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Der holzgeschnitzte Hirschkopf mit dem wundervollen, weitverzweigten Geweih, welcher über der Thür des kleinen Jagdschlosses »Tannenförde« seit langen Jahren schon die Wache hielt, trug einen dickbuschigen Kranz von Fichtengrün um den schlanken Hals, und über ihm, auf dem Schweizergiebel, flatterten zwei Fahnen zum festlichen Willkomm. –
Sonnenlicht floß matt und ohne die geringste Wärme, oft verdunkelt durch schnellziehende Wolken, um das kleine Waldidyll, und durch die tiefhängenden Tannenzweige strich der Wind scharf und kühl. In der Nacht hatte es gefroren, weißer Reif lag auf dem Waldboden, und die Blätter wirbelten klingend über den harten Weg.
Dennoch entwickelte sich ein ungemein lebhaftes, frisches Getreibe in und vor dem alten Schlößchen, welches von Prinz August Ferdinand zum Rendezvous der Parforcejagd bestimmt war.
Die Meute tobte an den Riemen, Piqueure und grün uniformierte Forstbeamte drängten in fröhlicher Hast durcheinander oder standen in kleinen Trupps eifrig schwadronierend zusammen; der Oberjägermeister teilte die letzten Befehle aus und schwenkte den Hut mit kräftigem »Waidmannsheil« den Kavalieren zu, welche in der roten, kecken Tracht der Parforcejäger auf mutigen Rossen den Waldweg heransprengten.
Die Jagdgesellschaft rekrutierte sich fast ausschließlich aus dem Ulanenregiment, dessen Damen sich mit selbstverständlichem »Schneid« ebenfalls im Sattel an dem Sport beteiligten.
Allerliebst sahen sie aus in den knappen, frackartigen, feuerroten Jacken, dem goldgestickten Stehkragen und dunklen Unterkleid; kecke Hütchen oder Jockeymützen saßen auf dem leicht toupierten Haar, welches die Gräfinnen Ettisbach und Tarenberg, als originelle Reminiscenz an die Fuchshatzen der Urgroßmütter, weiß gepudert hatten.
Equipagen rollten herzu. Frau von Drach nebst Tochter und Gemahl, eingehüllt in kostbare Pelze, Präsident Gärtner, welcher seine reizende Frau im »roten Feld« bewundern wollte, die Oberjägermeisterin, und schließlich, als erstes Anzeichen des Hofes, Baronesse Zeutler und Frau Leutnant Gower.
Eine Schar neugieriger Zuschauer bildete dichtes Spalier längs der Waldlisiere, welche die Jagd, in gewisser Distance, beim Überschreiten der Eisenbahnlinie, passieren sollte.
»Wir sind komplett, ritterliches Holland!« meldete Graf Hechelberg dick und behaglich seiner Freundin Hofstraten, welche sich just mit etwas sehr energischer Manier in die starren Hände hauchte. Sie sah höchst spaßhaft in dem grellfarbigen Fräckchen aus, welches so prall um ihre üppige Figur gespannt war, daß es bei der geringsten Bewegung in allen Nähten ächzte; dazu die blaurote Färbung der Wangen, welchen die Nasenspitze leuchtendste Konkurrenz machte. Dem Apfelschimmel ging es wieder gut, er stampfte im Vollbewußtsein seines Wertes den Waldboden, genau so wuchtig wie zuvor, als Graf Hechelberg bei seinem ersten Anblick gottergeben die Hände gefaltet hatte:
»Die Frau Rittmeister und die Nudel! … macht zusammen 1500 Pfund! … Wo die über den Boden schweben, wächst kein Gras mehr!« – –
»Es bleibt also unwiderruflich bei Ihrem grausamen Entschluß, Gräfin, Sie halten Ihren Bruder gefangen?«
Excellenz Gärtner bog sich ein wenig vor im Sattel und flüsterte es Xenia zu, sie lächelte dabei unendlich liebenswürdig, aber auf dem Wort »gefangen« lag ein scharfer Nachdruck.
»Unwiderruflich, Excellenz! Warum mißgönnen Sie mir den kleinen, bescheidenen Triumph, einen Vogel, welcher doch sonst stets und ständig in Ihren Fesseln schmachtet, für einen kurzen Ausflug an dünnem Faden zu halten? Glauben Sie mir, er wird ihn so schnell wie möglich zerreißen, um zu Ihnen zurückzufliegen!«
Es lag eine ernste, milde Ruhe in dem ganzen Wesen Xenias; die Gereiztheit und Heftigkeit der letzten Tage waren verschwunden.
Janek Proczna drängte seinen Renner durch die verschiedenen Gruppen der Plaudernden und Equipagen, um reihum zu begrüßen. Er sah vortrefflich aus, nie war seine wundervolle Figur so auffallend zur Geltung gekommen, als in dieser knappen Jagdkleidung.
Fürstin Reussek hielt ihn längere Zeit neben ihrem schnaufenden Rappen auf, Gräfin Ettisbach und Tarenberg suchten ein paar Schmeicheleien über ihre »weißen« Häupter herauszulocken und Frau von Hofstraten gab ihm »ulanenlike« die Hand, wobei es ihr besondere Freude machte, unmenschlich bieder zuzudrücken! – »Können's den Mund halten, Proczna?!« – fragte sie und quetschte seine Finger, daß die Gelenke knackten. Das war ein ganz allerliebster kleiner Scherz, welcher selbstverständlich von dem Polen durch das Heinesche Citat: »Derweilen des Mundes Kuß mich beglückt, verwunden die Tatzen mich gräßlich!« eine durchaus zarte und poetische Wendung erhielt! – Die »Tatzen« irritierten das schneidige Holland auch nicht im mindesten.
Neben der Equipage der Baronesse Zeutler hielt Janek Proczna eine freiwillige und längere Rast, mit respektvollem und doch sehr herzlichem Gruß hieß er Frau Leutnant Gower im Dienste der Diana willkommen, wenn derselbe auch nur passiver Natur sei! Dann wandte er sein Roß und ritt an die Seite seiner Pflegeschwester zurück.
Excellenz Gärtner hielt ihn mit vorgestreckter Reitpeitsche auf. »Haben Sie mir denn gar nichts über den mißglückten Versuch zu erzählen, conte mio!?«
»Unendlich viel, aber nicht hier!«
»Wo sonst?«
»Im weichen Teppichgemache, wie ist es so traulich und warm, da harret meiner die Holde, ich fliege in ihren Arm – !« sang er leise, nur für die schöne Frau an seiner Seite verständlich.
»So kommen Sie!« – ihr Auge glühte auf.
»Sobald Sie mich rufen – rosa Papier, Excellenz, Sie kennen meine Vorliebe für rosa Papier!«
Mit einer halb ungeduldigen, halb schmollenden Gebärde warf sie den Kopf mit der zierlichen Jockeymütze in den Nacken, und Proczna ritt weiter, ohne im Laufe des Tages die mindeste Notiz wieder von ihr zu nehmen.
»Tyrann!« klang es ihm nur einmal beim Abreiten in das Ohr, als die Präsidentin ihren Rappen an ihm vorüberdrängte: er lächelte und zuckte die Achseln.
Frischer, hellaufjubelnder Hörnerklang schmetterte durch den Wald – der Fürstenruf, welcher Prinz August Ferdinand und die Equipage seiner Gemahlin auf dem Rendezvous-Platz begrüßte.
Fürst Reussek, Major Freiherr von Kroppen und Leutnant Gower bildeten die Suite des hohen Herrn, welchem der Landjägermeister bis zur ersten Schneise entgegengeritten war; Anna Regina fuhr in Begleitung der Gräfin Kany, einen köstlichen, zobelverbrämten Dolman um die Schultern geschlagen, und ein zartfarbenes Kapothütchen mit Federaigrette auf dem schlicht gescheitelten Haar. – Wie die grellgeputzte Madame Tulipane aus dem Märchenbuch saß die Hofdame an ihrer Seite, mit den enggeschlitzten Augen zwinkernd Umschau haltend, selbstbewußt und huldvoll, als gelte der freundliche Zuruf des Publikums ganz allein ihrem türkisch-roten Sammetumhang.
Kurzer Moment der Begrüßung – dann ritt der Oberjägermeister auf einen Wink Seiner Königlichen Hoheit zum Lancieren des zweijährigen Keilers, welchem ein zehn Minuten langer Vorsprung gewährt werden sollte.
Zur verbrochenen Fährte geführt, wurde unter Blasen der Jagd-an-Fanfare die achtzehn Koppeln starke Meute angelegt, und vorwärts ging es wie die wilde Jagd.
Ein lautes Hurra folgte der abgaloppierenden Gesellschaft, die Damen standen in den Wagen und winkten kurzen Gruß, dann sauste das Viergespann der Prinzessin, vom Sattel aus gelenkt, den Waldweg zurück, um an bestimmter Stelle, welche die Jagd passieren sollte, sich wieder aufzustellen.
Der Wind strich scharf durch die Lichtung und hob die goldigen Löckchen aus der Stirne Xenias, dicht an ihre Seite gedrängt sprengte Proczna, mit verstohlenem Blick die Reiterin überwachend, hie und da mit hastigem Griff in die Zügel fallend, wenn das Terrain zur Vorsicht mahnte.
Mit vollem Halse jagten die im vorzüglichen Training sich befindenden Hunde auf der Fährte des Keilers in den Wald hinein, in voller Pace das rote Feld ihnen nach.
Hei, wie das sauste, stampfte und schmetterte! Mit blitzendem Auge stürmte Xenia unter den rauschenden, tiefhängenden Tannenzweigen dahin, sich neigend, den schlagenden Ästen auszubiegen, oder sich hochatmend im Sattel hebend, wenn der Wald sich lichtete und die Jagd über Heide und Feld abbog.
Procznas Stirn war umwölkt, er sah besorgt ans.
»Nicht zu wild, Xenia!« bat er, mit festem Griff ihre Hand umschließend, »Sie kennen nicht die Gefahr. Reiten wir ein mäßigeres Tempo, ich denke, wir verzichten auf das Ausheben und finden unsere Befriedigung mehr in der köstlichen, frischdurchwehten Romantik eines solchen Jagens.«
Sie sah ihn mit flehendem Blick an.
»Nicht langsam, Janek, mir ist es zu Mut, als müßte ich mit dem Sturmwind um die Wette reiten! Planlos hinein in die Welt, ohne Gedanken an Gefahr und Hindernisse – was soll mir auch geschehen? – Sie sind ja bei mir!« – –
»Wohl mir, wenn ich Sie vor allem Unheil schützen könnte!«
Ein wundersames Aufleuchten ging durch ihr Ange.
»Vor vielem Herzeleid mögen Sie mich schützen können, Janek, vor dem größten nicht!«
»Und warum just vor diesem nicht?«
Sie bog den Kopf zurück und starrte einen Augenblick in den hochgewölbten blaugrauen Himmel empor.
»Weil Sie es mir bereiten werden!«
»Haben Sie nicht bemerkt, wie fern ich mich Ihrer schönen Feindin gehalten habe?«
Es lag ein weicher Klang in seiner Stimme.
Sie blickte ihn jäh an.
»Einzig um meinetwillen?«
»Nein und ja, wie man es nehmen will.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Der höchste Triumph der Freundschaft besteht in dem Glauben an einen Menschen, selbst dann, wenn sein Thun und Handeln unbegreiflich scheint!«
Ein fast müdes Lächeln irrte um ihre Lippen.
»Das Hoffen und Harren auf eines Rätsels Lösung ist so schwer!«
»Sie haben als Schwester ein gewisses Recht, Offenheit von mir zu verlangen, ebenso wie es in normalen Familienverhältnissen nur selbstverständlich wäre, wenn ich Ihnen eine Generalbeichte ablegen würde, ehe ›mein zärtliches Geheimnis schon der ganze Wald weiß‹ – soll ich – «
»Nein, Sie sollen nicht beichten! Ich kann meine Neugier zügeln und will nichts hören!«
Ihre Stimme klang herb und schroff, und zwischen den feinen Augenbogen senkte sich eine scharfe Falte, mit jähem Ruck riß sie ihr Pferd, welches Janeks Hand noch immer in mäßigerem Tempo hielt, auf die Seite.
»Vorwärts! wir sind zurückgeblieben wie zwei lahme Renner! Wollen wir uns auslachen lassen?«
Und wie in ungestümem Trotz ließ sie die Gerte auf den schlanken Hals ihres Rosses niederfallen, um im nächsten Augenblick, hoch aufgerichtet im Sattel, zwischen den kahlen Buchenstämmen dahinzusausen.
Janek hatte sie scharf beobachtet, er warf das schöne Haupt mit frischem, lachenden »Haliho!« in den Nacken, stach sein Roß an und folgte ihr.
»Atalanta! – Atalanta! Tochter Jasos, gedenke daran, daß eine Maid, welche sich vor die Pfeile des Jägers wagt, selber zum edlen Wild wird!«
»Vergessen Sie nicht, daß Diana mächtig genug ist, die Waffe, welche nach der weißen Hinde abgeschnellt wird, in das Herz des Schützen zurückfliegen zu lassen!«
»Wunderliche Jagd, wo ein Pfeil zur selben Zeit zwei Herzen trifft! – Amor bläst Halali!«
Sie antwortete nicht, vor ihnen durch den immer lichter werdenden Wald glitzerte die Fläche eines Sees.
Die Meute war immer länger auf der Fährte des Keilers geworden, welcher seine Flucht kurze Zeit am Wildgatter entlang, dann schräg durch den Habichtsforst auf die drei Seen zu genommen hatte.
Das Geläut der Hunde war kaum noch zu vernehmen gewesen, bald kam es wieder näher und näher in kurzem Bogen dem Seeufer zu.
»Rechts durch, Xenia! Wir schneiden ab!«
Ein Rudel Damwild brach knatternd aus dem buschigen Unterholz, in wilder Flucht über die schmale Schneise ziehend, der Keiler stürzte, gefolgt von den Hunden, in die klare, kräuselnde Flut, in scharfem Galopp folgte das rote Feld.
Wasserfanfarei … Weithin hallte und zog sie durch den stillen Wald; die Meute warf sich nach, den See hinter dem Keiler zu durchschwimmen, die Jagd sprengte in langem Zug um das Ufer.
»Reiten wir auf dieser Seite, Janek! Der Bogen ist kürzer und wir treffen direkt auf die Meute!«
Xenias Auge blitzte, ohne von seinen heftigen Gegenreden Notiz zu nehmen, stürmte sie in entgegengesetzter Richtung an das flache, schilfbewachsene Ufer hernieder.
Vorwärts in wilder Hast! Janek mußte folgen. Die Hufe klirrten auf dem hartgefrorenen, etwas morastigen Boden, dessen dünne Eisdecke unter den wuchtigen Schlägen hell aufsplitterte; das Schilf bog sich rauschend zur Seite oder brach wie Glas, wenn die flüchtigen Rosse darüber hinflogen, hie und da spritzte ein heller Wasserstrahl aus dem Moor empor.
»Mehr seitlich halten! nach dem Wald zu! Das Ufer ist sumpfig!« schrie Janek durch den Wind.
Xenia bog etwas ab; Geröll und hohe Baumwurzeln machten den Ritt auf dem abschüssigen Ufer geradezu lebensgefährlich.
»Stopp; – Wir sind auf miserablem Terrain! – langsam reiten!«
Aber Xenia hörte nicht.
Ein kühner Sprung auf den knirschenden, morastigen Boden, und Janek drängte sein laut aufschnaubendes Roß an ihre Seite.
Mit eisernem Griff fiel er ihr in die Zügel.
»Sie sollen langsam reiten, ich will es!« donnerte er mit gefurchter Stirn, »hier zu galoppieren ist kindischer Leichtsinn!«
Mit großen Augen starrte sie ihn an.
»Es ist wohl mein Sache, den Hals zu riskieren!«
»Nicht solange ich als Kavalier an Ihrer Seite reite! Ich bin verantwortlich für Sie. – Bleiben Sie zurück – ich nehme die Tete.«
Das war derselbe Blick, derselbe Ton wie damals unter den zerschlagenen Ästen des Apfelbäumchens; Xenias Hand zuckte auf, als fühle sie wieder den brennenden Schmerz des Peitschenschlags, welcher damals auf die eigensinnigen Finger herniedergesaust war. – Aber ihr Herz krampfte sich nicht in wildem Haß zusammen, wie vor Jahren, es zitterte nur leise in dem Gedanken an die stolze, männliche Kraft dieser Hand, welche ihr schäumendes Roß so eisern bemeisterte!
Schweigend senkte sie das Haupt und blieb gehorsam zurück.
Ein unmerkliches Beben ging durch die Züge Procznas, er ritt etliche Schritte weiter, dann wandte er das Haupt.
»Sind Sie mir böse, Xenia, daß ich ein so strenger Bruder bin?«
Sie blickte auf und lächelte.
»Sie haben viel Geduld mit mir!«
»Früher zürnten Sie, wenn meine Sorge für Sie in einer zu rauhen Schale steckte!« seine Stimme klang wieder weich, der Wind verwehte sie fast.
»Es ist vieles anders geworden seit damals!«
»Vorhin wiesen Sie mich sehr schroff zurück, warum das? – Verdiene ich es?«
Sie schüttelte fast heftig den Kopf.
»Es gibt ein altes Volkslied, das lautet:
Wer mag a Dirndl recht verstahn,
Dös treibet's wie April,
In anem Atem lacht's und woant's,
Woaß selbst net, was es will!«
Proczna hatte sein unruhiges Pferd durch ein Gewirr von Schlehdornen zu dirigieren, er antwortete nichts.
Der Keiler hatte plötzlich die Richtung geändert und nahm seinen Weg schräg durch die Bauernheide; das rote Feld bog am Ufer ab und folgte in scharfem Run dem Flüchtling, ferner und ferner verklang das Geläut der Hunde.
Die Sonne versteckte sich hinter Wolken, ein kalter Wind blies über den See.
»Wir werden die Zügel gewaltig schießen lassen müssen, wenn wir zum Ausheben recht kommen wollen!« rief Janek, mit kurzem Sprung über einen behauenen Baumstamm auf den Fahrweg sehend, welcher, quer durch den Wald führend, den See abgrenzte, »dort hinüber, in fünf Minuten haben wir die Jagd eingeholt!« Er parierte sein Roß und wartete auf Xenia.
»Hep!« – Der Rappe sprang unsicher, strauchelte und stürzte vorn zusammen; mit energischem Ruck riß ihn Gräfin Dynar empor, ruhig und gelassen.
»Nur vorwärts! vorwärts!« drängte sie mit höher gefärbten Wangen, »nehmen Sie keine Rücksicht auf mich ungeschickte Reiterin.«
»Halten Sie ein, Xenia! Schritt! ... Stopp!! … Merken Sie nicht, daß Ihr Pferd lahmt? – Es bricht in die Knie, sowie Sie forcieren!«
In jähem Schreck sank ihre Hand mit dem Zügel nieder, wie angewurzelt, an allen Gliedern zitternd, stand der Rappe.
»Reiten Sie allein, Janek, holen Sie mich später hier ab!« bat sie mit erbleichenden Lippen, »man hört die Hunde kaum noch anschlagen, ich bringe Sie ja um den interessantesten Moment der Jagd!«
Er war abgestiegen und untersuchte mit Kennerblick den verletzten Fuß; sein Haupt beugte sich tief hernieder.
»Das dürfte Ihre geringste Sorge sein, auf den Bruch am Hut will ich gern verzichten, wenn ich dadurch den Bruch von Knochen verhüten kann! Ah – voilà … hier sitzt der Schaden … ›Mylord‹ hat zu scharf in das Eis getreten und sich geschnitten, an der Fessel und Krone … scheint infolge des Fehltritts zu allem Überfluß noch das Gelenk verstaucht zu haben … sapristi! …«
Janek richtete sich empor und zuckte lächelnd die Achseln.
»Also mit verhängtem Zügel nach Hause! Wenn ich nur die geringste Idee hätte, wo wir hier sind, und nach welcher Richtung wir uns wenden müssen, wir sind vollständig kreuz und quer geritten, und der Wald sieht um die jetzige Zeit an einer Stelle aus, wie an der anderm!«
»Glauben Sie nicht, daß die Gesellschaft hierher zurückkommt?«
Proczna schüttelte den Kopf.
»Man sendet höchstens Kundschafter nach uns aus, und die werden uns sicherlich hier auf dem Fahrweg entgegenkommen. Meiner Ansicht nach muß die Stadt in jener Richtung liegen, eh bien, reiten wir langsam fürbaß.«
Er war wieder aufgesessen.
»Versuchen Sie, Xenia, reiten Sie an!«
Langsam ging es auf dem holprigen Wiesenweg vorwärts. Totenstill war es ringsum; der Lärm der Jagd war längst verklungen, still und silberglitzernd kräuselte der See im kalten Windhauch, die Tannen am Ufer ragten hoch und ernst empor, ein paar Krähen strichen krächzend über die kahlen Buchenwipfel, den Bussard annoncierend, welcher droben in der grauen Schneeluft kreiste.
Ein nie gekanntes Gefühl überkam Xenia.
Allein, ganz allein mit Janek Proczna in der tiefsten Waldeinsamkeit! Es war ihr zu Sinnen, als müsse sie die Arme öffnen und hinausjauchzen in Sturm und Wind, als müsse sie diesen Frieden in langen, durstigen Zügen trinken, und sich flehend an den ernsten, stolzen Mann zu ihrer Seite klammern.
»Bring' mich nicht zurück in das laute Getreibe der Stadt voller Herzeleid und Qual, laß uns hier bleiben in der Weltvergessenheit und vergib mir alles, alles, was ich gegen dich gefehlt!«
Das welke Laub tanzte vor ihnen her, wie in tiefen Gedanken folgte ihm Procznas Blick.
Keines von beiden sprach ein Wort.
Leise wirbelten die weißen Schneeflocken hernieder.
»Es fängt an zu schneien, frieren Sie, Xenia?«
Er schaute besorgt auf ihren so leichten Anzug, es war, als besänne er sich plötzlich erst des vollen Ernstes ihrer Situation.
Sie schüttelte heiter den Kopf, dennoch schlugen ihre Zähne zusammen.
»Ich bin sehr abgehärtet!«
Er hielt sein Pferd an.
»Lassen Sie uns ein Stück zu Fuß gehen, Sie erwärmen sich dabei!«
Mit starkem Arm hob er sie aus dem Sattel.
»Ich bin ganz erstarrt, lachen Sie mich nicht aus, wenn ich das Gehen erst lernen muß!«
Sein Blick streifte unruhig den Himmel, an welchem die Schneewolken dichter und dichter zusammenzogen.
»Geben Sie mir Ihren Arm und stützen Sie sich ungeniert auf, wozu nennt mich die Welt einen baumstarken Kerl!« versuchte er zu scherzen, »ich hoffe zuversichtlich, Sie bald unter Dach und Fach zu bringen, man wird selbstverständlich ein paar Hilfstruppen nach uns aussenden!«
Die verschlungenen Zügel der beiden Pferde in der Rechten, führte Proczna die junge Dame in allmählich schnellerem Schritt den Weg entlang, welcher bereits anfing sich weiß zu färben. Der See endete; junge Kiefern- und Tannenschonung säumte zu beiden Seiten den Weg.
»Wir haben mindestens noch zwei Stunden Tageslicht, Sie brauchen sich nicht zu ängstigen, Xenia!«
Sie lachte hell auf.
»Wenn Sie wüßten, Janek, wie kolossal viel Courage ich habe!«
»Riskieren Sie es, hier in der Wildnis einzuschneien?«
»Warum nicht? Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre: zu erfrieren! und wie ich gehört habe, ist just dies der schönste Tod, den man sich wünschen kann!«
»Sie denken gleich ans Sterben! Vorher gibt es ein Verloren- und Verlassensein, ein Irren kreuz und quer!«
Unwillkürlich schloß er dabei ihren Arm fester an sich.
»Besser mit den Füßen, als mit den Gedanken!«
»Verirren die sich bei Ihnen so leicht und so weit?!«
»Ich habe lange Jahre gebraucht, um sie überhaupt auf den rechten Weg zu bringen!«
»Und bleiben sie nun darauf, oder drohen sie hie und da noch einmal zu entgleisen?« er blickte lächelnd zu ihr nieder, Xenia aber schüttelte ernsthaft das reizende Haupt.
»Ich weiß jetzt, was ich will, und solch ein fester Wille ist das beste Steuer, welches man für sein Lebensschifflein finden kann.«
»Sie haben sich merkwürdig verändert, Xenia! Wem, gebührt die Ehre für dies Meisterstück? Hat die große Welt wirklich all die kleinen und großen Ecken abgeschliffen, welche mir so lange Jahre hindurch trotzig entgegenstarrten und jegliches Harmonieren zwischen uns unmöglich machten?«
»Die große Welt? Warum just die?«
Sie schien seiner Frage auszuweichen.
»Ich entsinne mich, vor Jahren aus Ihrem Munde ein gewisses Glaubensbekenntnis gehört zu haben. Sie behaupteten damals, nicht ohne die Anerkennung und Huldigung der Gesellschaft leben zu können; das höchste Glück erschien Ihnen eine hervorragende Stellung im Kreise Höchstgestellter, nun, und was unsere Seele vollkommen erfüllt, hat meiner Ansicht nach einzig die Macht, verändernd auf dieselbe einzuwirken!«
»Ich entsinne mich dieses Gesprächs. Sie zogen zu Felde gegen das Schmarotzertum der Hofkreise, und ich trat Ihrer Ansicht entgegen.«
»Sie kannten damals die Welt noch nicht; welch ein Urteil geben Sie jetzt darüber ab?«
Sie blickte erstaunt auf.
»Ich habe niemals böse Erfahrungen gemacht und lebe noch gern unter Menschen, welche nun doch einmal notwendig zu Glück und Leben sind.«
»Und Sie verlassen sich ganz auf diese Menschen, Sie glauben an die Treue aller derer, welche sie Ihnen täglich mit Wort und Handschlag versichern?« es lag plötzlich ein düsterer Schatten auf seinem Antlitz.
»Mit Ausnahme von Excellenz Gärtner, gewiß!«
Er schüttelte fast heftig das Haupt.
»So lange Ihr Herz noch an Flitterwerk hängt, wird es nie Verlangen nach echtem Gold tragen!«
»Wie wunderlich Sie reden, Janek! Wollen Sie mich glauben machen, alle Huldigung, Verehrung und Auszeichnung, welche die Welt Ihnen in den Schoß schüttet, zahlten Sie mit Pessimismus zurück?«
»Nichts von allem, was mir die Welt bis jetzt gab, habe ich für bare Münze genommen!«
»Können Sie dafür Beweise bringen?«
Sein Blick tauchte tief und lange in den ihren.
»Eher, als Sie glauben und ahnen mögen.«
Er sagte es langsam, mit eigentümlicher Betonung, dann fuhr er heiter fort:
»Sie haben die Polen niemals leiden mögen, Xenia, Sie sind noch immer meine politische Gegnerin?«
»Ich betrachte Sie vollkommen als Deutschen!«
»Das heißt sich und mich betrügen! Was nimmt Sie gegen meine Landsleute ein?«
Sie senkte den Kopf tiefer.
»Das polnische Blut ist mir zu rebellisch, eine deutsche Aristokratin kann nicht mit Kosyniers harmonieren!«
Das war noch der alte, kühle Stolz, welcher durch diese Worte klang.
Procznas Blick flammte auf, wie eine kühne, unerbittliche Herausforderung trotzte es auf seiner Stirn.
»Wissen Sie, daß es gewaltig in Polen gärt – daß mein unglückliches Vaterland nur auf den Blitz aus Gottes Himmel wartet, um die Fackel der Empörung daran zu entzünden?«
Wie in jäher Angst faßte sie seinen Arm, eine leidenschaftliche Warnung leuchtete aus ihrem Auge.
»Der Name auf dem Wappenschild des letzten der Dynars kann nicht gelöscht werden! Hans Stefan! Sie haben eine deutsche Schwester, zu deren Schutz Sie der strenge Wille eines Toten ruft!«
Der Wind strich brausend durch die hohen Tannen, es wirbelte und glitzerte in hellen Funken um sie her.
Janek neigte sich tief nieder zu Xenia.
» Polnisch Blut verleugnet sich nicht«, flüsterte er mit fascinierendem Blick. »Auch in Ihren Adern kreist ein Tropfen dieses Gifts, für welches es weder Hilfe noch Rettung gibt! Hans Stefan Dynar wird nur dann die Hand für Polens Freiheit heben, wenn seine deutsche Schwester ihm selber diese Hand dazu bewaffnen wird! Unbesorgt also! Das Wappenschild der Grafen Dynar steht in sicherer Hut!« – er lachte leise auf und fuhr in fast heiterem Tone fort: »Wie verschieden die Menschen und namentlich die Frauen doch beanlagt sind! Ich bin überzeugt, Xenia, Sie würden sich ohne jeglichen Kampf von dem Manne Ihrer Wahl lossagen, triebe ihn die Liebe zu seinem unglücklichen Vaterland in die Reihe der Kosyniers, und doch gibt es ein historisches Beispiel, wie die heiße, schrankenlose Liebe ein Weib aus dem feindlichen Lager in das Polenheer getrieben, an der Seite ihres Geliebten zu leben oder zu sterben!«
Die kleine Hand, welche auf seinem Arm lag, zitterte, vielleicht vor Kälte.
»Und welche von beiden Naturen scheint Ihnen die glücklichere?«
»Ich beneide jeden Sterblichen, welcher so über Maß und Ziel geliebt wird, daß alle Bande der Welt, welche sonst noch Macht über eines Menschen Herz besitzen, wie Spreu im Winde vor dem Sturm der Leidenschaft verwehen, nur das ist Glück, nur das allein!«
Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, dunkle Schatten fielen über den Weg, in den Zweigen brauste der Schneesturm.
»Sie frieren, Xenia! Sie zittern ja wie Espenlaub! Und ich habe keinen Mantel, Sie zu schützen!«
Sie antwortete nicht.
»Geben Sie einen Augenblick meinen Arm frei, stellen Sie sich hier dicht an ›Mylord‹ er deckt Sie ein wenig gegen den Wind!« und Proczna trat hastig auf die andere Seite zu seinem Roß, schnallte den Sattel ab und zog die kleine Unterlagdecke vom Rücken des Pferdes.
»Hier, schnell! Wickeln Sie sich ein! … Wie thöricht, daß mir der Gedanke nicht früher kam!«
Xenia schüttelte, ohne ihn anzusehen, das Haupt. »Die Pferde sind warm … Sie dürfen nicht …«
Eine Schneewolke wirbelte auf; Janek sprang zu, schloß die zitternde Gestalt in seine Arme und warf schützend die Decke über sie hin – sekundenlang ruhte Xenia wie betäubt an seiner Brust.
»Es kann nichts helfen, wir müssen vorwärtskommen! Ich nehme Sie vor mich in den Sattel und kopple Mylord an, ohne Last wird er schon galoppieren können! Not kennt kein Gebot, lassen Sie uns den Moment benutzen, wo sich der Wirbelwind gelegt hat!«
Xenia widersprach mit keiner Silbe, Janek sah trotz der Dämmerung, welche rapid zugenommen hatte, daß ihr Antlitz farblos war wie die Schneesternchen, welche es umtanzten.
»Vorwärts!« …
Gräfin Dynar zuckte empor.
»Ich höre Hufschlag!«
»Beim Himmel … er kommt näher … haliho!! …
»Haliho!« … »Man sucht uns!
»Gott sei Lob und Dank.«
Xenia klammerte sich an den Arm ihres Pflegebruders, mit großen, fast starren Augen blickte sie nach der Biegung des Weges, um welche zwei Piqueurs herzusprengten.
»Das war zur rechten Stunde! … Verbindlichsten; Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Hilfe, meine Herren! Wir haben Unglück mit dem Pferd gehabt, und es dürfte jetzt wohl unsere erste Sorge sein, meine Schwester unter Dach zu bringen! Zum nächsten Unterschlupf, meine Herren, gleichviel wo und wie!«
»Kaum zehn Minuten von hier steht ein Wildwärterhäuschen, Herr Graf!«
»Vortrefflich! so erreichen wir es zu Fuß! Ihren Arm, Xenia, in wenig Augenblicken sind Sie geborgen!«
Geborgen! wie ein Echo hallte es in ihrer Seele nach; was sollten ihr schützende Mauern und eine Decke zu Häupten? Als sie an seiner Brust ruhte und seine starken Arme sie umschlossen, da war sie geborgen gewesen, ob auch Sturm und Schnee sie umtobten! Und wenn der Wettergraus wilder Empörung durch die Fluren Polens braust … an wessen Herz wird sie sich dann flüchten? …
Ein Schauder rieselte durch ihre Glieder, aber die blassen Lippen lächelten.
»Kosynier! Kosynier!!« … brauste es im Wind wie ein gellender Jubelschrei durch die Lüfte.