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XVII.

He! Stopp! – Proczna, bremsen Sie mal!« –

Der Gerufene blieb auf dem schmalen Trottoir stehen und wendete das Haupt.

Quer über den sonnigen Marktplatz herüber klirrten Sporen, Fürst Heller-Hüningen raste im Sturmschritt daher, hob in bekannter Ungeniertheit die Hand und winkte zu gleicher Zeit mit einem umfangreichen Veilchenstrauß und dem sich noch zur Disposition befindlichen weißen Handschuh.

Sein ganzes Gesicht lachte; der Paletot mit dem breiten Pelzkragen flatterte, noch unzugeknöpft, um die schlanke Figur, und der Säbel, momentan schleppend, rasselte und tanzte wie in ungeheurer Lustigkeit neben den Lackstiefeln seines Herrn einher – es lag außerordentlich viel Aktion in der ganzen Erscheinung des jungen Offiziers.

Proczna grüßte ihm mit wahrhaft gönnerhaftem Wohlwollen entgegen, und Donat eröffnete bereits auf zwanzig Schritt Distance die Unterhaltung. –

»Heute gehen Sie mir nicht durch die Lappen! … und wenn mir auch Böses ahnt, wohin Sie wollen, bin ich doch perfid genug, mich für ein paar Augenblicke als Gedankenstrich auf Ihre Siegesbahn zu legen! – 'Morgen, Verehrtester!« –

Donat nahm mit Verve den tiefen Rinnstein und streckte alsdann Proczna die Hand entgegen. Alles blitzte, strahlte, lachte an ihm.

»Servus, Durchlaucht! – Sie sehen, daß ich bei Ihrem Anblick beinahe Wurzel schlage, und sprechen von durch die Lappen gehen?«

»Bezieht sich auf gestern abend! Alles auf gestern abend! Lassen Sie sich einen neuen Rücken in Ihren Frack einsetzen! Sie haben ihn so anhaltend meinen Blicken ausgesetzt, daß ich ihn ganz schäbig geguckt habe!«

»Der Vorwurf ist hart! – Ignorieren Sie völlig das Glas Sekt, welches ich bei Tafel bis zur Nagelprobe auf ihr spezielles Wohl trank?«

»Gott verhüt's! War sehr nett von Ihnen, Proczna, bin Ihnen auch ehrlich nachgekommen! Aber solcher Distanceverkehr kann mir ein für allemal aus der Satteltasche fallen! Ich brannte darauf, ein männerwürdiges Zwiegespräch mit Ihnen zu führen, so oft ich mich jedoch heranschlängelte, weiß der Kuckuck, wie's kam … ich konnte es zu keinem ›vergnügten Antritt‹ bringen!«

Fast schalkhaft zuckte es um Janeks Lippen, und doch sah er in hohem Grade überrascht aus.

»Was Sie sagen! Und davon habe ich zerstreuter Gesell auch keine Ahnung gehabt! – Welch ein doppeltes Glück, daß wir uns dafür heute desto früher am Tage treffen … es ist gewiß eine recht eilige oder wichtige Mitteilung, welche Sie mir zu machen haben!«

Donat zog die Oberlippe empor und schwenkte den Veilchenstrauß im Kreise.

»Selbstverständlich! Beides!« lachte er. »Wenn ich nicht außergewöhnliche Nerven hätte, würde mich die Sache sicherlich nicht haben schlafen lassen!«

Er trat noch einen Schritt näher, faßte sein Gegenüber bei einem der Knöpfe, welche den langen Gehmantel über der Brust zusammenhielt und rüttelte so energisch daran, als wolle er ihn zum Andenken an den »Unsterblichen« abdrehen. Dazu sah er Proczna mit dem treuherzigsten Blick in die Augen.

»Die Angelegenheit ist nämlich wieder ein Rosendorn, Proczna – Sie wissen wohl noch, einer von der Sorte, von welcher Sie mir damals vorschwärmten …«

»Rosendorn? … Ah … ganz recht, ich entsinne mich …«

»Na, Sie verstehen sich doch auf dergleichen, Verehrter« – Donat drehte immer eifrig an dem Knopf, welcher bereits in allen Zwirnfäden ächzte – »und können mir mal Ihre Meinung darüber sagen: Wie fanden Sie denn gestern abend die Frechheit von mir, zu Frau Gower zu gehen und ihr die Hand zu küssen? – Schneidig, was? – Haha! habe niemals spaßhaftere Physiognomien gesehen als wie in dem Moment! Die Gower ist nämlich eine ganz nette Frau, sogar leidlich hübsch, so daß man nicht einmal den ekligen Nebengedanken hat: ›der Handkuß schmeckt nach fremden Fingern!‹ – Das war also an und für sich keine Bravour, aber was die Sache kitzlich machte, das war das Verbot, welches die Excellenz Gärtner ausgehen ließ: ›daß alle Welt die Gower schneide!‹ – Habe bis jetzt mit den Wölfen geheult, weil es das bequemste war, immer dahin nachzutappen, wohin der Leithammel vorausging, aber gestern wurde ich eben mal selbständig, kolossal selbständig sogar – ich verblüffte die Welt und ging meinen eigenen Weg. Na, wie finden Sie das?«

Janek applaudierte.

»Klatschet bravo, liebe Freunde, ich habe meine Rolle gut gespielt!« recitierte er voll Pathos.

»Brillant! … hat Devrient oder Shakespeare mal gesagt! oder irgend so ein anderer großer Schauspieler, weiß schon! … Ja, Procznachen, ich kam mir selber wie ein Haupthecht vor, namentlich wie ich der Gower Elogen über die so famos gespielte ›Wagner-Arie‹ sagte, und wie der liebe Gott den Schaden besieht, war es eine Ballade von Löwe, die sie accompagniert hatte … hahaha! … infamer Klecks, den ich mir machte! Gott sei Dank hat's niemand gehört, und die Gower nahm es nicht übel … scharmante kleine Frau!«

Proczna schlug die Hände zusammen.

»O du ewige Kümmernis! Wir hatten das Programm im letzten Moment geändert. Daß Ihnen aber auch niemand vorher den Irrtum aufklärte!«

Donat zwirbelte höchst vergnüglich seinen blonden, zierlich gewellten Schnurrbart.

»Gefragt hatte ich ja vorher, aber leider Gottes die Unrechte! Bicky scheint genau so musikalisch zu sein wie ich, und sehen Sie, amico, das hat mir einen diabolischen Spaß gemacht, denn es ist ein riesig behagliches Gefühl, einem Menschen zu begegnen, der auch ein paar schwache Seiten hat! Ich korrigierte sie natürlich, wie ich nachher zu ihr zurückkam und machte es sehr glaubwürdig, daß mir der Irrtum zur rechten Zeit noch eingefallen wäre … haha! – Sie hätten mal die Augen sehen sollen! – Xenia würde den Schwindel natürlich sofort durchschaut und mir umgehend eine Abhandlung über klassische und moderne Musik zugesandt haben, aber Bickys reine Seele denkt an derartige Tücken nicht, – sie glaubte alles, faltete wahrhaft anbetend die kleinen Hände und sagte mit dem niedlichsten und naivsten Gesichtchen von der Welt: ›Bald fürchte ich mich vor Ihnen, Donat, Sie sind wirklich gar zu klug!‹«

Der junge Fürst bog sich vor Lachen.

»Ist das nicht ein Kapitalspaß, Proczna? – Dafür soll sie auch zur Belohnung dieses Grünfutter bekommen, bin eben auf dem Wege nach Villa Florian!«

»Aha – den Rosendorn wollten Sie mit Veilchen umwinden – – «

»Donnerwetter ja, Rosendorn! Sehr gut, daß Sie mich daran erinnern! Proczna« – Heller-Hüningen stellte sich in Positur, drehte wahrhaft herausfordernd den Schnurrbart und machte ein Gesicht, welches bis auf die schalkhaften Augen geradezu martialisch aussah – »eine Frage an das Schicksal! – Wenn eine junge Dame zu einem jungen Kavalier sagt: ›Sie sind ein Hasenfuß, ein Feigling, ich werde Sie mein ganzes Leben über hassen und höchstens noch Polka mit Ihnen tanzen … und Ihre Pferde wie die Ziegenböcke finden … und Sie selber so häßlich wie einen Menschenfresser und …‹«

»Halt ein in deinem Grimme!! – «

»Ist das denn ein Rosendorn, Proczna?! – «

»Gott sei's geklagt, sogar einer mit Widerhaken!«

»Und derartig stachlige Energie ist jetzt in Paris eine gefeierte Mode geworden? – «

»Und wie gefeiert, noch mehr en vogue wie rotes Haar und Jabots!«

»Danke Ihnen, Proczna! – Sie sprechen ein großes Wort gelassen aus … mögen es Ihnen alle lieben Musen vergelten! Au revoir!« und ehe Janek nur recht zur Besinnung kam, hatte ihm der junge Fürst voll Kraft und Herzlichkeit die Hand geschüttelt, salutierend an die Mütze gegriffen und säbelrasselnd Kehrt gemacht. Wie ein Echo klang sein lustiges Lachen noch einmal zurück, als er sich nach wenigen Schritten umwandte, mit dem Strauß übermütigen Gruß zu winken. –

 

Warm und dämmrig war es in Frau Leonies Boudoir. Die seidenen Vorhänge waren halb geschlossen, um den Sonnenstrahlen zu wehren, welche mitten im Winter sich lustig breit machten. Nur ein schmaler Goldstreif hatte sich durch die Spitzengewebe der Gardine und die dicken Quasten und Chenilletroddeln seinen Weg erzwungen und tanzte nun in grellen Funken über und um das reizende Haupt der Präsidentin, welche neben dem Klavier stand und ein Notenblatt in der Hand hielt.

Proczna hatte sie zum Gesang begleitet. Er ließ die Hände langsam von den Tasten sinken, lehnte sich in den Sessel zurück und blickte zu seiner Schülerin empor.

»Sie singen ja heute merkwürdig zerstreut, Excellenz«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »soviel ich mich entsinne, steht ein Doppelschlag auf ›leise‹ und ›hörst‹, und beidemale haben Sie gestreikt – darf ich einen Augenblick bitten?« –

Er griff nach den Noten und umschloß sekundenlang das Blatt und ihre schlanke Hand zugleich; dazu lachte er wie ein übermütiger Knabe, der sein Netz über einen Schmetterling wirft. – Leonie atmete kurz auf, preßte die Hände gegen die Schläfen und wandte sich ab, um sich brüsk in einen Fauteuil niederfallen zu lassen.

»Ich kann heute nicht singen! – Quälen Sie mich nicht, Proczna … mein Gott, ich weiß ja selber nicht, wo mir der Verstand geblieben ist!«

»Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer …« er erhob sich und trat an ihre Seite. »Die Geister, welche Sie riefen, werden Sie nicht mehr los, Excellenz! Ich bestehe auf dem beglückenden Recht, Ihr Lehrmeister zu sein, und werde Sie aus egoistischen Gründen mit den süßen Liedern quälen, wenn Sie auch noch so verzweifelt zu mir emporblicken! Musik ist der Schlüssel zum weiblichen Herzen, und nur ein Narr hält ihn in der Hand und macht keinen Gebrauch davon!«

»Sie sind ein Phantast, Proczna! Wer weiß, ob es der Mühe lohnt, in mein Herz zu schauen!«

Er neigte sich tiefer zu ihr hinab, es lag etwas Fascinierendes in seinem Blick.

»Ein jeder Mann ist eitel und um sein Bild im Herzen einer schönen Frau zu sehen, nimmt er es mit Himmel und Hölle auf!«

»Und wenn alle seine Mühe umsonst ist, und sich das betreffende Herz nicht als Spiegel erweist?«

Leonie sagte es sehr leise, die dunklen Spitzen über ihrer Brust wogten auf und die weiße Hand glitt wie tief erschöpft von der Sessellehne hernieder.

»Dann weiß ich nicht recht, wer mehr zu beklagen ist – er oder sie?!«

Excellenz Gärtner zuckte empor.

»Lassen wir die Antwort auf diese Frage offen! – Man sagt bereits in der ganzen Stadt, daß Sie mir die Cour machen.«

»Sie sehen, Excellenz, daß man mir die geistreichsten Einfälle zutraut!«

»Wollen wir einmal ein ernstes Wort darüber reden?«

»Nein! – Um alles nicht!«

»Nein?!«

»Was habe ich verbrochen, daß Sie mich zu einer halben Stunde Langeweile verurteilen wollen? Etwas Ernsthaftes ist stets ennuyant! – Außerdem ahnen Sie gar nicht, wie unglaublich komisch ich mich dabei ausnehme – ein Ritter von der traurigen Gestalt!«

» Eh bien, so lassen Sie uns nicht über das Feuer philosophieren, sondern damit spielen! – Warum machen Sie mir die Cour?«

Leonie nahm einen Fächer aus der Marmorschale, welche vor ihr auf dem Tische stand, entfaltete ihn und blinzelte neckisch über seinen goldgewirkten Rand zu dem schönen Mann an ihrer Seite auf.

»Warum?« –

Janek lachte leise auf, ließ sich dicht an ihrer Seite auf ein orientalisches Kissen nieder und zog ihre Hand an feine Lippen.

»Weil ich stets mit dem besten fürlieb nehme!« neckte er.

Ein leichter Fächerschlag war die Antwort.

»Wissen Sie auch, daß ein ritterlicher Anbeter nicht fahnenflüchtig werden darf?«

»Ich werde stets unter der ›Flagge der Liebe‹ kämpfen, Excellenz; habe ich Anlaß zu Zweifeln gegeben?«

»Ja! – Sie waren nahe daran, mich eifersüchtig zu machen!«

»Wohl mir!««

»Sie abscheulicher Mensch versprachen mir, Frau Gower gründlich zu blamieren, und statt dessen tragen Sie dazu bei, ihr geradezu einen Triumph zu bereiten!«

»Mein Gott, was kann ich denn dafür, Excellenz, daß die Frau so meisterhaft spielt! – Glauben Sie mir, eine Ballade von Löwe vom Blatte zu begleiten und dabei noch zu transponieren – das ist eine Leistung, die bei Gott ihresgleichen sucht!«

»Sie brannten ja auch lichterloh vor Begeisterung, und der Handkuß zum Schlusse …«

»Kunstenthusiasmus! – Nur wenn man viele Hände küßt, kann man ermessen, welche man am liebsten – längsten und .… heißesten küßt!«

Proczna hatte abermals die Rechte der Präsidentin mit vielsagendem Blick erfaßt – nach jedem der letzten Worte zog er sie an die Lippen.

Leonie lächelte.

»Heller-Hüningen und die kleine Beatrice machten auch einen recht eigenwilligen Strich durch die Rechnung und übten sich mehr wie nötig im Samariterdienst! Zuerst hatte ich faktisch den Verdacht, Sie hätten die beiden der angestiftet!«

»Ich? Wenn Sie mir die hohe Ehre angedeihen ließen, mich zu beobachten, so werden Sie bemerkt haben, daß ich den ganzen Abend kein Wort mit diesen beiden gewechselt habe! Und …« Proczna stützte sich auf die Armlehne und blickte mit einem Gemisch von Schalk und kecker Herausforderung zu der schönen Frau empor, »na, Excellenz – was würden Sie denn thun, wenn ich wirklich der Gower ein paar Verehrer gewonnen hätte?«

Leonie griff scherzend nach seinem Ohr.

»Ich hätte mich gerächt, Sie Bösewicht! Hätte Ihnen die ganze Existenz untergraben! Zu einer Hyäne wäre ich geworden, welche Ihren guten Namen und Ihre Position bei Hofe erbarmungslos zerfleischt hätte!«

»Glauben Sie, reizende Nemesis, denn wirklich, daß Sie so allmächtig sind?« –

Die Präsidentin zuckte geheimnisvoll die Achseln, wie verzaubert hing ihr Blick an dem Antlitz des Sprechers, welcher langsam den schwarzen Schnurrbart strich und die ganze Macht seines Auges an ihr zu erproben schien.

»Wissen Sie nicht, daß sich die abergläubischen Seelen hier ins Ohr flüstern, ich besäße jene zauberkräftige Springwurz, welche unbeschränkte Gewalt über Menschenherzen verleiht?«

»Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Aber ist damit gesagt, daß Sie dadurch mächtiger sind wie ich?«

Leonie lachte leise auf und legte halb zärtlich, halb bedauerlich die Hand auf seinen dunklen Lockenkopf.

»O, Sie allerliebste kleine Einfalt, Sie!«

»Nicht vor der Zeit mitleidig werden, meine süße Herrin! – So viel mir bekannt ist, vermag ein jedes Sonntagskind die Zauberwurzel zu graben, und wer ein klein wenig Glück und Geist besitzt, erwischt just die, welche den Schlüssel zu Anna Reginas Herz birgt! Unterschätzen Sie mich nicht, Excellenz, im Leben eines Sängers passieren mehr Dinge, als Ihre Schulweisheit sich träumen läßt!«

»Köstlich! … Sie sind unglaublich amüsant, Proczna! Ich möchte darauf schwören, daß Sie ein Sonntagskind sind, wenn mir auch jeglicher Beweis dafür fehlt.«

»Und wenn ich ihn liefere?«

»Ah?«

Janek neigte sich noch näher zu ihr hin – ein seltsames Sprühen und Flackern ging durch sein Auge, er lächelte fast ironisch.

»Sie spielen vielleicht der ganzen Welt gegenüber eine brillante Komödie, Excellenz, nur mir gegenüber nicht, ich schaue hinter die Coulissen und weiß, wie die Rollen verteilt sind! Soll ich Ihnen die Zauberformel sagen, welche dem Lustspiel den Titel und der Springwurz ihre Kraft verleiht? › Don Carlos‹, Excellenz … Don Carlos ist die Formel, welche jegliches Geheimnis erschließt!«

Ein leiser Aufschrei klang von den Lippen der Präsidentin, sie schrak aus ihrer lässigen Haltung auf und legte unwillkürlich die Hand auf die Lippen Janek Procznas. Dann sank ihr Arm wieder hernieder, mit großen Augen, starr vor Staunen, wiederholte sie mechanisch:

»Don Carlos … was wissen Sie von Don Carlos?«

Der Pflegesohn des Grafen Dynar zuckte gleichmütig die Achseln.

»Vielleicht genau so viel wie Siel …«

»Unmöglich … Sie waren ja gar nicht in London – «

Leonie biß sich auf die Lippe und sah ihn durchdringend an.

»Wäre auch höchst überflüssig gewesen!« er lachte leise auf, auch sein Blick streifte vorsichtig prüfend die Gegnerin. »Es gibt viele Wege, die nach Rom führen, und man kann sich überall begegnen … haha! Sie wollen mir wohl auf den Zahn fühlen? …«

»Rom … ich verstehe …« Frau von Gärtner atmete tief und beklommen auf, »Sie scheinen in der That unterrichtet … mein Gott, welch ein merkwürdiger Zufall … kennen Sie ihn denn wahrlich?«

»Zweifeln Sie noch? – Wenn man freiwillig hierher in dieses Sibirien kommt, Excellenz, so muß das doch wohl triftige Nebengründe haben!«

»Reden Sie – ich beschwöre Sie! – eine Bestellung für die Prinzessin? – Unmöglich … sie hat ja jegliche Beziehungen abgebrochen …«

»Beziehungen?« – Proczna wiederholte es langsam, mit eigentümlicher Betonung, sein Blick senkte sich durchdringend in das Auge seines schönen Gegenübers, »was verstehen Sie darunter? Kein Wort umfaßt weitere und verschiedenere Begriffe als just dieses!«

Lebhafte Röte brannte auf Leonies Wangen.

»Wenn Sie in der That Carlos' Freund sind und sein Vertrauen genießen, beantworten Sie sich diese Frage wohl selbst!« antwortete sie hastig flüsternd, »ich bitte Sie dringend, ich flehe Sie an, sagen Sie mir, welch eine Mission Sie herführt, ist der Mensch wirklich rasend genug …« sie unterbrach sich kurz. »Wo sahen Sie ihn zuletzt?«

»Wen?«

»Nun … Mon Dieu … Carlo!«

»Welchen Carlo?«

Frau von Gärtner blickte ihn an.

»Ich kenne nur einen!«

Ein feines Lächeln spielte um Janeks Lippen.

»Ganz mein Fall – auch ich besitze nur einen Freund dieses Namens, und mit dem hat es eine besondere Bewandtnis; er ist hier und da etwas menschenscheu und hat mich dringend ersucht, hier in dieser Stadt und namentlich in der Hofgesellschaft seinen Namen nie zu nennen, es müsse denn gerade ein einziger Frauenmund ihn fragend in mein Ohr flüstern, dem dürfte ich Echo sein!«

»Und wenn meine Lippen diese Parole aussprechen?«

»So würde es eine Art freimaurerisches Erkennungszeichen für mich sein, daß ich eine Alliirte vor mir habe!«

Procznas Antlitz war ruhig, wie aus Stein gemeißelt, keine Miene oder Geste verriet irgend welche Erregung, und seine Hand drehte in nervösem, aber unmerklichem Spiel die seidene Sesselquaste. Er erhob sich und blickte fragend zu der schönen Frau herab.

Leises Aufkichern erklang, Leonie richtete ihre geschmeidige Gestalt halb auf in den Atlaspolstern und blickte ihn sekundenlang mit schillernden Augen an.

»Sehr diplomatisch, mon ami – Sie machen Ihrem Freunde alle Ehre und würden vortrefflich an seine Seite passen, das Auswärtige Amt braucht vorsichtige, umsichtige und scharfsichtige Abgesandte! – Glauben Sie leichte Arbeit bei mir zu haben? – Wir gleichen zwei Spielern, welche sich gern in die Karten sehen möchten, welche beide zu Gunsten einer dritten Person das Hazard wagen, genau an demselben Strange ziehen und sich doch mit mißtrauischen Augen betrachten! Eh bien – wer spielt aus?!«

Proczna lächelte. »Der Beginnende ist stets im Vorteil; selbst Krieg und Würfelspiel heben mir gegenüber die Gesetze der Courtoisie nicht auf!«

»Glatt wie ein Aal! Man muß Salz in die Hand nehmen, wenn man Sie fassen will! Meiner Ansicht nach ist es die erste Pflicht eines Kavaliers, stets der Dame Avancen zu machen!«

»Ich beuge huldigend das Knie vor meiner klugen und schönen Herrin, und mache es ihr unendlich bequem, mir als Gegenbeweis ihrer Huld ein vertrauliches Wörtchen ins Ohr zu flüstern!«

Der Sprecher ließ dem Worte die That folgen und blickte mehr kühn wie anbetend zu der Gemahlin des Präsidenten empor. Leonie legte die Hand gegen die Stirn, als blende sie die heiße, verführerische und doch so rätselhafte Glut dieses dunklen Auges, dann schlug sie wie ein schmollendes Kind mit dein Fächer leicht gegen seine Wange.

»Sie rühmen sich aller ritterlichen Tugenden und sind dabei der eleganteste Mensch von der Welt! Nicht um Haaresbreite rücken Sie aus Ihrer gedeckten Position, mir den Sieg wenigstens pro forma in die Hand zu spielen! Lassen Sie uns einen Vertrag schließen – gerecht und billig. – Sagen Sie mir zu Ihrer Legitimation den vollen Namen Carlos und will Ihnen offen und rückhaltlos jedes kleinste Detail erzählen, welches mich, mehr wie Sie vielleicht ahnen, in die Angelegenheit verwickelt!«

Er lachte leise auf, erhob sich jäh und warf sich in einen Sessel.

»O Widerspruch, dein Name ist Weib!« schüttelte er das Haupt. »Soeben nennen Sie mich diplomatisch und verlangen in der nächsten Minute, daß ich den gröbsten Verstoß gegen die Grundregel jeglichen Disputs begehen soll! Wer sagt Ihnen denn, daß ich nicht bereits ganz genau von allem unterrichtet bin, was Sie mir als Gegenleistung anvertrauen wollen? Wenn man einen Boten hinaus in das feindliche Lager schickt, so gibt man ihm vor allen Dingen den genauen Plan des Terrains mit, geistige und verkörperte Waffen, und namentlich die Adressen guter Freunde, mit welchen er sich eventuell verbinden soll! Trauen Sie dem Diplomaten Carlo den Leichtsinn zu, anders zu handeln? Ich stehe als sein Abgesandter vor Ihnen!«

Eine fieberhafte Aufregung bemächtigte sich Leonies.

Sie neigte sich zu Proczna herüber und legte die Hand auf seinen Arm.

»Genug des Hin und Her! Ich bezweifle nicht länger, daß Sie in der That von den Beziehungen Anna Reginas zu dem Legationsrat wissen. Herunter mit der Maske! Ich bin bereit, rückhaltlos über alles mit Ihnen zu reden und reiche Ihnen die Hand als meinem Verbündeten! – D'accord

Er neigte sich tief über ihre Hand und küßte sie.

» For ever – !«

Ein Aufblitzen ging durch sein Auge, er hielt ihre Hand fest in der seinen, als gälte es einen Vogel, welchen man mit Mühe erhascht, sicher zu fassen und zu fesseln, ehe er mit glattem Gefieder wieder durch die Finger schlüpft!

Frau von Gärtner zog die kleine samtweiche Rechte nicht zurück, es waren süße, magische Bande, welche all ihre Sinne umstrickt hatten, von jäher Blindheit geschlagen, flatterte der Falk in die Fänge des Adlers.

»Ihr Freund ist der Legationsrat, Marchese de la Branca?«

Janek machte eine Bewegung mit dem Kopf, welche ebenso gut »ja« wie »nein« heißen konnte, Leonie aber fuhr hastig fort: » C'est ça. – Liebt er die Prinzessin noch immer?«

»Wer Anna Regina zum Inbegriff seines Lebens gemacht hat, wird niemals von dieser Liebe lassen!«

»Seltsamer Phantast, trotzdem die ängstliche Hoheit ihn sozusagen nur mit ›Eisbaisers‹ regaliert hat! Sie wissen, daß ich die ganze Angelegenheit in die Hand genommen hatte?«

»Selbstverständlich! – Branca verwies mich an Sie, Details erzählt er ungern, er malt nur mit vollem Pinsel und großen Strichen, dem Bild die charakteristischen Lichter aufzusetzen, überließ er Ihrer geschickten, energischen und reizenden kleinen Hand!«

»Schmeichler! – Hat er Ihnen wenigstens die Vorgeschichte genauer erzählt? Anna Regina behauptet natürlich, daß sie den schönen Marchese nur in mädchenhafter Schwärmerei hie und da einmal bevorzugt, und vielleicht öfter wie nötig den Cotillon mit ihm getanzt habe! Selbstverständlich ein gefundenes Fressen für die Klatschbasen ihrer heimatlichen Residenz, welche die kleine Prinzessin schon vollständig mit dem Legationsrat verheiratet hatten! Wissen Sie durch Carlo vielleicht, ob es thatsächlich nie zu einer heimlichen Aussprache zwischen beiden gekommen ist?«

Leonies Augen funkelten, und die weichen, ringgepanzerten Finger, welche sich fester um Janeks Rechte schlossen, glichen ein paar scharfen Krallen, welche sich raublustig nach einem Opfer streckten.

»Ich bitte Sie um alles in der Welt, Excellenz, vergessen Sie nicht, daß wir das platonische Deutschland als ›Ort der Handlung‹ verzeichnen!! Der arme Carlo schmachtete wie der Fichtenbaum nach seiner fernen Palme, ›Blickchen hin und Blick herüber‹ voilà tout! Anna Regina gestattete ihm nicht den Druck einer Fingerspitze, und Branca war Schwärmer genug, sich nur ein Heiligenbild im Herzen aufzustellen, welches die Züge Anna Reginas trug!«

Frau von Gärtner zuckte halb enttäuscht, halb spöttisch die Achseln.

»Welch ein weißer Rabe unter all seinen kohlrabenschwarzen Kameraden! Für gewöhnlich opfern die Anbeter auf einem anderen Altar, und offen gestanden, liebe ich mehr die Flammen, die brennen, als die, welche nur gleich einem ewigen Lämpchen leuchten! Wenn aber die ganze Courmacherei wirklich nur auf eine Sentimentalitätsanwandlung hinausläuft, warum brauchte dann August Ferdinand so eifersüchtig zu sein?«

»Weil er bekannterweise mit seiner ersten Braut traurige Erfahrungen gemacht hatte, und die Welt es liebt, aus der Mücke einen Elefanten zu machen. Aber Sie wollten von den Tagen erzählen, welche Sie zur lady patroness dieses lyrischen Paares gemacht!«

Leonie nickte gedankenvoll.

»Vor einem Jahre war Branca hier. Anna Regina hatte sich von vornherein sehr an mich attachiert, und Hilfe und Rat erbeten, sich hier in die fremden Verhältnisse einzuleben. Eines Abends flüstert sie mir leichenblaß vor Aufregung zu, sie müsse mich morgen ganz ungestört sprechen. Ich fuhr zu außergewöhnlicher Stunde bei ihr vor, wurde in kurzem Tete-a-tete zur Intima erhoben und erfuhr, daß Anna Regina ein Schreiben von dem Marchese erhalten habe, in welchem er seinen Besuch für den zweitfolgenden Tag anmeldete, um Hoheit allerunterthänigst zu ersuchen, ihm ein Empfehlungsschreiben an eine betreffende Persönlichkeit des Xer Hofes zu bewilligen, wohin er als Legationsrat versetzt sei. – Die Prinzessin zitterte vor Aufregung, da sich just zuvor eine kleine Eifersuchtsscene zwischen ihr und August Ferdinand abgespielt hatte; sie beschwor mich, dem Branca unter meinem Namen sofort abzutelegraphieren!«

Frau von Gärtner unterbrach sich und lachte scharf auf.

»Die ganze Sache war unglaublich harmlos, bester Proczna, und wäre Anna Regina nicht gar zu – – naiv kindlich gewesen, sie hätte jedes Kompromittierende sofort niedergeschlagen, wenn sie das Bittgesuch des Marchese ihrem Manne überreicht hätte! Aber sie hatte völlig den Kopf verloren – und ich … mon Dieu … ich war auch konsterniert und fassungslos … hätte ich mir die Sache damals so ruhig überlegt wie heute, so hätte ich natürlich den ebenerwähnten Rat gegeben, aber wie gesagt … ich kam auch auf einen recht verkehrten und romanhaften Gedanken, und stimmte der Prinzessin in übergroßer Ängstlichkeit bei, die ganze Sache geheim zu halten. Ich hatte Mitleid mit ihr, ich glaubte, es sei eine unglückliche Liebe im Spiel, und anstatt abzutelegraphieren, lud ich Branca unter einem Inkognito hierher ein, und überraschte Anna Regina zwei Tage darauf mit dem lakonischen Zettelchen:

,Carlo ist hier bei mir, fleht um ein paar Minuten Gehör, ich bürge für vollste Sicherheit und Diskretion!‹

Natürlich antwortete die kleine Frau umgehend in einem Billet, welches stark nach einem Rendezvous ausschaute, und kam eine Stunde später, halb tot vor Angst und Aufregung hier an.«

Ein unaussprechlicher Ausdruck lag auf Leonies Zügen, ein grausamer Triumph der Überlegenheit und der List!

»Und die Unterredung fand in Ihrem Beisein statt?«

Die Präsidentin lachte laut auf.

Nein, Proczna, so indiskret bin ich nicht! Anna Regina litt allerdings nicht, daß ich das Zimmer verließ, aber ich trat in die Fensternische und zählte die hellen Scheiben am Marktplatz! Andern Tags citierte ich die Prinzessin noch einmal zu mir, persönlich ihr Schreiben für Branca zu bringen, ich hoffte beiden einen Gefallen zu thun … aber faktisch, Proczna – ich hätte ruhig dabei sitzen bleiben können, denn so etwas Langweiliges und Solides wie die Unterhaltung dieser beiden Liebenden habe ich selbst in ›Hannchen und die Küchlein‹ nicht gelesen! Und dabei ist der Marchese ein bildhübscher, kleiner Schlingel … erst als die Hoheit sich mit feuchtem Blick und einem gnädig gewährten Handkuß zurückgezogen hatte, merkte ich, was er für gefährliche Augen hat, da taute er überhaupt erst auf, als ich ihm die Sentimentalität ein wenig von der Seele scherzte!«

»Für die Vergangenheit kann ich Sie nicht verantwortlich machen, Sie Zauberin!« lächelte Proczna mit tiefem Blick. »Aber in Zukunft werde ich meinen lieben Freund doch ein wenig entfernt von hier halten! Glücklicher Branca! Ich bin doch auch sentimental, Excellenz, warum sind Sie allein mir gegenüber so mitleidlos, die Schatten nicht hinwegzuscherzen?«

Leonie neigte das Köpfchen kokett zur Seite:

»Weil es diesmal … Ernst ist!«

»Warum laden Sie mich nicht einmal inkognito ein?«

Sie biß sich auf die Lippe und wandte sich beleidigt ab.

»Sie haben mir jetzt etwas weis gemacht: ich bin sehr eitel, meine Augen sind genau so schön wie die des Legationsrats …«

Sie blickte ihn schnell an.

»Genau so schön! – Wie bescheiden!«

»Und was ihm recht ist, ist mir billig … ich bestehe auf mein Recht!«

»Wie wollen Sie denn das anfangen, mon petit fanfaron?!«

»Mokieren Sie sich nur! Ich beweise es!«

»Und wodurch, wenn man fragen darf – ?«

Er neigte sich noch näher zu ihr hin, sein Auge lachte, und doch blitzten grelle Funken darin.

»Indem ich nicht eher wieder zum Musizieren zu Ihnen komme, bis Sie mich ebenso ›inkognito‹ und ebenso ›rosa‹ einladen wie den Marchese!«

»Thatsache? – Muß man so höflich sein, das zu glauben?«

»Mein Wort!«

Sie warf den Kopf zurück und lachte etwas krampfhaft auf.

Im Nebenzimmer klangen Schritte, ein Diener fragte an, ob Seine Excellenz dem Gesange ein wenig lauschen dürfe?

»Selbstverständlich!«

»Also bitte zu den Noten zurück, meine Gnädigste!«

Leonie erhob sich langsam.

»Wir waren von unserem Thema abgekommen, Proczna – bis wir es wieder aufnehmen – – ich meine die Angelegenheit Anna Reginas! – ich kann mich doch auf Sie verlassen?« und sie legte bedeutsam den Finger auf den Mund, trat dicht neben ihn und blickte schwärmerisch zu ihm auf: »Es gibt kein festeres Band, zwei Menschenseelen aneinanderzuketten als ein gemeinsames Geheimnis, darum machte ich Sie zu meinem Vertrauten!«

Janek neigte sich tief über ihre Hand, es war unmöglich, die Wirkung dieser Worte auf seinem Antlitz zu lesen. – –



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