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Wie Sänftlein zu seinem Namen Sänftlein kam, weiß er nicht mehr. In den Akten einer ganzen Reihe deutscher Staatsanwaltschaften tritt er unter einem andern Namen auf, doch der tut hier nichts zur Sache. Jedenfalls entspricht Sänftlein nicht ganz dem Bild eines großen Ganoven, das man sich nach der Lektüre von Kriminalromanen macht. Er hat wasserblaue, treuherzige Augen, einen birnenförmigen Kopf, blondes Strubbelhaar, einen Körper tolpatschig wie der eines jungen Hundes, ein guter Junge alles in allem.
Das Interview, das er mir gewährte, fand auf einem Gefängnishof statt, wir trugen beide blaue Tracht. Sänftlein äußerte sich absprechend über die beruflichen Qualitäten einiger Mitgefangener: »Das sind – Gelegenheitsarbeiter sind das. Denen ist nur mal die Hand ausgerutscht.«
Ich meinte, es wären doch ein paar tüchtige Jungen darunter.
Sänftlein war Verachtung. »Die? Tüchtig? Na, vielleicht nach deinen Begriffen. Ich möchte wissen, was die machen wollten ohne Kleider, im Winter, in einer fremden Stadt, ohne einen Pfennig Geld, Kohldampf im Magen und die Greifer hinter sich. Ja, mein lieber Scholli, da zeigt sich, was ein Ganove ist.«
Ich fragte, was er denn täte. Und da erzählte er mir, was er getan hatte, und ich merkte es mir, ich schrieb es mir sogar auf.
In Hamburg hatten sie mir acht Jahre Knast aufgebrummt, noch dazu Zet, nun sollte ich nach Kassel auf Termin, wegen Bettelns mit der Waffe. Besser war, ich ging vorher stiften.
Unterwegs über Nacht lag ich mit noch zweien auf der Zelle, einer war stikum, der andere ein richtiger Stubben von der Portokasse, nichts für unsereinen. Ich brach ein Stück Eisenbeschlag vom Bett los, mit dem Ganoven bog ich's zurecht, daß es über der Hüfte auf dem bloßen Leib von selbst festsaß. Dann rissen wir dem Schemel ein Bein aus, ich brauchte einen Hebel. Der Halbseidene wurde getrampelt, daß er uns nicht verpfiff, und der Wachtmeister pennte halb bei der Filzerei, ich bekam die Sachen mit auf die Bahn.
Den ganzen Tag hielt unser Expreß in jedem Kaff, erst um zehn sollten wir in Kassel sein. Nach vier war also die beste Zeit zum Türmen, da wurde es dunkel. Es war übrigens kalt draußen, zwei, drei Grad, manchmal schneite es auch. Der Halbseidene muckste nicht, es war auch egal, ob er mitmachte oder nicht, wenn er nur das Maul hielt. Übrigens war ich ganz ruhig, ich wußte bestimmt, die Sache würde klappen.
Kurz vor fünf hielten wir irgendwo endlos. Ich zog mich aus, nahm Brechstange und Schemelbein vom Leib und blieb erst mal in Hemd, Hose und Strümpfen. Als der Zug wieder anfuhr, hatte ich schon die Scheibe aus dem Fenster, es war ohne Laut abgegangen.
Die verdammte erste Gitterstange brachte mich in Schweiß, ich hatte keinen rechten Raum, mein Brecheisen anzusetzen. Es krachte ein paarmal schrecklich. Wir hörten die Transporteure auf dem Zellengang reden, aber uns hatten sie nicht gehört.
Als die erste Stange einmal los war, brachen die andern weg wie Harzer Käse. In fünf Minuten hatte ich das Fenster frei und hing mit dem halben Leibe draußen. Der Wind pfiff mich an, es war dunkel, bitterkalt. Ich wollte grade zurück, als ich merkte, daß der Zug langsamer fuhr, in der Ferne sah ich die Lichter einer Station.
Mit dem zertrümmerten Gitterfenster konnten wir unmöglich auf einen Bahnhof; ich fuhr rein ins Abteil, schrie den andern zu: »Ich hau ab, Station!« und turnte, diesmal mit den Beinen zuerst, aus dem Fenster. Einen Augenblick hing ich am linken Arm, der Wind biß unsinnig in mein Gesicht, die Stationslichter kamen erschreckend schnell nahe, dann warf ich mich mit aller Gewalt nach rechts, um nicht unter die Räder zu kommen.
Der Zug schrie mit Geknatter und Steinspritzern an mir vorbei, ich lag auf dem scharfen Schotter im Nachbargleis. Als ich aufstand, waren die Knochen heil, aber die Hose hing in Fetzen, an den Beinen lief mir das Blut herunter, und die Hautflächen waren bloßes Fleisch.
Vorne fing Geschrei an, der Zug stand, Schatten liefen. Ich machte, daß ich von der Bahn kam. Dabei flog ich über die Signaldrähte, rollte die Böschung hinunter und landete im Graben, in Eis und Wasser. Es brannte wie Feuer, der Atem blieb mir lange weg.
Ehe ich noch hoch war, sah ich sie oben laufen, die Greifer. Auch am Grabenrand kamen zwei, darum blieb ich liegen, wenn mich die Eissuppe auch so krumm zog, daß ich dachte, ich käme nie wieder hoch.
Als sie vorbei waren, rappelte ich mich auf. Ich war krumm wie eine Kanone, und für die ersten hundert Schritte brauchte ich wohl eine Stunde. Hemd und Hosen waren aus Eis und schabten mir das bißchen Haut ab, das der Schotter mir noch gelassen hatte. Aber nach einer Weile fühlte ich nichts mehr und lief weich wie in Butter.
Ich hatte mir geschworen, nichts anzufassen im ersten Dorf wegen Kleidern und Essen. Überall waren Leute unterwegs, und Lichter brannten, so schlug ich mich durch die Felder, bis ich auf eine Chaussee kam, die ich weiterlief.
Es mochte gegen neun sein, als ich in dem bißchen Mond wieder ein Dorf sah. Aber die Häuser lagen verdammt eng, und die Mistbauern schliefen noch nicht, so schlich ich lange herum, ohne was Rechtes zu finden. Schließlich machte ich, daß ich weiterkam.
Ich war müde, auch das Frieren hatte wieder angefangen. Ich hatte das Gefühl, als ob meine Füße, von denen der letzte Fetzen Strumpf längst abgefallen war, immer dicker wurden. Ich mochte gar nicht hinfassen.
Schließlich kam ich an einen Ausbauhof, ganz einsam gelegen, grade das Rechte für einen Mann in meiner Lage. Im Wohnhaus brannte Licht. Gardinen gab's keine, so konnte ich die beiden Bauersleute hocken sehen. Er qualmte, sie nähte. Ich wollte keine faule Sache anfangen, ich dachte, warte lieber, bis sie schlafen sind. Eine Ewigkeit stand ich vor dem Fenster, alle Viertelstunde sagte sie ein Wort, aber er antwortete nicht einmal. So ein blödes Pack, diese Bauern!
Unterdes versuchte ich, die Hände ein bißchen warm zu kriegen. Die Finger standen krumm wie die Backen einer Zange, ich bog sie mit Gewalt grade, steckte sie in den Mund: keine Möglichkeit. Ich war steif wie eine Latte. Darum ging auch alles schief. Als ich die Scheibe eindrückte, fiel sie ins Zimmer, es gab Lärm, Hunde bellten, ein Fenster wurde hell – ich mußte sehen, daß ich weiterkam.
Eine bildschöne Wut hatte ich im Leib, ich lief los, ich weiß nicht, wie lange. Am liebsten wäre ich hingefallen und verreckt, aber ich mochte den Bullen nicht den Spaß machen, mich so dämlich selbst in die Pfanne zu hauen.
Gegen zwölf kam ich wieder in ein Nest, und nun mußte ich zum Schluß kommen, so viel war klar. Gleich im ersten Hof stand der Wagenschuppen auf, ich kroch rein, konnte aber nichts finden. Eine Weile lag ich im Kutschwagen unter dem Knieleder, döste auch einmal ein. Aber die Kälte hatte mich gleich wieder wach.
Hinter einer Wand hörte ich das Rasseln von Kuhketten. Gegen das Vorlegeschloß brauchte ich nur ein paarmal mit einem Stein zu schlagen, dann war es offen. Ich hängte es in die Krampe, als hätten sie vergessen, es zuzuschließen, und zog die Tür sachte hinter mir zu.
In die warme, dunkle Luft hineinzukommen war wie ein Tannenbaum zu Hause bei Muttern. Ich machte nur ein paar Schritte, dann warf ich mich blindlings aufs Stroh zwischen zwei Kühe. Sie blieben liegen, ich wühlte mich immer tiefer ein, ich hätte heulen mögen vor Wonne.
Fünf Minuten lag ich so, langsam zog die Wärme in meinen Körper, dann begannen die Schmerzen. Ich preßte Faust und Stroh ins Maul, um nicht laut zu brüllen. Hände und Füße schnitt es mit Messern, meine abgescheuerten Schenkel brannten wie der Teufel. Ich rieb mich ganz mit Kuhdreck ein. Das half eine Weile, aber dann legten die Schmerzen wieder los.
Irgendwie ging die Nacht vorüber. Als es gegen Morgen war, kroch ich die Leiter hoch zum Heuboden. Es war dort wenigstens windgeschützt und einigermaßen warm. Dann kamen die Weiber zum Melken. Ihre Stimmen und die Strullgeräusche der Milch in den Eimern regten mich auf, nach dem langen Knast. Ich schlief aber schließlich darüber ein. Am Nachmittag war ich wieder soweit, daß ich mich runtertraute und eine Mahlzeit von Milch, Futterrüben und Kleie hielt, die mir guttat.
Aus dem Hin- und Hergehen und aus den Gesprächen hatte ich gemerkt, daß der Pferdestall mit der Knechtekammer direkt an den Kuhstall stieß. Nun kam es darauf an, ob alle auf einmal zum Abendessen ins Wohnhaus rübergehen würden oder ob einer bei den Pferden blieb. Als die Türen klappten, war ich schon halb die Leiter vom Heuboden runter. Weder im Kuh- noch im Pferdestall war einer. In der Knechtekammer brannte sogar Licht, eine gewöhnliche Kerze, auf ein paar Haken in der Wand hingen eine Menge Sachen.
Ich glaubte, jemand ginge über den Hof, ich war viel aufgeregter als draußen beim größten Bruch. Ich griff mit beiden Armen um das Paket Sachen, riß sie mit einem Ruck von den Haken. Die Aufhänger zerplatzten, und ein paar Haken gingen auch mit. Ich schoß hinaus auf den Hof ins Dunkle, lief hinter die Scheune, schmiß den ganzen Klumpatsch auf eine Kartoffelmiete und lauschte. Nichts.
Ich hatte ungefähr eine Ahnung von dem, was ich gegriffen hatte, ich konnte mich von unten auf anziehen. Zwei Hemden, zwei Unterhosen, eine dicke gestrickte Weste, eine Tuchweste, eine Joppe und eine Manchesterhose. Ich wurde noch mal so dick, wie ich gewesen war, und eine Masse Zeug ließ ich noch liegen. Nur keine Mütze, keine Strümpfe und keine Schuhe. Ich überlegte, ob ich nicht noch mal reingehen sollte, aber ich hatte keinen rechten Mumm, wollte lieber bis zum nächsten Dorf warten.
Es war bitter, wieder mit den bloßen, wunden Füßen durch den Schnee zu marschieren, aber ich reparierte das bald. Ich holte mir aus einem Stall ein Paar Holzschuhe. Auch eine Mütze bekam ich, als ich kurz nach zehn auf der Chaussee einem Arbeiter begegnete. Ich markierte betrunken, rempelte ihn an und schob ihm mit dem Arm die Mütze vom Kopf. Dann stellte ich mich mit dem Fuß drauf, als wüßte ich von nichts. Es war ein gräßlich hartnäckiger Kerl, über eine halbe Stunde stand er und bat mich, von seiner Mütze runterzugehen, aber als ein Betrunkener brauchte ich nicht ein Wort davon zu verstehen. Endlich zog er schimpfend Leine. Ich war scharf auf seine Schuhe und Strümpfe, aber das hätte die Polente sofort auf meine Spur gebracht, so war ich einfach ein Besoffener aus dem nächsten Dorf.
Ich lief die ganze Nacht und das beste Stück des nächsten Tages mit viel Kohldampf im Bauch. In all den Taschen hatte sich nicht ein Groschen gefunden, nicht eine Tabakkrume, ich bekam mal wieder einen richtigen Begriff von diesen Kerlen auf dem Lande.
Schließlich kam ich auch so nach Kassel, drückte mich zuerst auf den Wartesälen rum, aber es roch da sauer nach Schmiere, so machte ich, daß ich wieder fortkam und lief durch die Straßen. Ich kannte in Kassel keinen Schwanz und keine Gelegenheit, aber irgend etwas mußte ich drehen, und das heute abend noch, soviel war klar. Ich kam durch verschneite Anlagen, in denen fast kein Mensch war, dann durch Villenstraßen, dann in ein Arbeiterviertel.
Einmal kam ich hinter einen Rollwagen; er hielt bald da, bald dort und lud seine Kisten ab. Waren die Kolli zu groß, so half auch der Kutscher dem Ablader, sie trugen dann gemeinsam die Kiste ins Haus.
Ich suchte mir ein Frachtstück aus, nicht zu groß, so ein Dings, das aussah, als könnte was drin sein, mich in Gang zu bringen. Die Kiste schnappte ich mir ruhig, als die beiden im nächsten Haus waren, und ging in einen Torweg. Da war eine Kellertreppe; ich stieg hinunter und setzte mich vor den Keller.
Nun kam es darauf an, ob die Brüder gleich merken würden, daß die Kiste fehlte. Aber eine halbe Stunde verging, und nichts rührte sich. So machte ich mich denn mit meinem Kolli auf die Socken. Ich kam wieder durch die Proletengegend, dann durch die Villenstraßen. Unterwegs simulierte ich, was drin sein könnte. Es war viel leichter, als ich taxiert hatte, höchstens dreißig Kilo. Bloß nichts zu saufen, dachte ich. Denn dann betrank ich mich mit meinem hohlen Magen und wurde gekitscht, soviel war mir klar.
In den Anlagen war es still und dunkel, es schneite, kein Mensch zu sehen. Hinter einem Gebüsch warf ich die Kiste ab. Sie war mit einem Eisenband zugemacht, verdammt schwer aufzukriegen. Ich mußte meinen Holzschuh als Hammer und Stemmeisen nehmen, natürlich ging die Sohle zu Bruch.
Ich spannte nicht schlecht, als ich unter den Deckel faßte, aber es war schon richtig: Flaschen. Ich steckte mir ein paar ein und ging zur nächsten Laterne. Dralles Birkenhaarwasser! Es gab Schlimmeres, aber viel Marie brachte die Sore nicht. Als ich mir die Taschen vollsteckte, merkte ich, daß doch noch anderes in der Kiste war. Ich geriet auf Kartons, in denen Parfüms und Seifen waren, so Geschenkpackungen zu Weihnachten. Auch davon steckte ich Proben ein, warf auf die Kiste Schnee, zog den kaputten Holzschuh an und ging wieder los.
Bei den Proleten suchte ich mir einen Babutz. Das Geschäft war schon zu, aber ich klingelte an der Wohnung und fragte die Frau nach dem Meister. Ich möchte gern noch rasiert werden. Sie ließ mich rein, ich sah ihr wohl so aus, als könnte ich Rasieren brauchen.
Ich merkte gleich, daß ich den Richtigen gefaßt hatte, einen kleinen Gelben, der gern was verdient, wenn es nichts kostet. Von Rasieren sagte ich nichts mehr, ich zog meine Proben aus der Tasche und fragte, ob er die Sachen brauchen könnte. Die Frau stand dabei und sah mich nur an; sie hatte auch schon gemerkt, daß mein einer Holzschuh kaputt war.
Erst tat er zach, mit so ein bißchen Kram gebe er sich nicht ab. Ich meinte, wo das herkäme, wäre vielleicht noch mehr. Er gab mir fünf Mark und wollte aufbleiben, bis ich wiederkäme, lieh mir auch einen Rucksack, daß ich mich nicht nachts mit der Kiste über die Straßen zu schleppen brauchte.
Alles ging glatt, ich kriegte noch sechzig Mark, und er rasierte mich. Die Frau gab mir ein Essen und, ohne daß ich ein Wort sagte, ein Paar Trittlinge von ihrem Mann.
Dann zog ich in eine Kneipe, wo Musik und Weiber und die richtigen Jungens waren. Ich trank diesen Abend fast nichts, alles ging gut. Ich schlief mit einer kleinen Blonden, die mir noch Hemd, Kragen und Schlips von ihrem Stenz schenkte.
Aber in der Nacht fingen die Schmerzen in den Füßen wieder an. Zwei Tage hielt ich's aus, dann ging ich zum Arzt. Der sagte, so was hätte er noch nicht gesehen. Vier Zehen wurden mir abgenommen, aber da war das nicht mehr schlimm, ich hatte schon wieder reichlich Kies und gute falsche Flebben.
Ich fragte Sänftlein, wie lange er denn nun draußen in der Freiheit gewesen sei.
Er grinste etwas verlegen. »Keine drei Wochen, da kitschten sie mich wieder. Es war eine grausame Sache.«
Wie es denn gekommen sei?
»Weil man nie genug weiß, weil man nichts Vernünftiges lernt!« schrie er wütend. »Hast du gewußt, daß Räucherlachs keinen Frost verträgt?«
»Direkt gewußt nicht. Aber das kann man sich schon denken.«
»Denken ... Denken ... Hinterher sind alle Doofen schlau. Weil ich das nicht gewußt habe, darum haben sie mich gekitscht.«
»Na, erzähl schon, Sänftlein«, sagte ich.
Und da erzählte er.
Kassel war mir auf die Dauer für die Arbeit zu klein, ich hatte nicht den rechten Mumm, da etwas Großes zu drehen. So machte ich nur ein paar kleine Sachen, bis ich genug Marie auf der Tasche hatte, und fuhr wieder nach Hamburg, wo ich die Gelegenheiten kannte.
Ich hatte immerhin schon drei Jahre abgerissen, als ich hinkam. Alles hatte sich verändert. Die alten Kumpels waren weg, was ich so an Jungens fand, war halbseiden. Geld hätten sie schon gern gehabt, nur nichts anfassen dafür, so waren die. Schließlich hatte ich drei Mann, die mir stikum schienen.
Es war ein schlechter Winter. Ich selbst konnte nicht gut baldowern, in Hamburg kannte mich die ganze Schmiere, weil ich mal einen von ihnen angeknallt hatte; so mußte ich die Jungens auf die Tour schicken. Was sie brachten, war alles Mist, viel zu schwere Brecharbeit für solche Anfänger oder keine vernünftige Sore zu erwarten.
Schließlich kamen sie an eine große Lachsräucherei, ganz leicht ranzukommen. Sie machten mir einen Qualm, was Lachs kostete, ich mochte auch nicht immer nee sagen, also zittern wir los. Es war eine mistige Nacht, ich hatte gleich kein gutes Gefühl, die Kumpels stritten sich untereinander, sie hatten noch nicht einmal einen Schärfer für die Sore. Ich kriegte langsam eine bildschöne Wut.
Auf den Hof, wo die Räucherei lag, kamen wir leicht genug, einer blieb draußen Schmiere stehen.
Wie wir vor der Tür sind, was soll ich sagen, da haben die Kerls die Tändel zu Haus liegenlassen! Da stehen wir wie die Ochsen, das Schloß ganz einfach und kein Tändel! Die Brüder kriegen sich schon wieder bei den Haaren, wer dran schuld ist: Ich brüll sie an, ich hab sie richtig angebrüllt, es war mir ganz egal, ob einer hörte. Dann sag ich: »Umkehren? Gibt es nicht!« und nehm den Kuhfuß und stoß und splittere die Türfüllung raus. Das machte einen Krach, der ganze Hof krachte mit, manchmal hielt ich inne und dachte, das kann nicht gut gehen. Aber kein Schwein wurde wach.
Meine Herren Kollegen waren längst getürmt, Luft diesig, Gewitterneigung. Ich machte das Loch schön groß, weil ich nachher mit den Koffern durch mußte, stieg rein. In fünf Minuten hatte ich zwei Zentner Lachs abgehängt und eingepackt und ging nach Haus. Von den andern kein Schwanz zu sehen.
Ich überlegte die ganze Zeit, wo ich mit den Koffern abbleiben sollte, auf die Bude wollte ich sie nicht mitnehmen. Schließlich stell ich sie zwei Straßen weiter in einen Neubau. Da war jetzt doch nichts los, fünfzehn Grad Frost, da bleiben die Maurersleut bei Muttern.
Nachts im Bett bei meiner Kleinen sinnier ich und sinnier ich, was fang ich an mit der Sore? Ein Schärfer, der mich nicht kennt, trampelt mich und gibt zehn Mark; die, die mich kennen, schieben alle Knast oder sind fort. Ach was, denk ich, sei auch einmal frech. Kies muß her, was soll das schlechte Leben nützen? Am Morgen seh ich mir die Preise in den Schaufenstern an, dann geh ich auf den Bau, mach mir einen Handkoffer mit so sechzig Pfund zurecht, schmeiß mich in die feinste Kluft und zitter los.
Ich komm also in so ein Delikatessengeschäft, frag nach dem Chef; er läßt mich gar nicht reden: Nein, danke, kein Interesse. Der nächste hat Lachs genug bis übers Jahr, und so ging es weiter, die ganze Tonleiter rauf und runter, eine feine Sore das, mein Köfferchen braucht ich gar nicht erst aufzumachen.
Schließlich denk ich, was machst du mit den kleinen Krautern, geh zu den großen. Die Warenhäuser haben auch Lebensmittel. Richtig, Offertenabteilung, Lebensmitteleinkäufer, alles in Butter. Was haben Sie für Ware? Zeigen Sie mal her. Sehr schöne Fische. Sehen gut aus. Wollen mal eine Probe nehmen.
Nimmt das Messer, säbelt einen Fetzen ab, probiert, sieht mich an. »Aber, mein Herr, der Fisch hat Frost gekriegt!«
»Nanu«, sag ich. »Hat der Fisch Frost gekriegt? Das ist ja wohl nicht möglich.«
»Der Fisch hat Frost gekriegt. Der wird ja schon weich.«
»Weich wird er?« frag ich. »Nun, ich geb ihn auch billig.«
»Nein«, sagt der Mann, »das muß ich Ihnen zeigen, das ist ja ein schwerer Schaden für Sie. Herr Soundso, holen Sie mal einen von unseren Lachsen.«
Wir warten, der bringt den Lachs. »Sehen Sie, der schneidet sich fest, und Ihrer schneidet sich weich.«
Er säbelt los; da bleibt ja nichts nach, denke ich.
»Nun wollen wir mal noch einen Augenblick warten«, sagt er. »In Ihrem Fisch sitzt noch Frost. Sie sollen sehen, wenn der erst ganz raus ist, wie weich dann Ihr Fisch wird, ein Pudding, sage ich Ihnen.«
»Warten kann ich jetzt grade nicht«, sag ich. »Ich muß jetzt erst mal ...«
»Das können Sie hier«, sagt er. »Deswegen brauchen Sie nicht fortzugehen. Ich will Sie ja vor Schaden bewahren.«
»Das wollen Sie«, sage ich. »Da habe ich das feste Vertrauen, Herr Einkäufer, daß Sie das wollen. Aber wenn Sie wissen, daß dreitausend auf mich ausgesetzt sind, so wissen Sie auch, daß es bei mir leicht knallt.«
Und dabei zieh ich die Kanone halb aus der Tasche und seh ihn an. Er wird ganz weiß, und die andern Leute sehen mich auch alle an, aber keiner tut einen Mucks.
Ich geh rückwärts und sag noch: »Den Fisch behalten Sie man, Herr Einkäufer, der ist ja doch weich. Den schenk ich Ihnen für Ihre Tapferkeit, daß Sie mich haben wollen in die Pfanne hauen.«
Und damit bin ich draußen und die Treppe runter und über den Hof und auf der Straße. Ich nehm mir 'ne Droschke und dann ein Auto, und dann fahr ich ein bißchen auf Landpartie, und abends geh ich auf meine Bude, und wie ich am Bau vorbeigehe, denk ich: Da steht Lachs! Wenn den die Maurersleut im Frühjahr finden, denken sie auch, da hat einer 'ne Madenfarm eingerichtet.
Am nächsten Morgen, es wird so grade hell, bin ich wach und denke: Da wispert doch was! Meine Tür war mit einer Milchglasscheibe, und dahinter der Gang war hell, so sah ich recht hübsch zwei Köpfe mit Pinselhütchen. Also haben sie dich doch, denke ich. Na, die Tür ist verschlossen, denke ich, und bis ihr drin seid, bin ich in den Hosen und raus aus dem Fenster.
Ich überleg grad noch, ob ich meine Kleine wecken soll, da bewegt sich die Klinke. Drückt ihr man, sage ich, ihr könnt lange drücken – da – ich habe keine Worte – geht die Tür auf. Hab ich das Dings nicht abgeschlossen, ich sag schon, in den Tagen war ich richtig von aller Vernunft verlassen.
Also die beiden Kerls von der Schmiere stehen im Zimmer, die Kanonen natürlich in der Hand. Den einen kannte ich sogar.
»Sie sind ja früh auf, meine Herren«, sag ich. »Erschrecken Sie bloß die Dame nicht.«
»Machen Sie keine Geschichten«, sagen die. »Sie kennen wir. Wenn Sie eine Bewegung machen, funken wir los. Wir lassen uns nicht von Ihnen anknallen.«
»Seien Sie bloß friedlich«, sage ich. »Ich bin ja ein nackter Mensch. Und lassen Sie das Mädchen raus, die hat nichts mit der Sache zu tun.«
Die Kleine lag neben mir und zitterte und klapperte in einer Tour.
»Stehen Sie auf«, sagt der zu mir. »Stellen Sie sich hier in die Mitte vom Zimmer. Fräulein, machen Sie, daß Sie rauskommen.«
Die Kleine raus, gar nicht erst angezogen, die Lumpen überm Arm, im Hemd. Es sah richtig komisch aus, solche Angst hatte die.
»Anziehen werde ich mich ja wohl dürfen, Herr Kommissar«, sage ich.
»Bleiben Sie stehen, wo Sie stehen. Wenn Sie einen Mucks tun, ich habe verdammt Lust, Ihnen eine zu knallen von wegen Sie wissen schon.«
Ich wußte schon, sie dachten an den von der Schmiere, den ich angeknallt hatte. Der eine nahm meine Sachen vor, ein Stück nach dem andern. Wenn er's nachgesehen hatte, warf er mir's zu. Da war nichts zu machen, der andere hielt mir seinen Revolver immer unter die Nase, und meiner lag auf dem Waschtisch, halb unter der Schüssel.
So zog ich mich langsam an, ich redete immer gemütlich mit denen, sie sollten nicht denken, ich hatte was vor. Aber ich kam beim Anziehen doch langsam einen halben und einen ganzen und wieder einen halben Schritt dem Fenster näher, und dem Bullen wurde der Arm mit der Knarre auch steif, er hielt ihn gegen die Erde.
»Also fertig«, sagt der.
»Nur noch meine Zahnbürste«, sage ich und greife nach dem Waschtisch.
»Halt!« brüllt er, aber schon funk ich zweimal ganz rasch, und dann werf ich mich mit dem Rücken in die Fensterscheiben. Sie dachten natürlich, zweiter Stock, da ist nichts zu machen, aber unter meinem Fenster war ein Vordach von einer Veranda.
Ich prassele durch die Scheiben; die knallen auch, aber viel zu hoch, weil ich gleich nach unten wegsacke. Und schon geht es die Veranda runter. Ein Blauer steht auf dem Hof; ich schieße gleich, er läuft fort und versucht dabei, seine Pistolentasche aufzukriegen, und ich schon über den Hof.
Ich war in Wut, ich sah alles rot. Ich laufe los, durch den Torgang nach der Straße zu, die Kanone immer in der Hand. Im Torweg steht ein Weib; sie schmeißt sich ganz in die Wand, käsebleich, wie ich komme. Schön habe ich nicht ausgesehen, blutend von den Scheiben, den Revolver in der Flosse.
Auf der Straße steht Schmiere. »Fort, ihr Hunde!« brülle ich und schieße. Schon laufen sie, und auch ich laufe, die Straße hinauf und um die Ecke, die andere Straße entlang. Ich denke, ich kann mich unter die Leute verstecken; aber die laufen vor mir, sie spritzen nach allen Seiten auseinander, die Straßen werden leer vor mir. Und wenn ich mich mal umdrehe, kommen sie hinter mir, eine dichte, schwarze Masse mit tausend weißen Gesichtern, die schießen auch schon.
Ich denk, ich muß meine Kanone wegstecken, und halt sie nur fester. Ich denk, in den Anlagen, da sind Büsche; aber die Büsche sind kahl, es wird immer leerer um mich, was lauf ich noch? denk ich.
In ein Haus, denk ich, die Treppen rauf, über die Dächer weg, daß sie meine Spur verlieren, die Bullen, und renne rein, mitten in einen Laden.
Wie ich mich umsehe, stehe ich in einer Sparkasse, in einem großen Raum, eine Tür nach außen. Ich schrei gleich: »Raus, ihr Hunde! Raus mit euch!« Und die laufen, immer an mir vorbei, zur Tür raus, und draußen stehen sie in einem großen Kreis, auf der andern Seite vom Platz, alles schwarz und trauen sich nicht näher. Als letzter lief ein Dicker, Fetter an mir vorbei, er war ganz weiß und wollte leise laufen; er fiel über einen Schirmständer und lag da, platt und sah mich an und bewegte den Mund wie ein Fisch. Ich funkte noch einmal, das war mein letzter Schuß, und er kroch raus aus der Tür, und ich war allein.
Da stand ich nun mit meinem Talent und der leeren Kanone und konnte nicht weiter. Auf dem Kassentisch lagen Haufen von Geld, so viel Geld hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Aber es interessierte mich nicht, nichts interessierte mich, ich mußte daran denken, wie sie alle vor mir fortgelaufen waren, und ich stand hier. Das Mädchen war auch fortgelaufen.
Draußen klingelte es, die Feuerwehr, dachte ich, brennt es denn irgendwo? Und da fuhr es schon zum Fenster herein, ein Wasserstrahl, ich weiß nicht, wieviel Atmosphären Druck. Ich lag glatt am Boden, es schmiß mich um wie nichts, es prallte auf mich, es war, als hätte ich alle Knochen im Leibe gebrochen. Nicht den kleinsten Finger konnte ich rühren.
So lag ich da, und sie spritzten eine ganze Weile mit dem vollen Strahl auf mich, und dann ging die Tür auf, und die Bullen kamen, mich holen.