Gefühl weiche Masse darin, welche sich unter dem Mikroskop in ein Geflecht feiner Fäden, Zellen und Adern auflöst. In das Gehirn des Lebenden kann er nicht unmittelbar blicken, aber nach Schlüssen, welche sich auf äußerlich Wahrgenommenes gründen, sich unter Form des äußerlich Wahrnehmbaren vorstellen, daß, wenn die Hindernisse der Beobachtung wegfielen und er die äußeren Beobachtungsmittel immer mehr verfeinern könnte, er auch immer feinere Teile und Bewegungen würde unterscheiden können; und durch Verfolg solcher Schlüsse im Sinne des Kausalgesetzes gelangt der Physiolog endlich dahin, sich die kleinsten Teile des lebendigen Gehirns in Bewegung begriffen, und diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in Form von Schwingungen, jedenfalls in einer Form des äußerlich Wahrnehmbaren vorzustellen. Aber solange der Beobachter auf äußerem Standpunkte seines Körpers gegen das Gehirn des Lebenden stehen bleibt, kann er nichts von den Empfindungen und Gedanken, die er als Sache des Geistes dieses Lebenden faßt, wahrnehmen, doch aus hinreichenden Tatsachen schließen, daß ein Verhältnis der Bedingtheit zwischen dem, was er auf äußerem Standpunkt gegen das Gehirn als materiellen Gehirnprozeß faßt, und was noch ganz in seine eigne Seele fällt, und den objektiven Empfindungen und andern geistigen Tätigkeiten des ihm gegenüberstehenden Lebenden stattfindet. Dieser anderseits kann nichts von dem materiellen Prozeß seines eignen Gehirns wahrnehmen, indes er seine eignen Empfindungen und Gedanken, die an diesen Prozeß geknüpft sind, wahrnimmt.

Nun sind zweierlei Vorstellungsweisen von diesem rein faktischen Verhältnis möglich. Dualistisch kann man sich denken, daß das materielle Gehirn mit seinem Bewegungsprozeß und der im Verhältnis der Bedingtheit dazu stehende Geist zwei verschiedene Wesen sind, deren ersteres ebenso wie jede andre Materie die Eigenschaft hat, nur äußerlich, d. h. einem andern Wesen als es selbst ist, erscheinen zu können, das andre, der Geist, die Seele, die Eigenschaft, nur sich selbst erscheinen zu können, oder, genauer ausgedrückt, die sich darin unterscheiden, daß das erste, das materielle, zwar nicht für sich selbst und von sich selbst nach seinen eignen Bestimmungen wahrgenommen werden kann, aber Wirkungen, die von diesen Bestimmungen abhängen, in dem an einen andern Teil der Materie geknüpften geistigen Wesen erzeugen kann, die von diesem wahrgenommen werden, indes dieses andre Wesen nur seiner eignen inneren Bestimmungen, mit Einschluß derer, die vom ersten Wesen in es hineinerzeugt worden sind, gewahren kann. Und von hier aus kann man zur Tagesansicht kommen, indem man sich nach weiteren Betrachtungen, auf die hier nicht zurückzukommen, vorstellt, daß, so gut an den materiellen Gehirnprozeß sich ein geistiges Wesen knüpft, auch an den ganzen materiellen Naturprozeß, welcher den Gehirnprozeß selbst einschließt, ein nur allgemeineres geistiges Wesen knüpft, welches das zum Gehirn gehörige einschließt, wir aber von dem allgemeinen geistigen Wesen nichts über unsern eignen Geist hinaus wahrnehmen, weil es eben Sache des Geistes ist, nur seine eignen inneren Bestimmungen gewahren zu können, unser Geist aber nur ein endlicher Teil des allgemeinen Geistes ist.

Wollen wir dagegen das Verhältnis monistisch fassen, so werden wir zunächst, vorbehaltlich weiterer Erläuterung, folgende Formel dafür brauchen können. Das Materielle, Körperliche, Leibliche und durch ein Verhältnis unmittelbarer Bedingtheit daran geknüpfte Psychische, Geistige sind zwei Erscheinungsweisen desselben Wesens, ersteres die äußere für andre Wesen, letztere die innere Erscheinungsweise des eignen Wesens, beide deshalb verschieden, weil überhaupt ein und dasselbe verschieden erscheint, je nachdem es von verschiedenen aus verschiedenem Standpunkt aufgefaßt wird. Also erscheint auch der materielle Gehirnprozeß verschieden von den daran geknüpften Empfindungen und Gedanken, weil dasselbe Wesen, was beiden gemeinsam unterliegt, als Gehirnprozeß äußerlich, als geistiger Prozeß innerlich aufgefaßt wird. Und so wird auch für die Tagesansicht nach dieser monistischen Auffassung des gesamten Weltwesens, was uns äußerlich als materielle Natur und materieller Bewegungsprozeß erscheint, sich noch in andrer Weise innerlich als geistiges (unsern eignen Geist einschließendes) Wesen erscheinen können, und wir selbst werden als Teile des allgemeinen Weltwesens nach körperlicher und geistiger Seite dieser doppelten Erscheinungsweise unterliegen; indes alle Erscheinungen in das allgemeine Weltwesen fallen, was alle Teile einschließt.

Man kann jedoch im Ausspruche voriger Grundansicht noch einen unklaren Punkt finden. Äußere und innere Erscheinungen sind aufzeigliche Dinge, und überall wird man in Grundansichten auf Aufzeigliches oder daraus in logischem Wege Abstrahierbares zurückzugehen haben, um nicht zuletzt bloß leere Worte oder unklare Begriffe zur Grundlage der Betrachtung übrig zu behalten. Aber das Wesen, was der inneren und äußeren Erscheinungsweise gemeinsam unterliegen soll, erscheint zunächst als ein dunkler, auf nichts der Art zurückführbarer, Begriff, vergleichbar dem Dinge an sich von Kant, dem Absoluten von Schelling, der Substanz von Spinoza u. dgl. Aber in der Tat ist der Wesensbegriff hierbei nur ein Hilfsbegriff, der sich durch Zurückführung auf seine eigentliche, d. i. aufzeigliche Bedeutung und Leistung eliminieren oder klarstellen läßt, dessen Gebrauch jedoch den Vorteil einer abkürzenden und mit dem allgemeinen Begriffsgebrauch des Wesens wohl stimmenden, hiermit für den ersten Anlauf um so eingänglicheren Darstellung gewährt. Wir legen verschiedenen Erscheinungen, Eigenschaften, Veränderungen, Bestimmungen überhaupt dasselbe Wesen unter, wenn dieselben solidarisch gesetzlich so zusammenhängen, daß mit der Möglichkeit oder Wirklichkeit der einen die der andern von selbst gegeben ist. Das allein ist das Aufzeigbare von einem gemeinsamen Wesen, und jedenfalls wird es in diesem Sinne von uns in obiger Formel verstanden. In der Tat aber hängen in solcher Weise die materiellen und zugehörigen geistigen Erscheinungen zusammen und das gemeinsame Wesen repräsentiert im Grunde nur diesen Zusammenhang. Zu jeder Seele, d. i. einem durch Bewußtseinseinheit verknüpften Komplex von wirklichen und als möglich gedachten Erscheinungen, die als Empfindungen, Gedanken usw. innerlich aufzeiglich sind, gehört nach einem Verhältnis gesetzlicher Bedingtheit ein körperlicher Prozeß, d. i. Komplex von zugehörigen wirklichen oder als möglich gedachten äußeren Erscheinungen, die in andre Seelen fallen oder als fallend gedacht werden können, was wir als Wirkung des Daseins einer Seele in andre Seelen hinein bezeichnen können. Das ist schließlich das Faktische der Beziehung von Seele und Leib.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Nervenprozeß, an den die innere Erscheinung einer Seele gebunden ist, mit dem entsprechenden Prozesse, der einer andern Seele unterliegt, nicht unmittelbar kommuniziert, sondern durch Vermittlung ihres übrigen Körpers und der Natur zwischen ihren Körpern, wonach auch die Seelen zweier Individuen nur durch Vermittlung des allgemeinen Geistes kommunizieren können, der sie gemeinsam in sich trägt.

Man kann für den ersten Anblick geneigt sein, mit voriger Auffassung der Beziehung von Leib und Seele den psychophysischen Schwellenbegriff in Widerspruch zu finden. Eine gewisse Stärke des psychophysischen Prozesses gehört dazu, Empfindung, überhaupt ein Bewußtseinsphänomen, zu geben; unterhalb dieser Stärke findet kein Bewußtsein statt, indes doch der physische Prozeß noch in gewisser niederer Stärke fortgeht. Wie nun kann ein Psychisches, was selbst nicht da ist, nach außen wirkend als physisches erscheinen? Aber es ist zu berücksichtigen, daß überhaupt unser Bewußtsein als Sonderbewußtsein nur von einer gewissen Erhebung unsres psychophysischen Prozesses über den Prozeß, welcher das allgemeine Bewußtsein trägt, abhängt. Fällt nun unser Prozeß im Schlafe unter diesen Wert, so trägt er immer noch zur Erhebung des Allgemeinbewußtseins bei, sein psychischerWert ist also nicht nichts; nur daß unser Bewußtsein nichts mehr davon hat, ja für uns ist der psychische Wert als Abstand von dem Punkte, wo er wirklich für uns wird, ein negativer. Und auch während des Wachens können speziale Bewußtseinsphänomene unter ihre Schwelle fallen, d. h. sich nicht mehr als besondere über unser waches Allgemeinbewußtsein heben, indes sie doch beitragen, dieses selbst zu heben.

Überhaupt kann ein besonderes Bewußtsein oder Bewußtseinsphänomen immer nur auf Grund eines allgemeineren auftreten; und nicht das, was zu den Bedingungen der Sondererhebung darüber noch fehlt, begründet die äußere physische Erscheinlichkeit, sondern das, was zur Erhebung des Allgemeinbewußtseins selbst davon doch da ist.

Die vorige Ansicht erscheint in ihrer ersten Ausspruchsweise, daß Seele und Leib zwei Erscheinungsweisen desselben Wesens sind, der spinozistischen Identitätsansicht, nach welcher sie Attribute derselben Substanz sind, ganz analog, hat aber den Vorteil voraus, daß sie die von Spinoza unerklärte Verschiedenheit beider Attribute durch den Hinweis auf den verschiedenen Standpunkt, von dem sie aufgefaßt werden, erklärlich macht. Durch die letzte Zurückführung des Wesensbegriffes aber nimmt sie einen rein idealistischen Charakter an; das Materielle ist danach auch nur ein Psychisches, aber in der Erscheinungsweise für andres als es selbst ist.

Auch bei monistischer Fassung wird man immer Materielles und Geistiges insofern zu unterscheiden haben, als man sich bei Betrachtung eines Objektes nach seiner materiellen Seite auf äußeren Standpunkt dagegen gestellt denkt, also es durch Merkmale, wie es uns äußerlich erscheint, charakterisiert denkt, bei Betrachtung nach geistiger Seite, wie es sich selbst oder dem allgemeinen geistigen Wesen innerlich erscheint.


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