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Als Benedikta die Loge betreten und Platz genommen hatte, war es ihr beinah lieb, nichts von der bald beginnenden Ouvertüre zu vernehmen.
Ein Übermaß von Gedanken flutete hinter ihrer Stirn, das der Klärung und Beruhigung bedurfte. Das Bewußtsein, die Augen jetzt aufzuschlagen und in der Fürstenloge Prinz Percy zu erblicken, ließ sie erzittern, und dennoch war sie lediglich um seinetwillen hierher gekommen, einzig in der Hoffnung, ihn ungestört zu sehen und durch seinen Anblick Erinnerungen wachzurufen, in denen all ihr armseliges, traumhaftes Lebensglück wurzelt.
Zaghaft hob sie die Wimpern und blickte nach der großen, breit vorgebauten Hofloge hinüber.
Ein blitzendes Durcheinander von Uniformen und eleganten Toiletten. Die Fächer wogen auf und nieder, die blumengeschmückten Köpfchen wenden und neigen sich in lebhafter Unterhaltung, – Fräulein von Floringhoven ist es ein so seltener Anblick, daß sie sich erst allmählich aus dem reizenden Gewirr zurechtfindet.
Ihr Blick schweift von einem Antlitz zu dem andern, – fremde, lauter fremde Gesichter. Es sind auch zumeist die Hofdamen, Adjutanten und Kammerherren, die in der großen Loge Platz genommen. Die hohen Herrschaften bevorzugen die seitlichen, kleinen Fürstenlogen dicht neben der Bühne.
Benedikta erkannte die Königin-Mutter neben dem regierenden Herrn, die Prinzen und Prinzessinnen des Herrscherhauses, ebenso etliche hohe Gäste. Unter diese würde Prinz Percy, der Bruder des befreundeten Herzogs, gehören.
Aber sie sucht vergeblich nach ihm. Auch in den gegenüberliegenden Logen erblickt sie ihn nicht; ist er heute abend nicht anwesend?
Seltsam, – bei seinem Aufenthalt in der Residenz versäumt er eine Premiere, die doch die ganze kunstsinnige Welt interessiert!
Prinz Percy ist kein Kunstenthusiast.
Benedikta entsinnt sich, daß Marga sich einmal heftig beklagte, wie wenig sich »ihr Geretteter« für Musik und Theater interessiere.
Nur in den seltensten Fällen, eigentlich nur anläßlich einer Galaoper, wo gewissermaßen der Dienst das Erscheinen der Herren vorschreibt, war Prinz Percy eine sehr gleichgültige und gelangweilte Erscheinung in der Fürstenloge.
Er liebte anscheinend weder Musik noch Drama: seine Studien nahmen ihn so völlig und ausschließlich in Anspruch, daß sie ihm keine Zeit ließen, Geschmack an heiterer Zerstreuung oder künstlerischen Idealen zu finden.
Sollte Benedikta es bedauern? Im Augenblick tat sie es, denn die Enttäuschung, ihn nicht zu sehen, und die Vereitelung all ihres Hoffens waren doppelt schmerzlich für ein so freudearmes Wesen wie sie. Aber auch diesmal gewannen Vernunft und Einsicht schnell die Oberhand. Sie hatte schon auf so manches Glück im Leben verzichten müssen, sie blickte auch auf diese vernichtete Freude ohne Klage und ohne Murren. Warum wollte sie ihn eigentlich sehen?
Es war eine Torheit. Konnte sie nicht sein Bild täglich vor Augen haben, das schöne, freundliche Bild, das sie anblickt und ihr zulächelt?
Der lebende Prinz Percy würde das nicht tun. Er würde mit andern plaudern und verkehren, ohne die mindeste Notiz von der Fremden zu nehmen, die fernab still und einsam zwischen all den hundert frohen Menschen im Schatten der Loge sitzt.
Die allgemeine Erregung und die stürmische Bewegung aller Hände sowie ein Blick in das Orchester belehren sie, daß die Ouvertüre beendet und mit viel Beifall aufgenommen wird, – der emporrauschende Vorhang gewährt den Blick auf eine feenhaft üppige, bezaubernde, südländische Dekoration. Marga Dajas Anblick wirkt inmitten dieser fremden Pracht geradezu berückend.
Selbst ein so klar und wahr sehendes Auge, wie das des Fräulein von Floringhoven, ist geblendet von so viel unbeschreiblicher Anmut und Schönheit. Welch eine Fülle der Originalität stürmt auf den Beschauer ein, welch einen unvergleichlichen Eindruck muss diese erst ausüben, wenn Auge und Ohr sich vermählen, wenn man Marga Daja nicht nur sieht, sondern ihre silberhelle Stimme in bestrickendem Melodienreichtum erklingen hört. Ein banger Schreck durchzuckt plötzlich die junge Dame. Hat sie recht getan, Eckert, den einfachen, schlichten Naturmenschen, hierher zu führen?
Wird sie nicht vielleicht gerade das Gegenteil von dem erreichen, was sie mit diesen beiden bezweckt?
Sein Herz ist nicht kühl, sein Verstand nicht unberührt und gleichgültig genug, um in einer solchen Stunde derart zu empfinden und zu überlegen, wie es Benedikta gehofft und erwartet.
Der Anblick dieser Marga Daja kann wohl kein liebeskrankes Herz entsagungsvoll stimmen, ihre Stimme mit solchen Liedern und Klängen keine Vernunft predigen.
Fräulein von Floringhoven wollte so herzlich gern dem armen Eckert die Stunde erleichtern, in der ihm Margas Verlobung bekannt wurde.
Sie hoffte, daß er sich bei dem Anblick der verwöhnten kleinen Theaterprinzessin sagen werden müsse, daß diese nun und nimmermehr zur Frau eines schlichten Gutsinspektors tauge.
Sie hatte mit voller Absichtlichkeit Eckert in die unmittelbare Nähe der jungen Sängerin geführt, damit er die Kunst sehen sollte, durch die ihre Schönheit erzielt wurde. Sein Staunen und Verstummen hatte ihr leider bewiesen, daß sein redliches Herz nicht im mindesten daran dachte, zu prüfen, ob das, was er sah, Schein oder Wahrheit sei.
Ein Gefühl verantwortlicher Sorge überkam die junge Dame. Sie hat das Beste gewollt und bezweckt, sollte sie das Gegenteil erreichen?
Ihr Blick schweift spähend zu den Logenreihen empor, in der sich wohl Eckerts Platz befindet.
Nach längerem Suchen glaubt sie ihn entdeckt zu haben. Man erkennt schlecht in der dämmerigen Beleuchtung des Hauses, das sich beim Aufrollen des Vorhanges verdunkelte.
Droben, hinter den weit vorgeneigten Damen und Herren einer kleinen Seitenloge steht eine Gestalt, die so riesengroß und robust aus dem Dunkel taucht, wie ein Fels, um den das heitere Volk der Wassernixen spielt.
Sein Gesicht leuchtet wie ein blasser Schein zu ihr herab, die einzelnen Züge zu erkennen, ist leider unmöglich. Aber Benedikta sieht, daß es regungslos nach der Bühne gerichtet ist. Könnte sie nur einen einzigen Blick jetzt in seine Augen tun.
Wird seine ganze Seele beim Anblick des verführerischen Wesens da unten, das durch seine Rolle das vollste Mitleid, die leidenschaftliche Sympathie des Publikums erwecken muß, nicht in hellen Flammen auflodern? Wird diese Glut nicht noch den letzten Nest kühler Besonnenheit in dem naiven Landmann zu Tode brennen?
Glücklicherweise sinkt der Vorhang.
Die Flammen an den Kronleuchtern blitzen hell auf, die stürmische Bewegung, die durch das Publikum geht, und der leise surrende Klang in Benediktas Ohr sagen ihr, daß der Beifall ein außerordentlicher ist. Alle Hände regen sich – auch Eckert, den sie jetzt deutlich erkannt, schlägt die Hände zusammen, wie es scheint, sehr kraftvoll, denn die vor ihm sitzenden Schauspielerinnen wenden lachend die Köpfe nach ihm zurück.
Der Inspektor aber lacht nicht. Sein Gesicht sieht sehr ernst, beinah müde aus.
Der Vorhang muß sich heben, zwei-, dreimal. – Marga Daja erscheint an der Hand des Komponisten und grüßt voll lächelnder Anmut erst zu den Fürstenlogen empor, dann ringsum in das Publikum. Auch zu dem »Unteroffizier in Zivil« fliegt sekundenlang ihr Blick empor.
Lorbeerkränze und Blumen wirbeln vor die Füße des gefeierten Paares, und das Publikum scheint zu jubeln, – man sieht es den Gesichtern an.
Benedikta hat mit großem Interesse einen Blick auf Roman Ermönyi geworfen, und sie läßt diesen Blick auf ihm ruhen, solange wie der Komponist auf der Bühne steht.
Arme Marga!
Fräulein von Floringhoven empfindet bei seinem Anblick dasselbe unbehagliche Gefühl, das sie oft überkommen, wenn sie in den Briefen der Freundin über Roman Ermönyi las.
Ihre ganz besonders sensibel beanlagte Natur scheint instinktiv zu fühlen, welch eine Menschenseele sich hinter einem Antlitz birgt, und die Schlüsse, die sie aus den lächelnden Zügen des jungen Musikers zieht, sind keine erfreulichen und keine günstigen.
Er lächelt und verneigt sich in verbindlichster Weise, und dennoch glaubt Benedikta nicht an dieses liebenswürdige Lächeln. Es ist die poetische Maske, hinter der sich die krasseste Prosa versteckt.
Das blasse, schmalgeschnittene Gesicht ist von wüster Leidenschaftlichkeit durchfurcht, und der Mund, mit den schmalen, nach innen gezogenen Lippen deucht ihr die Verkörperung von Egoismus, Gewinnsucht und rücksichtsloser Grausamkeit.
Die kleine, schmächtige Gestalt ist die verkörperte Eleganz, seine Bewegungen geschmeidig und angenehm. Es liegt fraglos etwas Interessantes und Bestechendes in dem Äußeren dieses Menschen, just das, was einer schwärmerisch und eitel beanlagten Mädchenseele imponiert.
– – – – – Während die lachende, eifrig plaudernde und hocherregte Menge auf die Korridore und in die Foyers hinausflutete, setzte sich der Inspektor im dämmerigsten Winkelchen der Loge nieder und stützte den Kopf mit dem krausen Vollbart tief, tief in die Hand.
Kein Auge sah ihn, kein Ohr hörte den leisen Seufzer, der tief aus seiner Brust drang, wie ein Strom von Tränen, der in Hauch und Klang verwandelt war. – So konnte er der Empfindungen Herr werden, die allzu verschiedenartig und gewaltsam auf ihn eindrangen.
Als der Vorhang sich gehoben, als er Marga in der nie geschauten Fülle ihrer Schönheit sah, als er ihre süße Stimme erklingen hörte, eine Stimme, die ihm Herz und Seele erzittern ließ, – da gab er sich dem Zauber ihres Anblicks vollkommen hin und vergaß Welt und Zeit in dieser Glückseligkeit. Und dann stürzte ihn ein schriller Mißklang aus allen Himmeln.
Die Damen und Herren um ihn her waren Schauspieler und Sänger, sie waren abgestumpft gegen Eindrücke, wie sie Eckert soeben berauschten. Sie sahen nicht das holdseligste, engelhafteste Wesen Marga Daja vor sich auf der Bühne, sondern lediglich die Kollegin, die Rivalin, die beneidete, mißgünstig oder gleichgültig kritisierte Darstellerin ihrer Rolle.
»Na, na! Man sachte mit die jungen Pferde!« spottete eine korpulente Schöne mit leichtem Schnurrbartflaum auf der Oberlippe und großen Brillantknöpfen in den Ohrläppchen: »Die Bühne ist ja abgefegt! – Braucht gar nicht so gewaltig mit ihrem Florschleppchen herumzuarbeiten! Mein Gott – wenn die Schleppe und die Haare hängenbleiben, was bleibt noch an dem ›Kinde‹ dran?«
»Ich fürchte, dann bleibt trotzdem ›er‹ noch daran kleben!« flüsterte der Baß, und alle lachten leise auf.
»Sie hat mal wieder zu kleine Schuhe an! Der Kinderfuß soll um jeden Preis ein Babyfüßchen werden, nun hinkt sie wie eine Krähe auf der Bühne herum!«
»Ob wohl das schöne Kollier jetzt gelötet ist?« kicherte eine schlanke, liebe Kollegin mit spinösem Blick; «als ich es mir das letztemal zur ›Elisabeth‹ borgte, hatte die geniale Marga ein paar zerbrochene Glieder mit weißem Zwirn zusammengenäht!«
»Macht nichts! Der Effekt blieb derselbe! – Welch ein Opernglas entdeckt weißen Zwirn!«
»Warum auch an solch unechten Trödel noch Macherlohn wenden?«
»Sollte er wirklich so unecht sein? Man munkelt doch, daß das ›Kind‹ seit einiger Zeit ›wissend‹ genug geworden sei, um die kleinen Steinchen zu unterscheiden?«
»Bah! Man hätte doch wohl die Spender einmal hinter den Kulissen bemerkt!«
»Ophelia! Göttliche Harmlosigkeit Sie! – Wie wird ›das Kind‹ so töricht sein, mit andern Goldfischen zu schäkern, wenn ein reeller Tintenfisch an der Angel zappelt!«
»Wenn sie nur nicht immer die Augen so ›übergehen‹ ließ, – sie bekommen schon das reine haut goût!'«
Leises, wieherndes Gelächter. – Eckerts Fäuste zittern.
»Seid man stille, Kinder! Das ist Geschmackssache!« grunzt eine korpulente «vergnügte Alte« dazwischen. »Wenn die Naschkatze Roman sich den Magen verderben will, hat er's umsonst. Ihr könnt euch ja die Nase zuhalten, wenn es allzu sehr haut goût wird!«
»Klappern gehört zum Handwerk! Sie muß doch das ewig Männliche zum Applaudieren aufmuntern!«
»Natürlich auf die Claque kommt heute alles an, sie arbeitet auch ganz brav!« piepste eine Naive mit dunklem Titusköpfchen und wandte sich sehr ungeniert nach Eckert um, der in seiner zornigen Erregung aus lauter Opposition wie ein unsinniger applaudierte. Sie musterte ihn mit keckem Lächeln, und alle Umsitzenden lachten sehr ungeniert und schallend auf.
»O ja, Marga Daja weiß ihre Pappenheimer herauszufinden! Wenn heute nicht geklatscht wird, verkracht ja Roman Ermönyi, und alle goldenen Luftschlösser purzeln mit ihm über den Haufen!«
Der Inspektor war glühendrot geworden, so verlegen wie ein Schulknabe, der auf verbotenem Wege ertappt wird.
Hatte ihn Marga wirklich nur als Claqueur hierher gestellt? Deutlich genug hatte sie es ihm ja zu verstehen gegeben, daß er applaudieren und den Komponisten und sie herausrufen solle. Er hatte in seiner Erregung gar nicht darauf geachtet – jetzt plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er hätte vor Scham in die Erde sinken mögen. Seine Hände sanken schlaff hernieder, wie ein Strick legte es sich um seinen Hals und schnürte ihn zusammen.
Es wäre nur ein rauher Aufschrei geworden, hätte er jetzt nach der Sängerin und Roman Ermönyi rufen wollen.
Genug Stimmen taten es, – und der Klang gellte ihm in die Ohren.
Der Himmel seiner Illusionen hat sich wohl für ewig geschlossen, und das strahlend lichte Götterbild, das ihn erfüllte, ward herabgerissen aus seiner Höhe und vor seinen Augen zerfetzt.
Da sah er, daß die goldenen Locken zum größten Teil eine Perücke, daß Gold und Edelsteine nur unechter Flitterkram, daß das süße Kindergesicht nur ein schön gemaltes Bild war, hinter dem die Berechnung und die Jagd nach dem Glück hervorblinzten.
Ja, das Götterbild liegt zerbrochen vor seinen Füßen, und es ist gut, daß es stürzte. Ob früher oder später, einmal mußten seine Augen ja doch sehend werden. Was sollte es frommen, tote Götzen anzubeten? Seine Gedanken hatten sich verirrt. Langsam und mühselig schleppen sie sich auf den rechten Weg zurück.
Ein wehmütiges Lächeln zuckt um die Lippen des Träumers. Das strahlende, blendende, umjubelte und angebetete Wesen, das drunten auf der Bühne mit Blüten und Lorbeer überschüttet wird, – Marga Daja als Inspektorsfrau in Floringhof?
So wie er sie jüngst daselbst gesehen, war der Gedanke wohl etwas verwegen der eleganten Dame gegenüber gewesen, aber es deuchte ihm damals kein Wahnwitz wie in dieser Stunde. – Jetzt erst hatte er Marga Daja kennengelernt und wußte, wer sie war, was ihre Stellung als Sängerin und Diva besagen wollte!
Wie ein Traumgebilde steigt es plötzlich vor seinem geistigen Auge empor, das stille, kleine Stübchen mit den weißgetünchten Wänden und dem großen grünen Kachelofen.
Wie vermochte das schmucklose Stübchen ein Weib zu umfassen, das eine halbe Welt huldigend zu Füßen sehen will? – Da wären die Mauern des Hauses zu eng, um allein die Lorbeeren und Blüten zu bergen, die Marga Daja täglich unter die anspruchsvollen, begehrlichen Füßchen tritt. Und würde sie, die Gefeierte, Umjubelte jemals Zeit haben, abends an die Bettchen ihrer Kinder zu treten, würde sie jemals Lust verspüren, in die rosigen Gesichtchen zu schauen, aus den hellen Kinderaugen all das tiefsinnige, stille Glück zu schöpfen, das die Welt einzig hierin noch unverfälscht und rein bewahrte?
Nein, Marga Daja spottet über eine Sentimentalität, die sich zum Sklaven der eigenen Kinder macht!
Marga Daja findet es verächtlich, wenn ein Vater liebkost, anstatt zu prügeln! – Es imponiert ihr nicht, wenn ein Mann ein warmes, großes, opfermutiges Herz voll Liebe für seine Kleinen hat!
Ein Weib, das das Glück nur draußen in der lauten, amüsanten und leichtlebigen Welt sucht, wird nie eine Gattin werden, die das Leben ihres Mannes mit dornenlosen Rosen und Lilien schmückt, sie wird ewig eine Belladonna bleiben, deren Gifthauch das Glück des Hauses mordet.
Der heutige Abend wird über Marga Dajas Zukunft entscheiden. Lorbeer und Gold sollen ihr einen Roman Ermönyi erkaufen, ihn, seine Liebe und das Glück.
Marga Daja steht vor ihm in vollster verführerischster Schöne, ihr Blick fliegt zu ihm empor, und ihre Lippen lächeln.
Adalbert Eckert atmet tief auf. Ihr Antlitz ist geschminkt, ihre goldenen Locken entliehen, ihr Gold und ihre Edelsteine falscher Tand, Falsch – falsch, ebenso falsch wie ihre Stimme, wie die Gedanken, die hinter der leuchtenden Stirn wohnen, ebenso kalt wie das Herz in ihrer Brust, das sich nie für die Engelsunschuld eines Kindesauges erwärmen wird.
Jählings wendet sich der Inspektor und verläßt die Loge.
Als Marga Daja vor Beginn der Vorstellung die Bühne betrat, suchte ihr Blick in erster Linie den Komponisten. Roman Ermönyi stand mit dem Intendanten und dem Regisseur plaudernd an einer Seitenkulisse, ohne jede Spur von Erregung, lächelnd und nonchalant, als wechsele er zu gleichgültigster Zeit und am gleichgültigsten Orte ein paar Worte mit den gleichgültigsten Menschen der Welt.
Er sah blaß und etwas müde aus. Seine Augen verschleierten sich hinter den Wimpern, und die Rinnen in seinen Wangen, die dem Gesicht leicht etwas Verlebtes gaben, vertieften sich.
Als Marga die Bühne betrat, flammte sein Auge auf, nicht allein in Entzücken und Verwunderung, sondern in einem angstvollen Forschen und Prüfen, wie ein Geschäftsmann ein schönes Schaustück prüft, ehe er es als Lockvogel hinter dem Ladenfenster ausstellt. Er nickte ihr schon von weitem zu, empfahl sich mit verbindlichen Worten und trat ihr entgegen. Ein Blick geheimen Einverständnisses zwischen beiden. Er küßt ihre Hand mit heißen Lippen, und während er in höflicher, formeller Weise mit ihr zu plaudern schien, brausten die Worte, hastig geflüstert, in leidenschaftlicher Erregung über seine Lippen.
»Du siehst entzückend aus, Geliebte! Berauschend wie ein Liebestrank! Nun singe noch wie eine Nachtigall, und unser Glück ist gemacht! – Marga – du weißt es, in deinen Händen liegt heute unser beider Zukunft! An dir liegt es, all unsre Träume zur Wahrheit zu machen. Ich werde dich lieben, bis zum Wahnwitz – wenn du die Hoffnungen erfüllst, die ich heute in dich und deine Kunst setze!«
Sie lächelte ein wenig kokett: »Und wenn ich sie nun nicht erfülle, holder Tyrann?«
Seine Hände krampften sich, ein jäher Blitz brach aus seinen Augen: »Dann... o Marga – ich glaube, ich könnte dich hassen darum!« – stieß er hervor.
Sie lachte silberhell auf. »Haß und Liebe gehen ja immer Hand in Hand; und besser noch, von dir erdolcht zu werden, als dich gleichgültig von mir scheiden zu sehen. Aber unbesorgt! Mir ist es zu Sinn, als seien mir heute abend Flügel gewachsen, mich hoch, hoch emporzuheben, dahin, wo der Haß seine Macht verliert, und nur noch die Sonne der Liebe glüht!«
Ihr Blick strahlte ihm zuversichtlich, beinahe siegesgewiß entgegen, und Romans Antlitz drückte alles aus, was unter der kühlen Maske gärte und schäumte.
»Mädchen – nimm diesen hohen Flug und hole uns den Himmel auf die Erde herab!« flüsterte er. »Auch ich habe weit über dieser nüchternen Welt geschwebt, als ich die Melodien meiner Oper ersann; sie verlangen darum, daß auch ein Wesen höherer Art sie wiedergibt, ein lichter Engel, den die Liebe trägt und hebt!« – Er trat näher an sie heran, sein Blick überflog noch einmal ihre reizende Gestalt. »Hättest du dich nicht ein klein wenig verführerischer kleiden können, kleine Göttin?« fragte er etwas besorgt; »›das Kind‹ hat sich allzu kindlich dezent in Duft und Schleier gehüllt, und doch verlangt deine Rolle, daß sie auch durch alle äußeren Mittel wirkt!«
Marga wandte schmollend das Köpfchen. »Du kennst meinen Geschmack und meine Ansichten!« sagte sie kurz, »und solltest dich freuen, wenn ich deine Eifersucht nicht herausfordere!«
Schmeichelnd zog er ihre Hand abermals an die Lippen.
»In diesem Augenblick steht nur der kühl erwägende Mann vor dir, der lediglich den Erfolg und Vorteil ermißt. Der Geliebte wird dir erst nach der Aufführung im Wonnerausch von Dank und Seligkeit zu Füßen sinken, und diese beiden Wesen in einer Person mußt du auch künftig stets zu trennen wissen!«
Die Klingel ertönte, Roman drückte noch einmal voll zitternder Erregung die Hand der jungen Sängerin: »Marga – denk an das Glück, das du dir heute abend erkaufen kannst!« flüsterte er noch einmal mit beinahe heiserer Stimme, dann verbeugte er sich sehr scharmant mit höflichstem Lächeln und trat in die Kulissen zurück.
Und Marga gedachte des Glückes, für das sie heute mit allen Mitteln zahlte, die ihr zu Gebote standen. Sie übertraf sich selbst.
War sie schon früher dem Publikum in den für sie geeigneten Rollen eine sympathische Erscheinung gewesen, so berauschte sie heute durch ihre Eigenart, die für die Rolle wie geschaffen schien, alle Welt; und erntete die neue Oper Ermönyis den außerordentlichen Beifall, so verdankte sie den größten Teil des Erfolges fraglos der Vertreterin der Hauptpartie, die nie besser und wirksamer verkörpert werden konnte als durch Marga Dajas kindlich zarte Elfengestalt.
Hinter einer Kulisse versteckt, sowohl den Zuschauern wie den Darstellern unsichtbar, lehnte Roman Ermönyi und folgte dem letzten Akt. Sein blasses Gesicht bedurfte in diesem sicheren Winkelchen keiner Maske.
Die Leidenschaften furchten es und flammten aus den dunklen Augen wie verderbliche Gewalten, die, für gewöhnlich mühsam gezügelt, endlich einmal frei hervorbrechen dürfen.
Er lachte! Er lachte wie ein Mensch, der triumphiert wie die Eitelkeit, der geschmeichelt wird, wie ein lang Unterdrückter, der sich endlich emporschwingt und den Fuß auf den Nacken der Besiegten setzt!
So sehr wie der Erfolg auch das Blut des Komponisten in Wallung brachte, so begehrlich wie auch sein Herz der entzückenden Vertreterin der Titelrolle entgegenstürmte, so kühl und berechnend blieben doch die Gedanken hinter der Stirn, und just diesen Gedanken wollte Roman Ermönyi hier in ungestörter Zurückgezogenheit noch eine kurze Audienz geben.
Sein oder Nichtsein? Binden oder nicht binden? Zugreifen oder laufen lassen? – Das war der Generalgedanke, um den sich seine Reflexionen drehten.
Er hatte Marga Daja mit dem Gedanken, die Seine zu werden, »geködert« – hatte sie zu der Leidenschaftlichkeit der Empfindung entflammt, die die Seele eines Weibes in den Körper des Kindes hauchte. – Sollte er nun Wort halten und Ernst machen? Oder sollte er den Kopf geschickt wieder aus der Schlinge ziehen, jetzt, nachdem ja der Mohr seine Schuldigkeit getan? Da galt es ein gründliches Überlegen.
Der Erfolg, den die Kleine heute abend feiert, ist außerordentlich und läßt sie hoch emporschnellen. Der Intendant ist entzückt und erhebt Marga Daja selber auf die Rangstufe einer ersten Diva. – Ihr Kontrakt an der hiesigen Oper ist abgelaufen, neue Offerten, die man ihr von hier oder auswärts macht, müssen nach diesem Abend sehr glänzend sein.
Roman Ermönyi kennt die Gagen, die eine Primadonna bezieht. Sie stechen ihm in die Augen. Es ist kein übel Ding um eine Frau, die Millionen in der Kehle trägt, und Roman kann und wird nur eine reiche Frau heiraten, die ihm ein behagliches Leben garantiert, auch dann, wenn er auf die Lorbeeren des Komponisten verzichten wird. Da diese Lorbeeren für ihn stets einen recht bitteren Beigeschmack von Mühen und Arbeit haben, legt er keinen großen Wert darauf, sondern erwartet voll Sehnsucht die Zeit, sich auf den bis jetzt erworbenen gründlich auszuruhen.
Er hatte öfters den Gedanken gehabt, eine reiche Erbin heimzuführen. Diese Spezies ist aber leider nicht allzu dicht gesät, und Roman Ermönyi fand stets sehr viel Wenn und Aber, wenn sich endlich eine passende Partie zu bieten schien.
Meistens schreckte ihn der Anhang der Erwählten ab. – Da war es der ehrbare Bürger und Geschäftsmann, der als Papa die strenge Hand über die junge Ehe halten würde, oder es war die goldprotzige Schwiegermama, die regierend auf den Geldsäcken saß.
Roman aber hatte seit jeher einen Widerwillen gegen alle geordneten bürgerlichen Verhältnisse, er, der von Kindesbeinen an ein zügelloses Nomadenleben, an eine Existenz ohne jedwede solide Basis gewöhnt war.
Er haßte alles Spießbürgerliche, er revoltierte gegen Sittenstrenge und Gesetze der Ordnung, wie ein undressierter, wild aufgewachsener Stier ingrimmig das Joch vom Nacken schleudert und die Stallkette nicht dulden will.
Auch dieser Punkt ist einer Marga Daja gegenüber zu erwägen, – und er fällt schwer in die Wagschale.
Die Sängerin ist frei, unabhängig und ganz das Werkzeug in seiner Hand. Ihr Geld gehört ihr, beziehungsweise ihrem Gatten. Keine lästige Verwandtschaft kann sich aufdrängen, schütz- und hilflos ist das »Kind« dem Wollen und Willen des Gatten anheimgegeben. Auch die Sängerinnen haben auf Erden kein bleibend Quartier – und ein solch unstetes, abwechslungsreiches Leben ist es just, das dem ruhelosen Mann zusagt.
Keine geordneten Verhältnisse! Aus dem Koffer, auf der Achse leben – so war er es gewohnt, und so will er es haben.
Nichts langweilt ihn mehr, als das Stillsitzen und Kleben an ein und demselben Punkt.
Kann es aber etwas Amüsanteres geben, als ein lustiges Reiseleben, kreuz und quer, ohne alle Anstrengung, – als höchstens die eine, das Geld einzukassieren, wenn die Frau vor ausverkauften Häusern singt?
Das ist bequem und schön, – das ist ein menschenwürdiges Dasein. Und Roman Ermönyi hat es sich zugeschworen, sehr vorsichtig zu sein, was seine sorgenfreie Zukunft anbelangt. Aber nicht allein all diese materiellen Punkte fallen bei Marga Daja in erster Linie ins Gewicht, sie ist nebenbei auch ein anmutiges, entzückendes Geschöpf, vollberechtigt, die Sinne eines Mannes zu entflammen.
Und Romans wüste Leidenschaftlichkeit findet Gefallen daran, auch einmal ein sylphenhaftes ›Kind‹ in die Arme zu schließen.
Sehr amüsant und auf die Dauer fesselnd ist ja die Kleine gerade nicht, aber dafür ist sie ja auch keine hausbackene Bürgerstochter, die den Hausschlüssel voll eifersüchtiger Anwandlung in die Tasche steckt. Darum sorgt sich ein Mann wie Ermönyi am wenigsten. Er wird niemals die lyrischen Passionen seiner Gattin, die ja schon der Beruf für alle Welt auf die Bretter stellt, beeinflussen, er wird der Devise huldigen: »Leben und leben lassen!«
Marga scheint in dieser Hinsicht auch recht vernünftig zu sein. Sie quälte ihn noch nie mit der geringsten Anwandlung von Mißtrauen oder Eifersucht und wird in ihrer hilflosen Naivität leicht zu behandeln sein.
Erfüllte sie die Hoffnungen, die ihr Mann in sie setzt, so soll sie es sehr gut haben, ein wahres Götterleben, – und setzt sich das Engelchen etwa nach der Hochzeit die Teufelshörnchen der Satanella auf, nun, so ist Ermönyi der Mann dazu, sie mit der nötigen Härte, Schärfe und Rücksichtslosigkeit abzuschleifen.
Alles in allem betrachtet, erscheint Marga Daja. eine gute und wünschenswerte Partie für ihn, und soweit wie es möglich ist, wird er sich nicht an sie verkaufen, sondern in der gefeierten Sängerin das Lebensglück erhandeln, nach dem er strebt.
Soll er nun also Ernst machen und der Kleinen schon heute abend das bindende Ringelein an den Finger streifen, oder soll er sie noch ein Weilchen zappeln lassen, um sie schon jetzt möglichst von seiner Überlegenheit zu überzeugen? Man darf selbst der Umworbenen nicht allzu viel weismachen und sie nicht törichterweise selbst auf einen Thron erheben, den sie nach der Hochzeit ja doch dem Herrn und Gebieter räumen muß!
Das blasse, scharfgeschnittene Gesicht des Sinnenden hob sich; er lauschte mit aufglühenden Augen auf einen stürmischen Applaus, den Marga Daja bei offener Szene erntete.
Ein Ausdruck halb Zufriedenheit, halb Unruhe, trat in seine Züge. Ja, die Kleine ward gewaltig verwöhnt, und es wäre wohl nicht allzu erstaunlich, wenn dieser starke Lorbeerduft dem naiven Kind zu Kopfe stieg.
Man hat es ja sattsam erlebt, daß aus einer bescheidenen Debütantin, die mit rotgeweinten Augen und zitternden Gliedern die Bühne betrat, über Nacht eine prätentiöse, übermütige, unnahbare Diva wurde, die, ihren eigenen Wert erkennend, sich plötzlich selber so hoch im Preise stellte, daß manch siegesgewisser Verehrer des Abends am nächsten Morgen schon ein überwundener Standpunkt war.
Und warum sollte Marga Daja bei diesem plötzlichen Ausflug nicht auch die Macht ihrer Flüglein erproben und die Anwandlung bekommen, noch viel, viel höher zu stiegen, als bis an das Herz eines Roman Ermönyi?
Warum schickten die eleganten Herren ihr Blumen über Blumen hinter die Bühne?
Wäre es ein übler Gedanke, die Gattin eines steinreichen Bankiers zu werden, auf Gummirädern durch das Leben zu rollen und sich alles gewähren zu können, was ein Herz nur wünschen und begehren mag?
Oder sticht solch eine kleine Grafen- oder Freiherrnkrone nicht etwa auch in die Augen? Ist es nicht stets das höchste Ziel der berühmten Sängerinnen gewesen, als Gemahlin eines vornehmen Mannes der Bühnenlaufbahn Valet zu sagen? – Ob eine Aristokratin des Geldes oder des Blutes – eins ist so lockend wie das andre, und Marga Daja ist ein Kind, das sich von solchen Kostbarkeiten reizen läßt, ein unberechenbares Kind, das in der einen Minute ein Herz als Spielzeug küßt und lost; um es im nächsten Augenblick zerbrochen in die Ecke zu werfen!
Roman Ermönyi strich mit der Hand über die Stirn und grub die spitzen Zähne in die Lippe. Was sollte er tun?
»Zum Teufel, du lustige Freiheit du!« zieht es durch seinen Sinn. – Es ist doch wohl sicherer, beizeiten zuzugreifen und festzuhalten, und wenn erst die Verlobung stattgefunden, soll die Hochzeit auch nicht lange auf sich warten lassen.
Der junge Komponist tritt einen Schritt vor und schaut auf die Bühne. Die Oper nähert sich ihrem Ende. Margas Finale setzt ein.
Er sieht sie vor sich stehen, glühend, fiebernd, in höchster Erregung. Kein Schmuck und Glanz mehr, das weiße Totenkleid fließt wie ein lichter Schein um sie her, wirr, von der Leidenschaft durchwühlt fluten die Haare über Brust und Arme, und ihre Augen brennen wie in stummem Hilfeschrei auf dem Publikum. – Bezaubernd!
Und nun singt sie. – Das muß ein Beifallssturm werden, der zum Orkan anwächst!
Ja – tausendmal ja! Es ist hohe Zeit, diesen Edelstein sicher, sehr sicher zu fassen.
Ein neuer Gedanke blitzt durch Romans Sinn. Wäre es vielleicht vorteilhafter, eine heimliche Ehe zu schließen? Der Schwarm der Anbeter ist nicht zu verachten, und kostbare Geschenke nimmt man ja ganz gern mit in den Kauf! – Aber... es ist doch ein mißlich Ding, und andererseits wäre es gleichzeitig die beste und erfolgreichste Reklame für ihn, wenn Marga in Zukunft seinen Namen führt, ihn mit doppeltem Lorbeer zu kränzen.
Warum soll nicht auch eine Frau ihre Verehrer haben? Es wird schnell genug bekannt werden, daß der beneidete Gatte nicht eifersüchtig ist.
So mag denn der Würfel fallen! Nach Romans Berechnung kann er nur die weiße Seite zeigen.
Wieder brennt sein Blick auf der anmutigen Erscheinung Margas, die just in rührender, herzbezwingender Klage die Kinderhändchen hebt und mit brechender Stimme schluchzt: »Laß ab von mir – ich bin die Todgeweihte, – laß ab von mir, – das Unheil folgt mir nach –«
Er lächelt. Wie vorzüglich sie das Gemisch von Angst und Schmerz wiedergibt! Es ist geradezu spaßhaft, daß sich hunderte von Augen mit Tränen füllen, weil eine kleine Komödiantin, deren Herz vor lauter Lust und Glückseligkeit zerspringen möchte, in eingebildeter Todesangst sich vor ihnen verzehrt!
Ja, sie ist eine gute Sängerin und eine gute Komödiantin – darum will er ihr nicht nachstehen und auch ein guter Komödiant sein.
Er will Marga Daja freien, teils aus Liebe, – wenn das Gefühl lüsterner Begehrlichkeit, das er empfindet, Liebe ist – teils aus Spekulation, wenn das Geschäft, das er mit dem Trauring zu machen hofft, in der Tat ein gutes ist!
Roman streift mit feinem Lächeln die Handschuh straffer an den Fingern empor, räuspert sich und steht mit hämmernden Schläfen bereit, an der Seite seiner Diva den letzten Ansturm von Applaus über sich ergehen zu lassen.
Marga stirbt, der Chor verklingt, und aus den Flammen, die soeben die Todgeweihte umlodert, wird die lebensfroheste und glückseligste Braut steigen, in deren kleiner Kehle das Gold verborgen liegt, mit dem sie heute abend das Glück erkauft.
Zum letztenmal rollt der Vorhang nieder.
Die letzten Klänge des Orchesters werden von dem lauten Beifall verschlungen, der das Haus durchtost.
Schon steht Roman neben der Vertreterin seiner Titelrolle und reicht ihr beide Hände entgegen.
»Komm, Marga – komm! – Meine Marga!« ringt es sich halb erstickt von seinen Lippen.
»Vorhang hoch!« ruft der Regisseur. »Sie müssen heraus, Ermönyi und Daja!«
Marga ruft nach den Vertretern der andern Hauptpartien, und Roman streckt denselben mit verbindlichsten Dankes- und Lobesworten die andre Hand entgegen. »Wir gehören zusammen, meine Herrschaften! Dieser Applaus ruft uns alle!« lächelt er in seiner gewohnten ruhigen Weise.
Wieder und wieder mußten sich Komponist und Darsteller dem dankbaren Publikum zeigen, auch der Dichter des Textes wird gerufen. – Margas Namen aber klingt am lautesten und enthusiastischen von aller Lippen.
Ihr Blick schweift voll strahlender Freude zu Benedikta empor, die sich über die Logenbrüstung neigt und ihr herzlich zuwinkt, – auch zu der Schauspielerloge blickt sie empor und sucht Eckert. Die Kollegen haben ihr während einer Zwischenpause erzählt, ein ganz drolliger Kauz aus der Provinz weine Tränen der Rührung und klatsche sich die Hände entzwei! Man wisse gar nicht, wie dieser seltsame Gast unter die Künstler geraten sei.
Marga lächelte, ohne zu antworten, und jetzt sucht sie ihn, aber sie findet ihn nicht.
Sollte er in seiner Begeisterung schon herabgestürmt sein, sie persönlich zu beglückwünschen?
Poor boy! Welch eine fatale Überraschung wird es für dich sein, wenn Roman Ermönyi dir seine Braut zuführt! Dann klagen die kleinen Tyrannen der Kinderstube zu Floringhof doch vielleicht ein paar Tage lang über Papachens schlechte Laune und üble Stimmung!
Lang kann sich Marga bei diesem Gedanken nicht aufhalten, nur wie im Fluge zieht er durch ihr Köpfchen, dann beanspruchen die Blumenspenden, die jubelnden Zurufe all ihre Aufmerksamkeit, und unter dem blendendhellen Licht, das die neu aufsteigende Ruhmessonne so plötzlich über die junge Sängerin wirft, verblassen alle Erinnerungen an eine Zeit, in der Marga Daja noch nicht ein Stern ersten Ranges gewesen!
Als sich der Ausbruch stürmischer Anerkennung gelegt, als die Bühne sich mehr und mehr leert, und der Intendant mit anerkennendem Händedruck die bedeutungsschweren Worte gesprochen: »Meinen Glückwunsch, Fräulein Daja! Sie haben Großartiges geleistet, wir sprechen morgen das Nähere darüber!« – bietet Roman Ermönyi der Gefeierten den Arm, um sie in die Garderobe zurückzuführen.
Sie blickte innig, glückstrahlend zu ihm auf, und Roman drückte ihren Arm zärtlich an sich und flüstert mit glutvollem Blick: »Du süßes, süßes Kind! – Ach, daß ich erst dir allein sein könnte! Warum muß Tante Lore als Cerberus dein Zimmer bewachen! – Ich lechze nach ein paar Minuten ungestörter Aussprache!«
Sie schmiegt sich an ihn: »Vor dieser treuen Seele habe ich ja keine Geheimnisse, Herzlieber!«
»Sie ist eine dritte Person, und alles Dritte ist bei süßem Minnekosen lästig und überdrüssig!«
»Ach, Roman, welch eine glückselige Zeit langen, ungetrübten Alleinseins steht uns, so Gott will, bald bevor!«
Er nickt aufgeregt und legt den Arm um sie, derweil sie die Treppe emporsteigen. »Bald, bald! – Die Flammen auf der Bühne haben nicht allein dich, sondern auch mein Herz verschlungen! Es verzehrt sich in der Sehnsucht nach diesem Alleinsein! Ist es dir recht, Geliebte, so schlage ich aus Tante Lores Anwesenheit Profit und bitte sie sogleich um deine Hand!«
Sie bleibt momentan stehen, neigt das Köpfchen wie in atemlosen Lauschen zurück und lächelt verklärt.
»Ach, Roman – welche Freude, endlich unser zärtliches Geheimnis aller Welt verraten zu können!«
Er blickte sie ernst an. »Und du würdest auch bereit sein, bald zu heiraten und meinen Namen mit deinem jetzigen auch auf dem Theaterzettel zu vertauschen?«
»Das ist wohl selbstverständlich. Geliebter« – nickt sie harmlos. Plötzlich aber tritt ein Ausdruck der Bangigkeit in ihr Antlitz: »Schon so bald heiraten? Wird das denn möglich sein, Roman? Noch verdiene ich nicht viel, und deine Einkünfte müssen sich auch erst steigern, ehe wir einen Hausstand gründen können?
»Unsre beiderseitigen Einnahmen werden nach dem heutigen Erfolg anschwellen wie ein Waldbach nach dem Gewitter.«
Ein energischer Zug zeigt sich um ihre Lippen: »Es ist immerhin keine sichere und bestimmte Revenue!« sagt sie kopfschüttelnd. »Ich werde nur in eine baldige Heirat willigen, wenn ich am X.'r Hoftheater mit hohem Gehalt engagiert werde, und wenn du, was die Hauptsache ist, daselbst die Dirigentenstelle annimmst!«
Ein seltsames Zucken ging über sein Gesicht, das meistens anzeigte, daß Roman Ermönyi seine innere Heftigkeit nur gewaltsam beherrschte.
»Sieh, sieh, meine kleine Göttin macht ihre Bedingungen und schwingt das Pantöffelchen schon vor der Hochzeit! Je nun, du weißt ja, Liebchen, daß ich Wachs in deinen Händen bin! Obwohl mir eine feste Stellung, ein Binden und Fesseln an bestimmtem Fleck und in bestimmten Verhältnissen greulich unsympathisch ist, so gehorche ich doch willig deinem Befehl und füge mich deiner Tyrannei! Bist du zufrieden damit, Kind?«
Sie drückte seinen Arm stürmisch an sich. »Du bester, einzigster Mann! Ist es nicht unser beider Wohl und Glück, das ich bedenke und sicher gründen will? – Wie schön steht es dem Leu, wenn er sich vor dem weißen Lämmchen duckt« – sie lacht silberhell auf und blinzelt ihn neckisch an: »Und wie gut und artig von dem Lämmchen, wenn es sich als Gegenleistung mit Haut und Haar von dem König der Wüste verschlingen läßt! – Also unser Pakt ist geschlossen! Nun schnell, schnell zur Tante Lore, damit sie unsern Herzensbund segnet und eine ellenlange Depesche an Onkel und Tante nach Floringhof von Stapel läßt!«
Im Sturmschritt geht's weiter. Lachend, glückselig, ganz und gar »Kind«, schmiegt sie sich an seinen Arm. »Benedikta wird auch in die Garderobe kommen, und sie muß natürlich auch sofort Zeuge unsres Glückes werden! Nicht wahr, Roman? Ich kann dich doch gleich als Sieger, als doppelten Sieger ›vor und hinter den Kulissen,‹ präsentieren?«
»Das versteht sich, kleiner Engel! Ich werde den Hut hinhalten und meinen Dank von der Baronesse einsammeln, daß ich ihre Jugendgespielin Marga über Nacht zur berühmten Sängerin machte!«
Er sagte es mit einer gewissen Betonung, gibt ihren Arm frei und reißt die Garderobentür auf, um mit jubelndem Zuruf bei Tante Lore einzutreten.