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Geschichte vom Unglückshuhn

Es lebte einmal ein großmächtiger Zauberer, der hatte einen stolzen bunten Hahn und drei Hühner. Von denen konnte das eine Huhn goldene Eier legen, das andere silberne, das dritte aber gar nichts – nicht einmal gewöhnliche Hühnereier. Darüber wurde es sehr traurig, denn die andern Hühner lachten es aus und wollten nicht einmal mit ihm auf die Straße gehen, und der stolze Hahn, den es sehr liebte, sah es nicht einmal an und redete nie mit ihm. Fand es aber einmal einen schönen langen Regenwurm oder einen fetten Engerling, gleich nahmen ihm die andern den Bissen fort und sprachen: »Wozu brauchst du so fett zu fressen? Du kannst ja nicht einmal gewöhnliche Eier legen, geschweige denn goldene und silberne wie wir. Mach, daß du fortkommst, Nichtsnutz!«

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Darüber wurde das Huhn immer verzweifelter, nichts freute es mehr im Leben, es sah trübsinnig in der Ecke und sprach zu sich: »Puttputtputt, ich wollte, ich wäre tot. Zu nichts bin ich nutze. Der stolze, bunte Hahn, den ich so sehr liebe, schaut mich gar nicht an, und so sehr ich auch drücke, es kommt kein einziges Ei aus meinem Leibe. Puttputtputt, ich bin ein rechtes Unglückshuhn.«

Der großmächtige Zauberer hörte, daß das Huhn so klagte, und er tröstete es und sprach: »Warte nur, was aus dir noch werden wird! Deine Schwestern können wohl goldene und silberne Eier legen, dich aber habe ich zu einem noch viel besseren Werke aufgehoben. Aus dir wird man noch einmal eine Suppe kochen, die Tote lebendig macht.«

Diese Worte des Zauberers hörte seine Haushälterin, ein kleines, böses Fräulein, das die Hexerei erlernen wollte, und sie dachte bei sich: ›Eine Suppe, die Tote lebendig macht, ist eine schöne Sache, damit könnte ich viel Geld verdienen.‹

Als nun der großmächtige Zauberer zu Besuch bei einem anderen Zauberer über Land gefahren war, fing sie das Unglückshuhn, schlachtete es, rupfte und sengte es, nahm es aus und tat es in einen Kochtopf, um die Lebenssuppe aus ihm zu kochen. Als das Wasser aber zu brodeln und zu singen anfing, klang das der Hexe geradeso, als riefe das tote Huhn im Kochtopf: ›Puttputtputt, ich Unglückshuhn! Puttputtputt, ich Unglückshuhn!‹

Da bekam die Hexe einen großen Schreck, sie tat alles vom Feuer, holte sich Messer, Gabel und Löffel und machte sich daran, das Huhn schnell aufzuessen. Denn sie dachte in ihrer Dummheit, wenn sie das Huhn erst im Leibe hätte, würde es nicht mehr rufen können, und so würde der Zauberer auch nichts von ihrer Untat erfahren.

Derweilen saß der Zauberer mit seinem Freunde in dessen Stube, und weil sie sich alles erzählt hatten, was sie wußten, fingen sie an, sich aus Langerweile einander ihre Zauberkunststücke zu zeigen. »Was hast du denn da an der Nase?« fragte der eine und zog dem andern einen Wurm aus dem Nasenloch. Der Wurm wurde immer länger und länger. »Nein, was hast du bloß für Zeugs in der Nase«, sagte der Zauberer. »Du solltest sie doch einmal ordentlich ausschnauben!« Und er warf den Wurm, der einen guten Meter lang war, zum Fenster hinaus.

»Und du?« fragte der andere Zauberer, »du wäscht dir wohl nie die Ohren? Wahrhaftig, da gehen schon die Radieschen auf! Sieh doch!« Und er griff ihm ins Ohr und brachte eine Handvoll Radieschen hervor. Danach eine dicke gelbe Rübe und zum Schluß gar eine grüne Gurke, die noch länger war als der Wurm.

»Nun laß es aber genug sein«, sagte der andere und hustete. Und von dem Husten flog das ganze Gemüse vom Tisch und einem auf der Straße vorübergehenden Weibe in den Korb. Das meinte, heute schneie es Radieschen, regne Gurken und hagele Rüben, und fing vor Schreck an zu laufen, daß seine Röcke flogen. Die beiden Zauberer aber lachten, daß ihnen die Bäuche wackelten.

»Jetzt will ich dir etwas zeigen, was du nicht kannst«, sagte der fremde Zauberer. Er zog seine Jacke aus, guckte in den Ärmel und sprach: »Durch diesen Ärmel kann ich überallhin und durch alle Wände gucken.«

»Wenn du das kannst«, sprach der großmächtige Zauberer, »so sage mir, was du in meiner Stube siehst.«

»In deiner Stube«, sprach der andere Zauberer, »sitzt ein Fräulein am Tisch, hat eine Schüssel mit Suppe vor sich und nagt an einem Hühnerbein.«

»Was?!« schrie der Zauberer in höchstem Zorn. »Hat sie gar das Huhn geschlachtet, aus dem ich die Lebenssuppe kochen will?! Da muß ich eiligst fort!«

Und er schlug dreimal den Stuhl, auf dem er saß. Da verwandelte sich der Stuhl in einen riesigen Adler, flog mit ihm aus der Stube und rauschte mit solcher Schnelligkeit durch die Luft, daß kaum eine Minute vergangen war, da waren sie schon im Zimmer des Zauberers.

Die kleine Hexe ließ vor Angst das schon abgenagte Hühnerbein aus der Hand fallen, weinte und schrie: »Ich will es auch gewiß nicht wieder tun!« Das half ihr nichts. Der Zauberer ergriff eine kleine Flasche, die auf seinem Waschtisch stand, gebot: »Fahre hinein!« und sofort wurde das Hexlein ganz klein und fuhr wie ein Rauch in die Flasche.

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Der Zauberer stöpselte die Flasche gut zu, hängte sie dem Adler um und sprach: »Nun fliege wieder heim, mein guter Adler, sonst fehlt meinem Freunde noch ein Stuhl. Und sage ihm, er soll dieses kleine Hexlein ja nicht herauslassen, sonst stiftet es nur Unfug. Wenn er aber wissen will, wie das Wetter wird, soll er nur das Hexlein in der Flasche ansehen. Hat es den Mund zu, bleibt das Wetter gut, streckt es aber die Zunge heraus, gibt's Regen.«

»Rrrrrummmm!« sagte der Adler, flog ab und tat, wie ihm befohlen.

Der Zauberer aber ging durch Haus und Hof und suchte alles zusammen, was das Hexlein von dem Huhn weggeworfen hatte: die Federn vom Dunghaufen, die Eingeweide aus dem Schweineeimer und den Kopf aus dem Kehricht. Nur das Fleisch von dem einen Bein blieb fehlen, das war aufgegessen und nicht wiederzubekommen. »Macht auch nichts«, sagte der Zauberer, legte alles schön zusammen und sprach einen Zauberspruch. Schwupp, stand das Huhn wieder heil und ganz da! Nur fiel es gleich wieder um, weil ihm ein Bein fehlte, und es auf einem Beine nicht stehen konnte.

»Macht auch nichts«, sagte der Zauberer und schickte zu einem gelehrten Goldschmied. Der verfertigte mit all seiner Kunst ein goldenes Hühnerbein und setzte es dem Huhn so künstlerisch ein, daß es damit gehen konnte, als sei es aus Fleisch und Knochen.

Das gefiel dem Huhn nicht so übel, das Bein blinkerte und glänzte herrlich wie nicht einmal die Federn vom stolzen, bunten Hahn, und klapperte so schön auf dem Stubenboden, wenn es lief, als gackerten zehn Hühner nach dem Eierlegen.

Wie aber ward dem Huhn, als es mit seinem Goldbein ganz vergnügt und stolz auf den Hof hinausklapperte! »Falschbein! – Hinkepot!« riefen die beiden Hühner, die goldene und silberne Eier legen konnten, höhnisch. »Du altes Klapperbein!« Und sie jagten das Huhn mit Schnabelstößen und Krallenkratzen so lange herum, bis es vor Angst auf einen Baum flatterte. Am schlimmsten aber hackte und kratzte der stolze, bunte Hahn. »Hier darf nur einer glänzen, und der bin ich!« rief er böse und hackte, daß die Federn flogen.

Da saß nun das arme Huhn ganz verängstigt auf seinem Baum und klagte bei sich: ›Puttputtputt, ich Unglückshuhn! Ich dachte, nun würde es besser werden, nachdem ich soviel ausgestanden habe, aber nun ist es ganz schlimm geworden. Ach Gott, wäre ich bloß tot!‹

Indem erspähte eine diebische Elster, daß in dem Baum etwas glitzerte und blinkte, dachte, es gäbe was zu stehlen, flog hinzu und wollte dem Huhn das Goldbein abreißen. Dazu war sie aber zu schwach, flog also, als sie dies einsah, eilends fort und rief Hunderte von ihren Schwestern zusammen, die alle ebenso wild auf Glänzendes waren wie sie.

Da fielen alle Elstern mit spitzen Schnabelhieben über das Huhn her, die Federn stoben in alle Winde, es gab ein entsetzliches Gezeter und Gekreisch, weil jede Elster gerne das Goldbein gehabt hätte. Das Huhn aber stürzte wie tot vom Baum, dem großmächtigen Zauberer gerade vor die Füße, denn er kam aus seinem Zimmer gegangen, zu sehen, was denn das für ein höllischer Spektakel sei.

Der Zauberer sah das Huhn betrübt an, denn es war keine Feder mehr auf ihm, und die Haut war auch ganz blutig, und er sprach: »Du hast es freilich schlimm, du altes Unglückshuhn. Aber warte nur und halte aus. Du sollst sehen, wenn erst die Lebenssuppe aus dir gekocht wird, wirst du so berühmt und geehrt wie kein Huhn vor dir!«

Damit trug er das Huhn ins Haus. Weil aber keine Feder, die alle der Wind fortgetragen hatte, mehr aufzufinden war, schickte er zu einem geschickten Silberschmied und ließ dem Huhn eine künstliche Silberhaut über den ganzen Leib machen. Die blinkerte und glänzte so schön, daß es eine wahre Freude war. Und dazu klapperte das Goldbein wie ein frohes Hühnergegacker.

Da wurde das Unglückshuhn sehr froh und stolz und ging hinaus auf den Hof, sich den andern Hühnern zu zeigen. Die andern beiden Hühner kamen mitsamt dem stolzen Hahn eilends herbeigelaufen, zu sehen, was denn das für ein Geglänze und Geglitzer sei. Als sie aber sahen, es war bloß das Unglückshuhn, und merkten, kein Schnabelhieb ging durch die feste Silberhaut, da sagten sie verächtlich: »Nein, dieses elende Huhn! Es hat ja nicht einmal Federn an, es ist ganz nackt – mit einer solchen gemeinen Person wollen wir nichts zu tun haben!« Und der stolze, bunte Hahn krähte wütend: »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich allein glänzen darf. Warte nur, ich werde nicht einmal einen Regenwurm von dir annehmen, wenn du nicht dein graues Federkleid wieder anziehst.«

»Das kann ich doch nicht!« rief das Huhn traurig. Aber der Hahn hörte gar nicht und ging böse weg. Da weinte das Huhn und klagte: »Mit mir wird es auch nie besser, es kann geschehen, was da will. Puttputtputt, ich bin ein rechtes Unglückshuhn.« Und es saß alle Tage traurig in einer Ecke, und weder Silberhaut noch Goldbein freuten es noch.

Aber es sollte noch schlimmer kommen für das arme Huhn. Das böse Hexlein nämlich, das beim andern Zauberer in einem Fläschlein auf dem Schreibtisch stand, sah all seiner Zauberei zu, die er tagsüber machte. Es lernte dabei viel und wurde immer böser. ›Wäre ich nur erst aus der Flasche!‹ dachte es. ›Ich wollte denen schon zeigen, daß ich ebenso gut zaubern kann wie die, und sie mächtig ärgern!‹

Aber der Zauberer paßte gut auf und hatte den Flaschenkorken noch mit einem Strick am Flaschenhals festgebunden, daß sie nur nicht herauskam. Da geriet das Hexlein auf eine List und streckte, als es eigentlich gutes Wetter zeigen und den Mund zuhalten sollte, die Zunge heraus, was ja Regen bedeutete.

Der Zauberer sah es und sprach: »Ach so, es gibt Regen. Gut, daß ich das weiß. Ich wollte heute nachmittag eigentlich über Land und meine Tante, die weise Kröte, besuchen. Nun aber will ich doch lieber zu Haus bleiben, denn naßregnen lasse ich mich nicht.«

Der Zauberer blieb also zu Haus, und weil er nichts Rechtes zu tun hatte, zauberte er aus reiner Langeweile erst eine ganze Stube voll Apfelreis und dann dreihundert kleine Mäuse, die den Apfelreis auffressen mußten, was eine ganze Weile dauerte. Als aber die Mäuslein den Apfelreis aufgefressen hatten, waren sie groß und dick und rund geworden. Da zauberte der Zauberer dreißig Katzen, die mußten die dreihundert Mäuslein auffressen. Als die Katzen das getan hatten, legten sie sich dickesatt und schläfrig in die Sonne.

Der Zauberer sah das und rief erstaunt: »Was denn –? Ich denke, es soll regnen, und nun scheint noch immer die Sonne! Was ist denn bloß mit meinem Hexlein los?« Und er klopfte mit dem Finger gegen das Fläschlein. Das Hexlein saß ganz still darin und zeigte weiter die Zunge. – ›Nun, es wird wohl gleich losregnen‹, tröstete sich der Zauberer und sah wieder die dreißig Katzen an, die faul und schläfrig in der Sonne lagen.

›Was mache ich mit dieser Bande bloß?‹ fragte sich der Zauberer. ›Sie sind so vollgefressen, sie sind zu nichts mehr nutze. Sie haben dreihundert Mäuse im Bauch, und die dreihundert Mäuse haben eine ganze Stube voll Apfelreis im Bauch – nun liegen sie hier ewig rum und tun gar nichts.‹ Und er gab einer Katze einen Tritt. Er war nämlich schlechter Laune, weil er trotz des schönen Wetters im Glauben an das Hexlein zu Haus geblieben war. Die Katze aber kümmerte sich gar nicht um den Tritt, sondern schlief ruhig weiter.

Da holte sich der Zauberer eine kahle Haselrute und verwandelte die dreißig faulen Miesekatzen in dreißig Haselkätzchen, die an dem Zweige saßen. »So«, sagte er. »Das sieht wenigstens nett aus und liegt nicht im Wege.« Und er stellte den Zweig in eine Vase.

Als er dies getan hatte, sah er wieder nach der Sonne. Die Sonne schien noch immer. Dann sah er nach dem Hexlein in der Flasche: das Hexlein zeigte noch immer die Zunge. »Du!« sagte er und klopfte an das Glas. »Es regnet doch gar nicht, nimm die Zunge rein!« Das Hexlein zeigte die Zunge. – ›Vielleicht hat sich die Zunge zwischen den Zähnen festgeklemmt‹, überlegte der Zauberer und schüttelte die Flasche kräftig. Das Hexlein zeigte noch immer die Zunge. – »Ich will die Flasche doch einmal auf den Kopf stellen«, sagte der Zauberer, tat es – aber das Hexlein zeigte weiter die Zunge. – ›Ich will ihm mal die Sonne zeigen‹, dachte der Zauberer, ›dann sieht es doch, daß es falsch Wetter zeigt.‹ Und er trug die Flasche hinaus und hielt sie in die Sonne. Das Hexlein zeigte der Sonne die Zunge.

»I du dummes Ding!« schrie der Zauberer wütend und warf die Flasche gegen die Wand. »Wie kannst du dich so verkehrt aufführen!« An der Wand zerbrach die Flasche, das Hexlein fuhr heraus wie ein Rauch, und ehe noch der Zauberer ein Zauberwort hatte sprechen können, fuhr es als Rauch empor in die Wolken.

»Weg ist sie!« sagte der Zauberer verblüfft. »Na, hoffentlich macht sie nicht zuviel Unfug.« Damit ging er ins Haus und zog sich die Stiefel an, denn er wollte jetzt doch noch über Land zu seiner Tante, der weisen Kröte. Es würde ja doch nicht regnen.

Das Hexlein aber blieb nicht lange in den Wolken, denn dort war es ihm zu kalt, sondern es fuhr genau dort wieder zur Erde, wo das Haus des großmächtigen Zauberers stand. Dem wollte es zuerst einen Schabernack tun, weil er es in die Flasche gesteckt hatte.

Das Hexlein verwandelte sich aus einem Rauch zurück in seine menschliche Gestalt und sah vorsichtig durch das Fenster ins Zimmer, zu erfahren, was der Zauberer wohl täte. Der Zauberer lag in seinem großen Sessel und schlief ganz fest. Auf seiner einen Schulter saß das Huhn, das silberne Eier, auf der andern das Huhn, das goldene Eier legen konnte, auf dem Kopf aber der stolze, bunte Hahn, und die drei schliefen auch.

›Wo ist denn bloß das Unglückshuhn?‹ fragte sich das Hexlein. ›Wenn ich dem das Herz aus dem Leibe reiße und es aufesse, kann er es nicht wieder lebendig machen und ärgert sich fürchterlich.‹ So ging das Hexlein vom Garten auf den Hof und sah das Unglückshuhn ganz betrübt in einer Ecke sitzen. Das Hexlein fing das Huhn und wollte ihm das Herz aus dem Leibe reißen, aber die Silberhaut war zu fest. Da nahm die Hexe das einzige an dem Huhn, das noch aus Fleisch und Knochen war, nämlich den Kopf, und riß ihn ab. Weil das Hexlein aber den Hühnerkopf nicht selber essen mochte, gab sie ihn einem Hund, der gerade die Straße entlangkam. Der Hund schnappte den Kopf, fraß ihn auf und lief weiter.

»So!« sagte das Hexlein. »Nun kann der Zauberer gewiß sein liebes Huhn nicht wieder lebendig machen.« Damit verwandelte sich die Hexe von neuem in einen Rauch und flog über Land, eine Stelle zu suchen, wo sie neues Unheil stiften konnte.

Der Zauberer schlief sehr fest und hätte noch lange nichts von dem neuen Unheil gemerkt. Aber der stolze, bunte Hahn, der auf seinem Kopfe sah und schlief, träumte davon, daß er einen Regenwurm mit dem einen Ende aus der Erde kommen sah. Er packte den Regenwurm – im Traum – mit einer Kralle. Aber der Regenwurm saß zu fest in der Erde, er ließ sich nicht herausziehen. Da fing der Hahn – im Traum – an, mit dem Schnabel die Erde aufzuhacken, während er weiter mit der Kralle fest am Wurme zog – und davon wachte der großmächtige Zauberer auf und schrie vor Schmerzen. Denn der Hahn hatte ihn bei einer Haarsträhne gepackt, riß mit der Kralle daran und hackte mit dem Schnabel in seinen Kopf.

Der Zauberer schalt: »Ihr seid ein ganz freches Gesindel! So etwas würde das Unglückshuhn nie tun«, und jagte das Geflügel aus der Stube. Doch machte es draußen gleich ein so lautes Geschrei und Gegacker, daß der Zauberer nachsehen mußte, was da wieder geschehen war. Hühner und Hahn aber standen aufgeregt um das silberhäutige Huhn herum, das tot ohne Kopf am Boden lag.

Der Zauberer hob es auf und sprach traurig: »Wer hat denn das nun wieder getan? Sicher deine Feinde, die bösen Elstern, die auf deine Silberhaut gierig waren. Aber warte nur, wenn ich erst deinen Kopf gefunden habe, will ich dich schon wieder lebendig machen!« Aber soviel er auch suchte, er fand den Kopf nicht, und das war kein Wunder, denn der lief ja in einem Hundebauch über Land.

Schließlich gab der Zauberer das Suchen auf. ›Das Unglückshuhn muß ich wieder lebendig kriegen‹, sprach er bei sich, ›und sollte ich mein kostbarstes Eigentum opfern. Denn ich habe in meinen Zauberbüchern gelesen, daß ich aus ihm einmal die Lebenssuppe kochen und dadurch reich und glücklich werde.‹

Als er das gesagt hatte, fiel ihm ein, daß er in einer Lade noch einen herrlichen großen Edelstein von seinem Vater her hatte. Er ließ einen kunstreichen Steinschneider kommen, und der mußte ihm aus dem Edelstein den schönsten Hühnerkopf von der Welt schleifen und schneiden. Dann wurde dieser Kopf geschickt auf die Silberhaut gepaßt, angezaubert – und schon stand das Unglückshuhn wieder lebendig!

Aber es sah gar nicht mehr wie ein Unglückshuhn aus, es glänzte und gleißte herrlich, und der diamantene Kopf schimmerte in allen Farben von der Welt, und war dabei so hart, daß man mit einem Hammer hätte daraufschlagen können, er hätte nicht den kleinsten Riß bekommen. – »So«, sagte der Zauberer zufrieden, »nun bist du so fest gepanzert, daß kein Feind dir etwas tun kann. Geh nur hinaus, Unglückshuhn, und hör dir an, was die Neidhammel sagen!«

So ging das Huhn hinaus auf den Hof, und als die andern Hühner dies Geglänze und Gestrahle sahen und merkten, daß sie mit ihren Schnäbeln gar nichts mehr ausrichten konnten, daß aber das Unglückshuhn einen diamantenen Schnabel hatte, schärfer als ein Messer, da sprachen sie wütend: »Das ist doch höchst ungerecht! Wir legen dem Zauberer alle Tage ein goldenes und ein silbernes Ei, und für uns tut er gar nichts. Aber diese faule Nichtsnutzige schmückt er, als sei sie Kaiserin aller Hühner. Nein, nun wollen wir tun, als sähen wir sie gar nicht, und nie mehr ein Wort mit ihr sprechen.«

Und der Hahn war erst recht wütend, denn sein stolzes buntes Kleid sah neben Silberhaut und Diamantkopf des Unglückshuhns völlig blaß und schäbig aus, und er sprach zornig zu dem Unglückshuhn: »Sprechen Sie mich bloß nicht an, Sie aufgedonnerte Person! Der Wurm krümmt sich einem ja im Magen, wenn man solch eitles Geprahle sieht! Mit Ihnen rede ich überhaupt kein Wort mehr!«

Da war das Unglückshuhn ebenso allein und traurig wie vorher. Kümmerlich saß es in den Ecken herum und seufzte: »Ach, spräche doch einmal ein nettes Huhn ein paar freundliche Tucktuck mit mir. Ach, sähe mich doch einmal der stolze, bunte Hahn liebevoll an! Ach, könnte ich doch einmal ein ganz gewöhnliches Hühnerei legen! Puttputtputt, ich bin ein rechtes Unglückshuhn!«

Unterdessen war das Hexlein weiter über Land geflogen, bis es zu dem kaiserlichen Palaste kam. Da saß die Tochter des Kaisers am Fenster und stickte. Das Hexlein sah sie sitzen und merkte, wie schön und lieblich sie war, und es dachte in seinem bösen Herzen: ›Das wäre doch das größte Unheil, das ich anrichten könnte, wenn ich des Kaisers Tochter krank machte.‹ Und das Hexlein verwandelte sich flugs in ein Marienkäferchen und setzte sich auf den Stickrahmen der Kaiserstochter.

Die sah das Marienkäferchen und sprach: »Liebes Käferchen, flieg wieder auf ein grünes Blatt. Hier auf meinem Stickrahmen steche ich dich noch gar.«

Als sie aber beim Sprechen den Mund aufmachte, flog ihr das Marienkäferchen direkt in den Mund hinein. Davon, weil das Hexlein so giftig und böse war, wurde die Prinzessin auf der Stelle todsterbenskrank. Sie sank von ihrem Stuhle und war so blaß wie ein Laken auf der Bleiche.

Da ließ ihr Vater, der Kaiser, alle Ärzte zusammenrufen. Und sie klopften und horchten an der Prinzessin herum, sie gaben ihr süße und saure und bittere Medizinen, sie machten ihr trockene Umschläge und packten sie in nasse Tücher, sie ließen sie schlafen und weckten sie wieder auf, sie gaben ihr zu essen und verboten ihr alles Essen, sie machten ihr Zimmer dunkel und trugen sie dann wieder in die Sonne, sie maßen Fieber und zählten ihr den Puls – kurz, sie taten alles, was Ärzte nur tun können. Bloß auf das eine rieten sie nicht, daß die Prinzessin ein Marienkäferchen verschluckt hatte, das eine böse Hexe war.

Darüber wurde die Prinzessin kränker und kränker, und es ging mit ihr bis nahe an den Tod. Ihr Vater, der Kaiser, geriet in große Sorge um seine Tochter, sein geliebtes Kind, und er ließ im ganzen Lande bekanntmachen, wer seine Tochter von ihrer Krankheit heile, solle die Hälfte seines Königreichs bekommen.

Viele kamen darauf herbeigeeilt, aber keiner konnte der Prinzessin helfen. Da wurde der Kaiser zornig und sprach: »Ihr seid ja alle Betrüger! Ihr wollt nur gut essen und trinken in meinem kaiserlichen Palaste, meine Tochter aber macht ihr nicht gesund. Wer jetzt kommt und macht sie doch nicht gesund, dem lasse ich als einem Betrüger den Kopf abhauen.«

Nun kam keiner mehr, denn davor hatten sie alle Angst. Eines Tages aber trat der Torwächter doch wieder vor den Kaiser und sprach: »Herr Kaiser, drunten steht einer, hat ein silberhäutiges Huhn mit einem Goldbein und einem Diamantkopf unter dem Arm und sagt, er kann Ihre Tochter gesund machen.«

»Torwächter«, fragte der Kaiser, »hast du ihm auch gesagt, daß ich ihm den Kopf abschlagen lasse, wenn er die Prinzessin nicht gesund macht?«

»Das habe ich ihm gesagt«, sprach der Torwächter.

»So schicke ihn herauf!« gebot der Kaiser.

Also kam der Mann hinauf in die kaiserliche Halle, wo auch die Prinzessin sterbenskrank auf einem Bette lag, und es war der großmächtige Zauberer mit seinem Unglückshuhn. »Erlaubet, Herr Kaiser«, sprach der Zauberer, »daß ich hier vor den Augen der Prinzessin aus diesem Huhn eine Suppe koche. Das ist eine Lebenssuppe, und wenn die Prinzessin davon ißt, wird sie wieder gesund.«

»Man mache hier ein Feuer«, gebot der Kaiser, »und bringe einen Kochtopf mit heißem Wasser. – Du weißt aber, wenn es dir nicht gelingt, lasse ich dir den Kopf abschlagen?«

»Es gelingt mir«, sprach der Zauberer und warf das Unglückshuhn in das kochende Wasser.

Als das Huhn eine Weile gekocht hatte, fragte der Kaiser, der ungeduldig war, seine Tochter wieder gesund zu sehen: »Riecht die Lebenssuppe schon?«

»Nein«, sprach einer von seinen Leuten, die dabeistanden und zusahen.

»Wie sieht sie denn aus?« fragte der Kaiser.

»Wie klares Wasser«, wurde ihm geantwortet.

»Was tut denn das Huhn?« fragte der Kaiser wieder.

»Es sitzt im Wasser und spricht: ›Puttputtputt, ich Unglückshuhn!‹«

»So macht ein stärkeres Feuer unter dem Topf!« gebot der Kaiser. »Dieses Huhn muß wohl auf gewaltigem Feuer gekocht werden.«

Sie taten es, und nach einer Weile erkundigte sich der Kaiser von neuem. Aber alles war unverändert: die Suppe roch nicht, war wasserklar, und das Huhn saß darin wie in einem Bad und sprach nur: »Puttputtputt, ich Unglückshuhn!« Noch einmal wurde stärkeres Feuer gemacht, aber alles blieb, wie es war. Da runzelte der Kaiser die Stirne fürchterlich und fragte den Zauberer: »Nun, was ist dies, du Mann? Wird das eine Suppe oder bleibt es Wasser?«

Der Zauberer aber sprach zitternd: »Mächtiger Kaiser, ich gestehe, ich habe einen großen Fehler gemacht. Diesem Huhn wurde von seinen Feinden sehr nachgestellt, und so habe ich ihm ein Goldbein, eine Silberhaut und einen Diamantkopf gegeben, daß niemand ihm noch etwas zuleide tun konnte. Aber ich habe dabei nicht bedacht, daß man Silber, Gold und Diamant nicht kochen kann. Wir könnten dieses Unglückshuhn wohl noch drei Jahre auf dem Feuer haben, das Wasser würde Wasser bleiben und keine Suppe werden.«

»So kannst du also die Lebenssuppe nicht kochen?« fragte der Kaiser zornig.

»Nein«, antwortete der Zauberer betrübt.

»So muß ich dir den Kopf abschlagen lassen«, sprach der Kaiser. »Denn ich habe mein kaiserliches Wort darauf gegeben.«

Damit winkte er einem seiner Soldaten, der sofort den Säbel zog. Der Zauberer sah betrübt darein und dachte: ›Schade, nun muß ich also sterben.‹

Das Hexlein aber, in der Prinzessin Kehle, wollte gerne sehen, wie ihrem bösen Feind, dem großmächtigen Zauberer, der Kopf abgehauen wurde. Es kroch also aus dem Munde der Prinzessin und setzte sich auf die Lippe, um bequem zuzuschauen. Da sah der Zauberer es, und mit seinen Zauberaugen erkannte er, daß dies kein Marienkäferchen war, sondern ein verwandeltes Hexlein. Er rief mit lauter Stimme zu dem Unglückshuhn im Kochtopf: »Pick auf! Pick auf!«

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Da flatterte das Unglückshuhn aus dem Topf und pickte das Marienkäferchen auf und zermalmte es mit seinem diamantenen Schnabel.

In demselben Augenblick war die Prinzessin wieder so gesund und schön und lieblich, wie sie gewesen.

Der Kaiser gebot dem Soldaten, wieder seinen Säbel einzustecken, zu dem Zauberer aber sprach er: »Du hast zwar die Lebenssuppe nicht kochen können, aber dein Huhn hat meiner Tochter das Leben gerettet. Darum sollst du auch dein Leben behalten und die Hälfte meines Reiches bekommen.«

Der Zauberer freute sich gewaltig, und zum Dank schenkte er der Prinzessin das Unglückshuhn. Das durfte nun im kaiserlichen Schlosse wohnen und bekam jeden Tag Weizen auf goldenen und Regenwürmer auf silbernen Tellern zu fressen. Ging es aber einmal spazieren, so schritten zehn stolze, bunte Hähne voraus, und zehn an seiner Seite, und zehn Hähne gingen hinterher. Und alle dreißig Hähne kikerikiten aus ganzer Kraft und riefen: »Platz da! Aus dem Wege! Hier kommt das Huhn der kaiserlichen Prinzessin, das Huhn aller Hühner, das Glückshuhn!«

Das Huhn aber sprach bei sich: ›Ach, wenn mich doch meine Schwestern und der stolze, bunte Hahn vom Hofe des Zauberers so sehen könnten! Aber die sind nicht hier, und so macht es mir auch keinen Spaß. Puttputtputt, ich bin ein rechtes Unglückshuhn!‹


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