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Als sie sich kennenlernten, waren beide strahlend jung. Sie siebzehn, er siebzehn.
Kam er abends aus der Werkstätte, wartete sie schon auf ihn. Nebeneinander gingen sie nach Haus, er in seinem blauen Kittel, schwarz von Ruß und Öl, die leere Emaillekanne in der Hand schlenkernd, sie in weißer Bluse und faltigem Rock, umsonst bemüht, Takt zu halten mit seinen weitgespannten Schritten.
Meistens hatten sie noch Zeit, und weil es halb auf ihrem Weg lag, gingen sie an den Hafen und setzten sich dort auf eine Bank. Der Fluß trieb sachte dahin, es roch nach Teer, eine Winde knarrte.
Er erzählte vom Hof, aus dem er stammte, sie gingen durch den Garten, ein Kartoffelacker, Kiefern kuscheln, Dünensand – und soweit der Blick reichte, brandete Meer blau, grün und weiß gegen den hellen Sand. Er beugte sich vor, sein Auge, blau wie jenes, streng und unbestechlich, schien die See zu schauen, von der er sprach, seine schmale, lange Nase roch den Duft von Tang und Teer, und der ernste, halb geöffnete Mund atmete wohl jener Brise entgegen, die gleich, gleich sich aufmachen mußte.
Sie stammte aus einer kleinen Stadt, aus einfachem Bürgerhause. Unterdrückt von der rechthaberischen Mutter, tyrannisiert von der älteren Schwester, die klüger und härter als die jüngere war, hatte sie ewig in Angst gelebt, und das Gefühl war in ihr dicht geworden, dumm und unfähig zu sein, nichts wert. Ihre zarte blonde Schönheit hatten sie durch unmögliche Kleider verschandelt, ihre Demut ausgenützt, ihre Liebesbedürftigkeit verachtet. Immer hatte sie im Dunkeln gestanden, bestraft, und war sie einmal straffrei, lag wie ein Alp auf ihr die Furcht vor den andern, der Zukunft, all und jedem.
Nun, aufs Seminar gekommen, war sie zum ersten Mal frei, ein ans Dunkle gewöhnte Auge versuchte blinzelnd, in das Licht zu schauen, lieber noch barg sie es im Schatten des Jünglings neben sich.
Er wußte vom Segeln und Schwimmen, von Hasenjagden und wilden Reiterfesten. Am liebsten wäre er Seemann geworden. »Nun werde ich Schiffe bauen.«
Er war so stark, doch war er auch fein. Er verstand gut, erzählte sie ihm die kleinen großen, immer noch nicht überwundenen Unglücksfälle ihrer Kinderzeit, warum ihr Lächeln noch weich und gewinnend war, über Tränen hinweg, auf die seinetwillen verzichtet wurde. Diese unseligen beiden Frühstückssemmeln, die ihre Mutter aus Gesundheitsrücksichten verordnet und die sie nie hatte essen können! Sie schmuggelte sie heimlich in ihre Kommode, sie häuften sich dort und wurden eines Tages – natürlich – entdeckt. »Und der Bach, in den ich sie so gut hätte werfen können, floß direkt unter meinem Fenster, Fritz!«
Sie hätte ewig so bei ihm sitzen mögen, bis das Bunt der Abendröte ganz übergegangen war in jenes stille hohe Blaugrün der Meerhimmel. Er mahnte, daß sie würden essen müssen in ihrer Pension. Der letzte Weg war still. Sie streifte einmal scheu seine Hand, wie sich zu überzeugen, daß er noch da sei. Er spürte es nicht. Er dachte wohl wieder an seine Bücher, diese Philosophen, die er ewig las. Er hatte soviel, was in sein Leben reichte. Sie hatte nichts, nur ihn. Und schon war die Angst wieder da, eine neue, brennendere als jene der Kindheit, die andern könnten ihn ihr fortnehmen, die Mitseminaristinnen, die Freundinnen. Dora war so schön und weltgewandt, Ada war zehnmal klüger als sie!
Dann saßen sie alle um den Abendbrottisch, er der einzige Mann in diesem Mädelnest, und Reden und Gelächter flogen hin und her. Sie redete mit, sie lachte mit, tiefes Rot tönte ihre Wangen. Wenn die andern zu seinen Paradoxien Weh schrieen, wenn die Pensionsmutter Einhalt gebot: sie hielt zu ihm, sie ging mit ihm durch dick und dünn.
Ja, sie verstieg sich soweit, ihm laut und öffentlich beizustimmen, als er einen persönlichen Gott leugnete. So war es, er hatte recht. Und als die andern Mädels längst schliefen, kniete sie noch an ihrem Bett und bat Gott diese Beleidigung ab, sie versprach ihm, Fritz gut zu machen, wenn er nur bei ihr bliebe, wenn ihn ihr Gott nur schenkte.
Sie gingen durch die Anlagen, sie stiegen empor über die Stadt. Ein fröhlicher Sommerwind bewegte die Büsche, kleine Fliederblättchen tanzten in seinem Hauch. Der Fluß zog blau durch Gold und Grün, tausend kleine Lerchenlieder hingen in der Luft.
Er warf sich ins Gesträuch, er brach Flieder und Goldregen, Heckenrosen warf er auf sie und er überhäufte ihren Schoß mit Schneeball, Margeriten, Kornblumen und Mohn. Sie lächelte aus all dem Blust hervor, ihm zu.
Ein Wasserfall zerstäubte, seine Tropfen funkelten in der Sonne, feurige blaue und grüne Sterne erglänzten, die Heuschrecken feilten eine endlose Melodie, und in die Wagenspur sickerte sachte und demütig der Sand.
Sie sahen sich an. Ihre Augen glänzten golden in der Sonne, ihre Wimper tanzte, und die Segel in der Ferne und der bläuliche Rauch und, plötzlich, ein Jubelschrei von drüben, schon verhallend, schon verklingend, als habe ihn der Frühsommer ausgestoßen, erschrocken von der eigenen Herrlichkeit.
Er hielt sie in seinem Arm, ein angstgequältes Herz klopfte ruhig und frei, ein zage lächelnder Mund öffnete sich durstig und demütig dem seinen entgegen.
»Thilde!«
»Fritz!«
Und die Sommerwege alle durch Gehölz und Gefeld, der stille Mittagsduft im Nadelwald, die abseitigen Bänke, die herrliche Mahlzeit in der Mühle! Da war ein Eichkater, und eine Krähe hatte sie angesehen, als wisse sie alles. In einem Garten blühten schon Rosen, und er bat um ein paar, für seine Braut, und der alte Herr winkte ihr zu und zog sein Käppchen.
Und der Heimweg dann durch die sacht sickernde Dämmerung und das Verhallen des lauten Tages und die werdende Stille, hinter der tausend solche Tage stehen mochten, und die Flüsterworte und die Atemlosigkeit der Küsse und das seligsüße Einschlafen.
Er war jung, er war stark, er war frei. Das Leben lag vor ihm als eine weite blühende Landschaft: tausend Wege sie zu durchwandern, zu verharren, weiterzuziehen und andere Länder zu sehen, andere Düfte zu riechen, andere Gefühle zu erproben. Er war jung, er war ruhelos, er wollte noch nicht das Glück. Was war Glück? Glück war Beharren, Glück war Sichzufriedengeben, Glück war Zurruhekommen. Er wollte weiter.
Sie saß gebeugt über ihre Seligkeit und träumte sie immer wieder neu. Immer die gleiche und stete Seligkeit. Schon zitterte ihr banges Herz davor, daß sie einmal entglitten sein, daß ihr Leben einmal nicht grade diesen Inhalt besitzen könnte. Sie wollte keinen andern, sie konnte sich nicht einmal einen anderen denken. Und sie schmiegte sich fester in ihn hinein, sie verstieß alles andere, sie vereinzelte sich auf ihn.
Sie fragte nicht. Sie zweifelte nicht. Sie verglich nicht. Sie warf ihre Arme um seinen Hals und flüsterte: »Liebst du mich?« und hätte ewig sein Ja hören mögen. Sie war Wachs in seiner Hand, eine Falte auf seiner Stirn verstörte sie, Ärger, den er gehabt, ließ sie nicht schlafen.
Dies war die Liebe, von der sie gelesen, die große Liebe, nichts kam ihr gleich und sie konnte nie aufhören.
Und doch zitterte sie immer. Jede Freundin konnte ihn fortnehmen, was konnte ihm nicht geschehen, wenn er nachts aus war! Sie hörte ihn heimkommen, sie barg ihr glühendes Gesicht im Kissen: würde er je erfahren, wie sehr sie ihn liebte? Wie er ganz allein in ihrem Leben war?
Auch er liebte sie. Eine unsägliche Rührung ergriff ihn, wenn er diese holde zergehende Schwäche sah, die sich ganz an ihn warf. Sie machte ihn sanfter, in seiner harten hielt er die gebrechliche Hand und träumte von dem zarten lautlosen Pflanzendasein, das diese hier geführt. Er suchte, sie mehr in die Welt zu ziehen, er sprach ihr von den hundert Erkenntnissen, die von allen Seiten auf ihn einströmten, von den Denkern, den Dichtern, den Erfindern. Sie hörte ihm zu, sie glaubte alles, was er glaubte, sie fand schön, was ihm schön war, sie war sein.
Sie wurde es ganz. Und mit ungekannter Fassungslosigkeit stand er vor der haltlos Weinenden. Sie hatte sich in seinen Arm geschmiegt, sie war sein geworden, sanft, still und selig, nur mit einem letzten mädchenhaften Abwehren irrer Angst. Doch ihr Elend danach, ihr krampfhaftes Schluchzen, ihre wilde Verzweiflung erschütterten ihn. Er kniete neben ihr, seine Lippen trockneten Tränen, seine Hände suchten die ihren zu erwärmen, die kalt und wie leblos waren.
Sie stieß Worte hervor endlich, unverständlich zuerst, von Schluchzen unterbrochen, er fragte sanft, immer wieder, er lauschte.
Nun vernahm er ein wenig von der Angst, in der sie stets neben ihm gegangen, von der ewigen Sorge um seinen Verlust. Da sie sich ihm hingegeben, wertlos geworden war, war es da nicht selbstverständlich, daß er sie verließ? Was blieb ihr noch zu geben als Entgelt für seine Liebe? Sie stammelte wirr von Schande, ihre Mutter hatte recht behalten: sie war schlecht. Auf die Straße gehen ...
Wie ein stilles freudiges Staunen stieg es in ihm auf. Fremde Welt, fremde Worte, längst versunken geglaubt, auferstanden in einem kleinen, selbstquälerischen, armen Hirn. Er beugte sich zu ihr, von seinem Glück flüsterte er, das auch sie fühlen müsse. Ihr Weinen ging dahin, sie verstand nichts. Da tat er das einzige: er nahm sie in seinen Arm und war gut zu ihr. Er sagte ihr die sanftesten Worte und ließ sie sich erinnern. Und als sie noch fortweinte, sprach er leise, zögernd, mit Widerstreben von der Zukunft.
Er log nicht. Aber all das war noch so fern, sie waren so jung, soviel konnte geschehen, was sollten heute schon feste Pläne? Doch schien eine Gemeinsamkeit nicht unmöglich, er wies sie.
Da legte sie ihre Arme um seinen Hals und flüsterte: »Du bist gut.«
Sie waren nun heimliche Brautleute, sie trug den Ring an einem Band in der Bluse. Er hatte ihn in den Schreibtisch gelegt und nach einer Stunde vergessen. Er war lieb zu ihr, er war sanft. Wenn er ungeduldig werden wollte, mußte er immer an jene herzzerreißende Angst denken, und er bezähmte sich. Er suchte sie zu sich herüberzuziehen, er gab ihr Bücher zu lesen, die sie ins Feuer steckte, weil sie »schlecht« seien. Er begriff nicht. Es war ihr recht, daß sie von solchen Ansichten Nutzen trug, und sie fand sie schlecht? Ja, fand sie sich denn schlecht?
Und erschreckt erkannte er: ja, sie war überzeugt davon, daß sie schlecht sei. Sie war eine Sünderin. Heimlich schlich sie zur Kirche, und voll erleichtert hätte sie es wohl, wenn sie hätte beichten dürfen. Einer mußte da sein, der ihre Sünden auf sich nahm. Ein Priester. Nicht ihr Geliebter, nein. Er konnte sie nicht entsühnen, weil er falsch dachte. Er sündigte nicht, denn er wußte ja nicht, daß Sünde war, was sie taten. Doch sie wußte es. Und sie mußte büßen.
Es vergehen kurze drei Jahre, und sie müssen sich trennen. Sie wird Lehrerin, er geht auf ein Technikum. Der Abschied ist grauenhaft, immer wieder klammert sie sich an ihn, will ihn nicht gehen lassen. Sie fragt stets von neuem, ob er sie immer lieben wird, ob er schreiben wird, ob er sie nicht vergessen wird. Sie bettelt um fünf Minuten und noch um fünf Minuten. Aus der Dämmerung blüht ihm die weiße übertaute Schönheit dieser Treibhausblume verführerischer entgegen als je, er läßt sich halten, er schwört.
Dann reißt er sich los, eilt zur Tür und wendet sich zurück nach dem harten Fall. Sie liegt dort leblos, er hebt sie hoch, legt sie aufs Sofa, macht Licht. Sie spricht fieberhaft, nun ist die Angst wieder da, die dunklen Wellen wollen über ihr zusammenschlagen, sie ruft nach Fritz. Sie hält seine Hand fest, einen Augenblick besinnt sie sich: »Du gehst doch nicht fort!«, und muß einen Aufsatz machen, und die Schwester schlägt sie. Er ruft die Pensionsmutter. Mit dem letzten Zuge fährt er.
Nun kommen ihre Briefe, demütig, um Verzeihung bettelnd, klein. Er liest sie in der kahlen, unwohnlichen Stube einer großen Stadt, er schreibt ihr wieder. Auch er ist verändert, diese Stadt vergiftet ihn. Ihr Lärm betäubt, ihre Gerüche machen ihn krank. Das Hocken und Horchen in den Hörsälen lähmt seine Aufmerksamkeit, eine wahnsinnige Sehnsucht nach Feld und Gewächs, nach Erde packt ihn, er bricht aus, stromt ein, zwei Tage durchs Land und kehrt kränker zurück.
Schein dieses Elends leuchtet in seinen Briefen. Wilder, ausschließlicher, hingebender wird seine Liebe. Er findet jene Worte, nach denen sie sich immer gesehnt. Als sie einmal zusammenkommen, sind sie stumm, wie verlegen. Aber in der Stille seines Zimmers stürzen sie einander in die Arme, ihre Küsse brennen, ihre Umarmungen entkräften.
Allein geblieben besinnt er sich. Seine Gesundheit empört sich gegen soviel Übertriebenheit. War es nicht eben noch, daß er vom Wallberg in die Buntheit des Lebens sah? Nun erhellt zuckender, fieberhafter Schein ein Dunkel, das trostlos ist. Er schreibt seinen Eltern, daß er heim will. Bauer werden, die Stadt tötet ihn. Er erhält die Antwort: nach dem Examen.
Er packt einen Rucksack, verkauft seine Bücher, seine Sachen, setzt sich auf die Bahn und fährt in die Welt. An irgendeiner süddeutschen Station beginnt er seine monatelange Wanderung. Er lebt von Trauben, von Obst, von Brot. Er trinkt Wasser. Er schläft im Freien. Der schlaff gewordene Körper baut sich von neuem auf, sein Schritt federt, er begreift nicht mehr, daß dies Leben dunkel sein solle. Ihm kann nichts geschehen, da keiner Rechte an ihm hat. Er wird sich bewahren.
Keiner? Eine doch vielleicht. Die Bestürzung ist unendlich, als ihr Brief unbestellbar zurückkommt. Was ist geschehen? Die Feige wird mutig. Sie nimmt Urlaub, sucht ihn in der Stadt. Nichts. Sie fährt zu seinen Eltern, sie bekennt ihre Brautschaft, aber auch dort erfährt sie nichts. Sie kommt heim, den Tod im Herzen, und findet auf ihrem Tisch eine Karte von ihm, einen Gruß vom Rhein. Keine Erklärung, nichts. Aber er lebt, die schrecklichen Befürchtungen sind nicht in Erfüllung gegangen, er wird wiederkehren.
Er läßt sich Zeit. Der Sohn trotzt gegen den Vater an. Er streift durch das Land, erwartet, bis der Alte nachgibt. Er wird nicht mürbe. Geht ihm das Geld schon aus, so stellt er sich an den Amboß einer Dorfschmiede, und zwei, drei Tage kann er's weitertreiben.
Als der Herbst vergeht, darf er heim. Er läßt sich Zeit, macht noch Station bei Thilde. Sie ist blaß, müde, doch sacht erblühend über seinem Kommen. Er bedenkt, wieviel Leben in ihn ging, all diese Monate hindurch, indes sie nichts tat als hier wartend seiner gedenken. Er streichelt ihren Scheitel. Eigentlich ist er ihr sehr fern. Dieses Zimmer, und Bilder von ihm hier und dort ... hat sie denn nichts zu tun gehabt als auf ihn zu warten? Es scheint ihm rührend und ein klein wenig arm. Soviel Sorgen, soviel Kümmernisse! Was aus ihnen werden soll? Aber gibt es nicht tausend Möglichkeiten und ist nicht eine so gut wie die andere? Du hast nur zu leben, lebe doch, Kümmernde!
»Ich habe zu warten«, spricht sie. –
Vater und Sohn gehen umeinander, belauern sich. Bis ihn der Vater eines Tages mit aufs Feld nimmt. »Daß du wenigstens pflügen lernst. Ich habe eine Lehrstelle für dich. Was es freilich werden soll, zwanzig Jahre, und kann noch nicht pflügen ...«
Der Sohn nimmt die Leine, faßt den Pflug. Die Pferde ziehen an, und über die glänzende Schar rauscht der dunkle Boden, zerkrümelt und liegt sanft da und geduldig. Wie groß das ist, in der Furche zu gehen!
Die Jahre spielen sich hin, eines um das andere. Aus dem Lehrling wird ein Verwalter, der Verwalter wird Inspektor. Immer noch sitzt in einer kleinen Stadt die Lehrerin und schreibt Briefe. Er antwortet selten. Wo sind jene Sommertage dahin? Sie sind fortgeflogen und andere schwebten heran, er hat sich nicht besonnen, sie zu genießen, tief und atmend, er ist jung, er weiß nichts von Ruhe.
Die Liebende dort hinten, die Harrende, nun ist sie die große Seligkeit nicht mehr, sie ist etwas, mit dem in seinem Leben zu rechnen ist, eine, die wartet. Sie wird nicht vergeblich warten, dies bleibt sicher. Aber manchmal, wenn sie sich treffen, fragt er sinnend: »Wie es wohl gehen mag mit uns? Bist du sicher, daß du zu mir paßt?«
Sie ist sicher. Ihn nur erst ganz haben, immer um ihn sein können, für ihn arbeiten dürfen, mehr erwartet sie sich nicht, und das ist übergenug.
Und er wieder: »Kennst du mich wirklich? Glaubst du, daß du mich ertragen kannst? Ich bin nicht sanft, und keine Kette bindet mich. Ich bleibe frei.«
Sie lächelt für sich. Ihn nur erst haben. Keine Kette –? Wie Männer reden. Ausgedachtes, das sich im Leben vergißt. Ist nicht alles vorgeschrieben? Wird nicht alles so sein wie bei anderen auch? Er wird ihre Liebe nicht als Kette spüren, und doch wird sie ihn halten.
Er sinnt. Nicht, daß er zögert, zurückweichen will, er sinnt nur. Wer ist sie? Eine Schwache, eine Demütige, deren Blütenreiz einst sein Herz bezwang. Nun eine zu beschützen, mit Rührung anzusehen, eine Vergehende ohne ihn. Er traf sie, da er noch ganz jung war. Er hat kaum andere Mädchen kennengelernt, sie sind wohl alle so. Mit welcher könnte er sprechen über das, was ihn bewegt, wirklich mit ihr sprechen, keine Monologe? Bücher, Bilder – ihnen allen ist das kleiner Schmuck, Tändelei, Zierat.
»Ich bin neugierig, wie es abläuft«, lacht er. »Wenn es gar nicht geht, können wir uns ja scheiden lassen.«
»Natürlich!« ruft sie übermütig und denkt tief erschrocken: Das scheint ihm schon möglich! Nie! Nie!
Dann ist es soweit, daß sie heiraten können. Sieben Jahre sind vergangen, seit sie sich kennenlernten. Sie denkt der verflossenen Zeit nach und findet sich unfaßbar verwandelt. Plötzlich sieht sie das Mädchen vor sich, das sie einst war, ihr scheint, sie habe damals auf ein großes, großes Glück gewartet. Einmal schien es, als hielte sie's, und es war schon gewonnen, unbegreiflich wie. Jener Mann, den sie nun ab und an trifft, der ihr Haar streichelt, sie flüchtig küßt, sie glühend umarmt und kalt verläßt, er wäre es?
Angst packt sie davor, mit ihm zu gehen, sich ihm ganz auszuliefern. Wie hat er sie schon verändert! Sie hat sich an die Schande gewöhnt, sie denkt kaum noch an Gott, sie hat keine Freundinnen mehr, ihre Mutter haßt, ihre Schwester verspottet ihn – er hat sie vereinzelt, er hat sich mitten in ihr kleines Leben hineingepflanzt, alles andere verschattet, bis es zugrunde ging.
Sie muß wieder frei werden. Sie muß die schlichte Straße gehn, sie muß wieder rein werden. Alles war Irrtum. Sie denkt ihn neben sich, Tag für Tag, er wird sie zerdrücken, er wird nichts von ihr lassen, wie sollte sie sich gegen ihn wehren, da sie ihn liebt? Er wird sagen: gehe hierhin, und sie wird hierhin gehen; er wird sagen: warte, und sie wird warten; er wird sagen: scheiden wir uns, und sie wird einwilligen.
Ihr Herz zuckt, über ihr Gesicht strömen Tränen, aber sie setzt sich hin und schreibt, daß sie ihn freiläßt, daß sie ihn immer lieben wird, daß sie ihn nie vergessen wird, aber: es ist besser so. Sie legt ihr kleines, demütiges Herz vor ihn, sie schluchzt, und doch: nein, nein, ich will nicht!
Und als der Brief fort ist, erinnert sie sich erst: sie liebt ihn doch! Was hat sie nur getan! Mag er sagen: geh fort, sie liebt ihn doch; mag er sie unterdrücken, sie liebt ihn doch; mag er flüchtig sein, sie liebt ihn doch! Was hat sie getan! Immer in seiner Nähe sein zu dürfen, war das nicht das höchste Glück, das sie je geträumt? Wann hätte sie ein anderes erwartet? Freundinnen? Mutter? Haben die Freundinnen nicht stets ihre Dummheit verspottet, die Mutter sie geängstet? Ist er nicht der Aller-allereinzigste gewesen, der gut zu ihr war und sanft? Hat er nicht ihre Tränen fortgeküßt, ihr Haar gestreichelt? Ist er nicht immer wieder heimgekehrt zu ihr? Was hat sie getan!
Sie muß fort! Sie muß schreiben, telegrafieren! Sie muß zu ihm!
Es ist Nacht! Sie muß warten. Und ein kleiner Aberglaube regt sich in ihrem Herz: wenn er seine Freiheit annimmt, hat es so sein sollen, es wäre nicht gut gegangen. Sie wird nichts tun, den Brief zu widerrufen, sie wird warten.
Er läßt sich Zeit mit der Antwort. Und als der Brief kommt, erzählt er tausenderlei, nichts von dem, was sie erwartet. Doch, zum Schluß eine kleine Anmerkung: er hat sich an den Gedanken gewöhnt, in den nächsten Tagen zu heiraten, in der Eile ist keine andere Braut zu beschaffen, sie wollen es beim alten lassen.
Ihr Gesicht rötet sich. Ein Scherz? Hierin! Und dann begreift sie, eine Welle von Dankbarkeit stürmt in ihr hoch. Er hat ihr kleines, schwaches, zweiflerisches Herz erkannt, er hat ihr den Rückweg leicht machen wollen. Wie er sie kennt! Nicht ein Wort in dem Brief, den sie mit soviel Schmerzen geschrieben, hat er ihr geglaubt. Er geht darüber hin.
Wie gut er ist! Wie groß! Wie edel!
Sie heiraten.
Seltsam, daß Glück mit solchen Kleinigkeiten beginnt! Und könnte man sie nur als Kleinigkeiten nehmen! Ihr scheinen sie groß. Sie steht weinend eine Nacht durch auf dem Flur: er hat ihre Kleider aus seinem Schrank geworfen. »Weil wir verheiratet sind, haben wir noch keine Schrankgemeinschaft.« Und sie hat es gut gemeint, es war wirklich praktischer ... Sie lauscht: er schläft. Er kann schlafen, während sie weint! Sonst tröstete er sie.
Sie vergißt, die Türen zuzumachen. »Türen sind zum Schließen da, Thilde«, sagt er sanft. »Ich mag nicht gern von meinem Schreibtisch sehen, was in Eßzimmer und Küche geschieht.« Sie vergißt es wieder. Er mahnt. Er erinnert. Und sie will auch daran denken. Aber dann ist sie eifrig, sie möchte ihm eilig etwas sagen –. »Die Tür, Tilde«, spricht er und ist verstimmt.
Kommt es nicht soweit, daß er einen Jungen annimmt und ihn vom Morgen bis zum Abend hinter ihr marschieren läßt, türauf, türzu, und das Spiel weitertreibt, drei Tage lang, trotz Tränen, Bitten, Flehen, bis sie es »gelernt« hat?
Er scheint weich, gütig, doch plötzlich, von einer Sekunde an, ist er stahlhart. Er kann böse sein! Wenn die senkrechte Falte zwischen seinen Brauen steht, zittert sie. Was quält er sie denn mit solchen Kleinigkeiten? Sie liebt ihn doch, sie lieben sich doch, was zählt außerdem? Genügt das nicht für alles? Sie versteht ihn nicht. War er nicht einst sanft? Nun ist er so fern von ihr!
Sie ist viel krank. Was kann sie dafür, daß jedesmal die Angst über sie kommt, sie stürbe. Er hat kein Mitleid, er lacht. »Davon stirbt man nicht, min Döchting. Mach dir Umschläge.« Und er geht. Sie fiebert, sie weiß, sie muß sterben, während er fort ist. Sie ist namenlos allein, niemand denkt an sie, niemand hat Mitleid mit ihr. Sie weint. Hätte er ihr wenigstens noch die Hand gegeben zum Abschied!
Sie steht auf aus dem Bett, sie holt ihr Heiligstes, die Truhe, die er ihr einst schnitzte, gefüllt mit seinen Briefen. Schrieb er schon selten, in sieben Jahren sammelt es sich an. Sie geht die Jahre durch, die Frau beginnt immer wieder das Leben an jenem Tage, da der strahlend Junge in ihr Leben trat. Sie hat sieben Jahre verwartet auf den Hochzeitstag hin, in ihrem ersten Ehejahr beginnt sie sich zu erinnern. Sie lebt ihr Leben über Kreuz: in der Gegenwart lebt sie die Zukunft, ward die Zukunft Gegenwart, träumt sie Vergangenheit.
Sie liest die Briefe aus seiner Stadtzeit. Die Leidenschaftlichkeit dieser Zeilen rötet ihre Wangen. Dem Jüngling wirft sie den Mann vor, dem Mann verzeiht sie den Jüngling nicht.
Am Ende weint sie. Sie ist krank, elend, verlassen. Das Leben steht hinter ihr, gleich hinter dem Kopfende ihres Bettes, es ist dunkel und drohend, sie aber ist klein und wehrlos. Sie weint.
Das Kind kommt, das ein Junge werden sollte und ein Mädel ist. Aber was schadet das? Alles ist gut. Draußen ist Pfingsten, Sonne dringt in ihr Zimmer, kleine sanfte grüne Blätter flattern im Wind, die Vögel singen. Ein Geschöpf regt sich neben ihr, birgt sich in ihrer Wärme, lebt von ihr. Diese kleine Hand, die sich blind tastend um ihren Finger schließt! Ein Strom von Entzücken durchrauscht sie. Fröhliche helle Töne erklingen, kein Vogelruf kann seliger sein als der sachte Laut ihrer Lust.
Sie vergißt sich und ihn über dem Kind. Daß es dies gibt, diese Wonne, diese äußerste Seligkeit, sie hat es nie gewußt. Sie sitzt am Bett des Kindes, sie übersieht den Weg, den sie herkam bis in dies helle Zimmer, dunkle Gestalten bedrohten ihn, unbegreiflich ist sie gerettet. Sie betet. Sie dankt. Sie betet. Sie weiß nun, viele jener Drohenden hat sie selbst gerufen, sie ist klein gewesen und unselbständig, zu viel ließ sie sich von anderen helfen. Diese kleine Atmende wird zur Verpflichtung, eine Neue zu sein. Sie will ihr einen helleren Weg weisen, den schlichteren, nicht umsonst will sie gelitten haben, dieser hier soll es besser gehen.
Ihr Mann tritt ein, auch er verändert. Sie grüßen sich über dem Bett. Aus den Liebenden scheinen Kameraden geworden, ein Bund ist geschlossen zum Besten dieses neuen Menschen. Denn auch er liebt das Kind, beinahe regt sich ein wenig Neid in ihr, als sie sieht, wie sehr er es liebt. Es ist sein Kind. Es hat die schlanken langen Glieder des Vaters, seine dunklen Brauen, das helle tiefe Blau seiner Augen.
Er steht da und betrachtet es, er nimmt es in seine Hände, und diese großen schönen Hände sind geschickt, sanft und still. Als es krank wird, jagt er alle von seinem Bett, selbst die Mutter, er sitzt in den Nächten dabei, er pflegt es, sie steht draußen auf dem Gang, selig und böse, liebend und voll Zorn. Da es gesund ist, gibt er es in ihre Arme zurück.
Sollte man denken, daß dieses Glückskind der Anlaß zum ersten bösen Streit werden könnte? Ihre Ehe war nicht gut gewesen und nicht schlecht, sie war eben hingegangen mit kleinen Häkeleien, Tränen, Zweifeln, Versöhnungen. Nun trennen sich ihre Wege, hier steht sie, dort er. Liebende? Das war einmal. Kameraden? Ein Irrtum. Feinde ... du dort, ich hier, wer siegt? Sie siegt dieses Mal, aber, da ihre Feigheit siegt, gilt der Sieg nichts, wird Grund zu mancher Niederlage.
Wann soll man das Kind taufen? Es wird Zeit, schon reden die Leute.
Man soll es überhaupt nicht taufen, ein fröhliches Heidenkind soll es werden, keines dieser demütigen Christenkinder.
Das ist unmöglich?
Es ist selbstverständlich, dies ist sein Kind, und auch er hofft, kein Christ zu sein. Alle Kinder, die kommen, sollen ihr gehören, dies ist sein Kind und bleibt's.
Sie will streiten, aber er sagt noch einmal: »Nein«, und nun sagt er nichts mehr. Oh, er ist ein Klotz, er ist ein Fels, sie kann ihn nicht fortschieben. Sie weint und sie fleht zu Gott, sie hat gelobt, dies Kind soll den schlichten Weg gehen, und er will es verhindern? »Es ist unmöglich«, flüstert sie, aber bei dem Gedanken an offenen Widerstand zittert sie. Sie kann nicht. Er hat nein gesagt, und wenn sie hundertmal Ja schreit, es wird beim Nein bleiben. Aber da ist Gott. Gott wartet. Was soll sie tun?
Er verreist auf ein paar Tage, einen Freund zu besuchen. Da geschieht es. Er kommt zurück, er bringt den Freund als Gast mit. Doch die erste Stunde, in der sie allein sind, gesteht sie: »Ich habe es getan, Fritz. Ich habe das Kind taufen lassen.«
»Was hast du getan?« fragt er.
»Das Kind ist getauft«, sagt sie, und ihre Stimme zittert.
Er spricht nichts, er steht dort, ohne Regung. Es dämmert im Zimmer, doch sieht sie, wie bleich er ist. Er macht einen Schritt, auf sie zu. Sie hebt die Hände: wird er schlagen? Er geht an ihr vorbei, sieht sie nicht, er geht auf und ab, ganz langsam. Er denkt wohl nach. Er ist bei der Tür, er faßt die Klinke, langsam geht er hinaus. Er schließt die Tür. Er ist fort. Aufatmen. Er hat kein Wort gesagt.
Und in die ungeheure Stille stürzt ihr lärmend das Bewußtsein dessen, was sie getan. Diese Wortlosigkeit schlägt alle Waffen nieder, ihr Hohn ist vorbei und ihr Zorn verflogen. Sie fällt hin vor einem Stuhl, plötzlich ist sie wieder da, die alte große Liebe tobt in ihrem Herz, Schmerzen über Schmerzen!
Hätte ich gewußt, du nimmst es so schwer, ich hätte es nie getan! Verzeihe mir. Sei wieder gut! Ich will immer tun, was du sagst. Nie wieder!
Der Wind geht, ein Fenster klappert. Sie geht mechanisch hin, schließt es, sieht sich in ihrem Schlafzimmer um. Er ist nicht da, er ist fortgegangen, sie wird auf ihn warten. Sie geht in sein Arbeitszimmer zurück, hockt im Dunkeln. Ein Schluchzen schüttelt sie immer von neuem, immer von neuem verspricht sie: Ich will es nicht wieder tun. Sei wieder gut.
Die Nacht verweht, wird langsam hell, sie steht auf von ihrem Sessel, sie friert. Er ist nicht gekommen.
Doch vielleicht kam er so leise, daß sie nichts hörte? Sie schleicht wieder ins Schlafzimmer. Nein, er ist nicht da, aber etwas anderes sieht sie: sein Bettzeug ist fort. Sie versteht nicht. Und muß es von den Mädchen hören, daß er beim Freund oben schlief.
Er hat ihr diese Schmach angetan. Im ganzen Dorf wird man über sie lachen. Vor niemand kann sie sich mehr sehen lassen. Er ist schlecht, er ist gemein, sie hat es immer gewußt. Er will strafen! Recht ihm, wenn er leidet! Er leidet nicht genug, mehr noch muß er leiden, er leidet lange nicht soviel wie sie.
Und als sie sich auf ihr Bett wirft und mit Schreien und Schluchzen ihrem gepeinigten Herzen Luft macht, denkt sie: Ich tat gut, daß ich Meta taufen ließ! Mehr noch muß er leiden.
Er kam nicht zu ihr, als sie weinte. Er fragte den Arzt nicht nach ihrem Ergehen. Er sitzt am Tisch und spricht mit Werner, dem Freund. Wie unglückselig, daß dieser Freund gerade jetzt kam! Wären sie allein, ein oder das andere Wort würde gewechselt werden müssen, eine Anordnung wäre zu geben, Anfänge, auf die ein sachtes Darüberhinstreichen, Vergessen folgen würde.
Nun sitzen die beiden Männer am Tisch, sie reden von Büchern, vom Theater, von Frauen, von Landwirtschaft, wie es kommt, aber sie lassen nicht eine Lücke für sie. Sie beginnt, diesen Freund zu hassen, der ihr den Mann fortnimmt. Sie hätte ihn längst wieder, wäre der nicht. Sie haßt seine Gesten, und da sie auf seine Worte zu horchen beginnt, haßt sie auch die. Aus den Andeutungen, halben Sätzen, Schlagworten folgert sie: auch jener glaubt nicht, auch jener zweifelt, auch jener verachtet Frauen.
Sie haßt die Höflichkeit, mit der er sich an sie wendet, ihres Mannes Schweigen ist ihr lieber. Doch vor allem haßt sie ihn, weil er ihren Mann noch fremder macht. Stand bisher Fritz nicht allein mit jeder seiner Ansichten? Das ganze Dorf glaubte, was sie glaubte, hielt für recht, was sie für recht hielt. Behauptete jener nicht plötzlich, kein Mensch wisse, was gut und schlecht sei? Sie wußte es: er war's. Er, dieser Freund, dieser Schmeichlerische, Glatte, Fragwürdige, der sie im Garten traf und eine Viertelstunde mit ihr redete, lächelnd, höflich, und jedes Wort sagte: Welch dumme Frau! Was für eine Gans! –: er war schlecht!
Kaum war die Mahlzeit vorbei, so sprangen die beiden auf und gingen fort. Thilde sah sie wegreiten, ein Wagen rollte, sie waren fort. Vielleicht kamen sie am Abend wieder, vielleicht in der Nacht. Thilde wußte nie, was sie trieben, sie saß beim Kind, sie flüsterte: »Du bleibst mir.« Sie preßte es an ihr Gesicht und dachte an jenen, der draußen war und der nicht wiederkommen wollte.
Das Gerücht erreicht sie: ihr Mann treibe es schlimm. Da sind junge Mädchen im Dorf, vier, fünf Stück, mit ihnen sei er stets unterwegs. Es solle zwar der Freund sein, aber der Freund sei es nicht. Immerzu seien Tanzlustbarkeiten, Feste, Segelfahrten des Nachts, Johannisfeuer – sie möge die Augen auftun.
Sie will es nicht glauben: auch das noch? Nein. Doch sie erinnert sich, daß ihr Mann eitler in der Kleidung geworden ist, er rasiert sich jeden Tag, nie sind ihm seine Stiefel blank genug. Sie hat gemeint, dies sei Einfluß des Freundes, sie hätte klüger sein sollen, sie hätte wissen müssen, daß eine Frau dahintersteckt.
Aber welche? Sie möchte ihm nachschleichen, ihn bespähen, sie kann es nicht, sie erwartet wieder ein Kind. Und sie gewöhnt sich daran, umherzuhorchen, sie sitzt in den Bauernhäusern, sie sitzt beim Pastor, sie tastet, sie fragt. Jedes Wort ist Gift, Andeutung wird Gewißheit, Mutmaßung sicherer Verrat. Sie träumt davon, daß er zu einer andern gut ist, und sie erwacht mit einem Schrei. Er sitzt neben ihr bei Tisch, er spricht mit dem Freund. Die beide wissen's! Sie horcht nur auf Anspielungen, und ihr flatterndes Herz haßt seine fröhlichere Laune, seine freiere Stirn, sein Lachen. Er ist glücklich, und sie soll leiden? Er ist glücklich, und das Glück kommt nicht von ihr?
Diese Nächte, in denen sie sitzt und horcht, bis die Schritte, die Flüsterworte der Heimkehrenden auf der Treppe verhallen! Sie möchte demütig sein, sich ihm zu Füßen legen: Nimm mich. Sei wie einst!, und der Haß auf die andere, die sie nicht kennt, verzerrt sie, macht sie böse, wild, schlecht. Hier ist sie, klein und wehrlos, wie spielt man ihr mit! Sie ist die letzte und niedrigste, nur ein wehrloser Hase, und sie achten das Bluten ihres Herzens für nichts? Sie sitzen bei ihr, lustig lachend, und bestehlen und verraten sie –?
Sie haben ihn verführt. Dieser Freund ist es, der ihn zuerst fortnahm, nie wäre Fritz ohne Werner so böse geworden. Sie hat seine schlimmen Reden gleich erkannt, mit ihnen hat er den Mann schlecht gemacht. Und dann dieses Weib, das nicht daran denkt, daß sie zu Haus sitzt mit einem Kinde und wieder schwanger, das sich nicht schämt, mit ihm herumzutollen, zu lachen, zu küssen, während sie weint, weint, weint ...
Hat sie keine Waffen? Keine. Sie muß sich bestehlen lassen und stille sein.
Und dann sieht sie dieses andere Mädchen, die Dunkelhaarige, Junge, die Schöne, die noch keine Kinder gehabt, die nicht sieben Jahre auf ihn gewartet. Sie fängt einen Blick auf, und was die andern alle noch nicht erraten, sie weiß es. Grade die Schlechteste von allen, die Gemeinste, die oft hätte heiraten können und es nicht tat – aus Liederlichkeit! –, die alle Männer an der Nase herumführt, grade die! Jede andere wäre ihm zu verzeihen gewesen, diese nicht! Was soll sie nur tun? Ihr bleibt das Beobachten, das kleine Spähen.
Und das Weinen.
Manchmal hofft sie. Vielleicht ist alles nicht wahr, sie ist krank, er ist nie schlecht gewesen, er ist es auch jetzt nicht. Sie bildet sich Dinge ein, sie hat den Leuten geglaubt, die immer lügen. Ist er nicht ihr guter, stolzer, schöner Mann? Sie leistet stumm Abbitte, sie liest die Briefe wieder und wieder, das alles kann nicht gelogen sein, es sollte nur ein karges Jahr gehalten haben? Unmöglich.
Und sie hört ein neues Gerücht. Ihr Mann hat ein Gut gekauft? Auch das kann nicht sein, er hätte sie wenigstens gefragt. Er täte so etwas ohne sie?
Doch das Gerücht bleibt hartnäckig, man nennt Namen, nennt den Preis. Dies ist ein Prüfstein, tat er es heimlich, um sich dort mit der andern zu verbergen vor ihr? Sie nimmt alle Kraft zusammen, sie wagt es, sie fragt ihn: »Du hast Warder gekauft?«
Sofort die Falte auf seiner Stirn, ein Zögern, und dann: »Ja.«
»Aber wir sind doch hier ... Sollen wir dort –?«
Er wendet sich an den Freund: »Segeln wir heute Nachmittag?«
Und sie, völlig tollkühn: »Ach ja, laß uns segeln!«
Er wendet sich ihr zu, sieht sie an. Die eisige Kälte seines Blickes macht sie frieren: »Du –? Ich werde Tredup Bescheid sagen, daß er dir das Boot zurechtmacht.«
Die äußerste Gewißheit soll ihr werden: sie erlebt das unglaubhafte Abenteuer, daß in der tiefen Dämmerung eine hochgewachsene Frau ihren Weg kreuzt, eine Dame mit Hut und Schleier, die an ihr vorübereilt. Sie kennt diesen Gang, sie bleibt stehen. Ihre Knie zittern, die Hände schlagen zusammen, das Herz klopft unsinnig.
Sie wartet, und dann geht sie bis an das Fenster der anderen, sie stellt sich in den Mauerschatten, sie späht. Es bleibt dunkel, dann und wann schlägt die Dorfuhr, im Stall rasselt eine Kette, der Wind rührt sich in den Bäumen. Hier steht sie und wartet. Sie will wissen, sie wird wissen. Sie wird seine und ihre Schande durch das Dorf schreien, sie wird sich nichts ersparen, sie wird sagen, was sie gelitten, und die Menschen werden zusammenstürzen und alle, alle werden ihr helfen.
Daß solches geschehen könne, sagte man ihr nie, als sie jung war. Der Pastor hat nichts davon gewußt, niemand hat sie gewarnt. Sie ist bestohlen, sie ist verraten, aber sie wird sich rächen. Sie wird sterben im Kindbett wie soll das anders sein, wie kann aus einem Kinde etwas werden, dessen Mutter so litt? Dann, wenn es zu spät ist, wird er seine Sünde einsehen, aber noch mit den letzten Worten, in ihrem Abschiedsbriefe wird sie es ihm sagen, daß die andere eine Mörderin ist.
Sie steht, und der Wind rauscht. Eine Uhr schlägt. Ein Mädchen streicht an ihr vorüber, allein. Licht flammt auf hinter den Scheiben und erlischt über kurzem. Nichts ist geschehen, er kam nicht mit. Müde geht sie nach Haus.
Von der andern Seite kommen die beiden Männer, lachend, plaudernd. Da wallt es in ihr, die aus solcher Leidensstunde kommt, auf, sie empört sich. Nun wird sie ihn beschämen, nun wird sie ihn demütigen, nun wird sie ihn klein vor sich sehen.
Sie sagt zu Werner: »Bitte, ich habe mit meinem Mann zu reden.« Und zu ihm: »Ich habe dich heute Nacht gesehen, wenn ich dich auch nicht sehen sollte –«
»Und –?«
»Dieser Hut und dieser Schleier mögen andere täuschen, ich habe dich erkannt, dir hilft kein Leugnen!«
»Und –?«
»Du hast mich betrogen! Du belügst mich! Elend bin ich durch dich ...« Sie stürzt alles vor ihn, sie tobt, schließlich wird sie sanft: »Sei wieder gut, Fritz! Wir lieben uns doch!«
Er sagt: »Übrigens, da wir grade miteinander sprechen, ich verreise für länger. Die Stellung hier habe ich aufgegeben. Du kannst nach Warderhof umziehn, wenn du magst.«
Sie fleht: »Fritz!« Und demütig: »Ich erwarte ein Kind!«
Und er kalt, nicht zu rühren: »Es ist deines. Und bleibt deines. Du magst es taufen lassen.«
Er ist fort, sein Freund ist fort, das Haus steht leer. Nun kommen die Leute und bedauern sie und schwätzen. Und sie läßt sich bedauern, sie erzählt ihr Elend, sie fragt, ob sie nicht recht hat und er unrecht? Sie geben ihr recht. Sündhaft ist es, sie so sitzenzulassen, in diesem Zustand, und in die Welt zu fahren! Wie kann man so lange und so tief hassen? Gewiß, sie taufte Meta gegen seinen Willen, aber wieviel Zeit verging seitdem!
Sie sitzt die langen Tage in der hintersten Ecke des Gartens, ihr Kind schläft im Wagen, sie horcht in sich. Sie fühlt die dunkle Drohung des Lebens stärker als je, sie zittert vor ihm. Und kleine Regungen rühren sich in ihrer Seele, es ist nicht Feuer, es ist nicht Rauch, wie ein dünner Nebel wogt es, sie versteht es nicht, aber was versteht sie? Sie weiß allein: sie muß etwas opfern, sie bezaubert sich selbst, sie zaubert sich frei.
Sie holt alle Schmucksachen zusammen, die Fritz ihr schenkte, sie geht an den Teich, sie läßt sie hineingleiten. Nur den Trauring behält sie. So. Sie hat dem Schicksal ein Opfer gebracht, sie hat sich frei gezaubert. Alles wird noch einmal abgewendet, alles wird wieder gut.
Denn nun verläßt die Feindin, die Dunkle, den Ort. Sie hat sich nicht halten können, niemand vermochte ihr etwas zu beweisen, aber das Gerede der Frau gegen sie ist zu stark geworden: man hat ihr gekündigt. Als der Wagen an Thilde vorbeifährt, stutzt sie vor dem Auge der Schönen und besinnt sich. Was eigentlich weiß sie? Einen Blick hat sie aufgefangen, nichts sonst. Ihr Mann in Verkleidung, aber jede andere konnte es sein, zu der er schlich. Ja, gar keine Mädchengeliebte brauchte es zu sein, wie oft haben sie Maskerade gespielt im Pensionat?
Sie steht auf und läßt anspannen. Sie fährt nach. Sie will wissen. Sie muß wissen. Sie wird hören. In der andern Auge wird sie's sehen.
Und kommt zurück und weiß: dieser geschah unerhört Unrecht. »Ich war es nicht«, hat sie gesprochen und gelächelt. Trübe gelächelt. Und die Ungewißheit beginnt von neuem und das Zweifeln, die Vorwürfe, das Hoffen, das Warten: alle Qual.
Er schreibt. Es sind nur ein paar Zeilen, eine Weisung, wo sie Geld bekommt, ein Gruß. Und siehe, schon ist das Glück wieder da, er wird sanft, er ist gut. In der Ferne erinnert er sich ihrer und sehnt sich nach ihr, die schlimmen Stunden sind vergessen. Er kehrt zurück, sie hat sich frei gezaubert. Sie hat Opfer gebracht, aber nun steckt ein heller gewordenes Leben ihr die Hand zu, und Friede wird sein.
Sie schreibt ihm wieder, nichts von sich, doch von ihrem Kind. Sie liebt ihn, aber da sie jetzt die Liebende nicht sein darf, wird sie die Kameradin sein. Meta hat dies getan, Meta hat das gefragt, Meta hat den Vater nicht vergessen. Und seine Grüße wiederholen sich, er sitzt irgendwo im Süden, er genießt einen stillen, sonnigen Herbst. Er wird wiederkommen, und alles wird gut sein.
Was flüstern die Leute? Er sei gar nicht dort, von wo er ihr schreibt? Der Freund sende die Grüße an sie ab, Fritz aber sei mit der andern zusammen, der Schwarzen?
Dies glaubt sie nicht. Er ist zu stolz zu betrügen, sie kennt ihn doch wohl besser als die andern, die nie ihrem Herzen Ruhe gönnen wollen. Aber in den Nächten rührt sich der Zweifel, und in mancher verlassenen Stunde weiß sie, daß es Wahrheit ist. Warum schriebe er sonst nach solchem Abschied? Nur, sie zu täuschen.
Sie wird krank, ihre Stunde naht, sie ist krank. Da läßt sie ihm telegrafieren. Er muß kommen, sie liegt im Sterben. Schweigen. Stille. Warten. Nichts. Das Kind wird geboren, und dies ist ihr Kind, dieses Mädchen, er hat recht behalten, sie sieht es gleich. Sie liebt es, es liegt an ihrer Seite, aber – warum kommt er nicht? Kann er seine Frau in solcher Not allein lassen? Ist er gar nicht dort, wohin sie die Botschaft gesandt?
Schon ist sie wieder auf, da kommt ein kurzes Wort, er konnte nicht reisen, er war selbst krank.
Lüge, Lüge! denkt sie voll Haß. Während ich hier elend lag, war er mit der andern zusammen und betrog mich! Sie schreibt ihm wieder: »Mein Kind heißt Mathilde und ist getauft wie deines auch.«
Und hält wieder inne und mißt den Weg, den sie kam, und stammelt: »Aber ich liebe ihn doch! Wie geriet ich hierher?«
Es ist Winter. Kahl liegt, von Stürmen umsaust, Warderhof. Das Haus klein, verkrochen unter seinem Strohdach, die Stube niedrig, die Wege unergründlich.
Trübe Tage! Endlose Tage! Wortlos sitzt der Herr des Hauses in seinem Zimmer, spricht nicht, tut nichts. Er ist heimgekehrt, aber fast erschrak Thilde vor solch bleicher Strenge des Gesichtes, das alt geworden ist, zerfurcht von Falten, die ein Kummer zog, an dem sie nicht teilhatte. Er sitzt und schweigt. Keine Menschen kommen, es ist still, das Leben versickert. Nichts zu tun? Wirklich! Nichts zu tun!
Eine Tür geht auf, ein Kind stolpert ins Zimmer, Meta spielt bei dem Vater. Er schaut zu, er erzählt Geschichten, er zeigt Bilder, er lacht. Und Meta geht wieder zur Mutter, der Vater bleibt allein. Und –? Was noch? Auch diese kleine Blühende wird aufwachsen und den Hunden ausgeliefert sein und unrein werden.
Ende! Alles zu Ende!
Thilde wirtschaftet im Haus, Knechte sind da, Mägde, sie hat für vieles zu sorgen, sie hat zu tun. Beinahe faßt sie Mitleid mit jenem, der dort hockt, dunkel, über sich gebeugt, auch er geschlagen. Sie möchte lind sein, doch dann kommt das Erinnern an die andere, er trauert um jene Dunkle und läßt seine Frau im Haus herumgehen wie eine Dienerin. Er weiß nichts von ihr.
Doch je länger je mehr wächst ihre Herzweichheit, aus dem Mitleid blüht die alte Liebe wieder auf und – könnte er nicht trauern um diese Trübheit, dies Zu-Ende-Sein aller stürmenden Hoffnungen, dieses Altwerden? Was weiß sie schließlich?
Nichts. Und nimmt ihren Mut zusammen und spricht ihn an, fragt ihn um einen Rat. Er zaudert und gibt ihn, geht selbst mit in den Garten und zeigt, was schon jetzt umzugraben ist, sagt, welcher Dünger gestreut werden kann.
Alles ist beredet, er steht zögernd, wendet sich zum Gehen. Seltsam, der große Mann ist wie verlegen. »Mach das dann so. Ich gehe jetzt.«
»Darf ich wohl mit?«
»Nur zu den Kartoffelmieten. Sie haben da gestohlen, heute nacht. Selbstverständlich, wenn du willst.«
Sie gehen nebeneinander, wieder einmal gehen sie nebeneinander. Die Hunde laufen um sie herum und freuen sich. Thilde bedauert, daß Meta noch nicht groß genug ist, mitzukommen. »Aber sie wächst schnell, sie hat deine Figur.«
Er schweigt, er raucht. Dann ab und zu ein Wort. Es renkt sich ein, stiller Friede ist geschlossen, ohne Aufhebens. Nur kein Wort zuviel, keine Beflissenheit. Aber alle Lautheit vermieden, nur die Gerichte gekocht, die er mag, und endlich das Stubenmädchen entlassen, das er nicht ausstehen kann.
Gut, kleine Opfer, Entgegenkommen, leichtes Geschwätz. Sie wagt es sogar, seine Stube zu betreten, sie huscht hinter Meta hinein und fragt, ob dieses Kleid für das Kind so oder so gemacht werden soll. Er nötigt sie, Platz zu nehmen, er ist höflich. Er gibt ihr seinen Rat, und sie befolgt ihn, obwohl sie das Kleid so scheußlich findet.
Das nächste Mal kommt sie mit Thildchen auf dem Arm, doch das war zuviel gewagt. Als sie ihn fragt, ob er das Kind nicht süß findet, sagt er kurz: »So? Es sieht lackiert aus.«
Dies ist einfach roh, die Kleine hat wohl eine lebhafte Hautfarbe, aber ... Sie muß fortgehen und weinen.
Doch das zieht sich zurecht, es vergißt sich. Sie kommen soweit, daß sie gemeinsam Besuche in der Gegend machen, bei den Besitzern, bei Arzt und Apotheker, beim Richter. Nur zum Pastor läßt er sie allein fahren. »Da habe ich nichts zu suchen. Fahr du nur alleine!«
Jetzt kommt Leben in das Haus, Gäste. Abends wird von den Männern Boston gespielt und Punsch getrunken, die Frauen sitzen zusammen und reden über die Wirtschaft. Er entdeckt einen alten Schulfreund, der mit einem Mädchen seiner Heimat verheiratet ist. Nun kommt auch das Reitpferd in Bewegung, bald ist er auf der Blomenburg, bald kommen die Blomenburger nach Warderhof. Thilde ist des neuen Lebens froh, obwohl sie die Frau nicht mag. Irma reitet im Herrensattel, was unmöglich ist. Thilde reitet gar nicht. Sie sieht ihnen neidlos nach, wenn sie abreiten, am besten sitzt Fritz zu Pferde.
Sie hat viel zu tun, die plötzlichen Überfälle durch einen Haufen Menschen, die sich einfach einladen, die großen Gastereien machen der Hausfrau viel zu tun. Oft ist alles ein Wirrwarr, die Gäste stürzen selbst in Küche und Keller, geheimnisvolle Mischungen kochen über dem Feuer, der Wein- und Schnapsverbrauch ist hoch. Plötzlich taucht eines Abends die Idee auf, man müsse tanzen, die Zimmer sind zu klein, da läßt Fritz die Knechte wecken und die Wand zwischen zwei Stuben herausschlagen. Tollheit, Gelächter, Übermut! Die Herren schleppen jubelnd in Körben den Bauschutt aus den Zimmern, fegen in jeden Winkel, schleppen Bilder und Möbel, albern mit den Dienstmädchen. Eine Ziehharmonika beginnt einen Walzer, alles wirbelt dahin.
Das Leben scheint gut, und doch geht es nicht vorwärts mit den beiden. Er spricht zu ihr, doch so kühl, sie begreift, daß er überhaupt nicht an sie denkt, daß sie ihm völlig gleichgültig geworden ist. Wieder kommen die trüben Stimmungen über sie, sie hockt in ihrem Zimmer, die Kinder spielen und lärmen, aber: Gäbe er mir nur einmal ein wirklich gutes Wort! Schlänge er einmal den Arm um mich! Mit allen lacht er, kann er scherzen, die ganze Gesellschaft unterhält er allein, zu mir bleibt er kalt. Ich bin ihm eine Haushälterin, die seine Wirtschaft in Stand hält, stürbe ich, engagierte er jemand anders und dächte nicht mehr an mich.
Da erhält sie jene Nachricht, die ihr die schlimmste scheint: der Freund kommt wieder. Werner hat sich angesagt. Sie muß sich bezwingen, kein böses Wort zu sagen. Sie muß ganz stille sein und fragt doch: »Wo soll er schlafen? Wir haben so wenig Raum.«
»Wie immer, in meinem Zimmer. Oder paßt dir das nicht?«
»Doch, doch! Ich frage ja nur.«
»Albernes Geschwätz!«
Und der Freund kommt, und es wird nicht schlechter, es wird besser. Auch dem Freund scheint es draußen nicht gut ergangen, er macht einen kümmerlichen, kranken Eindruck. Kaum spricht er noch, der Glanz ist von seinen Worten abgestreift, er ist still. Sie sitzen des Abends alle drei zusammen, und Werner liest etwas vor, oder die beiden Männer spielen Schach oder sie erzählen nur von ihren Reisen.
Vor den Fenstern liegt Schnee, draußen stürmt es, ist kalt, dreie in der Havarie hocken zusammen. Manchmal freilich funkelt es auf bei ihnen, die Laune kommt und reißt sie mit sich. Dann tänzeln die Männer vor der Frau und brüsten sich, alte Geschichten werden erzählt, und ein Taumelduft steigt aus diesen kleinen unbedeutenden Liebschaften auf. Sie lächeln, und ihr Lächeln ist Erinnern, die vertrockneten Blumen bekommen Saft, Farbe und Duft, Gelächter ertönen, und die Nächte werden endlos wie das Leben. Grau vergoldet sich, holde Täuschungen erstehen neu, jedes Grün ist eine fröhliche Flagge, jedes Wort wird ein Gruß.
Auch die Wangen der Frau röten sich, ihre Augen glänzen: dort ging der Weg, Heckenrosen, Schneeball, Flieder und Jasmin warfst du auf mich, der Fluß war blaue Seide und der Himmel war blaue Seide, sachte und demütig sickerte der Sand der Wagenspur, und du bargst dein Gesicht in meinen Händen.
»Thilde!«
»Fritz!«
Sie fährt auf. Andere sind dazwischen gekommen, soviel Leben alt und enttäuscht zu machen. Eine andere vor allen. Und sie wagt es und stößt vor und fragt: »Soviel Geschichten erzählt ihr, aber die eine, von der Dunklen, Schwarzen, höre ich nie. Wie wäre es, Fritz? Es ist ja schon so lange her!«
Nichts. Plötzlich wissen alle, die Uhr ist schon drei, und morgen Treibjagd. In den Zimmern hängt der kalt gewordene Rauch. Trotz des heißen Ofens ist es fröstelig.
»Gehen wir schlafen«, sagt Fritz.
Die Männer sind fortgefahren in die Kreisstadt, Thilde ist allein zu Haus. Sie geht in das Schlafzimmer der beiden Freunde hinauf, sie will dort einmal nach dem Rechten sehen. Wild liegt alles herum, aber daran darf sie nichts ändern, ihr Mann liebt seine Unordnung, die er seine Ordnung nennt.
Aber vielleicht ist es das gar nicht, warum sie heraufkam, sie rüttelt an den Schiebladen: abgeschlossen. Der große Koffer Werners: abgeschlossen. Plötzlich hält sie Schlüssel in der Hand, probiert, der Koffer klappt auf.
Wie vorsichtig sie ist! Sie rührt zuerst nichts an, sie prägt sich genau ein, wie alles liegt. Dann erst nimmt sie es heraus, Stück für Stück, sie durchblättert die Bücher, sie sucht. Eine schwarze Ledertasche, Briefe, die Handschrift ihres Mannes. Da! So ...
Sie sitzt und liest. Ihre Wangen brennen. Sie hat es immer gewußt: alle haben sie betrogen, der Mann, der Freund und selbst jene Schwarze, die so sanft sprach: »Ich war es nicht!« Alle spielten sie mit ihrem Herzen, haben es getreten und verachtet. Aber sie wird sich rächen. Hier sind die Mittel. Langsam aber, nur Zeit lassen. Wenn er merkte, daß sie bei diesen Sachen gewesen, Spionin, Einbrecherin, er schlägt sie tot. Zeit lassen, einen Weg finden und, glaubt er sich ganz sicher, hervortreten mit der ganzen Macht! Dann ihn niederdrücken, dann ihn demütigen!
Sie geht einher mit diesem Wissen und lächelt. Sie ist aufgeregt lustig, und ihre Abende sind voll Gelächter. Sie neckt sich mit dem Freund und ist die erste, Wein aus dem Keller zu holen, einen Punsch zu brauen, sich und ihn zu vergessen.
Nur, daß dann immer die dunkle Nacht oben in ihrem Zimmer steht. Die Kinder schlafen und können ihr nichts helfen. Sie steht allein und sieht auf den Schnee hinaus, sie weint nicht, aber innen ist sie eisig und glühend. Ihre Liebe ist tot, weiß sie, sie sah ihn in den Armen der anderen liegen, gute Worte, die ihr gehörten, hat er jener gesagt, es ist vorbei: nein, sie liebt ihn nicht mehr, sie haßt ihn. Sie wartet nur noch auf die Stunde, in der sie sich wird rächen können. Sie wird ihm seine Schuld entgegenschreien, und er wird am Boden liegen. Sie wird ihn nicht aufheben, sie wird weitergehen ohne Mitleid, wie auch er nie Mitleid mit ihr gehabt. Keine Scheidung, nein. Daß er frei werde für die Dunkle, für irgendeine andere, nein. Sondern immer die Feindin neben sich und gefesselt sein und das ganze Leben die Kette tragen, weil er sie verriet, so gemein verriet!
Und tags geht sie umher und lächelt. Sie ist angriffslustig geworden, sie fürchtet ihn nicht mehr, sie schlägt zu. Da ist die Weinlaune, sieh doch, wie mutig Thilde ist: »Warum rasiert sich jetzt Fritz nur zweimal die Woche? Seine Stiefel sind eigentlich nicht recht blank, wie –? Kommt es nicht mehr darauf an?«
Und freut sich über die Blicke der beiden und ärgert sich über ihr geheimes Lächeln, da sie doch alles weiß! Die glauben sie dumm. Und plötzlich, im Augenblick vorher wußte sie noch nicht, daß sie es sagen würde: »Wie war es eigentlich im Rheinischen Hof, Fritz –?«
»Rheinischen Hof–?«
»Rheinischen Hof –?« höhnt sie. »Sechsundsechzig und siebenundsechzig. Siebenundsechzig wohnte natürlich Werner!«
»Tat er auch«, sagt der frech.
Plötzlich war ihr Rausch verflogen, sie stand bleich da, zitternd. »Tat er auch, Sie, Sie Kuppler!« Und schlägt ihm ins Gesicht.
Dann ist sie draußen. Und nun am Fenster das Rachegefühl, das tiefe Atmen, die Seligkeit: er weiß es! Nun schmerzt es ihn.
»Diese Bestie!« spricht Fritz unten. »Rein wie eine Bestie! Wo sie es nur her weiß?«
»Ich werde es schon rausbekommen. Ich revanchiere mich«, antwortet Werner.
Über die Felder zieht die Drillmaschine, die Wintersaaten sind tiefgrün, auf allen Schlägen pflügen, walzen oder eggen die Gespanne. Vorbei die langen Schwatzabende, vorbei das finstere Hocken in dunklen Stuben. Das Leben regt sich. Wie der Wind wärmer summt, summt das Blut.
Fritz ist den ganzen Tag draußen, bei den Leuten, bei den Gespannen. Er kommt fröhlich heim, er geht früh ins Bett. Er denkt wohl kaum an die beiden andern, selten, daß er abends noch eine Partie Schach spielt.
Nun gehen sie allein, der Freund und die Frau. Wie stehen sie eigentlich miteinander? Er war vielleicht einmal ihr Feind, sie schlug ihn sogar einst ins Gesicht, aber das ist vergessen. Es ist in der Weinlaune geschehen, eine rasche Tat, an die man nicht unnötig zurückdenkt. Nun sind sie zwei Menschen, die aufeinander angewiesen sind. Wollen sie jemand zum Gespräch haben, so müssen sie's miteinander tun, und Gemeinsames findet sich schließlich.
Da ist Fritz, und von ihm kann man lange sprechen. Es erweist sich, daß auch der Freund sich nicht so sicher fühlt, wie sie glaubte, auch er fürchtet den Mann. Der ist rücksichtslos, das wissen beide, und ob er roh sein kann oder schlecht, darüber läßt sich lange disputieren. Auch Werner hat seine Erfahrungen gemacht, auch er ist geduckt worden, hat auf etwas, das ihm lieb war, die böse Antwort hören müssen: »Blödes Geschwätz!«
Da halten sie inne und sehen sich an, wie ertappt. Sie bespähen, sie mißtrauen einander. Ob sie sich nicht zu weit vorwagten! Wenn eines das andere an Fritz verriete! Und sie beeilen sich und rühmen seine Güte und die Großmut seiner Art. Oft sei er übellaunig, aber er habe auch oft recht, übellaunig zu sein!
Und der Freund läßt mit sich reden, in mancher Stunde wird er eifriger, er hält ihre Hand, drückt sie. Und Thilde läßt sie ihm, sie horcht, was er von der Schwarzen erzählt. Auch hier Vorbehalt, auch hier nichts Festes. Er verrät, aber er verrät nur ein kleines bißchen, er läßt sich nicht festnageln.
Die zwei Zimmer, o gewiß, aber es waren eben zwei Zimmer und nicht eines, da liegt es. Man kann nicht wissen, wer sollte da Bestimmtes sagen? Wenn es geschah, sie werden keinen dazu eingeladen haben, auch ihn nicht, nicht wahr? Möglich ist alles, aber seinem Charakter nach ist es eigentlich unmöglich. Er ist nicht sehr sinnlich, sie muß es am besten wissen, wie? Und die Briefe damals, die Karten, die er einstecken ließ durch den Freund? Nein, um die Frau zu täuschen geschah das nicht, das lag nur bei Wege her, aber das Dorf durfte nichts wissen, dieses Dorf, das wie eine Koppel Hunde hinter dem Mädchen lag!
Waffenbrüderschaft, Verbündete einer kurzen Stunde gegen den Mann, der diese beiden wohl verstieß. Komplott der Dienstbotenseelen, Hintertreppengerüchte mit fünfundsiebzig Prozent Faselei. Dieser Freund war nicht auszukennen, jedenfalls mußte ihm mißtraut werden. Rache –? Vielleicht wog jene Ohrfeige nicht so schwer, möglicherweise war er schon öfter geschlagen worden und hatte es einstecken müssen. Wer an fremden Tischen ißt, lernt manches.
Aber ganz vielleicht betrieb dieser Freund sein allereigenstes Privatplänchen. Da war diese Ehe und diese Ehe war schlecht, ein Topf mit vielen Sprüngen, notdürftig gekittet. Aber man brauchte wohl nur zu stoßen, und er fiel auseinander. Die Frau würde nie seine Freundin sein und drückte sie ihm auch noch so warm die Hand, er nahm es für das, was es war: Frühling, Blutrausch, Reaktion auf Abstinenz. Also vom Manne ließ sich wohl noch etwas holen, Werner wußte, daß keiner es auf die Dauer ganz allein aushält. Jemand muß da sein, zu dem zu sprechen ist, und als Zuhörer, als Zwischenrufer, als Stichwortbringer war er unübertrefflich. Wenn er diese Ehe auseinanderbrach, die Frau vertrieb, wer blieb als er?
Er war so sachte und leis, dieser Werner, ein Gemisch aus Falschheit und Offenheit, manchmal schien es, als meine er es wirklich gut mit Thilde. Er gab ihr einen Rat, und er war sogar bereit, ihr bei der Ausführung behilflich zu sein. »Sie müssen Ihren Mann eifersüchtig machen.«
Er sprach es immer wieder durch, er war so schamlos, er gewöhnte sie, Dosis für Dosis, an sein Gift.
»Ich kann meinen Mann nicht belügen, ich liebe ihn doch so«, stammelte sie zwischen seinen Küssen.
Frühling, Blutdünung: sie gingen durch den blütentriefenden Garten, die Sterne standen über ihnen, aber die Luft war schwül. Kein reines Gefunkel. Noch als sie in seinen Armen verging, flüsterte sie: »Aber ich liebe ihn doch!«
Sie trafen sich da und dort, eilige, verstohlene Küsse, beschämende Umarmungen. Thildes Wangen sind rot, sie ist voller Fieber, Verwegenheit juckt sie, sie sagt stolz: »So ist das Leben! Schlecht sein, Schlechtes tun und sich nicht schämen. Schamlos sein und wissen, daß alle so sind. Grade recht!«
Doch sie überschätzte wohl ihre Macht, sie hatte nie mit Männern gespielt, und dieser hier war ihr sicher überlegen. Er war kalt und glatt wie ein Fisch, sein trübes Auge spiegelte nicht, glänzte kaum. Sie quälte ihn: »Wir müssen es meinem Mann sagen. Ich kann ihn nicht belügen, ich liebe ihn.«
Sie wollte ihn ängstigen: »Wenn Sie es nicht sagen, sage ich es ihm.«
Sie dachte: Wenn ich es ihm sage, was meinen Sie, was Ihnen geschieht!
Vielleicht durchschaute dieser Werner sie: soviel sie auch log, diesmal sprach sie die Wahrheit: sie liebte ihren Fritz immer noch. Sie war ihm untreu geworden, bloß, ihm Anlaß zu geben, böse auf sie zu sein, wie sie die Gerichte auf den Tisch brachte, die er haßte, bloß, damit er zu ihr spreche, selbst böse. Alles war besser als seine Gleichgültigkeit, lieber Schelten, Zank, Haß als die gleichgültige Stille. Sie mußte sich immer mit ihm beschäftigen, und sie wollte auch ihn immer mit ihr beschäftigt.
Werner fürchtete ihre Drohung nicht, sie machte ihm keine Angst. Er ging zum Angriff vor, müde dieses ewigen Geschwätzes, geekelt von diesen abgeschmackten Liebesseufzern der Frau, die in seinen Armen verging.
Sie saßen beisammen alle drei, irgendeinen Sonntagnachmittag, da beugte sich Werner vor und sagte langsam: »Sehen Sie, Fritz, wie die Frauen sind, nun küßt mich Thilde und nennt mich immer noch Sie.«
Stille. Lange Stille.
Aber in der Stille klingt jedes dieser bebend gesprochenen Worte nach, laut wird, daß auch dieser Werner haßt, der Gedemütigte krümmt sich, bäumt sich auf, er späht atemlos in jenes schöne stolze Gesicht und wartet auf den Schmerz. Laut wird, daß auch Werner liebt, aber er liebt mit jener zersetzenden Liebe, die eindringen möchte ins Innerste, deren Gebot »Erkennen« zu heißen scheint.
Die Frau lacht verlegen auf, es klingt falsch: »Er ist unsinnig geworden, der Werner!«
Der Mann greift zu seinem Buch. »Macht, was ihr wollt, aber bleibt mir mit euren Gemeinheiten vom Halse!«
Und die beiden allein: »Gemeiner ging es wohl nicht?« höhnt die Frau.
Und Werner wütend: »Du hast es doch gewollt, daß ich es ihm sagte! Immer lagst du mir in den Ohren damit!«
Sie aber: »Doch nicht so! Doch nicht so gemein!«
Und er: »Ach, mit sentimentalem Schmus? Mit Reuetränen? Das überlasse ich deiner großen Liebe!«
Keine gemeinsamen Spaziergänge mehr, keine Plauderstunden, kein Schachspiel, die Weinflaschen im Keller berührt niemand. Zwei Feinde, jeder trübe, finster, voller Pläne. Der Freund und die Frau betrachten sich voll Haß, sie waren einander nicht nahe, sie haben sich Geständnisse gemacht, beinahe ein Bündnis geschlossen. Sie können einander nicht mehr täuschen, jedes kennt das Ziel des andern. Sie belauern den Mann, sie schnappen nach jedem guten Wort und zählen die Niederlagen des anderen. Er geht mitten zwischen ihnen, er ist finster und heiter, wie es die Stunde bringt, und will und weiß nichts von ihnen.
Am liebsten geht er allein mit dem Kind. Er spricht mit ihm und vergißt die andern. Er lehrt die Kleine schon jetzt seine ganze abgrundtiefe Verachtung der Menschen, nicht mit Worten, durch seine Art zu sein. Er weist sie, nichts zu glauben, alles selbst zu prüfen, keinen Satz ohne Zweifel hinzunehmen, keine zahme Ehrfurcht zu hegen. Und sie ist sein Kind, sie ist wirklich sein Kind, sein Denken, seine errungenen Erkenntnisse werden das Selbstverständliche für sie. Sie ist stolz, verachtend und frei.
Er sieht, wie die andern beiden um das Kind herumkriechen, ihm schöntun, daß es dem Vater sie lobe. Einmal auch sieht er etwas anderes: Meta spielt draußen mit den Hunden. Werner kommt herzu, das Kind zerrt einen jungen Hund am Schwanz, will ihn daran hochheben. Werner hält dem Kind einen Vortrag, hebt den Hund am Nackenfell. Unbemerkt lächelt am Fenster der Vater. Das Kind faßt von neuem den Hund am Schwanz. Der Freund macht eine hastige Gebärde und schlägt das Kind über die Hand.
Sieht scheu um sich und ist schon entdeckt. Wenige Worte. Gut, er wird abreisen, er hat den Kampf verloren. Er wartet, finster in seiner Stube hockend, auf das Reisegeld, das von irgendwo kommen soll. Allein, keines Wortes mehr gewürdigt.
Am Sonntag, Werner steht auf dem Hof, gehen Mann und Frau an ihm vorüber. Ihre Hand liegt in seinem Arm. Sie lacht, sie schwatzt. Sie wirft dem Fortgejagten einen Blick zu.
Ich komme wieder, schwört der sich.
Die Monate gehen dahin, zwei Menschen wohnen allein auf Warderhof. Sie haben sich wieder gewöhnt, miteinander zu sprechen, gemeinsam spazierenzugehen. Nun begleitet sie ihn auch aufs Feld. Sie bewundert rückhaltlos seine Kartoffeln und ist fest überzeugt, daß kein anderer Landwirt erreichte, noch erreichen wird, was ihrem Fritz gelang. Wird eine Ertragsschätzung von ihr verlangt, sagt sie blindlings das Doppelte vom Möglichen, und der Mann lächelt.
Sie macht ihren Weg, sachte und behutsam, sie ist seiner Ansicht, und geht sie auch immer noch zur Kirche, spricht sie nicht mehr davon. Als der Winter kommt, fahren beide gemeinsam nach Berlin. Es macht sich, daß nur ein Zimmer mit Doppelbett frei ist, er nimmt es. Sie hat gesiegt.
Und schaut zurück und zählt, was der Sieg sie gekostet. War sie auch töricht und klein gewesen, er hatte sie geliebt um ihrer Reinheit willen. Sie hatte sie nicht mehr, zuviel Opfer hatten gebracht werden müssen, sie hatte Lügen und Betrügen gelernt, Listen und Fallen stellen, Gemeinheiten begehen und verraten.
Und doch liebte sie ihn, nur ihn. Sie hatte nie jemand geliebt als ihn. Alles, was geschehen war, die andern hatten sie dazu gezwungen. Ihr war der schlichte Weg vorgezeichnet gewesen, daß sie ihn nicht hatte gehen dürfen, deren Schuld. Nicht seine, er war ein Mann, er hatte die einfachen Dinge vergessen, er sündigte, aber er wußte nicht, daß er sündigte.
Nun war er wieder bei ihr. Keine großen Erwartungen, gar nicht! Aber das stille Glück des Abends, zur Ruhe gehen, sich bescheiden. Sie wird ihm seine Bücher vorlesen und nicht merken lassen, wie wenig sie ihr gefallen. Sie wird still bei ihm sein, allein mit dem Wunsch, dort zu sitzen und ihn anzusehen, von Zeit zu Zeit nur, daß sie ihn nicht stört.
Immerhin ist sie kaum dreißig. Im Elend scheint es schon viel, ruhig dasitzen zu dürfen und ihn anzuschauen, vielleicht in einer stillen weichen Dämmerstunde seine Hand zu nehmen und zu denken: wir zwei! Nun erweist es sich, daß ihr Herz nicht zu wünschen aufhört. Das Jahr spielt sich hin, und mit jedem neuen Sonnenaufgang hofft sie von neuem und enttäuscht legt sie sich schlafen.
Dies war es nicht, was ihr einst versprochen wurde in der Frühlingssonne ihres Glückes. Was sind sie, diese kurzen Zärtlichkeiten, diese spärlichen Worte als die äußere Gemeinschaft zweier, die an derselben Kette liegen? Drinnen ist sie allein. Und prüfender überschaut sie den Mann, in mancher Stunde gelingt es ihr fast, Zusammenhänge zu überschauen, Abgründe zu erhellen.
Immer hat sie gemeint, die andern wären es, nun merkt sie, auch er ist es. Nicht nur der Verlockte und Verführte, sein Herz weiß nichts mehr von ihr. Wenn er sanft lächelt und gut zu ihr ist, denkt er wohl jener, die sie einst war. Die sie heute ist, kennt sein Herz nicht, verachtet es vielleicht. Sie überschaut ihn, und sie findet ihn übellaunig, unduldsam jäh in seinen Gefühlen, unberechenbar, kleinlich und nachträgerisch in seinem Haß. Dort steht er und nie, nie ging er einen Schritt ihr entgegen, immer war sie es, die nachgeben mußte.
Sie kann es nicht mehr, sie will es auch nicht mehr. Wäre er jener noch, der er einst war, strahlend, wild in seinen Launen, hinreißend mit seinem Lachen, sie weiß, sie würde sofort die alte Junge sein, nur an ihm liegt es. Aber wer ist er denn, der dort düster wie ein ewig drohendes Gewitter hockt? Fahl, das Gesicht von Furchen zerrissen, die Augen herrische Drohung, schwarz das Kinn von altem Bart, ewig in derselben schmutzigen Joppe, kleinlich mit hundert Eigenheiten, ein Frauenverächter und, sie errät auch dies, ein Zweifler am eigenen Wert. Irgendwann vielleicht hat er sich eine Linie vorgesetzt, nach der zu leben, und er geht ihr nun starrköpfig und blind nach. Wie sollte er andere Herzen schonen, da er seinem eigenen nichts erspart?
Und es kommen Tage, Wochen, wo sie ihn flieht. Sie sitzt allein in ihrem Zimmer, der Dunkle dort unten ist vergessen, sie empfängt den ewigen Bräutigam. Sie liest Psalmen und Lieder, jener, dessen Kleid weiß ist von Leinen, dessen Überkleid scharlachen ist vom Blute des Lamms, auch er ist es. Er war ihr versprochen, sie hat ihn verloren, eigene Schuld und fremde Schuld. Du schläfst ein, kleine Frau, arme Frau, über dir leuchtete die Sonne, die Hecken waren voll von Vogelgehusch und Blüten und du erwachst, alt geworden, das Gesicht schmal und die Hände schmutzig.
Sie wehrt sich gegen dieses Erwachen. Es ist nicht wahr und es ist nicht wahr. Sie ist die alte noch, sie will nicht unrein geworden sein. Und sie erfüllt das Haus mit ihren Schreien, sie wälzt sich auf ihrem Bett, sie will es wegstoßen, das Dunkle, Drohende, das immer hinter ihr steht und sie weiter vertreibt.
Meta läuft zum Vater und sagt: »Mutter weint.«
»Laß Mutter man weinen«, sagt er, »sie hört wohl wieder auf.«
Er geht auf und ab mit dem Kind, bis es seine Hand losläßt: »Nun will ich wieder zu Mutter.«
»Dann geh nur«, sagt er sofort, und es geht. Er aber marschiert weiter auf und ab, es wird dämmrig und dunkel, auch er geht oft von neuem den Weg, der ihn hierherführte. Was hat er zu tun? Er hat keine Aufgabe als ein kleines Gut zu bestellen, das er längst zur Musterwirtschaft machte. Hier ist ein bißchen auszubauen und dort, aber das ist alles. Und dann? Und weiter?
Nein, seine Ehe hält ihn nicht, wenn er wüßte, irgendwo anders ist es besser, er ginge sofort. Aber alle Frauen sind so, und alle Aufgaben sind begrenzt. Nichts lohnt sich. Lieber bleibt er bei dem Kind, das sein ist und das sein Herz liebt. Die Frau muß um Metas willen ertragen werden. Er sieht sie, wie sie ist: klein, ärmlich, verlogen, bigott. Nein, er hat keine Geduld mehr mit ihr. Scheidung? Schon, aber nie ließe sie ihm das Kind. Und wenn das Kind fort ist, ist alles fort, als habe er nie gelebt.
Dann taucht die Frau wieder auf. Ihre Wangen sind rot, ihr Ton ist reizbar. Das Essen kommt zu spät auf den Tisch, ist angebrannt, will er nachmittags schlafen, wird der Flur vor seiner Tür reingemacht, über seinen Schreibtisch ist Tinte vergossen, sein Lieblingsbuch verschwunden, sein Bett am Abend noch nicht gemacht.
Er trägt es lange, bis die Geduld ihn verläßt. Er nimmt sie beim Arm, daß sie aufschreit, führt sie in ihr Zimmer und schließt sie ein. Er bringt ihr selber das Essen, hält sie wie eine Gefangene, doch schon ist sie sanft. Sie hat den Griff gespürt, diesen eisernen Griff, unter dem ihr Schmerz aufschrie und ihr Herz jauchzte, sie hat seinen Zorn gesehen und sich geduckt.
Wieder weint sie, doch still erlöst. »Ich liebe dich«, flüstert sie hinter der verschlossenen Tür. »Ich liebe dich! Du tust mir weh: ich liebe dich. Du trittst mich: ich liebe dich. Du hast mich ins Elend gebracht, ich aber liebe dich!«
Plötzlich kommen Tage, da sie tun mag, was sie will, er ist nicht zu reizen. Er lächelt über sie hin, das verdorbene Essen schiebt er gleichgültig fort und bestellt sich Brot und Wurst, nach dem Essen schläft er nicht mehr, sondern eht aufs Feld, seine Bücher liegen voll Staub, ihre spitzen Reden hört er gar nicht. An anderen Tagen ist er schwer, lastend und drohend, daß sie das Auge nicht aufzuschlagen wagt vor ihm.
Er verreist, bleibt Tage fort, niemand weiß wo, und als er wiederkommt, bringt er den Freund mit, diesen Freund, der stets auftaucht, wenn Schlechtes geschieht, der wie eine Hyäne Leichengeruch wittert. Werner kommt, gibt ihr die Hand, spricht harmlos mit ihr, aber sie läßt sich nicht täuschen, die Angst würgt sie, sie weiß, etwas geschieht und, was auch geschieht, es geschieht ohne sie, gegen sie.
Nichts geschieht. Alles ist wie einst, die Männer sind den ganzen Tag beisammen, machen endlose, stundenweite Spaziergänge, an den Abenden spielen sie Schach, trinken auch, rauchen. Sie bleibt draußen, aber sie umkreist die beiden, späht, lauert und merkt nichts Böses.
Doch nun ist es, daß die Gegend anfängt sich zu rühren. Fritz hat keine Freunde, er ist klüger als die andern, oft tat er ihnen Gutes, Grund genug, ihn zu hassen. Er tat oft Ungewöhnliches, sie verlachten ihn, und am Ende erwies sich das Ungewöhnliche als das Richtige, Grund genug, ihn zu beneiden. Er ging nicht zur Kirche, er machte kein Hehl daraus, daß er kein Christ war, er war nicht »rechts«, er glaubte nicht an Sprichwörter und Tugendsätze, Grund genug, sein Feind zu sein. Die Nachbarn hatten lange genug gespäht, ihre kleinen Sticheleien hatten ihn nicht getroffen, er war unangreifbar gewesen.
Nun horchten sie auf, bei diesem Mann waren sie unglaublich hellhörig. Sie wagten sich nicht an ihn, aber die Frau hörte Andeutungen, Fragen, halbes Bedauern. Sie flehte, daß man ihr alles sage. Nichts, nein, man meinte doch nur, es war womöglich Geschwätz, niemand wußte etwas. Niemand wagte das letzte Wort, das ihn hätte bloßstellen können vor dem Mann. Sie verzweifelte, ihr Argwohn lag ewig wach. Doch soviel sie lauerte, sie sah nichts.
Da war der Feind, sie fühlte seinen Atem, wie ein Gespenst stand er stets neben ihr, Schritt für Schritt, Lüge, Lüge, Lüge – und blieb ungreifbar. Die spielten Schach, gingen aufs Feld, rauchten. Sie sah in die Gesichter der beiden, sie betete darum, daß sie eindringen möge in sie, fort die falschen Falten, die Augen, die doch nur Verrat waren, die Lippen, die nur Lügenworte bildeten! Sie lehnte nachts aus dem Fenster und sah die beiden fortgehen, vor Mitternacht, nach Mitternacht. Es dämmerte, da kamen sie wieder. Sie mochten baden gegangen sein in diesen schwülen Nächten, sie mochten ... oh! sie wollte fragen, sie nahm all ihren Mut zusammen und sah in sein Gesicht und schwieg.
Sie dachte alle Mädchen der Gegend durch. Sie kannte alle und wußte wieder, daß keine es sein konnte, und rätselte und schrie in Krämpfen und wartete. Jede Stunde war Diebstahl, und sie rannen dahin, und keine, die es hell machte um sie. Der Pastor schüttelte auf dem Kirchhof ihre Hand, sie sah aller Leute Blicke auf sich gerichtet, neugierig, spitz, unwillig, verschlossen, oder – bei Männern – breit lächelnd, und hörte etwas von schweren Prüfungen und Standhaftigkeit in gottgesandtem Leid, und wagte wieder nicht zu fragen und blieb draußen, als die andern zum Gottesdienst hineindrängten, und weinte auf dem wild überwachsenen Friedhof und hatte Mitleid mit sich und wußte, keinem Menschen wurde so übel mitgespielt wie ihr.
Und dann schlug von irgendwo ein Name an ihr Ohr, vielleicht nicht einmal ein Name, ein Hinweis nur, kaum deutlicher als früher, und sie sah klar. Sie wußte, sie hatte es immer gewußt! Diese und keine andere! Eine verheiratete Frau! Doppelte Schmach! Doppelte Schamlosigkeit! –
Sie wartete ein Weilchen, vor kurzem waren Fritz und Werner vom Hof gegangen, dann eilte sie ihnen nach. Sie fand den Freund allein, an einem Wasserloche zwischen Büschen sitzend, lesend.
»Wo ist mein Mann? Ich muß ihn gleich sprechen.«
»Eben dort hinten zu den Kartoffeln gegangen. In einer halben Stunde wieder hier. Legen Sie sich so lange neben mich, schöne Frau.«
»Nein, ich will gleich ...«
Und wandte sich schon gegen den Kartoffelschlag hin. Sie hatte Mühe, so langsam zu gehen, daß dem Späher dort hinten nichts auffiel. Doch kaum waren Baum und Busch zwischen ihnen, lief sie los, lief querfeldein, über Sturzäcker, durch Kartoffelfelder, durch Getreide, über Stoppeln, immer geradeaus. Eine Stunde! Wenn sie nur nicht zu spät kommt! Sie will sie sehen. Beisammen will sie die beiden sehen!
Sie läuft weiter. Ihr Atem versagt, sie bleibt stehen, an einen Baum gelehnt, schließt die Augen. Aber immer bleibt vor ihnen das eine Bild: jene beiden beisammen. Es peitscht sie auf, sie rennt weiter.
Und aus Büschen und Gebäum taucht Dach um Dach jenes Dorf auf, die Blomenburg. Sie hält inne. Wo sucht sie ihn? Im Hause? Aber da ist der Mann! Dort sind sie nicht, wo sucht sie ihn? Doch! Sie wird ins Haus gehen, grade den Mann wird sie nach den beiden fragen! Sie wird es tun.
Und kommt die Dorfstraße entlang. Vor dem Gutshaus ist eine Wiese, eine offene, mäßig große Wiese, nach allen Seiten frei. Sie steht, sieht schon, hat erkannt. Dort gehen die beiden, nicht einmal sehr nahe nebeneinander, ihr Mann und jene Frau des Jugendfreundes, die Reiterin, Irma, stets schon mit Mißtrauen angeschaut. Sie kommen ans Ende der Wiese, machen kehrt, schreiten wieder auf das Gutshaus zu.
Sie nähert sich langsam, ihr Mut ist fort, Schritt für Schritt kommt sie näher. Sie merkt flüchtig, daß sie an ein paar Tagelöhnerfrauen vorübergeht, die sie betroffen anstarren. Dann denkt sie einen Augenblick daran, daß die beiden sie noch nicht gesehen haben, daß sie noch umkehren kann. Und weiß doch, daß sie weitergehen muß, vorwärts ihren schlimmen graden Weg.
Was werde ich sagen, denkt sie, was werde ich sagen?
Sie ist ganz dicht bei den beiden. Die Frau spürt zuerst die Nähe der Feindin, sie berührt leise den Mann mit der Hand am Arm und deutet. Der Mann schaut auf und sieht dort die Frau mit beschmutztem, verzogenem, zerrissenem Kleid, die Augen starr auf die andere geheftet, die Lippen sprechend, ohne daß ein Wort laut wird.
Sein Gesicht wird weiß, uralt, voller Falten. Thilde hebt die Hand vor die Augen, wie seinen Blick abzuwehren. Er faßt sie beim Arm, nicht einmal fest, er führt sie zurück auf die Straße. »Du gehst nach Haus. Ich spreche heute abend mit dir.«
Und läßt sie stehen. Sie denkt mühsam: Ich muß nach Haus, er hat es gesagt, und setzt sich langsam, Schritt für Schritt, in Gang. Sie fühlt nichts wie im Rücken die dunklen Blicke der Feindin.
Diese Unterredung – er ist merkwürdig sanft.
Zum ersten Mal spricht er von sich, er weist Ursachen auf, er hat Gründe. Er erinnert sie an die Briefe, die er einst schrieb, die Worte, die er sagte, den Mann, der er war. Kaum hat er sich geändert, er ist härter geworden und einsamer, aber, was der Jüngling theoretisch wußte, der Mann hat es erprobt. Er hat immer gewußt und es ihr früh gesagt, er müsse für sich allein leben, frei sein und bleiben. Bindungen, ja, solange sie nicht drücken, freiwillige, aber keine Zerrungen. Duldsam, ja, sehr, aber bis da, wo in den Kreis seines Lebens das andere eingreift, umgestalten will gegen ihn. Er hat nie die Illusion gehabt wie sie, er hat nie an die eine große Liebe geglaubt. Er hat gehofft, es werde recht und schlecht gehen, daß es dann mehr schlecht als recht ging, keines Schuld, beider Schuld.
Sie denkt: Worte. Worte. Was geht das mich an. Und – er spricht nicht von der Frau ...
Doch, nun spricht er von ihr. Auch sie Jugendfreundin, wiedergefunden, gemeinsame Erinnerungen, seine Einsamkeit. Sie ist nicht der Frau Feindin, war es nie. Nahm ihr nichts. Aber man hat gehetzt, er weiß wohl, die Leute sitzen hinter der Frau, die ganze Sippe, die ihn haßt. Es ist nichts geschehen, selbst nach ihren kleinen Begriffen, die er verachtet, ist nichts geschehen. Und dann – wäre am Ende nicht Irmas Mann da? Meint sie, er würde es dulden?
Zum ersten Mal denkt sie daran und beginnt zu zweifeln, ob ihrem Mann nicht Unrecht geschah. Sie will glauben. Auch sie ist sanft geworden, sie nimmt seine Hand, sie will ihm vertrauen, nur, er soll gut sein zu ihr. Er hat es doch damals ihr zuliebe getan, er hat sich kirchlich trauen lassen mit ihr, er versprach ewige Liebe und Treue. Er hat es geschworen, warum ist er so verändert? Sie hat ihren Schwur gehalten, sie ist die gleiche geblieben, sie liebt ihn wie am ersten Tag. Will nicht auch er –?
Er ist aufgestanden, er zuckt die Achseln. Er hat noch einmal geglaubt, Worte bewiesen etwas, nur Handeln beweist. Die ewige Liebe, die große Liebe, er weiß schon, er weiß es bis zum Ekel: die Liebe höret nimmer auf. Nur, daß diese Liebe den Geliebten höllisch quält, daß nichts findiger ist als diese Liebe, Schmerz zu bereiten, Böses zu tun, sich in Gemeinheit zu wälzen. Nur, daß diese Liebe nichts ist wie Haß, Lüge und Schwäche. Und Neid. Vor allem Neid: da du nicht mit mir glücklich sein willst, sollst du's mit keinem sein. Schwur am Altar? Immer verführen uns die Frauen zu Opfern und immer werfen sie uns diese Opfer vor.
Wieder Mißklang! Sie fingen so sanft an, es schien zu einem Waffenstillstand zu kommen, nun sind die Feindseligkeiten wieder im Gange. Schließlich wird doch noch Friede, beide Teile mögen ihre Gründe haben, nachgiebig zu sein. Eine Art Pakt auf gegenseitige Duldung wird geschlossen, es soll keine bösen Launen mehr geben, keine Spionage.
Aber dann ist sie allein, und von allen Worten blieb nur: er will nichts mehr von dir wissen. Er will allein sein. Wenn die Kinder nicht wären, längst hätte er dich fortgejagt. Und wozu braucht er Freundinnen? Was er von Irma sagte, mag wahr sein. Aber was heute wahr ist, kann morgen Lüge werden. Noch ist nichts geschehen, aber vielleicht morgen schon ist etwas geschehen. Irmas Mann – Männer sehen nichts. Wozu alle diese Heimlichkeiten? Der herbeigeholte Freund? Die langen Spaziergänge? Die unaufgeklärten Nachtwege?
Sie wird die Augen offenhalten, nicht noch einmal läßt sie sich betrügen!
Im Anfang läßt sich alles besser an. Die Ehepaare besuchen einander, es wird gelacht und geplaudert, gespielt und getrunken. Ist der Besuch fort, so kann man noch über ihn schwatzen, es ist gut gegangen, der Wein war vorzüglich, die Rehkeule grade recht. Alles findet sich. Dies sah zuerst wie ein Unglück aus, und nun bringt es die Eheleute näher zusammen.
Gemeinsame Ausflüge werden gemacht, Ritte durchs Land, und da Thilde nicht Reiterin ist, fährt sie nach, einmal mit dem Freund, dann mit Irma. Sie läßt die Leute tuscheln und behält ihr überlegenes Lächeln, sie geht nicht mehr zur Kirche, weil sie dem Pfarrer jene ungewohnte Ansprache nicht verzeihen kann. Sie hält die Augen offen!
Sie erlebt den Triumph, daß Werner noch einmal abreisen muß, wieder geschlagen. Sie weiß, er hat sich rächen wollen und er hat nicht gesiegt. Als sein leer gewordenes Zimmer rein gemacht wird, siegt sie. Und doch muß sie immer an das Lächeln, an den frechen Blick denken, mit dem er sich von ihr verabschiedete. Er sah nicht besiegt aus. Er schied auch nicht im Streit von ihrem Mann, sie haben sich eben getrennt, er hat weiter gemußt, ewig kann er ja nicht hierbleiben. Und doch war es Drohung, als er ging.
Für Stunden vergißt sie Schwermut und Angst, für ganze Tage ist sie frei. Und dann auf einmal ist alles wieder da, das namenlose Elend ihrer Liebe, über das dieses bunte, lachende Leben nur flüchtig hingeworfen ist.
Sie kann sich nicht beherrschen. Sie fährt mit ihrem Mann zu einem Ball bei Irma, der Wagen hält vor der Tür, sie steigen aus. Sie stehen in der Vorhalle, wo Scharen von Gästen aus Pelzen und Tüchern kriechen. Plötzlich überfällt Angst sie, sie klammert sich an ihren Mann, sie beschwört ihn umzukehren, sonst geschieht ein Unglück.
Er führt sie in ein stilles Zimmer, fort von den lauschenden Gästen, er spricht der Schluchzenden, Zitternden gut zu. Nein, sie will nicht bleiben, sie kann nicht bleiben, er soll Mitleid mit ihr haben, soll mit ihr nach Haus.
Er sagt: »Nein.«
Sie fleht, sie jammert, vielleicht geschieht den Kindern indes Unglück.
Er fragt sie ein letztes Mal, er sagt ihr, daß er seinen Willen nicht von ihren Launen abhängig machen will, daß sie nicht glauben soll, etwas zu erreichen, weil viele Leute zuhören. Aber sie vergeht vor Angst, es sind keine Launen, es geht um ihr Leben, sie muß fort von hier, er muß mit.
Da nimmt er sie auf seinen Arm und trägt sie in den Wagen, der Kutscher fährt ums Rondell, und schon ist sie auf dem Weg heimwärts. Wieder ist er herzlos gewesen und ließ sie allein.
Das nächste Mal ist sie unternehmungslustig, sie willigt ein, mit den Freunden nach Berlin zu fahren. Sie wohnen im gleichen Hotel, sie besuchen zusammen Theater und Varietés, und mit den andern lacht sie über Witze, die sie nur halb versteht. Man sitzt so lange zusammen, man trinkt Wein, es wird getanzt, und die Männer sind freier als daheim, die Reden rascher, die Scherze gewagter. Es ist, als stiege von den blendenden Leuchtern, aus den Kleidern der Mädchen, den golden und rot und grün glänzenden Gläsern, den Spiegeln, den weißen Armen und Schultern ein feiner Nebel auf, der die Dinge unwirklicher macht, wie nicht geltend.
Alles verschleiert sich, das schrillste Lachen wird gedämpft, der unverhüllteste Blick gilt nur diese Sekunde und keine mehr. Auf der Bühne stehen Mädchen in Reihen, sie beugen sich vor, alle lachen auf einmal, alle werfen die Beine auf einmal, kleine Glöckchen klingen zusammen – und es ist Märchen, es ist Rausch, es ist Zauberei.
Fern im Norden steht ein grauer Hof. Von den entlaubten Bäumen trieft Regen. Die Wege sind voll Kot, die Stuben düster. In einer dieser Stuben hat sie viel und lange geweint. Sie ist aufgestanden zu einem Tagewerk, das schwer war und voller Elend. Sie hat gehaßt, verraten, gelogen.
Auf der Bühne oben ist ein Zaubergarten. Nie geschaute Bäume schließen den Himmel aus, der Vorhang strotzender Blätter wird zurückgeschlagen, sachte, sacht. Ein Prinz schleicht heran, durch die tiefe, glasgrüne Finsternis leuchtet silbern sein Kleid. Er sucht die untadelhafte Geliebte.
Siehe dort, sie schlummert, sie schläft. Und er umschleicht sie, er tanzt um sie von seiner Sehnsucht und von seinem Verlangen, das zart ist. Die Finsternis ertönt wie Glocken, silbern bricht es herein, die Geliebte erwacht. Sie lächelt.
Sie ist unter Mund und Arm des Liebhabers, sie ist entschlüpft, und ihr Entschlüpfen verspricht Holderes als bloßes Gewähren. Seltsame schwarze Pagen schlagen Zeltwände zurück, ergreifen Schleppen, tragen Kronen auf Kissen, knien und halten geheimnisvolle Tiere an Zügeln ...
Thilde fühlt einen Fuß auf dem ihren, tastend, eine Liebkosung. Sie ist erwacht, Gutsbesitzersgattin von Warderhof, eifersüchtig Liebende mit ängstlichem Herz, diese Liebkosung galt dir nicht! Sie späht durch das helle Dunkel in die Gesichter bei ihr und sieht zweier Blick ineinander ruhen, ein tief leuchtendes Glück, eine unsagbare Seligkeit.
Auf der Bühne brausen alle Klänge jubelnd auf, durch tief sich neigende Reihen schreitet die Liebende auf den Geliebten zu. Die Vorhänge des Zeltes schließen sich.
Das Licht flammt auf. Nun weiß sie. Es geschah, und geschah es noch nicht, wird es heute geschehen. Sie aber ist auf der Hut.
Und nachts von ihrem Zimmer aus lauscht sie. Noch ist das Haus lebendig. Geräusche hier, Geräusche dort. Stille dann. Lange tiefe Stille. Ein Schritt tastet sacht an ihrer Tür vorbei, so leicht, so sacht. Die Tür nebenan geht, sie hört Murmeln. Die Tür nebenan fällt ins Schloß, ein Schlüssel wird umgedreht.
Gut, nun weiß sie es. Und? Was nun? Sie hat es einmal gewußt oder hat es beinahe gewußt und hat es geschehen lassen müssen, wie es nun nebenan geschieht. Sie ist nichts wie eine feige Frau. Sie müßte schreien, über ihrer beleidigten Ehre müßte das Haus zusammenströmen, die beiden Sünder bloß und ledig sehen. Sie wagt es nicht, nicht die Scheu vor den Menschen hindert sie, nein, die Furcht vor ihm!
Doch, sie wagt es. Nicht dies, anderes. Kann sie nichts tun, so will sie die beiden wenigstens auseinanderjagen, sie so beschämen, daß sie einander nicht wieder in die Augen zu sehen wagen. Sie greift zur Klinke, sie drückt sie herab. Leise, leise, endlose Zeit verrinnt, bis die Tür klafft, sich weit genug öffnet. Nun der Hotelgang, zwei Wände, viele Türen, ein roter Läufer. Gut. Schritt um Schritt. Sie ist tot vor Angst und toll vor Qual, sie weiß nicht, was sie tut, sie weiß nur, daß sie tun muß, was sie tut.
Sie legt die Hand auf die Klinke zum Zimmer des Mannes. Es gibt ein kleines knackendes Geräusch. Tiefe Stille wieder, und doch ist es ihr, als habe sie gehört, wie die beiden drinnen zusammenfuhren.
Es ist ein langer Weg von jener Hafenbank bis an diese Tür, länger noch bis dahin, daß sie klopft.
Sie klopft. Sie hört jemand aufstehen. Ihr Mann fragt von innen: »Wer ist da?«
Wonne, hier draußen zu stehen! Herrlichkeit, ihn zu demütigen! Hast du die Angst in seiner Stimme gehört? Das böse Gewissen ist erwacht, da steht er und denkt, Irmas Mann könnte draußen sein.
Innen fragt die Stimme wieder und diesmal nur unwillig: »Wer ist da?!«
»Deine Frau! Thilde.«
Er schließt auf, tritt heraus auf den Gang. Er zieht die Tür wieder hinter sich zu, sie hat nichts sehen können, so gierig sie auch spähte.
Er ist noch im Smoking, lehnt gegen die Tür, fragt sehr ruhig, sehr kalt: »Du wünschst?«
Sie – schon versagt ihr die Stimme –: »Irma ist bei dir. Ich weiß es.«
Er beugt sich vor, bis er auf ihrer Höhe ist, er sieht sie an. Dieser Blick! Dieser drohende, grausame Blick, vor dem sie zittert!
Er flüstert: »Und wenn –?«
Und ist wieder still. Sieht sie an. Sie schaudert und tut einen Schritt hinter sich. Er sieht sie an, nimmt ihr den Blick nicht ab. Ihr ist's, als zögen sich die Lippen von seinem Gebiß zurück, als fletsche es sie weiß an, funkelnd, ein wildes Tier, Mordlust. Sie tut Schritt um Schritt, rückwärts, blind, diesen Augen ausgeliefert. Ihre Schulter stößt gegen die offengebliebene Tür. Sie macht eine Wendung, faßt die Klinke, zieht zu. Und ist frei von dem Blick.
Sie schließt ab, stürzt auf ihr Bett und weint, weint lautlos, von einem endlosen Zittern geschüttelt. Horcht auf, meint Worte zu hören, zarte Worte, Seufzer. Und weint wieder.
Am Morgen ist sie abgereist.
Drei Tage später kommt Fritz nach Warderhof. Er findet die Frau nicht, er findet die Kinder nicht. Sie sind abgereist, vor zwei Tagen schon. Hat er es nicht gewußt? Doch, er hat es gewußt. Er sitzt allein, er überlegt. Sie hat wenig Geld, keine Freunde. Zur Mutter wird sie nicht gereist sein, sie gibt sich nicht freiwillig in alte Abhängigkeit. Er möchte umherhorchen, spähen, aber er weiß, ihm erzählen die Leute nichts.
Er telegrafiert an Werner, Werner muß her und Werner kommt. Als er eintrifft, weiß er schon mehr, als der Mann in einer Woche erfuhr. Er hat im Zuge herumgehorcht, in der Kreisstadt. Oh! Die Gegend ist voll von Geschwätz, alle wissen etwas. Ist Thilde nicht gleich am Tage ihrer Ankunft fassungslos zu den Nachbarn gestürzt und hat ihnen alles erzählt? Sie hat sie aufgerufen gegen die Frau, diese Verderberin, die ihren Mann verführt hat. Man gab ihr recht. Sie solle fortgehen von ihm, mit den Kindern natürlich, jedes Haus öffnet sich ihr. Sie wird unbedingt den Prozeß gewinnen.
Den Prozeß? Sie will keinen Prozeß. Sie will keine Scheidung. Sie will Fritz das Kind fortnehmen, die andern sollen tun, was sie nicht wagt. Irmas Mann Bescheid sagen, dieser Verkehr soll unmöglich werden. Und dann, wenn er von allen verlassen ist, will sie zu ihm zurück.
Doch das geben die andern nicht zu. Wie kann sie daran denken, wieder zu ihm zurückzukehren? Hat er ihr nicht schon genug Leid angetan? Will sie sich von ihm noch töten lassen? Dieser Mensch ist zu allem fähig. O ja, die Frau, gut, die Frau, Irma ... Doch er ist der Schlechte, er ist der Verführer! Die Gegend hat sie lange genug gewarnt. Sie hat es kommen sehen müssen und doch hat sie den Verkehr geduldet, hat ihren Mann selbst in das Haus begleitet. Nein, sie soll los von ihm, sie muß los von ihm ...
»Seien Sie endlich stark, liebste Frau Dohrmann. Wir wissen, wie weh es tut. Aber dieser Mann ist Ihrer unwürdig. Reißen Sie sich los.«
Sie steht auf, beleidigt, sie geht fort. Am nächsten Morgen reist sie ab.
Nein, auch der Freund erfuhr nicht, wohin sie ging. Aber er wird es erfahren. Er sucht, er horcht, er reist hierhin und dorthin.
Inzwischen ist sie plötzlich wieder da. Meta läuft dem Vater entgegen. Die Mutter ist oben. Er atmet auf, er hat sein Kind zurück. Er steigt hinauf zur Frau, er spricht zu ihr, seine letzten Bedingungen: Sie wohnt oben. Er unten. Keine Gemeinsamkeit. Sie allein. Er allein. Sonst – aus dem Hause!
Sie höhnt: »Aber mit den Kindern!«
Und er: »Die bleiben hier. Meta bleibt hier.«
»Das werden wir sehen.«
»Ja, das wirst du!«
»Die Kinder gehören mir. Wer die Ehe gebrochen hat wie du –«
Er sieht sie an: »Und du –? Du etwa nicht –?«
»Ich –?« fragt sie. »Ich sollte –?«
Er höhnt: »Du –? Ja, du! Hast du Werner vergessen, du Lügnerin?«
»Aber das war doch nicht ... Das war etwas ganz anderes! Dich habe ich geliebt!«
»Und Ehebruch begangen. Du weißt Bescheid.«
»Fritz, sei nicht so hart! Ich ...«
Er läßt sie stehen, will nicht hören. Und einen Tag, zwei Tage, drei Tage gar ist Ruhe. Doch ihr Fenster geht zur Straße, sie sieht ihn fortreiten, zu jener Frau. Er ist fröhlich, er lebt, und sie soll sitzen hier wie eine Gefangene? Sie will nicht. Oh, sie ist so böse geworden, so bitter! Sie will nicht. Sie will ihn quälen und reizen, er soll nicht fröhlich sein können, sie wird ihm das Fortreiten vergällen.
Am Morgen des vierten Tages steigt sie hinunter. Vor der Tür zum Zimmer des Mannes trifft sie den Freund. Er beschwört sie, seine Stimme klingt ehrlich: »Gehen Sie nicht zu ihm. Er ist sinnlos vor Wut. Der Pastor hat gestern gegen ihn gepredigt.«
Sie geht weiter. Noch einmal hört sie die beschwörende Stimme: »Gehen Sie nicht! Es gibt ein Unglück.«
Sie geht. Sie tritt ein. Er sitzt am Tisch, finster, wortlos, grübelnd. Sie an der Tür, höhnisch, verwildert, toll vor Wut. Sie beugt sich vor: »Wie war das mit den Kindern? Du wolltest Meta behalten?«
»Geh, sage ich dir im guten.«
»Meta? Aber vielleicht wirst du sie gar nicht behalten? Wie –? Wie, wenn ich ihr so ein Pülverchen gäbe, ihr und mir, daß wir krank würden und stürben. Gingest du dann auch noch zu deiner Irma –?«
Er steht da, totenblaß, seine Hand legt sich um die Kante des Tischs. Er zittert.
»Wenn ich es der Meta schon gegeben hätte und mir? Habe ich je den Mut gehabt, so zu dir zu sprechen? Sterbende haben Mut.«
Er macht einen Satz an ihr vorbei und ist fort. Sie hört ihn die Treppen emporstürzen, rufen, reden, Leute kommen gelaufen. Sie lacht. Ihre Drohung hat ihn erschreckt, sie kann ihn leiden machen, nun fürchtet er sie. Eine Viertelstunde vergeht, er tritt ein, geht an ihr vorüber, setzt sich an den Tisch.
»Nun –?« fragt sie. »Kann ich dein Herz noch rühren? Wenn nicht zur Liebe, so doch zum Schmerz?«
Er spricht nichts, steht nur auf, geht zur Tür, schließt sie ab, steckt den Schlüssel ein. Er wendet sich und geht an den Gewehrschrank. Nun kommt es, denkt sie und erzittert. Ihr Mund öffnet sich zu einem Schrei: Nun kommt es.
Er wendet sich wieder zu ihr: »Wenn du böse bist, mußt du Schläge haben. Wenn du mich nicht mehr fürchtest, mußt du meine Peitsche fürchten.«
Sie hebt die Hand vor das Gesicht. Er schlägt zu. Sie flieht. Er folgt ihr, und die Schläge fallen dicht und erbarmungslos. Einmal schreit sie auf, dann ist sie stumm. Ihr Gesicht ist bleich wie seines. Doch ihr Herz singt. Ich leide. Er leidet. Wir leiden gemeinsam!
Sie flieht auf den Nachbarhof mit dem einen Kind, das ihr blieb, ihrem Kind. Man bringt sie ins Bett, sie fiebert. Man ruft einen Arzt, der sie untersucht, der die sinnlose Roheit des Mannes bezeugt. Die Gegend heult auf vor Wut. Ein Kesseltreiben beginnt gegen den Mann, der gemeingefährlich ist, den man entmündigen, den man einsperren muß.
Er sitzt daheim, mit seinem Kind. Er lächelt. Laß sie jagen gegen ihn! Den, der anders war, haben die Leute immer gehaßt. Sie werden wieder still werden. Sie heulen, sie beißen nicht. Sein Kind ist bei ihm, es ist seines. Auch Meta ist klüger als die andern, sie weiß von Furcht nichts, sie zweifelt schon. Sie ist seine Spur in dieser Welt, unverwischbar, Zeugnis gegen sie alle.
Und schaut auf. Ein Wagen rasselt über die Steine. Eine Frau sitzt darin, seine Frau. Bleich, höhnisch, triumphierend. Neben dem Kutscher sitzt der Gendarm, er steigt ab, tritt ins Haus. Nun klopft er.
»Herein!«
Er weist einen Wisch, wieder solch einen Wisch, wie ihrer Dutzende in den letzten Wochen ins Haus kamen. Er liest sie nicht, sie gehen ihn nichts an, was berührt ihn das Recht der andern? Er hat stets nur an jenes geglaubt, das er in der Brust trug.
Nun hört er, er soll das Kind herausgeben, es ist vorläufig der Frau zugesprochen.
Er steht aufrecht vor dem Kind. »Sie rühren es nicht an. Eher schlage ich Sie nieder.«
Der Gendarm kennt ihn. Er spricht ihm gut zu, noch ist nichts endgültig entschieden. Er soll prozessieren, er wird das Kind schon bekommen, nur jetzt ...
»Nein.«
Noch redet der andere, beschwört ihn, verweist auf die Folgen, aber »Nein!«
Der wendet sich, bedauernd. »Ich werde wiederkommen müssen und dann nicht allein. Es hilft Ihnen nichts, Herr Dohrmann, Sie haben alles gegen sich.«
»Und wenn! Nichts beweist das!«
Er ist allein. Der Wagen ist fortgerollt mit der Frau, die doch triumphiert, weil sie schwach ist. Er fühlt es: die Schwachen siegen. Der Starke ist immer allein. Seine Siege und Niederlagen, er erkämpft sie für sich allein, sie gelten nicht für die andern, die vielen, die zusammenhalten, deren Siege nur Bestätigung ihrer großen Gemeinschaft sind.
Die Frau fährt heim. Sie wird wiederkommen. Sie wird ihm auch das Kind noch nehmen. Sie frohlockt. Sie steht mitten in seinem Leben, bei jedem Schritt spürt er ihren Griff, ihren Haß, ihre Liebe.
Und sie kommt wieder, und er ist fort und das Kind ist fort. Auf dem Hofe schaltet Werner. Ihn verhaftet man zuerst, er muß die Flucht begünstigt haben, er muß wissen. Und nun sucht man den Mann und das Kind, Tage, Wochen, Monate.
Sie sitzt allein auf Warderhof, in seinem Zimmer sitzt sie, aus dem er sie verstieß, in seinem Bett schläft sie. Sie öffnet die Laden seines Schreibtisches, sie liest die Briefe der Frauen, die er liebte, der Dunklen und der andern. Nun weiß sie!
An einem Abend in der Dämmerung tritt sie ein, die andere. Sie steht an der Tür, auch sie dunkel und bleich, die erste, die zweite, alle, die er geliebt hat. Sie bittet um Gnade für ihn. Er soll das Kind behalten dürfen. Die andere will verzichten, sie will aus seinem Leben fortgehen, sie bittet.
»Keine Gnade«, spricht die Blonde. »Wer hat Gnade für mich gehabt?«
Die andere spricht weiter, gute Worte, schöne Worte, doch zu oft täuschte man Thildes Herz. Nun hält sie fest, was ihr blieb: ihre Rache.
Die andere wartet, dann geht sie.
Aber Thildes Herz jauchzt. Sie hat die Feindin am Boden gesehen, nun fehlt noch der Mann. Auch er wird kommen, auch er wird betteln.
Er kommt nicht, doch man fängt ihn. Das Kind kehrt zu ihr zurück, er bleibt im Gefängnis.
Sie sieht ihn dort, auf und ab gehend, rastlos, immer an sie denkend, ewig sie verfluchend. Sie weiß den Tag, an dem er freikommt. Es sind Menschen um sie, Männer, die sie beschützen werden, aber, als der Tag naht, flieht sie.
Sie elend, er elend. Ein ewiger Krieg, der Haß ruht nicht. Schriftsätze, Klagen, Gegenklagen, Termine – Papier, Papier!
Er stiehlt das Kind noch einmal, wird wieder gefangen, und wieder siegt sie.
Als er entlassen wird, verläßt er das Land.
Sie ist alt geworden. Sie sitzt am Fenster. Sie ist allein. Kein Schritt kommt mehr über ihre Schwelle. Die Kinder gingen von ihr, ihres heiratete, seines konnte den Tag nicht erwarten, da es zum Vater durfte. Es verließ sie ohne Träne, es hat sie gehaßt.
Doch allein, doch alt geworden und so viele Kämpfe umsonst gekämpft! Sie schlägt das Buch auf, das vor ihr liegt, sie liest es wieder.
»Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht.
Sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das ihre, sie lässet sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu.
Sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit.
Sie verträget alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.
Die Liebe höret nimmer auf ...«
Sie meint wie je, von ihrer Liebe sei die Rede. So hat sie ihn geliebt, war sie erbittert, die anderen waren's schuld, rechnete sie Böses zu, er hatte es veranlaßt.
Sie hatte ihn immer geliebt, sie liebte ihn wie je. Noch im Sterben würde sie ihn allein lieben.