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Die Freunde fühlten sich tief bewegt. Jeder gedachte der Zeit, als der Druck des feindseligsten Verhängnisses auf ihn lastete und aller Lebensmut dahinzusterben, unwiederbringlich verloren zu sein schien. – Wie dann durch die finstern Wolken die ersten Strahlen des schönen Hoffnungssterns brachen, der immer heller und herrlicher aufging erquickend und zum neuen Leben stärkend. – Wie im freudigen Kampf sich alles jauchzend regte und bewegte. – Wie den Mut – den Glauben, der herrlichste Sieg krönte!
»In der Tat«, sprach Lothar, »jeder von uns hat wohl in sich selbst hineingesprochen auf dieselbe Weise wie es der serapiontische Ferdinand tat, und wohl uns, daß das bedrohliche Gewitter, das über unsern Häuptern donnerte, statt uns zu vernichten, uns nur gestärkt hat und erkräftigt wie ein tüchtiges Schwefelbad. Es ist mir so, als fühle ich erst jetzt unter euch meine vollkommene Gesundheit und neue Lust, mich nun, da jenes Gewitter sich ganz verzogen, wieder recht zu rühren in Kunst und Wissenschaft. Theodor tut das, wie ich weiß, recht tapfer, er ergibt sich nun wieder ganz und gar der alten Musik wobei er denn doch das Dichten ganz und gar nicht verschmäht, weshalb ich glaube, daß er uns nächstens mit einer trefflichen Oper, die ihm, was Gedicht und Musik betrifft, ganz allein angehört, überraschen wird. Alles, was er sophistischerweise über die Unmöglichkeit selbst eine Oper zu dichten und zu komponieren vorgebracht, mag recht plausibel klingen, es hat mich aber nicht überzeugt.«
»Ich bin«, sprach Cyprian, »der entgegengesetzten Meinung. Doch lassen wir den unnützen Streit der um so unnützer ist, als Theodor, leuchtet ihm jene Möglichkeit, die er bestreitet, ein, der erste sein wird, der sie mit der Tat beweiset. – Viel besser, wenn Theodor sein Pianoforte öffnet, und, nachdem er uns mit ganz artigen Erzählungen ergötzt, uns auch von seinen neuesten Kompositionen irgend etwas zum besten gibt.«
»Öfters«, nahm Theodor das Wort, »öfters hat mir Cyprian vorgeworfen, daß ich zu sehr an der Form hänge, daß ich jedes Gedicht verwerfe welches sich nicht in die gewöhnlichsten Formen der Musik einschachten läßt. Ich bestreite das und will es jetzt dadurch beweisen, daß ich ein Gedicht in Musik zu setzen unternommen, welches auf eine von jeder gewöhnlichen Art, von jeder verbrauchten Form abweichende Behandlung Anspruch macht. Ich meine nichts anders als den Nachtgesang aus der Genoveva des Maler Müller. Alle süße Schwermut, aller Schmerz, alle Sehnsucht, alle geisterhafte Ahnung des von hoffnungsloser Liebe zerrissenen Herzens liegt in den Worten dieses herrlichen Gedichts. Kommt nun noch hinzu daß die Verse einen altertümlichen recht ins Herz dringenden Charakter tragen so glaube ich, daß die Komposition ohne allen Prunk irgendeines begleitenden Instruments bloß für Singstimmen in dem Stil des alten Alessandro Scarlatti oder des spätern Benedetto Marcello gehalten sein müsse. Das ganze Werk ist fertig im Innern, aber nur den Anfang schrieb ich auf, habt ihr nun die Musik, das Singen nicht ganz beiseite gestellt, fühlt ihr noch den Nutzen unserer ergötzlichen Übungen, nach unsichtbaren Noten zu singen und trefft ihr noch wacker, so möchte ich wohl daß wir das, was ich von dem Gedicht aufgeschrieben absängen.«
»Ha!« – rief Ottmar, »ich erinnere mich wohl jener Übung, die du meinst mit dem Singen nach unsichtbaren Noten. – Du zeigtest die Akkorde aus den Tasten des Pianofortes ohne sie anzuschlagen und jeder gab den Ton der ihm zugeteilten Stimme an ohne sie vorher auf dem Instrumente zu hören. Denen, die jene Operation des Bezeichnens der Tasten nicht bemerkten, war es unbegreiflich wie wir aus dem Stegreif mehrstimmige Sachen singen konnten und für die, die das Talent haben sich höchlich zu verwundern, ist das Ding auch wirklich eine ergötzliche musikalische Gaukelei. – Ich für mein Teil singe noch immer wie sonst meinen mittelmäßigen knurrigen Bariton und habe ebensowenig das Treffen verlernt als Lothar, der mit seinem Baß noch immer tüchtige Fundamente legt auf denen Tenoristen wie du und Cyprian mit Sicherheit in die Höhe bauen können.«
»Für den schönen weichen Tenor meines Cyprian«, sprach Theodor, »ist nun mein Werk ganz und gar geeignet, ihm teile ich daher die erste Tenorstimme zu, indem ich selbst die zweite übernehme. Ottmar, der immer die Noten tüchtig traf, mag den ersten, Lothar aber den zweiten Baß singen, doch beileibe nicht donnern sondern die Töne leise und zart tragen wie es der Charakter des Stücks erfordert.« – Theodor schlug auf dem Pianoforte einige einleitende Akkorde an, dann begannen die vier Stimmen in langen gehaltenen Tönen den Chor aus dem As Dur:
»Klarer Liebesstern Du leuchtest fern und fern Am blauen Himmelsbogen. Dich rufen wir heut alle an Wir sind der Liebe zugetan, Die hat uns ganz und gar zu sich gezogen.« |
Die beiden Tenore traten nun im Duett F moll ein:
»Still und hehr die Nacht, Des Himmels Augenpracht Hat nun den Reihn begangen. Schweb hoch hinauf wie Glockenklang Der Liebe sanfter Nachtgesang Klopf' an die Himmelspfort mit brünstigem Verlangen.« |
Der Gesang hatte sich bei den Worten: »Schweb hoch etc.« nach Des Dur gewandt, in B moll begannen Lothar und Ottmar:
»Die ihr dort oben brennt Und keusche Flammen kennt, Ihr Heiligen mit reinen Zungen Ach benedeiet unser Herz, Wir dulden – dulden bittern Schmerz, Wir haben schon gerungen.« |
Nun sangen die vier Stimmen in F Dur:
»Klopft sanft mit beiden Flügeln an Klopft sanft und euch wird aufgetan!« – |
Alle, Lothar, Ottmar und Cyprian fühlten sich von Theodors in der Tat wundervoll ganz im einfachen ins Innerste dringenden Stil der alten Meister gehaltner Musik tief ergriffen. Die Tränen standen ihnen in den Augen, sie umarmten den herz- und gemütreichen Tonsetzer, sie drückten ihn an ihre Brust. Die Mitternachtsstunde schlug. – »Gebenedeit«, rief Lothar, »sei unser Wiederfinden! – O der herrlichen Serapions-Verwandtschaft, die uns mit einem ewigen Band umschlingt! – Ja du trefflicher Serapions-Klub, grüne und blühe immerdar! – so wie heute, wollen wir uns fortan auf allerlei geistreiche Weise jedem Zwange fremd, erquicken und erheben, zunächst aber über acht Tage uns wieder hier bei unserm Theodor einfinden.«
Darauf gaben sich die Freunde, als sie schieden, das Wort.