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Geschichte vom goldenen Taler

Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Anna Barbara und hatte weder Vater noch Mutter, die waren beide schon lange tot. Sondern sie wuchs bei einer steinalten Großmutter auf, die war vor lauter Alter schon ganz wunderlich. Und immer, wenn die Anna Barbara der Großmutter etwas erzählte, oder sie um etwas bat, oder ihr etwas klagte, dann sagte die alte Frau nur: »Ja, Kind, wenn wir bloß den goldenen Taler hätten, da wäre alles gleich in Ordnung. Aber wir haben ihn nicht, und bringen tut uns auch keiner den goldenen Taler, so müssen wir es eben tragen, wie es ist.«

Und ganz gleich, was die Anna Barbara auch vorbrachte: »Großmutter, ich hab mir ein Loch ins Knie gefallen«, oder: »Großmutter, der Lehrer hat gesagt, ich hätt gut gelesen«, oder: »Großmutter, die Katz ist am Sahnentopf« – die alte Frau antwortete immer nur:

»Ja, Kind, wenn wir bloß den goldenen Taler hätten!«

Wenn Anna Barbara aber die Großmutter drängte und fragte, was denn das für ein goldener Taler sei, und ob man ihn denn gar nicht kriegen könne, schüttelte die alte Frau geheimnisvoll mit dem Kopf und sagte: »Ja, Kind, wenn wir ihn so einfach kriegen könnten, so hätten wir ihn schon! Ich bin all mein Lebtage nach ihm gelaufen und habe ihn nicht einmal zu sehen gekriegt, und deiner Mutter ist es auch nicht anders ergangen. Möglich, daß es mit dir anders ist, denn du bist in einer Weihnacht geboren und ein Glückskind.«

Mehr bekam die Anna Barbara nicht zu erfahren von dem goldenen Taler, bis sich in einer kalten Winternacht die Großmutter in ihr Bett legte und starb. Ehe sie aber tot war, setzte sie sich noch einmal auf, sah die Anna Barbara scharf an und sprach:

»Wenn ich jetzt tot bin, Anna Barbara, läßt du mich auf dem Friedhof begraben, grad zu Häupten deiner Eltern. Auf keinem andern Fleck!«

Das versprach die Anna Barbara.

»Und wenn du mich begraben hast, so bleibst du nicht hier in unserer Hütte. Sondern du schließt sie zu und gehst hinaus in die Welt, und du bleibst an keinem Fleck, die Leute hätten denn dort den goldenen Taler. Um den dienst du so lange, bis du ihn bekommst – und wenn es zehn und wenn es zwanzig Jahre dauert. Denn du wirst doch nicht eher glücklich, bis du ihn hast. Versprichst du mir das?«

Das versprach die Anna Barbara, und als sie das getan hatte, legte sich die Großmutter zufrieden ins Bett zurück und starb. Nun halfen der Anna Barbara die Leute aus dem Dorf, die Großmutter zu begraben, und sie bekam genau den Platz, den sie sich gewünscht hatte: zu Häupten ihrer Kinder. Als aber das Begräbnis vorüber war und die Leute alle nach Haus gegangen waren, stand Anna Barbara allein unter der Kirchhofstür, ein Bündelchen mit ihren Sachen in der Hand, und wußte nicht, wohin sie gehen sollte. Nach Haus durfte sie nicht wieder, das hatte sie der toten Großmutter versprochen, in die weite Welt aber zu gehen, davor fürchtete sie sich. Zudem war es ein eiskalter Wintertag, der Schnee lag hoch, und Anna Barbara fror schon jetzt wie ein magerer Schneider.

Als sie aber so stand und nicht wußte, was sie tun sollte, sah sie einen Schlitten gefahren kommen, mit einem Schimmel davor und einem langen, gelbhäutigen Manne darauf; die beiden sahen so seltsam aus, daß Anna Barbara trotz all ihrer Furcht und ihrem Kummer fast das Lachen ankam. Denn der Schlitten war nichts als eine alte große Futterkiste, die man auf Kufen gesetzt hatte, und der lange, gelbe Mann darin war so mager, daß Anna Barbara meinte, sie höre beim Rumpeln des Schlittens seine Knochen klappern. Sein Gesicht aber war ganz ohne Fleisch und so hohl, daß ihm der Winterwind durch die Backen blies.

War der Mann aber schon mager, so war das doch noch gar nichts gegen den Schimmel. Der sah so verhungert aus, daß er bei jedem Schritt hin und her wankte und fast umfiel, und der Kopf hing ihm vor Entkräftung so tief zwischen den Beinen, daß das Maul beinahe den Schnee auf der Straße streifte.

Als der Schlitten nun gerade vor der Kirchhofstür war, blieb der Schimmel stehen, als könne er nicht mehr weiter, und so blieb der Schlitten auch stehen. Der Schimmel aber drehte die Augen sehr kläglich nach der Anna Barbara, daß fast nur das Weiße zu sehen war, der Mann aber drehte seine Augen auch nach dem Mädchen, in denen aber war das Weiße gelb vor lauter Galle.

Nachdem der dürre Mann Anna Barbara eine Weile betrachtet hatte, fragte er mit quäksiger Stimme: »Was bist denn du für ein Mädchen, daß du da unter der Kirchhofstür stehst und frierst wie ein Scheit Holz im Winterwalde? Mir täte meine teure Leibeswärme viel zu leid, als daß ich sie so für nichts vom Ostwind wegblasen ließe.«

Da erzählte Anna Barbara dem Mann, daß sie ein Waisenkind sei und eben die letzte Anverwandte, die Großmutter, begraben habe. Jetzt wolle sie nun in die Welt hinaus und sich einen Dienst suchen, wo sie den goldenen Taler gewinnen könne.

»So, so«, sagte der dürre Mann und rieb sich nachdenklich seine dünne Nase mit dem Knochenfinger. »Bist du denn wohl auch fleißig und ehrlich und sparsam, früh auf und spät ins Bett, und vor allem genügsam im Essen?«

Anna Barbara sagte, das alles sei sie. Da sagte der dürre Mann:

»So steig auf den Schlitten. Du triffst es gerade gut: ich suche eine kleine Magd, die mich und meinen Schimmel Unverzagt versorgt.«

Anna Barbara aber zögerte und fragte, wie er denn heiße, und wo er wohne, und ob sie bestimmt auch den goldenen Taler für ihre Dienste bei ihm bekommen würde.

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Da antwortete der Mann: »Ich heiße Hans Geiz und wohne in der großen Ortschaft Überall. Und was den goldenen Taler angeht, so sollst du den bestimmt von mir bekommen, wenn du mir drei Jahre treu dienst.« Dazu lachte der Mann ganz freundlich, es klang aber, als ob ein Ziegenbock meckerte, und der Schimmel verdrehte die Augen so fürchterlich und wackelte so sehr mit seinem ganz haarlosen Schwänzchen, daß es Anna Barbara beinahe mit der Angst bekommen hätte.

Sie bedachte sich aber noch zur rechten Zeit, wohin sie denn sonst gehen solle, und daß sie großes Glück habe, gleich auf der ersten Stelle den goldenen Taler zu treffen, den Mutter und Großmutter ihr Lebtage vergeblich gesucht hatten.

Sie warf also ihr Bündelchen in den Schlitten und sprang schnell hinterher. Da fuhr Hans Geiz sie böse an und schalt: »Du fängst ja schön an, mein gutes Schlittenholz so abzuschurren! Setze dich fein sachte hin, Holz ist eine teure Sache!« Und als sie traurig nach dem Kirchhof zurücksah und in Gedanken an die tote Großmutter hastiger atmete, mahnte er sie schon wieder: »Atme fein sachte und vorsichtig, daß du die Lunge nicht zu sehr abnützest! Du hast nur eine, und ist sie hin, gibt es keine andere.«

Danach aber rührte er mit der Peitschenschmitze den Schimmel an, und unendlich langsam hob der ein Bein nach dem andern und unendlich langsam, kaum schneller als eine Schnecke, fuhren sie zum Dorf hinaus. Zuerst sah Anna Barbara den Friedhof entschwinden, dann fuhren sie an der Schmiede vorbei, nun am Haus des Bäckers, vor dessen Tür die Brennholzschwarten bergehoch gestapelt lagen – und nun waren sie zum Dorf hinaus.

Leise fing es an zu schneien. Zuerst tanzten nur einzelne Flocken vom Himmel herab, aber rasch wurden es mehr und mehr, und schließlich fielen sie so dicht, daß sie das ganze Land verhüllten. Nicht Baum noch Haus, nicht Weg noch Steg sah Anna Barbara mehr, und sie überlegte sich immer wieder, wie man bei solchem Schneetreiben denn den Weg finden könne.

Fragte sie aber ihren neuen Dienstherrn, wo denn die große Ortschaft Überall liege, so antwortete er nur: »Überall!« Und der alte, verhungerte Schimmel lief immer rascher, die Kufen flogen nur so über den knirschenden Schnee, und manchmal war es der Anna Barbara, als führen sie gar nicht mehr auf der Erde, sondern direkt durch die tanzenden Flocken in der Luft, und vom Schimmel sah sie kaum mehr als einen flüchtigen Schatten. Da wollte ihr fast angst werden; sie sah über den Schlittenrand und meinte, in einen bergetiefen Abgrund voll tanzender Flocken zu schauen, aber dann sah sie wieder ihren Begleiter an und bekam neuen Mut. Denn Hans Geiz hielt ganz ruhig die Zügel, sagte nur manchmal »hü« oder »hott« und tat, als sei solch sausende Schlittenfahrt nichts Sonderliches.

Schließlich aber war es der Anna Barbara, als senke sich der Schlitten immer tiefer. Schon meinte sie, durch das Schneegestöber die Umrisse uralter Tannen zu sehen, da hielt mit einem Ruck der Schimmel, und sofort ließ er wieder den Kopf zwischen den Beinen hängen, als wolle er vor lauter Hunger umfallen.

»Da sind wir also wieder zu Haus!« sagte Hans Geiz, aber soviel Anna Barbara auch durch das Schneetreiben spähte, sie vermochte kein Haus zu sehen. Da war nur etwas in dem Schnee, das sah wie ein Haufen altes, verfaultes Stroh aus.

»Wo ist denn das Haus?« fragte Anna Barbara neugierig. Aber Hans Geiz zeigte nur mit einem: »Da!« auf das alte Stroh und befahl: »Nun hilf mir erst einmal den Schimmel Unverzagt ausspannen. Dann wollen wir ins Haus gehen und schön zu Abend essen.«

So knüpften und schnallten denn die beiden mit ihren froststarren Händen so lange an dem Schimmel herum, bis er ohne Geschirr dastand.

Wieder sah sich Anna Barbara um, wo denn der Stall für den Schimmel wäre. Aber Hans Geiz sagte bloß: »Leg dich, Unverzagt!« und sofort legte sich der Schimmel in den tiefen Schnee, daß eine Grube entstand. »So – und nun schieb Schnee über ihn ...« befahl Hans Geiz.

Das alte Tier rollte die Augen wie Bälle und fletschte dazu seine langen, gelben Zähne, aber es half ihm nichts: es wurde ganz mit Schnee zugedeckt. »Der Winter ist doch die beste Jahreszeit«, lachte Hans Geiz, als das getan war. »Spart Futter und Stall. Da liegt er nun, der Unverzagt, der Frost hält ihn frisch, daß er mir nicht verdirbt, und brauche ich ihn wieder, gieße ich ihm nur ein wenig warmes Wasser auf die Nase, gleich fängt er wieder an zu atmen. – Ja, ja, sparen möchte jeder, man muß es aber auch verstehen! Von mir kannst du viel lernen, Anna Barbara!«

Dem Mädchen tat der Schimmel in der Seele leid, daß er da so im kalten Schnee ohne ein bißchen Futter liegen mußte. Aber sie wagte nichts zu sagen, sondern ging still ihrem Herrn nach, der auf den alten Strohhaufen geklettert war und nun an einem großen dunklen Loch stand, das in die Erde ging.

»Ja, ja«, sagte Hans Geiz händereibend zu Anna Barbara, »das ist zugleich Schornstein und Tür und Fenster von meinem Haus. Die Menschen sind doch dumm, daß sie sich mit teurem Gelde Häuser aus Stein über der Erde bauen, wo sie doch so einfach mit wenig Kosten in die Erde hinein können. Nun also, fahre mir nach, aber warte, bis ich dich rufe, sonst springst du mir wohl gerade auf den Kopf.«

Damit steckte Hans Geiz seine langen, dürren Beine in das Loch, rutschte nach und – bums! – war er verschwunden. Anna Barbara hörte nur noch ein dumpfes, immer leiser werdendes Poltern aus der Tiefe. Es grauste sie sehr, und am liebsten wäre sie fortgelaufen, gleich in der ersten Stunde aus diesem ihrem ersten Dienst. Aber wohin sollte sie bei solchem Schneegestöber? Sie wäre ja doch nur erfroren am Wege umgesunken!

So ließ sie sich denn auch, als ein schwacher Ruf aus der Tiefe tönte, wie sie's gesehen, mit den Beinen zuerst hinab. Sausend fuhr sie hinein in den dunklen Erdenschlund, mit geschlossenen Augen fiel sie tiefer und tiefer. Das dauerte endlos lange, aber schließlich landete Anna Barbara doch ganz sanft auf etwas Weichem, das ihr wie Heu vorkam.

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Es war auch Heu, sah sie, als sie die Augen aufschlug. »Nun komm schon«, sagte Hans Geiz recht verdrießlich. »Du hast mich viel zu lange rufen lassen. Von nun an kommst du immer gleich, wenn ich dich rufe.« Damit nahm er Anna Barbara bei der Hand und zog sie aus dem dämmrigen Raum, wo sie im Heu gesessen, durch einen Vorhang in einen riesengroßen, hell erleuchteten Saal.

Da bekam Anna Barbara wiederum einen großen Schreck, denn als sie in den Saal traten, saßen rechts und links vom Eingang zwei große, struppige Hunde mit glühenden Augen – die waren größer als Kälber und fuhren, mit ihren dicken, eisernen Ketten klirrend, zähnefletschend auf Anna Barbara zu.

»Wollt ihr kuschen, ihr Höllenhunde!« rief Hans Geiz die Tiere an, die sofort zurückgingen, aber mit bösem Knurren.

»Das ist die Anna Barbara, die bleibt jetzt hier, und der dürft ihr nichts tun, außer sie will ohne meine Erlaubnis aus der Halle.«

Die Hunde funkelten Anna Barbara an und leckten ihre roten Mäuler mit ihren roten Zungen.

Zu Anna Barbara aber sprach Hans Geiz: »Das sind zwei rechte Hunde aus der Hölle, heißen Neid und Gier, mein Vater, der Teufel, hat sie mir geschenkt. Nimmermüde passen sie auf, daß niemand mir mein armes bißchen Habe stiehlt, und außerdem sind sie mir noch zu manchem anderen Geschäfte gut. – Ihr Hunde«, sprach er und rieb sich fröstelnd die Hände, »seid doch wieder faul gewesen. Kalt ist es in meiner Halle, wollt ihr wohl gleich heizen!«

Da setzten sich die Hunde Neid und Gier auf ihre Hinterteile, rissen die riesigen Mäuler weit auf – und sofort schlugen große Flammen daraus. Denn die Hunde konnten, wenn sie es wollten, blankes Feuer atmen.

»So«, sprach Hans Geiz und rieb sich zufrieden die knochigen Hände, daß sie knackten. »Nun werden wir es gleich warm haben. Ja, man sollte es gar nicht glauben, wie solch Höllenhund Neid oder gar Gier einem einheizen kann – aber es ist so! – Komm, jetzt wollen wir etwas essen.«

Damit ging Geiz tiefer in die Halle, die von einem sanften grünen Licht erfüllt war.

Zuerst konnte Anna Barbara nicht erkennen, woher das Licht kam, dann aber merkte sie, daß es von vielen hunderttausend Glühwürmchen ausströmte, die unter der Decke saßen und leuchteten.

»Du siehst dir meine Beleuchtung an«, sprach Hans Geiz zufrieden. »Ja, das ist auch eine praktische Sache. Bei mir wirst du dir die Hände nicht schmutzig machen müssen mit Lampen füllen und putzen. Es sind aber auch alles bewährte, alte Glühwürmchen hier, die mit ihrem Irrlichterieren schon einen Menschen vom Wege ab und in den Sumpf geführt haben.«

Der Anna Barbara wurde es immer angstvoller zumute, sie dachte bei sich: ›Dieser Hans Geiz ist ja ein ganz schlechter Kerl, der kann doch unmöglich den schönen goldenen Taler in Verwahrung haben, nach dem Großmutter und Mutter ihr Lebtag gesucht haben! Ach, ich wollte, ich hätte nie diesen Dienst angenommen – hier, in dieser Erdhöhle, in die nie die Sonne scheint, in der kein Blümlein wächst und kein Vogel singt, halte ich es doch nie drei Jahre aus!‹ – Und voller Schrecken sah sie auf das alte, verschimmelte, zerfallende Gerümpel, das da an den Wänden der Halle lag.

Das war aber wohl wirklich ein seltsamer Raum, durch den die kleine Anna Barbara da mit ihrem Führer ging! Unendlich lang schien die Halle zu sein, und so weit sie schon gegangen waren, es war doch immer noch kein Ende abzusehen, und der Eingang, von dem sie herkamen, war schon so weit entfernt, daß die beiden Höllenhunde, die doch groß waren wie die Kälber, jetzt so klein aussahen wie Kätzchen. An den Wänden dieser Halle aber lag zu Bergen aufgehäuft alles alte Zeug, das man sich nur denken kann: Berge zerrissener Schuhe, Türme aus alten Matratzen, denen die Wolle aus dem Bezug hing, Pyramiden von alten Flaschen, und so tausenderlei Zeugs mehr – vor allem aber Papier über Papier.

»Ja, ja, da staunst du, Anna Barbara«, kicherte der Hans Geiz. »Das bringe ich alles von meinen Fahrten über Land mit. Ich bin kein ganz armer Mann mehr. Schöne Sachen sind das!« Er grinste und fletschte dabei seine langen, gelben Zähne, daß die Anna Barbara schon wieder ein Grausen ankam. »Die Leute denken, sie brauchen die Sachen nicht mehr, tun sie weg und vergessen sie. Aber ich bewahre alles auf, denn nichts wird vergessen auf dieser Welt. Das sind Stiefel, mit denen sie einander getreten, Matratzen, auf denen sie faul gewesen sind, Flaschen, aus denen sie einander »Prost, Gesundheit!« zugetrunken haben und im stillen sich doch alles Schlechte wünschten, und dies ist alles Papier von der Welt, auf dem sie einander bewiesen haben, daß weiß schwarz und Recht Unrecht ist.«

Immer stiller wurde die Anna Barbara, traurig ging sie weiter. Es war der erste Abend im neuen Dienst, und doch war ihr am liebsten gewesen, es wäre schon der letzte, sie meinte, ihr Herz müsse brechen in den drei Jahren, die vor ihr lagen.

»So, nun wollen wir etwas Schönes essen«, sprach der Hans Geiz und fing an, in seinen Taschen herumzusuchen. »Warte, ich habe uns etwas Gutes mitgebracht.«

Sie waren in eine kleine Nische an der Hallenwand gekommen, wie ein Stübchen, dessen Wände freilich nur aus schweren, eichenen Türen bestanden, mit dicken, eisernen Beschlägen und schweren stählernen Riegeln und großmächtigen Vorlegeschlössern. Anna Barbara wunderte sich, was wohl hinter diesen drei Türen stecken möge, »aber«, dachte sie, »das werde ich in den drei Jahren schon noch alles erfahren.«

Unterdessen hatte Hans Geiz alles aus seinen Taschen gezogen, was er zu einem guten Abendessen gebrauchte: nämlich einen Kanten Brot, der war schimmlig, eine Speckschwarte, die hatte in der Asche gelegen, und einen Apfel, dessen eine Hälfte war faul. »Ein feines Essen, ein Lecker- und Schleckeressen!« rühmte Hans Geiz. »Da müssen wir vorsichtig essen, sonst verderben wir uns den Magen.« Damit fing er an, den Kanten mit seinem Messer in Stücke zu zerteilen. Anna Barbara aber, die daran dachte, daß sie noch ein Töpfchen reine Butter und einen Laib selbstgebackenes Brot in ihrem Bündel hatte, sagte hastig, sie habe heute abend keinen Hunger.

»Wie du willst«, sagte Hans Geiz recht gleichmütig und schob alles bis auf ein Stücklein Schwarte und ein Ecklein Brot wieder in die Tasche. »Aber denke daran, daß morgen nicht so fett gegessen wird wie heute.« Und er strich sachte mit der Speckschwarte über das trockene Brot. »Oh, wie schmeckt das kräftig und gut!« rief er dann. »Die Menschen sind ja dumm, sie meinen, der Speck sei zum Essen da. Zum Einreiben ist er, macht dann schon das Essen so stark, daß man es kaum vertragen kann. Ich reiche mit einem solchen Stück Speck fast ein Jahr.«

Damit steckte er die Schwarte in die Tasche, biß noch ein Krümchen vom Brot, kaute es lange, sprach: »Gut gekaut ist halb verdaut – oh, wie bin ich gut satt!« und hatte so viel gegessen, daß ein Spatz danach noch hätte Hunger haben müssen. Er aber stand auf und sprach: »Nun will ich dir zeigen, wo du schlafen kannst. Morgen fängt dann die Arbeit an.«

Er führte Anna Barbara in einen ganz kleinen Winkel an der Nische – von ferne hatte es ausgesehen, als sei es nur eine ganz schmale Fuge zwischen zwei Steinen. Wie sie aber näher kamen, wurde die Fuge weiter und weiter und ein richtiger Raum. Staubig und rumplig sah's freilich darin aus, die Spinnen hatten ihre Netze kreuz und quer gespannt, und welke Blätter lagen auf der Erde. »Na ja«, sprach Hans Geiz grämlich, »hier hängen ja Hängematten genug für zwanzig Mädchen wie dich, und auch Decken liegen da, so viele du nur brauchst.«

Und im gleichen Augenblick sah Anna Barbara, daß das, was sie für Spinnennetze gehalten hatte, Hängematten waren, und daß die welken Blätter auf der Erde braune Decken waren. »Schlaf schnell ein, Anna Barbara!« mahnte Hans Geiz, »daß du morgen frisch zur Arbeit bist. Und rabantere mir nicht so in der Hängematte, gute Sachen müssen auch gut behandelt werden.«

Damit ging er hinaus, und Anna Barbara machte, daß sie schnell in ihre Hängematte kam, so müde war sie. Sie schlief auch sofort ein, und im Traum war es ihr, als säße die tote Großmutter neben ihr und spräche: »Ja, du bist auf dem rechten Wege, Kind, dir wird es mit dem goldenen Taler wohl nicht fehlgehen.« Anna Barbara wollte mit dem Kopf schütteln und sagen, daß ihr diese Stelle gar nicht gefalle. Davon kam aber die Hängematte ins Schwingen, sie schwang immer schneller und höher. »Ich werde noch fallen«, dachte Anna Barbara im Traum, da fiel sie auch schon wirklich.

Es tat tüchtig weh, sie schlug die Augen auf, vor ihr stand Hans Geiz. Sie aber lag auf der Erde, und die Schnur ihrer Hängematte war durchgerissen. »Hast du also doch rabantert!« sprach Hans Geiz. »Bisher bist du noch nicht viel nütze gewesen. – Na, komm. Es ist jetzt droben Morgen, und nun will ich dir deine Arbeit zeigen.«

Damit ging er ihr voran in die Nische mit den drei eisenbeschlagenen Türen. Eine von ihnen schloß er auf, und sie kamen in einen Keller, an dessen Wänden Dutzende von Fässern standen. In der Mitte des Kellers aber stand ein Tischlein mit einem Schemelchen. Auf dem Tischlein lagen ein Tüchlein, ein Brötlein, standen ein Täßchen und ein Fläschchen. Und in der Ecke war ein Lager aus Stroh mit Decken.

»Sieh«, sprach Hans Geiz, »in den Fässern habe ich viel Kupfergeld, aber es ist mir vom langen Liegen schmutzig geworden und voller Grünspan. So sollst du es mir wieder blank putzen. Mit dem Tüchlein sollst du wischen und in dem Fläschlein ist ein Wasser, das nimmt den Schmutz fort. Mußt du aber einmal weinen, so tue es ruhig ins Fläschlein, davon bekommt das Putzwasser besonders reinigende Gewalt. Das Brötlein ist für dich da zum Essen, und in dem Täßchen ist ein wenig Milch für dich – sie werden nie alle. Aber hüte dich, sie ganz zu verzehren, dann wächst nichts Neues nach, und du mußt verhungern. Nun spute dich und geh an die Arbeit, Mädchen. Wenn du all diese Kupferlinge blankgeputzt hast, daß nicht ein Flecken mehr auf ihnen ist, soll dein erstes Dienstjahr um sein und du sollst ein Drittel von dem goldenen Taler verdient haben.«

Ober diese harten Worte fing Anna Barbara bitterlich an zu weinen, und sie rief klagend: »Ach, Ihr hattet mir doch versprochen, ich sollte für Euch und den Schimmel Unverzagt sorgen dürfen, und nun soll ich hier ein ganzes Jahr in diesem traurigen Gewölbe hocken müssen, ohne Sonne und ein grünes Blättchen und ohne eine freundliche Menschenstimme, und Euer schmutziges Kupfergeld putzen – nein, das will ich nicht, und das tu ich auch nicht!«

Weinend blieb das arme Mädchen zurück, viele Male rief sie nach dem harten Hans Geiz und bat ihn, sie zu erlösen, er aber ließ nichts von sich hören. Da sah Anna Barbara, es gab keinen andern Ausweg, als fleißig zu putzen, um möglichst schnell wieder hinauszukommen. So holte sie sich eine kleine Schürze Kupferpfennige an den Tisch, tauchte das Tuch ins Putzwasser und fing an zu reiben. Oh, wie lange Zeit dauerte es aber, bis sie nur einen Kupferling blank hatte! Da wollte sie fast verzagen, wenn sie daran dachte, wieviel Kupferpfennige auf dem Tische lagen, und wieviel Tausende erst in einer Tonne, und wieviel Millionen in all den Tonnen an den Wänden! Aber sie dachte bei sich: ›Viel Klagen putzt nicht!‹ und putzte emsig weiter, bis sie Hunger bekam.

Sie nahm Brot und Täßlein und fing an, zu essen und zu trinken. Aber wie sie im besten Schmausen war und grade merkte, das Brot war knapp, daß es kaum ihren Hunger stillte, sprach eine feine Stimme: »Gib mir auch zu essen und zu trinken!«

Sie sah auf den Tisch, und sie sah unter den Tisch, sie sah ringsum im Keller, aber sie fand nichts, das zu ihr hätte sprechen können. So dachte sie, die Ohren hätten ihr nur geklungen, und sie aß weiter.

Aber kaum hatte sie wieder einen Bissen getan, so kam die Stimme von neuem: »Iß mir nicht alles weg, trink mir nicht alles aus – ich habe auch Hunger und Durst.«

Diesmal sah Anna Barbara gar nicht erst lange umher, sondern sie fragte: »Wo steckst du denn? Ich sehe dich nicht.«

»In der Flasche«, sprach die feine piepsige Stimme. »Ich halte dir doch dein Putzwasser sauber.«

Da sah sich Anna Barbara die Flasche an, und als sie genau hinschaute, sah sie darin ein klein winzig Männlein, nicht größer als der Nagel an ihrem Daumen, das saß in dem Wasser.

»Hast du mich nun gesehen?« fragte das Männlein. »Nun hilf mir heraus, daß ich in der guten Luft essen kann!« Und als Anna Barbara sich hilflos umsah, wie sie dem Männlein wohl aus der tiefen Flasche durch den engen Hals helfen könne, sagte es ungeduldig: »Nun, eile dich doch ein wenig! Meinst du, es ist ein Vergnügen, tagaus, tagein in dem scharfen Wasser zu sitzen?! Hol ein Hälmchen Stroh aus deiner Bettstatt, daran will ich wohl hinausklettern.«

Also holte Anna Barbara ein Hälmchen Stroh, das Männchen kletterte geschickt hinaus, setzte sich auf den Flaschenkorken und sprach sehr barsch: »Nun gib mir zu essen und zu trinken.«

Da bröselte sie ein Bröckchen Brot ab, tat einen Tropfen Milch in eine Haferschluse und gab ihm beides. Gleich schrie das Männlein: »Mehr! Mehr!«, schlug wütend mit den Armen und fraß und stopfte, daß es blaurot im Gesicht wurde und daß sein Bäuchlein anschwoll wie eine dicke Saubohne. Immer schrie es gleich: »Mehr! Mehr!«, und wenn ihm Anna Barbara das Bröselchen nicht schnell genug reichte, so schalt es sie gleich ein faules Mädchen, es werde nun auch faul sein beim Reinigen des Putzwassers.

Schließlich aber war das Männlein gesättigt. Es saß zufrieden auf dem Flaschenkorken, baumelte mit den dürren Beinen und sprach: »Oh, wie bin ich schön satt! Das hast du gut gemacht. Nun werde ich dir auch ein Putzwasser bereiten, da sollst du sehen, wie die Arbeit flitzt.«

»Kann man denn all die Pfennige überhaupt je blank bekommen?« fragte Anna Barbara ängstlich.

»Das kannst du«, antwortete das Männchen kaltblütig. »Wenn du nämlich Ausdauer hast, und ich dir helfe.«

»Und hat denn der Hans Geiz wirklich den goldenen Taler?« fragte Anna Barbara wieder.

»Das wirst du schon erfahren«, sagte das Männlein. »Aber soviel kann ich dir heute schon sagen: er hat ihn und er hat ihn nicht.«

Anna Barbara zerbrach sich den Kopf, was das wohl bedeute, da sagte das Männchen: »Nun will ich auch einmal eine Frage tun. Nämlich: Wie heißt du denn?«

»Anna Barbara«, sagte Anna Barbara.

»Das ist ein schrecklich dummer Name«, sagte das Männchen. »Ich werde dich Liebste nennen.«

Da mußte Anna Barbara gewaltig lachen, denn daheim in ihrem Dorf nannten die jungen Burschen das Mädchen, das sie einmal heiraten wollten, ihre Liebste. Und wenn sie sich dazu das Männchen ansah, nicht größer als ihr Daumennagel, und bedachte, es wolle sie auch Liebste nennen, so mußte sie eben lauthals lachen.

Sofort wurde das Männlein krebsrot vor Wut und schrie: »Lach nicht so dumm, du albernes Mädchen! Jawohl, Liebste nenne ich dich und du wirst mich Liebster heißen, und wenn die Zeit gekommen ist, werden wir uns heiraten ...«

Da konnte sich Anna Barbara nicht mehr halten. Sie sprang auf, trampelte mit den Füßen vor Vergnügen auf der Erde herum und lachte, so laut sie nur konnte. Denn wenn Anna Barbara das Männchen ansah mit seinem blauroten, faltigen Gesicht, einem Schädel, blank wie ein Ei, einem strubbligen Bart, mit einem runden Bäuchlein und Armen und Beinen so dürr wie Stecken, und dabei dachte, das sollte einmal ihr Mann werden – so mußte sie eben wie toll lachen.

Das Männchen aber sprang von seinem Korken auf, trampelte auch mit den Füßen auf den Boden, aber vor Wut, und kreischte mit seiner dünnen, piepsigen Stimme: »Warte nur, du böses Mädchen! Wenn du erst meine Frau bist, dann will ich dich für dieses Lachen an den Haaren reißen!«

Und es schüttelte wütend seine Fäustchen gegen Anna Barbara. Als die aber gar nicht mit Lachen aufhörte, fuhr es zornig an der Flasche hoch, sprang hinein und war untergetaucht. Und nur Schaum und Blasen im Putzwasser verrieten noch, daß es weiter darin saß und wütete. –

Bald machte sich auch Anna Barbara wieder an ihre Arbeit, und so flink ging sie ihr vonstatten, daß sie denken mußte: »Ist das komische Männchen auch wütend, macht es mir doch das Putzwasser so scharf, daß ich nur einmal über den schmutzigsten Pfennig hinzureiben brauche, und er glänzt wie der liebe Mond.«

So arbeiteten die beiden nun viele Tage miteinander. Anna Barbara ließ nicht ab, fleißig zu reiben und zu scheuern, damit ihr das Jahr nur recht kurz werde, und jede Tonne, die sie von schmutzigen Pfennigen entleert und mit blanken Pfennigen gefüllt hatte, machte ihr das Herz leichter. Und das Männlein bereitete mit seinen Künsten das Putzwasser immer schärfer, und sie aßen zusammen alle Tage von dem Brot, und sie tranken gemeinsam von der Milch. Aber jedesmal, wenn sie ihre gemeinsame Mahlzeit hielten, gerieten sie in Streit, denn das Männchen hörte nicht auf, sie Liebste zu nennen, und erboste sich jedesmal von neuem, wenn sie darüber zu lachen anfing. Und wenn es sagte, in seinem Hause dürfe sie ihm nur Linsensuppe kochen, aber keine Erbsen, wollte Anna Barbara gerade Erbsen und fragte ihn wohl auch spöttisch, ob sein Haus die Putzwasserflasche sei, und ob sie da auch hinein müsse. Er möge nur die Türe, nämlich den Hals, erst ein bißchen weiter machen.

Immer endete es aber damit, daß das erzürnte Männlein ihr schwere Strafen androhte, wenn sie erst seine Frau sei, und wollte er sie im Anfang nur am Haar reißen, kam es am Ende doch so weit, daß er ihr jedes Haar einzeln ausreißen, die Nase abbeißen und die Augen als dicke Erbsen kochen wollte. Zum Schluß aber fuhr das Männchen immer zornig an seinem Strohhalm in die Flasche und warf Blasen, als gurgele es mit dem Putzwasser.

Zwischen Tag und Nacht war in dem lichtlosen Kellerloch tief in der Erde, in dem nur die Glühwürmchen leuchteten, kein Unterschied, so wußte Anna Barbara nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie an die letzte Tonne mit Kupferlingen ging. Auf dem Boden dieser Tonne aber lag eine kupferne Glocke, und als sie den letzten Pfennig geputzt hatte, sprach das Männlein zu ihr: »Nun läute die Glocke«, fuhr aber danach gleich in seine Flasche.

Anna Barbara schwang die Glocke. Da fing sie sonderbar an zu summen und zu brummen. Es war der Anna Barbara ganz, als treibe der Kuhhirte im Dorfe daheim die Herde in die Ställe, und die große rotscheckige Kuh vom Müller läute mit der Glocke an ihrem Hals der Herde voran. Als sie aber die Glocke weiterschwang, klirrten die Riegel an der Kellertür, die Tür sprang auf, und herein trat der dürre, gelbe Hans Geiz und sprach grämlich: »Bist du fertig? Hast du auch sauber geputzt? Hast du auch keinen Kupferling ausgelassen?« Und er wühlte in der Tonne.

Als er aber sah, es war alles ordentlich gemacht, sprach er zu dem Mädchen: »So hast du dir den dritten Teil vom goldenen Taler verdient. Komm mit, daß ich dir die Arbeit weise, mit der du dir das zweite Drittel verdienen kannst.«

Da faßte sich Anna Barbara ein Herz und bat den harten Hans Geiz beweglich, er möge sie doch gehen lassen, sie halte es hier nicht aus im öden Keller, ohne eine Menschenstimme, ohne liebe Sonne und ohne bunte Blumen. Da fing das Putzwasser in der Flasche an zu brodeln und zu spucken, als sei das Männchen überaus wild, aber der Hans Geiz sagte sehr kalt, Vertrag sei Vertrag, er lasse sie nicht eher gehen, bis sie nicht ihre Zeit abgedient habe. Damit faßte er sie am Arm und wollte sie durch das Stüblein in einen andern Keller führen.

Anna Barbara aber riß sich von ihm los und lief aus der kleinen Stube in den großen Saal, und sie rannte zwischen den Stiefel- und Matratzenhaufen und zwischen den Bergen von altem Papier, so rasch sie nur rennen konnte, dem Ausgang zu. Der Hans Geiz eilte sich gar nicht, denn er wußte ja, sie kam wegen der Hunde Gier und Neid doch nicht heraus. Die Hunde aber, als sie Anna Barbara heranlaufen sahen, sprangen auf, zerrten an ihren Ketten und warfen aus ihren Mäulern so viel glühendes Feuer in die Luft, daß Anna Barbara von der Hitze ohnmächtig hinsank.

Da nahm sie Hans Geiz auf seinen Arm und trug sie gemächlich in den andern Keller, wo er sie auf ein Lager legte. Als Anna Barbara da aus ihrer Ohnmacht erwachte, war sie ganz allein in einem Keller, noch viel größer als der Kupferkeller. Und an den Wänden dieses Kellers standen viele Tonnen mit beschmutztem Silbergeld, und hatten im andern Keller vielleicht zwanzig Tonnen gestanden, so waren es hier vierzig oder gar fünfzig.

Bei diesem Anblick fing Anna Barbara bitterlich zu weinen an, und sie klagte über ihr jämmerliches Leben, das sie nun ewig putzend in öden Kellergewölben verbringen müsse, und nie, nie werde sie das Putzen dieses Silbers bewältigen.

Als sie aber so weinte und klagte, hörte sie ein böses, hämisches Lachen, und als sie aufschaute, saß wieder das Putzwassermännlein auf dem Tisch, lachte sie aus und sprach: »Geschieht dir ganz recht, du ungetreue Liebste! Hast du mir nicht die Heirat versprochen, und nun wolltest du von mir fortlaufen in die Welt hinaus und mich allein im Wasser sitzenlassen –?!«

Zornig rief Anna Barbara: »Gar nichts habe ich dir versprochen! Glaubst du denn wirklich, ich will einen alten Knacker heiraten mit einem Kahlkopf wie ein nacktes Knie, einer Knollennase, blau wie eine Kornblume, und einem Strubbelbart, der mir bei jedem Kuß die Lippen zersticht? Nie und nie wirst du mein Mann werden!«

»So?« fragte das Männchen giftig, »werde ich nicht dein Mann?! So helfe ich dir auch nicht beim Putzen, und du kommst nie wieder aus dem Gewölbe!«

Damit fuhr es zornig in die Flasche, aber weder Schaum noch Blasen zeigten, daß es im Putzwasser wohltätig wirke. Und als Anna Barbara wieder an ihre Arbeit ging, mochte sie reiben und polieren, das Silbergeld wollte nicht blank werden. Da warf sie sich verzweifelt auf ihr Lager und dachte: »Ich werde nichts mehr essen noch trinken, dann sterbe ich und brauche mich nicht mehr zu plagen. Dann bin ich tot wie die liebe Großmutter und bin vielleicht bei ihr und ohne Not.«

Darüber schlief sie ein, und im Traum war ihr, als säße die gute Großmutter wieder lebendig neben ihrem Lager und spräche: »Was man sich einmal vorgenommen hat, das muß man auch durchführen, Anna Barbara. Nun halte aus, bis du dir den Goldtaler verdient hast. Mit dem Männlein aber mache deinen Frieden, so oder so, denn es allein kann dir aus diesem Gewölbe helfen. Es wird schon kein Unmensch sein und nichts Unmögliches von dir verlangen.«

Da seufzte die Anna Barbara im Traum und sprach: »Er will aber doch, daß ich ihn heirate. Und ich kann doch nicht mit ihm im Putzwasser leben!«

Da verzog die Großmutter das Gesicht recht grämlich und sprach: »Ja, Kind, wenn du nur den goldenen Taler hättest, so ging auch das wohl!«

Damit entschwand die Großmutter, als zerginge ein Rauch. Anna Barbara aber wachte davon auf, daß eine feine Stimme »Hilfe! Hilfe!« rief. Sie sprang auf und sah zwei Ratten, von denen trug die eine das ewige Stückchen Brot im Maul, die andere aber das schreiende Männchen. Anna Barbara griff in die nächste Silbertonne, warf ein Silberstück und traf die Ratte so geschickt, daß sie das Männlein fallen ließ und quiekend in ihr Loch fuhr. Mit dem andern Silberstück aber traf sie die andere Ratte, daß sie das Brot fahren ließ. Dann lief Anna Barbara zu dem Männlein, hob es auf, trug es an den Tisch und setzte es wieder auf den Flaschenkorken.

Da sprach das Männlein: »Du hast mir nun das Leben gerettet, Anna Barbara, denn die Ratten waren sehr böse auf mich und wollten mich fressen, weil ich ihnen dein Brot nicht lassen mochte. So will ich denn auch nicht weiter in dich dringen, daß du meine Frau wirst, sondern will dir mit dem allerschärfsten Putzwasser helfen, wenn du mir nur versprichst, mich all dein Lebtage bei dir zu tragen, und mich nie und in keiner Not zu verlassen.«

Anna Barbara aber antwortete: »Putzwassermännlein, das will ich dir gerne versprechen, weil du dich ja um meines Brotes willen so mutig in Gefahr begeben hast. Und ich will dir auch bestimmt nicht wieder fortlaufen.«

So machten sie ihren Frieden und Vertrag miteinander, und von da an erzürnten sie sich nicht mehr. Sie putzten aber so eifrig, daß sie die vielen Silbertonnen schneller blank bekamen als die wenigen Kupferfässer. Auf dem Grunde der letzten Silbertonne fand Anna Barbara eine schöne Silberglocke, und als sie die schwang, war es ihr, als läute der Küsterjunge das Mittagsglöckchen daheim. Da schwoll ihr vor Sehnsucht nach dem Heimatdorfe das Herz, und vor Heimweh hielt sie es kaum mehr aus.

Doch die Riegel rasselten wie das vorige Mal, und herein trat nur der böse Hans Geiz. Er prüfte ihre Arbeit, und als er sie für gut befunden, führte er das Mädchen am Arm in den dritten Keller. Diesmal machte sie keinen Versuch, ihm wegzulaufen, denn sie wußte, an den Hunden kam sie doch nicht vorbei, und sie durfte auch das Putzwassermännlein nicht im Stich lassen.

Im dritten Keller nun standen unendlich viele Tonnen mit roten und gelben Goldstücken. Bei ihrem Anblick rief Anna Barbara freudig aus: »Oh, da wird doch auch mein goldener Taler dazwischen sein!«

Hans Geiz sprach darauf recht böse: »Vielleicht ist er dazwischen. Wenn du ihn aber nicht findest, so bekommst du ihn auch nicht.«

Sprach Anna Barbara angstvoll: »Wie soll ich denn meinen goldenen Taler unter so vielen Tausenden erkennen?«

Sagte der Hans Geiz: »Wenn ihn dein Herz nicht erkennt, so hast du ihn auch nicht verdient. Erkennt ihn aber dein Herz, und bekommst du ihn nicht rein, so hast du ihn wiederum nicht verdient.«

Damit ging der Hans Geiz und schlug die Türe hinter sich zu. Anna Barbara aber sprach zu dem Männlein: »Kannst du mir denn nicht raten und sagen, welches mein goldener Taler ist?«

Sprach das Männlein traurig: »Hier sind meine Hilfe und Macht zu Ende. Horche nur auf dein eigen Herz, vielleicht daß es dir sagt, welches der rechte goldene Taler ist.«

So begann Anna Barbara zu putzen, und bei jedem Goldstück, das sie in die Hand nahm, befragte sie ihr Herz, doch ihr Herz blieb stumm. Es fiel dem Mädchen aber auf, daß das Männlein stets stiller und schweigsamer wurde. Gar keinen Scherz machte es mehr, nicht einmal geriet es noch in Wut, und es rührte auch kaum noch ein Bröckchen von dem Brot und ein Tröpfchen von der Milch an.

Sprach Anna Barbara: »Was ist dir, Männlein? Sprichst nicht, issest nicht, trinkst nicht – du bist doch nicht krank?«

Antwortete das Männlein: »Laß mich, Anna Barbara!«

Sagte Anna Barbara: »Nein, ich lasse dich nicht, Männlein. Ich habe dir ja versprochen, dich nie im Leben zu lassen. Also lasse ich dich auch jetzt nicht.«

Sagte das Männlein: »Vergiß das auch nicht, Anna Barbara!«, fuhr wieder in seine Flasche und wollte um keinen Preis erzählen, was ihm denn fehle.

So kam nach langer Arbeit schließlich die letzte Goldtonne heran, und immer noch war Anna Barbaras Herz stumm geblieben. Aus der letzten Tonne putzte Anna Barbara Goldstück um Goldstück, aber ihr Herz sagte nichts. Schließlich kam sie auf den Boden der Tonne, aber diesmal lag keine goldene Glocke auf dem Boden, sondern nur Goldgeld. Sie putzte es und sprach dann traurig zum Männlein, das auch traurig und bleich auf seinem Korken saß: »Nun habe ich alles Gold in diesem Keller blank geputzt, und meine Dienstzeit ist wohl herum. Aber es hat keine Glocke auf dem Faßboden gelegen, so daß ich den Hans Geiz nicht rufen kann, daß er uns aufschließt. Und den goldenen Taler hat mir mein Herz auch nicht verraten.«

Das Männlein antwortete darauf betrübt: »Ich kann dir auch nicht raten und helfen. Aber vielleicht hat Hans Geiz den goldenen Taler listig irgendwo versteckt – suche doch einmal.«

Da machte sich Anna Barbara ans Suchen, aber so emsig sie auch jedes Eckchen und Fleckchen im Keller durchstöberte, sie fand den goldenen Taler nicht.

Als sie sich nun ganz trostlos an den Tisch setzte, sprach das Männlein: »Ich habe Hunger, Anna Barbara, gib mir ein Bröckchen Brot.«

Sagte Anna Barbara: »Wir haben doch heute schon gegessen, Männchen. Es sind nur noch ein paar Krümlein da. Die müssen bleiben, damit das Brot während meines Schlafes nachwächst.«

Sprach das Männlein: »Wenn du mir nicht jetzt gleich zu essen gibst, komme ich vor Hunger um und bin tot.«

Da dachte Anna Barbara: »Es ist ja nun alles gleich, da ich den goldenen Taler doch nicht gefunden habe. So ist ja alles doch umsonst gewesen, und ich will ihm gerne die letzten Krumen geben, daß er noch einmal satt wird. Morgen müssen wir dann freilich verhungern.« Und sie steckte ihm die letzten Krümlein in den Mund.

Froher schlug das Männlein die Augen auf und fing eifrig an, das nahrhafte Brot zu kauen. Plötzlich aber verzog es das Gesicht im Schmerz, griff in den Mund und schrie: »Au wei, mein Zahn! Was ist denn da für ein harter Kiesel im Brot –?!«

Und aus dem Munde brachte es etwas, das sah aus wie ein gelbes Steinchen. Als das Männchen es aber in den Händen hielt, fing's an zu wachsen. Schon wurde es ihm zu schwer, hellklingend fiel es auf den Tisch. Hastig griff Anna Barbara danach, hielt es in den Händen. Sie sah's mit Herzklopfen an und rief freudig: »Das ist mein goldener Taler, ich spüre es, mein Herz sagt es mir. Im Brot, in unserm letzten Restchen Brot hat ihn der böse Hans Geiz versteckt, daß wir ihn nur nicht finden!«

Auch das Männchen wurde nicht müde, den goldenen Taler zu betrachten, und rief: »Jetzt haben wir es, das saubere Goldfellchen. Oh, wie es gleißt und blitzt! Schnell, putze, Anna Barbara! Sieh doch, was ist da noch für ein böser, roter Fleck!«

Anna Barbara hatte den häßlichen roten Fleck auch schon gesehen, geschwind nahm sie das Tüchlein, goß Putzwasser darauf, und fing an, zu reiben und zu putzen, daß ihr warm ward. Aber – o weh! –, je mehr sie rieb, um so röter ward der Fleck, ja, es war ganz, als riebe sie ihn immer breiter über den goldenen Taler hin. Schließlich ließ sie müde die Arme sinken und sprach: »Ich schaffe es nicht. Der Fleck läßt sich nicht wegreiben.«

Da sagte das Männlein eifrig: »Gib doch nur nicht den Mut auf. Gleich fahre ich in die Flasche und bereite dir das schärfste Putzwasser, das es je gegeben hat.«

Und es stieg in die Flasche, und es braute, wallte, wogte und werkte darin, es spülte und trieb um, es mischte und es stieg auf und nieder, daß es brodelte und dampfte. Schließlich kam es wieder heraus, setzte sich ganz müde auf den Flaschenpfropfen und sprach: »Nun putze, Anna Barbara, besseres Putzwasser kann ich nicht bereiten.«

Anna Barbara goß von dem Wasser auf ihr Läppchen und rieb und – siehe! – der Fleck wurde heller, und jubelnd rief sie: »Es gelingt! Er wird blank!«

Aber als sie das Läppchen wieder fortnahm, war es, als ginge eine Wolke über den goldenen Taler, und er war wieder fleckig. Da rief sie traurig: »Es fehlt noch ein kleines bißchen an deinem Wasser, Männlein – weißt du denn nicht, was?«

Sagte das Männlein traurig: »Ich habe alles hineingetan, was hineingetan werden muß – wenn noch etwas fehlt, muß du es hineintun. Weißt du denn nicht, was?«

Antwortete Anna Barbara: »Ich weiß nichts.« Es war ihr aber so, als müsse sie wissen, was dem Putzwasser noch fehlte, als fiele es ihr nur nicht ein. Das Männlein aber sagte betrübt: »So hilft uns auch der goldene Taler nicht zur Freiheit!«

Da saßen sie beide still und betrübt am Tisch, alle lange Arbeit war umsonst getan, sie kamen doch nicht hinaus. Nach einer Weile aber sprach das Männchen mit schwacher Stimme: »Ich weiß nicht, was mit mir ist, Anna Barbara. Erst habe ich gar nichts essen können, und nun muß ich immerzu essen. Gib mir noch ein wenig Brot.«

Anna Barbara aber rief: »Du weißt doch, Männlein, daß du unsere letzte Krume Brot gegessen hast. Nun haben wir nichts mehr zum Nachwachsen.«

Da klagte das Männlein: »O weh! O weh! Nun muß ich gewiß sterben.« Und es fiel schwach von seinem Korken. Anna Barbara nahm es in die Hand, und als sie den kleinen Mann, der so lange Zeit ihr Geselle gewesen war und ihr getreulich bei aller Arbeit geholfen hatte, bleich und wie sterbend sah, da dachte sie nicht mehr an seine Knollennase, seinen kahlen Schädel und den Strubbelbart, sondern ihre Augen gingen über von herzlichen Mitleidstränen, und sie rief: »Lieber Geselle, laß mich doch nicht allein! Bleibe bei mir, Gesell!«

Eine ihrer Tränen aber fiel auf den goldenen Taler, sie zischte auf, als sei sie auf etwas Glühendes gefallen, ein kleines Wölkchen stieg empor, und als es verflogen war, lag der goldene Taler fleckenlos da.

Jubelnd rief Anna Barbara: »Lieber Geselle, wach auf! Der goldene Taler ist blank!«

Mit schwacher Stimme fragte das Männlein: »Meinst du das denn wirklich, daß ich dein lieber Geselle bin, der dich nie im Leben verlassen darf?«

»Das meine ich ganz wirklich«, sagte Anna Barbara.

»Willst du mich dann auch Liebster nennen, und darf ich dich Liebste nennen?« fragte das Männchen.

»Jawohl will ich das und jawohl darfst du das«, antwortete Anna Barbara.

»So gib mir darauf einen Kuß!« verlangte das Männlein.

»Das wollte ich wohl gerne tun, Liebster«, lachte Anna Barbara. »Aber du bist ja so klein wie der Nagel an meinem Finger – ich habe Angst, ich werfe dich mit meinen Lippen um!«

»Wenn es weiter nichts ist«, sagte das Männchen, »so rühre mich nur einmal mit deinem goldenen Taler an.« Das tat Anna Barbara, und sofort fing das Männchen an zu wachsen und hörte nicht eher damit auf, bis es ebenso groß war wie Anna Barbara.

»Wie ist es denn nun mit dem Kuß, Liebste?« lachte es, und war eigentlich ganz greulich anzusehen mit seinen Spinnenarmen und -beinen, seiner blauen Nase und dem Kegelkopf.

Anna Barbara aber sagte: »Mein Geselle bist du ja doch, wenn du auch greulich anzusehen bist«, und gab ihm einen Kuß. Unter dem Kuß aber spürte sie, wie sich das Männlein verwandelte, und als sie es losließ, stand ein schöner, junger Mann vor ihr und sah sie lächelnd an.

»Ja, ich bin das Männlein aus dem Putzwasser, sprach er, »und du hast mich erlöst, Anna Barbara. Wie du war auch ich auf der Suche nach dem goldenen Taler, fiel in die Hände des bösen Hans Geiz und mußte für ihn putzen. Aber ich hatte nicht deine Geduld, putzte nur weniges und das schlecht. Da hat er mich zur Strafe ins Putzwasser gesteckt und zum alten Putzwassermännlein gemacht. – Nun aber nimm deinen goldenen Taler in die Hand, und ich nehme meine Flasche mit Putzwasser – wir wollen machen, daß wir endlich wieder die liebe Sonne schauen.«

Damit gingen sie an die Tür, und Anna Barbara klopfte mit ihrem goldenen Taler dagegen. Da flogen die Riegel zurück, und die Schlösser sprangen auf, und sie konnten hindurchgehen. Auf der andern Seite der Tür aber stand der böse Hans Geiz, und er war gelber und dürrer als je, als er sprach: »Du darfst gehen, Anna Barbara, denn du hast alles getan, was du tun solltest. Aber deinen Liebsten mußt du hierlassen, der darf nicht hinaus.«

»Wenn er hierbleiben muß, so bleibe ich auch hier«, sprach Anna Barbara mit fester Stimme. Ihr Liebster aber rief: »Laß mich nur machen!« Und er spritzte aus dem Fläschchen Wasser in das Gesicht von Hans Geiz. Da schrie der auf vor Schmerz: »Oh, wie das brennt und wehtut! Lauft nur immer, ihr Dummen, an den Hunden Gier und Neid kommt ihr doch nicht vorbei!«

Und sie liefen durch den langen Saal mit dem alten Gerümpel, und von ferne sahen sie die Hunde schon an ihren Ketten zerren und Feuer blasen. Als sie aber näher kamen, spritzte der Jüngling wieder Putzwasser aus seiner Flasche, und vor Schmerzen wimmernd verkrochen sich die Hunde und ließen die beiden vorüber.

Nun aber standen sie in dem kleinen Vorraum, von dem der dunkle Schacht himmelhoch hinaufging, und ganz oben sahen sie einen kleinen blauen Fleck, das war der liebe Himmel, den sie so lange nicht gesehen. Es gab aber keine Tür aus dem Vorraum und keine Treppe den Schacht hinauf, und sie fanden keinen Weg hinaus.

Sie wollten schon fast verzagen, da hörte Anna Barbara in der Ferne ein Getrapps, und sie machte ihre Stimme ganz laut und schrie: »Hör mich, Schimmel Unverzagt!«

Nach einer Weile verschwand der kleine Himmelsfleck oben, denn der Schimmel schaute hinab und fragte: »Wer ruft?«

»Das Mädchen«, rief Anna Barbara, »das du im Winter hierhergefahren, und ihr Liebster. Kannst du uns denn nicht hinaushelfen?«

»Das kann ich vielleicht«, antwortete der Schimmel. »Wollt ihr mich dann aber auch immer bei euch behalten und mir gut zu fressen geben, und mich im Winter nicht auf Eis legen?«

»Das versprechen wir dir!« riefen die beiden.

»So wartet ein Weilchen«, sagte der Schimmel, »bis die Haare an meinem Schwanze lang genug gewachsen sind.«

So standen sie ein Weilchen, aber plötzlich sagte Anna Barbara: »Mich kitzelt was an der Backe, Liebster!«

Antwortete er: »Mich krabbelt was im Nacken, Liebste.«

»Was mag das wohl sein?« fragten sie, und als sie hinfaßten, hielt jedes ein Pferdehaar. »Wir wollen sehen, ob es fest genug ist«, sprachen sie, und sie hängten sich daran. Und das Haar hielt, und sie zogen sich daran empor.

Da waren sie oben, und nach langer Zeit standen sie wieder in der lieben Sonne und sahen das Himmelslicht und das gute Grün von Gras und Baum. Sie hörten die Vögel singen und rochen den Duft der Blumen.

Da sanken sich die beiden in die Arme und waren sehr froh und küßten sich. Dann aber setzten sie sich auf den Schimmel Unverzagt, und er ging fort mit ihnen und hörte nicht eher auf zu gehen, bis sie vor dem Haus hielten, in dem Anna Barbara mit ihrer Großmutter gelebt hatte. Da hinein gingen sie, die jungen Leute in die Stube, der Schimmel aber in den Stall. Und dort lebten und arbeiteten sie nun, und sie waren immer glücklich, weil sie den goldenen Taler hatten. Denn wer den ohne Fleck in allem Glanze hat, der ist immer glücklich.

Der Schimmel Unverzagt aber wohnte noch lange bei ihnen und hatte es gut bei ihnen. Als er aber starb, wurde er hinter dem Haus unter einem Apfelbaum begraben und ihm ein Grabstein gesetzt mit folgenden Versen:

Hier ruht der Schimmel Unverzagt,
Den Geiz in kaltes Eis gepackt.
Der goldne Taler wärmt ihn auf,
Zufrieden war sein letzter Schnauf.
Nun ruht er aus von aller Müh,
Er war ein herzlich gutes Vieh.


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