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2. Burg Scharzfels

Im Oberharz, etwa dreiviertel Stunden oberhalb des Dorfes Scharzfeld, erhebt sich auf steil emporstrebenden Felsen die interessante Ruine Scharzfels, die aus einer Nieder- und einer Hochburg besteht, die durch eine ziemlich hohe, doch in gutem Stande befindliche Treppe verbunden sind.

Obgleich nur mehr Reste vorhanden sind, so genügen dieselben doch, dem Besucher einen Begriff von den Mühseligkeiten zu geben, mit welchen die Ausführung dieses kühn ersonnenen Burgbaues verbunden gewesen sein muß und von dem Widerstande, den das Schloß den verschiedenen Belagerungsheeren entgegensetzte.

Im elften Jahrhundert befand sich die Burg in den Händen eines mächtigen Geschlechtes, welches dem Lande manchen Helden geschenkt hatte, der für des Reiches Wohlfahrt und des Kaisers Hoheit mit unermüdlicher Ausdauer zu kämpfen verstand. Auch der damalige Besitzer, Graf Bodo von Scharzfels, stand darin in nichts seinen Vorfahren nach und Kaiser Heinrich IV. zeichnete ihn darum auch bei jeder Gelegenheit aus und war sogar kein seltener Gast auf dem Scharzfels.

Diese häufigen Besuche auf der Burg hatten jedoch noch eine andere Veranlassung, von welcher sich der edle Graf Bodo zu seinem Glücke nichts träumen ließ. Sie galten nämlich weit weniger dem verdienstlichen Burgherrn als dessen schöner Gemahlin, der Gräfin Emma, deren Körperreize ebenso sehr von sich reden machten wie ihre seltenen Tugenden und Geistesgaben.

Schon die erste Begegnung mit der Edelfrau hatte genügt, Heinrichs Herz in Flammen zu setzen und alle Gründe, die sein Gewissen wie seine Vernunft gegen diese unheilvolle Neigung vorbrachten, prallten machtlos ab an ihrer leidenschaftlichen Heftigkeit. Dennoch war der Kaiser in seinen Bemühungen die Gunst der Gräfin zu gewinnen, nichts weniger als glücklich. Ihr Ohr blieb gegen seine Betheuerungen wie gegen seine Bitten taub und sie besaß keine andere Antwort für ihn als: »Ihr wißt, erlauchter Herr, daß ich nicht mir selbst angehöre, also auch nicht mehr über mich und mein Herz verfügen darf. Ich kann nichts für Euch thun, als Gott bitten, er möge Euern Sinn wenden und Euch jenen Frieden schenken, den ich so innig für Euch ersehne.«

Allerdings bewunderte Heinrich diese edle Festigkeit, diese treue Pflichterfüllung, doch an seinen Wünschen vermochte dies nichts zu ändern. Im Gegentheil, sie wurden nur heftiger, zumal er zu bemerken glaubte, daß auch Emmas Herz ihm entgegenschlage. Dieser Gedanke brachte ihn der Raserei nahe und bald sann er Tag und Nacht über die Mittel nach, die dazu dienen konnten, ihren Widerstand zu beseitigen. Leider fand er aber nur eins, nämlich Gewalt! – Geziemte es dem Kaiser, dem Schirmherrn der Tugend und des Rechts, ein wehrloses Weib gewaltsam vom Pfade der Pflicht zu reißen, mußte nicht Emma selbst ihn verachten, wenn er einen solchen Schritt wagte? Freilich, die Liebe begreift und verzeiht die Verirrungen der Liebe und an der seinigen durfte, konnte die Gräfin nicht zweifeln.

Der Kaiser schwankte noch immer und vielleicht wären die bösen Mächte in ihm unterlegen, hätten sie nicht in dem ehrbegierigen und gottlosen Burgkaplan einen Verbündeten gefunden. Dieser Mann, unter dessen Priesterkleide sich ein ebenso mitleidsloses als falsches Herz verbarg, der das ganze Vertrauen der Burgherrin besaß, errieth alles, was in Heinrichs Seele vorging und schlich sich schmeichelnd an ihn heran, ihn mit schädlichen Rathschlägen zu umgarnen.

»Die Gräfin liebt Euch, Herr Kaiser, und nichts hält sie von Euch fern als der Schwur, den sie dem Grafen geleistet hat. Wollt Ihr es aus ihrem eigenen Munde hören, gut, so vertraut mir; ich kenne einen verborgenen Gang, auf welchem Ihr ungesehen und ungehindert in ihr Gemach gelangen könnt und ich übernehme es, Euch den Weg dahin zu weisen.«

»Mein kaiserlicher Dank wird Dir diesen Dienst reichlich zu lohnen wissen!« rief Heinrich entzückt.

Solche Worte hatte der Kaplan hören wollen. Sie bedeuteten Aemter und Ehren, klingendes Gold in Fülle und ein herrliches Leben.

»Diesen Abend noch, Herr, will ich meines Führeramtes walten, doch muß der Graf aus dem Schlosse entfernt und ihm die Möglichkeit benommen werden, vor morgen hierher zurückzukehren.«

Um einen Vorwand war der Kaiser nicht verlegen. Er sandte den Grafen mit einer geheimen Botschaft an den Bischof von Halberstadt und am selben Abend noch ritt der ob dieses ehrenvollen Auftrags geschmeichelte Ritter fröhlich aus dem Thore seiner Burg, kaum einmal zurückblickend nach dem Söller, auf welchem Emma stand.

Bange Ahnungen stiegen im Herzen der edlen Frau auf. Weßhalb entsandte man ihren Gemahl aus der Burg, war kein anderer da, diesen Auftrag zu vollführen? Trug sich Heinrich etwa mit bösen Anschlägen und war ihm der Graf darum im Wege gewesen? O, der Unselige! warum floh er nicht den Scharzfels, warum tödtete er nicht mit unbarmherziger Hand diese sündige Leidenschaft, die ihm nur Verderben bringen konnte? – Thränen rollten über die Wangen der Gräfin nieder, erpreßt von namenloser Furcht und tiefem Schmerze um den geliebten Kaiser.

Die Nacht war vollends hereingebrochen und Emma, die sich fester als es sonst in ihrer Gewohnheit lag, in ihr Gemach eingeschlossen hatte, saß am offenen Fenster, die rothgeweinten Augen dem Nachtwinde zur Kühlung darbietend. In der Burg wurde es immer stiller, die Herren wie die Diener suchten das Lager auf, nur sie vermochte nicht an Schlaf zu denken. Es war ihr als ob irgend ein Unheil drohe, als ob sie wachen und beten müsse, und wenn das leiseste Geräusch nur hörbar wurde, zuckte sie erschrocken zusammen.

Doch – was war das? – Welch' sonderbares Geräusch dort hinten in der Wand, war es nicht ein Knarren, wie wenn sich eine seit langem nicht mehr benützte Thür schwerfällig in ihren Angeln dreht?

Ein gellender Schrei entfuhr den Lippen der Gräfin. Das Getäfel bewegte, verschob sich und in der entstehenden Oeffnung zeigte sich Heinrichs Gestalt.

Aber nur eine Sekunde währte ihre Bestürzung. Die Nähe der Gefahr gab ihr Muth und Besonnenheit zurück; sie riß mit kräftiger Hand ein silbernes Cruzifix von der Wand und es fest gegen die wogende Brust drückend, stand sie da, hochaufgerichtet und stolz, ein Bild edelster Weiblichkeit.

Vor ihr auf den Knieen, die Hände zu ihr erhoben, wie zu einer Heiligen, flehte der Fürst mit leidenschaftbewegter Stimme:

»Emma, läugnet nicht länger, daß Ihr mich liebt so innig und heiß wie ich Euch liebe, all' mein Leben lang lieben werde! Euer süßes Geheimniß ist nicht mehr allein das Eurige.«

»Der Kaplan hat mich verrathen, an Euch verrathen?« stammelte die Gräfin, das edle Antlitz von dunkler Gluth übergossen.

»Verrathen? – Ja und nein. Er hat sie nicht länger mehr ansehen können, die furchtbaren Qualen, die uns beide verzehren! Emma, hört mich an – nicht Unehre ist es, die ich Euch zu bieten kam. – Ich will es bewirken, daß Eure Ehe gelöst werde, daß Ihr in Ehren die Meine sein dürfet, ich will dem Grafen alles geben, was ich zu geben habe, Geld und Gut, Ländereien, Ehren und Macht, ihn zu entschädigen für den empfindlichen Verlust, den einzigen, den ich ihm nicht ersparen kann. O, saget doch, daß Ihr damit einverstanden seid!«

Emma war todtenbleich geworden, ihre Lippen zuckten in furchtbarem Schmerze und Thränen stürzten aus den Augen, die sich nicht abwandten von dem Cruzifix.

»Die Gott geeint, die soll der Mensch nicht scheiden!« sprach sie trotzdem fest und ohne Zögern.

»Doch diejenigen dürfen es, denen Gott die Macht verliehen hat zu binden und zu lösen.«

»Entschlagt Euch solcher Gedanken und Wünsche, erlauchter Herr. Mein Entschluß steht fest, ich harre aus an dem Platze, an welchen Gott mich gestellt hat und Ihr seid zu Höherem berufen, als um ein Weib zu werben, welches das Schicksal Euch versagt. – Und nun lebet wohl, Kaiser Heinrich, das Glück geleite Euch auf allen Wegen!«

»Nicht so, Emma, zu einem milchblütigen Mönchlein möget Ihr so reden, nicht zu mir, dessen Leben an Eurem Besitze hängt! Und weil Ihr mich zur Raserei treibt, weil blinder Wahn Euch gefangen hält, so muß der König der Himmel mir vergeben, wenn ich mit Gewalt mir zu eigen mache, was Ihr mir so unbarmherzig versagt!«

Und seiner selbst nicht mehr mächtig, eilte Heinrich in den engen Gang hinaus, in welchen die geheime Thüre im Gemache der Gräfin mündete.

»Thietmar – Eike, herbei ihr Gesellen!« rief er.

Die Gräfin aber lag auf den Knieen und rief in höchster Seelenangst flehend zum Himmel hinauf:

»Herr, mein Gott, hilf mir, verlaß' mich nicht in dieser Noth!«

Da knarrte es von neuem und ohne fremdes Zuthun schloß sich das bewegliche Getäfel der Wand, ehe Heinrich mit seinen Gesellen zurückeilen und es verhindern konnte.

Vergebens rüttelte und pochte er, alle Anstrengungen, die Thüre, deren Geheimniß ihm so genau bekannt war, wieder zu öffnen, blieben fruchtlos. Die Feder war zu fest eingesprungen und nie wieder gelang es, sie in Bewegung zu setzen.

Drinnen im einsamen Gemache aber lag die auf so wunderbare Weise gerettete Gräfin betend am Boden, doch mengten sich Thränen bittern Schmerzes unter ihre Dankesworte. Sie wußte, daß sie Heinrich zum letzten Male gesehen hatte.

Und in der That, es war dies der letzte Besuch gewesen, den der unglückliche Heinrich IV. dem Scharzfels abstattete, daß er aber trotzdem der schönen Herrin desselben ein treues Gedenken verehrte, bewiesen die Auszeichnungen und Ehren, mit welchen er auch fernerhin den Grafen überhäufte.


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