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Am Donnerstag bekam Vater den Einschreibebrief. Er brauchte ziemlich viel Zeit, ihn aufzumachen und zu lesen, ich sah gut, wie er sich aufregte. Eine ganze Weile saß er da, mit den Fingern in den Haaren, und starrte auf den Brief, als könnte er ihn nicht verstehen.
»Was ist denn das für ein Brief, Vater?« fragte Mutter.
Vater antwortete nicht. Wir gingen wie sonst aufs Feld. Wir mußten noch ein Stück Dung zu Kartoffeln unterpflügen, aber auch da sagte er mir den ganzen Tag kein Wort. Den Brief hatte er in der Joppentasche, doch soviel ich sah, nahm er ihn nicht wieder heraus: Jetzt hatte er wohl schon verstanden, was darin war.
Wir aßen wie sonst zu Mittag, und wir aßen auch wie sonst zu Abend, nur daß Vater vielleicht noch weniger redete als sonst. Ich beobachtete ihn ziemlich genau, aber sonst war ihm wirklich nichts anzumerken. Nach dem Abendessen ging ich noch in den Stall, um dem Vieh etwas Wasser anzubieten, da kam Vater mir nach. Er sah mir stillschweigend zu, die große Blesse, unsere beste Kuh, trank wirklich noch fast drei Eimer Wasser. Als er das sah, seufzte er zum ersten Male und sagte: »Wie wir all das Vieh über den Winter satt kriegen sollen?«
»Aber auf der Krüseliner Wiese steht ja Futter genug«, sagte ich.
»Ja, ja«, sagte Vater. »Kommst du jetzt mit?«
Ich kam mit. Wir gingen durch das Dorf hindurch. Bei Fingers sah ich den Bauern und die Bäuerin vor der Tür stehen und etwas mit dem Stellmacher Stark bereden, aber als wir näher kamen, waren sie weg. Es konnte ein Zufall sein, aber es kam mir nicht so vor. Irgend etwas war nicht im Lote, das merkte ich immer deutlicher.
Bei Kleinschmidts sah ich mich nach der Martha um, aber sie ließ sich nicht sehen. Man sieht Martha fast nie auf der Dorfstraße, immer ist sie im Haus und tut etwas, auch nach Feierabend. Sie sind bloße Häusler, Kleinschmidts, keine Bauern wie wir oder Fingers, aber ich gehe darum doch sehr oft hinein zu ihnen, ich mag die Martha sehr gerne.
Als wir aus dem Dorf heraus und an den Wald heran kamen, ging Vater hinein, und nun wußte ich, daß wir zu der Krüseliner Wiese gingen. Und wenn ich bedachte, daß wir heute früh den Einschreibebrief bekommen hatten und daß Fingers unsertwegen von der Dorfstraße gegangen waren, so wußte ich schon eine ganze Menge, wenn Vater auch nichts gesagt hatte. Ich hätte nie gedacht, daß Fingers so gemein sein könnten. Die Krüseliner Wiese gehört ihnen, aber wir haben sie seit eh und je von ihnen gepachtet. Nicht mit Vertrag und Geld, sondern wir halten die Wiese in Ordnung, eggen und düngen sie, sorgen dafür, daß die Gräben offen sind, und ernten sie ab. Und von dem, was wir ernten, bekommen wir die Hälfte für unsere Arbeit und Fingers die andere Hälfte, weil ihnen die Wiese gehört. Wir haben auch einen Zaun um die Wiese gemacht wegen des Wildschadens. Wir brauchen die Wiese für unsere Wirtschaft, wir bekämen unser Vieh nie durch den Winter, wenn wir nicht das Heu von der Krüseliner Wiese rechts hätten. Fingers brauchen die Wiese nicht, sie haben noch die Krüseliner Wiese links und ernten so viel Heu, daß sie sogar verkaufen können. Darum ist es so gemein von Fingers, und nun noch mit Einschreibebrief, wo wir nur fünf Häuser weiter wohnen. Aber ich weiß schon, wie es zusammenhängt, und Vater wußte es auch.
Wir standen am Waldrand und sahen auf die Wiese. Es war schon halb dunkel und ein bißchen bodenneblig, doch wir kannten ja die Wiese und wußten, was für ein gutes Futter darauf stand. Wir brauchten sie gar nicht näher anzusehen, aber es war natürlich gut, daß man sie jetzt unter Augen hatte. Darum war ja auch der Vater mit mir hierher gegangen.
»Ja, ja«, sagte der Vater. »Die soll nun also weg sein.«
»Nein«, antwortete ich.
»Wie wir es mit dem Futter machen sollen, verstehe ich nicht«, sagte der Vater. »Wir müßten mindestens die Hälfte vom Vieh abschaffen. – Aber das dürfen wir nicht, weil wir dann nicht genug Mist haben.«
»Soll es gleich sein, Vater?« fragte ich.
»Ja, noch vor dem ersten Schnitt. – Es ist, weil wir nichts Schriftliches abgemacht haben, darum brauchen sie sich um keinen Termin zu kümmern. Ich hätte es schriftlich machen sollen, aber an so etwas hat man natürlich nie gedacht.«
»Ich auch nicht«, bestätigte ich.
Wir gingen nun doch noch vom Waldrand weg und auf die Wiese. Sie roch frisch, sie ist eine richtige gute Wiese, mit schönen Untergräsern, das Vieh frißt das Heu von ihr gerne. Es war ein Jammer, daß man solche Wiese verlieren sollte. Wir würden mit der Wirtschaft nie wieder zurechtkommen, sie würde nie mehr das sein, was sie jetzt war.
»Ich rede dir nicht rein, Jochen«, sagte der Vater.
»Nein, nein«, bestätigte ich.
»Es fragt sich eben, ob du es kannst.«
»Ich glaube es nicht«, sagte ich.
»Ist es wegen der Martha?«
»Auch«, gab ich zu. Ich hatte mit Vater noch nie darüber gesprochen, weil sie bloß eine Häuslertochter ist. Man schämt sich eben doch. »Aber ich glaube, auch ohne Martha ginge es mit Ella nicht.«
»Es ist deine Sache«, sagte Vater wieder. »Aber du mußt bedenken, ihr habt den ganzen Tag Arbeit genug, und abends werdet ihr immer müde sein. Du brauchst nicht so viel mit ihr zusammen zu sein.«
»Das mag angehen«, antwortete ich.
Dann gingen wir wieder nach Haus. Es war nun ganz dunkel, Vater ging vor mir her, er seufzte ein paarmal. Er tat mir leid, er ist schon ein alter Mann und hat sich furchtbar um den Hof geplagt. Er hat ihn richtig in die Höhe gebracht, aber wenn nun die gute Krüseliner Wiese rechts wegging, dann war alles umsonst gewesen. Man kann keine Wiesen kaufen in unserer Gegend. Wir helfen uns mit Serradella, aber wenn wir ein trockenes Jahr haben, versagt die Serradella, und wir sind ohne Futter. Nein, es war sicher, das war nicht wiedergutzumachen, aber darum konnte ich ihm doch nicht helfen, so leid er mir tat.
Beim Krug blieb Vater stehen. »Gehst du noch ein bißchen rein, Jochen?« fragte er.
»Ich?« fragte ich. »Kommst du mit?«
»Nein. Aber du solltest vielleicht einmal gehen. Hier hast du zwei Mark.«
»Es hilft zu nichts, Vater«, sagte ich. Aber ich wollte ihm nicht auch darin zuwider sein und ging hinein. Es saßen nur Fischer Strasen da und der Krüger selbst. Sie sprachen davon, daß sich dies Frühjahr zu trocken anließe. Es war das nicht die richtige Unterhaltung für mich, ich mußte immerfort an die Wiese denken und an die Seradella auf den trockenen Sandkuppen ohne Regen, aber ich redete mein Wort mit. Dazu trank ich ziemlich schnell. Als es gegen zehn ging, stand ich auf und bezahlte. Die zwei Mark gingen grade glatt auf, es waren acht Korn geworden, ein Bier, eine Zigarre. Ich war ziemlich betrunken, aber es machte mir nichts; ich würde doch nicht tun, was Vater wollte.
Ich ging nicht nach Haus, ich ging hintenrum zu Kleinschmidts und stieg da über den Gartenzaun. Es war längst alles dunkel bei denen, aber ich klopfte doch gegen Marthas Fenster.
Sie war gleich am Fenster. Ich sagte zu ihr: »Komm mal raus!«, und sie kam auch gleich raus.
Martha ist einen Kopf kleiner als ich, aber ich mag sie doch sehr gerne. Sie hat so schönes aschblondes Haar, keinen Bubikopf, sondern lange Zöpfe. Und dann hat sie dunkle Augenbrauen und braune Augen und die Backen immer rot; soviel sie auch arbeitet, sie wird nie blaß. Sie ist die schnellste Arbeiterin im ganzen Dorf und nie Pfusch, nein, nie.
Ich erzählte es ihr, und sie hörte mich ganz ruhig an; es war, als wüßte sie schon alles. Natürlich wußte sie schon alles – in einem Dorf bleibt nichts geheim. Daher wußte sie alles.
Wir gingen ein Stück, und dann blieben wir wieder stehen, sie hörte mich ganz ruhig an. Dann gingen wir wieder ein Stück, und nun standen wir unten am See, und die Wellen kamen leise durchs Schilf, und ich war sehr verzweifelt, daß sie nichts sagte. Ich machte es ihr recht klar, daß ich es nicht tun würde und daß ich die Ella nie anfassen könnte, aber sie antwortete nichts. Sie machte mir gar keinen Mut.
Ich redete wieder eine Weile, aber ich sah, es hatte keinen Zweck, und da wurde ich auch still. Wir hatten uns auf einen Stein gesetzt, ganz dicht beieinander, und plötzlich merkte ich, daß sie weinte. Ich hatte sie noch niemals so weinen sehen. Erst redete ich wieder, aber dann nahm ich sie in meine Arme. Sie konnte einen so wundervoll fest anfassen, als wäre man aller Anhalt der Welt für sie, nicht nur ein dummer Bauernjunge, sondern alles auf der Welt in einem. Wir hatten uns noch nie so angefaßt, aber so kam es ...
Am nächsten Sonntag sind wir dann zu Fingers gegangen, Vater, Mutter und ich. Die erwarteten uns schon, vielleicht hatte Mutter uns angesagt, es war alles wie selbstverständlich, und ich brauchte kein Wort zu sprechen. Von der Pachtkündigung der Krüseliner Wiese war überhaupt nicht mehr die Rede. Nachher gingen wir alle sechs in die Ställe, Ella auch mit, und bei den Schweineboxen richteten die Eltern es so ein, daß wir allein blieben.
Wir standen beide auf dem Rand des Futtertroges und sahen über die Boxenwand in den Stand. Die Muttersau hatte grade in der Nacht geferkelt, es war ein Wurf zu zehnen, und Ella meinte, daß sie nicht alle durchkriegen würden. Darüber gingen die Eltern weg, und ich merkte, wir waren allein. Es war mir nicht gut, daß ich allein mit ihr war, aber das half mir nichts, ich würde noch oft mit ihr allein sein müssen, dreißig, vierzig Jahre lang. An sich ist die Ella gar kein übles Frauenzimmer, groß und stark gebaut, mit einer kräftigen Brust. Sie ist auch tüchtig, aber ich weiß doch von der Schule her, wie kalt und gierig sie ist, mit einem bösen Maulwerk; keinem gönnt sie ein gutes Wort, nicht einmal den eigenen alten Eltern.
Als wir gemerkt hatten, daß wir allein waren, standen wir eine ganze Zeit still auf dem Rand vom Futtertrog und sahen auf das Mutterschwein, an dem die Ferkel sogen. Nach einer Weile merkte ich, daß Ella ihren Arm an meinen heranschob, und nach wieder einer Zeit hatte sie ihren Arm um meine Schulter gelegt. Dann küßte ich sie. Es war gar nicht einmal so übel, sie zu küssen, sie hatte schöne volle Lippen und küßte gerne, sie lehnte sich immer fester gegen mich. Aber plötzlich begriff ich an ihrem raschen Atem, daß sie mich wirklich liebhatte und daß sie sich danach gesehnt hatte, mich zu kriegen – und da war erst alles ganz schlimm für mich, und ich mußte sie gleich loslassen.
Sie merkte auch sofort, wie es mit mir war, und eine lange Zeit stand sie vor mir und sah mich nur an. Aber ich tat ihr den Gefallen nicht und sah sie nicht wieder an, bis sie fragte: »Jetzt denkst du wohl an Martha?«
Da mußte ich sie ansehen, und sie sah mich gar nicht böse und gierig an, sondern ganz unglücklich, daß sie einem hätte leid tun müssen. Darum sagte ich auch: »Nein, nein.« Aber sie tat mir doch nicht richtig leid.
»Wirst du mich denn wirklich nie gerne haben?« fragte sie nach einer Zeit.
Ich hätte ruhig tun können, als hätte ich das nicht gehört, so leise hatte sie gefragt, aber ich antwortete doch: »Ja, ja«, und dann gingen wir zusammen aus dem Stall und waren an dem Tag nicht wieder allein zusammen.
Fingers hatten es sehr eilig mit dem Aufgebot, schon nach einer Woche hingen wir im Kasten. Die Leute mögen sich schön die Mäuler zerrissen haben, aber ich habe nicht darauf hingehört. Ich habe mich auch nicht um Ella gekümmert: Wenn ich mit dem Gespann bei ihnen vorbei mußte, habe ich stets nach der andern Seite geschaut. Aber auch bei Martha habe ich mich nicht wieder sehen lassen, viele Wochen lang habe ich nichts von ihr gesehen. Ich blieb jetzt ganz gerne für mich allein.
Es war eine sehr schwere Zeit, und ich wußte überhaupt nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Am wohlsten war mir noch, wenn ich im Krug saß. Ich ließ Vater die Arbeit tun und setzte mich schon am Vormittag hin, trinken. Dann war niemand in der Gaststube, die Krügersche stellte mir Bier und Korn hin, der Krüger war auch auf dem Felde. Die Fliegen summten und burrten so schön, und es waren immer Flecken von Schnaps und Bier auf den Holztischen. Ich fand, das paßte nun zu mir; früher war ich fast nie in den Krug gegangen, früher hätte es nicht gepaßt. Ob ich in den langen Stunden, die ich dasaß, viel nachgedacht habe, das weiß ich nicht mehr. Ich glaube es aber nicht, ich habe da nur so gesessen und getrunken, ich war innen ganz leer und verbrannt.
Die ersten Male haben mich Vater oder Mutter noch aus dem Krug weggeholt, wenn ich zu lange fortblieb. Vater war sehr weich zu mir, er hat mir nie ein böses Wort gesagt, obwohl er sich bestimmt schämte, daß sein Sohn nun ein öffentlicher Trinker geworden war. Mutter schalt eher einmal. Vater hat mich auch nicht gezwungen, auf der Krüseliner Wiese mit zu heuen. Er verstand schon, daß ich die jetzt nicht sehen mochte. Er hat extra einen Mann statt meiner angenommen. Aber als ich einmal Vater gefragt habe, ob es nicht ginge, daß ich direkt nach der Hochzeit fortreiste, für immer, wir hätten dann doch die Wiese, da hat er nein gesagt. Nein, es ginge nicht.
Als eine ganze Reihe Wochen vergangen war – es war nun nicht mehr weitab von der Hochzeit –, merkte ich, daß es nicht anders mehr zu machen war: Ich mußte die Martha einmal wiedersehen. Aber ich bekam sie nirgends zu sehen, und schließlich erfuhr ich vom Krüger, daß sie gar nicht mehr im Dorf war, sondern in der Stadt als Mädchen in einem Hotel. Da nahm ich mir Geld und fuhr auch in die Stadt. Ich kam erst ziemlich spät an, und deswegen bekam ich sie an dem Abend nicht mehr zu sehen. Aber am Morgen machte sie meine Tür auf, weil ich nach dem Stubenmädchen dreimal geklingelt hatte, wie auf dem Zettel stand – und da war sie vor mir, und diesmal wurde sie so weiß wie der Kalk an der Decke.
Sie lehnte sich gegen die Tür, und nach einer Weile sagte sie: »Ach, lieber Jochen«, und die Tränen liefen ihr übers Gesicht.
Ich sagte ihr »Guten Tag« und gab ihr die Hand, und so standen wir eine lange Zeit Hand in Hand, und ich merkte, wie es mich in Brust und Kehle stieß, und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich auch geweint. Aber das konnte ich nun doch nicht.
Wir standen lange so, und dazwischen hörten wir die Hotelglocke viele Male gehen, aber sie rührte sich auch nicht. Uns war schon alles egal. Schließlich flüsterte sie: »Ach Gott, Jochen, das hättest du nun doch nicht tun sollen, mir nachzukommen«, und ich zog sie näher und näher.
Und dann vergaß ich alles und hatte die dunkelbraunen Augen und die dunklen Augenbrauen und das seidige Haar ganz nahe vor mir, und ich liebte sie so sehr, weil ich sie so gerne mochte, und ich war so wütend auf sie, weil sie es auch gesagt hatte, es müßte mit der Krüseliner Wiese so sein, wie Vater wollte. Ich zog sie immer näher, aber sie machte sich mit einem Ruck frei.
»In zwei Wochen heiratest du«, sagte sie. »Und denkst du, ich bin so, daß du zu mir kommen kannst, wenn es dir paßt, nachher wie vorher?«
»Nur jetzt noch –«, begann ich zu betteln, aber sie hörte mich gar nicht. Und als ich nicht nachließ, sie zu bedrängen, und sie fangen wollte, und die Hotelglocke ging immerzu auf dem Flure, da wurde sie böse. Ich sah, wie ihre Augen anders wurden, sie funkelten, und ihre Lippen wurden ganz eng, und dann nahm sie die Faust und schlug mich mitten ins Gesicht. »Du trinkst ja«, sagte sie. »Es ist ja bloß das Getränk, das mich will, gar nicht du.«
»Ich will auch nie mehr trinken, Marthel«, sagte ich, aber da hatte ich die Faust schon im Gesicht. Es ist sehr lange her, daß mich einer geschlagen hat, seit der Schulzeit her nicht mehr, und nun noch mit der Faust mitten ins Gesicht. Ich hätte sie beinahe wiedergeschlagen, weil ich rot sah, aber sie kam frei und rasch aus dem Zimmer.
Sie kam nicht wieder, und ich saß lange am Fenster und fühlte, es war alles kaputt und nie wieder heilzumachen, in mir und wegen meinem Gesicht und überhaupt wegen allem, und wenn wir jetzt auf die Krüseliner Wiese verzichtet hätten, es wäre dann doch nichts wieder heil geworden. Auch mit Martha nicht.
Schließlich habe ich nach dem Ober geklingelt und habe mir eine ganze Flasche Kognak bringen lassen, und dann habe ich ihn gefragt, ob mein Zimmer nicht saubergemacht werden könnte. Da hat er die Martha geschickt, und sie hat unter meinen Augen das Zimmer saubermachen müssen, und ich habe still an meinem Fenster gesessen, habe den Kognak getrunken und habe ihr immer zugesehen. Sie hat nicht einmal aufgeschaut, und als sie fertig war, habe ich »Danke schön« gesagt und habe ihr eine Mark hingelegt. Sie hat die Mark liegengelassen.
Ich wollte noch ein paar Tage bleiben und ihr immer stumm zusehen, aber in der Nacht bekam ich plötzlich einen andern Gedanken und bin wieder nach Hause gefahren, und da habe ich dann in vierzehn Tagen geheiratet. Mit meiner Ehe ist es gar nicht so schlimm geworden, weil nämlich Ella Angst vor mir hat. Und trinken tue ich auch nicht mehr.
Aber manchmal überkommt es mich, und dann fahre ich ihr nach, und sooft sie auch wechselt, ich finde sie immer wieder. Dann stelle ich mich in ihre Nähe und sehe ihr zu. Wir haben nie wieder ein Wort miteinander geredet, aber böse ist sie mir nicht mehr. Denn manchmal, wenn es mit ihrer Herrschaft schlecht paßt in der Küche, richtet sie es ein und macht sich einen Weg durch die Stadt, in der sie arbeitet. Dann setzt sie sich auf eine Bank, und ich setze mich auf eine andere Bank, und manchmal sehen wir uns auch an. Es ist nicht viel, aber es macht es leichter. Ich werde nie wieder ein Mädel so gerne haben können wie sie. Nach ein oder zwei Stunden steht sie dann auf und geht nach Haus. Sie geht in ein Steinhaus, und im Torgang dreht sie sich noch einmal um und winkt durch die Glasscheibe. Aber sie tut es nie eher, ehe nicht die Tür zwischen uns ist. Sie versteht schon, wie schwer es für mich ist.
Wenn sie dann weg ist, gehe ich auf die Bahn und fahre nach Haus. Ja, nach Haus.
Die Krüseliner Wiese rechts ist eine gute Wiese, und ohne sie wäre der Hof nicht zu halten. Aber darum verstehe ich es doch nicht, und nun, wo ich es aufgeschrieben habe, verstehe ich es immer noch nicht. Ich habe stets gedacht, ich hätte etwas vergessen, darum verstünde ich es nicht, aber ich habe nichts vergessen. Es ist einfach nicht zu verstehen. Und Müller Schmidtke soll gesagt haben, daß ich ein Feigling erster Klasse bin, und dann wird es wohl auch so sein, aber darum verstehe ich doch nicht, wie ich es hätte anders machen sollen. Wir haben jetzt vier Kinder, und ich habe immer gehofft, eines würde sein wie die Martha. Aber sie sind alle wie die Ella, und so bleibe ich denn wohl allein. Vater ist auch nur noch hinfällig.
Das Schreiben hat auch nichts geholfen, und so werde ich denn morgen losfahren und sie wieder einmal suchen. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich fünfzig bin, will ich sie einmal ansprechen. Das ist schon ein Trost, aber es ist noch sehr lange hin, ich bin erst zweiunddreißig. Gute Nacht!