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August Ferdinand blickte frappiert auf seine kleine Frau, welche, ihrem ureigensten Wesen so vollkommen zuwider, plötzlich die Etikette der Tischordnung über den Haufen warf.
Da sie seinem erstaunten Blick auswich und Fürst Reusseck, welcher sonst den Platz zur Linken der Prinzessin einnahm, mit langem Gesicht zur Seite trat, wandte sich Seine Königliche Hoheit zu demselben und sagte scherzend:
»Ehre wem Ehre gebührt, lieber Reusseck! Heute ist nicht Mars, sondern Apollo der Oberste im Rat der Götter, und ›was die Frau will, das will Gott!‹ heißt es in Frankreich‹ Eh bien, lassen wir heute einmal die edle Kunst Ceremonienmeisterin an dieser Tafel sein!«
Und der Prinz wies dem Regimentskommandeur in liebenswürdigster Weise den Sessel zur Rechten Anna Reginas an und placierte sich selber vis-à-vis zwischen Frau von Drach und Gräfin Dynar.
Es herrschte ein sehr ungebundener und fast übermütiger Ton, namentlich am Ende der kostbar dekorierten Tafel, woselbst Frau von Hofstraten, Gräfin Ettisbach und Tarenberg mit den jüngsten Leutnants ihre »fidele Ecke« etabliert hatten.
»Jongens, man nich so vill gekippt! Ihr hätt' bereits rote Dötze wie die Ziungockel!!« hörte man die mütterliche Warnung aus holländischer Kehle durch eine plötzliche Stille ertönen, und dazwischen amüsierte sich Gräfin Tarenberg mit ihrem hellen Organ über »den verlorenen Sohn« Weyer, welcher ihr in keckster Weise die Apfelblüten aus dem Schulterbouquet zupfte, um sich damit in seinem Champagnerglas eine »Minne-Bowle« zu brauen. Rasende Idee!! …
Bicky saß mit glühenden Wangen dabei und lernte. »Ik will's Füllen unter min' Fittich' nehmen!« hatte Frau von Hofstraten mit biderbem Fächerschlag auf der Kammerherrin Schulter erklärt, »wenn's an de Krippe rasselt, schlagen de Remonten nach vorn on' hinnen aut, da moß eins mit de Trense zur Hand sinn!« Die Frau Rittmeister erging sich meistens in kavalleristischen Gleichnissen.
Es schien ganz selbstverständlich zu sein, daß die Präsidentin Gärtner an der anderen Seite Procznas Platz nahm, und auch vollkommen in der Ordnung, daß der Sänger von Gottes Gnaden ihr sein ritterliches Interesse schenkte.
Die Kapelle des Ulanenregiments spielte in einem Nebensaal und übertönte die einzelnen Unterhaltungen, dazu rauschte und knisterte der Atlasfächer in den Händen der schönen Frau wie das Schilf am Nixensee, welches den ahnungslosen Wanderer vor bösem Zauber warnen will.
Wie träumend hob sich Leonies Blick.
»Wissen Sie auch, Janek Proczna, daß Sie mir Unglück bringen werden?« fragte sie sehr leise.
»Nur dann, Excellenz, wenn Sie es ein Unglück nennen, daß den roten Rosen, welche ich vor Ihre Füße streuen werde, neidische Dornen gewachsen sind!«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
»Sind Sie abergläubisch?«
»Ja, ich blicke in ein schimmerndes, rätselhaft schönes Frauenauge, und ich glaube, es sei ein tiefer, tiefer See, aus welchem sich zwei weiße Arme heben, mich als Opfer zu sich herab zu ziehen …«
Leonie schien seine Antwort zu überhören, sie senkte die dunklen Wimpern tief auf die Wange und drehte die goldene Spange, welche nur noch von seiner Kette zusammengehalten wurde, mechanisch an dem Arm.
»Sehen Sie? Das Schloß ist zerbrochen, – in dem Augenblick, da Sie mir gegenüber traten, sprang das Ringlein entzwei!«
»Und das soll Unheil prophezeien?«
Janek neigte sich tiefer.
»Als ich mich verlobte, legte mir mein Bräutigam diesen Reis um den Arm, verschloß ihn mit dem kleinen, einzig dazu passenden Schlüssel und trug denselben seit Stund an auf der Brust. Ein kindlich Spiel mit tiefem Sinn. Das Armband ersetzt den Treuring, so lange es am Arm hält, so lang hält Lieb und Glück im Haus.«
Die Musikklänge rauschten auf wie kochende Meeresbrandung, süßer Duft wehte von den Blumen der Tischvasen herüber, und die Goldspitzen zitterten um den blendend weißen Nacken der Sprecherin.
»Gesprengte Fesseln!«
Janeks Blick flog zu der gebeugten Gestalt des Präsidenten hinüber, und kehrte zu dem verführerischen Weib an seiner Seite zurück, es lag ein wunderlicher Ausdruck auf seinen Zügen.
»Der arme, alte König, er nahm eine junge Frau! …« sagte er leise, »es liegt ein düsterer, und doch so namenlos reizvoller Zauber in den alten Liedern, welche von verbotener Minne und zerbrochenen Ringlein reden! Wohl dem Pagen, welcher die Ketten an ihrem Arme zerbricht und mit ihr sterben darf!«
Leonies Auge glühte auf, dann sank ihr schönes Haupt auf die Brust.
»Glücklich ein jeder, der solch qualenvolle Poesie nur aus Liedern kennt!« hauchte sie. »Warum nennt man den alten König ›arm‹, weil er eine junge Frau nahm? Hätte Heine in das Herz jener Königin blicken können, er würde sie mehr beklagt haben, wie den eiteln, grauköpfigen Egoisten, welcher den Frühling an die Brust drücken will und nicht bedenkt, wie erbarmungslos jegliche Liebesblüte an seinem eisigen Kusse stirbt! …«
Es lag viel Ausdruck in den Worten der Präsidentin, mehr noch in dem feuchtglänzenden Blick, welcher sich zu Proczna hob; Janek kannte diese Sprache und hatte ihr manchmal in französischen Ehebruchsdramen als einer vortrefflichen Schauspielerleistung applaudiert.
Langsam faßte er den hohen Champagnerkelch und hob ihn gegen Ihre Excellenz.
»Ich beklage kein Weib, welches geliebt wird, am wenigsten diese junge Königin, welche einen Pagen fand, jung, stark und begeistert genug, um die Sklavenringe an ihrem Arm zu brechen! Es klingt so süß, es klingt so trüb … Das Liedlein der Zukunft soll leben, Excellenz!«
Es lag eine dämonische Gewalt in der Stimme dieses Mannes, wie mit Zauberfäden umstrickte sie die Sinne und dazu lachte er … übermütig, beinahe frivol …
Leonie atmete tief auf, ja sie begriff es, sie empfand es, daß Paris diesen Feueraugen zujauchzen mußte, daß der Weg dieses Mannes mit roten Rosen gepflastert wart und er, der Göttliche der Gefeiertste Europas saß an ihrer Seite, und flüsterte ihr ein Liedlein ins Ohr, – »das klang so süß, das klang so trüb …« wie ein Wirbelwind faßte es an ihre Gedanken.
Sie blickte zu Xenia hinüber, sie fühlte, daß die kühlen Augensterne auf sie gerichtet waren, sah, daß sich das Antlitz der Komtesse höher färbte in diesem Augenblick, da Janek Proczna sein Glas so ostensibel auf das Wohl seiner Nachbarin leerte … ein Gefühl unendlichen Triumphes schwellte Leonies Brust. Der Erbherr von Proczna hatte nur Blicke für sie, einzig für sie.
»Sie werden also bleiben, längere Zeit hier bleiben?« fragte sie hastig.
»So lange, bis Sie freiwillig die Zauberbande lösen, in welche Sie mich geschlagen«, scherzte er entgegen.
»Dann möchte es Ihnen gehen wie dem Kaiser Heinrich im Ilsenstein. Apropos … wenn Sie irgend welche Wünsche oder Anliegen haben, bei welchen allerhöchster Einfluß vonnöten ist, wenden Sie sich, bitte, sofort an mich, ich erkämpfe Ihnen, was Sie wollen!«
»Sie sind eine intime Freundin der Prinzessin?«
Um Leonies Mündchen zuckte es wie Ironie.
»Dieser Begriff ist dehnbar. Auf alle Fälle besitze ich einigen Einfluß auf die naive kleine Seele und bin, Gott sei Dank, stets rechtzeitig zur Stelle, die sehr notwendige Vorsehung zu spielen.«
»Aha!« Graf Dynar lächelte und starrte sekundenlang in den perlenden Champagner hernieder. »Der Schlüssel zu ihrem Herzen. Sehr begreiflich, wer vermöchte einem derartigen Zauber und einer Liebenswürdigkeit wie der Ihren zu widerstehen!«
Sie lachte kurz auf.
»Wir Frauen üben keinen Reiz auf einander aus, wenigstens keinen solchen, welcher Einfluß gewährt. In diesem Fall kann nur von einer Überlegenheit die Rede sein. Zwischen uns gibt es kein demütiges und harmonisches Anschmiegen, sondern einfach ein ›Sich-fügen!‹, über welchem die moralische Knute schwebt.«
»Das Recht des Stärkeren; auch der Geist hat seine Stechbahn, in welcher er sich über andere zum Meister macht, und seinen Turnierplatz, auf welchem er die schwachen Gegner unter den Daumen zwingt. Wie gern mag ein jeder vor Ihnen das Knie beugen, Excellenz.«
Janek lenkte wieder in einen übermütigen Ton ein, die Wolke, welche unbemerkt über seine Stirn gezogen war, hinterließ nicht den geringsten Schatten.
»Verehrtester Graf!« rief August Ferdinand lachend über die Tafel. »Ihre Komtesse Schwester behauptete, als Kind ausgesprochen rotes Haar gehabt zu haben, so brennend rot, daß man ein Streichholz daran hätte anstecken können, ist das nur bösartige Koketterie oder Thatsache?«
Janeks Blick schweifte über das Haupt Xenias, er zuckte unschlüssig die Achseln.
»Dessen entsinne ich mich beim besten Willen nicht, Königliche Hoheit, es ist schon so viele Jahre her! … Meiner Ansicht nach sieht doch rot und rot – und blond und blond stets egal aus, leider habe ich so gar kein Verständnis für die germanischen Abschattierungen!«
»Das beweisen Sie! … Excellenz Gärtner, wenn Sie wieder einen Moment Zeit für Ihre alten Freunde haben, gestatten Sie mir, Ihrer bei diesem Glase zu gedenken!«
Die Musik setzte schallend ein, und die lachenden Stimmen schwirrten lauter durcheinander …
Es war, als wehe Schneeluft um Xenia, und doch war es heiß im Saal, schwül und blumendurchduftet zum Ersticken.
Warum muß Janek Proczna sich just vor den Triumphwagen des einzigen Wesens spannen, welches Gräfin Dynar verachtet und verabscheut, welchem sie es am wenigsten gönnt, von ihm ausgezeichnet zu werden. Gönnen? … Ist es denn wirklich eine Ehre oder ein Glück, von dem Konzertsänger Janek Proczna Huldigungen zu erhalten? Sind denn die stolzen, hochmütigen Damen, welche es unter ihrer Würde halten, mit einem Infanteristen zu tanzen, urplötzlich taub und blind geworden, daß sie danach jagen, von dem Sohn eines polnischen Flüchtlings überhaupt gewürdigt zu werden?
Nein, sie waren eben nicht taub geworden, sie ließen sich von ein paar Liedern bezaubern und stimmten sinnlos in die Lobposaune ein, welche Frau Reklame so unermüdlich an die Lippen setzte!
Proczna sang schön, – wunderbar schön, – aber um der Lieder willen den Sänger und seine Herkunft vergessen?! … Eine Gräfin Dynar ist's nicht imstande.
»Er ist nur ein Trompeter, und doch bin ich ihm gut!« klang es von der Kapelle herüber. Das rotblonde Haupt zuckte in den Nacken. Nimmermehr. »Ich wollt' er wäre ein Ritter, ein Ritter vom goldenen Vließ …« – ja dann! … dann würde sie vielleicht …
Wie er lacht, wie er der schönen Schlange an seiner Seite die Worte mit flammendem Auge von der Lippe liest, wie sie ihn mit tausend Netzen der Koketterie umstrickt! …
Anna Regina mischt sich in ihre Unterhaltung, selbst ihr blasses Gesichtchen färbt sich höher, selbst sie wird lebhafter denn je …
»Ich habe so gar kein Verständnis für die germanischen Schattierungen …«
Es schwirrt in ihren Ohren wie spöttisches Gelächter, schlimmer noch, wie eine kühle, unendlich gleichgültige Stimme, dieselbe, welche so leicht hinsagt: »Wird keins das andere vermissen« … Nein, er vermißte sie nicht –
Xenia schrak empor, August Ferdinand hatte sich mit der Frage an sie gewandt, ob Janek Proczna ein guter und passionierter Reiter sei, er beabsichtige ihn zur Teilnahme an der Parforcejagd aufzufordern.
Die Tafel war aufgehoben, man stand in kleinen Gruppen plaudernd in den Nebensalons.
Während des Soupers hatte Donat viel Zeit zu erbaulichen und beschaulichen Betrachtungen gehabt.
Er saß ziemlich entfernt von Bicky, konnte sie aber just durch eine Lücke der Tafelaufsätze sehen und beobachten.
Die Worte Procznas hatten ihn viel zu sehr frappiert, um sofort vergessen zu werden, er überdachte das Gehörte so lange, bis es ihm schließlich einleuchtete.
Höchst drollig, daß er das kleine Backfischchen nun plötzlich als Dame betrachten soll! Ist sie denn wirklich so niedlich, wie Proczna behauptet? Man sollte doch annehmen, daß sich der Löwe des Tages und Protegé der Kaiserin Eugenie auf Weiberschönheit versteht! Ein Backfischchen! … Hm … gewiß die neueste Marotte Pariser Geschmacks, eine » haute nouveauté«, von welcher man sich im barbarischen Deutschland noch gar nichts träumen läßt.
Scharmant, daß Proczna ein bißchen aus der Schule geplaudert hat! Fürst Heller-Hüningen ist stolz darauf, zu den elegantesten und schneidigsten Offizieren gerechnet zu werden. Er ist der Erste im Regiment gewesen, welcher englische Moden, das Exterieur der Rennpferde betreffend, eingeführt hat – der erste geschorene Gaul, welcher auf dem Turf erschien, trug das Wappen des jungen Fürsten auf den Ecken seiner Bahndecke – er war der Erste, welcher Mitglied des Jockey-Klub geworden ist und die Uniform der Kaiser Franz-Ulanen auf ausländischen Racegrounds repräsentiert hat.
Das neueste Parfüm, ob englischer oder französischer Marke, duftete in Deutschland feine »Première« im Taschentuch Heller-Hüningens, und die modernste Frisur gab von seinem Haupt das Signal zur allgemeinen Nachahmung; immer » d'après la dernière mode!« und doch ohne jeglichen geckenhaften Beigeschmack, welcher so leicht aus der Eleganz eine Karrikatur macht.
Und nun hatte man in Paris ein neues Feldgeschrei ausgegeben, unter welchem die jeunesse dorée ihre Lanze für das Backfischtum brach! Brillant, Heller-Hüningen war in der That ein Glückspilz.
Er neigte den hübschen Kopf und schaute durch die Silberranken eines Tafelaufsatzes zu der kleinen Dame hinüber, welche es fertiggebracht hatte, einen Mann wie Janek Proczna zu interessieren!
Das war also ein Röslein mit kapriziösen Dornen?
Donat memorierte die Worte Janeks und prägte sie sich scharf ins Gedächtnis, dazu sah er sich seine Cousine Bicky zum erstenmal im Leben aufmerksam an.
Neben Xenia sah sie allerdings aus, wie ein Perlhühnchen neben einem goldgekrönten Schwan, aber dennoch war sie in ihrer Art allerliebst, frisch und rosig wie der kleine Borsdorfer Apfel auf der Fruchtschale vor ihr, in welchen man so recht mit Appetit hineinbeißen möchte! Und dazu hat sie sogar noch Rosendornen.
Der junge Offizier nahm sich vor, dem Geschmack Janek Procznas mal ein bißchen auf den Zahn zu fühlen und dem Backfischchen nach dem Souper sein Kompliment etwas ausdrucksvoller wie gewöhnlich zu machen. Er hob sein Glas und nickte Bicky zu, zuerst sah sie es nicht, als aber Donat seine Wünsche von Mund zu Mund an der Tafel entlang telegraphierte, da schaute sie hastig zu ihm herüber, wurde dunkelrot und strahlte über das ganze Gesichtchen. Nach Tisch hatte er sich dann auch bald zu ihr herangeschlängelt.
Bicky stand hinter ihrer Mutter, welche sie krampfhaft an ihre Seite fesselte, und blickte ihm bereits mit leuchtenden Augen entgegen.
»Küsse die Hand, Cousinchen!
Donats Sporen klangen zusammen, er neigte den wohlfrisierten Kopf mit den beiden blonden Haarwellen, welche ihm tief in die Stirn lagen, und lächelte auf die ihm eigene, so außerordentlich liebenswürdige Art.
»Warum haben Sie sich bei Tisch so kolossal weit von mir weggesetzt, ich konnte Sie ja kaum sehen!«
»Aber Sie haben mir doch zugetrunken!« entgegnete sie hastig, mit unverkennbarem Jubel, »und haben mir zugenickt! Ach, und das hat mich fürchterlich gefreut!«
»Auf Wort?«
»Gewiß! Daraus merkte ich doch, daß Sie mir nicht mehr böse sind!«
»Ich Ihnen böse?« …
Donat zog die Oberlippe empor, daß die weißen Zähne durch den Schnurrbart blitzten, das that er immer, wenn er sehr erstaunt war.
»Da weiß ich ja gar nichts von! Bitte, schießen Sie doch mal los, Cousinchen, was Sie eigentlich damit meinen?«
»Sie wissen's nicht mehr?!« … Beatrice atmete hoch auf, »Gott sei Dank!! … ich war ja entsetzlich grob zu Ihnen!«
»Zu mir? Ist ja scharmant, ganz allerliebst, Bickychen, schnell mal gebeichtet, was Sie begangen haben!«
Sie senkte das Köpfchen.
»Besinnen Sie sich nur, vorhin … wie Sie mich wieder am Zopf zogen!! Wissen Sie da nicht mehr, wie ich Sie angeschrien habe?«
Donat hatte keine Ahnung.
»Na wie denn?«
Des Backfischchens Kinn sank noch tiefer auf die Brust, heiße Glut flammte auf den Wangen.
»Sie thun nur so, Donat, und dabei sind Sie gewiß aufs tiefste beleidigt … aber wirklich« – ihre dunklen Augen hoben sich mit flehendem Aufblick – »ich habe es nicht so arg gemeint, und wenn ich auch wirklich ›frecher Kerl‹ gesagt habe, so war es nur in …«
»Frecher Kerl?! … Frecher Kerl haben Sie mich genannt?! … Das ist ja göttlich! Das ist ja ganz famos!!« und Fürst Heller-Hüningen bog sich vor Lachen. »Wenn das Proczna hört, wird er mich beneiden, als hätte man mir das Großkomthur um den Hals gehängt!
Frecher Kerl!! … à la bonne heure, Bickychen, Sie sind ein ganz reizendes Mädel!«
Mit großen Augen blickte sie ihn an, sein außerordentliches Vergnügen an ihrer Unart war ihr absolut unverständlich.
»So haben Sie es mir nicht übel genommen?« fragte sie ganz betreten.
Er stützte sich mit beiden Händen auf die Sessellehne und blickte ihr plötzlich ganz ernsthaft in das Gesichtchen.
»Im Gegenteil, ich preise mich glücklich!« sagte er mit einem Pathos, das stark nach »auswendig gelernt« klang. »Wer schon so viel wie ich von der Welt gesehen, und die Blumen in aller Herren Länder gepflückt hat, der weiß den entzückendsten aller Reize, den Rosendorn, am besten zu schätzen, und der ›freche Kerl‹ war ein Rosendorn. Glauben Sie mir, Beatrice, ich liebe die Waffe in der Männerhand ebenso sehr, wie den blitzenden Kampfruf im Auge schöner Backfische, denn beide spornen mich an, den Sieg zu erringen!«
»Aber Donat … das verstehe ich ja gar nicht!«
»Ich auch nicht!« dachte Hüningen, aber er sprach's nicht aus, sondern machte ein geradezu geistreiches Gesicht. »Sie werden noch öfters Dinge aus meinem Munde hören, über welche man nachdenken muß.«
Bicky legte mit angstvollem Blick die Händchen zusammen.
»Ach nein, lieber Donat, um Gottes willen sprechen Sie nicht so unverständlich zu mir, es ist ja gar zu schrecklich für mich, wenn einer so klug ist!«
Der Vorwurf war dem jungen Fürsten bis jetzt noch nie gemacht worden. Schalk und Übermut blitzten in seinem Auge, und doch schmeichelte diese erste naive Bewunderung seiner Eitelkeit dergestalt, daß er sich vorkam, wie ein Kätzchen, dem man den Pelz kraut. Ein jäher Gedanke , durchzuckte ihn. Er warf sich in die Brust und sah das kleine Fräulein voll grausamer Herausforderung an.«
»Bicky, wissen Sie vielleicht, wer das Mädchen von Dom Remi war?«
Die Kleine schnappte förmlich nach Luft vor Schrecken.
»Ich werde Miß Davenport heute abend noch fragen« … stotterte sie.
»Bicky … wissen Sie, was ein Torso ist?«
»Nein! … ach um Gottes willen, was denn?!«
»Bicky … wo steht die Emilie Galotti?«
»Meinetwegen vor dem Bremer Rathause!«
Mit zornigem Ausblick schüttelte sie das Köpfchen und setzte den kleinen Fuß energischer wie gewöhnlich auf.
»Sie denken wohl, Sie müssen mich noch examinieren wie einen Studenten, der sein Examen machen will?! Ich bin kein Schulkind mehr und brauche nicht mehr zu lernen! und wenn Sie so gewaltig klug sind, daß Sie alles wissen, so haben das andere Leute noch lange nicht nötig!« …
Ein Gefühl voll unendlicher Genugthuung schwellte die Brust des jungen Offiziers. Endlich mal eine, die er noch erfolgreich examinieren konnte, die sich nicht vor ihn hinstellte wie Gräfin Xenia, die Hände über den verlorenen Sohn zu ringen! Nun waren doch einmal die Rollen getauscht, und Fürst Heller-Hüningen erntete endlich auf einem Felde Lorbeer, wo er bis jetzt nur Disteln gepflückt.
Er sah die trotzige kleine Dame mit einem jener tiefen, unwiderstehlichen Blicke an, welche schon so oft Wunder bei ihr bewirkt hatten.
»Soll ich künftighin Ihr Freund sein, den Sie stets um Rat fragen, wenn Sie etwas nicht wissen sollten?« fragte er mit einem Gesicht, welches deutlich zeigte, wie brillant er sich amüsierte.
Sie nickte hastig, aufs höchste überrascht.
» Bon, so werde ich mir sofort ein Konversationslexikon zulegen, und dann – dann kann ich Ihnen selbst sagen, wie's einer Jungfrau zu Mute ist, wenn Ihr Herz zur Liebe erwacht!« – –
Janek Proczna lavierte sich mit zahllosen »pardons« durch die Schleppen, welche gleich farbigem Rankengewirr die Füße umstrickten.
»Wohin wollen Sie Ihre Feder blasen, Graf?« fragte Anna Regina lächelnd.
»So viel ich hörte, ist Frau Leutnant Gower eine vorzügliche Klavierspielerin, Königliche Hoheit; ich beabsichtige, ihr mein Kompliment zu machen und um Verzeihung zu bitten, daß es erst jetzt geschieht! Die Thatsache, daß ein Sternenhimmel nicht mit einem Blick in allen Einzelschönheiten gewürdigt werden kann, muß meine Entschuldigung sein!«
Die Prinzessin nickte ihm freudig, fast dankbar zu, Leonie jedoch trat schnell näher und lachte leise, aber unendlich sarkastisch auf.
»Die Gower begrüßen, sie um Verzeihung bitten? …« Sie schüttelte den schönen Kopf: »hören Sie mich einen Augenblick an …«
»Aber liebste Excellenz – so lassen Sie ihn doch gehen, die arme Frau steht wieder so gänzlich isoliert!« warf Anna Regina in fast bittendem Tone ein.
»Ganz recht, Königliche Hoheit! Man läßt sie sitzen wie die Trumpf-Sieben!«
Leonie überhörte Procznas Einwurf, sie wandte sich der Prinzessin zu und blickte sie groß an, dann neigte sie sich schnell und flüsterte ihr etwas hinter dem Fächer zu. Janek verstand Wort für Wort:
»Ich bitte Hoheit dringend, meine Pläne nicht zu durchkreuzen, sonst übernehme ich keinerlei Garantie, daß die Komödie ›Don Carlos‹ ohne tragisches Nachspiel bleibt!«
Dann drehte sie wieder das Köpfchen auflachend zu Proczna und fuhr fort:
»Wie die Trumpf-Sieben, vortrefflich gesagt. Lassen Sie sich aber nun auch die Spielregeln zu diesem neuesten ›Schach der Königin‹ mitteilen!«
Präsidentin Gärtner winkte ihm mit dem Fächer einen Schritt abseits zu treten, und Janek verneigte sich, warf noch einen schnellen Blick auf Anna Reginas verändertes Antlitz und folgte.
»Ich habe keine Zeit, Ihnen jetzt die ganze Affaire auseinanderzusetzen, mon ami!« lächelte Leonie wie eine Unschuldstaube zu ihm auf, »dazu müssen Sie mir ein Stündchen opfern und sich bei einem Tete-a-tete in meinem Boudoir langweilen – wollen Sie kommen?«
»An die Berechtigung zu einem Zweifel darüber glauben Sie selber nicht, Excellenz!« flüsterte er mit fast vorwurfsvollem Blick.
» Eh bien, und wenn Sie kommen … ist's als Freund?«
»Freundschaft ist ein häßliches, lauwarmes Wort für einen, in dessen Adern heißes Polenblut rollt und für einen … der in allen Wünschen unbescheiden ist!«
Das Goldlaub auf Leonies Brust erzitterte.
»Haß und Liebe lodern allerdings in glühenderen Flammen empor, aber sie brennen gar leicht zu Tod!«
Er lächelte wunderlich.
»Sie führen in vorsichtiger Weise Ihren Kahn nur am glatten Ufer entlang, Excellenz, mich lockt's in Sturm und Flut hinaus.«
Ihr Blick brannte in seinem Auge.
»O, daß ich einen Fährmann fände, der mich mit sich nähm'!«
»Meine Fahrt ist wild und unsicher, wer sich in mein Schifflein wagt, muß darauf gefaßt sein, an Klippen zu scheitern und von seinem eigenen Ruder in die Tiefe gezogen zu werden. Haben Sie den Mut, es mit mir aufzunehmen?«
Es lag eine fast ironische Herausforderung in der Stimme des jungen Mannes, aber Leonie sah nur sein dunkles, leuchtendes Auge und das stumpfte ihren Scharfblick. Jähe Röte flog über ihr Antlitz; sie winkte hastig, wie berauscht vom Dufte giftiger Blüten.
»Nehmen Sie Ihre Lieder mit an Bord, und Wind und Wellen gehorchen uns! Und nun gehen Sie und machen Sie die Cour, wo Sie wollen, nur nicht bei Frau Gower!«
»Sagen Sie mir ganz kurz den Grund dafür«, bat er.
»Eh bien. Leutnant Gower ist gegen meinen speciellen und der Ulanen allgemeinen Wunsch Adjutant beim Prinzen, und infolgedessen samt seiner Frau Gemahlin unserer exklusiven Gesellschaft aufgenötigt worden – «
»Gower soll ein ausgezeichnet befähigter und tüchtiger Offizier sein!«
»Aber bester Proczna – das ist mir doch grenzenlos gleichgültig! Mag er im Dienst sein, was er will, im Salon ist er steif und langweilig, und das genügt, um ihn unmöglich zu machen! Da der Mann nicht freiwillig geht, muß man ihm den Stuhl vor die Thür setzen, und wie Sie sehen, befolgt man meinen guten Rat allgemein und läßt beide Gowers sitzen wie – die Trumpf-Sieben!«
Ein leises, boshaftes Aufkichern, Janek aber lachte ganz unbändig und applaudierte.
»Brillant, Excellenz! Die kleine Intrigue ist ja köstlich und soll an mir einen eifrigen Verbündeten finden! Pardon – wen wollen wir denn beim Prinzen einschmuggeln?«
»Meinen kleinen Freund Flandern, der avancieren muß! … Ich sage Ihnen, Kavalier bis in die Fingerspitzen, und dabei ein Charakter, welcher einer derartig einflußreichen Stellung gewachsen ist und doch auch wieder ein Wort mit sich reden läßt.«
»Und seine sonstigen Fähigkeiten?«
Leonie zuckte die Achseln.
» Mon Dieu, was weiß ich … seine Schwadron hat wahnsinnige Manschetten vor ihm … springt am besten von allen … und Feste und Partien arrangiert er und malt in Aquarell … entzückend! Immer Fächer!«
»Selbstverständlich! Also Flandern! Natürlich muß Flandern lanciert werden! Ganz Ihrer Ansicht, Excellenz … werde mal all meine Malice zusammenschütteln und einen Schlachtplan ausdenken! … Ah, ein Gedanke! Ich werde Frau Gower so tüchtig blamieren, daß sie das Wiederkommen vergißt! Ich bitte sie bei der nächsten musikalischen Soiree, mich zu accompagnieren, und singe dergestalt, daß sie irre werden muß, daraus läßt sich ein eklatantes Fiasko inscenieren.«
»Superb, lieber Graf, eine Götteridee!« jauchzte Excellenz, »die Person soll über Nacht graue Haare bekommen!«
Sorgen Sie nur dafür, daß sie eingeladen wird, Sie Allmächtige!«
»Verlassen Sie sich darauf.«
»Die Herrschaften verabschieden sich … Also für morgen au revoir, Excellenz, der erste Weg führt mich zu Ihnen!«
Xenia stand wie zu Anfang des Abends und nahm die Lebewohls entgegen.
Janek verneigte sich zuletzt vor ihr.
»Ich verdanke Ihrer Liebenswürdigkeit einen außerordentlich angenehmen Abend, Xenia!« sagte er heiter, »ich hätte nie geglaubt, daß im hohen Norden eine so warme Wintersonne scheint.«
Und damit flog sein Blick zu Leonie hinüber, welche just durch die Thür schritt.
»Hüten Sie sich vor ihr, sie blendet die Augen, welche allzulang und vertrauensselig hineinschauen!«
Sehr kühl klang es, und dennoch ganz anders wie sonst.
»Nehmen Sie wirklich so viel Anteil an meinem Schicksal?« – –
Um seine Lippen zuckte es wie Spott.
»Nur insofern, als es die allgemeine Menschenfreundlichkeit gebietet. Wenn ein Bettler am Abgrund schläft, lasse ich auch ihn aufwecken und warnen!«
»Sie lassen es thun, und um mich bemühen Sie sich persönlich? … Vergessen Sie nicht, Gräfin Xenia, daß unter diesem festlichen Kleid auch nur polnisch Blut in den Adern kreist, daß sich hinter der neunzinkigen Maske doch nur eines Insurgenten und eines Bettlers Sohn versteckt!«
Er hatte es leise gesagt, hatte ihr voll und fest dabei in das Auge gesehen … dann warf er keck den schönen Kopf zurück und wandte sich zu Drachs, welche soeben alle drei herzutraten, um ihn voll aufrichtiger Herzlichkeit einzuladen, ihr Haus als das seine zu betrachten! Janek acceptierte sehr erfreut und versicherte, daß er in Zukunft das tägliche Brot bei ihnen sein werde; dann blickte er gewissermaßen erwartungsvoll auf Xenia.
Sie hatte sich abgewandt und schwieg. So ging er.
Mit hastigen Schritten sprang er die Treppe hinab. Die meisten Equipagen waren schon davongefahren, nur das elegante Gespann Procznas und der Mietwagen Gowers warteten noch.
Die Engländerin wollte soeben einsteigen, ihr Mann bezahlte den Kutscher.
Mit schnellem Schritt stand Janek an ihrer Seite.
»Gestatten Sie, gnädigste Frau, daß ich Ihnen behilflich bin?« fragte er in ausgesucht liebenswürdigem Ton, faßte ihre kleine Hand in dem unförmigen Überziehhandschuh und hielt den Schlag zurück. Fast entsetzt wandte sie den Kopf zu ihm herum. Der Schein der Laterne fiel auf ihr blasses Gesichtchen, überströmt von Thränen.
»Ich bitte tausendmal um Vergebung, gnädigste Frau, daß ich erst jetzt Gelegenheit nehme, mich Ihnen zu nähern, und hoffe, daß Sie mir gestatten, das Versäumte in einer baldigen Visite nachzuholen … au revoir!«
Und er neigte sich, zog die Hand der jungen Frau an die Lippen, lüftete kurz den Hut vor dem Adjutanten und trat an seinen Wagen zurück.
Ein kaum hörbares »Tausend Dank!« hallte ihm nach, dann schmetterten die Hufe über das Pflaster.
Proczna warf sich in die schwellenden Atlaspolster zurück, seine geballte Hand preßte sich gegen die Stirn und der Blick schweifte hinaus in das Dunkel … noch ging keine Morgensonne auf, aber es war, als schimmere schon jetzt ihre Röte verheißungsvoll durch die Nach.
Auch Gräfin Xenia starrte mit brennenden Augen zu dem Nachthimmel empor.
Sie stand im Erker, tiefe Stille war's um sie her, verrauscht und verklungen alle Lieder und Worte, nur wie ein Echo hallte es noch träumerisch durch die Seele.
O ihr wundersüßen Lieder! …
Wie Tautropfen waren sie auf ihr durstig Herz gefallen, augenblicklich ein Balsam, aber für die lange, stille und einsame Nacht nagend Gift, brennende Funken.
Mechanisch war Xenia an den geöffneten Flügel getreten, über dessen glänzende Tasten soeben noch seine Hände geglitten waren, all die süßen Zauberweisen hervorzulocken! leise strich sie darüber hin, kalt wie Eis fühlten sie sich an.
Ein Bettler … der Sohn eines Insurgenten!
O ja, es gehörte Mut dazu, angesichts der eingefleischtesten Aristokratie die Stirn zu heben und die Wahrheit zu bekennen, viel Mut und viel Stolz, und viel eisenfester Wille, um so alles unter die Füße zu treten, was sonst die Welt als Götzen anbetet! Sie sah Janek Proczna noch immer vor Augen, die hohe, ritterliche Gestalt mit dem edlen Haupt und der markigen Brust, welche es verschmähte, die Ordenskette zu tragen, deren Sterne ja doch nur Talmi waren gegen das Gold, welches seine Lieder in blitzenden Funken versprühten! Warum mußte gerade dieser Mann so tief aus dem Staub emporgehoben, warum mußte gerade er dem Grafen Dynar auf die Schwelle des Schlosses gelegt sein! …
Wie ein Frösteln ging es durch die Glieder der Träumerin, sie wandte das Haupt und schaute sich in dem Saal um, – – ganz allein!
Warum empfand sie es plötzlich? War sie sich doch noch niemals im Leben einsam und verlassen vorgekommen! … O ja! doch … damals in der Morgenfrühe, als der Erbe von Proczna hinaus in die weite Welt ging, trotzig, kühn entschlossen, als ein Mann, vor welchem sie das Auge niederschlagen mußte! Da war es auch so öde und leer um sie her gewesen, da hatte ihr Herz gebebt wie in diesem Augenblick!
Die Kerzen flackerten und malten ihre Schatten gegen die weiße Atlasportiere, leise Schritte klangen hinter ihr.
Xenia schrak zusammen wie ein furchtsames Kind.
Die Diener wichen bei ihrem Anblick betroffen zurück.
»Wir wollen die Lichter auslöschen, Gräfliche Gnaden!«
Die Komtesse winkte hastig zustimmend mit der Hand und schritt nach ihren Gemächern, die Veilchen in ihrem Haar waren verwelkt, aber tiefinnen im Herzen, da war es, als ob ganz zaghaft und leise ein grünes Blättchen das Haupt über Eis und Schnee erhöbe, wie ein lieblicher Bote des Frühlings. – –