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Achtzehntes Kapitel

Das Wetter hatte sich im Laufe des Nachmittags verschlimmert. Stürzende Regenfluten badeten die Welt, und ein Sturm brauste, der gegen Abend zwar die Regenwolken vom Himmel gefegt, selber aber zu einem wahren Orkan anwuchs.

Benedikta stand ratlos am Fenster und blickte in das Toben der Elemente hinaus.

Wie sollte sie unter dieser Ungunst des Wetters ihren eiligen und wichtigen Brief besorgen?

Es pfiff und sauste, das Geäst brach von den Bäumen und Dachziegel splitterten hernieder.

Die Tischglocke ertönte, und zögernd schritt Benedikta nach dem Salon, in dem nur die Spiritusflamme unter dem Teekessel brannte. Die Lampe war noch nicht entzündet, denn die Abende waren bereits lang geworden, und man nahm die Mahlzeiten in der Klinik zu früher Stunde.

Prinz Percy stand am Fenster und wandte sich der Eintretenden langsam zu. »Die wilde Jagd zieht über das Land!« versuchte er zu lächeln, »Wohl dem, der ihr nicht begegnet. Ich fürchte, wir werden vergeblich auf die beiden Wacknitze warten!«

»Erstaunlich wäre ihr Fernbleiben nicht, Hoheit, es dürfte in den Straßen geradezu lebensgefährlich sein! Wie es wiederum klirrt und klingt! Das waren Fensterscheiben, oder gar eine der schönen Dachfiguren!«

»Die würden immerhin zu verschmerzen sein; ich fürchte aber, es wird heute manche Wunde zu verbinden und manche Beule zu kühlen geben. Wenn nur die Schwestern ohne Unfall heimkehren!«

»Sind sie beurlaubt? Es fiel mir bereits auf, daß keine Pflegerin im ganzen Hause zu erblicken war! Man ist die weißen Hauben so gewohnt, daß man sie alsogleich vermißt!«

»Das Schwesternhaus und die Kinderheilstätte feiern heute vereint ihr zwanzigjähriges Bestehen. Es soll ein Missionsfest stattfinden, und da wir ja gottlob momentan keine Schwerkranken haben, ließ ich die Schwestern sämtlich teilnehmen.«

»Sie werden allerdings einen abscheulichen Rückweg haben.«

»Wenn der Sturm nicht nachläßt, werde ich hingehen und sie veranlassen, die Nacht in dem Heim zu bleiben.«

»Hoheit wollen sich selber in dieses Wetter hinausbegeben?«

Das klang wie leiser Schrei voll zitternder Angst. Sein Auge leuchtete auf, er verstand ihn.

»Gewiß, Fräulein Daja; da ich meine Leute nicht schicken will und kann, gehe ich selber.«

»Und wenn Hoheit ein Unglück zustößt?«

Er lächelte seltsam. »Wir stehen in Gottes Hand, und ein Soldat kennt keine Gefahr, wenigstens keine, die dem Körper droht; und gegen die, in der Herz und Seele jeden Augenblick, selbst im sichern Zimmer schwebt, gibt es keinen Schutz. Man muß sich damit abfinden, so gut es eben geht.«

Benedikta schraubte eifrig an der Spiritusflamme und neigte das Haupt tief hernieder. Der unsichere Lichtschein flackert über ihr Haar, und die weiße Hand bebte. – Nach kurzem Zögern richtete sie sich wieder auf. Ruhig und freundlich wie stets.

»Können Hoheit nicht den Wagen benutzen? Es würde dadurch möglich sein, vielleicht zwei Schwestern heimzuholen. Man kann nie wissen, was in der Nacht passiert, denn etliche Patienten fiebern doch noch sehr stark.«

»Der Wagen ist behufs einer Ausbesserung abgeholt, und Sie wissen, daß ich es für Luxus halten würde, zwei Equipagen in die Remise zu stellen. Das offne Break würde aber bei diesem Wetter kaum zu benutzen sein.« – Er blickte sie forschend an: »Wenn ich heute nacht eine Hilfe brauchen sollte, eine Hilfe, zu der Bildung und Geschick der weiblichen Dienstboten nicht ausreicht, – darf ich alsdann bei Ihnen anklopfen, Fräulein Daja?«

Sie schaute lebhaft auf. »Welch ein guter Gedanke! Gewiß, Hoheit, ich bitte darum! Was ich mit meinen schwachen Kräften leisten kann, wird mir eine freudig erfüllte Pflicht sein.«

Nachdenklich, voll sinnender Weichheit haftete sein Blick unverwandt an ihrem schönen, »heiligen« Gesicht, wie der alte Kilian es sehr zutreffend in seiner andächtigen Verehrung genannt hatte.

»Ich glaube. Sie würden mit Ihren schwachen Kräften sehr viel Gutes leisten können, Fräulein Daja!«

»Inwiefern, Hoheit?«

»Sie wollen nicht zur Bühne zurückkehren. Falls Sie noch keinen andern Beruf erwählten, wüßte ich wohl einen sehr passenden und gesegneten für Sie!«

»Welch gütige Fürsorge, Hoheit!«

»Ich hege schon seit längerer Zeit den Wunsch, eine Dame mit der Führung und Oberaufsicht des großen Haushaltes der Klinik zu betrauen, doch traf ich noch keine passende Wahl. Es gibt so viele Dinge, in Haus, Hof und Küche, die ein Mann gar nicht regieren und überblicken kann, beim besten Willen nicht, und ich habe mich leider öfters schon überzeugt, daß hier eine Lücke in dem Leitungswesen der Anstalt geblieben ist, die ausgefüllt werden muß. Wenn Sie nun den Opfermut besitzen würden, sich der Hilflosigkeit eines armen Junggesellen anzunehmen, Fräulein Daja, und diese Vertrauensstelle annehmen wollten, wäre ich Ihnen zu außerordentlichstem Dank verpflichtet!«

Mit steigender Sorge beobachtete er den Ausdruck ihres Gesichts.

Sie konnte trotz aller Selbstbeherrschung die Bestürzung nicht verbergen, die sich ihrer bemächtigte. Röter und röter stieg das Blut in ihre Wangen, und die dunklen Augen richteten sich voll beinah flehender Angst auf seine Lippen, als ob sie dieselben kraft ihres Blickes verschließen wollten. Als er schwieg, atmete sie hoch auf. Sie vermochte kaum zu antworten. Aber einer jähen Regung folgend, reichte sie ihm hastig die Hand entgegen.

»Wie danke ich Hoheit für das so ehrenvolle, beglückende Vertrauen, mit dem Sie mich, die Unbekannte, auszeichnen! Wie unaussprechlich froh würde ich sein, könnte ich es rechtfertigen, könnte ich mein Schalten und Wirken voll tiefer und unwandelbarer Erkenntlichkeit in den Dienst Eurer Hoheit stellen!« Sie machte eine kurze Pause und senkte den Blick wie unter qualvoller Hilflosigkeit. »Aber...«

»Nun – aber?« – Seine Stimme klang sehr ruhig, er hielt ihre Hand noch immer in des seinen.

»Ich bin noch jung und darf leider nicht über mich selber verfügen. Der Vormund bestimmt über meine Zukunft, und ich fürchte... er hat sehr andre Pläne in bezug auf dieselbe!«

Er zog ihre Hand an die Lippen. »Ich verstehe, Fräulein Daja, – und ich denke, Sie fürchten diese Pläne nicht, sondern freuen sich ihrer.« Dann brach er kurz ab. »Es wird bereits dämmerig, und ich werde gehen, ehe es völlig dunkelt. Bitte, befehlen Sie, daß man Ihnen Licht bringt. Musizieren Sie noch? – Falls ich zeitig genug zurückkehre, darf ich wohl noch lauschen. Auf Wiedersehen, Fräulein Daja!«

Er reichte ihr abermals die Hand und ging. Wie leer und still um sie her! Sie glaubte ihr Herz wild aufschlagen zu hören.

Hastig schritt sie in ihr Zimmer, sank nieder und hob die Hände voll stummen, inbrünstigen Flehens zum Himmel, dann neigte sie das Haupt auf die gefalteten Hände und weinte bitterlich.

 

Dunkler, immer dunkler ward es. Tiefe Ruhe überall. Ein paarmal hatten Schritte den Flur durchklungen. wohl der Portier, der die Lampen anzündete, und Prinz Percy, der in Wetter und Sturm hinausging.

Das lebhaftere Treiben der Klinik hallte nicht in diesen Villenanbau herüber.

Benedikta lauschte momentan auf. Nur das Heulen und Schrillen, Brausen und Sausen des Sturmes. Im Hause selber kein Laut.

Es war die höchste Zeit, daß der Brief befördert wurde. Sie mußte fort von hier, sie ertrug diese Qual nicht länger. Wie war das alles so jählings gekommen? Was lag plötzlich in dem Blick und Wesen des Prinzen? Liebe! Liebe! Eine tiefe, innige Liebe zu ihr.

Sie stand auf einem Vulkan, und der geringste Anstoß konnte sie rettungslos in die Gluten stürzen, die nicht allein ihr, sondern auch sein Verderben sein würden.

Die Seine werden konnte sie nicht. Ihrem naiven Herzen deuchte jedwede Verbindung zwischen einem Prinzen und einer unebenbürtigen Dame ein Unglück und eine unerlaubte Hintansetzung aller Pflicht und allen Rechts.

Also die Gefahr fliehen, solange noch Zeit ist, und einen Vorwand heraufbeschwören, der ihr die Berechtigung gibt, ihren Aufenthalt in diesem Hause zu enden.

Der Brief mußte besorgt werden, er mußte es! Einer fremden Hand aber darf sie ihn nicht anvertrauen.

Schnell entschlossen greift sie zu dem Mantel und hüllt das Haupt in ein warmes Tuch. Nun kann ihr der Sturm wohl nicht mehr schaden, es ist ja warme, milde Lebensluft des Frühlings, kein eisiger Nordost, wie damals auf der schneedurchwirbelten Heide!

Einen Augenblick noch lauscht sie in den Flur hinaus. – Grabesstille.

Schnell entschlossen schreitet sie den Korridor entlang und die Treppe hinab. Die Läufer dämpfen ihre Schritte, keine Menschenseele begegnet ihr.

Der Sturm fährt ihr brausend entgegen, als sie die Hintertür, die in den Park führt, öffnet. Benedikta hat Mühe, sie zu halten, damit sie nicht schmetternd gegen die Wand prallt.

Ihre schlanke Gestalt wird gezaust und geworfen, sie muß sich abwenden, um atmen zu können, und doch ist ihr dieser Aufruhr heute sympathisch, er spiegelt den Kampf ihres Innern.

Wie es über ihr in den Wipfeln heult und saust! Ihr Fuß schreitet auf einem dicken Teppich abgerissener Blüten und Zweige, und noch ununterbrochen peitscht ihr der Sturm die weißen Blütenblätter der Kastanien und des Faulbaumes in das Gesicht.

Benedikta steht an dem Parkgitter und schaut auf die menschenleere Straße. Sie öffnet die eiserne Tür, tritt hastig zum Briefkasten und kehrt mit einem Aufatmen der Erlösung zurück.

Sie eilt in den Park zurück und sucht den bestmöglichen Schutz hinter den Gebüschen.

Aber was ist das?

Ihr entgegen kommt im Dämmerschein ein einsamer Wanderer. Solch hohen Wuchs, solch stolzen Gang hat nur einer. – Er ist es! Er muß es sein, – Percy.– Es ist warm, er hat den Mantel verschmäht. Hocherhobenen Hauptes schreitet er dahin, und so gewaltig wie der Sturm die schlanke Mädchengestalt schüttelt, so, machtlos gleitet er an der Kraft dieses ritterlichen Königsohnes ab.

Er sieht sie nicht, er hält den Kopf gesenkt und blickt nicht rechts und links.

Benedikta schmiegt sich hinter den dicken Stamm einer Akazie, um ihn vorüberschreiten zu lassen.

Als ob bei Sturm in diesem Augenblicke seine elementarste Kraft entfalten wolle, heult er durch die Lüfte und packt alles in wüstem Zorn, was sich ihm entgegenstellt.

Ein Dröhnen, Splittern und Krachen!

Der morsche Baumast, der breit über den Weg ragt, bricht hernieder, – gleichzeitig ein leiser, sturmverwehter Aufschrei.

Die schlanke Gestalt des Prinzen ist zusammengesunken und liegt unter dem Gezweige des stürzenden Holzes niedergestreckt.

Voll zitternden Entsetzens, ohne Überlegen und Besinnen stürmt Benedikta hinter ihrem Versteck hervor und wirft sich voll alles vergessender Todesangst über den Verletzten.

Der Stamm hat die Schulter getroffen und die Wange blutig gerissen, seine Wucht hat den jungen Mann gefällt, wie ein Blitz den Eichstamm.

Benedikta reißt das Geäst mit zitternden Händen zurück, neigt sich über den Betäubten und starrt mit weit aufgerissenen Augen auf das rinnende Blut.

Percy schlägt die Wimpern auf – Blick ruht in Blick – und über ihnen rast der Sturm und wirbelt Laub und Blütenflocken wie ein dichtes Schneegestöber um sie her. – Ganz wie damals auf der Heide.

Da richtet sich der Prinz jählings auf, faßt voll krampfhafter, zitternder Leidenschaft die Hände des jungen Mädchens und stößt atemlos hervor: »Ihre Augen! – Ihr Antlitz! – So, ja so habe ich dich schon einmal gesehen, Marga Daja! So kenne ich dich! So war das Bild, das mir vor der Seele schwebte! Bekenne es! – Gestehe es endlich – wo – wo hast du dich schon einmal mit diesem holden, angstvollen Antlitz,über mich geneigt?«

Sie schrickt zurück und ringt ihre Hände frei.

»Sie sind verletzt, – Sie bluten, Hoheit! – Richten Sie sich empor, daß ich Sie unter Dach bringen kann!«

Er erhebt sich taumelnd auf die Knie. »Nein, nein! Erst will ich wissen ... oh, mein Kopf, meine Gedanken, – ich muß mich ja entsinnen, Marga Daja, und du mußt es mir sagen! Woher kenne ich dich! Warum liebe ich dich, Mädchen? Es ist ein Zauberspuk – ich muß dich kennen und muß dich lieben! – So wie jetzt war es schon einmal im Leben! Damals bist du mir wie eine lichte Erscheinung entflohen, diesmal halte ich dich fest, – für Zeit und Ewigkeit.« Seine Stimme klingt leiser, seine Worte abgebrochen, – mechanisch gibt er ihre Hand frei und faßt nach dem schmerzenden Kopfe.

Sein Haupt sinkt in momentaner Schwäche gegen sie. – »Marga –!« flüstert er. »Woher kenne ich dich, und warum muß ich dich lieben?«

Sie ringt sich los. »Bleiben Sie bitte ganz ruhig hier im Schutz des Stammes, bis ich Hilfe hole!« – stößt sie kurz hervor, und dann stürmt sie wie ein gehetztes Wild von dannen.

Als Wasmuth und der Diener bestürzt durch den Park eilen, ihren verletzten Herrn heimzuholen, wankt ihnen der Prinz bereits entgegen. Er drückt das Taschentuch mit der rechten Hand gegen die blutende Wange, während der linke Arm schlaff herniederhängt. Der Stamm hat mit wuchtigem Schlage die Schulter getroffen.

Er ist vollkommen bei Besinnung.

»Ich denke, es ist noch glücklich abgegangen –« sagt er, «einen Knochenbruch gab es nicht, Wohl nur eine starke Quetschung. Seien Sie mir beim Auskleiden behilflich, Wasmuth, ich werde Ihnen dann Anleitung geben, mir Kompressen aufzulegen, bis ärztliche Hilfe geholt werden kann.«

– – Zwei Stunden sind vergangen. Das Unwetter hat völlig ausgetobt, und Benedikta steht am Fenster und schluchzt auf die gefalteten Hände. »Warum muß ich dich lieben?« – Biese Worte leben fort in ihrem Herzen und erfüllen es mit unbeschreiblichen Qualen der Wonne und des Schmerzes.

Nach dieser Stunde ist ihres Bleibens nicht länger hier. Die wunderbare Ähnlichkeit der beiden Begegnungen im Sturm haben das Gedächtnis des Prinzen wachgerufen.

Er wird nun nachdenken und während der langen, dunklen Nachtstunden sinnen, wo er Marga Daja zum erstenmal im Leben geschaut, und er wird schließlich des Schneesturms gedenken und seines Unfalls bei der Parforcejagd.

Dann aber ist ihr Geheimnis verraten! Dann wird sich zu der Liebe noch die Dankbarkeit und die Rührung gesellen, und diese vereint auflodernden Flammen werden den letzten Rest der kaltblütigen Vernunft in ihm zu Tode brennen.

»Warum muß ich dich lieben?« – Klang nicht durch all die glückzitternde Innigkeit seiner Stimme dennoch eine Anklage, ein Vorwurf gegen das Schicksal? Er liebte sie, – obwohl er sie nicht lieben durfte!

Sein Herz schwankte zwischen Glück und Pflicht, zwischen sehnsüchtig heißem Begehren und schmerzvollem Entsagen.

Warum muß ich dich lieben!

Sie wird diesen Kampf durch ihre Flucht entscheiden und ihn aus allen Zweifeln an sich und seinen ernsten Verbindlichkeiten gegen Krone und Purpur erlösen.

Wiedersehen kann und darf sie ihn nicht.

Und just, als habe ihr Gebet und Flehen die Hilfe gerufen, hört sie, wie das Gittertor knarrt, sieht sie, wie die dunklen Gestalten der barmherzigen Schwestern, im unsichern Flackerlicht der Laterne kaum kenntlich, den freien Kiesplatz vor dem Haus betreten.

Gott sei es gedankt! – Benedikta fliegt wie ein lautloser Schatten durch die langen Korridore und erwartet die Heimkehrenden an der Treppe. Sie reicht ihnen aufgeregt die Hände entgegen und berichtet voll bebender Angst von dem Anfall, der den Prinzen betroffen.

»Ist es eine schwere Verletzung?«

»Ein Knochenbruch?« klingt die erschrockene Antwort.

»Ich weiß leider noch gar nichts Näheres, Doktor Wacknitz läßt sich nicht auf dem Flur sehen, und Wasmuth wußte nichts Bestimmtes!«

»Ah, gottlob! Wacknitz ist bei ihm! Dann war er ja sogleich in guten Händen! Wir wollen nur unsre durchnäßten Kleider wechseln – es regnet oder nebelt sehr stark, und die Wege sind grundlos. Alsdann werden wir sofort im Krankenzimmer vorsprechen!«

Benedikta schreitet zurück. Ihr Herz duldet Unaussprechliches. Ist er schwer verletzt? Wird er lange krank liegen? Die Gedanken peinigen sie neben all der Aufregung, in die sie das Liebesgeständnis Percys versetzt.

Als sie zu ihrem Zimmer zurückkommt, tritt ihr Wacknitz vor der Tür entgegen.

»Ah, da sind Sie, liebes Fräulein Daja! Ich suchte Sie soeben! Wollen Sie die Güte haben und mich für einen Augenblick zu dem Prinzen begleiten! Ich möchte sein Lager gern in besondrer Weise herrichten, was Frauenhände geschickter bewerkstelligen als die ungeübte Männerfaust?«

»Die Schwestern sind zurückgekehrt, Herr Doktor, sie werden im Augenblick hier sein!«

»Ah, um so besser, so brauche ich Sie nicht zu bemühen. Das trifft sich ja vorzüglich, denn die Umschläge werden die ganze Nacht erneuert werden müssen, und eine geübte Hand kommt doch schneller damit zustande!«

Benediktas Augen stehen voll Tränen. »Wie geht es mit Hoheit, Herr Doktor? Ist die Verletzung schwer?« fragt sie mit bebender Stimme.

»O nein! Ich hoffe, daß er bei allem Unglück doch viel Glück gehabt hat! Die Hautabschürfungen auf der Wange sind unbedeutend, und die Quetschung der Schulter und des Armes werden in ein paar Tagen überwunden sein. Das Unangenehmste ist auf jeden Fall die Unbequemlichkeit und Schmerzhaftigkeit derselben.«

»Wird Hoheit etliche Tage das Bett hüten müssen?«

»Ich hoffe, ihn dazu bestimmen zu können. Eine ruhige, bequeme Lage ist hierbei die Hauptsache und beschleunigt die Heilung ganz wesentlich. Ah, ich höre Schritte, – Schwester Marie? – Nun sind wir mit unserm Patienten geborgen!« Er trat der Pflegerin entgegen und schüttelte ihr herzlich die Hand.

Benedikta aber sitzt noch lange schlaflos in ihrem stillen Stübchen und schreibt an Gräfin Lotzenburg. Sie setzt ihr die Notwendigkeit der so dringend verlangten Depesche auseinander und motiviert ihren Wunsch durch den so lästigen Heiratsantrag Hobrechts.

Das Haupt in die Hand gestützt, starrt sie sinnend vor sich nieder.

Sie kann es in Ruhe abwarten, bis die Depesche sie heimruft, – eine Begegnung mit dem Kranken ist unter den obwaltenden Verhältnissen ausgeschlossen. Seine Krankheit wird ihr auch einen persönlichen Abschied ersparen, und Dr. Wacknitz wird zu bestimmen sein, erst nach ihrer Abreise dem Prinzen Meldung zu machen und ihm ein Dankesschreiben seiner so sehr erkenntlichen Patientin zu überbringen.

Sie reißt sich heldenmütig los von ihrem Lebensglück, sich zum ewigen Leide, dem Prinzen zu Heil und Frommen.

Sie preßt das bleiche Angesicht in die Hände und nimmt Abschied von allem, was ihr das Leben wert macht.

Dr. Wacknitz betritt das Zimmer Marga Dajas, um sich von dem fortdauernden Erfolg der Kur zu überzeugen.

Die junge Dame wendet sich ihm zu, sie sieht bleicher aus als sonst, aber eine ruhige, beinah starre Festigkeit spricht aus ihren Zügen.

Sie reicht dem alten Herrn mit leicht bebender Hand eine Depesche dar.

»Eine traurige Nachricht, Herr Doktor –« sagt sie leise, »die Mitteilung von der Erkrankung meines Vormundes, die mich umgehend heimberuft!«

Wacknitz wirft einen schnellen Blick auf die gedruckten Zeilen.

»Ah, – eine so ernste Erkrankung!« sagte er bedauernd. »Und Sie gedenken heute noch abzureisen?«

»Wenn ich um die Erlaubnis bitten darf?«

»Gewiß, Fräulein Daja, ich werde sofort mit Hoheit sprechen!«

Wie in jähem Entschlüsse hebt sie das bleiche Haupt.

»Ist es nötig, Hoheit mit dieser Geringfügigkeit zu belästigen?« wirft sie schnell ein, »Schwester Marie sagte mir, der hohe Kranke scheine ihr erregt und etwas zum Fieber zu neigen –«

»Bewahre! – Die gute Marie ist immer sehr ängstlich!«

»Nun, auf jeden Fall würde es mir sehr peinlich sein, wenn gerade jetzt ein Anlaß zu irgendwelcher Beunruhigung des Patienten gegeben würde! Hoheit erklärte vor wenigen Tagen noch meine Kur als nicht völlig beendet, – er würde meine Abreise vielleicht ungern sehen und dieselbe doch unter diesen Umständen nicht verhindern können!«

»Allerdings! – Vielleicht betrachten wir Ihre jetzige Abreise nur als eine Art Urlaub? Hält Hoheit eine Fortsetzung der Kur für notwendig, so kehren Sie noch einmal zurück.«

»Gewiß! – Und den Urlaub brauchen Sie doch nicht von Hoheit zu erbitten?«

»In diesem dringenden Fall kann ich ihn wohl eigenmächtig erteilen, da ich allerdings selber den Wunsch habe, alle Klinikangelegenheiten dem erlauchten Herrn fernzuhalten, bis ihn die Schmerzen der Quetschung nicht mehr so nervös machen! Er war stets eine etwas reizbare Natur und maß oft den kleinsten Dingen der Anstalt eine Wichtigkeit bei, die ihn zum Sklaven seines eignen Barmherzigkeitswerkes machte. Meiner Ansicht nach sind Sie vollkommen auskuriert, Fräulein Daja, – aber Hoheits enorme Gewissenhaftigkeit urteilt vielleicht doch anders. – Also Urlaub vorläufig, – nur einen Urlaub!«

Als er gegangen, setzte sich Benedikta nieder und schrieb an Prinz Percy. Sie dankte ihm, – dankte ihm mit der ganzen Innigkeit ihres tief erkenntlichen Herzens. – Ihre Zeilen redeten nicht von Urlaub und Wiederkehr, sie nahmen voll inniger Wehmut Abschied. – Wohl einen Abschied für das Leben. –

Als sie den Brief geschlossen, faltete sie die Hände darüber und neigte das Haupt darauf, als ob sie schlafe. – Sie weinte nicht, aber ihr Herz tat so weh, als verblute es an unheilbarer Wunde. Durch ihre Gedanken zog der Widerhall eines traurigen Liedes.

Sie hatte es oft gesungen, mit lächelnden Lippen und kummerfreiem Herzen, – heute zum erstenmal verstand sie es: »Auf daß dir Gott den Frieden sende, den meinem Herzen du geraubt!« –

Nach zwei Stunden hatte Marga Daja unter allgemeiner Teilnahme die Klinik verlassen.


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