E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Sechster Abschnitt

Den Sylvester, den sonst nichts in der Welt zu bewegen vermochte, zur schönen Jahreszeit das Land zu verlassen, hatte doch eine unwiderstehliche psychische Gewalt nach der Stadt gezogen. Es sollte nämlich ein kleines Theaterstück, das er unlängst gedichtet, aufgeführt werden, und es scheint unmöglich, daß ein Dichter die erste Darstellung seines Werks versäume, hat er auch dabei mit vieler Angst und Not zu kämpfen.

Auch Vinzenz hatte sich wieder aus dem Gewühl hervorgefunden, so war aber der Serapions-Klub wenigstens für den Augenblick wieder hergestellt und die Brüder versammelten sich in demselben freundlichen Gastgarten, in dem sie ihre letzte Zusammenkunft gehalten.

Sylvester schien nicht derselbe, er war heitrer, gesprächiger als jemals und schien überhaupt wie einer, dem ein großes Glück widerfahren.

»War es«, sprach Lothar, »war es nicht vernünftig, daß wir unsere Zusammenkunft aufschoben, bis unseres Freundes Stück aufgeführt worden? – Wir hätten unsern guten Serapions-Bruder zerstreut, teilnahmlos, ja wie von einer schweren Last gedrückt gefunden. Immer hätte ihn sein eignes Werk wie ein böser Popanz geneckt und gefoppt, aber nun nachdem es eigentlich erst entpuppt und als schöner Schmetterling emporgeflattert, der um mannigfache Gunst nicht umsonst gebuhlt hat, nun ist alles klar und hell in seinem Gemüt. Er steht verklärt in dem Glanz des verdienten, ihm reichlich gespendeten Beifalls, und wir wollen es ihm nicht einen Augenblick verdenken, wenn er heute etwas stolz auf uns herabsieht, da keiner imstande, es ihm nachzumachen und sechs- oder achthundert Menschen mit einem Schlage zu elektrisieren. – Aber jedem das Seine, dein kleines Stück ist gut, Sylvester, aber du mußt es gestehen, daß die vortreffliche Aufführung dem Werk erst recht tüchtige Flügel ansetzte. Du bist gewiß mit den Schauspielern im höchsten Grade zufrieden.«

»Allerdings«, erwiderte Sylvester, »wiewohl es sehr schwer ist, daß ein Theaterdichter mit der Aufführung seines Werks zufrieden sein solle. Ist er nicht selbst jede Person seines Stücks, deren eigentümlichste Charakteristik mit allen ihren Bedingungen sich in seinem eignen Innern erzeugt hat, und scheint es nicht unmöglich, daß ein anderer sich jenen innersten Gedanken, der die Person geboren, so aneigne oder vielmehr so ganz in sich aufnehme, um ihn rein und unverstört zum regen Leben herauszufordern? – Aber der störrische Dichter will, daß dies geschehe und je lebendiger die Person des Stücks in ihm aufgegangen, desto unzufriedener wird er mit der geringsten Abweichung sein, die er in der Gestaltung, in dem Spiel des Schauspielers findet. Gewiß ist es, daß daher der Dichter an einer Befangenheit leidet, die ihm den Genuß seines Werks verdirbt und daß nur dann, wenn er sich dieser Befangenheit zu entschwingen, wenn er seine Dichtung, seine Personen als losgelöst von seinem Innern, objektiv zu betrachten vermag, sein Werk ihn nach Umständen erfreuen kann.«

»Aber«, nahm Ottmar das Wort, »aller Ärger, den ein Theaterdichter empfinden mag, wenn er statt seiner, andere und noch dazu den seinen ganz unähnliche Personen auftreten sieht, wird reichlich aufgewogen durch den Beifall des Publikums, für den sich kein Künstler verschließen kann und soll.«

»Allerdings«, sprach Sylvester weiter, »allerdings, und da der Beifall zunächst dem darstellenden Künstler gezollt wird, so überzeugt sich der Dichter, der auf seinem entfernten Plätzchen mit Zittern und Zagen, ja oft mit Ärger und Unmut zuschaut, zuletzt: auch die fremde Person, die auf den Brettern der seinigen wenigstens die Worte nachspricht, sei gar nicht so übel, wie man denken solle. Gewiß ist es auch, und kein humaner, nicht in sich selbst ganz versessener Dichter wird es leugnen, daß mancher geniale Schauspieler, dem die Person des Stücks in wahrer Lebensfarbe aufgegangen, dem Dichter eine Charakteristik zu erschließen vermag, an die er selbst, wenigstens nicht deutlich dachte, und dennoch für wahr anerkennen muß. Der Dichter schaut eine Person, die aus seinen innersten Elementen geboren, jedoch in ihm fremdartiger Gestaltung, aber eben diese Gestaltung entspricht jenen Elementen, ja es scheint unmöglich, daß sie anders sein könne, und er gerät über das, was ohne sein zu scheinen, doch sein ist, in ein freudiges Erstaunen, als ob er im engen Stüblein plötzlich einen Schatz gefunden, dessen Existenz er nicht geahnet.«

»Da«, nahm Ottmar das Wort, »da höre ich meinen lieben gutmütigen Sylvester, dem jene Eitelkeit völlig fremd ist, an der manches große wahrhafte Talent den Erstickungstod stirbt. Irgendein Theaterdichter hat einmal unverhohlen geäußert, daß es durchaus keine Schauspieler gebe, die imstande sein sollten, den ihm inwohnenden Geist zu erkennen, und die Personen, die er schaffe, darzustellen. – Wie so ganz anders war es mit unserm großen herrlichen Schiller! Der geriet einmal wirklich in jenes freudige Erstaunen, von dem Sylvester spricht, als er den Wallenstein darstellen sah, und versicherte, nun erst stehe sein Held ihm recht lebendig in Fleisch und Blut vor Augen. Der den Wallenstein darstellte, war aber Fleck, der ewig unvergeßliche Heros unsrer Bühne.«

»Überhaupt«, sprach Lothar, »bin ich überzeugt, und das Beispiel, welches Ottmar soeben anführt, gibt den besten Beweis davon, daß der Dichter, dem in der Tiefe des Gemüts die wahrhaftige Erkenntnis der Kunst und mit ihr auch die Andacht aufgegangen, die den schaffenden Geist im Universum anbetet, sich nicht herabzuwürdigen vermag zu dem schnöden Götzendienst, der nichts verehrt als sein eignes Ich, als einzig alles Vortreffliche gebärenden Fetisch. – Sehr leicht wird ein großes Talent für ein wahrhaftes Genie geachtet, aber die Zeit vernichtet jede Täuschung, indem das Talent ihren Angriffen erliegt, während sie über das wahrhafte Genie, das in unverletzlicher Schönheit und Stärke fortlebt, nichts vermag! – Um aber wieder auf unsern Sylvester und sein Theaterstück zurückzukommen, so muß ich euch bekennen, daß ich gar nicht zu begreifen vermag, wie jemand zu dem heroischen Entschluß kommen kann, ein Opus, das er seiner regen Fantasie und glücklichen schöpferischen Augenblicken verdankt, vor sich auf den schlüpfrigen schwankenden Brettern des Theaters heragieren zu lassen!«

Die Freunde lachten und meinten, daß Lothar nach seiner gewöhnlichen Art und Weise wieder mit einer ganz absonderlichen Meinung hervortreten würde.

»Bin ich«, sprach Lothar, »bin ich denn solch ein absonderlicher Mensch, der manchmal meint, was kein anderer zu meinen gerade aufgelegt ist? – Nun mag es dem sein wie ihm wolle, ich wiederhole, daß wenn ein ordentlicher Dichter mit treuem wahrhaftem Gemüt wie unser Sylvester, ein Stück aufs Theater bringt, es mich bedünken will, als entschlösse er sich auf gut Glück durchs Fenster zu springen aus dem dritten Stock des Hauses! – Ich will es euch nur gestehen! – Als ich euch versicherte, ich sei, da Sylvesters Stück gegeben wurde, gar nicht im Theater gewesen, sondern urteile nur von Hörensagen, so habe ich euch mit eurer gütigen Erlaubnis belogen! – Allerdings saß ich auf einem entfernten Plätzchen, ein zweiter Sylvester, ein zweiter Dichter des Stücks. Denn unmöglich war bei ihm selbst die Spannung, das seltsame aus Lust und Unmut, aus beinahe bis zur Angst gesteigerter Befangenheit zusammengesetzte Gefühl stärker als bei mir. Jedes Wort des Schauspielers, jede seiner Bewegungen, die mir nicht richtig schien, versetzte mir den Atem und ich dachte: O du mein Himmel, kann das wirken, kann das gefallen? – und ist denn der Dichter daran schuld?«

»Du machst«, nahm Sylvester das Wort, »das Ding zu arg. Auch mir versetzt, vorzüglich fängt das Stück an, eine schlimme Beklommenheit den Atem, die sich, geht das Ding gut vonstatten, äußert sich das Publikum gnädig, aber immer mehr und mehr verliert und einem sehr angenehmen Gefühl Platz macht, woran freilich das egoistische Wohlgefallen an der eignen Schöpfung den größten Anteil haben mag.«

»O ihr Theaterdichter«, rief Vinzenz, »ihr seid die eitelsten, die es gibt, euch ist der Beifall der Menge der wahre Honig von Hybla, den ihr genießt mit süßen Mienen! – Doch ich will den Advocatum diaboli machen und beibringen, daß euch eure Angst, eure Beklommenheit, die mancher bloß für den Krampf der Eitelkeit, der Gefallsucht halten möchte, ebensowenig zu verdenken ist, als jedem, der ein hohes gewagtes Spiel spielt. Ihr setzt euer Ich ein, und Beifall ist der Gewinn, der Verlust aber nicht allein verwundender Tadel, sondern noch, steigt dieser bis zu unverhohlner öffentlicher Äußerung, jener Makel des Lächerlichen, der das ärgste und wenigstens nach der Meinung der Franzosen die fürchterlichste Verdammnis ist, die ein Mensch hienieden dulden kann. – Tugendhafte Franzmänner wollen daher ja auch viel lieber für ausgemachte Schurken gelten, als lächerlich erscheinen. – Ganz gewiß ist es, daß den ausgepochten Theaterdichter immer der Fluch des Lächerlichen trifft, den er oft Zeit seines Lebens nicht abschüttelt. Selbst nachheriger Beifall bleibt zweideutig, und schon mancher, dem dergleichen geschah, ist verzweiflungsvoll in die triste Einöde jener Dichtungen geflohen, die sich wie Schauspiele gebärden, indessen wie der Autor auf das heiligste versichert, durchaus nicht für das Theater bestimmt sind.«

»Ich gebe«, sprach Theodor, »euch beiden, Lothar und Vinzenz, aus tiefer Überzeugung vollkommen recht, daß es für einen Dichter, zumal aber einen Komponisten, ein gar gewagtes Spiel ist, ein Werk auf das Theater zu bringen. Es heißt sein Eigentum preisgeben dem Winde und den Wellen. Bedenkt man nämlich, von welchen tausend Zufälligkeiten die Wirkung eines Stücks abhängt, wie oft der gedachte und wohlberechnete Effekt irgendeiner Stelle an dem Ungeschick eines einzigen Sängers, eines einzigen Instrumentalisten scheitert, wie oft –«

»Hört! hört!« unterbrach Vinzenz den Freund, »hört! hört! rufe ich wie die edlen Lords im englischen Parlement, wenn ein edler Lord im Begriff steht, recht aus der Schule zu schwatzen. Theodor hat eben nichts im Sinn als die Oper, die er vor ein paar Jahren auf das Theater brachte! ›Da ich nun‹, sprach er, ›ein Dutzend mißlungene Proben angeschaut habe, da noch selbst in der letzten Hauptprobe der Maestro mit meiner Partitur nicht ganz im reinen war, so wie mit dem Verständnis des ganzen Werks überhaupt, so bin ich über die Zweideutigkeit des Schicksals, das gleich einer schwarzen Wolke über meiner Dichtung hängt, ganz beruhigt. Fällt mein Werk, so falle es denn! mir ist alle Besorgnis deshalb benommen, ich bin hinweg über alle Angst und Beklommenheit des Autors –‹ und was dergleichen schöne Redensarten noch mehr waren. Genug, als ich am Tage der Aufführung meinen Freund sah, und die Zeit da war, nach dem Theater zu gehen, wurde er plötzlich leichenblaß, lachte aber dabei ungemein, niemand wußte recht worüber, versicherte sehr heftig, beinahe habe er vergessen, daß seine Oper heute gegeben würde, wollte durchaus, als er den Überrock anzuziehen unternahm, den rechten Arm in den linken Ärmel stecken, so daß ihm meine Beihülfe nötig, rannte dann, ohne ein Wort zu sprechen, wie besessen über die Straße, und fiel, als in dem Augenblick, da er in die Loge treten wollte, der erste Akkord der Ouvertüre losschlug, dem erschrockenen Logenschließer in die Arme, dann aber –«

»Still! still!« rief Theodor, »was meine Oper und deren Aufführung betrifft, so will ich euch, sollt es euch einmal wieder gemütlich sein über Musik zu sprechen, manches darüber sagen, aber heute kein Wort davon, kein einziges Wörtchen –«

»Schon viel zu viel«, nahm Lothar das Wort, »haben wir überdem über ein und dasselbe geschwatzt und zum Schluß will ich nur noch bemerken, daß mir das Anekdötchen von Voltaire sehr wohl gefällt, der einmal als ein Trauerspiel – irr ich nicht, so war es Zaire – gegeben werden sollte, über das Schicksal seines Werks in solch schrecklicher Angst war, daß er es gar nicht wagte, in das Theater zu gehen. Auf dem ganzen Wege von dem Theater bis zu seiner Wohnung waren aber Boten ausgestellt, die von Moment zu Moment ihm telegraphische Nachrichten von dem Gange des Stücks zubringen mußten, so daß er auf seiner Stube im Schlafrock alle Qualen, alle Lust des Autors gemächlich zu empfinden imstande war.«,

»Sollte«, sprach Sylvester, »sollte dies Anekdötlein nicht eine gute Theaterszene geben, und zugleich eine tüchtige Aufgabe für einen Schauspieler sein, der die sogenannten Charakterrollen spielt? – Man denke sich Voltaire auf der Bühne – er empfängt die Nachrichten – ›das Publikum ist unruhig! –‹ ›Ha‹, ruft er, ›ist es möglich, deine Teilnahme zu erregen, leichtsinniges Volk! –‹ Das Publikum applaudiert, schreit vor Entzücken! – ›Ha! wackre Franzosen, ihr versteht euern Voltaire und habt ihn –‹ das Publikum zischt, auch lassen sich Pfeiflein hören! – ›Verräter, treulose! – das mir, das mir –‹«

»Halt, halt«, rief Ottmar, »Sylvester macht uns hier in der Begeisterung des Beifalls, den er errungen, auf der Stelle ein ganzes Lustspiel, statt daß er als ein würdiger Serapions-Bruder für uns sorgen und die Erzählung vorlesen soll, deren sehr anziehenden Stoff er mir vor einiger Zeit brieflich mitteilte und die er, wie ich weiß, ausgearbeitet und mitgebracht hat.«

»Wir haben«, sprach Sylvester, »soeben an Voltaire gedacht, ihr möget daher, meine teuren Serapions-Brüder, an sein Siècle de Louis XIV. und an dies Zeitalter überhaupt selbst denken, aus dem ich die Erzählung entnommen, die ich demütigst eurer gütigen Aufnahme empfehle.«

Sylvester las:


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