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Janek Proczna trat in das Vestibül des Schlosses.
»Ihre Königliche Hoheit, die Frau Prinzessin empfangen heute zur Audienz?«
Der Lakai glitt diensteifrig herzu.
»Sehr wohl, Herr Graf, bei Hochderselben haben soeben Frau Leutnant Gower und die Oberforstmeisterin, Freifrau zur Laute, Zutritt gehabt.«
»Wer ist die dienstthuende Hofdame?«
»Gräfin Kany!«
»Gut, ich gehe sofort mit Ihnen – es ist wohl keine Anmeldung notwendig.«
Das alte Hoffräulein lag in einem bequemen Schaukelstuhl des Vorsalons, eine statiöse Coiffure auf dem dünnen Scheitel und einen Reisvogel auf der hohen Schulter, mit welchem sie um die Wette süße Kerne knabberte.
Wie elektrisiert fuhr sie empor, als die Thür aufgerissen wurde und die hohe Gestalt Procznas vor dem Lakai eintrat.
Sie hob die Lorgnette vor die Augen, als müsse sie sich erst von der Wirklichkeit dieser unglaublichen Visite überzeugen, richtete sich so imponierend empor, wie es ihre unglückliche Figur erlaubte, und fragte mit schriller Stimme:
»Wie ist es möglich, daß Sie mir nicht zuvor gemeldet wurden?«
Proczna hatte sich gemessen verbeugt.
»Weil ich eilig bin, Komtesse, und Sie ersuchen möchte, mich sofort bei Ihrer Königlichen Hoheit zur Audienz zu melden!«
Ein namenloser Hohn kräuselte die Lippen der Hofdame.
»Sie dürften sich wohl selber sagen, Herr Proczna, daß dieser Weg ein vergeblicher sein wird!«
»Das möchte noch fraglich sein. Ich ersuche Sie, Ihrer Königlichen Hoheit zu sagen, daß ich in äußerst wichtiger Angelegenheit um den Vorzug einer Unterredung bitte!«
Die Augen der Gräfin Kany schillerten hinter ihren roten Rändern.
»Bedaure, Hoheit fühlen sich leidend und empfangen nicht mehr.«
»Ich bin überzeugt, daß Hochdieselbe eine Ausnahme machen wird. Wollen Sie die Güte haben, anzufragen?«
Sie musterte ihn mit geradezu verletzendem Blick von oben bis unten.
»Nein! – Diese Thür bleibt für den Sänger revolutionärer Polenlieder ein für allemal verschlossen!«
Janek zuckte die Achseln.
»Darauf lasse ich es noch ankommen. Ich weiß, daß die Prinzessin bereits empfangen hat, und demgemäß auf Besuche vorbereitet ist; wenn Sie sich weigern, Ihren dienstlichen Pflichten nachzukommen, so bleibt mir nichts anderes übrig, als unangemeldet bei Hoheit einzutreten.«
Das alte Fräulein flatterte in jähem Schrecken vor die Thür, sich schützend auf der Schwelle auszupflanzen.
»Unterstehen Sie sich!« zischte sie, sich vor Zorn kirschrot färbend, »es möchte Ihnen schlecht bekommen! Wenn Sie absolut auf einer Abschiedsformalität bestehen, so schreiben Sie sich ein! Dort auf dem Tisch liegen die Bücher der Herrschaften aus!«
»Sie werden gestatten, daß ich nach meiner Intention handle. Noch einmal: wollen Sie mich melden?!«
»Nein!«
Janek streckte gelassen die Hand aus, faßte die Gräfin mit schnellem Griff am Arm und schob sie wie einen Flederwisch beiseite, dann öffnete er die Thür und war im nächsten Augenblick hinter derselben im Zimmer Anna Reginas verschwunden.
Die Gräfin schrie jäh auf vor Wut. Dann aber zuckte ein Gedanke durch ihr Hirn. Sie wird dem Prinzen melden, daß Janek Proczna ein Rendezvous mit Anna Regina hat! Er wird blind aufkochen vor Eifersucht, hierher stürzen und, ohne lange zu fragen, den sauberen Monsieur befördern lassen! Wie von Furien gejagt, mit bösem Lächeln auf den farblosen Lippen, stürmte sie den Korridor entlang nach dem Zimmer des Prinzen. In fiebernder Aufregung drang sie rücksichtslos vor und stand im nächsten Augenblick atemlos in dem Arbeitskabinett des hohen Herrn.
August Ferdinand ließ sich gerade von Gower Vortrag halten, er wandte sich frappiert zurück und sprang bei dem Anblick der Hofdame erschrocken empor:
»Was bringen Sie, Gräfin, ist ein Unglück passiert?!«
»Mehr wie das, Königliche Hoheit!« gellte sie ihm entgegen, »Janek Proczna hat sich den Eintritt zu Ihrer Hoheit erzwungen, sie geradezu überfallen … ganz allein ist der leidenschaftliche Mensch bei ihr!«
Das Antlitz des Prinzen hatte sich entfärbt, eine drohende Wolke zog sich auf seiner Stirn zusammen.
»Diese Mitteilung wäre mir wohl in diskreterer Weise und ohne Zeugen zu machen gewesen«, entgegnete er barsch, »ich verbitte mir ein jegliches verdächtigende Wort! Meine Gemahlin ist niemals kompromittiert, selbst dann nicht, wenn sie sich mit einem Rasenden allein befindet! Ihre Stellung ist ihr Schild, welches immer respektiert wird!«
Er wandte sich zur Thür und winkte der Hofdame, welche ziemlich kleinlaut folgen wollte, unwillig ab.
»Bleiben Sie hier! – Sie haben die Güte, lieber Gower, die Gräfin zu unterhalten!«
Hastig schritt August Ferdinand den schmalen Gang entlang, trat durch das Kinderzimmer in die Flucht der Salons, in deren Mitte das Empfangszimmer seiner Gemahlin lag.
Die dicken Teppiche dämpften seinen Schritt, mit fliegenden Pulsen trat er hinter die Portiere. Deutlich und klar drang ein jedes Wort, welches nebenan gewechselt wurde, an sein Ohr. –
Unwillkürlich preßte er die glühende Stirn gegen den Thürpfosten und verharrte mit angehaltenem Atem. Er wollte Gewißheit haben, und die war nur auf diesem Wege zu erlangen, sein plötzlicher Eintritt würde die Situation nur noch mehr verwickelt haben.
»Ich weiß es, Königliche Hoheit, daß Sie unschuldig sind und rein und makellos in Thaten und Gedanken, wie die Lilie, welche frommer Glaube auf den Altar Marias legt! – Durch ein paar harmlos und – Vergebung für dieses Wort – unüberlegt niedergeschriebene Zeilen haben Sie sich in die Hände eines Weibes gegeben, welches erbarmungslos die Schlinge daraus flocht, deren erdrückende Last Sie jahrelang erdulden mußten!«
Wie ein Aufschluchzen klang es dazwischen.
»O, ich habe namenlos gelitten, Gott im Himmel weiß es, wie Angst und Sorge mein Herz zerrissen! – Und keine Minute Ruhe davor! Wie ein Alp ist mir beständig der Anblick meiner Peinigerin auf die Seele gefallen! – Und solch ein Weib durchschauen, und sie nicht voll Ekel von sich schleudern können, das war eine Qual, wie sie nicht schlimmer erdacht werden kann!«
»Und warum hatten Sie nie den Mut, Königliche Hoheit, vor Höchstihren Gemahl zu treten, ihm offen und ehrlich das unselige Mißverständnis aufzuklären und dadurch mit einem kühnen Schlag die Netze zu zerreißen, welche Herrschsucht und niedrigste Gesinnungen um Sie her gestrickt hatten?«
Leise, bebend klang ihre Stimme.
»Ich habe wohl oft daran gedacht, aber sowie ich die Lippen öffnen wollte, schnürten mir Angst und Mutlosigkeit die Kehle zu. Alle Beweise sind gegen mich, und was würde es helfen, ihnen entgegen meine Unschuld zu beteuern? – Das ist ja mein namenloses Elend, Proczna, daß ich es nicht wagen kann, an das edle Vertrauen meines Mannes zu appellieren, denn er selber schneidet mir durch sein grenzenloses Mißtrauen den Weg zu seinem Herzen ab!« – –
Wie ein Hervorbrechen lang erduldeter Qual klang es durch ihre Stimme, erstickend in Thränen, zitternd in tiefstem Schmerz:
»August Ferdinand glaubt an keines Weibes Treue, das hat er mir in leidenschaftlicher Erregung einst selbst gesagt, und dieses Wort legt sich wie eine eisige Hand auf meine Lippen, wenn ich mich an seine Brust flüchten und ihn bitten will, mich von Frau Leonies Folter zu lösen, dieses Wort erstickt jedes aufkeimende Vertrauen mit dem furchtbaren Bewußtsein: ›Er glaubt dir ja doch nicht!‹«
Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, dann fuhr Anna Regina mit seligem Aufatmen hastig fort:
»Und nun kommt mir Hilfe, wo ich sie nie geahnt und erwartet hatte; – Sie haben jene unseligen Zettel in Händen und Sie glauben trotz ihrer an meine Unschuld?«
»So fest wie an mich selbst.«
Janeks Stimme klang tief ergriffen.
»Für mich hat es kein Bedenken gegeben, mit Einsatz all meiner Kräfte für Eure Hoheit einzutreten, nachdem ich ein einziges Mal gesehen hatte, wie viel rätseltiefes Weh in Ihrem Auge schlief. Ich habe nach seiner Ursache geforscht und Gott hat mein Bemühen belohnt – hier sind die Quellen, aus welchen Excellenz Gärtner Ihr Leben vergiftete, Hoheit! Ihnen diese Blätter zurückzugeben, ist der schönste Lohn, welcher jemals einem Manne werden kann, der zum Schutz der Würde edler Frauen seinen Degen an der Seite trägt!«
»O Proczna – und Sie, Sie konnte ich gestern so namenlos kränken …«
»Nicht Sie, Hoheit, es war das letzte Mal, daß Gräfin Kany und Excellenz Gärtner am Steuer Ihres Lebensschiffleins saßen!«
»Wie soll ich Ihnen danken – !«
»Gestatten Sie mir, als Zeichen Ihrer Huld, noch wenige Worte zu meiner Rechtfertigung zu sprechen, welche mein Wesen am gestrigen Abend bedingt …«
»Warten Sie einen Augenblick, mein lieber Proczna, lassen Sie mich auch dieser Aufklärung teilhaftig werden!« unterbrach eine Stimme hinter dem jungen Polen.
August Ferdinand trat durch die Portiere, reichte dem Freund seiner Gemahlin beide Hände und drückte sie tiefbewegt, dann trat er hastig zu Anna Regina, schloß die Erbleichende herzlich in die Arme und drückte einen Kuß auf die weiße Stirn. Heiß erglühend klammerte sie sich an seinen Arm, sekundenlang ruhte Aug in Auge, eine stumme und doch unendlich beredte Verständigung.
»Ich bin Ohrenzeuge dieser Unterredung gewesen und ich danke Ihnen für jedes einzelne Wort!«
Nach einer kurzen Darlegung der Mißverständnisse und Intriguen, welche so lange Zeit das Leben Anna Reginas und die Verhältnisse der Stadt und Garnison getrübt hatten, schlug August Ferdinand die Hand gegen die heiße Stirn:
»Und alles das Werk eines einzigen, intriganten Weibes!!«
Dann lenkte der Prinz das Gespräch plötzlich ab.
»Sie haben gestern abend unsere gute Gesellschaft so sehr durch revolutionäre Ansichten und Lieder alteriert?« fragte er sichtlich amüsiert.
Proczna lächelte.
»Es war Sturm in einem Wasserglase, Königliche Hoheit – ganz so verworfen, wie es scheint, bin ich nicht, und falls man mir gestattet, ein wenig zurückzugreifen in mein seltsames Leben, so hoffe ich, in den Augen meines gnädigsten Herrn gewissermaßen gerechtfertigt dazustehen!«
»Reden Sie, wunderlicher Heiliger, es ist mir interessant, einen Mann vom Grund der Seele aus kennen zu lernen, welcher mir vom ersten Augenblick an so sympathisch war wie Sie!«
Und Proczna erzählte klar und bündig mit leuchtenden Augen den Roman seines Lebens und schloß mit den Worten:
»Ich war ein Komödiant von dem Augenblick an, wo ich diese Stadt betrat. Es ging mir wie einem Spieler, der › va banque‹ sagt. – Wollte ich Xenia gewinnen, so galt es reichlich ausgerüstet in die Bahn zu sprengen. Die hiesigen Verhältnisse waren mir bis in die Details bekannt, ich habe mich zwei Jahre lang unermüdlich geübt, denselben gewachsen zu sein, und ich schlug Zinsen aus diesen Kenntnissen. Oft habe ich selber daran gezweifelt, ob ich die Rolle, welche mir schwerer und saurer geworden ist, als ich es zu beschreiben vermag, durchführen könne, aber die wahre und echte Liebe ist wie der Zaubermantel Klingsors, sie trägt wunderkräftig über Klippen und Bergriesen hinweg. Dennoch atmete ich jetzt auf, wie einer, der endlich eine beengende, lästige Maske von dem Gesicht reißen kann, der Welt wieder sein ehrlich Antlitz zu zeigen! Oft bin ich mir selber vorgekommen wie ein Hans in allen Ecken, der alles weiß und kann, der allen andern überlegen ist, und dem nur noch ein Requisit aus der Rüstkammer des Romanhelden fehlt, die sagenhafte Geschicklichkeit, einem Spieler auf hundert Schritt Distance das Auge aus dem Coeur-As zu schießen, ohne daß es der Betreffende bemerkt und ruhig die durchlöcherte Karte ausspielt.«
August Ferdinand lachte leise auf.
»Und der Kosynier? Wie steht es mit dem? Soll das Ende des Romans wirklich im Lager der Aufständischen spielen?«
Proczna schüttelte mit fast wehmütigem Lächeln das Haupt.
»Der letzte Akt meiner Rolle, welcher sich gestern abend abspielte, war ein seltsames Gemisch von Wahrheit und Dichtung« – er blickte voll und freimütig in des Prinzen Auge. »Keines jener Worte, welche ich ausgesprochen, nehme ich zurück, denn das Land, für dessen Freiheit mein Vater Blut und Leben eingesetzt, das Land, welches mich geboren und durch Jahrhunderte lang meines Stammbaums Wurzeln in mütterlicher Erde genährt hat, das Land ist mir lieb und heilig wie meine eigentliche Heimat, aus welcher mich nur ein rauher Sturm verschlagen hat! Ja, Königliche Hoheit, ich bin Pole, Pole mit Leib und Seele! Mag man ein Reis pflanzen, in welchen Boden man immerhin will, es verleugnet nicht seine Art, und wenn mich ein wundersames Geschick auch auf die Grenze zwischen Polen- und Deutschtum gestellt hat, das eine hat das andere nicht aus meinem Herzen verdrängen können, die Landesfarben sind verschmolzen zu dem schimmernden Regenbogen, dem Zeichen der Versöhnung und des Friedens. – Mag Polens Schicksal sich gestalten, wie es Gottes Wille beschlossen hat, ich werde das freie Land lieben, wie das geknechtete!«
August Ferdinands Antlitz war sehr ernst, aber nicht finster geworden, sein Auge ruhte voll herzlichen Wohlwollens auf den freien, edlen Zügen des Sprechers, welche ihm in Wahrheit verändert deuchten, als sei ein Schleier von ihnen hinweggezogen. –
»So werden Sie sich in die Reihen der Kosyniers stellen?«
Jähe Glut flammte über Procznas Stirn, sein Haupt zuckte frei und stolz in den Nacken.
»Nein, Königliche Hoheit. Ich werde nur noch ein Gebet kennen, das, welches für Polens Freiheit bittet, ich werde opfern an Geld und Gut, was ich mir an eigenem Vermögen erworben, ich werde Polens Flüchtlinge schützen, ich werde helfen, geben und schirmen, so viel und so lange ich kann, denn ich bin eines Polen Sohn; aber so unverfälscht auch das polnische Blut in meinen Adern schäumt, eines hat die deutsche Erziehung und pflegemütterliche Erde dennoch dem fremden Reise eingeimpft, den Begriff von deutscher Ehre und deutscher Treue! – Eine Hand, welche auf deutsche Waffen den Fahneneid geleistet, wird dieselben nun und nimmermehr in jenem Kampfe führen. – Meine Liebe zu Polen hoch über vieles – meine Ehre aber über alles!«
Der Gemahl Anna Reginas reichte ihm beide Hände mit ehrlichem Druck.
»Möge Gott geben, daß sich jener Regenbogen der Eintracht über die beiden Länder spannt: Polnisch Blut und Deutschtum, innig verschmolzen, geben ein edles und kraftvoll schönes Gemisch, das beweisen Sie mir, Proczna!«
August Ferdinand ersuchte den Pflegesohn des Grafen Dynar, zur Rehabilitierung seiner gesellschaftlichen Stellung heute abend den Platz in der Oper neben den Sesseln des hohen Paares einzunehmen.
Proczna zögerte betroffen, sein Blick tauchte ehrlich in den des Prinzen. –
»Ich beschwor jene peinliche Scene des gestrigen Abends mit voller Überlegung herauf, um den letzten höchsten Trumpf auszuspielen, auf welchem das Glück meiner Zukunft stand. Xenia liebt mich; ich aber will sie aus diesem Boden lösen, will mir mein Kleinod in die stille Einsamkeit retten, damit nicht die Stürme des Lebens vorzeitig der Rose Kelch entblättern! – Xenia mußte die Menschen kennen lernen, wenn sie ihr Glück fern von denselben suchen soll.«
»Ein harmonisches Ausklingen wird den grellen Mißakkord des gestrigen Abends niemals in ihrer Seele verwischen, lieber Proczna; retten Sie sich Ihre reizende Braut so schnell als möglich als Gattin auf ›Flügeln des Gesanges‹ nach den sichern Mauern Ihres Schlosses, aber nehmen Sie zuvor Rücksicht auf die Familie Ihres Vormundes und triumphieren Sie über die beiden Schlangen, welche für die längste Zeit den Frieden unseres Edens hier untergraben haben sollen!«
Anna Regina sah fast bittend, mit verklärtem, rosig überhauchtem Gesichtchen zu ihm auf und reichte ihm herzlich die kleine Hand entgegen.
Proczna neigte sich tief und ehrfurchtsvoll über dieselbe.
»Ja, es soll ausklingen«, sagte er leise, »damit meinem Weibe und mir die Hoffnung bleiben kann, dereinst zu Ihren Füßen die duftigen Kränze niederzulegen, welche Ihnen das treueste und verehrungsvollste Gedenken in der Einsamkeit flechten wird!« – –
* * *
Wieder brausen die Stürme um die trotzigen Mauern Procznas, aber diesmal tragen sie tausend junge Frühlingsknospen im Schoß, welche sie heimlich, in stiller Nacht über Wald und Heide streuen. – Da webt sich ein lichtgrüner Schleier um Bäume und Sträucher, ein Blühen und Keimen bricht hervor und um die Türme des alten Schlosses rankt es sich duftend zwischen dem Epheu empor. Ein junges Weib, lieblich, glühend und geheim wie ein Dornröschen träumt des Glückes Märchentraum hinter den grauen Mauern, und die Götter des Frühlings schweben hernieder und türmen eine Hecke von Purpurrosen empor, zwischen sie und die Welt!
Die Flügelthüren zu der Veranda des Schlosses sind weit geöffnet, weiche Nachtluft und silberne Mondstrahlen fließen schmeichlerisch um das junge Paar, welches Arm in Arm hinaus auf die Schwelle getreten ist. Ein Trauergewand wallt um Xenias schlanke Gestalt, und das Antlitz, welches an der Schulter des geliebten Mannes lehnt, ist von Thränen übertaut. – Polen ist verloren – seine Lorbeerkränze sind in den Staub getreten, sein Banner ist zerfetzt, unter der Sohle seiner Feinde verblutet es im Staub.
Janek Proczna blickt zu dem klaren Nachthimmel auf, an welchem die Sterne wie treue, liebevolle Augen leuchten. – » Boze cos Polske przez tak liczne wieki!« ringt es sich wie eine stumme, segensreiche Frage von seinen Lippen – was in seinem Herzen glüht und schmerzt, braust im Lied zu den Gestirnen empor!
Im Dunkel der Gartenwege klingen leise Schritte. Schwer im Arm eines Bauern liegend, schleppt sich ein silberhaariger Greis mit der qualvollen Anstrengung eines Sterbenden dem Schloß entgegen.
Das Mondlicht fällt auf hagere, starre Gesichtszüge, auf welchen bereits die Schatten des Todes liegen. – Derselbe Mann, der einst flüchtend mit seinen Kindern in der wilden Schneesturmnacht an die Thore Procznas geklopft.
Er hat sein Wort gehalten, er hat nie nach seinem Sohn gefragt und geforscht, er hat gewußt, daß er ihn einst wieder holen wird, wenn Polens Herrlichkeit aufersteht, und er hat gerungen und gekämpft, hat nur gekämpft für sein unglückliches Vaterland. – Da zuckt endlich der Blitz hernieder und entflammt die Fackel der Empörung. Er ist alt und schwach geworden vom Darben und Entbehren, aber er lebt wieder auf im Rausche der Hoffnung, er eilt nach Polen, er kämpft wie ein Jüngling, er sucht seinen Sohn! – Wird er zögern zu kommen? Nein, tausendmal nein! Janek ist ja sein Sohn, und polnisch Blut verleugnet sich nicht! – Er irrt über die Schlachtfelder, er starrt in das Antlitz Lebender und Toter, nirgends ist sein Sohn zu entdecken. – Bitterkeit, Verzweiflung wühlen in seinem Herzen. – Schwer verwundet liegt er in elender Schäferhütte verborgen, gepflegt von dem alten, treuen Aloizy, seinem ehemaligen Pferdeburschen, welchen er unter den Fahnen der Kosyniers wieder gefunden, und welcher treu wie ein Schatten an der Seite des Herrn gekämpft hat!
»Zu meinem Sohn, ihn noch einmal sehen, ehe ich sterbe, sehen, ob polnisch Blut sich wahrlich so ganz verleugnen kann!« –
Und die Thränen rollen ihm über die Wangen, und Aloizy nimmt den Todkranken auf die starken Arme und wandert mit ihm lange, qualvolle Tage bis zu der Schloßschwelle von Proczna. Ein bleicher Engel aber schreitet ihnen zur Seite, und hütet liebevoll die gesenkte Fackel, daß ihre verlöschende Flamme noch wenige Minuten flackern möge.
»Aloizy …« flüstert der Sterbende, leise wie der Wind, welcher durch die Blütenzweige weht – »nicht meinen Namen verraten … bei allen Heiligen nicht, … ich bin ein Fremder für meinen Sohn – ein Fremder!«
»Ich gelobe es, Ew. Gnaden – Gott erleuchte die Seele meines jungen Gebieters und schenke seinem Herzen tausend Augen, Euch zu erkennen.«
»Bin ein Pole, Aloizy … und er …« ein Aufstöhnen ringt sich über die bleichen Lippen, schwer bricht er in den Armen des treuen Mannes zusammen. »Nur jetzt nicht sterben … noch nicht …«
Da klangen Töne an sein Ohr – voll, gewaltig, durchdrungen von namenlosem Schmerz: » Boze! cos Polske tak liczne wieki!« – So kann nur ein Pole singen.
Zitternd richtet sich das greise Haupt empor, wie die Glut, welche kurz vor dem Erlöschen noch einmal auflodert, flammt es in den dunklen Augenhöhlen.
»Aloizy … hörst du …? … Boze cos Polske … näher, Aloizy … das sind Gottes Engel, die mich rufen ach, welche Klänge!! – «
Er hebt sich mit jäher Kraft empor und taumelt in den Armen seines Gefährten der Terrasse entgegen.
Behutsam hinter den Gebüschen nähern sie sich, jetzt stehen sie an der Treppe. – Droben flutet das Silberlicht um zwei hohe Gestalten, ein junges Weib lehnt sich an die Brust des Erbherrn von Proczna … scharf zeichnet sich sein Profil gegen die dunklen Baumwipfel des Hintergrundes ab … sein Sohn! – sein Sohn! – –
Der Alte bricht in die Knie und hebt das verklärte Antlitz und die gefalteten Hände zu dem Sänger empor – wie ein Heiligenschein wallt das schneeweiße Haar um die gramgefurchte Stirn, als ob eine segnende Hand sekundenlang den Bann des Todes in den starren Zügen gebrochen, leuchtet die Glückseligkeit von lächelnden Lippen: Wie in einer Verzückung lauscht er dem Gesang, und da der letzte Vers verklingt – »so verwandele uns in Staub, aber in freien Staub!« … da zuckt und bebt die knieende Gestalt, da brechen Thränen aus den Augen, da ist alles vergessen, was zwischen dem Einst und Jetzt liegt –
»Janek!« schreit er gellend aus, »Janek, mein Sohn!!«
An der Schloßtreppe liegt der Erbe von Proczna auf den Knien und hält den sterbenden Vater in den Armen. Seine Lippen pressen sich auf Stirn und Wangen des flüchtigen Polen; »Vater!« jauchzt er mit dem Ausdruck unendlicher Liebe in Stimme und Blick, »kommst du endlich zu deinem Kinde zurück!«
»Trage ihn empor, Janek – er ist krank, er zittert ja vor Kälte und Ermattung!« fleht Xenia mit erstickter Stimme, wirft sich neben dem Sterbenden nieder und überflutet die kalte Hand mit Thränen und Küssen.
Leiser, kraftloser Druck ist die Antwort.
»Nein, nein!« wehrte er ab, »laßt mich hier … laßt mir den Himmel über dem Haupt … er ist geöffnet, mich aufzunehmen … zur Ruhe, Janek … und ich bin müde – ach so müde. Ist sie dein Weib?«
Seine Hand legt sich zärtlich auf ihr blondes Köpfchen, sein brennender Blick taucht forschend in ihr feuchtes Auge.
»So habe ihn lieb, und Gott im Himmel wird dich segnen dafür, und meine Seele wird bei euch sein!« …
Er richtet sich aufgeregt empor.
»Hörst du den Sturm brausen? … Siehst du, wie die Schneeflocken wirbeln? Immer zu; immer vorwärts … Dort glänzt ein Licht … Erbarmt Euch, Graf, nehmt mir nicht mein Kind … Es ist alles, was mir blieb … Da liegt das andere … tot, starr, … und nun auch das letzte noch … Nehmt ihn! … Ich hole ihn zurück, ich komme wieder, wenn Polens Ketten gebrochen sind, wenn ich ihm den ehrlichen Namen wiedergeben kann! … Mein Sohn bleibt er doch in alle Ewigkeit! … Ihn deutsch machen?! Haha! Das Polenblut verleugnete sich noch nie! … Nehmt meinen Sohn, nehmt ihn hin!« …
Aufstöhnend klammert er sich an den Arm Procznas:
»Wo bist du, Janek? Ich suche dich unter der Fahne … ich suche dich auf den Schlachtfeldern Polens … weh mir!« …
Leise klingt es an sein Ohr: » Boze cos Polske« …
Procznas Lippen haben keine andere Antwort.
Da strecken sich die gekrampften Glieder, da hebt ein tiefes, seliges Ausatmen die sterbende Brust. » Und dennoch hat sich polnisch Blut nicht verleugnet« … flüstert er mit verklärtem Blick. »Janek, Janek, mein Sohn!« …
Er faßt die beiden Hände des jungen Paares und umschließt sie mit bebenden Fingern:
»Betet für Polen! Hofft auf die Zukunft … Gott mit dir, mein Vaterland – niech zyje Polska!«
Langsam neigt der Engel die Fackel – sie verlischt.
Die Heide glüht und brennt im Abendrot; fern an dem Horizont sinkt die Sonne, mit Purpurgarben den Himmel überflutend und goldene Funken auf die weite Ebene niederstreuend.
Die Felssteine, hinter welchen einst der einsame Knabe, das Kuckucksei im Nest, aufschluchzend vor Qual und Herzeleid das Antlitz in feuchte Erika preßte, sind höher bemoost, und die Brombeerranken, Heckenrosen und Schlehdornzweige, welche darüber hangen, sind emporgewachsen, wild, wirr, üppig aufgeschossen.
Droben in der klaren Luft jubeln die Vögel, leise und geheimnisvoll zirpt es im Grase, farbige Edelsteine schwirren beflügelt von Kelch zu Kelch. Endlos, unabsehbar dehnt sich Himmel und Heide, verschmelzend in rosigem Duft, durch welchen lichte Wolkenflocken treiben – ganz wie vor langen Jahren.
Leise Stimmen klingen wieder unter den schaukelnden Ranken am Gestein – schneeige Falten eines Frauengewandes schimmern in der Sonne und auf einem goldblonden Köpfchen tanzen glühende Lichter … Hexe Lorelei! … ganz wie damals und doch so anders.
Janek starrt wie trunken vor Glückseligkeit zu seinem jungen Weib empor, auf die rosigen Lippen, welche einst an diesem Platze mit erbarmungslosem Wort seine Kindheit und Jugend vergifteten, und welche ihm nun, als dem gereiften Mann, zum süßen Kelch geworden sind, von dessen Rand er des Daseins berauschendste Wonne trinkt! –
Ja, Hexe Lorelei! – Der Schiffer hat nicht in blindem Ungestüm sein Schifflein gegen dein felsenhartes Herz getrieben, er hat sich nicht blenden lassen von deinem goldnen Haar, und nicht hinreißen lassen von dem Zauber deines Auges, er hat die Hände fest an das Steuer gelegt und seinen Weg als guter Pilot durch die Klippen gesucht! – Nun hat er dich endlich erreicht, hat deine marmorkühle Pracht mit heißer Liebesglut zum Leben erweckt, und hält dich im Arm als köstlichsten Lohn für seine Fahrt durch Riff und Sturm!
Xenia lehnt schmeichelnd das Köpfchen an die Brust des Gatten. Lächelnd blickt Janek ihr in das Auge.
»Du glaubst nicht mehr an den Sohn des Kosyniers und hast es gehört, daß Aloizy meinem Vater die überschwenglichsten Ehrentitel gab – das ist Polenart; die Liebe und Verehrung der Untergebenen kennt in Worten keine Grenzen!«
Sie schüttelt treuherzig den Kopf.
»Wer jener Fremde auch gewesen ist, Janek, er hat mich als seine Tochter gesegnet und unsere Hände zusammengefügt, darum verlangt mein Herz danach, ihn mit Namen zu nennen wie einen Vater, und wahrlich, Herzlieber, er wird mir teuer und wert sein, gleichviel, wie du ihn nennst!«
Janeks Antlitz wird ernst, fast feierlich.
»Der Name meines unglücklichen Vaters ist vor der Welt erloschen und meine Lippen sind durch seinen letzten Willen verschlossen. Aber auch ohne daß ich jenes liebe, traurige Geheimnis verrate, wirst du ahnen, wessen Sohn der Mann ist, den deine Liebe sich ohne Schild und Krone erwählt; hier, diesen Ring zog ich von dem Finger des Entschlafenen, es ist das Siegel, welches meine Ahnen seit Jahrhunderten geführt.«
Xenia nahm den goldenen Reif und blickte auf die Gravierung des Steins hernieder. Heiße Blutwellen ergossen sich bis in die Stirn empor.
»Janek … dieses Wappen … diese Krone … allmächtiger Gott – wer bist du?«
Er legte sanft den Arm um sie und verschloß ihre Lippen durch einen Kuß.
»Ich bin Janek Stefan von Dynar, der glücklichste Mann, welchen jemals das Erdenrund getragen!«
Sie schlug die Hände vor das Antlitz; es war, als wehe ein Sturm von heftigsten Gefühlen durch ihre Seele, und leise flüsterte sie:
»Jetzt erkenne ich deine edle Seele ganz; jetzt weiß ich, wie lieb du mich hast, Janek; wieviel du für mich opfertest und wieviel ich an dir abzubüßen habe!«
Am Himmel schmetterten die Vogelkehlen ihre jubelnden Lieder der Glückseligkeit, die Heide duftete süß und wundersam, und die Sonnenglut am Horizont loderte empor wie ein heilig Opferfeuer, auf dem Altar der ewigen Gerechtigkeit entzündet. –
In dem»nordischen Aachen« hat sich manches geändert. Der Präsident von Gärtner wurde plötzlich nach dem Süden versetzt und nahm, da sein leidender Zustand sich täglich verschlimmerte und ihm die gewissenhafte Verwaltung des neuen Amtes unmöglich machte, zur Verzweiflung seiner schönen Gemahlin den Abschied. Er wählte seinen Aufenthalt dauernd in einem heilkräftigen Bade, woselbst Frau Leonie, nach dem plötzlichen Tode ihres Gatten, auch verblieb und noch heutigen Tages als schöne, vielumschwärmte und doch niemals ernstlich begehrte Witwe eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
Gräfin Kany, welche Knall und Fall ihre Stellung als Hofdame quittierte – man hat sich lange den Kopf zerbrochen, einen Grund dafür zu finden – lebt einen Teil des Sommers bei Ihrer Excellenz, allerdings auch nicht so ganz friedlich; wie Augenzeugen behaupten, soll es oft recht gereizte Wortwechsel geben. Zum offenen Bruch kann es aber nicht kommen, da sich die Damen gegenseitig zu sehr in der Hand haben.
Im Regiment der Kaiser Franz-Ulanen kamen verschiedene Versetzungen vor; man behauptete, August Ferdinand habe den eisernen Besen zur Hand genommen, um einmal gründlich den Staub aus allen Ecken zu fegen. Herr von Flandern suchte freiwillig seine Versetzung zu einem Dragonerregiment nach, Fürst Reussek wechselte ebenfalls und zwar mit Vorteil die Uniform, und an seine Stelle wurde ein anerkannt liebenswürdiger Freiherr gesetzt, welcher diverse Verwandte unter der Infanterie zählte.
Wie mit Zauberschlag waren die Coulissen verschoben. Ein herzliches und höchst kameradschaftliches Einvernehmen herrscht zwischen den verschiedenen Regimentern, an deren Spitze der mit wahrhafter Begeisterung verehrte Prinz August Ferdinand steht, in huldvollster Weise den Ton echter Waffenbrüderschaft angebend, bei welcher es nicht mehr heißt: »Hie Säbel – hie Degen«, sondern als echt preußische Devise der Einigkeit: » Zusammen mit Gott für König und Vaterland!«
Anna Regina hat sich auffallend verändert. Sie hat das Haupt erhoben wie ein köstlich blühendes Reis – unvergeßlich einem jeden, welchem der Vorzug geworden, ihre kleine Hand verehrungsvoll an die Lippen drücken zu dürfen. –
Fürst Heller-Hüningen hat seinen Vorsatz ausgeführt und bei dem letzten Fest der Saison dem reizenden Cousinchen Bicky eine »höchst patente« Liebeserklärung gemacht. Mama Drach hat es aber für gut befunden, die Hochzeit noch zwei Jahre hinauszuschieben, und das überglückliche Bräutchen bekam ihren Gatten erst zum neunzehnten Geburtstage als »Präsent« aufgebaut.
Es ist wirklich ein wahrer Spaß, dem jungen Pärchen hie und da 'mal in die vier Wände zu schauen, in welchen Hechelberg bereits einen sehr bequemen Großvaterstuhl, als selbstverständlichen Stammsitz, mit Beschlag belegt hat. – Er ist der gute Geist des Hauses, alteriert sich mit der kleinen Frau über jeden zerschlagenen Suppenteller, bewundert mit dem ernsthaftesten Gesicht jede neue Nippesfigur und jede frisch erworbene Toilette, steht dem Hausherrn geradezu aufopfernd bei jeder Wein- oder Cigarrenprobe zur Seite und hat sich drei Wochen lang tief beleidigt mit Selbstmordgedanken herumgetragen, weil man ihn nicht zum Gevatter des ersten Töchterchens gewählt hatte! Das muß man auch recht abscheulich finden! – Frau von Hofstraten ist unverändert dieselbe geblieben, immer geradeaus, immer lustig und guter Dinge, allgemein beliebt!
In den letzten drei Wintern war Villa Florian wieder bewohnt; Graf Dynar hatte anläßlich der verschiedenen Familienfeste sein liebliches Weib in die Residenz zurückgeführt und war alsdann auf die dringende Bitte des prinzlichen Paares öfter und länger mit seiner Familie zu dem Fasching wiedergekehrt. Sobald aber das erste Grün an den Bäumen sproßt, blickt Xenia flehend in das Auge ihres Gatten, und unverändert wie vor Jahren drückt er auch jetzt strahlenden Blickes ihre Hände an die Lippen und flüchtet sein Kleinod zurück in die Einsamkeit, wo jedes Blumenglöckchen des Heidelandes einen Psalter heiliger und unvergänglicher Liebe läutet!
* * *