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11. Hasselfelde

Das der heiligen Gertrud geweihte Frauenkloster in Hasselfelde, von welchem heute nicht die schwächsten Spuren mehr zu entdecken sind, zählte zu den ersten Klöstern, die im Harzwalde gegründet wurden und erfreute sich weit und breit des höchsten Ansehens. Seine frommen Bewohnerinnen lebten nämlich nicht nur so streng und kärglich, wie es die Regel vorschrieb, sondern, durchdrungen von christlicher Liebe und ihrer hohen Aufgabe stifteten sie auch unermüdlich Gutes, was namentlich den rauhen Bergleuten zum Heil gereichte, die zu vielen Hunderten in den Silber- und Kupferbergwerken von Hasselfelde ihr tägliches Brot gewannen.

So ging lange Zeit alles gut und die Nonnen wie die Bergknappen waren einander froh, da sie sich gegenseitig schützten und halfen wo es nur anging. Drohte dem Kloster irgend eine Gefahr, so waren die kühnen Gesellen sofort bei der Hand, jedes Ungemach von den Frauen fernzuhalten und ihr Eigenthum zu schützen; befanden sie sich dagegen in Leibes- oder Seelennoth, so nahmen sie ungescheut ihre Zuflucht zu den mildthätigen Jüngerinnen der heiligen Gertrud, die sich stets bereit fanden, ihnen beizustehen mit Wort und That.

Eines Tages nun fügte es das Schicksal, daß der hohe Ruf, den ihr heilsames Walten, den Gertrudis Schwestern eingetragen hatte, auch in einem frommen Mägdelein, der Tochter eines Knappenmeisters, den Entschluß zur Reife brachte, der Welt zu entsagen und sich aufnehmen zu lassen in diese heilige Frauengemeinde. Emma's hohe Tugenden und strenge Sittsamkeit waren so bekannt, daß die Mutter Priorin ihrem Wunsche unbedenklich willfahrte und einen nahen Tag bestimmte, an welchem sie als Novize in das Kloster eintreten sollte.

Freudig kehrte Emma heim, den Ihrigen diese willkommene Kunde zu bringen, doch zeigte sich der alte Knappenmeister zu ihrer Verwunderung eher betrübt als beglückt, als er ihre Wünsche vernahm und von der guten Aufnahme hörte, die sie bei der ehrwürdigen Mutter gefunden hatten.

»Hast Du es auch recht bedacht, meine Tochter?« frug er, den grauen Kopf schüttelnd. »Gar eilig ist die rasche Jugend mit ihren Beschlüssen, die oft zum Unheil ausschlagen. Wohl ist es gut und recht, Gott zu ehren und ihm zu dienen, aber ich meine, eine blühende Jungfrau müsse sich darum nicht aller Pflichten gegen Vater und Mutter entschlagen. Wir sind alt, wir haben kein anderes Kind als Dich, wer soll uns pflegen, wenn wir schwach und hinfällig werden, wer uns die Augen zudrücken zum ewigen Schlafe?«

»Gott, der sich aller seiner Geschöpfe annimmt, wird auch für Euch sorgen und Euch vor Unheil bewahren,« antwortete Jungfrau Emma.

»Und dann, Du weißt, Kind, wir haben andere Pläne mit Dir gehabt. Dem armen Konrad bricht das Herz, wenn er Dich aufgeben muß,« fuhr der Vater fort.

Emma schüttelte den Kopf, indem sie sagte:

»Denkt dies nicht, guter Vater; Konrad ist ein Christ, er lerne sich überwinden! und wenn er mich wirklich liebt, so muß es ihn glücklicher machen, mich als Himmelsbraut im Kloster zu wissen, denn aus mir sein Weib zu machen. Ich werde mit ihm reden. Und auch Ihr, Vater und Mutter, freut Euch des Glücks, welches Euerm Kinde erblüht!«

Wohl rührten ihre fromme Zuversicht, ihre Begeisterung das Herz der beiden Alten und sie dankten dem lieben Gotte innig dafür, daß er ihnen eine Tochter gegeben hatte, die an Frömmigkeit und Tugenden alle Jungfrauen der Umgegend überstrahlte, doch traurig blieb ihr Sinn darum doch, denn im Geiste hatten sie schon oft blühende Enkelkinder sich auf ihren Knieen wiegen sehen.

Aber trauriger, viel trauriger noch als der Knappenmeister und sein Weib, wurde Konrad, der unerschrockene Bergmann, der für den besten Arbeiter und den tüchtigsten Mann galt, als die Jungfrau ihm von dem erwählten Beruf sprach und sich durch keine Bitte bewegen ließ, auf denselben zu verzichten.

Er hatte den Gertrudis Schwestern schon manchen Dienst geleistet, zu ihrem Schutze schon manchen Strauß bestanden, doch noch nie ihre Hülfe angerufen. Sollte er nicht jetzt, wo so große Noth ihn bedrängte, gleich den andern das Kloster aufsuchen und den Frauen sein Leid klagen? – Sie konnten ihm ja das verlorene Glück, die verlorene Ruhe wiedergeben, wenn sie wollten, sie brauchten nichts zu thun, als der Jungfrau die Aufnahme zu weigern, sie an die Pflichten zu mahnen, die sie gegen die Eltern, die sie gegen ihn zu erfüllen hätte.

Bekümmert hörte die ehrwürdige Mutter die verzweifelten Bitten, die Klagen und das Schluchzen des Knappen an, der sich zu ihren Füßen niederwarf, flehend, sie möge ihm die Braut wiedergeben.

»Gewährt mir diese Gunst, fromme Frau, und ich will Euch dienen jederzeit, kämpfen und bluten für Euch, wo und wenn es ist!«

»Thörichter Knabe,« sprach sie da milde, »wie kann ich Dir gewähren, was sie Dir verweigert?«

»Verschließet ihr Euer Haus!«

»Das darf ich nicht eines solchen Grundes wegen.«

»So redet mit ihr, stellet ihr vor, wie schlecht es ist, uns alle so zu verlassen, über uns so grenzenloses Weh zu bringen.«

»Auch dies darf ich nicht, mein Sohn, denn es ist nicht schlecht, Menschen, selbst Eltern, zu verlassen, wenn es nur geschieht, um Gott mit Leib und Seele dienen zu können. Aber den Tag ihres Eintrittes in das Kloster will ich um einige Zeit hinausrücken und sie ermahnen, sich genau zu prüfen und auch des Schmerzes zu gedenken, den sie Dir bereitet.«

Mehr vermochte Konrad nicht zu erlangen und nur schwach getröstet verließ er die ehrwürdige Mutter. Im Gertrudenkloster war man doch nicht so hülfsbereit und mildherzig, wie die Leute sagten. – – –

*

Die Klosterpforte hatte sich hinter Emma geschlossen; allerdings noch nicht für das ganze Leben, denn der Novize steht ja die Rückkehr in die Welt offen, erst das feierliche Gelübde scheidet sie für ewig von ihr. Konrad kannte die Jungfrau zu gut, um nicht zu wissen, daß es gerade so war, wie wenn sie dieses Gelübde schon abgelegt hätte, daß es für ihn keine Hoffnung mehr gab und nach beendeter Feierlichkeit verließ er verzweifelnd die Kirche.

Bald aber gesellte sich zu seinem Schmerze ein dumpfer tiefer Groll, dem der Gedanke immer neue Nahrung gab, »die Priorin hätte sie mir erhalten können, wenn sie es gewollt hätte.« Wohl arbeitete er für zehn, aber seine Hammerschläge wurden nicht mehr wie zuvor von fröhlichen Liedern begleitet und auch wenn er aus den tiefen Schachten heraufstieg an die Oberwelt, verlor seine Miene den trüben, düstern Ausdruck nicht, der ihr jetzt stets eigen war. Schweigend saß er des Abends im Kreise der Kameraden, ohne auf die lustigen Schwänke zu achten, die sie erzählten, noch auf die Trostgründe, die ihn beschwichtigen und mit neuer Lebensfreude erfüllen sollten.

»Warum haben sie gerade die eine genommen, an der mein ganzes Glück hing?« pflegte er auszurufen, wenn er sich überhaupt zu einer Antwort herbeiließ. »Es mangelt nicht an Jungfrauen für das Kloster, warum gerade diese? – Ist es recht, die Tochter aus den Armen der weinenden Eltern, aus denen des verzweifelnden Bräutigams zu reißen?«

Die Bergleute hingen in ihrer Art mit treuer Liebe an dem jüngsten ihrer Genossen, der trotzdem einer der besten war und darum ging ihnen sein Weh zu Herzen und allmählig begannen auch sie den Nonnen des Gertruden-Klosters zu zürnen. Der Bursche hatte recht, es gab der Jungfrauen genug, willig, den Schleier zu nehmen, warum hatten sie seine Braut geraubt? Das Emma aus eigenem Antriebe in den Orden getreten war und daß es noch andere Klöster gab, in die sie hätte eintreten können, würden sie die Gertrudis-Schwestern zurückgewiesen haben, daran dachten weder Konrad noch seine Gefährten.

Eines Abends, als er wieder mit einer Anzahl Knappen bei einem festlichen Mahle beisammensaß und die Köpfe sich schon stark erhitzt hatten, rief einer der älteren, mit gewaltiger Faust auf den Tisch schlagend:

»Horch', Jung', wir wollen Deinen Jammer nicht länger mehr mit ansehen. So jung Du bist, sehen wir mit Stolz auf Dich und traurige Gesellen sind es, die ihren Freunden nicht beistehen in der Noth. Kannst Du die Jungfrau einmal nicht vergessen, so sollst Du sie wieder haben; wir wollen sie Dir holen und gibt man sie nicht gutwillig heraus, so nehmen wir sie mit Gewalt.«

Jubelnd stimmten die andern bei und, Konrad in ihre Mitte nehmend, zog die trunkene Schar vor die Pforten des Klosters, mit lautem Lärm Einlaß begehrend.

Vergebens wehrte die Pförtnerin ihr sinnloses Begehren, vergebens kam die ehrwürdige Mutter selbst herbei, die beinahe jedem dieser Männer schon Wohlthaten erwiesen hatte, der Widerstand, den sie fanden, steigerte nur noch ihre Wuth.

»Laßt uns ein oder gebt des Knappenmeisters Kind heraus, sonst rennen wir Thür und Thor ein und dann mag Euch Gott gnädig sein,« brüllten sie zum Fenster hinauf.

»Die Jungfrau steht unter unserm Schutze, wir sind Gott verantwortlich für ihren Leib wie für ihre Seele,« gab die ehrwürdige Mutter mit fester Stimme zurück.

»Unter Eurem Schutze, die Ihr Euch selbst nicht schützen könnt, wenn wir Ernst machen!«

Wohl erkannten die Nonnen ihre verzweifelte Lage, die Unmöglichkeit sich zu retten, denn die Knappen hielten alle Pforten bewacht und sie hatten niemanden, sie zu vertheidigen. Dennoch beschlossen sie, ihre Pflicht zu thun bis zum letzten Augenblicke, nicht zu wanken, nicht zu weichen und schaarten sich in der Kirche um den Hochaltar, hier unter Gebeten das Schicksal zu erwarten, welches Gott über sie verhängen würde.

Da krachten und brachen die Pforten unter dem gewaltigen Ansturm der berauschten Männer und herein drängte der wilde Haufe, sich auf die Nonnen zu stürzen, die nach allen Seiten hin flohen.

Vergebens stieg die Priorin zum Hochaltar hinan und hielt den Angreifern das Cruzifix entgegen, sie vermochte die bösen Mächte nicht zu bannen, nicht den grauenhaften Auftritt zu verhindern, welcher die heilige Stätte entweihte.

Plötzlich tönte ein gellender Schrei von der Emporkirche herab, dem sogleich ein zweiter und ein schwerer dumpf dröhnender Fall folgte, wie wenn ein Körper von der Höhe fällt.

Entsetzt ließen die Trunkenen von den unglücklichen Nonnen ab, um jener Stelle zuzueilen, von welcher das unheimliche Geräusch gekommen war. Als sie anlangten, fanden sie Emmas Körper, zerschellt auf den Steinplatten des Bodens liegend, und den armen Konrad über ihn hingebreitet, der sich sein Messer ins Herz gestoßen hatte. – Um ihren Verfolgern zu entrinnen, hatte die Unselige den tödtlichen Sprung gewagt.

Furchtbar aber war die Strafe, welche diesem ruchlosen Beginnen folgte. Kaiser und Papst verhängten die Acht und den Bann über Hasselfelde und forderten die Auslieferung sämmtlicher Bergleute an das Heer, welches ersterer zur Vollstreckung des Urtheils sandte. Und als die Bürger, die sich in Vertheidigungsstand gesetzt hatten, diesem Begehren nicht willfahren mochten, ereilte auch sie das Verderben. Ihr Widerstand wurde nämlich bald bezwungen und die erbitterten Soldaten tödteten jeden, der ihnen in die Hände fiel, verwüsteten die Bergwerke und steckten endlich noch das Städtchen in Brand, bei welcher Gelegenheit auch das entweihte Gertruden-Kloster von den Flammen ergriffen wurde und gänzlich abbrannte.

Aufgebaut wurde das Kloster niemals wieder und auch der Bergbau gelangte in Hasselfelde nicht mehr zur Blüthe.


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