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Fünftes Kapitel

Wie im Traume fuhr Baroneß Floringhoven durch die belebten Straßen der Residenz.

Wunderliche, unheimliche Empfindung, all das atemlose Hasten, Treiben und Wagenrollen um sich her zu erblicken und dasselbe an der zitternden Erschütterung wahrzunehmen, ohne einen Laut des durchdringenden Lärms zu hören.

Wie bunte, wirre Bilder zieht es spukhaft an ihr vorüber, lautlos, gleich den Schemen einer Geisterwelt; nur manchmal, wenn eine Pferdebahn just neben ihr die schrille Klingel rührt, findet sie ein leises, ganz leises Echo in ihrem Ohr.

Anfänglich leidet Benedikta unter diesem fremdartigen Eindruck, bald gewöhnt sie sich daran.

Sie hat mit ihrer treuen Sophie Aufenthalt in der Klinik genommen, und der Professor sprach nach eingehender Untersuchung seine zuversichtliche Hoffnung aus, die junge Dame vollständig herzustellen, oder doch eine große Besserung ihres Leidens zu erzielen.

So streng wie der Winter regiert, so üppig und milde hatte der Frühling die Welt zu eigen genommen. Wundervolles, beinahe allzu warmes Wetter lockte die Residenzler auf die Promenade, und Marga Daja stürmte in das Zimmer der Jugendfreundin und drückte ihr mit strahlenden Augen die lange »Bittschrift« in die Hand, die sie fürsorglich schon daheim zu Papier gebracht hatte.

Heute fand die Premiere statt! Eine fiebernde, unerträgliche Aufregung quälte Marga. Mit Roman war überhaupt nicht zu verkehren. Er lief wie ein Verrückter in seiner Wohnung umher, lud den Revolver, mit dem er sich im Fall eines Nichterfolges erschießen wollte, warf sich in den Klaviersessel und spielte die einzelnen Partien, bis er die Fäuste gegen die Stirn schlug, die Noten zerfetzte und sich auf das Chaiselongue warf, um in rasenden Ausdrücken der Leidenschaft die ganze Musik der Welt zu verfluchen. Zum ersten Male hatte er Marga, die ihm zärtlich zur Vernunft reden wollte, ungestüm, »beinahe« grob beiseite geschoben. Er wolle allein sein. – Sie lachte darüber. So sind die Musiker alle! Glückliche Unglückselige! – So etwas muß austoben.

Was aber soll Marga an diesem langen, sonnenhellen Tag beginnen? Auch ihr gießt die Aufregung Feuer in die Adern, auch ihr zehrt dieses Hangen und Bangen an den Nerven, obwohl sie sich durchaus nicht ängstigt, sondern sehr guten Mutes ist.

Sie singt ihre Partie tadellos, sie spielt ihre Rolle, eine Art schwärmerischer Mignonfigur, bezaubernd, und soviel sie beurteilen kann, muß auch ihr Kostüm bestrickend wirken. Nun, und die Oper? Wie könnte man an einem Erfolge Roman Ermönyis zweifeln!

Frische Luft! Zerstreuung! Erheiterung! Das Wetter lockt zu einer Spazierfahrt. Die Equipage harrt vor der Tür, und Marga umarmt die ernste Freundin voll schmeichelnder Zärtlichkeit, schlägt so lange bittend die kleinen Hände zusammen und fleht mit den Kinderaugen so inständig, daß Benedikta lächelnd Gewährung nickt.

Ihr Blick schweift voll Entzücken über Margas auffallend reizende Erscheinung.

Ein großer, weißer Spitzenhut, ganz in Babyfasson gehalten, ein weißes Kaschmirkleid mit hängenden Schleifen, flatternden Bänden und Spitzen, wirkt äußerst zart und geschmackvoll, und wenn »das Kind« mit den langwallenden blonden Locken die großen Augen aufschlägt und aus dem Greenewayhut hervorlächelt, dann müßte wohl ein Männerherz von Eis und Stein sein, wollte es sich nicht für solch einen Anblick erwärmen.

Welch ein Kontrast gegen Benedikta!.

Schwarze Wollfalten schmiegen sich um die schlanke, majestätische Figur und schleppen düster auf dem Teppich nach; ein Hut, der mehr ein geschmackvoll geschlungener Schleier scheint, umrahmt mit seinem Kreppgewebe das Haupt und läßt das sinnende, zartbleiche Antlitz wie ein edles Marmorbild erscheinen.

Marga schüttelt ein wenig vorwurfsvoll das Köpfchen und macht sich durch Gesten verständlich, daß sie solch einen Traueranzug absolut nicht an der Freundin liebe, – Fräulein von Floringhoven lächelt wehmütig, läßt sich von Sophie die Handschuhe reichen und wendet sich zur Tür.

Die weichen Teppiche decken die schmalen, vielfach durchquerten Korridore der Klinik.

Marga Daja flattert wie ein Schmetterling der Treppe entgegen, so erregt und mit allen Gedanken fernab, daß sie beinahe gegen zwei Herren stößt, die scharf um einen Pfeiler biegen.

»Pardon –«

Marga lächelt und nickt. Sie hat den Assistenzarzt des Professors jüngst im Wartesälen kennengelernt. Hastig schreitet sie weiter, den Begleiter des Arztes keines Blickes würdigend, da der junge Doktor ihren flüchtigen Gruß allein empfangen.

Dessen Haupt schnellt herum und starrt der reizenden Erscheinung nach, er bemerkt nicht, daß auch der Herr an seiner Seite wie angewurzelt stehen bleibt.

Benedikta tritt in das helle Oberlicht des Treppenhauses. Ihr Blick streift den Begleiter des Arztes, und jäh zusammenzuckend, starrt sie wie gelähmt in sein Antlitz. Das muß ihm wohl auffallen.

Auch er hält jählings im Schreiten inne und blickt sie an wie ein Mensch, der in hohem Grade überrascht und betroffen ist.

Abermals ruht Auge in Auge, ein einziger, zwingender Blick voll rätselhaften Zaubers – und dann färbt sich Benediktas Antlitz zu dunklem Purpur, sie schrickt zurück vor ihm und wendet sich zur Treppe, als gälte es eine Flucht.

Regungslos starrt der Fremde ihr nach. Er streicht langsam mit der Hand über die Stirn und drückt den Hut wieder auf das Haupt.

»Wer war diese Dame, lieber Doktor?« fragt er.

»Kannten Sie unsre kleine Nachtigall in Zivil nicht wieder, Hoheit?« lachte der junge Mann sehr animiert. »Es war ja Marga Daja, ›das Kind‹, die heute abend die Titelrolle in Ermönyis neuer Oper singen soll!«

»Eine Sängerin!«

»Mein Gott, das klingt ja wie ein Seufzer der Enttäuschung, Hoheit! Glaubten Sie, ein veritabler Engel schwebe über den Weg?«

»Nein – nicht im mindesten. Ich war frappiert von ihren Augen, von ihrem ganzen Gesicht, das ich schon einmal im Leben gesehen haben muß, – aber wo, wo?«

»Nun, wo andres als wie auf der Bühne? Wer Marga Dajas Augen ein einziges Mal gesehen, kann sie so leicht nicht wieder vergessen.«

Der Prinz schüttelte sinnend den Kopf: »Auf der Bühne? Nein, mich haben die Divas nie interessiert, – ich entsinne mich auch nicht, Marga Daja jemals gehört zu haben. Seltsam, ich hätte darauf geschworen, eine Dame der ersten, allerersten Gesellschaft vor mir zu sehen, – und diese Ähnlichkeit ... wenn ich nur wüßte, wo ich dieses sympathische Gesicht schon gesehen habe!«

»Sie entsinnen sich vielleicht, Hoheit, wenn Sie heute abend die Sängerin auf der Bühne wiedersehen?«

Percy schüttelte beinahe heftig den Kopf. Ein unerklärliches Gefühl beschleicht ihn. Es würde ihm geradezu unangenehm sein, diese vornehme Gestalt, dieses seelenvolle imponierend edle Gesicht unter Schminke und Lampenlicht wiederzusehen. Es würde ihm – leid tun.

»Bedaure, lieber Doktor, mein Zug geht bereits um sieben Uhr und wartet nicht, bis ich Fräulein Marga Daja applaudiert habe. Ich bin sehr eilig, und triebe mich nicht die aufrichtigste Verehrung zu unserm vortrefflichen Professor und Meister, würde ich selbst zu dieser kurzen Visite keine Zeit gefunden haben. Wollen Sie so freundlich sein, bester Doktor, und mich bei Ihrem Chef melden?«

Mit glühenden Wangen hatte Benedikta den Wagen bestiegen.

Ihre Erregung und außergewöhnliche Unruhe fielen Marga nicht auf, sah sie doch selber mit fiebernden Pulsen neben der Freundin, keinen andern Gedanken als den, »was wird der heutige Abend bringen, wie wird er über deine ganze Zukunft entscheiden?«

Prinz Percy schien sie bei der flüchtigen Begegnung gar nicht erkannt zu haben, und diese Tatsache erfüllte Fräulein von Floringhoven mit großer Beruhigung. Margas unberechenbarem Temperament, ihrem nicht allzu peinlichen Takt und der leichten Lebensauffassung, die sie sich im Verkehr mit dem lustigen Theatervölkchen angeeignet, war es zuzutrauen, daß sie durch irgendwelch gewagte Manöver versucht hätte, eine Annäherung mit dem Prinzen herbeizuführen, denn die große Tat edler Barmherzigkeit, – »wie wir einst Prinz Percy gerettet!« – spukte noch sehr lebhaft in dem Köpfchen des großen Kindes.

Der Wagen rollte in mäßigem Tempo durch die Frühlingspracht der neuen Anlagen.

Blütenzweige nickten wie selige Grüße auf die beiden Mädchenköpfe hernieder, Vogelschwingen durchschnitten gleich Boten der Liebe die blaue Luft, um Erd' und Himmel zu verbinden, und die fröhliche Menge der festlich geputzten Menschen drängte sich zu Fuß, Roß und Wagen auf der Promenade, als gelte es, dem holden Knaben Lenz eine große Ovation zu bereiten. Marga hatte recht, hier flogen die Stunden schnell und anregend dahin.


Während des gemeinsamen Diners nahm Benedikta den Platz neben dem Professor ein, der zumeist mit den Patienten seiner beschränkten kleinen Privatklinik zu speisen pflegte, da er schon seit Jahren verwitwet war. Er liebte es, jedwede Einrichtung seines sehr eleganten Hauses einer persönlichen Kontrolle zu unterwerfen, was wohl den Grundstein zu dem vorzüglichen Renommee gelegt hatte, dessen sich die Anstalt weit und breit erfreute.

Auch heute fand Benedikta eine erlesene kleine Tafelrunde, die durchaus nicht den Anschein hatte, als ob sich zumeist taube, oder sehr schwerhörige Personen in ihr zusammen fänden.

Eine heitere, sehr animierte Unterhaltung flog her und hin, die kleinen Schreibtafeln waren weniger in Aktion wie das Hörrohr, ein Zeichen für die vortrefflichen Kuren des Professors, unter dessen Patienten Fräulein von Floringhoven zur Zeit wohl die kränkste und beklagenswerteste war.

Er selber war ein geistvoller alter Herr von tadellosen gesellschaftlichen Formen, der voll warmen Interesses Anteil an dem Schicksal des jungen Mädchens nahm, dessen auffallend schöne und imponierende Erscheinung trotz der anspruchslosen Toilette einen tiefen Eindruck auf alle machte, die in die schwermütigen Augen schauten.

Mehr denn je fesselte Benedikta heute die Blicke der Tischgesellschaft.

Ihr rosig überhauchtes Antlitz, das eine außergewöhnliche Erregung ausdrückte, lächelte in einer wahrhaft verklärten Liebenswürdigkeit, und mehr wie einmal deuchte es dem Professor, als habe Baroneß Floringhoven irgendeine Frage an ihn auf dem Herzen, die ihr nicht recht über die Lippen wollte. Könnte er ihr ihr nur helfend entgegenkommen, aber der alte Herr zerbricht sich vergeblich den Kopf, welch ein Thema seine Patientin interessieren könne. Endlich glaubt er die richtige Spur gefunden, nachdem Benedikta seine ärztliche Erlaubnis zu einem Besuch des Opernhauses erbittet.

Das beinahe verblüffte Gesicht des Gefragten lockte das erste Lachen über ihre Lippen.

»Sie sind vollauf berechtigt, überrascht zu sein, Herr Professor«, fährt sie heiter fort; »es ist ein merkwürdiges Vergnügen für taube Menschen, sich Musik anzuhören, ebenso wie für blinde, die eine Bildergalerie besuchen! Aber mein Besuch in der Premiere Roman Ermönyis gilt nicht der Musik allein, er gilt dem Erfolg, und ob eine Oper reüssiert oder ausgepfiffen wird, das versteht man selbst mit tauben Ohren!«

»Sie kennen Roman Ermönyi persönlich, Baroneß?« forscht der Professor mit einem Blick, der noch viel mehr fragt wie die Worte. Abermals ist er enttäuscht. Die rosigen Wangen und leuchtenden Augen der jungen Dame gelten ihm nicht.

»Nein, noch kenne ich ihn nicht persönlich,« lächelt sie, »doch interessiert mich seine Karriere, weil sich das Lebensglück einer lieben Jugendgespielin daran knüpft!«

»So, so! Ein kleiner Roman hinter den Kulissen!« amüsierte sich der Professor, »das ist allerdings ein zwingender Grund, um Sie heute noch einmal von den strengen Satzungen dieses Hauses zu dispensieren! Schade, daß die Premiere nicht ein Weilchen später stattfindet, Baroneß könnten dann, so Gott will, voll eigenster Überzeugung applaudieren!«

Benediktas Antlitz erglüht noch tiefer, der Professor aber schreibt abermals auf das Täfelchen: »Sie sind heute spazieren gefahren, gnädiges Fräulein, leichtsinnigerweise, ohne sich zuvor den Kopf bandagieren zu lassen! Wissen Sie auch, daß von morgen ab die guten Tage von Aranjuez aufhören? – Ich werde Ihr Tyrann sein und Sie wochenlang strenger gefangen halten, als einst der Felsen seinen Prometheus!«

»Herr Dr. Bröckler begegnete uns leider auf der Treppe!« lächelt Benedikta und neigt sich tief auf ihren Teller, »er hat mich sicherlich bei Ihnen verklagt?«

»Bröckler? Dieser leichtsinnige Schelm baut meiner schönen Patientin eher mit eigener Hand die Brücke zur Flucht, als daß er sie jemals denunzieren würde!«

Der Professor muß sich im Schreiben unterbrechen, da ihm eine Speise serviert wird.

Die Hand seiner Nachbarin bebt auf der Serviette; jetzt wäre wohl der geeignete Moment, nach Prinz Percy fragen; sie will die Lippen öffnen, will es tun, aber sie glaubt an ihrem Herzschlag ersticken zu müssen.

Scham und Verlegenheit schnüren ihr die Kehle zusammen.

Wie harmlos könnte sie nun dem Professor die Veranlassung – die detaillierte Veranlassung zu ihrer unglückseligen Erkrankung erzählen! Er würde fraglos den Prinzen von der opfermütigen Tat seiner Retterin unterrichten, und der hohe Herr würde fraglos noch jetzt seinen persönlichen Dank überbringen. Sie wäre seines warmherzigen Interesses gewiß, sie würde sich zeitlebens seiner Teilnahme erfreuen.

Benedikta atmet schwer auf. Aber welch ein Gefühl vernichtender Reue, welch ein Schuldbewußtsein, welch eine bittere Selbstanklage würden andrerseits auch den Prinzen quälen, welch ein verzweifelnder Gedanke würde es für seinen ritterlichen Sinn sein, an dem bitteren Unglück einer jungen Dame die Schuld zu tragen!

Nein, Prinz Percy soll und darf niemals die traurige Wahrheit erfahren. Benedikta hat darum auch Marga das heilige Versprechen abgenommen, nie und vor keiner Menschenseele die Ursache von der Erkrankung zu erzählen.

Aber sprechen von ihm! – Etwas über ihn erfahren und hören, – das möchte sie für ihr Leben gern, und doch will die Frage nach Prinz Percy nicht über ihre Lippen. Oft hat sie die instinktive Empfindung, daß der Professor mit den andern Tischgästen von dem Besuch des hohen Freundes spricht, aber sie sitzt mit tauben Ohren dabei, unfähig, auch nur ein Wort von dem zu verstehen, was sie doch so über alles interessiert.

Der Nachtisch ist noch nicht aufgetragen, als der Professor sich von seiner Nachbarin verabschiedet, da eine wichtige Operation ihn abruft. Er erhebt sich, ruft reihum ein heiteres Lebewohl, grüßt und nickt, wie ein guter Freund mit Freunden verkehrt.

Ein pensionierter General rückt ungeniert auf des Professors leeren Stuhl und greift nach der kleinen Elfenbeintafel, um mit schweren derben Schriftzügen darauf zu malen: »Ein Soldat muß den Vorteil einer verlassenen Position auszunutzen verstehen! Ich rücke nicht als Eroberer näher, dazu ist mein Kopf schon zu grau – aber als Alliierter. Wie befinden sich Baroneß heute?«

»Da ich in all diesen heiter sprechenden und hörenden Herrschaften die Patienten des Professors erblicke, machen mich Hoffnung und Zuversicht schon jetzt halb gesund.«

»Bravo. So muß es sein. Ich alter Kerl werde lernen von Ihnen, bin mit meinem einen harthörigen Kanonenrohr so unzufrieden und mißmutig, daß es eine Schande ist, – ich werde Sozialdemokrat!«

Fräulein von Floringhoven lacht auf, als sie es liest und in das rote, fröhlich feiste Antlitz der alten Exzellenz mit dem Graupintscherkopf blickt.

»Wie gut, daß Sie dieses Bekenntnis einer schönen Seele nur ganz leise aufgeschrieben haben!«

»Hoho! Ich habe es heute dem Prinz Percy in das Gesicht gesagt, denn er eben ist es, der mich dazu macht!«

Benedikta wird blutrot. »Der Prinz?« stottert sie.

Wie gut, daß der alte Herr sich so tief bei dem Schreiben bückt. Er stöhnt auch mächtig dabei und findet, daß er nie Talent zum Schriftsteller verraten.

»Ja, der Prinz! – Er! Gerade er! Hol der Teufel seine Kunst, wenn sie für uns verdiente, alte Krieger doch nur eine verdeckte Schüssel sein soll! – Treffe ich den hohen Herrn heute im Zimmer beim Professor und höre, daß er in Wien eine großartige Kur an einem taub geborenen Jungen gemacht hat, und daß er eben das Terrain ankauft, um eine Klinik erbauen zu lassen. ›Hoheit,‹ sage ich – ›Donnerwetter! Ich bin Ihr erster Patient in der Klinik! Schneiden Sie mir auch mal die verfluchte Schwarte aus dem Löffel raus. Unter dem Messer Eurer Hoheit werde ich selbst bei dem tollsten Zwicken vor Freude schmunzeln!‹ – Und was sagt der königliche Doktor darauf? ›Is nich, Exzellenz, – Mund wischen! Für einen so reichen Erbonkel wie Sie gibt es genug geschickte und berühmte Ärzte, die ihre Sache noch besser verstehen und Patienten brauchen, um leben zu können. Ich bin nur ein Arzt der Armen, und wer noch so viel Geld hat, daß er einen andern Doktor bezahlen kann, der wird nie in meiner Klinik aufgenommen!‹

Na, Baroneß, was sagen Sie nun? Und da soll ein braver alter Kerl wie ich nicht Sozialdemokrat werden?«

Exzellenz pustete und wischte sich die Stirn. So viel hatte er im ganzen Leben noch nicht freiwillig geschrieben, – hätte es auch heute nicht getan, wenn das nette Mädel nicht so verteufelt schöne Augen hätte. –

Als Benedikta wieder ihr Zimmer betrat, war es ihr lieb, Sophie noch nicht darin vorzufinden.

Mehr denn je sehnte sie sich nach einem Augenblick der Einsamkeit und Sammlung.

Als der Professor die Tafel verlassen, glaubte sie jeder Nachricht über Prinz Percy verlustig zu sein, und als sie eine Viertelstunde später sich erhoben, nahm sie eine Neuigkeit mit in ihre Einsamkeit, die sie so hochgradig erregte, daß sie sich vor dem Schreibtisch niedersetzte und das Haupt in beide Hände stützte, um der pochenden Glut in ihren Schläfen Herr zu werden. Prinz Percy hatte ein Ohrenleiden mit großem Erfolg behandelt, er baute tatsächlich eine Klinik für arme Kranke, um sie persönlich zu behandeln! – Wie ein Zittern rang es durch die Glieder des jungen Mädchens.

Oh, daß er auch ihr Arzt und Retter sein könnte!

Jählings blitzt ihr der Gedanke durch den Sinn: Nur er kann dir helfen! – Er, der all dein Elend über dich gebracht, muß es auch wieder von dir nehmen! Nur eine Sekunde, dann birgt sie das Antlitz wie mit leisem Schauder in die Hände. Niemals! Auch hier ist ihr Reichtum das unüberwindliche Hindernis, das sich zwischen sie und ihr Glück drängt!

Für sie sind alle andern Ärzte da, die von ihrer Kunst und ihren Kenntnissen leben müssen. Das ist eine sehr richtige und anerkennenswerte Ansicht des Prinzen; er will der Wissenschaft keine Konkurrenz machen, sondern nur da helfend und nützend eintreten, wo die natürlichen, sozialen Verhältnisse selber die Grenze gezogen.

Und wenn die andern Ärzte trotz aller Kunst und alles guten Willens nicht helfen können?

Ein tiefer Atemzug ringt sich aus der Brust der Sinnenden. Noch hat sie keine Berechtigung, daran zu zweifeln, noch steht sie am Anfang einer Kur, von deren Ende sich der Professor so viel Erfolg verspricht.

Langsam streicht Benedikta über die Stirn, die alte Ruhe und Müdigkeit, die alte Resignation kommt über sie. Ihr Blick schweift voll feuchten Glanzes zu dem Himmel empor, über dessen Frühlingspracht die ersten Dämmerschleier der Nacht sinken. Sie lächelt. – Sie dankt es ihrem Reichtum, daß er eine Scheidewand zwischen sie und den Arzt Percy schiebt. Würde sie überhaupt die Kraft und den Mut besitzen, ihm unter die Augen zu treten? Als Fremde, Unbekannte – ja! Als Benedikta von Floringhoven nie.

Die einzige Möglichkeit, daß der Prinz eine Ausnahme machen und die Enkelin des Ministers in seine Armenklinik aufnehmen würde, wäre die, daß seine Verpflichtung gegen die Retterin seines eignen Lebens ihn dazu zwänge.

Alsdann mußte er jedoch erfahren, was Benedikta für ihn getan, was sie für ihn erlitten und geopfert. Das würde ihn zu ihrem Schuldner machen, der, dadurch auf das peinlichste beeinflußt, alles aufbieten würde, diese Schuld abzutragen. Das würde den Verkehr zwischen Arzt und Patienten äußerst verlegen und unerquicklich gestalten; ja, es würde durch die Fesseln eines moralischen Zwangs die Hand des Operateurs lähmen. Und wehe, wenn auch er alsdann nicht helfen könnte!

Doppelte Gewissensbisse würden seine empfindsame Seele peinigen; das entsetzliche Gefühl, die Ursache – wenn auch die unschuldige – an so viel Unglück zu sein, ein Mädchen, dem er selber Leben und Gesundheit verdankt, für alle Zeit elend gemacht zu haben, würde ihn Tag und Nacht ruhelos verfolgen. Und zu solch einem Dasein voll nagender Vorwürfe soll Benedikta ihn verurteilen, ihn, für dessen Heil und Frieden sie täglich die gefalteten Hände zum Himmel hebt?

Sie preßt die Lippen zusammen und schüttelt jählings das Haupt. Eher sterben!

Die dreizehnte Fee, die an ihrer Wiege gestanden, hat ihr das Gold zum Angebinde gebracht, das rote, dämonische Gold, an dem Loges böser Geist für ewig haftet, das den Fluch Alberichs unlöslich durch die Welt trägt. »Kein Froher soll seiner sich freuen, keinem Glücklichen lache sein lichter Glanz!« heißt es in der »Götterdämmerung«.

Gold oder Liebe! – Die Unheilsnorne hat für Benedikta gewählt.

Eine leichte Erschütterung der Dielen läßt die Träumerin aufschauen.

Sophie eilt sehr hastig, mit allen Zeichen freudiger Erregung, ihrer jungen Herrin entgegen. Sie nimmt sich gar nicht die Zeit, die köstlichen Veilchensträuße, die sie für die Theatertoilette der Baroneß besorgt, der jungen Dame zu überreichen, achtlos wirft sie dieselben auf den Tisch, ergreift die Schreibtafel und malt, so schnell sie kann, ihre schwerfälligen Buchstaben darauf nieder.

»Eckert steht draußen!«

Ein Freudenlaut klingt über die Lippen Benediktas. Sie gibt keinen Befehl, den Inspektor eintreten zu lassen, sondern stürmt zu der Tür, um sie persönlich zu öffnen und ihm voll großer, freudiger Überraschung die Hand zu bieten.

»Eckert, welch ein unverhoffter Besuch aus Floringhof! – Grüß Sie Gott!« – Und als der stramme, blondbärtige Mann sich respektvoll über ihre Hand neigt und seine junge Gebieterin alsdann mit seinen milden Blauaugen anlächelt, fährt Fräulein von Floringhoven aufatmend fort: »Ich sehe es Ihnen an, Eckert, Sie bringen gottlob gute Nachricht!«

Er macht eine bejahende Geste und überreicht einen Brief, der die Schriftzüge Dallbergs trägt.

»Das scheint eine lange Lektüre zu werden«, nickte die Enkelin des Ministers freundlich. »Nehmen Sie bitte Platz, lieber Eckert, und lassen Sie Sophie für eine Erfrischung sorgen. – Hören Sie, Sophie? Ich möchte noch vor meiner Fahrt in die Oper den Tee trinken, und Herr Eckert wird mir liebenswürdigerweise Gesellschaft leisten. Es soll so schnell wie möglich hier in meinem Salon serviert werden.«

Benedikta war an das Fenster getreten und überflog mit hastigem Blick die Zeilen ihres Gutspächters. Ein wehmütiger Zug schlich sich um ihre Lippen, und ein tiefes Aufseufzen hob ihre Brust.

»Herr Dallberg teilt mir mit, daß mein armer Großvater leider Gottes vollständig teilnahmslos und unzugänglich für jede geschäftliche Besprechung ist. Er sei auch durchaus nicht zu bewegen gewesen, die Abrechnung und Bücher am ersten April zu revidieren und zu unterzeichnen. Das sei nunmehr absolut notwendig, da es außerdem mit manchen Neueinrichtungen dränge und Zahlungstermine vor der Tür ständen.« – Die Sprecherin machte eine kleine Pause und blickte nachdenklich auf den Brief nieder, während Eckert sich in schweigender Zustimmung verneigte. »Herr Dallberg wendet sich nun an mich, mit der Bitte, die schwebenden Angelegenheiten mit Ihnen zu besprechen und zu erledigen, Herr Inspektor, da die Hinzurechnungsfähigkeit des greisen Großvaters mir schon jetzt den Besitz und die Verwaltung der Güter zuschiebe. Als seine Stellvertreterin stehe mir die Befugnis zu, in den dringenden Angelegenheiten der Verwaltung zu entscheiden, und meine notariell beglaubigte Unterschrift ersetze in diesem Notfall durchaus diejenige des Großvaters?«

Wieder machte der Gefragte eine zustimmende Kopfbewegung, und wieder sah Benedikta einen Augenblick unschlüssig vor sich nieder.

»Da ich von allen diesen Dingen sehr wenig verstehe, ist die Verantwortung für mich eine sehr große«, fuhr sie tief aufatmend fort, hob jählings das Haupt und blickte Eckert fest in die Augen, »doch werde ich mich Ihren Vorschlägen in allen Dingen fügen, lieber Eckert, da ich Ihnen und Herrn Dallberg von ganzem Herzen vertraue und überzeugt bin, daß Sie beide nur mein Bestes wollen!«

Ein warmes Aufleuchten strahlte aus den ehrlichen Augen des Inspektors, er griff nach dem kleinen Täfelchen, und sein Gesicht ward ernst.

»Ich danke, Baroneß, für das ehrenvolle Vertrauen, das mich stolz und glücklich macht und das ich mit Gottes Hilfe vollauf rechtfertigen werde. Ihnen das Vermögen und den Grundbesitz Seiner Exzellenz nicht nur zu erhalten, sondern auch zu vergrößern, ist der redliche Wunsch von uns allen.«

Die Speisen wurden serviert, und die Baroneß Floringhoven füllte eigenhändig das Glas ihres Gastes. Sie hob ihm das ihre entgegen und lächelte in ihrer so vornehmen und dabei doch so herzgewinnend liebenswürdigen Weise.

Eckert verneigte sich dankend. Dann fragte er mittels des Stiftes, ob Baroneß befehle, noch heute abend die Bücher durchzusehen?

Benedikta schüttelt hastig das schöne Haupt: »Heute abend will ich gar nichts mit solch abscheulicher Prosa zu tun haben, Herr Eckert, heute stehe ich ganz und gar im Dienst der Poesie und Kunst und hoffe, auch Sie für diesen anwerben zu können. Ich fahre heute abend in das Theater, um Marga Daja in der Hauptpartie einer neuen Oper zu bewundern und zu sehen, – zu ›hören‹, kann ich ja leider nicht sagen. Sie werden ebenfalls Ihr Scherflein Lorbeer in Gestalt Ihrer Anwesenheit beisteuern?«

Er neigt das Haupt sehr tief, um zu schreiben: »Ich habe mich leider vergeblich um ein Billett bemüht, das Haus war ausverkauft.«

»Ihnen einen Platz zu verschaffen, lassen Sie bitte meine Sorge sein!«

Er versucht auszuweichen. »Ich würde besser tun, mich heute zeitig zur Ruhe zu begeben, die letzten Tage waren überreich an Arbeit!«

Benedikta machte eine heiter abwehrende Geste: »Sie sehen durchaus nicht müde oder abgespannt aus. Es würde mich so freuen, könnten Sie Marga auch einmal auf der Bühne kennenlernen!«

Er blickt sie mit seinen ehrlichen Augen fest an und schüttelt wehmütig das Haupt: »Ich glaube nicht, daß ich ihre Leistungen richtig zu würdigen verstehe!«

»Auf den Versuch kommt es an. Sehen Sie, das erinnert mich an unser erstes Gespräch. Marga ist ein Wesen, das genau so denkt wie Sie. Alles Glück macht sie vom Golde abhängig. Ein großer, durchschlagender Erfolg deucht ihr eine Garantie für Glück und Liebe, und der heutige Abend wird gewissermaßen die Entscheidung bringen. Heute wird von zwei Menschen die große Frage ausgesprochen: ›Wird der Erfolg uns Gold – wird das Gold uns Glück und Liebe bringen?‹ – Sie selber jubelt schon jetzt ein übermütiges ›Ja!‹ der Überzeugung, aber die große, wahre Antwort kann wohl erst die Zeit und die nächsten Jahre darauf geben!«

Eckerts Antlitz war um einen Schein erbleicht, aber er blieb vollkommen ruhig.

»Gebe Gott, daß diese Antwort günstig lautet«, und dann trat Sophie ein und meldete, daß es wohl Zeit sei, einen Wagen holen zu lassen.

Benedikta erhob sich. »Nun muß ich doch bitten. Herr Eckert, das Souper ohne mich zu beschließen. Wie ich sehe, will meine eitle Sophie mich noch mit Veilchen schmücken und benötigt dadurch meine Anwesenheit vor dem Spiegel. Bitte, bedienen Sie sich einmal ohne ›Bedienung‹ und halten Sie sich alsdann bereit, mich zu begleiten!«

Als Benedikta wieder eintrat, stand Eckert wartend hinter seinem Sessel und wies mit einem fragenden Blick auf die kleine Tafel nieder.

»Befehlen Baroneß wirklich, daß ich noch einmal mitfahre? Es wird durchaus vergeblich sein, da kein Billett mehr zu haben ist!« – stand darauf.

Fräulein von Floringhoven lächelte: »Versuchen wir es noch einmal!«

Der Wagen rollte durch die belebten Straßen, die Fensterscheiben klirrten leise, und die Strahlen der elektrischen Lichtflammen zuckten wie schnelle Blitze durch das Dunkel.

Eine Unterhaltung war ausgeschlossen, und die einzige, die dies vielleicht sehr bedauerte, war Sophie.

Benediktas Gedanken weilten fernab bei dem Bild eines Mannes, das ihr in lebensvoller Wirklichkeit so plötzlich und unerwartet den Weg gekreuzt. Voll fieberischer Aufregung lebte sie nur noch der einen Hoffnung, ihn heute abend wiederzusehen.

Was war begreiflicher als der Wunsch des Prinzen, einer Premiere beizuwohnen, die momentan das volle Interesse der gesamten Kunstwelt, des ganzen musikliebenden Publikums war! – Sollte er ein solches Ereignis versäumen, da er nun doch einmal in der Residenz anwesend war, und fraglos Hof und Hofgesellschaft heute abend vollzählig das Opernhaus besuchten?

Benediktas Pulse stürmten. Mit unsicherer Hand tastete sie nach dem Wagengriff, als die Equipage vor dem strahlend erleuchteten Portal des Musentempels hielt. Der Schlag ward aufgerissen.

Eckert sprang zur Erde und hob Fräulein von Floringhoven mit einer Ehrerbietung aus dem Wagen, als ob ein Vasall seiner Fürstin dient.

Noch war es sehr frühzeitig, und die mantelgehüllten Gestalten des Publikums erstiegen vereinzelt und voll behaglicher Gelassenheit die breiten Steintreppen.

»Bitte, folgen Sie mir zu den Garderoben, Herr Eckert, ich kenne den Weg durch einen Besuch bei Marga während einer Aufführung. Die einzige Möglichkeit, noch einen Platz für Sie zu erhalten, ist die, daß Marga ihn schafft.«

Eckert zuckt zusammen. »Ich bitte dringend, Baroneß, in diesem Falle davon abzusehen!« – stieß er bittend hervor, aber gleichzeitig entsann er sich, daß seine Begleiterin ihn nicht verstand, und daß es momentan unmöglich sei, schriftlich mit ihr zu verkehren. Auch schritt sie so hastig voraus, daß er wohl oder übel folgen mußte.

Er nahm sich jedoch vor, Fräulein Dallberg zu versichern, daß er nur den Wunsch seiner Schloßherrin folge und selber nicht den mindesten Wert auf eine Eintrittskarte lege.

Fräulein von Floringhoven eilte um das Opernhaus herum, nach einer schmalen Seitentür unter vorgebautem Regenschutzdach, das nur durch zwei Gaslaternen beleuchtet wurde.

Sie trat in den schmalen Korridor ein, in dem ein Feuerwehrmann gelangweilt auf und nieder schritt und der Nahenden mit dem Finger am Helm höflich meldete: »Hier geht's zu den Garderoben, meine Dame! Haupteingang auf der andern Seite, rechts.«

Benedikta nickte ihm freundlich zu und antwortete, den Inhalt seiner Worte ahnend: »Wir werden in den Garderoben erwartet!«

Der Feuerwehrmann trat höflich zur Seite, und Benedikta stieg eilig die Treppe empor.

Lautes, lustiges Leben und Treiben. Gesang, Gelächter, hin und her eilende Personen in absonderlichem Kostüm. Die geschminkten Gesichter wirken in der unmittelbaren Nähe beinahe erschreckend.

Man mustert die Kommenden ungeniert, läßt aber die majestätische Frauengestalt anstandslos passieren, da sie Bescheid in diesen Räumen zu wissen scheint.

Benedikta bleibt vor einer Seitentür stehen.

»Das ist Margas Zimmer« – sagt sie hochatmend, »bitte erwarten Sie mich hier auf dem Korridor, Herr Eckert.« – Gleichzeitig klopft sie an.

»Ja! – Was ist denn los?« ruft Margas silberhelle Stimme etwas ungeduldig. »Näher treten!«

Fräulein von Floringhoven blickt fragend auf den Inspektor. »Hat sie geantwortet? Darf ich eintreten?« fragt sie.

Eckert nickt zustimmend, gleichzeitig wird die Tür aufgerissen und eine Jungfer erscheint darin, das heiße Brenneisen noch in der Hand.

»Ah, Baroneß! – Gnädiges Fräulein!« knickst sie und schlägt die Tür vollends zurück, mit einladender Geste bittend, näher zu treten. Dieweil die junge Dame hastig über die Schwelle schreitet, mustert die Kammerjungfer mit neugierig ungeniertem Blick die fremdartige Erscheinung des Gutsinspektors. Er hält weder einen Brief noch einen Strauß in der Hand, – also gänzlich uninteressant.

Rücksichtslos schmettert sie ihm die Tür vor der Nase zu, denn auch in ihren Augen machen lediglich die Kleider – Leute.

Eckert blickt vor sich nieder. Er hört Margas Stimme nebenan in leisem Aufschrei, und dann ihr lustiges, betörendes Lachen.

Das Herz erzittert ihm. Ein namenloses Etwas steigt in ihm auf, bis hoch in den Hals, – da sitzt's fest und würgt ihn.

Er will auf und davon, er findet es verächtlich, als Bittender vor der Tür eines Wesens zu stehen, das nichts als Spott und Verachtung für ihn hat.

Das schneidet ihm in das weiche, tief fühlende Herz.

Sie, die mit den kleinen Kinderfüßen rücksichtslos und mitleidslos dieses Herz in den Staub tritt, soll doch nicht glauben, daß er als willenloser Sklave nach der Wonne seufzt, Marga Daja auf dem Gipfel des Ruhmes und Erfolges zu sehen.

Nein, er will auch einmal stolz und hart sein, er will ihr sagen, daß er sich mit Baroneß nicht verständigen konnte, daß er ihr nur aus Höflichkeit folgte und Fräulein Dallberg absolut nicht wegen einer Einlaßkarte belästigen will. Ja, das will er sagen.

Ein herber Zug schleicht um seine Lippen. Er richtet sich stramm empor zu seiner riesenhaften, imponierenden Größe und blickt schier feindselig auf das lose, leichtfertige, geschminkte Völkchen, das wie ein kecker Maskenschwarm um ihn herum tollt. Da wird die Türklinke neben ihm hart niedergedrückt, und Eckert zuckt zusammen.

Ein Ruck und Aufschlagen des Türflügels – zwei kleine, schneeweiße Hände strecken sich ihm entgegen.

»Kommen Sie, Eckert! Kommen Sie nur herein! Ich kann zur Not schon Herrenvisiten empfangen!« lacht es ihm entgegen. Margas Köpfchen flimmert in märchenhaftem Schmuck vor seinen Augen, die Hände fassen ihn und ziehen ihn über die Schwelle.

Da steht er vor ihr, und wie geblendet, wie übermannt von ihrem unvergleichlichen Anblick starrt er wortlos auf ihre Elfengestalt hernieder.

Sie liest die Wirkung ihrer Erscheinung in seinem Antlitz wie in einem aufgeschlagenen Buch, und weil sie gar so viel darin liest, siegt die Eva in ihr.

Geschmeichelte Eitelkeit, Mitleid mit dem armen Falter, der sich die Schwingen am Licht verbrennt, und eine unbezwingbare Koketterie, einen noch immer tiefern Eindruck auf diesen Sklaven ihrer Anmut zu machen, zwingt ihr eine Liebenswürdigkeit auf die Lippen und in das Antlitz, die Eckert noch nie an ihr kennenlernte.

Im Verein mit ihrem Aussehen wirkt sie berauschend.

»Welch eine Überraschung! Welch eine freudige Überraschung, lieber Eckert!« ruft sie mit zauberisch leuchtenden Augen. »Sie heute abend hier – im Theater – in meiner Nähe zu wissen, hat etwas geradezu Tröstliches für mich! Heute, wo jede Freundeshand unbezahlbar ist! – Seien Sie willkommen, lieber Eckert – tausendmal von Herzen willkommen!« – Und sie lächelt ihm zu und drückt ihm abermals die Hände. Sie freut sich wirklich, ihn zu sehen, wenn auch das Grundmotiv dieser Freude nur Eitelkeit und Egoismus ist.

Wie im Schwindel starrt er auf sie nieder, und da er absolut keine Worte findet, auf solch eine Begrüßung zu antworten, fährt sie lächelnd fort: »Baroneß sagt, daß Sie Ärmster kein Billett bekommen haben! Unbesorgt, mon ami, in unsrer Schauspielerloge sind wohl noch Plätze frei – Stehplätze auf jeden Fall. Aber was tut das – Sie setzen sich in den Zwischenpausen, und während die andern sich ermüden, ruhen Sie sich aus. Ich schreibe ein paar Worte an den Logenschließer, die geben Sie ab, Herr Eckert, – und du bringst einen Zettel an Regisseur Braunberg, Doris, der auch in der Loge sitzen wird.« Sie neigte sich tief nieder und kritzelte hastig mit Bleistift einige Zeilen nieder, riß die beiden Blätter aus dem Notizbuch und faltete sie zusammen.

Dem Inspektor deuchte es, eine Märchenfee sei von dem dunklen Nachthimmel herniedergeschwebt, freundliche Einkehr unter diesem Dach zu halten.

Marga wandte sich ihm zu. »Hier, Herr Eckert, die Zauberformel für den ›Sesam‹, auf daß er sich öffne. Nach der Vorstellung müssen Sie mich selbstverständlich erwarten! Wir soupieren gemeinschaftlich, und ich hoffe sehr, daß Sie mit von der Partie sein werden.«

Sie nickte ihm mit unvergleichlichem Blick zu und wandte sich zu Benedikta, die sich erhoben hatte und einen Zettel las, den Marga auch für sie geschrieben.

»Das ist ja vortrefflich, daß ein Platz für Herrn Eckert besorgt wird!« sagte sie heiter, »ich danke Ihnen tausendmal dafür, liebe Marga! Und nun wird es wohl hohe Zeit, daß wir die Loge aufsuchen, Sophie wird schon in allen Zuständen der Sorge sein, daß wir den Anfang versäumen. Also auf Wiedersehen, liebe Marga! Ich werde fleißig den Daumen halten und hoffe von Herzen auf den besten Erfolg. Nach Schluß der Oper denke ich, Ihnen und dem Komponisten zu der Erfüllung aller Wünsche gratulieren zu können; ich erwarte Sie im Foyer. Und nochmals Gott befohlen! Wenn Sie ebenso schön singen, wie Sie aussehen, Marga Daja, müssen Sie das Publikum begeistern!«

Eckert empfahl sich so stumm, wie er gekommen, aber die Hand, die er der Sängerin bot, bebte wie im Fieber.


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