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Geschichte vom Brüderchen

Es war einmal ein kleines Schulmädchen, das hieß Christa, und es war ganz allein, und hätte doch gar zu gerne ein Brüderchen gehabt. Alle Tage ging es zu seiner Mutter und bettelte: »Ach, Musch, kriegen wir nicht heute ein Brüderchen?«

Aber die Mutter hatte jeden Tag eine andere Ausrede. Einmal sagte sie: »Aber, Christel, du siehst doch, ich habe heute Waschtag – wie hätte ich da Zeit für ein Brüderchen?!« Und das nächste Mal: »Du siehst doch, es friert heute draußen, daß sogar die Hunde den Schwanz zwischen die Beine klemmen – da würde doch solch kleines Brüderchen sich völlig verkühlen!« Und das dritte Mal: »Vorhin habe ich gesehen, deine Püppings liegen in ihrem Wagen wie Kraut und Rüben. Wenn du nicht einmal die besorgen kannst, wie willst du da auf ein lebendiges Brüderchen aufpassen, Christel?«

Aus diesen Antworten merkte das Mädchen, die Mutter wollte kein Brüderchen. Da ging Christa in den Garten, setzte sich in ihre Schaukel und schaukelte sich. Sie dachte: ›Beim Schaukeln ist mir noch immer etwas Gutes eingefallen. Vielleicht fällt mir heute ein, wie ich ein Brüderchen bekomme.‹ – Und sie schaukelte sich tüchtig, bis in die Zweige vom Kirschbaum hinein.

Während sie aber so schaukelte, knarrte oben der Balken, an dem die Schaukel hing, und das klang wie »Kraax«, und die Ringe knirschten in den eisernen Schrauben, und das klang wie »Piep« – und so ging es immer weiter, während Christa schaukelte: »Kraax-Piep, Kraax-Piep, Kraax-Piep!«

Als Christa nun eine Weile darauf gehorcht hatte, war es ihr plötzlich, als spreche die Schaukel zu ihr. Und schon sagte sie nicht mehr »Kraax-Piep«, sondern »Frag Piep! Frag Piep!« Nun hatte Christa wohl schon von andern Kindern gehört, der Storch bringe die ganz Kleinen ihren Müttern, aber sie hatte nicht recht daran glauben wollen. Als aber die Schaukel immer wieder sagte: »Frag Piep!« – und der Storch ist ja auch ein Pieper, wenn auch ein sehr großer –, da dachte Christa: ›Ich kann es ja mal versuchen und ihn fragen. Nützt es nichts, so schadet es nichts.‹ Und sie stieg aus der Schaukel und ging zu der großen, nassen Wiese, wo der Storch meistens war.

Richtig ging er dort, langsam Bein vor Bein setzend, spazieren, und von Zeit zu Zeit steckte er seinen spitzen Schnabel ins Gras und hob ihn nie ohne einen zappelnden Frosch, den er dann behaglich verschlang. War aber der Frosch besonders groß, oder war es gar eine fette Kröte, so flatterte er vor Freude kurz mit den Flügeln und klapperte heftig dazu – das klang so hölzern!

Christa sah dem Storch eine ganze Weile zu, und es gefiel ihr gar nicht sehr, daß er so die braven Fliegenfänger, die Frösche, auffraß und dazu auch noch vergnügt klapperte, was ganz klang, als lache jemand »Hä! Hä!«

Weil sie doch aber gar so gerne ein Brüderchen haben wollte, faßte sie sich ein Herz, ging an den Storch heran und sagte den alten Vers her: »Storch, Storch, guter – bring mir einen kleinen Bruder ...!«

Der Storch hob eines von seinen rotlackierten Beinen hoch, sah das kleine Mädchen glupsch von der Seite an, als überlege er sich seine Antwort – und plötzlich klapperte er so laut und heftig los, daß Christa vor Schreck einen Satz hinter sich tat.

Es war wirklich, als lachte sie der Storch mit vielen »Hä-Hä-Hä's« aus, und als sie genau hinhörte, war es ihr, als ob auch die kleinen Vögel in den Weidenzweigen, die Lerchen in der Luft und ein Volk Krähen, das gerade über sie fortzog, in das höhnische Lachen des Storches mit einstimmten.

Da bekam sie vor Scham puterrote Backen, und sie fing an zu laufen, schneller, schneller, immer schneller, und sie hörte nicht eher auf zu laufen, bis sie auf dem Acker anlangte, den der Vater mit der Liese und dem Hans pflügte. Der Vater sah sein kleines Mädchen an und fragte: »Nun, Christa, wovon hast du denn so rote Backen?«

Da erzählte ihm Christa ihr Erlebnis mit dem Storch und all den Vögeln, die sie ausgelacht hatten.

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Der Vater sagte darauf: »Da hättest du freilich nicht zum Storch gehen müssen. Daß der die Kindlein bringt, erzählen die Leute nur so – aber hast du wohl schon mal die Mutter um ein Brüderchen gefragt?«

»Ja«, sagte Christa, aber die Mutter habe immer eine Ausrede, mal, daß sie zuviel zu tun habe, mal, daß die Christa nicht artig genug sei.

»Das ist schlimm«, sagte der Vater, »denn wenn die Mutter nicht will, wird es mit dem Brüderchen wohl nichts werden. Aber mir fällt etwas ein, Christa. Wir haben doch jetzt den August, und da fallen viele Sterne vom Himmel auf die Erde. Und jeder solch leuchtender Stern ist eine kleine Kinderseele. Da stelle du dich nur heute abend ans Fenster, und siehst du einen Stern fallen, so wünsche im stillen, so stark du nur kannst: Komm zu uns, Brüderchen! Wenn du das nur stark genug tust und mit keinem Menschen davon sprichst, werden wir schon ein Brüderchen bekommen. Gefällt dir das, Christa?«

»Ja, Vater«, sagte Christa nachdenklich. »Aber die Sterne sieht man doch nur fallen, wenn es dunkel ist. Dann aber muß ich doch im Bett liegen und schlafen.«

»Nun«, sagte der Vater, »dies eine Mal können wir wohl eine Ausnahme machen. Das werde ich schon vor der Mutter vertreten. Nun aber muß ich noch eine Weile pflügen. Du kannst hinter mir in der Furche gehen, und wenn du einen Engerling siehst, so trittst du ihn tot.«

»Ja«, sagte Christa, und nun pflügte der Vater noch ein Weilchen. Christa aber trat fünf Engerlinge tot und dachte nach. Als der Vater nun die Liese und den Hans ausgespannt hatte, um mit ihnen heimzugehen, setzte er Christa auf die Liese, denn Christa ritt gerne. Da fragte Christa den Vater: »Wohin fällt denn der helle Stern, den ich sehen werde, Vater? Fällt er einfach so auf den Hof? Oder fällt er in meine kleine Kinderkrippe, die noch auf dem Boden steht? Oder auf den Strohfeimen? Oder wohin?«

»Nichts von alledem, Christa«, antwortete der Vater. »Sondern er fällt deiner Mutter direkt ins Herz. Sieh, es ist ja nur ein kleiner, heller Himmelsfunke, der bei uns hier auf der Erde nicht leben könnte. Jeder Wind würde ihn auswehen, und jeder Regen müßte ihn verlöschen. Aber in deiner Mutter Herz bleibt er warm und behütet. Sie gibt ihm von ihrem Blut, und sie nährt ihn von ihrem Fleisch, und davon wächst ein Menschenleib um ihn herum, in vielen Tagen und Wochen und Monaten, solch ein ganz kleiner Kinderleib, wie du ihn schon gesehen hast. Aber mittendrin sitzt und leuchtet und funkelt der kleine Himmelsstern – du trägst auch solchen Himmelsstern in dir, Christa!«

»Ja«, sagte Christa, und als sie nun auf dem Hof angelangt waren, und der Vater sie von der Liese gehoben hatte, ging sie um die Scheunenecke und sah lange zum Himmel empor, denn sie hätte gerne gleich die Sterne, ihre Brüder und Schwestern, gesehen. Dafür war es aber noch zu früh, die Sonne stand am Himmel und erhellte ihn. Am hellen Himmel aber kann man die Sterne nicht sehen, erst wenn es dunkel wird, treten sie, die immer da sind, mit ihrem matteren Schein hervor.

In der Nacht war es Christa in ihrem Schlaf, als riefe eine Stimme wie die Stimme ihres Vaters sie an: »Steh auf, Christa, und schau zu den Sternen!« Sie wachte auf und trat an ihr Fenster, zog den Vorhang zurück – und da war über dem schwarzen Scheunendach auf der andern Seite des Hofes der ganze Himmel besteckt mit den Lämpchen vieler tausend Sterne, kleinerer und größerer, heller und nur matt leuchtender. Quer hindurch aber zog sich ein sanft leuchtendes, breites, weißes Band wie eine helle Straße durch den ganzen Himmel.

Und plötzlich, als Christa auf dies helle, strahlende Band schaute, löste sich ein Funke daraus, stürzte, immer heller leuchtend durch den Himmel, und schon verschwand er hinter dem schwarzen, hohen Scheunendach. »Aha!« hatte Christa gerufen, und vor allem schönen Schauen und Staunen ganz das Wünschen vergessen. Und nun, ehe sie noch tief Atem geholt hatte, lief wiederum ein weiß leuchtender Stern durch den Himmel, und noch einer – und wieder einer ... Und so fiel Stern um Stern, und Christa rief »Ah!« und »Oh!« und »Ach!« und staunte und freute sich. Aber es ging immer viel zu rasch, und zum Wünschen kam sie kein einziges Mal.

Da rief sie: »Oh, das ist schwer!«, und nun, weil sie das Brüderchen doch so gerne haben wollte, nahm sie sich fest vor, nur daran zu denken. Und sie machte die Augen zu, damit sie eine Weile nichts sah. Als sie sie aber wieder öffnete, sah sie gerade auf einen helleren Fleck des weißen Sternenweges, und gerade als sie ihn beschaute, lösten sich zwei helle Sterne daraus und liefen nebeneinander, und nun fiel ihre Bahn zusammen, und mit größerer Helle liefen sie weiter, als sei es nur einer.

Da dachte Christa bei sich: »Es ist schön, daß es so ist. Der Vater mußte doch auch dabei sein.« Denn sie meinte, der zweite Stern sei der Vater gewesen, der dem Brüderchen den Weg zeigte. Und während sie dies alles dachte, wünschte sie doch zu gleicher Zeit: »Brüderchen, komm zu uns!«

Diesmal war der Wunsch zur rechten Zeit getan, denn der Sternzwilling verlosch nicht eher, bis sie ihren Wunsch zu Ende getan hatte. Da ging Christa, freudig aufatmend, ins Bett, und sie war froh, daß jetzt das Brüderchen in der Mutter Leib wohnte, und in dieser Freude schlief sie ein.

Als sie aber eine Zeitlang geschlafen hatte, träumte ihr, sie sei von einem sanften Licht aufgewacht, und im Traum setzte sie sich im Bett auf und sah in die dunkle Stube. Zuerst sah sie nur Dunkel, als sie aber genauer hinschaute, merkte sie auf dem Tisch einen kleinen hellen Schein wie von einem sanften Licht ohne Feuer, in der Form wie eine Kerzenflamme. Und in der Mitte dieses Lichtscheins, der vielleicht so hoch war wie eine Hand, war ein noch helleres Leuchten. Und als sie ganz genau hinsah, hatte dies Leuchten die Gestalt eines kleinen Kindes, so lang wie ein Finger. Christa sah in ihrem Bett und starrte atemlos auf das Kind aus Licht.

Da sagte das fremde, fingerkleine Kind: »Siehst du mich nun, Schwester?«

Sagte die träumende Christa: »Ich sehe dich, Brüderchen.«

Fragte das Lichtkind: »Warum hast du mich denn aus dem schönen Sternenhimmel weggewünscht, Schwester? Wir Sterne spielten so schön miteinander, und ich lief gerade mit einem andern Sternlein um die Wette durch den ganzen Himmel, daß die Funken stoben – da hast du mich fortgewünscht auf die kalte, dunkle Erde.«

Antwortete die Christa: »Aber ich wollte doch so gerne ein Brüderchen haben!«

Klagte der kleine Stern: »Aber ich bin nicht gerne hier in eurer engen Welt. Schon jetzt sehne ich mich nach dem weiten, funkelnden Himmel. Es ist dunkel hier bei euch, sieh einmal, jetzt soll ich auch dunkel werden. Mein Licht wird schon immer schwächer.«

Und wirklich, als Christa genauer hinsah, war der Schein um das Sternenkind schon ganz matt, und auch der Leib des Kindes leuchtete nicht mehr so wie vorher.

Da tröstete Christa das Kind und sprach: »Du brauchst ja auch nicht mehr zu leuchten, Brüderchen. Jetzt wirst du in unserer Mutter Leib wohnen und von ihrem Blute warm werden. Nachher aber haben wir die schöne, warme Sonne und den Lichtschein des Feuers im Herd und den guten, bleichen Mond und die Sterne und viele, viele Lampen. Wir haben immer Licht, wenn wir es wollen, daran soll es dir nicht fehlen, Brüderchen, und zu Weihnachten haben wir noch den Tannenbaum.«

Das Brüderchen dachte eine Weile nach über das, was Christa gesagt hatte. Aber es war noch immer nicht zufrieden, sondern es klagte weiter: »Ja, wenn es nun auch mit dem Licht besser bei euch Menschen bestellt ist, als ich dachte, Schwester – wie ist es denn aber mit dem Spielen? Wo sind denn hier auf der Erde die tausend fröhlichen Funkelbolde, die mit mir im Himmel waren, und mit denen ich um die Wette zwinkern und glimmen konnte? Wo ist denn in euern engen Stuben Raum, wie ich ihn hatte, durch den ganzen Himmel zu sausen, immer und immer weiter, um die Wette und allein, ganz wie ich es wollte?«

Da wurde die träumende Christa in ihrem Bette ganz eifrig, und sie rief: »Ach, Brüderchen, du hast ja gar keine Ahnung, wie schön wir Kinder hier auf Erden spielen können! Wohl hast du dort oben den ganzen blanken Himmel gehabt, aber er ist doch ganz leer, bis auf euch Sterne. Wir Kinder aber haben eine Erde, ganz voll von Dingen, mit denen wir spielen können. Aus jedem Strohhalm können wir Seifenblasen wehen lassen oder Windrädchen daraus machen oder aber Ketten; hinter jedem Baum und Busch können wir uns verstecken; von jeder Stufe springen; mit Wasser und Sand backen und bauen; und so noch viele tausend Dinge. Wenn du aber sausen willst, schneller noch als die Sterne durch den Himmel, so warte nur auf den Winter, Brüderchen! Hinter dem Dorf ist ein Berg, und wenn du mit deinem Schlitten hinuntersaust, so bist du schneller als der Wind und meinst, du flögest durch alle Himmel!«

Als dies das Brüderchen gehört hatte, war es schon halb versöhnt und sagte: »Nun, Schwester, das klingt ja alles ganz gut, und beinahe möchte ich dir verzeihen, daß du mich vom Himmel auf die Erde herabgewünscht hast. Aber ganz zufrieden bin ich doch noch nicht. Sieh einmal, wie matt mein Licht geworden ist, seit wir hier miteinander reden, Schwester. Gleich wird es ganz ausgegangen sein. Und unser Schönstes war doch im Himmel, dieses Licht immer recht rein und glänzend zu erhalten. Immerfort rieben und putzten wir an uns herum – und nun soll ich hier als ein ganz lichtloses, graues Wesen umherlaufen und mir all meinen Schein von anderen borgen? Nein, Schwester, das kann mich nie freuen, und so war es doch nicht recht von dir, und ich will gar nicht gerne bei euch bleiben!

Da sah Christa ganz erstaunt in ihrem Bett und rief: »Aber, Brüderchen, zwar haben wir Menschen kein Licht – aber weißt du denn nicht, daß wir ein Herz im Leibe haben?!«

»Du hast schon einmal davon gesprochen«, sprach der kleine Stern ganz mürrisch. »Aber ich habe dich nicht verstanden. Was ist denn das, ein Herz? So etwas kennen wir Sterne nicht, und ich habe es auch nicht einmal gesehen, sooft ich auch auf die Erde hinabgeschaut habe.«

»Ein Herz«, rief Christa ganz eifrig, »ist ein Ding, das wir in der Brust tragen, und es klopft immerzu, Tag wie Nacht, ob wir wachen oder schlafen, es ist immer bei uns. Und wenn wir uns über etwas freuen oder etwas Gutes getan haben, so fängt es ganz stark an zu klopfen und wird immer größer, und dann meine ich, ich kann mich vor Glück nicht lassen, und muß immerzu tanzen und singen und springen ... Und dann wird die Welt immer größer, und der Himmel wird heller, und die Vögel singen lauter, und immer stärker und voller klopft das Herz, und ich weiß vor Glück nicht mehr aus noch ein ...«

»Das muß ein seltsam Ding sein, solch Herz«, sprach das immer blassere Brüderchen. »Das möchte ich wohl kennenlernen. Erzähle mir mehr vom Herzen, Schwester.«

»Ja«, sagte Christa, und ihre Stimme wurde leiser, »und wenn ich etwas Schlechtes getan habe, so klopft es auch. Aber ganz anders. Es ist, als wollte es immer stillestehen, und es sticht, und es pocht und mahnt, und es ruht nicht eher, als bis ich das Schlechte wiedergutgemacht habe und wieder fröhlich bin.«

»Schwester«, sprach der kleine Stern aus dem Himmel, »nun geht mein Licht aus. Aber es tut mir nicht mehr leid; denn seit ich das gehört habe, was du vom Herzen erzählt hast, habe ich nur den Wunsch, auch ein Herz zu haben. Wenn ich nun geboren werde, bin ich ja ganz klein und werde alles vergessen haben. Willst du daran denken und für mich sorgen, daß mein Herz immer freudig schlägt, wie du es erzählt hast, und nie böse sticht –?«

Das versprach Christa, und als sie das getan hatte, flackerte das Sternlein noch einmal hell auf und erlosch dann. Christa aber schlief weiter, und als sie am nächsten Morgen erwachte, wußte sie nur noch, daß sie zwei Sterne hatte fallen sehen und sich zur rechten Zeit ein Brüderchen gewünscht hatte. Danach war ihr aber noch, als sei das Brüderchen im Traum wie eine kleine Flamme bei ihr gewesen, und sie habe ihm auch etwas versprochen, was aber, das wußte sie nicht mehr.

Nun gingen viele Tage in das Land, und Christa spielte, ging in die Schule, half der Mutter, ritt auf der Liese und dachte auch manchmal an das Brüderchen, ob es nun wohl bald da sein werde. Eines Morgens aber rief der Vater Christa in das elterliche Schlafzimmer, und da stand die alte Krippe vom Boden, und in ihr lag das Brüderchen. Da freute sich Christa sehr, und die ersten Tage konnte sie sich gar nicht genug damit tun, um das Brüderchen herum zu sein und es zu versorgen.

Aber Christa war schon groß, und das Brüderchen war klein und lag immer in der Krippe, und auch als es laufen lernte, war es eine rechte Last, weil es immer hinfiel und dann schrie. Und es konnte nicht ordentlich sprechen und zerriß die Bilderbücher, weil es noch dumm war. Da sagte Christa oft: »Olles, dummes Brüderchen!« und lief hinaus zu den andern, großen Kindern, mit denen zu spielen. Wenn aber die Mutter sagte: »Christel, ich muß waschen, spiel ein bißchen mit Brüderchen«, so zog Christa ein Gesicht. Und sagte die Mutter wieder: »Du hast dir doch selber ein Brüderchen gewünscht, Christel!«, antwortete sie: »Nicht so eins!«

Nun verging wieder einige Zeit, da wurde das Brüderchen krank. Zuerst achtete Christa nicht sehr darauf, als aber der Vater und die Mutter mit immer traurigeren Gesichtern umhergingen, und das Brüderchen ganz rot und mit geschlossenen Augen im Bett lag, da wurde ihr auch angst. Still stand sie in einer Ecke des Zimmers und sah zu dem Bettchen hinüber, in dem Brüderchen lag. Die Mutter wollte dem Brüderchen einen Umschlag machen, Christa hielt das Tuch, die Mutter streifte das Hemd ab, und als sie die hastig atmende Brust sah, legte sie die Hand darauf und sagte traurig: »Wie das klopft! Ach, wie es klopft!«

Da legte auch Christa ihre Hand auf des Brüderchens Brust, und sie fühlte das Herz des Brüderchens klopfen unter ihrer Hand, hastig und angstvoll, immerzu. Und es war ihr, als riefe das Herz immerzu: »Laßt mich heraus! Ich will fort! Laßt mich heim!«

Da fiel der Christa plötzlich ein, was sie der kleinen Sternenflamme in der Nacht versprochen hatte, daß sie nämlich immer dafür hätte sorgen wollen, daß des Brüderchens Herz froh und glücklich klopfte. Und es fiel ihr ein, wie häßlich sie immer zu Brüderchen gewesen war, und daß sie nichts für seine Freude getan hatte. Da befielen die Christa großer Kummer und Sorge, denn sie verstand, daß es dem Brüderchen nicht auf der Erde gefiel, und daß es wieder zurückwollte zu den Funkelsternen, die kein Herz haben. Und Christa überlegte, was sie wohl tun könne, um das Herz des Brüderchens schnell froh schlagen zu machen, und sie lief hin und holte ihr schönstes Bilderbuch, das sie dem Brüderchen bisher nie hatte geben wollen. Sie legte das Buch auf das Bettchen und sprach: »Da, Brüderchen, das schenke ich dir. Du darfst es auch zerreißen.« Da lächelte das Brüderchen.

Von dieser Stunde an ging es dem Brüderchen besser, und bald war es ganz gesund. Nun wurden Christa und Brüderchen die besten Spielgefährten, und immer lachte das Brüderchen, wenn es Christa sah, und es hat nie wieder heim gewollt zu den Sternen, sondern es hat ihm wohl gefallen auf dieser Erde.

Und du und ich, mein Kind, wir haben genau solche Herzen wie Brüderchen und Christa, die sich freuen wollen. Und wenn wir einander froh machen, so gefällt es uns gut auf dieser schönen Erde, machen wir einander aber Kummer, so wollen wir hier nicht mehr weilen, und alles wird dunkel für uns, und der kleine Sternenfunke in uns mag nicht mehr brennen – daran denke immer, mein Kind.


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