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In der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts lebte in dem kleinen Hüttenort Rübeland ein armer Bergmann mit Namen Baumann, der von seinem spärlichen Verdienst eine immer zahlreicher werdende Familie erhalten mußte. Darum wurde seine Lage mit der Zeit denn auch so schlimm, daß er tagsüber, wenn er sich an der Arbeit befand, immer nur an die Noth und den Jammer der Seinigen dachte und allerlei Pläne entwarf, die dazu dienen sollten, ihm ein wenig aufzuhelfen. Dachte er jedoch über diese Entwürfe länger nach, so stellte es sich immer heraus, daß sie nicht ausführbar waren, wenigstens nicht für einen Mann in seinen Verhältnissen.
Da hatte er einst einen seltsamen Traum. Er sah sich in eine Höhle einfahren und als er unten ankam, da lag sie voll mit kostbaren Erzen, die nur der Hebung harrten. Als er erwachte, und sich in seiner dunklen Kammer fand, die nur durch einen durch das Fenster brechenden Strahl des Mondes matt erhellt wurde, seufzte er bekümmert auf, daß alles nur ein Traum gewesen war. »Wie aber,« frug er sich nach einer Weile, wenn Gott mir durch diesen Traum einen Fingerzeig hätte geben wollen? – Wer weiß, ob nicht hier herum noch reiche Erzlager im Boden ruhn, von deren Dasein niemand etwas ahnt?«
Ja, der Entdecker eines solchen Erzlagers wäre nicht nur für den Augenblick aller Noth, sondern auch für die Zukunft aller Sorgen für sich und die Seinigen enthoben, ein reicher Lohn konnte nicht ausbleiben. – Wo aber die Suche beginnen?
Baumann hörte nicht auf, sich über diese Frage den Kopf zu zerbrechen, denn er fühlte sich mehr und mehr überzeugt, daß er nicht einen gewöhnlichen Traum, wohl aber eine Art Gesicht gehabt habe, welches höhere Mächte vor seine Seele gezaubert hatten, um ihm die Wege zu weisen, die ihn zu einem bescheidenen Wohlstand führen konnten. – Und als er so sann und sann während dieser schlaflosen Nachtstunden, erinnerte er sich plötzlich, bei seinen einsamen Wanderungen in der Umgebung des Ortes schon wiederholt den Eingang zu einer Höhle bemerkt zu haben, die sich weit in das Innere der Erde hineinzuerstrecken schien. Er hatte sich einmal auch die nächste Umgebung derselben, das äußere Gestein, genauer betrachtet und damals war ihm flüchtig der Gedanke durch den Kopf geschossen, ob es nicht am Ende erzhaltig sein möchte. – Und dazu das sonderbare Traumgesicht von vorhin! – Jedenfalls mußte er diesen Ort noch einmal besuchen und sich ihn recht genau besehen.
Die Erinnerung an seinen Traum ließ Baumann keine Ruhe mehr und immer wieder brachte er ihn mit der noch unerforschten Höhle in Verbindung, so daß er sich am folgenden Sonntage mit dem nöthigen Werkzeug, einem Grubenlichte und einigen festen Seilen versah, worauf er aufbrach, ohne irgend jemanden etwas von der beabsichtigten Entdeckungsfahrt mitzutheilen. Einen Augenblick dachte er allerdings daran, seine Frau ins Vertrauen zu ziehen, da man doch nicht wissen konnte, wie das Unternehmen enden würde, aber bald gab er diese Absicht wieder aus, ihre Plaudersucht fürchtend.
Lange verweilte der Bergmann vor der Höhle, sorgfältig jedes Merkmal prüfend, welches seine Aufmerksamkeit erregte, um endlich, nicht ohne ein leichtes Zögern, sein Grubenlicht zu entzünden und vorsichtig einzudringen in das Innere dieses Naturgebildes, in welchem er seltene Erze zu finden hoffte. Nach mancherlei Beschwerden und Gefahren befand er sich am Ziele seiner Wünsche, wo er ein eigenthümliches Geräusch vernahm wie von langsam fallenden Wassertropfen, die im Aufschlagen einen klingenden Ton erzeugen und bald bemerkte er auch, daß der Boden, den er unter seinen Füßen hatte, naß und schlüpfrig war.
Um sich über die Beschaffenheit der Höhle klar zu werden, hob er sein Licht in die Höhe, stieß aber beinahe im selben Augenblick einen Ruf des Erstaunens aus, denn von den Wänden, von der hoch über seinem Haupte sich wölbende Decke, mit einem Worte, von allen Seiten ragten ihm seltsame Gebilde entgegen, die glitzerten, wenn sie ein Lichtstrahl traf, doch von Erzen oder erzhaltigem Gestein, wie das Traumgesicht es ihm gezeigt, war bisher keine Spur zu erblicken.
Schon gedachte Baumann, die weiteren Forschungen in dieser abenteuerlichen Höhle aufzugeben, als ihn von neuem die Hoffnung erfaßte, doch noch einen werthvollen Fund zu machen. So überwand er denn sein geheimes Grauen und drang immer tiefer und tiefer ein in das Innere der Erde. Nicht einmal die kleinen Nebenhöhlen blieben undurchsucht, aber es half zu nichts, als er endlich an das äußerste Ende der siebenten und letzten Haupthöhle gekommen war, hatte er noch immer nichts anderes entdeckt als diese merkwürdigen Steingebilde, wie er deren noch in seinem ganzen Leben keine gesehen hatte.
Ermüdet und enttäuscht machte er sich auf den Rückweg, aber er war noch nicht weit gekommen, als seine Lampe plötzlich erlosch. Er hatte es versäumt, frisches Oel nachzufüllen, der geringe Vorrath war aufgezehrt und Baumann befand sich beinahe noch über siebenhundert Fuß weit vom Eingang entfernt, inmitten dichter Finsterniß.
Wie sollte er sich zurechtfinden in diesem Gewirr von Höhlen und Gängen, wie zu dem Ausgange zurückgelangen? – Langsam und mit ausgestreckten Händen tastete der Unglückliche sich vorwärts, ohne, bei den mancherlei Windungen, die er beschrieb, nur Gewißheit zu besitzen, ob er denn wirklich vorwärts komme oder sich nicht wieder vom Ausgange entferne. Welch' eine qualvolle Wanderung und wie schwer ihm der Gedanke auf die Seele fiel, daß niemand ihm Hülfe bringen könne, da er aus Furcht, der Preis der erhofften Entdeckung könnte ihm streitig gemacht werden, das beabsichtigte Unternehmen gegen jedermann verschwiegen hatte. Hätte er sich doch nur seinem Weibe anvertraut!
Wie lange er sich schon in der Höhle befand, darüber vermochte sich Baumann keine Rechenschaft zu geben, doch schien es ihm, als wären schon viele Tage vergangen, seit er zum letzten Male den Himmel über sich gesehen hatte. Verzweiflung und Ermattung drohten ihn endlich zu überwältigen, denn er irrte rastlos durch sein dunkles Gefängniß und auch an Nahrung mangelte es ihm, denn er hatte nichts mit sich genommen als einen halben Laib Schwarzbrot, von dem fast nichts mehr übrig war, trotzdem er stets nur dann einige Bissen aß, wenn der Hunger zu heftig in seinen Eingeweide wühlte. Und dazu stets noch den Hungertod vor Augen haben zu müssen! Fand er nicht bald den Ausgang, so war es um ihn geschehen! – Und halb wahnsinnig gemacht durch diese quälenden Gedanken schleppte er sich wieder weiter, obschon die Kniee unter der Last des Körpers wankten.
Endlich, endlich schimmerte es in der Ferne, zog es sich wie ein goldiger Faden über das Gestein hin! – Und den letzten Rest seiner Kräfte zusammenraffend, ging der Unglückliche diesem Schimmer nach, der immer mächtiger, immer glänzender wurde, bis er endlich an dem Ausgange aus seinem Höhlengrabe angekommen war!
Noch eine letzte gewaltige Anstrengung und er war frei, athmete die belebende Gottesluft, sah den sonnendurchleuchteten Himmel wieder über sich! – Nun war es aber auch vorbei, er vermochte Rübeland nicht mehr zu erreichen, besinnungslos brach er mitten am Wege zusammen.
Als Baumann wieder zum Bewußtsein gelangte, sagte man ihm, daß er zwei Tage und zwei Nächte abwesend gewesen sei, daß man ihn vergeblich gesucht bis ihn endlich zwei Hüttenarbeiter auf der Straße liegend gefunden und den vermeintlich Todten in seine Hütte gebracht hätten.
Der arme Bergmann wurde auch nicht mehr gesund, die überstandenen Anstrengungen, die furchtbaren Körper- und Seelenleiden, die er während achtundvierzig Stunden erduldet, hatten den ohnehin kränklichen Mann vollständig gebrochen. Wohl vermochte er den Genossen noch die merkwürdige Entdeckung, die er gemacht hatte, und seine Erlebnisse zu schildern, sie zu weiteren gemeinsamen Forschungen anzuregen, doch am folgenden Tage war er eine Leiche, ohne daß es ihm gelungen wäre, der Noth seiner Angehörigen zu steuern.