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Zwei Taillen und der Chevalier hatte alles – alles verloren!
Regungslos blieb er stehen neben dem Obristen und starrte in dumpfer Sinnlosigkeit hin auf den Spieltisch.
›Ihr pontiert nicht mehr, Chevalier?‹ sprach der Obrist, indem er die Karten melierte zur neuen Taille. ›Ich habe alles verloren‹, erwiderte der Chevalier mit gewaltsam erzwungener Ruhe.
›Habt Ihr denn gar nichts mehr?‹ fragte der Obrist bei der nächsten Taille.
›Ich bin ein Bettler!‹ rief der Chevalier mit vor Wut und Schmerz zitternder Stimme, immerfort hinstarrend auf den Spieltisch und nicht bemerkend, daß die Spieler immer mehr Vorteil ersiegten über den Bankier.
Der Obrist spielte ruhig weiter.
›Ihr habt ja aber ein schönes Weib‹, sprach der Obrist leise, ohne den Chevalier anzusehen, die Karten melierend zur folgenden Taille.
›Was wollt Ihr damit sagen?‹ fuhr der Chevalier zornig heraus. Der Obrist zog ab, ohne dem Chevalier zu antworten.
›Zehntausend Dukaten oder – Angela‹, sprach der Obrist halb umgewendet, indem er die Karten kupieren ließ.
›Ihr seid rasend!‹ rief der Chevalier, der nun aber, mehr zu sich selbst gekommen, zu gewahren begann, daß der Obrist fortwährend verlor und verlor.
›Zwanzigtausend Dukaten gegen Angela‹, sprach der Obrist leise, indem er mit dem Melieren der Karten einen Augenblick innehielt.
Der Chevalier schwieg, der Obrist spielte weiter und beinahe alle Karten schlugen den Spielern zu.
›Es gilt‹, sprach der Chevalier dem Obristen ins Ohr, als die neue Taille begann und schob die Dame auf den Spieltisch. –
Im nächsten Abzug hatte die Dame verloren.
Zähneknirschend zog sich der Chevalier zurück und lehnte Verzweiflung und Tod im bleichen Antlitz sich ins Fenster.
Das Spiel war geendet, mit einem höhnischen: ›Nun wie wird's weiter?‹ trat der Obrist hin vor den Chevalier.
›Ha‹, rief der Chevalier, ganz außer sich, ›Ihr habt mich zum Bettler gemacht, aber wahnsinnig müßt Ihr sein, Euch einzubilden, daß Ihr mein Weib gewinnen konntet. Sind wir auf den Inseln, ist mein Weib eine Sklavin, schnöder Willkür des verruchten Mannes preisgegeben, daß er sie zu verhandeln, zu verspielen vermag? Aber es ist wahr, zwanzigtausend Dukaten mußtet Ihr zahlen, wenn die Dame gewann, und so habe ich das Recht jedes Einspruchs verspielt, wenn mein Weib mich verlassen und Euch folgen will. – Kommt mit mir und verzweifelt, wenn mein Weib mit Abscheu den zurückstößt, dem sie folgen soll als ehrlose Mätresse!‹
›Verzweifelt selbst‹, erwiderte der Obrist hohnlachend, ›verzweifelt selbst, Chevalier, wenn Angela Euch – Euch, den verruchten Sünder, der sie elend machte, verabscheuen und mit Wonne und Entzücken mir in die Arme stürzen wird – verzweifelt selbst, wenn Ihr erfahrt, daß der Segen der Kirche uns verbunden, daß das Glück unsere schönsten Wünsche krönt! – Ihr nennt mich wahnsinnig! – Ho ho! nur das Recht des Einspruchs wollt ich gewinnen, Euer Weib war mir gewiß! – Ho ho, Chevalier, vernehmt, daß mich Euer Weib, ich weiß es, unaussprechlich liebt – vernehmt, daß ich jener Duvernet bin, des Nachbars Sohn, mit Angela erzogen, in heißer Liebe mit ihr verbunden, den Ihr mit Euern Teufelskünsten vertriebt! – Ach! erst als ich fort mußte in den Krieg, erkannte Angela, was ich ihr war, ich weiß alles. Es war zu spät! – Der finstre Geist gab mir ein, im Spiel könnte ich Euch verderben, deshalb ergab ich mich dem Spiel – folgte Euch nach Genua – es ist mir gelungen! – Fort nun zu Euerm Weibe!‹ –
Vernichtet stand der Chevalier, von tausend glühenden Blitzen getroffen. Offen lag vor ihm jenes verhängnisvolle Geheimnis, nun erst sah er das volle Maß des Unglücks ein, das er über die arme Angela gebracht.
›Angela, mein Weib, mag entscheiden‹, sprach er mit dumpfer Stimme und folgte dem Obristen, welcher fortstürmte.
Als ins Haus gekommen der Obrist die Klinke von Angelas Zimmer erfaßte, drängte der Chevalier ihn zurück und sprach: ›Mein Weib schläft, wollt Ihr sie aufstören aus süßem Schlafe?‹ – ›Hm‹, erwiderte der Obrist, ›hat Angela wohl jemals gelegen in süßem Schlaf, seit ihr von Euch namenloses Elend bereitet wurde?‹
Der Obrist wollte ins Zimmer, da stürzte der Chevalier ihm zu Füßen, und schrie in heller Verzweiflung: ›Seid barmherzig! – Laßt mir, den Ihr zum Bettler gemacht, laßt mir mein Weib!‹
›So lag der alte Vertua vor Euch, dem gefühllosen Bösewicht, und vermochte Euer steinhartes Herz nicht zu erweichen, dafür die Rache des Himmels über Euch!‹
So sprach der Obrist und schritt aufs neue nach Angelas Zimmer!
Der Chevalier sprang nach der Tür, riß sie auf, stürzte hin zu dem Bette, in dem die Gattin lag, zog die Vorhänge auseinander, rief: ›Angela, Angela!‹ – beugte sich hin über sie, faßte ihre Hand – bebte wie im plötzlichen Todeskrampf zusammen, rief dann mit fürchterlicher Stimme: ›Schaut hin! – den Leichnam meines Weibes habt Ihr gewonnen!‹
Entsetzt trat der Obrist an das Bette – keine Spur des Lebens – Angela war tot – tot.
Da ballte der Obrist die Faust gen Himmel, heulte dumpf auf, stürzte fort. – Man hat nie mehr etwas von ihm vernommen!«
So hatte der Fremde geendet und verließ nun schnell die Bank, ehe der tief erschütterte Baron etwas zu sagen vermochte.
Wenige Tage darauf fand man den Fremden vom Nervenschlag getroffen in seinem Zimmer. Er blieb sprachlos bis zu seinem Tode, der nach wenigen Stunden erfolgte, seine Papiere zeigten, daß er, der sich Baudasson schlechthin nannte, niemand anders gewesen als eben jener unglückliche Chevalier Menars.
Der Baron erkannte die Warnung des Himmels, der ihm, als er eben sich dem Abgrund näherte, den Chevalier Menars in den Weg führte zu seiner Rettung, und gelobte, allen Verlockungen des täuschenden Spielerglücks zu widerstehen.
Bis jetzt hat er getreulich Wort gehalten.
»Sollte«, sprach Lothar, als Theodor geendet, »sollte man nicht glauben, du verstündest dich recht ordentlich auf das Spiel, wärst selbst wohl gar ein tüchtiger Spieler, dem nur zuweilen die Moral in den Nacken schlägt und doch weiß ich, daß du keine Karte anrührst.« »So ist es«, erwiderte Theodor, »und dennoch half mir bei der Erzählung ein merkwürdiges Ereignis aus meinem eignen Leben.« – »Den besten«, nahm Ottmar das Wort, »den besten Nachklang des Erzählten könntest du daher wohl tönen lassen, wenn du uns dies Ereignis noch mitteiltest.«
»Ihr wißt«, begann Theodor, »daß ich mich, um meine Studien zu vollenden, eine Zeitlang in G. bei einem alten Onkel aufhielt. Ein Freund dieses Onkels fand der Ungleichheit unserer Jahre unerachtet großes Wohlgefallen an mir und zwar wohl vorzüglich deshalb, weil mich damals eine stets frohe, oft bis zum Mutwillen steigende Laune beseelte. Der Mann war in der Tat eine der sonderbarsten Personen, die mir jemals aufgestoßen sind. Kleinlich in allen Angelegenheiten des Lebens, mürrisch, verdrießlich, mit großem Hange zum Geiz, war er doch im höchsten Grade empfänglich für jeden Scherz, für jede Ironie. Um mich eines französischen Ausdrucks zu bedienen – der Mann war durchaus amusable, ohne im mindesten amusant zu sein. Dabei trieb er, hoch an Jahren, eine Eitelkeit, die sich vorzüglich in seiner nach den Bedingnissen der letzten Mode sorglich gewählten Kleidung aussprach, beinahe bis zum Lächerlichen und eben diese Lächerlichkeit traf ihn, wenn man sah, wie er im Schweiß seines Angesichts jedem Genuß nachjagte und mit komischer Gier so viel davon auf einmal einzuschnappen strebte, als nur möglich. Zu lebhaft gehen mir in diesem Augenblick zwei drollige Züge dieser Eitelkeit, dieser Genußgier auf, als daß ich sie euch nicht mitteilen sollte. – Denkt euch, daß mein Mann, als er während seines Aufenthalts an einem Gebirgsort von einer Gesellschaft, in der sich freilich auch Damen befanden, aufgefordert wurde, eine Fußwanderung zu machen, um die nahe liegenden Wasserfälle zu schauen, sich in einen noch gar nicht getragenen seidenen Rock warf mit schönen blinkenden Stahlknöpfen, daß er weißseidene Strümpfe anzog, Schuhe mit Stahlschnallen und die schönsten Ringe an die Finger steckte. In dem dicksten Tannenwalde, der zu passieren, wurde die Gesellschaft von einem heftigen Gewitter überfallen. Der Regen strömte herab, die Waldbäche schwollen an und brausten in die Wege hinein und ihr möget euch wohl vorstellen, in welchen Zustand mein armer Freund während weniger Augenblicke geraten war. – Es begab sich ferner, daß zur Nachtzeit der Blitz in den Turm der Dominikanerkirche zu G. einschlug. Mein Freund war entzückt über den herrlichen Anblick der Feuersäule, die sich erhob in den schwarzen Himmel und alles ringsumher magisch beleuchtete, fand aber bald, daß das Tableau erst von einem gewissen Hügel vor der Stadt angeschaut, die gehörige malerische Wirkung tun müsse. Alsbald kleidete er sich so schnell an, als es bei der nie zu verleugnenden Sorglichkeit geschehen konnte, vergaß nicht eine Tüte Makronen und ein Fläschchen Wein in die Tasche zu stecken, nahm einen schönen Blumenstrauß in die Hand, einen leichten Feldstuhl aber unter den Arm und wanderte getrost heraus vor das Tor, auf den Hügel. Da setzte er sich hin und betrachtete, indem er bald an den Blumen roch, bald ein Makrönchen naschte, bald ein Gläschen Wein nippte, in voller Gemütlichkeit das malerische Schauspiel. Überhaupt war dieser Mann –«
»Halt, halt«, rief Lothar, »du wolltest uns das Ereignis erzählen, das dir bei deinem Spielerglück half, und kommst nicht los von einem Mann, der ebenso possierlich gewesen sein muß als widerwärtig.«
»Du kannst«, erwiderte Theodor, »du kannst es mir nicht verdenken, daß ich bei einer Figur verweilte, die mir eben so lebendig entgegentrat. – Doch zur Sache! – Der Mann, den ich euch geschildert, forderte mich auf, ihn auf einer Reise nach einem Badeort zu begleiten, und unerachtet ich wohl einsah, daß ich seinen Besänftiger, Aufheiterer, Maître de plaisir spielen sollte, war es mir doch gelegen, die anziehende Reise durch das Gebirge zu machen, ohne allen Aufwand an Kosten. – An dem Badeort fand damals ein sehr bedeutendes Spiel statt, da die Bank mehrere tausend Friedrichsdor betrug. Mein Mann betrachtete mit gierigem Schmunzeln das aufgehäufte Gold, ging auf und ab im Saal, umkreiste dann wieder näher und näher den Spieltisch, griff in die Tasche, hielt einen Friedrichsdor zwischen den Fingern, steckte ihn wieder ein – genug, ihn gelüstete es nach dem Golde. Gar zu gern hätte er sich ein Sümmchen erpontiert von dem aufgeschütteten Reichtum und doch mißtraute er seinem Glücksstern. Endlich machte er dem drolligen Kampf zwischen Wollen und Fürchten, der ihm Schweißtropfen auspreßte, dadurch ein Ende, daß er mich aufforderte, für ihn zu pontieren und mir zu dem Behuf fünf – sechs Stück Friedrichsdor in die Hand steckte. Erst dann, als er mich versichert, daß er meinem Glück durchaus nicht vertrauen, sondern das Gold, das er mir gegeben, für verloren achten wolle, verstand ich mich zum Pontieren. Was ich gar nicht gedacht, das geschah. Mir, dem ungeübten, unerfahrnen Spieler, war das Glück günstig, ich gewann in kurzer Zeit für meinen Freund etwa dreißig Stück Friedrichsdor, die er sehr vergnügt einsteckte. Am andern Abend bat er mich wiederum, für ihn zu pontieren. Bis zur heutigen Stunde weiß ich aber nicht, wie es mir herausfuhr, daß ich nun mein Glück für mich selbst versuchen wolle. Nicht in den Sinn war es mir gekommen, zu spielen, vielmehr stand ich eben im Begriff, aus dem Saal ins Freie zu laufen, als mein Freund mich anging mit seiner Bitte. Erst, als ich erklärt, heute für mich selbst zu pontieren, trat ich auch entschlossen an die Bank und holte aus der engen Tasche meines Gilets, die beiden einzigen Friedrichsdor hervor, die ich besaß. War mir das Glück gestern günstig, so schien es heute, als sei ein mächtiger Geist mit mir im Bunde, der dem Zufall gebiete. Ich mochte Karten nehmen, pontieren, biegen wie ich wollte, kein Blatt schlug mir um, kurz – mir geschah ganz dasselbe, was ich von dem Baron Siegfried gleich im Anfange meines Spielerglücks erzählt. – Mir taumelten die Sinne; oft wenn mir neues Gold zuströmte, war es mir, als läg ich im Traum und würde nun gleich, indem ich das Gold einzustecken gewähnt, erwachen. – Mit dem Schlage zwei Uhr wurde wie gewöhnlich das Spiel geendet. – In dem Augenblick, als ich den Saal verlassen wollte, faßte mich ein alter Offizier bei der Schulter und sprach, mich mit ernstem strengen Blick durchbohrend: ›Junger Mann! verstanden Sie es, so hätten Sie die Bank gesprengt. Aber wenn Sie das verstehen werden, wird Sie auch wohl der Teufel holen wie alle übrigen.‹ Damit verließ er mich, ohne abzuwarten, was ich wohl darauf erwidern werde. Der Morgen war schon heraufgedämmert, als ich auf mein Zimmer kam und aus allen Taschen das Gold ausschüttete auf dem Tisch. – Denkt euch die Empfindung eines Jünglings, der in voller Abhängigkeit auf ein kärgliches Taschengeld beschränkt ist, das er zu seinem Vergnügen verwenden darf, und der plötzlich wie durch einen Zauberschlag sich in dem Besitz einer Summe befindet, die bedeutend genug ist, um wenigstens von ihm in dem Augenblick für einen großen Reichtum gehalten zu werden! – Indem ich aber nun den Goldhaufen anschaute, wurde plötzlich mein ganzes Gemüt von einer Bangigkeit, von einer seltsamen Angst erfaßt, die mir kalten Todesschweiß auspreßte. Die Worte des alten Offiziers gingen mir nun erst auf in der entsetzlichsten Bedeutung. Mir war es, als sei das Gold, das auf dem Tische blinkte, das Handgeld, womit die finstre Macht meine Seele erkauft, die nun nicht mehr dem Verderben entrinnen könne. Meines Lebens Blüte schien mir angenagt von einem giftigen Wurm, und ich geriet in vernichtende Trostlosigkeit. – Da flammte das Morgenrot höher auf hinter den Bergen, ich legte mich ins Fenster, ich schaute mit inbrünstiger Sehnsucht der Sonne entgegen, vor der die finstern Geister der Nacht fliehen mußten. Sowie nun Flur und Wald aufleuchteten in den goldnen Strahlen, wurd es auch wieder Tag in meiner Seele. Mir kam das beseligende Gefühl der Kraft jeder Verlockung zu widerstehen und mein Leben zu bewahren vor jenem dämonischen Treiben, in dem es, sei es wie und wenn es wolle, rettungslos untergeht! – Ich gelobte mir selbst auf das heiligste, nie mehr eine Karte zu berühren, und habe dies Gelübde streng gehalten. – Der erste Gebrauch, den ich übrigens von meinem reichen Gewinst machte, bestand darin, daß ich mich von meinem Freunde zu seinem nicht geringen Erstaunen trennte, und jene Reise nach Dresden, Prag und Wien unternahm, von der ich euch schon oft erzählt.«
»Wohl«, nahm Sylvester das Wort, »wohl kann ich es mir denken, welchen Eindruck das unerwartete zweideutige Glück auf dein jugendliches Gemüt machen mußte. Daß du der Verlockung widerständest, daß du eben in jenem Glück die bedrohliche Gefahr erkanntest, es bringt dir Ehre, aber verzeih, deine eigene Erzählung, die Art wie du darin die wahren Spieler sehr richtig charakterisiert hast, muß dir selbst dartun, daß du doch niemals den eigentlichen Sinn fürs Spiel in dir getragen, da dir sonst die bewiesene Tapferkeit sehr schwer, vielleicht unmöglich geworden. – Vinzenz, der sich, wie ich glaube, von uns allen noch am besten auf das Spiel versteht, wird mir darin beistimmen.«
»Was«, erwiderte Vinzenz, »mich betrifft, so habe ich gar nicht einmal recht darauf gehört, was Theodor von seinem Glück am Spieltisch erzählt hat, denn ich denke immer nur an den höchst vortrefflichen Mann, der in seidenen Strümpfen durch die Berge streicht, und mit Wein, Makronen und Blumen Feuersbrünste betrachtet wie schöne Gemälde. – In der Tat, ich war froh aus dem schauerlichen Hintergrunde unserer heutigen Erzählungen doch einmal eine ergötzliche Gestalt hervorspringen zu sehen, und hätte gewünscht, den Mann als Helden irgendeines drolligen Schauspiels zu erblicken.«
»Konnte«, sprach Lothar, »konnte uns denn nicht das Bild des vortrefflichen Mannes genügen? – Überhaupt sollten wir Serapions-Brüder es uns vergönnen, einander einzelne Charaktere, wie sie uns wohl im Leben vorkamen, aufzustellen zur gemeinsamen Ergötzlichkeit und Erholung von der den Sinn anstrengenden Erzählung.«
»Guter Vorschlag«, nahm Vinzenz das Wort, »guter Vorschlag, dem ich ganz beipflichte. Diese einzelnen hingeworfenen Zeichnungen mögen als Studium betrachtet werden zu größeren Gemälden, die denn jeder herauspinseln kann nach seiner Art und Weise. Auch mögen sie als milde Beiträge gelten zur gemeinsamen Serapions-Fantasie-Kasse. Und damit ihr einseht, wie ernstlich ich es mit diesen Beiträgen meine, will ich nur gleich vorfahren mit einem gar närrischen Kauz, den ich auf meiner Reise durch das südliche Deutschland traf. Es begab sich, daß ich während meines Aufenthalts in B. durch ein nahgelegenes Wäldchen lustwandelnd auf eine Anzahl Bauern stieß, die beschäftigt waren ein dichtes Gestripp zu durchhauen und den Bäumen von beiden Seiten die Äste wegzusägen. Ich weiß selbst nicht, warum ich eben fragte, ob hier etwa ein neuer Weg angelegt werden solle, da lachten aber die Leute und meinten: ich möge nur meinen Weg weiter verfolgen, vor dem Walde auf einer Anhöhe stehe ein Herr, der würde mir Bescheid geben. Wirklich stieß ich auf einen kleinen ältlichen Mann blassen Antlitzes, im Oberrock, eine Reisemütze auf dem Kopf, einen Büchsensack umgeschnallt, der durch ein Fernrohr unverwandt nach dem Orte hinblickte, wo die Leute arbeiteten. Sowie er meine Nähe gewahrte, schob er schnell das Fernrohr zusammen und fragte hastig: ›Sie kommen aus dem Walde, mein Herr, wie steht es mit der Arbeit?‹ – Ich berichtete, was ich gesehen. ›Das ist gut‹, sprach er, ›das ist gut. Schon seit drei Uhr morgens‹ (es mochte etwa sechs Uhr abends sein) ›stehe ich hier und glaubte schon, die Esel, die ich doch teuer genug bezahle, würden mich im Stiche lassen. Aber nun hoffe ich, daß sich die Aussicht noch im rechten Augenblick öffnen wird.‹ Er schob das Fernrohr auseinander und schaute wiederum unverwandt hin nach dem Walde. Ein paar Minuten währte es, da fiel starkes Buschwerk nieder, und wie auf einen Zauberschlag, öffnete sich die Durchsicht nach dem fernen Gebürge und den Ruinen eines Bergschlosses, die im Feuer der Abendsonne wirklich einen herrlichen magischen Anblick gewährten. – In einzelnen abgebrochenen Lauten gab der Mann sein höchstes Entzücken zu erkennen. Nachdem er aber sich ungefähr eine starke Viertelstunde an der Aussicht geweidet, steckte er das Fernrohr ein und lief, ohne mich zu grüßen, ohne meiner im mindesten zu achten, hastig als wolle er gefährlichen Verfolgern entrinnen, von dannen. – Später sagte man mir, der Mann sei niemand anders gewesen als der Baron von R., einer der wunderlichsten Kauze, der sich wie der bekannte Baron Grotthus schon seit mehreren Jahren auf einer ununterbrochenen Fußwanderung befinde, und mit einer Art von Wut Jagd mache auf schöne Aussichten. Komme er nun in eine Gegend, wo er, um sich solch eine schöne Aussicht zu verschaffen, es für nötig halte, Bäume fällen, einen Wald durchhauen zu lassen, so scheue er keine Kosten, sich mit dem Eigentümer abzufinden und Arbeiter zu bezahlen. – Ja er habe es schon einmal mit aller Gewalt durchsetzen wollen, einen ganzen Meierhof, der seiner Meinung nach die Gegend verunstaltet und die ferne Aussicht gehemmt, niederbrennen zu lassen, welches ihm denn freilich nicht gelungen. Habe er aber wirklich seinen Zweck erreicht, so schaue er höchstens eine halbe Stunde in die Gegend hinein, laufe aber dann unaufhaltsam weiter und komme niemals mehr wieder an denselben Ort.«
Die Freunde waren darin einig, daß nichts so toll und wunderlich zu ersinnen, als was sich von selbst im Leben darbiete. »Recht artig«, nahm Cyprian das Wort, »recht artig und hübsch ist es aber doch, daß ich den beiden wunderlichen Leuten noch einen dritten Mann hinzuzufügen vermag, von dem ich vor einiger Zeit Kunde erhielt durch einen uns allen hinlänglich bekannten Virtuosen. Mein dritter Mann ist kein anderer als der Baron von B., der sich in den Jahren 1789 oder 1790 in Berlin aufhielt und offenbar zu den seltsamsten, merkwürdigsten Erscheinungen gehörte, die es jemals in der musikalischen Welt gegeben. – Ich werde der größeren Lebendigkeit halber in der ersten Person erzählen, als sei ich selbst der Virtuose, dem alles geschehen und hoffe, daß mein würdiger Serapions-Bruder Theodor es nicht übel deuten wird, wenn ich ganz in sein Gebiet hineinzustreifen genötigt bin.