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Fürstin Reussek brach bereits eine halbe Stunde vor der bestimmten Zeit auf. Die Damen ihres Kreises schlossen sich ihr selbstverständlich an.
Frau von Hofstraten hatte just dem »Krullkopp von de Infanterie«, welcher ganz besonders Glück bei ihr gemacht zu haben schien, den großen Sonnenorden auf die Brust geheftet mit der lakonischen Bemerkung: »Der Stern hier steht sin Mann! der is ein Junges von dem zackige Gestarnte der Heilige drei König aut het osten! Wann he sin Zeit erfüllt hat, könn Se ihn als Ofenschirm aufhandeln!«
Der Krullkopp schwur einen Meineid, sich nie wieder von diesem kostbaren Souvenir zu trennen, was ihm ein höchst wohlwollendes »olle Slechtschwätzer!« und einen Fächerklaps gegen den Arm eintrug. Die Frau Rittmeister hatte frisch, frei und fröhlich die sämtlichen fremden Tänzer durchgetanzt, und mit den dazu gehörigen Damen »een Babbel gehalten« – und schied endlich mit Hinterlassung größter und aufrichtigster Sympathien.
»Hechelberg, kommens 'mal rann, aber trapp!«
Der wohlgenährte Intimus wuchtete behaglich herzu:
»Unmöglich, ma donna! Ich bin nicht beritten!«
»Klabastern Se 'mal achter min Mann drein, he soll mir mein Schabrack hier ins voorvertrek besorgen!«
»Ich fliege!«
Frau von Hofstraten schnitt eine bedauernde Grimasse:
»Netter Engel! de Wolken krachen durch, wenn he sik opswingen wollt!!«
Flandern hatte sich seinen Paletot ebenfalls in das Vorzimmer geholt. Er dehnte die Arme mit einem blasierten und rücksichtslosen Aufgähnen.
»Das war 'mal wieder ein Vergnügen!!«
»Glauben Sie etwa für uns, Herr von Flandern?«
Der Gefragte fuhr herum, hinter ihm stand Frau Leutnant Gower, welche Frau von Hofstraten den vergessenen Fächer nachgetragen hatte, ihr Auge ruhte groß und brennend auf den scharfen Zügen des jungen Offiziers. Flandern murmelte unter mehreren Verneigungen ein paar unverständliche Worte, die Frau Rittmeister aber sagte in ihrer drastischen Weise:
»Recht so, liebe Gower, geben's ihm wat Festes auf'n Snabel! Die jungen Leut heutzutage habe' kein Geschmack mehr, ich für mein Teil hab' mich heerlijk auf ihre Danspartie amüsiert!«
Excellenz Gärtner hatte sehr gezögert; als die meisten Equipagen bereits abgefahren waren, huschte sie eilig, wie eine schleierverhüllte Schattengestalt, die Treppe hinab nach ihrem Wagen.
Der Diener riß den Schlag auf, sie stieg hastig ein – erschrocken – fast zurücktaumelnd, der Wagen war leer.
Proczna hatte sich vor ihren Augen im Korridor verabschiedet und war gegangen. Warum erwartete er sie nicht hier, der Verabredung gemäß? – Vielleicht war es ihm durch irgend welche Vorkommnisse unmöglich gemacht. Wie betäubt sank sie in die schwellenden Kissen zurück, die Pferde griffen aus und stürmten davon.
Als die Präsidentin ausstieg, die Treppe zu ihrer Hausthür emporzuschreiten, trat die hohe Gestalt Procznas aus dem Schatten der Pfeiler neben sie. –
»Pardon, Excellenz, darf ich für einen kurzen Augenblick noch um Gehör bitten? Eine Angelegenheit von dringendster Wichtigkeit.«
»Proczna, Sie noch hier?!« klang es ihm fast atemlos entgegen, »selbstverständlich empfange ich Sie noch, wenn auch zu recht ungewohnter Stunde! – Leuchten Sie vorauf, James, und stecken Sie in meinem Zimmer die Krone an!«
Berauschend süßer Duft wehte durch das kleine Boudoir. Gedämpftes Licht floß wie Mondschein mehr verschleiernd, wie erhebend, durch die breiten Fächerblätter, welche sich geheimnisvoll schützend über dem Diwan wölbten; mit lockend ausgebreiteten Armen schwebten die rosigen Körperchen der Amoretten auf Wandkonsolen und Etageren, und inmitten der schwülen, zauberhaften Stille stand Leonie, umschimmert von Seide und Blüten, bestrickend schön wie die Melusine, welche mit schneeweißem Nacken und Arm aus Wellenschaum, aus Schilf und Lilien steigt. Und sie breitete die Arme aus, lächelnd, voll glühender Sehnsucht –
»Janek!«
Regungslos stand er ihr gegenüber, mit finsterem Blick hob er das Haupt.
»Wozu solch eine Komödie, Excellenz, ich bin nicht der Mann, welchem ein jeder Ihrer Atemzüge gehört, ich bin nicht Herr von Flandern, welcher früher wie ich diese schönen Lippen küßte!«
Ihre Arme sanken hernieder wie gelähmt.
»Was reden Sie für wirre Dinge, Proczna – was hat Herr von Flandern mit diesem Augenblick zu thun?!«
»Wissen Sie es wahrlich nicht?!«
Janek kreuzte die Arme über der Brust und sah ihr mit durchdringendem Blick in das Auge.
»Die Wände haben manchmal Ohren und belauschen die Worte schöner Weiber, welche dem einen Anbeter glühende Liebe und Treue schwören und dabei für den andern eine Einladung zum Rendezvous auf die Tanzkarte schreiben!«
Die Wangen Leonies waren allzusehr durch die Kunst maskiert, sie konnten sich nicht entfärben, aber die Lippen zitterten und der Blick wurde starr und glanzlos.
»Eine Verleumdung … eine empörende, nichtswürdige Verleumdung … Flandern ist eifersüchtig und greift zu den erbärmlichsten Mitteln, uns zu entzweien! Proczna!«
Leonie warf sich leidenschaftlich an seine Brust und streckte die blendenden Arme um seinen Nacken.
»Glaube an mich, sieh in meine Augen und traue ihnen mehr, als den neidischen Einflüsterungen fremder Zungen! Dich liebe ich, du hast meine Seele zu eigen genommen.«
Er riß sich fast ungestüm von ihr los und schleuderte verächtlich die Hand zurück, welche die seine umklammerte:
»Wollten Sie das dem Herrn von Flandern vielleicht mitteilen, wenn Sie ihn in dem geschlossenen Wagen auf dem ›bekannten Weg‹ erwarten?«
Sie zuckte zusammen, wild ausfahrend wie eine gereizte Löwin.
»Welch eine Beleidigung, Proczna! Wie wagen Sie es, ein wehrloses Weib so unaussprechlich zu kränken!«
Gelassen öffnete er sein Portefeuille und hielt ihr den Papierstreifen Flanderns entgegen.
»Sie sollten doch wissen, Excellenz, wie fatal solch ein paar Zeilen werden können! Es war wirklich recht viel Pech, daß gerade mir ein Zufall dieses Blättlein in die Finger spielen mußte!«
Leonie hatte sich mit zornblitzendem Auge geneigt, die Worte zu lesen, wie von einem Schlag getroffen prallte sie zurück und schlug die Hände vor das Antlitz.
»Unerhörter, schändlicher Verrat!« rang es sich zischend von ihren Lippen, sie wankte gegen den Diwan, warf sich darauf nieder und preßte das Antlitz aufschluchzend in die seidenen Kissen.
Proczna trat neben sie.
»Sie irren sich, Excellenz, wenn Sie Verrat im Spiel glauben, es müßte denn der sein, welchen Sie selber an sich und Ihrem bedauernswerten Gatten begingen, als Sie sich leichtsinnig einem Mann in die Arme warfen, für dessen Charakter Sie keinerlei Garantien hatten. Welch wunderliche Verirrung Ihres scharfen, despotischen Geistes, dessen Element es war, Schlingen zu legen und Netze zu weben und der sich nun in dem nämlichen Garn fängt, welches ihm zum Gängelbande anderer gedient hat!« –
Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, Leonie regte sich nicht.
»Zum letztenmal stehe ich Ihnen heute gegenüber, Excellenz«, fuhr Janek milder und leiser fort, »zum letztenmal wenigstens, wo es mir möglich ist, offen und rückhaltslos zu Ihnen zu sprechen.«
Sie schrak empor, weit offen, thränenlos starrten ihn die Nixenaugen an.
»Nur das nicht, Proczna!« unterbrach sie ihn außer sich, »nicht so von mir gehen im Groll und Zorn! – Schwachheit, dein Name ist Weib! – « sie hob die weißen, krampfhaft verschlungenen Hände zu ihm empor, die Goldreifen fielen klirrend auf den Arm zurück, ein süßes, bedeutsames Lächeln spielte um ihre Lippen – »und ich war schwach, weil ich Sie liebte! Weil ich die Eifersucht Flanderns fürchtete, verstrickte ich mich in ein Lügengewebe, welches ihn täuschen sollte, um mich an ein rettend Ufer zu flüchten, taumelte ich tiefer und tiefer in die Flut. Proczna … wer viel liebt, dem wird viel vergeben – auch ich liebe über Maß und Ziel, und auch Sie werden nicht im Haß von mir scheiden …«
Sie hatte sich langsam erhoben, näher und näher schmiegte sie sich ihm entgegen, wie eine heiße, verzehrende Flamme, die dem Sturmwind, welcher sie löschen will, schmeichlerisch entgegenzüngelt.
Janek schüttelte ernst das Haupt.
»Ich habe Ihnen weder etwas nachzutragen, noch zu verzeihen, Excellenz, denn Ihre vermeintliche Treulosigkeit hat mir gottlob keine Wunde geschlagen, und ich bin kunstsinnig genug, die vortreffliche kleine Komödie, welche Sie mir in diversen Akten vorspielten, als wirklich recht amüsante und geschickte Leistung anzuerkennen! Einen Rat aber möchte ich Ihnen noch geben: Sollten Sie sich wahrlich dereinst, wenn Sie frei sein werden, aufrichtig verlieben und Gegenliebe erhoffen, dann ändern Sie die Rollen in dem ernsten Lustspiel! Eine ›Lady Tartüffe‹ findet wohl stets einen Liebhaber, niemals aber einen Gatten, denn nur die Achtung, Excellenz, ist das Fundament, auf welchem Hymen seine goldenen Thore erbaut!«
Regungslos stand sie ihm gegenüber, ihr Antlitz verzerrte sich, als wolle sie gellend auflachen, ihre geballte Hand preßte sich gegen die Brust, als müsse sie sich selber zurückhalten, nicht die Fingernägel in seine Augen zu graben.
»Ich danke Ihnen für den freundschaftlichen Rat, Janek Proczna«, sagte sie mit heiserer Stimme, »und werde denselben berücksichtigen. Sie wollen also meiner Zukunft nicht das Messer an die Kehle setzen?«
»Nicht im mindesten!«
»So seien Sie barmherzig und geben Sie mir die beiden Billets zurück!« – sie sah mit erlöschendem Blick zu ihm empor, flehend faltete sie die Hände über der Brust, das Bild eines jammergebrochenen, todelenden Weibes.
Proczna durchschaute die Komödie.
»Selbstverständlich, die Schriften stehen Ihnen zu jeder Zeit zur Verfügung – unter einer Bedingung!« Er öffnete sein Portefeuille und nahm die Papiere heraus, mit fast gieriger Hast griff Leonie zu.
»Geben Sie – ich verspreche alles!«
Gelassen hielt er die Blätter zurück.
»Tausch um Tausch, Excellenz, darf ich Sie bitten, mir die kleinen, unglückseligen Billets dafür einzuhändigen, welche Anna Regina in der Angelegenheit des Marchese de Branca an Sie geschrieben hat?«
Wie ein Aufzischen rang es sich von ihren Lippen:
»Welchen Wert können diese Zeilen für Sie haben?!«
»Für mich wenig, aber für Branca desto mehr.«
Ein gellendes Auflachen, dann warf sie den Kopf in den Nacken und musterte ihn mit höhnischem Blick vom Scheitel bis zur Sohle.
»Ah, jetzt begreife ich! Jetzt fällt es wie Schuppen von meinen Augen! – Und Sie, Sie erdreisten sich, mir gegenüber von Komödie zu sprechen? – Die Lady Tartüffe hat ihren Partner gefunden, den Mephisto, welcher über Menschenherzen den Weg zu Kassettenschlössern sucht! – Eine noble Mission, bei Gott, ich gratuliere dem Marchese zu einem solchen Freund und applaudiere dem Konzertsänger Proczna zu dem grandiosen Talent, auf krummen Pfaden zum Ziel zu schleichen!«
Ein beinahe amüsiertes Lächeln huschte um seine Lippen.
»Es ist schon sehr spät in der Nacht, Excellenz … wenn wir unsern Tauschhandel noch erledigen wollen …?«
»Das möchte schwierig sein!« – Leonies Augen funkelten in wildem Triumph, »jene Billets sind längst verbrannt!«
»O … das ist recht peinlich … vielleicht erstehen sie wieder aus der Asche – ich werde noch fünf Minuten warten …«
»Wollen Sie vielleicht hier übernachten?!« namenlose Gereiztheit schrillte durch ihre Stimme.
»Warum nicht? – Mir kann das ja durchaus nicht von peinlichem Beigeschmack sein! – Ich besitze Ihre Einladung schwarz auf weiß.«
»Ehe ich Ihnen die Billets einhändige, lasse ich mich lieber von den Leuten steinigen.«
»Daran glauben Sie selber nicht. – Noch einmal, Excellenz, entweder die kleinen, wertlosen Papiere … oder der Konzertsänger Janek Proczna geht auf sehr geradem Weg zu dem Präsidenten von Gärtner; … eine pensionierte Excellenz oder eine übelbeleumundete Witwe oder geschiedene Frau spielen keine Rolle mehr in der Welt, also wäre es Ihnen dringend anzuraten, von zwei Übeln das kleinere zu wählen!«
Einen Augenblick wand sich ihre geschmeidige Gestalt in ohnmächtigem Grimm, dann richtete sie sich jäh empor:
»Geloben Sie mir bei Ihrem Ehrenwort, daß Sie die Papiere vernichten wollen?«!
»Binnen vierundzwanzig Stunden!«
»Daß kein Mensch etwas davon erfährt?«
»Sie wissen, ich habe im Interesse einer gewissen Persönlichkeit gehandelt!«
»Wohlan – mag es mit dieser einen Persönlichkeit darum sein – und die Existenz der andern beiden Zettel ist für ewige Zeit auch in Ihrem Mund gelöscht?«
»Mein Wort darauf.«
Leonie atmete tief und wankte an ihren Schreibtisch. Mit zitternden Händen öffnete sie das Geheimfach.
»Hier … nehmen Sie!«
»Sind es alle?«
»Alle.«
»Ich danke Ihnen. Hier Ihre Tanzkarte und den Zettel Flanderns. – Wir sind quitt.« –
* * *
Vor dem Kaminfeuer ihres Zimmers saß Xenia im niederen Sessel, einen weißen Spitzenshawl um die entblößten Schultern gelegt, die Füße auf den Kopf eines grauen Bärenfells gestützt. Sie war bereits in Toilette, in den Salons und dem Musiksaal wurden die Kerzen und Kronleuchter entzündet.
Proczna war soeben eingetreten, hatte fest und etwas aufgeregt die beiden dargereichten Hände der Schwester gedrückt und an ihrer Seite vor den knisternden Flammen Platz genommen.
»Sie waren erst bei Onkel Drach, Janek?«
Er starrte in die Glut und neigte bejahend das Haupt.
»Ich bringe Ihnen eine Absage von drunten, Tante Clärchen hat wieder heftige Migräne, und …« ein schnelles Lächeln zuckte um seine Lippen, »da Donat dienstlich verhindert ist, heute abend hier zu sein, hat Bicky den Entschluß gefaßt, bei der Mutter zu bleiben.«
Xenia blickte betroffen auf.
»Wie peinlich! Die Generalin ist noch nicht von ihrer Weihnachtsreise zurück – wer soll die Honneurs machen?!«
»Sie! … Man wird mit den Umständen rechnen. August Ferdinand kann heute abend ebenfalls nicht hier sein … sind noch sonstige Absagen von seiten irgend welcher Damen gekommen?«
»Frau von Hofstraten sagt so ziemlich ohne allen Grund ab; – ich habe sie in drei Jahren niemals krank gesehen, heute ist sie erkältet.«
Proczna nickte.
»Ich weiß; die gute Hofstraten ist eine brave Frau, die ihren Freunden gern einen Gefallen thut. Also meine treuesten Seelen werden heute abend fehlen!« – es lag beinahe eine freudige Genugthuung in seiner Stimme.
»Excellenz Gärtner wird da sein und sie sämtlich ersetzen.«
»Glauben Sie?!«
Er lachte laut auf.
Xenia beugte sich vor und blickte ihn forschend an.
»Sie sind so wunderlich, Janek – sind schlimme Nachrichten von jenseits der Grenze gekommen?«
Er atmete schwer auf.
»Ich stehe noch unter dem Einfluß einer peinlichen Scene der vergangenen Nacht. Ich weiß, daß ich recht gehandelt habe, und doch quälen mich Vorwürfe.«
»Und welcher Schuld zeihen Sie sich?«
»Die Schwachheit zu meinem Gegner gemacht zu haben und ihr doch mit Waffen gegenüber getreten zu sein, mit welchen man sonst nicht kämpfen würde!«
»Ich bin überzeugt, daß Ihnen keine Wahl geblieben ist!«
Er faßte mit raschem Ausblick ihre Hand und preßte sie gegen die Lippen.
»Ich danke Ihnen, Xenia, daß Sie solchen Glauben an mich hegen! – Ja, Sie haben recht, mir blieb keine Wahl. Man kann den Fuchs nicht an der Angel und den Hecht nicht in der Falle fangen, jeden nur auf seine Art, und wenn man Jäger sein will, so darf man auch die Taube nicht schonen, wenn sie dem königlichen Aar, welcher wehrlos in Fesseln schmachtet, nach dem Auge hackt!«
Das Feuer glühte hell auf und warf zuckende Lichter über das goldblonde Köpfchen. Wie Jubel klang es durch Xenias Stimme:
»Ich verstehe ihre rätselhaften Worte nicht, Janek, und weiß sie nicht zu deuten, dennoch bin ich gewiß, daß diese Hand niemals eine Waffe führen wird, die ihrer nicht würdig ist, daß Janek Proczna keiner Fahne folgt, die nicht für Ehre und Recht ins Feld getragen wird!«
Es ging wie ein leises Zittern durch die Finger, welche sich unterbrechend auf ihren Arm legten. Dunkel und heiß brannte sein Blick in ihrem Auge.
»Und wenn diese Fahne nun aus Rebellenhaufen der Kosyniers wehte und wenn Janek Proczna den deutschen Säbel aus der Hand schleuderte und nach der Sense griffe – ?«
Sie schloß die Augen und preßte die Hände gegen die stürmisch atmende Brust, dann antwortete sie leise, aber fest und klar:
»Wenn Janek Proczna Kosynier wird, so weiß ich, daß der Name kein unwürdiger ist, und daß der Kampf für Polens Freiheit kein Aufstand verwerflicher Motive, sondern eine heilige Mission ist, für welche jeder Ehrenmann mutig in die Schranken treten kann!«
»Xenia!«
Wie ein Aufschrei namenloser Seligkeit klang es, Proczna sprang empor und stützte sich schwer auf die Sessellehne; einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen, dann rang es sich wie flüsternd von seinen Lippen:
»Nein – noch ist Polen nicht verloren! …«
Langsam beugte er das Knie vor ihr, umschloß ihre gefalteten Hände und blickte zu ihr empor wie zu einem Heiligenbild:
»Gott segne Sie für diese Worte, Xenia! sie werden selten von deutschen Lippen gesprochen werden. Wie aber dann,wenn nun alle Welt sich gegen den Kosynier wendet, wenn jene Menschen, deren Ansichten Ihnen zum Evangelium geworden sind, den Stab über Polen und sein todesmutigen Söhne brechen und Sie allein stehen werden mit Ihrer Sympathie für das geknechtete Volk, eine Geächtete unter Geächteten?!«
Sie schüttelte mit verklärtem Lächeln das schöne Haupt.
»Ich werde es nicht, Janek, denn alle Herzen, die einer tieferen Empfindung fähig sind, werden mit mir um das Wohl und Wehe von Polen zittern!«
Er richtete sich empor, nur mit Mühe beherrschte er sich.
»Menschenherzen sind Halme im Wind. Würden Sie den Mut haben, mit der Vergangenheit zu brechen, wenn sie sich als Barrikade vor die Zukunft baut?«
Ihr Antlitz ward um einen Schein bleicher.
»So Gott will, ist das nicht nötig, Janek … ich glaube nicht, daß sich dieser Zwiespalt so schroff kund thun wird …«
Sein Haupt sank tief und sorgenvoll auf die Brust; noch trieben vor seinem Blick, ein paar kleine schattenhafte Schlacken in dem geläuterten Gold, und auch diese mußten ausgeschieden werden, durch die gewaltige, hochauflodernde Glut der Liebe, ehe sich der klare Reifen formen kann, dessen makellose, güldene Treue nicht Anfang und nicht Ende hat! –
Die Salons hatten sich aufgethan, der bekannte kleine Kreis war versammelt, Anna Reginas zarter Erscheinung die farbenschillernde Folie zu geben. Excellenz Gärtner kam spät, fast zu gleicher Zeit mit der Prinzessin, welche, von Gräfin Kany gefolgt, pünktlich wie immer, der jungen Wirtin die Hand zum Gruß entgegenreichte.
Proczna hatte gebeten, erst zum Schluß eine musikalische Gabe beisteuern zu dürfen; man plauderte kurze Zeit und schritt bald zum Souper. Frau Leonie sah in der tiefschwarzen Seidenrobe auffallend bleich aus; dunkle Schatten zogen sich trotz des Puders um ihre Augen. Sowohl auf ihren wie Gräfin Kanys Zügen lagerte ein sehr scharfer und höchlichst gereizter Ausdruck; beide Damen ignorierten bei der Begrüßung den Pflegesohn des Grafen Dynar vollkommen.
Leonie erzählte nach Tisch mit viel Geringschätzung von den neuesten Nachrichten vom polnischen Ausstand, sie konnte ihre Worte gar nicht verächtlich genug wählen, um das rebellische Gesindel moralisch zu zerhacken.
Proczna hob mit ironischem Lächeln den Kopf.
»Als ich vor wenigen Wochen den Vorzug hatte, Sie hier an Ort und Stelle kennen zu lernen, Excellenz, trugen Sie aus lauter Verehrung und Schwärmerei für Polen das Bild Augusts des Starken auf der Brust – ist das jetzt ebenfalls zur Disposition gestellt?«
Leonie musterte den Sprecher mit halb zugekniffenen Augen von oben bis unten.
»Ich weiß zwar nicht, wie Sie sich zu der polnischen Angelegenheit stellen, Herr Proczna, nehme aber an, daß Art nicht von Art läßt und möchte Ihnen infolgedessen nicht mit einer bejahenden Antwort zu nahe treten!«
»Sie haben natürlich kolossale Sympathien für Ihre edlen Landsleute?!« kicherte Gräfin Kany impertinent dazwischen.
»Selbstverständlich, meine Gnädigste! Ich bin einer der begeistertsten Anhänger Polens, die man finden kann!«
Janek sprach sehr laut, man trat näher und horchte hoch auf. Leonie wechselte mit den Umstehenden ein paar vielsagende Blicke.
»Da werden Sie sich wohl gar in die Reihe der Kämpfenden stellen und für Freiheit und Gleichheit den Dreschflegel schwingen?«
Die Hofdame funkelte den jungen Polen herausfordernd an, Anna Regina erglühte vor Verlegenheit bis unter die blonden Haarwellen.
»Warum nicht, Gräfin? Man muß so oft aus Höflichkeit und Rücksicht die Hände stillhalten, wenn man verdiente Hiebe austeilen möchte, daß es eine Wohlthat ist, wenn man einmal frisch und frei den einen Flegel auf den andern schwingen kann.«
Flandern lachte sehr laut ein »Famos!« Anna Regina aber faßte die behende Hand Xenias und sagte wie entschuldigend:
»Die Politik ist der Erisapfel jeglicher Gesellschaft! Sie sehen, daß sich selbst die besten Freunde deswegen den Krieg erklären!«
»Jetzt ist sogar das polnische Kirchenlied, welches für die Errettung Polens fleht, polizeilich verboten worden!« rief Gräfin Ettisbach mit versöhnender Heiterkeit. »Das finde ich lächerlich, denn meiner Ansicht nach kann doch ein jeder Mensch beten, was er will!«?
»Aber nicht öffentlich!«
Leonies Blick richtete sich fast drohend auf die kleine Leutnantsfrau, welche es wagen wollte, eine eigene Meinung zu haben.
»Ebensowenig wie ein anständiger Mensch eine aufwieglerische Rede hält, ebensowenig wird er in Form eines Chorals für Bewegungen und Demonstrationen bitten, welche jeglicher Zucht und Sitte in das Gesicht schlagen.«
Janek kreuzte lächelnd die Arme über der Brust.
»Jenes Lied, welches Ihnen noch vor kurzer Zeit der Inbegriff aller schwermütigen Poesie war, treten Sie heute so erbarmungslos unter die Füße? Mag man immerhin die Kirchen schließen, in welchen ein unglückliches Volk um Rettung steht, solange noch eine polnische Zunge zu lallen vermag, solange noch ein Tropfen Polenblut durch Menschenlippen kreist und solange noch Mut und stolze Zuversicht in den Herzen meiner Brüder lebt, solange wird: › Boze! cos Polske przez tak liczne wieki!‹ zum Himmel schallen und solange wird Polen nicht verloren sein!«
Flammende Erregung sprühte das dunkle Auge des Sprechers. Begeisterung leuchtete von seiner Stirn, in trotziger Herausforderung warf er das Haupt in den Nacken.
Fürstin Reussek trat über die Schwelle des Nebenzimmers, unbefangen berührte sie Procznas Arm mit dem Fächer!
»Nun, Unsterblicher, wie steht es mit dem versprochenen Kunstgenuß? Ich sehe, der Flügel ist bereits geöffnet!«
Mit fieberisch glänzendem Blick hatte Xenia Janeks Worten gelauscht, wie ein Beben ging es bei den Worten der Fürstin durch ihre Glieder. Sie wollte an seine Seite treten und ihn angstvoll von dem Klavier zurückhalten und doch stand sie wie gebannt und hatte nur eine Sehnsucht, nur ein Verlangen, jenes Lied von seinen Lippen zu hören, welches Polens Elend vor den Thron des Höchsten trägt!
Proczna wandte ernst das Haupt.
»Es gibt nur eine einzige Komposition, Durchlaucht, welche ich in diesem Augenblick mit leidenschaftlicher Überzeugung singen kann!«
» Eh bien! – Ganz vortrefflich! Lassen Sie uns, bitte, hören!«
Gräfin Ettisbach hob mit angstvoll großen Augen hastig abwehrend die Hand.
»Aber um Gottes willen nicht dieses revolutionäre …«
Sie verstummte erschrocken; wie eine eiserne Klammer umschloß Leonie ihren Arm.
»Herr Proczna dürfte wohl taktvoll genug sein, die Wahl seiner Lieder nach eigenem Gutdünken dem Publikum anzumessen!« sagte sie mit schneidender Stimme, trat an die Seite Anna Reginas und flüsterte ihr ein paar Worte zu.
Betroffenheit malte sich auf den Zügen der hohen Frau, sie wollte hastig auf Proczna zugehen und ein paar beschwichtigende Worte sprechen, Excellenz Gärtner vertrat ihr geradezu den Weg. Abermals ein paar leise Worte, die Prinzessin blieb zögernd stehen und neigte still und ergeben das Köpfchen auf die Brust.
Die Offiziere befanden sich in peinlichster Situation. Sie waren ganz wie von ungefähr auf die Seite gewichen und unterhielten sich mit krampfhafter Lebhaftigkeit, anscheinend vollständig ohne Ahnung von der fatalen Scene, welche sich neben ihnen abspielte.
Proczna hatte schweigend vor dem Flügel Platz genommen, seine Hände glitten in kurzem Vorspiel über die Tasten, leise einsetzend, anbrausend zu gewaltigster Leidenschaft, und feierlich, ernst und getragen, aufschluchzend wie im tiefsten Schmerz. Dann schmiegte sich die Stimme der Begleitung an – ein schwermütiger Klageruf: »Boze!« – ein ernstes, feierliches Anflehen und Beschwören, anwachsend zur glühenden Begeisterung, welche die Seele packt und mit sich fortreißt, deren Töne wie brennende Thränen auf das Herz fallen, und es ringen und zittern lassen in unaussprechlichem Schmerz um das Vaterland! – » Boze! cos Polske przez tak liczne wieki! Okryta blaskiem poteg i chwaly!«
Hochaufgerichtet, mit glühenden Wangen stand Xenia und lauschte. Wie ein Feuerstrom raste es durch ihre Adern, durch all ihr Sein und Denken: erfaßt von stürmischem Entzücken, erschauderte sie durch Mark und Bein, leuchtende Tropfen traten in ihre Augen, und ihre Hände, erst so unentschlossen und bebend, preßten sich gegen ihre Brust, als wolle sie zerspringen vor Wonne und Schmerz.
»Ja, Janek, du hattest recht! – Das sind Jadwigas giftig süße Lieder, die mir im Herzen schlummerten; dies sind die trauten Klänge der Heimat, welche ich an der Brust der Polin eingesogen, aufgewacht sind sie mit aller Macht und Innigkeit, mit all dem unerklärlichen Zauber, welchen jemals die Musik auf Menschenselen geübt, und sie brausen und sausen durch meine Sinne als jauchzendes Echo: › Nasza Ojezyrne racz nam wrowic Panie!«
Leer und still ist es im Saal geworden. Anna Reginas Lippen haben wohl gezuckt vor Teilnahme und Erregung, aber Leonies funkelnder Blick hat sie unbarmherzig dirigiert; kühl und stolz hat man sich von Gräfin Dynar verabschiedet, hastig, unschlüssig, in tödlichster Verlegenheit oder schnell dem neuen Winde angepaßt, mit verletzendster Schroffheit ist die Gesellschaft dem Beispiel der hohen Frau gefolgt, von welcher Gräfin Kany mit haßschillernden Augen den Umstehenden zugeflüstert hatte, »Hoheit ist empört!«
Und nun war es still geworden, die Flammen lachten leise in ihren Krystallglocken und Janek Proczna stand hochaufgerichtet inmitten des Zimmers, voll düsteren Spottes auf die Thür starrend, welche sich für ewige Zeit wie eine Scheidewand zwischen ihn und all jene Menschen gestellt, welche soeben dahinter verschwunden.
Unverändert verharrte Xenia aus ihrem Platz, erregt haftete ihr Blick auf seinem Antlitz.
»Armes Polen! Ein Lied zu deinem Ruhm und zu deiner Ehre ächtet den Mund, welcher es singt, zerbricht die Freundschaft der Menge wie Glas und streift in einem einzigen Augenblick all die bunten Flitter von dem ›Unsterblichen‹, ›Gottbegnadeten‹ ab, welche man in überschwenglicher Huld zuvor auf ihn niederschüttete! – Das sind unsere Freunde, Xenia! Warum bleiben Sie noch hier? Warum weisen Sie mir nicht auch die Thür?!«
Sie schüttelte stumm das Haupt, sie wollte sprechen und vermochte es nicht; er trat einen Schritt näher, sein Blick traf flammend den ihren.
»Bedenken Sie, wer vor Ihnen steht! Verlassen von der Welt, ausgestoßen aus dem Kreise, dessen Intimität Ihnen unerläßlich ist, wie die Luft zum Atmen, ein Mann ohne Namen und Stellung, ein Rebell, der mit leidenschaftlicher Überzeugung bereit ist, unter die Fahnen der Kosyniers zu treten, selber eines Wloczegas Sohn – was kettet Sie noch an mich? Da alle sich von mir gewendet haben, warum gehen Sie nicht auch?! …«
Da rang es sich wie ein halberstickter Aufschrei von ihren Lippen:
»Janek!«
Außer sich, in zitternder Leidenschaft, alles vergessend, was zwischen dem Einst und Jetzt gelegen, wie von dämonischen Gewalten getrieben, stürzte sie sich an seine Brust, die Arme um seinen Nacken schlingend, jauchzend, weinend vor Glückseligkeit:
»Weil ich nicht von dir gehen kann, weil deine Lieder mich mit Zauberbanden halten, weil ich dich liebe, Janek, mehr denn Himmel und Erde, mehr als Menschenzungen sagen können!«
Er schloß sie an sich und bedeckte ihr Antlitz mit heißen Küssen. Dann warf er sich zu ihren Füßen nieder und preßte das zuckende Antlitz auf die zarten Seidenwogen ihres Gewandes.
»Xenia! – Xenia!! …«
Jenes Bild war zur Wahrheit geworden, welches er in Wolken und Träumen geschaut, da war sein kühnes Wagen, sein treues Hoffen und Harren, all die schweren Stunden namenloser Beherrschung und Selbstüberwindung belohnt, sie liebte ihn, liebte, wie je ein Weiberherz in treuester Hingabe und Leidenschaft empfunden, ihn, den Kosynier, den Geächteten, den Mann, der nichts zu eigen hatte, als sich selbst!