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Achtes Kapitel

Eckert wandte sich mit einer kühlen Verneigung zu der jungen Sängerin: »Darf ich bitten, Fräulein Dallberg! Es wird wohl Zeit, zu gehen!«

Auf der Straße ein bewegter, lärmender Abschied. Nach allen Seiten zerstreute sich das übermütige Völkchen, und die Droschke, die Roman und Kranzow aufgenommen, rumpelte schläfrig die Straße hinab.

»Ich kenne Ihren Heimweg nicht, Fräulein Dallberg!« sagte Eckert im Weiterschreiten zögernd, »wäre es nicht besser, auch einen Wagen zu benutzen?«

Sie schüttelte hastig das Köpfchen. »Luft! Luft, Clavigo! – Ich freue mich ja, noch einmal tüchtig ›durchatmen‹ zu können. Das Wetter ist auch so schön –«

»Es droht mit Regen.«

»Nur eine kurze Querstraße noch, und wir sind am Ziel – Regen fürchte ich nicht, nur den Wind, den schrecklichen Wind! – Vor dem zittere ich!«

»Bringt er Ihnen Erkältungen mit?«

»Nein, das würde meine geringste Sorge sein.«

»Und was scheuen Sie sonst an ihm?«

Da schmiegte sie sich ganz fest an ihn und flüsterte mit angstvoll großen Augen: »Ich bin furchtsam! Ich graule mich wie ein Baby vor Dingen, die ich nicht begreifen kann. Und den Wind, dieses unsichtbare, unheimliche Wesen, begreife ich nicht! Ist es nicht ein grausiger Gedanke, plötzlich von jemand gefaßt, gezaust und geschüttelt zu werden, den man gar nicht sieht? Etwas heulen und pfeifen zu hören, was man nicht festhalten und mit Augen schauen kann? – Welch ein geheimnisvolles Wesen fliegt um mich her? Was für Geisterhände berühren mich? – Puh – es ist so spukhaft! – Ich male mir jedesmal schreckliche Gespenster aus, die da in der Luft herumtollen, und ich laufe fort vor ihnen. Ich verstecke mich im fernsten Winkelchen, wenn die Sturmgeister durch die Straßen toben!«

Er schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Wie können Sie sich vor einer unsrer harmlosesten Naturerscheinungen entsetzen, die Ihnen jeder Gelehrte, ja wohl mancher Laie auf die einfachste Art erklären kann? Sie sind in der Tat ein Kind, Fräulein Dallberg, ein großes Kind. Vor dem Sausen und Wehen in der Luft fürchten Sie sich, und dem Sturm, dem wüsten Sturm der Leidenschaften in der Menschenbrust rufen Sie mit lachenden Lippen Beifall! Haben Sie nie daran gedacht, daß es viel gebotener sei, sich vor den unsichtbaren Gewaltigen zu hüten, die nicht Mantel und Hut zausen, sondern den inneren Menschen voll roher Gewalt schütteln?«

»Nein, an so etwas denke ich nicht!« lachte sie naiv. »Warum auch? Was gehen mich fremde Leidenschaften an? Und was meinen Sie überhaupt mit dem ›inneren Menschen‹?«

»Ich meine die Laster, die derart über einen Menschen hinbrausen können, daß sie ihn zu einem Tier erniedrigen und derart in den Staub herabdrücken, daß sie alles in den Abgrund reißen, was Hand in Hand mit ihm geht!«

»Was kümmern mich die Verbrecher? Der Sturm, der sie packt, braust weitab von mir.«

»So? Wahrlich? Es gibt Verbrecher, denen niemals ein Zuchthaus droht, Verbrecher, die nicht mit Dolch und Gift Menschen töten, sondern die heimlich und hinterlistig Tugend, Ehre, Sitte, Glück und Liebe morden, Verbrecher, die einen modernen Sklavenhandel treiben und ihren Opfern den Ring aufzwangen, den nur Selbstsucht und niedere Geldgier geschmiedet!«

»Mein Gott, wie wunderlich Sie sprechen! Ich verstehe Sie wirklich nicht!«

»Wirklich nicht?«

Sie blieb unter einer Gaslaterne stehen und sah einen Augenblick forschend in sein ernstes Gesicht. Dann lachte sie plötzlich hellauf und schlug übermütig die Hände zusammen. »Eckert! Menschenskind! Zielen Sie etwa auf meinen armen Roman? Wollen Sie das liebe Unschuldslamm gar zum Verbrecher stempeln, weil er heute abend ein Gläschen über den Durst getrunken? Nein Himmel, was für Pedanten seid ihr doch, ihr braven, weltfremden Leute aus der Provinz! – Als Sie ehemals Ihr landwirtschaftliches Examen glücklich bestanden und dieses frohe Ereignis feierten, haben Sie da nicht auch einen Rausch gehabt?«

»Nein! Ich gestehe es ehrlich ein, selbst auf die Gefahr hin, Ihnen auch dadurch absolut nicht zu imponieren!«

»Das tun Sie allerdings nicht. Seien Sie mir nicht böse, aber ein Mann, der nicht trinken – und nicht bei guter Gelegenheit auch einmal zu viel trinken kann, der ist ein schlafmütziger Gesell, ein Schwächling, der niemals große Taten vollbringen wird!«

»Ich darf Ihren Vorwurf ohne Erröten anhören. Ich bin zwar eine Schlafmütze und Schwächling in Ihrem Sinne, denn ich habe mir nie eine Unregelmäßigkeit im Trinken zuschulden kommen lassen, aber meine Pflicht habe ich trotzdem getan. Ich zog als Unteroffizier Anno siebzig mit in das Feld – und bin als Leutnant der Reserve, als Ritter des Eisernen Kreuzes heimgekehrt. – War Herr Ermönyi auch Soldat?«

Marga biß sich auf die Lippe: »Nein, Gott sei Dank hat er sich nie unter das rohe Kriegsvolk gemischt!« trotzte sie eigensinnig: »denn er ist gleich mir der Ansicht, daß nicht allein auf dem Schlachtfeld große Taten getan werden! Haben Sie heute abend nicht das Feld der Ehre gesehen, auf dem er seine Lorbeeren pflückte?«

»Sie pflückten noch mehr davon, und ein Lorbeer, den auch Frauenhände ernten können, deucht mir doch nicht derjenige stolzen Mutes und stolzer Mannhaftigkeit! – Den Künstlerlorbeer kann meiner Ansicht nach jeder Schwächling ernten, jede Schlafmütze, die als Soldat unbrauchbar sein würde!«

»Sie sprechen nur von körperlichen Eigenschaften; ein Schwächling des Geistes wird auch niemals den Künstlerlorbeer erwerben! Und ich lasse es jedem Geschmack frei, der äußeren oder inneren Kraft den Vorzug zu geben!«

»Es bliebe abzuwarten, welcher Ehrenkranz sich dauerhafter erweist! Aus dem meinen hat nie eine Kritik ein einziges Blättlein gezupft!«

»Kritik!« höhnte Marga; »spielen Sie auf Zeitungskritik an? Treten Sie doch einmal mit Ihren Heldentaten vor ein tausendköpfiges und tausendzüngiges Publikum, und lassen Sie uns dann abwarten, wie viele Blättlein Ihnen die Mißgunst und Opposition an Ihrem Kranze läßt!« – Sie legte jählings den Arm wieder in den seinen, lachte und hob mit reizendem Ausdruck ihr Gesichtchen: »Aber warum streiten wir uns um des Kaisers Bart, amico mio? Wir waren soeben auf dem besten Wege, recht scharf ins Zeug zu gehen. Torheit! Halte jeder den Kranz, den er im Schweiße seines Angesichts erworben! Wüßte ich nicht, Sie Ritter ohne Furcht und Tadel, daß es lediglich die Eifersucht ist, die aus Ihnen spricht und den Nebenbuhler verdächtigen möchte –« sie lachte schelmisch auf – »so würde ich Ihnen Ihre Worte bitter übelnehmen: aber so – in diesem Falle –«

»Eifersucht?« Er fragte es sehr kühl, und sein Gesicht blickte in dem falben Lichtschein so steinern zu ihr herab, daß die junge Dame neben ihm ganz betroffen verstummte. Dann siegte abermals die übermütige Weinlaune, die sie noch völlig beherrschte.

»Aber Inspektorchen – wollen Sie etwa leugnen?«

»Was soll ich leugnen?«

»Daß Sie immer ein großer Verehrer von mir gewesen?«

»Nein, das leugne ich nicht.«

»Sehen Sie, o Sie Duckmäuser!«

»Ich verehre viel auf dieser Welt; aber nur das, was mir wirklich der Verehrung wert deucht.«

»Sehr schmeichelhaft. Also Sonne, Mond und Sterne!«

»Ganz recht, auch diese.«

»Wissen Sie nicht, daß man die Sterne nicht begehren soll?«

»Gewiß weiß ich das, dies gebietet die einfachste Vernunft!«

»Und dennoch – dennoch eifersüchtig, Eckert?« Sie stützte sich fester auf seinen Arm und blickte mit zauberischem Lächeln zu ihm auf. Seine auffallend gleichgültige und gelassene Art überraschte sie und weckte alle Teufelchen der Eitelkeit, eine Flamme zu schüren, die sie lediglich zu ihrer Belustigung brennen sehen wollte.

Er wandte erstaunt den Kopf, mit aller Selbstbeherrschung sah er sie groß an. »Eifersucht? Sie gebrauchen dieses Wort zum zweitenmal, Fräulein Dallberg, und ich verstand es weder vorhin noch jetzt!«

»Stolz lieb' ich den Spanier! – Aber nicht meinen guten, alten Floringhofer Freund Eckert! Warum wollen wir uns nicht ehrlich aussprechen? Sie sind erbittert, das merke ich Ihnen aus jedem Wort und jeder Miene an, und doch möchte ich so gern im guten, alten Frieden von Ihnen scheiden!«

Seine Brauen zogen sich zusammen. »Sie dichten mir Gesinnungen an, die mir durchaus fernliegen! Wären unsre gegenseitigen Beziehungen im mindesten getrübt, würde ich in diesem Augenblick nicht an Ihrer Seite schreiten! Wie kommen Sie auf die seltsame Idee, daß ich erbittert oder eifersüchtig sein soll?«

Sie ward unruhig, dieser ungewohnte Ton verdroß sie.

»Wie ich darauf komme?« schmollte sie mit der Miene eines eigensinnigen Kindes. »Als ob ich auf diese Idee gekommen wäre!«

»Nicht Sie? Wer sonst?«

»Benedikta! Wie können Sie noch fragen! Sie war es, die in größter Aufregung zu mir kam, nach dem plötzlich verschwundenen Inspektor zu suchen! Da schuldigte sie mich direkt an, daß unglückliche Liebe Sie gar in den Tod getrieben habe!«

Ein lautes, sehr herzliches Lachen. »Baroneß hat sich wohl einen Scherz erlaubt! – Welch eine Liebe sollte so groß sein, daß sie diejenige zu meinen Kindern entwurzeln könnte! Nein, Fräulein Dallberg, so sentimental, oder besser gesagt, so ehrlos bin ich nicht beanlagt, jemals um der Liebe willen die Pflicht zu vergessen! Wie kam Fräulein von Floringhoven auf diese unglückliche Idee, zu der nicht die mindeste Veranlassung vorlag?«

»Keine Veranlassung?« fuhr arga pikiert empor. »Sie glaubte wohl, der heutige Abend sei Veranlassung genug?«

»Inwiefern? Verzeihen Sie, Fräulein Dallberg, ich Schlafmütze bin schwer von Begriffen!«

Ihre Lippen zuckten ironisch. »Sie wären wohl nicht der einzige Mann, der heute abend Feuer für die ›Todgeweihte‹ gefangen!«

Abermals lachte er leise vor sich hin. »Und wenn ich es dennoch wäre?«

Sie brauste ärgerlich empor. »Dann wäre es eine Lüge, die ich nicht glaube!«

»Ei, ei, wie eingenommen solch eine junge Dame doch ist!« spottete er, immer kühler und kaltblütiger werdend, je mehr sich seine Begleiterin erhitzte und ein Gespräch heraufbeschwor, das der solide Pedant an ihrer Seite ebenso unpassend wie abstoßend fand. »Und warum sind Sie so überzeugt von meinem eroberten Herzen?«

Sie warf das Köpfchen zurück. »Weil das Herz in den Augen liegt und sich hier und da verrät!«

»Sollte aber die Eitelkeit auch in dieser Beziehung nicht mehr sehen, als vorhanden ist, – gerade nur das, was sie gern sehen möchte?«

»Möchte?«

»Fraglos möchte. Wäre es Ihnen gleichgültig, ob ich an Ihrem Triumphwagen mitziehe oder nicht, würden Sie mir jetzt nicht gewaltsam Gefühle aufnötigen, die mir durchaus fernliegen!«

»Sie liegen Ihnen fern, seit meine Verlobung veröffentlicht ward!« stieß sie brüsk hervor. Die verwöhnte kleine Dame hatte niemals einen Widerspruch ertragen und nie in einem Streit vor dem Gegner die Waffen gestreckt; auch jetzt führte sie voll unüberlegten Trotzes den Disput fort, gleichviel ob sie eine klägliche Rolle dabei spielte oder nicht.

»Ich wußte noch nichts davon, als ich das Theater verließ!«

Sie stutzte. »Und warum entflohen Sie aus dem Theater? Aus Vernunft, um dem Einfluß eines Sternes, den man nicht begehren darf, zu entgehen?« Sie lehnte sich fester auf seinen Arm und blickte schmeichelnd zu ihm empor. »Seien Sie doch nicht so halsstarrig! Ist es denn so schlimm, einem Weibe gegenüber der Besiegte zu sein? Ist es denn eine Schande, zu lieben, war es eine Sünde von mir, den Mann zu wählen, den mein Herz erkor? – Warum wollen wir nicht aufrichtig zueinander sein? – Sie sollen und müssen als Freund von mir gehen!«

»Das tue ich, Fräulein Dallberg, und versichere Ihnen abermals, daß ich Ihnen nichts, absolut nichts übelgenommen habe! Wenn ich das Theater vorzeitig verließ, so geschah es aus Abneigung gegen eine Schaustellung, die mir nicht sympathisch war. Die Marga Daja auf der Bühne drunten gefiel mir nicht so gut wie diejenige in Floringhof.«

»Wie? – Wie?« rief die junge Sängerin mit einem Ausdruck des Entsetzens in dem reizenden Gesicht, der den Sprecher überraschte. »Ich habe Ihnen nicht gefallen? Sie sind unzufrieden mit mir?«

Er sah ihr ernst in die Augen. »Nein, Fräulein Dallberg, Sie haben mir nicht gefallen!« sagte er fest. »Ihr Herr Bräutigam ist nicht zugegen und kann meine Ansicht nicht als Opposition gegen die seine auffassen. Ich achte in Ihnen die holde, anmutige Weiblichkeit, die es verstand, durch unbewußten Zauber zu entzücken. Heute abend entzückten Sie das Publikum nicht unbewußt, sie entzückten es durch eine Menge von Kunstmitteln, die Ihnen Ihr Beruf wohl gebietet, die Sie aber in meinen Augen entwürdigten. Ich habe keinen Sinn für das Theater, ich bin zu engherzig, um es zu billigen, daß eine Dame, die ich hochachte, als Zielscheibe aller Wünsche und Begierden, aller Lastersucht und frivolen Beurteilung auf die Bretter gestellt wird. Ich nenne mich nur Ihren Freund, Fräulein Marga, und bin – in diesem Falle haben Sie vielleicht recht, – zu eifersüchtig auf Ihre Würde, um Sie mit einem hundertköpfigen Publikum lachen und kokettieren zu sehen; wäre ich Ihr Verlobter oder Ihr Gatte, würde ich Sie zu lieb haben, um Sie auf der Bühne erblicken zu können. Sie hören, ich bin ehrlich. Was vielleicht hunderte von leichtdenkenden Männern entzückt, hat mich ernüchtert. Mein Geschmack, die Frauen betreffend, ist ein andrer, und Margarete Dallberg in Floringhof war mir ohne Lorbeer, ohne Schimmer und Glanz, ohne Ruhm und Ehren tausendmal lieber als Marga Daja, die heute abend den größten der Erfolge gefeiert!«

Wie vom Donner gerührt stand sie an seiner Seite. Minutenlang rang sie nach Atem. Dann hob sie mit aufblitzenden Augen den Kopf. »Sie sagen mit andern Worten, Roman Ermönyi liebe mich nicht, weil er meinen Triumphzug über die deutschen Bühnen nicht aus prüdem Egoismus verhindern will?« Ihre Stimme klang scharf, sie löste jählings die Hand aus seinem Arm und zog die Nachtglocke der Haustür, vor der sie standen.

»Er liebt Sie – aber ... wie er sagt – auf seine Art!« Hochaufgerichtet stand er neben ihrer Elfengestalt.

»Und seine Art dürfte mir wohl die wahre und richtige dünken! Ich danke Ihnen für Ihr Geleit, Herr Eckert, ich bin zu Hause!«

Er blickte sie ernsthaft an. »Leben Sie wohl, Fräulein Marga, und wenn ich Ihnen noch einen Freundesrat mitgeben darf für Ihr zukünftiges Leben, so folgen Sie dem kindlichen Instinkt, der Sie mahnen will, – fürchten Sie den Wind und Sturm! Nicht jenen, der unter Gottes freiem Himmel weht, sondern jenen, der in den Menschenherzen alles Glück über den Haufen bläst!«

Er bot ihr die Hand zum Abschied; mit kurzem, spöttischem Auflachen wandte ihm das »Kind« jedoch den Rücken und flog wie ein Schatten durch die breite Haustür, die der Portier vor ihr öffnete.

Ohne Gruß, ohne Abschiedswort schied sie, und die schweren Türflügel schlugen laut krachend hinter ihr zu.

Einen Augenblick noch stand Adalbert Eckert und wartete, bis der flackernde Lichtschein hinter den Flurfenstern verschwand, dann hob er das Haupt in den Nacken, stolz und hochaufatmend wie ein Kämpfer, der einen schönen Sieg errungen.

– Marga Daja drückte das brennende Antlitz in die Kissen.

Sie war so müde gewesen, so todmüde.

Nun lag sie mit weitoffenen Augen und konnte doch nicht schlafen!

War es die Erregung, der haltlose Jubel eines jungen bräutlichen Glückes, die ihr die pochende Glut in die Schläfen trieben und rosige Zukunftsbilder vor ihr entrollten? – Bilder voll Liebe und friedlichen Glücks. Bilder voll Paradieseswonne und Seligkeit?

O nein, Marga Daja dachte kaum an den Ring an ihrem Finger.

Sie hatte ja schon lange genug Zeit gehabt, sich seiner im voraus zu freuen und ihre Eitelkeit in seinem Glanze zu sonnen. Was bedeutete dieser goldene Reif für Marga Daja? Den Triumph, die Frau eines berühmten Mannes zu werden, um den sich die meisten Kolleginnen so sehr bemüht hatten, und der unter allen ihr den Vorzug gegeben! Die angenehme Aussicht, in baldiger Ehe frei und selbständig zu werden!

Marga Daja war eines jener unzähligen Mädchen, die zu eingebildet sind, um lange auf einen Mann warten zu wollen, die darauflos heiraten, ohne zu überlegen, »ob sich das Herz zum Herzen findet«, die um jeden Preis – je eher, je besser – unter die Haube streben. Voll kindischer Illusionen, leichtlebig, anspruchsvoll und ahnungslos dessen, was die Hausfrauenwürde und -bürde von ihnen verlangt, rennen sie blindlings in Fesseln hinein, die sie nicht sehen wollen und die sie nun doch für ein ganzes Leben ertragen sollen!

Was Wunder, wenn der goldne Ring am Finger zu dem ersten Glied einer unerträglichen Kette, wenn der Treueschwur des Verlöbnisses zur Kriegserklärung für die unglückliche Ehe wird!

Marga Daja hatte niemals weit vorausgedacht. Der Reif, den Roman ihr unter Lachen und Scherzen angesteckt, hatte seinen Zauber verloren, seit sie ihn besaß, gleichwie ein Kind gelangweilt ein Spielzeug beiseite wirft, wenn es den Reiz der Neuheit verloren. Roman Ermönyi hatte sie anfänglich durch seine Gleichgültigkeit gar zu unbeschreiblich geärgert und ihre eigensinnige Eitelkeit entflammt, gerade ihn, den Opponisten, beherrschen zu wollen.

Sie hatte es niemals ertragen, übersehen oder vernachlässigt zu werden, und hatte auch dem jungen Komponisten gegenüber den Kopf darauf gesetzt; ihn wie alle andern zu ihren Füßen zu sehen; Trauben, die hoch hängen, sind für den Ehrgeiz nicht immer sauer, sondern doppelt heiß begehrt. Es liegt in der menschlichen Natur, etwas dringend Erwünschtes mit allen denkbaren Vorzügen und Vollkommenheiten auszuschmücken, und auch Margas Phantasie arbeitete sich gewaltsam in Illusionen hinein, die Roman Ermönyi mit den Tugenden eines Halbgottes umgaben.

Da sie nur das Beste an ihm sehen wollte, so sah sie es auch; denn teils war sie nicht scharfblickend und Menschenkennerin genug, um die Schwächen und Fehler zu entdecken, andrerseits schloß sie gewaltsam die Augen, voll kindischer Eigenwilligkeit bei der Überzeugung verharrend: »Was ein Ermönyi tut, ist ein für allemal wohlgetan.«

Und nun lag sie mit fiebernden Pulsen in den Kissen, starrte auf die Fenstergardinen, die immer heller und rosiger von dem erwachenden Tag durchleuchtet wurden, und krampfte in ohnmächtiger Erregung die kleinen Hände zusammen.

Sie dachte mit keinem Gedanken an den Bräutigam –- der war besiegt und mit Rosenketten gebunden als überwundener Standpunkt vor ihre Füße niedergelegt, – sie dachte lediglich an ihn – den Unerhörten, Empörenden, der es gewagt hatte, einer Marga Daja Dinge in das Gesicht zu sagen, wie es noch kein Sterblicher vor ihm sich erdreistet!

War es auszudenken? – Er, der Inspektor Eckert, der Mann ohne Sang und Klang! Der Bauer – der Habenichts! Der Unteroffizier in Zivil – er, er hatte vor Schluß das Theater verlassen, weil ihm Marga Daja in ihrer herzbestrickenden Glanzrolle – nicht gefiel!

Ist solch eine Vermessenheit auszudenken?

Früher, in Floringhof, hat sie ihm besser gefallen? Undenkbar! Ist sie während weniger Wochen etwa alt und häßlich geworden?

Nein, tausendmal nein! Sie hat ja genugsam Beweise, wieviel Eroberungen sie just gestern abend gemacht, und er – dieser will ihr opponieren!

Sollte es nicht Haß und Rache gegen die »Braut des andern« gewesen sein?

Nein, er ahnte ihre Verlobung noch nicht, als er das Theater verließ, er entfernte sich mit dem gleichgültigen Vorsatz, Marga Daja nicht wiederzusehen; sein Erscheinen in dem Lokal war tatsächlich der Zufall, das sah sie seinem entsetzten Gesicht an, mit dem er sie anstierte. Hatte sie ihn nicht beinahe gewaltsam in ihren Kreis fesseln müssen? Hat er nicht stets von neuem versucht, sich zu verabschieden?

Wie viele hunderte hätten wohl alles darum gegeben, an diesem Abend einer Marga Daja gegenübersitzen zu können – und er, die Einfalt vom Lande, wendete ihr ungerührt den Rücken!

Wie ist das möglich?

Er war ihr glühender Verehrer, – warum ist er es plötzlich nicht mehr? Sie Törin hatte sich eingebildet, sein stummes unbeholfenes Wesen in der Garderobe sei hochgradiges Entzücken gewesen!

Brennende Glut steigt plötzlich in Margas Wangen. Vielleicht war es unbedacht von ihr, sich diesem soliden Naturmenschen in ihrem Theaterputz so ganz in nächster Nähe zu zeigen! Seine scharfen Äugen sahen die künstlichen Hilfsmittel, die ihre Schönheit bildeten. Und das hatte den strengdenkenden Moralisten ernüchtert.

Sagte er nicht: »Sie entzückten das Publikum nicht unbewußt, sondern durch eine Menge von Kunstmitteln?« – Fraglos! Ihr Kostüm, ihre Perücke, ihre Schminke hat ihn entrüstet! – Hahaha! Dieser prüde Joseph! – Marga möchte auflachen, aber sie kann es nicht, ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Sie gräbt die spitzen Zähnchen in die Lippe.

Und waren es diese Kunstmittel allein, die er verdammte? – Nein, er richtete ja auch ihr Lächeln und Kokettieren in das beifallspendende Publikum. Er hat es genau beobachtet, wie sie mit Blick und Miene bemüht war, das Feuer noch zu schüren.

Einfaltspinsel der! Was verstand er von den Sitten und Gebräuchen einer Kulissenwelt!

Nur ein Pedant, ein derart beschränkter Mann vom Lande kann solch verbauerte Ansichten aussprechen. Was liegt Marga Daja daran?

Und doch, – und doch!

Hier, tief innen, ganz heimlich und unbezwinglich regt sich etwas in Margas eitlem Heizen, was einem tief verletzten Stolze gleicht.

Es wurmt sie! Es nagt ihr an der Seele.

Noch nie hat ihr Selbstbewußtsein eine so empfindliche Niederlage erlitten.

Ein Mann, der sie geliebt hat, wendet sich gleichgültig von ihr, in einem Augenblick, wo Marga Daja die höchste Sprosse des Ruhmes erklommen. Wie ist das möglich? – Ehemals ärgerte es sie, daß dieser Inspektor ohne Namen und Mittel, dieser simple Mann aus dem Volke es wagte, die Augen zu ihr, der verwöhnten, anspruchsvollen, kleinen Theaterprinzessin zu erheben, und jetzt verletzt und ergrimmt es sie noch tausendmal mehr, daß dieser selbe Mann es wagt, sie kaltlächelnd aufzugeben!

Was je an Selbstüberhebung und Gefallsucht in ihr geschlummert hat, bäumt sich wild auf gegen diese Niederlage.

Sie will nicht von ihm übersehen und beiseitegeschoben sein! Er soll an ihre Macht glauben, er soll vor ihren Füßen im Staub liegen wie jeder andre, der Margas Weg kreuzt. Will er etwas Bessres sein, als Roman Ermönyi?

Beim Himmel, er bildet es sich ein!

Warum passierte Roman auch gerade an diesem Abend das Pech, sich zu betrinken? Jeder wird es an solch glänzendem Doppelfest begreiflich und verzeihlich finden, nur er – der Sittenrichter aus Floringhof nicht!

Unmäßig! Welch ein Vorwurf für Roman! Es fehlt nur noch, daß er ihn einen Trunkenbold und Wüstling nennt! Im Herzen tut er es fraglos, sein verächtlicher Blick brennt ihr noch in der Seele. Und so – so wagte er einen Ermönyi anzusehen! Was gäbe sie darum, hätte Roman an diesem Abend weniger gezecht!

Sie erträgt die Geringschätzung dieses Bauerntölpels nicht!

Und welch ein Selbstbewußtsein! Welch ein Hochmut, mit dem er es wagt, auf den berühmten Komponisten herabzublicken! Sein Lorbeerkranz deucht ihm womöglich verdienstvoller als jener des unsterblichen Künstlers!

Er ist Soldat gewesen! – Lächerlich! Jeder Bauernjunge mit geraden Knochen wird Soldat, – das Hirn spricht in dieser Stellung nicht mit!

Aber ... er ist als Offizier, er ist als Ritter des Eisernen Kreuzes heimgekehrt, und daß zu solch einer Auszeichnung und Dekoration nicht allein heldenhaftester Mut, sondern auch ein groß Teil Verstand, Geistesgegenwart und die erforderliche Bildung notwendig ist, das weiß selbst eine Marga Daja.

Sie wühlt das Gesicht in die Kissen, Tränen leidenschaftlicher Erbitterung treten ihr in die Augen. Warum ist Roman nicht auch Soldat gewesen? Warum ward er nicht Reserveoffizier? Warum holte er sich keine D ekoration aus dem Feldzuge heim? Marga könnte ihn in diesem Augenblick darum hassen!

Weil er nicht genug auf der Schule gelernt hat, weil er ein zu schwächlicher, kraftloser Mensch war, um dreijährig dienen zu können, um sich überhaupt zum Kriegsdienst zu eignen.

Schwächling! So hatte sie Eckert genannt, ihn, der wie ein Herkules, wie ein Riese Roland, gesundheitstrotzend, markig und heldenhaft neben dem kleinen, bleichen, hageren Roman stand!

Tief erschöpft sank sie in die Kissen zurück.

Plötzlich war es ihr, als stehe Adalbert Eckert vor ihr, riesenhaft groß, stark und gewaltig wie Othello, mit Augen, die ein Gemisch von wahnsinniger Liebe und voll tödlichen Zornes glühen, – und er faßt sie mit den starken Armen und preßt sie an sich, daß sie ersticken muß wie Desdemona –

Sie will aufschreien – sie kann es nicht. Seine Leidenschaft zermalmt sie. – Ein Schauer rieselt durch ihre Glieder, halb Wonne, halb Todesweh.

Sie stirbt – sie vergeht in Liebe –

Wild zuckt sie empor und starrt mit weitoffenen Augen um sich.

Sie ist allein.

Adalbert Eckert weilt fern von ihr und denkt nicht mehr an sie –. Und Roman? Roman ist ja nicht eifersüchtig.

Aufseufzend schließt sie die Augen, sie vergeht nicht in den Untiefen allgewaltiger Liebe ...

– Es war ein Traum.

Langsam hebt sich die Frühlingssonne über den Horizont.


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