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In einem Krug im Schleswigschen saß der dicke Krüger eines Morgens recht behaglich am Tisch und gähnte. Seine Leute waren mit der Frau längst draußen zum Heuen, die Fliegen burrten und brummten so recht schön in der warmen Stube, und es war überhaupt alles herrlich ruhig und gar keine Aussicht, etwas tun zu müssen, bis der Postbote mit der Zeitung kam. Also versuchte der Krüger immer wieder ein Nickerchen, obwohl er gar keinen Schlaf mehr hatte.
Ärgerlich wurde er aber doch, als in solch mißglücktes Schläfchen Stimmen klangen, die Tür aufging und zwei junge Leute hereinkamen, Männlein und Weiblein, mit bloßen Knien und Rucksäcken. Der Krüger blinzelte und wünschte die beiden zehn Kilometer weiter, tat aber, als schliefe er. Die jungen Leute besahen sich die Gaststube, die Fliegen, die Tröpfelbierneige auf der Theke, schließlich auch den dicken schläfrigen Mann am Tisch.
»Ob man hier einen Kaffee kriegen kann?« fragte der junge Mann ermunternd.
»Ja, mit dem Kaffee, das ist so eine Sache«, meinte der Krüger zweifelhaft und entschloß sich, um seine Ruhe zu kämpfen.
»Warum eine Sache? Gibt es keinen Kaffee?«
»O doch, den gibt es schon.«
»Und also –?«
»Ja – ob die jungen Leute das trockene Kaffeemehl essen mögen?«
»Gibt es denn hier kein Wasser?«
»O doch, das gibt es schon!«
»Was gibt es denn nicht?«
»Feuer gibt es nicht. Die Frau hat die Streichhölzer mit aufs Feld genommen.« Und nun schließt der Krüger wieder die Augen, er glaubt, jetzt hat er Ruhe. Als er aber wieder blinzelt, weil die gar nicht gehen, liegt eine Schachtel Streichhölzer vor ihm. Der Krüger seufzt schwer, aufstehen, Feuer anmachen, Wasser aufsetzen, Kaffee brühen –: »Trinken denn die jungen Leute den Kaffee auch ohne Milch?«
»Hier gibt es doch Kühe, warum gibt es denn keine Milch?«
»Weil die Milch schon abgeliefert ist an die Molkerei.«
»Ob man eine Kuh nicht ein wenig strippen kann? Soviel zu etwas Kaffee, sowenig Milch gibt sie doch immer!«
Was die denken? Nichts ist schädlicher für eine Kuh! Nein, Milch gibt es nicht. Und Zucker auch nicht, den hat die Frau eingeschlossen.
Nun, werden sie den Kaffee schwarz und bitter trinken, das macht schön, erklärt das junge Ding, und hat es wahrhaftig nötig, so ein magerer Stecken.
Als der Krüger einsieht, es hilft nichts, steht er langsam auf und verkündet, es werde wohl eine Weile dauern mit dem Kaffee. Das macht aber nichts, erklärt der junge Mann und lacht, sie haben Zeit. Und er soll dann gleich Brot mitbringen und Butter und Wurst und Käse und vier weichgekochte Eier ... Und ein paar Scheiben Schinken!
Der Krüger seufzt kummerhaft und verschwindet. Hartnäckige Menschen gibt es. Aber schließlich und endlich ist an allem die Krügerin schuld, warum läßt sie ihm nicht wenigstens ein Mädchen im Hause?
Die jungen Leute in der Gaststube stecken die Köpfe zusammen. Sie sind auf der Wanderschaft, sie wollen nach Husum, in die Geburtsstadt Theodor Storms. Heute nacht haben sie im frischen Heu geschlafen, sie hätten Kopfschmerzen davon bekommen müssen, aber sie haben nur die Köpfe voller Streiche. Jetzt wollen sie dem dicken düsigen Krüger einen Streich spielen.
Als der zurückkommt – es ist eine lange Zeit vergangen, trotzdem er den Schinken fortgelassen hat, für den hätte er ja in die Räucherkammer hinauf gemußt –, also, als der Krüger zurückkommt, sind seine beiden Gäste eifrig beschäftigt: Er hat eine weiße Tüte in der Hand, und sie hat auch eine weiße Tüte in der Hand. Und in den beiden Tüten burrt es und brummt es und surrt es. Das junge Mädchen schreit: »Du, da an dem Bild sitzt ein ganz dicker Bock!«
Und da macht der junge Mann einen Griff, und burr! schwirrt auch diese Fliege gefangen in der Tüte.
Der Krüger setzt den Kaffee hin und brummt: »Also, da ist Ihr Frühstück!«
»Ja, setzen Sie nur hin«, sagt der junge Mann. »Sie haben ja hier herrlich viel Fliegen!«
»Gott, jetzt hab ich aber eine feine Ziege!« ruft das junge Mädchen. »Die bringt sicher einen Groschen!«
»Psscht!« macht der junge Mann warnend.
Die fangen und fangen, und nach einer Weile sagt der Krüger, dem es um seine Arbeit leid ist: »Ihr Kaffee wird kalt.«
»Gleich!« sagt der junge Mann.
»Gleich!« ruft das junge Mädchen. Und sie jagen weiter.
Dann trinken sie auch was, dann essen sie auch was, aber nur ganz eilig, im Stehen, im Laufen und Fangen, und wie es immer so weitergeht, da fängt es doch auch im Krüger an zu burren und zu summen. »Solche Fliegenpriester!« sagt er ärgerlich. »Die werden ja doch nicht alle. Aus dem Kuhstall kommen immer frische.«
»Im Kuhstall haben Sie auch welche?« schreit der junge Mann. »Nicht wahr, Sie sind so gut, wir dürfen da nachher auch noch fangen?«
Wird man um was gebeten, soll man nicht gleich ja sagen. »Nein«, sagt der Krüger. »Ihr macht mir die Kühe wild mit euerm Hopsen.«
»O bitte!« ruft das junge Mädchen. »Sicher sind da viele. Das bringt wieder schönes Geld.«
»Psscht!« macht der junge Mann warnend.
Es kommt langsam beim Krüger, aber es kommt. »Wozu braucht ihr denn die Fliegen?« fragt der Krüger nach einer langen Weile.
Die beiden jungen Leute sehen sich an und setzen sich fein still und friedlich an den Kaffeetisch.
»Wozu braucht ihr denn die Fliegen?« fragt der Krüger noch mal.
»Na, Sie werden's ja gelesen haben«, sagt der junge Mann mürrisch.
»In der Zeitung?« fragt der Krüger.
»Weiß ich nicht. Im ›Reichsanzeiger‹.«
»Im ›Reichsanzeiger‹ –?« fragt der Krüger wieder und versinkt in Sinnen.
Die beiden haben ein Weilchen ganz brav gegessen und getrunken, aber nun ist die Leidenschaft wohl wieder über sie gekommen, erst sind sie einmal und noch einmal aufgesprungen, und nun jagen sie wieder im Zimmer herum.
»Also sagen Sie es!« verlangt der Krüger.
»Was?«
»Wozu Sie die Fliegen brauchen.«
»Sie haben's doch gelesen.«
»Sagen Sie's.«
»Abliefern«, sagt der junge Mann.
»Apotheker«, sagt das junge Mädchen.
Irgend etwas vom Krieg dämmert in des Krügers Hirn. Da mußte man auch alles mögliche abliefern und wußte nicht, warum. – »Wozu abliefern?« fragt er.
»Für die Impfversuche«, sagt der junge Mann.
»Gegen Grippe«, sagt das junge Mädchen.
»Von Reichs wegen«, sagt der junge Mann.
»Grippe kommt von Fliegen«, sagt das junge Mädchen.
»Ach so«, sagt der Krüger. »Wir haben hier keine Grippe.«
»Das ist das Gute daran«, sagt der junge Mann.
»Und das bringt Geld?« fragt der Krüger.
»Etwas«, sagt der junge Mann.
»Es lohnt sich kaum«, sagt das Mädchen.
»Wieviel?« fragt der Krüger.
»Je nachdem«, erklärt der junge Mann.
»Bis zu fünf Pfennig«, sagt das junge Mädchen.
»Das Pfund?« fragt der Krüger.
»Das Stück«, sagt das Mädchen.
Und nun sitzt der Pfeil und zittert im Herzen. Aber eine Weile passiert nichts. Die fangen noch ein bißchen, aber dann ist es leergefangen. »Möchte zahlen«, sagt der junge Mann. »Oder dürfen wir noch in den Kuhstall?«
»Das sind meine Fliegen«, sagt der Krüger.
»So dürfen Sie mir nicht kommen«, sagt der junge Mann. »Was macht das Frühstück?«
»Geben Sie mir meine Fliegen«, verlangt der Krüger.
»Das hätten Sie vorher sagen dürfen, daß wir hier nicht fangen dürfen.«
»Dann hätten wir hier nichts verzehrt.«
»Ich will meine Fliegen«, beharrt der Krüger. »Sie haben hier alles leergefangen.«
»Ich denke gar nicht daran«, erklärt der junge Mann. »Ich leg hier drei Mark hin fürs Frühstück.«
»Behalten Sie Ihre drei Mark«, sagt der Krüger. »Ich will meine Fliegen.«
»So was gibt es ja gar nicht«, protestiert das junge Mädchen. »Eher laß ich die Fliegen fliegen!«
Der Krüger überlegt. »Sie sollen das Frühstück umsonst haben, aber meine Fliegen will ich. Sonst ruf ich den Landjäger an.«
»Das ist ein schlechtes Geschäft«, schilt der Kerl. »Wir haben sicher für zwanzig Mark Fliegen in den Tüten.«
»Aber es sind meine Fliegen!«
»Ich würd mich nicht sträuben«, sagt plötzlich das junge Mädchen. »Du siehst doch, was das für einer ist. Droht gleich mit dem Landjäger.«
»Und ich tu und tu es nicht.«
»Also, ich ruf an«, warnt der Krüger.
»Wenn es gar nicht anders geht ...« Und das Geschäft wird abgeschlossen. –
Zwei Stunden später kommen zwei junge Leute lachend aus der Apotheke der Kreisstadt, und auch der Apotheker lacht, und auch der Provisor lacht.
Vier Stunden später steht der Krüger in der Apotheke. Ganz sicher ist er doch nicht mehr, er hat unterdessen mit seiner Frau gesprochen. »Ich hab hier so Fliegen«, sagt er fragend.
»Recht viele?« fragt hoffnungsvoll der Apotheker.
»Über tausend Stück sicher«, sagt der Krüger stolz.
»Gut«, sagt der Apotheker. »Das ist noch ein Geschäft!«
»Und was zahlen Sie?«
»Das kommt auf die Ware an. Geben Sie mal her.« Der Apotheker bekommt eine Tüte und späht lange hinein. »Ja«, sagt er gedankenvoll, »die kann ich aber nicht brauchen. Sie haben ja alles durcheinander gesteckt: die Böcke und die Ziegen!«
»Wie –?!!« fragt der Krüger.
»Sortieren müssen Sie die!« sagt der Apotheker.
»In Böcke und Ziegen«, schreit der Provisor.
»In weiblich und männlich«, schilt der Apotheker.
»Wie –?!!« fragt der Krüger.
»Die müssen sortiert werden«, sagt der Apotheker und dreht sich um. »Nehmen Sie sie wieder mit und bringen Sie sie sortiert.«
Der Krüger steht lange stumm. »Oh, da soll doch –!« schreit er plötzlich und ist strahlend hell im Hirn. »Solche verdammten Fliegenpriester –!«
Die ganze Apotheke burrt von Fliegen.