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Dreizehntes Kapitel

Die Götter leiten zum Besten Alles!
– Amen. –

Shakespeare. Cymbeline.
III. Aufz. V. Sc.

 

Vor das Portal rollte eine Hofequipage. Prinz Maximilian und Lieutenant von Hovenklingen warteten keine Anfrage des Lakaien ab, sondern sprangen hastig die Treppe empor und verlangten sofort den Herrn Baron zu sprechen. Olivier trat ihnen aus den Gemächern seiner Gemahlin entgegen, nicht wie Einer, der in wenig Stunden um seines ehrlosen Weibes willen die Pistole hebt, sondern glückstrahlend, hoch und stolz wie ein Freier, welcher sich soeben von der Geliebten das Jawort geholt.

Glücksboten sind in sein Haus getreten; es ist, als ob die Sonne, einmal aufgegangen, immer leuchtender und voller ihre Strahlen herniederschickte. Die Farben wechseln auf dem Antlitz des jungen Seeoffiziers, als er in höchster Aufregung den peinvollen Irrthum darlegt, an welchem sein übermüthiger Carnevalsstreich die Schuld trägt. Alles hätte sich sofort aufklären müssen, wenn der Jagdausflug die Herren nicht von der Residenz fern gehalten hätte, und da der Unfall es ihnen kundthut, in welche Scandalosa man Baronin Nennderscheidt verwickelt, so sind sie umgehend zurück gekommen, ein Unglück zu verhüten.

Obwohl auf Olivier's Stirn kein einziger Sorgenschatten gelagert, hebt sich seine Brust dennoch in tieferleichtertem Aufathmen, und da Hovenklingen ihm beide Hände entgegen bietet: »Vergeben Sie mir!« da umschließt er diese Hände mit warmem Druck und entgegnet lächelnd: »Nicht vergeben, sondern von Grund meines Herzens danken will ich Ihnen, lieber Hovenklingen! Ein Sturm, welcher herauf beschworen wird, läßt oft mehr Blüthenknospen springen, als er Hagelkörner streut, und mein Herz und meine Seele stehen in Blüthenpracht, wiewohl draußen noch die Schneeflocken wirbeln.«

Prinz Maximilian bat um die Erlaubniß, Marie-Luise die Hand küssen zu dürfen, und als er seinen Wagen wieder bestieg, schüttelte er verwundert den Kopf. »Sind Sie aus den Beiden klug geworden, Hovenklingen? Ich gedenke in ein Haus zu treten, um welches die Unglücksvögel, die Raben krächzen, und wie ich mich umschaue, sitzt die Nachtigall auf dem Dache und jubelt glückselige Lieder von Lenz und Liebe.«

Eine halbe Stunde, nachdem Goseck Marie-Luise verlassen, erhielt Nennderscheidt einen Brief von ihm. Voll Bestürzung blickte Olivier auf die Zeilen nieder. »Laß mich unsern Ehrenhandel schlichten, friedlich und unblutig, zum Glück und Heil für Dein Weib. Ihr Herz, nicht das Deine, würde meine Kugel treffen. Die Antwort, welche ich Dir gestern Abend verweigerte, gebe ich jetzt, und Gott der Herr ist mein Zeuge, daß ich Wahrheit rede. Rein und schuldlos wie die heilige Magd, welcher ich künftighin dienen werde, ist Marie-Luise. Ich habe sie geliebt, sie aber mit keinem Gedanken ihres Herzens mich. Was ich an Dir gesündigt. Olivier, will ich büßen. Wunderst Du Dich, daß aus einem Saulus auch in dieser modernen Zeit noch ein Paulus werden kann? Gott sendet seine Engel, die reinen, unschuldigen und wahrhaft frommen Frauen, ihrer Nächsten Herz zu lenken. Auch das Meine ward auf rechten Pfad geführt. Welt und Leben liegen hinter mir. Ich werde in den Orden der Cisterzienser treten. Weiß und Schwarz, Schuld und Sühne. Vor dem Bild der Maria will ich liegen; sie hat dunkle Augen. Als letzte Bitte flehe ich Dich an: Zerstöre nicht Deines Weibes Glauben an mich, sie hält mich keiner Treulosigkeit für fähig. Diese Zuversicht ist mein Segen. Und nun mein letztes Lebewohl. Gott segne Euch.

Eustache.«

Ein tiefer Seufzer hob Olivier's Brust.

– – – – – – – – – –

Ein kalter, stürmischer Abend. Hellmuth Collander erreicht auf langem Umweg durch menschenleere Gassen den Park und wendet sich nach dem Schloß. Er ist oft dort zu Gaste gewesen, und je öfter er von Fürstin Tautenstein schied, desto heißer siedete das Blut in seinen Adern, desto ruheloser durchirrte er die Nächte. Warum suchte er Claudia auf? Das hohe Ziel, welches ihm anfänglich seine Besuche als Pflicht hatte erscheinen lassen, durch welches er sich selber blendete und jedweden Scrupel betäubte, das war wie ein Schemen in Nichts zerronnen. Beinahe erschien es wie Absicht, daß Claudia so geflissentlich jedes religiöse Gesprächsthema vermied. Sie lachte, plauderte die leichtfertigsten Dinge und kokettirte mit ihm. Er sah es zuerst wohl ein und nahm sich vor, das bezaubernde Weib zu meiden; wenn er aber bei Martha in dem schlichten Stübchen saß und nicht mehr zufrieden und glücklich war wie früher, wenn er sich langweilte und Vergleiche zog, dann merkte er es wohl auch, wie tief sich das Gift schon eingefressen hatte in sein Herz, und er erwartete voll fieberhafter Sehnsucht das duftige, kleine Billet, welches ihn in sein Verderben rief. Mit dämonischen Gewalten packte ihn die Leidenschaft der Liebe. Da war kein Nerv, kein Blutstropfen mehr, welcher nicht der süßen Zauberin gehörte. Von Pracht und Schönheit geblendet, von ihrer Gunst berauscht, fragte er nicht mehr nach Himmel und Erde, lebte er nur noch dem Augenblick, welchen einzig sie und ihr sonniges, lockendes Lächeln ausfüllte. Und Claudia schürte den Funken zur Flamme, leidenschaftslos, berechnend und wohl überlegt, mit der grausamen Behaglichkeit, mit welcher sich die Schlange der Wirkung ihres Blickes freut. Was fragte Collander nach seinen Gegnern? Stein um Stein schleuderten sie gegen den träge gesenkten Schild des Glaubens- und Parteikämpfers. Pfeil um Pfeil grub sich giftig in sein Fleisch, und er beachtete es nicht, richtete sein fieberglänzendes Auge nur auf das Irrlicht, das winkende und bethörende, warf die Waffe aus der Hand und kränzte sich mit Rosen. Seine Predigten klangen wirr und zerfahren, lichter wurden die Reihen seiner Anhänger, leer blieb der fürstliche Stuhl in der Kirche.

Und dann war jener eine gewitterschwüle Tag gekommen. Wie gedämpft die rosa Kuppel in dem Salon brannte, wie betäubende Duftwogen um die weiße, spiegelnde Liebesgöttin irrten! Da stand Claudia vor ihm und legte die demantglitzernden Händchen auf seine Schultern; wie eine Schilfblüthe vor dem markigen Eichstamm am Ufer schwankt, so wiegte sich ihr Nixenkörper schmeichlerisch an seiner Brust. »Ich gehe zum Süden zurück. Hellmuth Collander, willst Du mich begleiten? Ich habe Dich lieb wie die lustige Winde den Rittersporn, welcher sie in den Armen hält. Nicht allein der Epheu sagt: Je meurs ou je m' attache'! Kannst Du noch leben ohne mich? Nein, ich bin Dein Schicksal geworden, ich gebe Dir Leben und Tod, ich ziehe Dich nach, überall hin, wie der Magnet den Stahl. Was willst Du hier? Du bist nicht geschaffen zum Priester, nicht geschaffen zu Kampf und Streit oder zum sorgenden Hausvater, der Kinder wiegt. Du kennst Leben und Glück noch nicht, ich aber will es Dir zeigen. Kein Band soll uns aneinander ketten, wir tragen Flügel an den Schultern, jubelnde, glückselige Kinder der Freiheit. Wirf die Ketten von Dir, Collander, welche Dich hier an den kalten Norden schmieden, reise mit mir in das Land der Sonne und Liebe, werde ein Künstler. Du hast Talent zum Malen! Lorbeer und Rosen sollst Du pflücken, und meine Hände winden sie in Dein Haar!« – – –

O die lange, furchtbar dunkle Nacht, die auf diesen Abend folgte. Ein Kämpfen und Ringen, ein Verzweifeln an sich selbst. Da trat ein lichter Engel zu dem geisteswirren Mann und schlug rettend die Schwingen um ihn. Pflicht und Treue siegten. Wohl war ein Mehlthau auf die Blüthe des Glaubens gefallen, aber er hatte die Wurzeln nicht roden können. Schwer war der Sieg, er brach des Kämpfers Herz, aber sein Geist hob sich desto machtvoller darüber empor. Sein Leben und Blut will er Claudia opfern, nicht aber seinen Glauben, sein heilig Gewand, seine Braut. Und so trat er andern Tags vor das liebreizende Weib, welches seiner Antwort harrte. Er sprach leidenschaftlich und begeistert, er glaubte, seine Worte müßten ein steinern Herz rühren und demüthigen. Sie lachte kurz und spöttisch auf. »Passons là dessus! Ein Jeder ist seines Glückes Schmied!« Und lachend nahm sie Abschied von ihm, ohne ihm die Hand zu reichen, mit glimmerndem Blick. »Wir werden uns nicht wiedersehen!« sagte sie kurz, »aber wir wollen als gute Freunde scheiden, und wenn ich heirathe, halten Sie mir die Traurede! … Hahaha ... ›bleicher Henker, zittre nicht!‹« und sie warf ihm eine Hand voll Rosen in das Gesicht und ließ ihn stehen. Das Hazard, welches er kühn gewagt, war verloren, dennoch hatte er den schwersten Sieg erfochten, den über sich selbst. Aber er ging wie ein Mann, der zu Tode verwundet ist.

Als er sich die Treppe in sein Zimmer emporgeschleppt hatte, lagen Briefe auf dem Tisch. Auch ein Dienstschreiben mit großem Siegel. Er öffnete und hielt es gleichmüthig an das Licht. Leichenblässe überzog sein Antlitz, ein dumpfer Laut rang sich gurgelnd aus der Brust – – Seine Versetzung in ein elendes Dörfchen des Fichtelgebirges, gestürzt, hinausgestoßen wie ein Paria ... eingefügt in die Reihen Derjenigen, welche man in Welt und Leben, in einflußreichem Amte nicht mehr brauchen kann. Alles zu Ende; die Leiter, die zur Höhe, zu That und Verdienst führt, ist unter seinen Füßen zusammengebrochen. Staub wirbelt über sein Haupt. So war Alles vergeblich gewesen, sein Kampf, sein Entsagen, sein geopfertes Herz. Ein gelles Lachen schütterte durch das Zimmer, ein Lachen voll Wahnwitz und Verzweiflung. Brennender Schmerz zuckte durch sein Hirn ... Gluth und Eiseskälte durchschauerten die Glieder, ein Tasten, Aufschreien, und dann ein schwerer Fall; Todtenstille. –

Der Stiftspfarrer von Sanct Brigitten war am Typhus erkrankt. Mit wilder, jäh vorbrechender Gewalt hatte ihn die Krankheit erfaßt und niedergewor fen. Lange, entsetzliche Nächte hindurch rang der Tod mit dem Engel des Lichtes um sein Opfer. Unermüdlich in qualvoller Pflege, saß Martha an dem Lager ihres Verlobten. Sie gönnte sich keine Ruhe bei Tag und Nacht, wie ein Schatten zehrte sie dahin. Ihre kühle Hand lag auf seiner Stirn, wenn die rasende Fiebergluth den kranken Mann aus den Kissen empor riß, ihn mit den Gestalten seiner Phantasie kämpfen oder kosen zu lassen. Und er ward ruhiger und klammerte sich an ihren Arm und flüsterte: »Hilf mir, Martha, vor Deinen Augen kann sie nicht bestehen, sie erträgt Deinen Blick nicht ... falte die Hände und sieh' ihr fest in das süße Antlitz; dann hört sie auf zu lachen und nimmt die schweren Rosen von meiner Brust ...« Heiße Thränen rannen über das Antlitz des jungen Mädchens. Dann blieb der Stuhl neben dem Krankenlager eines Morgens leer, und die Diakonissinnen walteten allein ihres Amtes.

Sein Bewußtsein kehrte allmählich zurück. »Wo ist Martha?« Ausweichende Antworten. »Kommt sie bald?« Die Schwester wandte sich nach dem Fenster. »Sie pflegt den Großvater, der alte Herr liegt schwer darnieder.« Tage vergingen. Wochen schwanden dahin. »Martha! ... Martha!!« – Vor dem Fenster fangen die Nachtigallen im Flieder, und drinnen im Zimmer brachte die Oberin dem genesenen Pfarrer die letzten Grüße seiner Braut. Wo die wilden Rosen um die Trauerweide ranken und der Jasmin seine weißen Blüthen streut, schlief Martha in dem lichten Braut gewand und harrte des Geliebten. Und er kam und warf sich nieder auf das kühle Grab. Ein Flüstern ging durch die Zweige. Thränenperlen tropften segnend in das lockige Haar des Einsamen. An dem kleinen Marmorkreuz aber rankte und hob sich eine gebrochene Passionsblume wieder empor. Collander's Glauben an Gott und die göttliche Gerechtigkeit. – –

In der Nacht, da man das Leben des Stiftspfarrers nach Minuten zählte, fuhr Fürstin Tautenstein zum Fastnachtsball. Sie tanzte nicht, sie raste. Nervös, fieberhaft, unvernünftiger wie je. Prinz Maximilian trat zu ihr. »Sie haben sich ja gleich mir stets für den Pfarrer Collander interessirt, Durchlaucht. Ich höre soeben, daß es zu Ende geht.« Er sagte es ernst, finster fast, mit durchdringendem Blick. Das Gas flackerte, es warf einen fahlen Lichtschein über das Antlitz der schönen Frau. Sie antwortete nicht, aber sie griff hastig nach einem Glas Eislimonade, welche ein Lakai präsentirte, und stürzte sie hinab. Hochathmend, glühend vom Tanz. »Sprechen wir von etwas Anderm, Hoheit, sterben ist ennuyant!« sagte sie, »oder besser lassen Sie uns tanzen!« Noch eine halbe Stunde lang flog sie von einem Arm in den andern. Dann gab es plötzlich eine unruhige Scene im Nebensaal. Eine Hofdame wehrte die Zudrängenden ab. »Fürstin Tautenstein ist krank geworden und fährt nach Hause!«

»Ein Blutsturz?« flüsterte Excellenz Södermann entsetzt.

»War vorauszusehn. Die Krankheit liegt in der Familie, ihre Mutter starb auch an der Schwindsucht.«

»Schrecklich!!«

Verschiedene sensationelle Nachrichten alarmirten an den nächstfolgenden Tagen die Hofgesellschaft und höheren Kreise der Residenz. Die Lösung der mysteriösen Rendez-vous-Affaire rief einen wahren Sturm der Erregung hervor. Der Wind schlägt leicht um, und das Mäntelchen flattert anstatt rechts nach links. Marie-Luise, die Geächtete und Gerichtete, wurde voll Begeisterung als Märtyrerin auf den Schild gehoben. Niemand hatte an ihre Schuld geglaubt. Die Equipagen rollten vor Villa Hazard; leider vergeblich. Die beiden gallonirten Diener versicherten den Herrschaften mit devotem Bückling, »daß Frau Baronin am gestrigen Nachmittag in Begleitung von Fräulein von Speyern nach Hersabrunn gefahren sei, woselbst gnädige Frau etliche Zeit zu verweilen gedenke. Herr Baron sei zur Zeit ebenfalls abwesend.«

Da senkte sich vorläufig ein Schleier über das plötzlich so lieb und interessant gewordene Paar. Ein neuer Eclat verdrängte die älteren Ereignisse. Graf Goseck hatte in einem krankhaften Anfall religiöser Schwärmerei der Welt abgeschworen. Man erzählte sich, die Hände zusammenschlagend, daß er Cisterzienser-Mönch werden wolle und Knall und Fall abgereist sei. Graf Goseck! Dieser Lebemann, dieser Roué? Je nun, les extrêmes se touchent, und ein absonderlicher Kauz war er stets. Seine Liebe zu Frau von Nennderscheidt war selbstverständlich im Spiel. Hoffentlich bringt die Zukunft noch des Räthsels Lösung.

Und abermals eine Neuigkeit! Nach dem Fastnachtsball ist Fürstin Claudia Tage lang sehr krank gewesen. Der Medizinalrath zuckt die Achseln und streicht, den kleinen Finger mit dem großen Brillantring etwas abspreizend, den grauen Henriquatre. »Sie muß so schnell wie möglich nach dem Süden!« sagte er, und nach fünf Tagen bereits ist das reizende Weib unterwegs nach Italien. Wie ein Komet strahlend über den Himmel zieht und spurlos verschwindet, so tauchte sie auf und so ging sie. Die Großherzogin war ebenso besorgt wie verstimmt. Besorgt, weil sie Claudias Mutter einst ebenso plötzlich und für ewig hatte scheiden sehen, und verstimmt, weil ihr Lieblingsplan vereitelt war. In der Hoffnung, Fürstin Tautenstein mit ihrem verlassenen Gatten auszusöhnen, hatte sie die junge Frau zu sich eingeladen. Für acht Tage später stand der Besuch des Fürsten in Aussicht. Der Mensch denkt, und Gott lenkt.

Fräulein von Gironvale hatte ihre junge Herrin begleitet, nicht gerade in bester Laune. Sie hatte es sich so nett gedacht, den deutschen Seebär zu zähmen, und mußte stets von neuem die niederschmetterndsten Erfahrungen machen. Als sie jüngst aus dem Theater getreten war, stieg der Mond wie eine matt rothe Kugel aus dem Dunst der Schneenebel hervor, und Esperance machte ein verzücktes Gesicht und sagte seufzend: »Sieht er nicht gerade aus, wie die Liebesleuchte in Elsa's Brautgemach?« »Nee,« schüttelte Hovenklingen schmunzelnd den Kopf, »noch viel hübscher! gerade wie ein Edamer Käse!« Das hatte sie schon gewaltig verschnupft, als aber der Herr Lieutenant zur See mit ihr und Baronesse Södermann Schlittschuh lief, und die Pseudo-Französin voll grausamer Phantasie die Frage that: »Wenn wir jetzt einbrächen, Herr von Hovenklingen, wen würden Sie retten, Fräulein von Södermann oder mich?« Da hatte er in bekannter Trockenheit prompt geantwortet: » Mich!« und damit ein für alle Mal dem Faß den Boden ausgeschlagen. Esperance schimpfte auf das ganze einige Deutschland und packte die Koffer.

Prinz Hohneck suchte Urlaub nach und reiste ebenfalls ab, aber er kam nach sechs Wochen zurück. Und wurde seiner derangirten Verhältnisse halber in ein billigeres Regiment versetzt.

Als Collander genesen war, bekam er unter der Hand die Anfrage, ob er wohl geneigt sei. Marinepfarrer zu werden? Eine köstliche Schicksalswendung für Einen, der ein rast- und ruheloses Herz in der Brust trägt. Er wußte, daß er solches Glück einzig dem Interesse des Prinzen Maximilian zu verdanken hatte. In Kiel ward er auch sofort zu einer Audienz befohlen. Dann ging's hinaus in die weite Welt. Erst eine Fahrt mit dem Manöver-Geschwader, im Spätherbst nach Capstadt und Sidney. So nahm er Abschied von der Heimath, von den Gräbern, welche er als einzige Stätten der Sehnsucht zurück ließ; ein verschlossener, bleicher und kranker Mann. Der Tod hatte ihn frei geben müssen, aber seine Kralle hat er ihm in das Herz geschlagen, daß es heimlich weiter blutete und nicht gesunden konnte.

In Madeira liegt in paradiesischer Pracht und Schöne eine Villa auf vorspringendem Fels am Meer. Die Kaiserin von Oesterreich hat sie vor Jahren bewohnt, und Pfarrer Collander steigt einsam den Weg hinan, einen Blick in den flüsternden Palmfrieden zu werfen. Der weiße Gartensand dämpft den Schritt, und Hellmuth schreitet hinter blühenden Gebüschen bis dicht an das Gebäude heran. Plötzlich steht er und preßt die Hände gegen das Herz. Aufschreien möchte er und kann es nicht. Vor ihm ein seltsames Bild. Im Rollstuhl, in seidene Kissen gebettet, liegt Claudia. Schön wie der blasse Engel, welcher aus Grabesschatten seinen Flug zum Himmel nimmt. Eine Sterbende. Die kleinen Hände wachsbleich und abgezehrt wie ein Hauch, liegen gefaltet auf der warmen Pelzdecke, tiefumnachtete Augen heben sich mit starrem Blick zum Himmel. An ihrer Seite sitzt ein Jesuit und liest mit monotoner Stimme Gebete vor, sein Antlitz ist scharf geschnitten, ein strenger, beinahe unerbittlich grausamer Zug macht es unschön. Seitwärts liegt Esperance in einer Hängematte, raucht eine Cigarette und kokettirt mit einem Garibaldianer-Offizier. Die Sonne sinkt, und Claudia fröstelt im frischen Luftzug, welcher von der See empor weht. Der Garibaldianer wirft Esperance noch heimlich eine rothe Rose zu, dann tritt er hinter den Sessel der Fürstin und küßt sie auf die Stirn. Ihr Gatte?

Collander weiß es nicht, wie er den Rückweg durch das blühende, duftberauschende Labyrinth gefunden, durch seinen Kopf und seine Brust zuckt abermals das brennende Weh, wie an jenem Tage, da er in seinem Zimmer zusammenbrach. Und auch seit dieser Stunde ist er wieder krank. Am Tage wankt er kraftlos einher, und in der Nacht phantasirt er in wüstem Traum. »Dort wollen wir niedersinken unter dem Palmenbaum!« klingt's wie ein Schrei der Sehnsucht dazwischen. Die Küste von Liberia steigt aus den blauen Wogen; Fieberluft weht, und Collander geht trotz der Warnung des Arztes an Land und kehrt kränker denn je zurück.

Tage vergehen, sorgenschwere Tage. Die Wogen rauschen einförmig klatschend gegen die Schiffswand, durch das offene Fenster streicht ein feuchtheißer Tropenwind und küßt die brechenden Augen eines deutschen Mannes. Der Arzt sitzt neben Collander und hält seine Hand, die erstarrende, welche noch einmal leise erzittert und sich zusammenkrampft. Wenige Minuten später rauscht die Flagge am halben Mast hernieder. Wo die Palmen ragen, das weite, blaufunkelnde Meer zu Füßen, haben sie ihn begraben. Die kleine Schwalbe schwingt sich von dem schlichten Kreuzlein empor und fliegt wie ein sehnsuchtsvoller Gedanke weit hinaus über die See.

– – – – – – – –

»Nur ein Kapitain kann eine Fregatte führen!« Adalbert weiß es wohl. Er ist mit dieser Ueberzeugung von Fides von Speyern geschieden, als er nach been digtem Urlaub in der Residenz, den Prinzen wieder nach Kiel begleitete. Prinz Maximilian schaut aber nicht nur die Uniform seiner Marine-Lieutenants und Adjutanten, sondern er durchschaut sie auch bis in das Herz hinein, und er kennt keine größere Freude, als ein heilend Pflästerchen aufzulegen, wenn er solch ein Herz verwundet sieht. Anläßlich einer Schiffstaufe, bei welcher die Erbgroßherzogin Margarethe Gevatter stand, erschien auch Fräulein von Speyern in Begleitung der hohen Frau an Bord. Der Prinz behielt sie und seinen Adjutanten wohl im Auge. Und als Hovenklingen ihr das schwarze Matrosenband mit dem goldgewirkten »Prinz Albert« verehrte: »Wollen Sie diese Farben tragen und die unsere werden, gnädiges Fräulein?« und als Fides es in stummer Antwort in das blonde Haar schlang, da wußte er, wie viel Glas es geschlagen. Vorerst ging es für ein halbes Jahr nach Ostindien. »Ich habe keine Menschenseele, welche mir Briefe schreibt! Sehen Sie sich hier um auf dem Schiff, gnädiges Fräulein, es ist begreiflich, daß man sich in der Einsamkeit nach einem Gruß aus der Heimath sehnt?« Sie sah sich um und ... sie antwortete auf seine Briefe. Und wenn die Zeitung kam, suchte ihr erster Blick die Schiffsnachrichten. Sie war auch gar nicht mehr so ernst und streng wie sonst; ein rosiges, mädchenhaftes Lächeln spielte um ihre Lippen.

– – – – – – – –

Fides ist meine gute Freundin. Jüngst wollte ich sie im erbgroßherzoglichen Schloß besuchen. Der Lakai kennt mich, ich schritt hastig an ihm vorüber. »Es ist schon Besuch anwesend, gnädiges Fräulein!« »Thut nichts, Treumann, ich werde mich schon mit den Herrschaften vertragen!« In Fürstenschlössern liegen dicke Teppiche. Niemand hört mich kommen, und als ich in das Nebenzimmer treten will, da sehe ich ... ei Potz Anker und Pumpstock! den Herrn von Hovenklingen in nagelneuer Kapitain-Lieutenants-Uniform, frisch und verbrannt zu jenem herrlichen Flunderbraun, wie es die Seefahrer direct aus Ostindien mitbringen, und er hält seine stolze, glückstrahlende Fregatte in den Armen und küßt sie und jubelt: »Fides ... kann es denn möglich sein ... Sie haben mich lieb?«

Da sieht sie zu ihm auf, so schelmisch, wie ich es nie für möglich gehalten hätte, und sagt: »Wer mi a Küßle giebt, derf mi a dutze!«

»Ei, da gratulier' ich!«

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In Hersabrunn ist es Frühling geworden. Als Marie-Luise von Fräulein von Speyern in die alte Heimath zurückgebracht wurde, sich in der Einsamkeit von all den Aufregungen der letzten Tage zu erholen und den Folgen des aufgewirbelten Staubes zu entgehen, da lag noch der Schnee auf Dächern und Bäumen, und jetzt strahlt der Himmel lichtblau, und die Knospen sind gesprungen, und der Mai, der Mai ist gekommen! Olivier ist in Roggerswyl, das uralte Nest für sein junges Weibchen auszubauen, und wenn das letzte Stück Tapete aufgeklebt, und der letzte Nagel eingeschlagen ist, dann wird er kommen, ein glücklicher, überglücklicher Freier und wird die Geliebte holen und sein Kleinod zu eigen nehmen zu einem Frühling ohne Ende!

Frau von Körberitz sitzt in der großen Stiftschaise und hält nach wie vor dort ihr Nachmittagsschläfchen. In der Küche rasseln die Teller in der Spülwanne, genau im Tact der heiteren Klänge von »O Tannebaum – o Tannebaum, wie grün sind Deine Blätter!« Röschen und Baronesse Erika zanken sich bei offenen Parterre-Fenstern, und Marie-Luise huscht eilig hinaus, in die stille, sonnenhelle Welt.

Unter den blühenden Kirschbäumen der Allee, das dunkle Kleid leicht gezaust vom frischen Wind, schreitet das bräutliche Weib tagtäglich um diese Stunde dem Postboten entgegen. Und sie geht niemals vergeblich. Schon von weitem schwenkt er ihr den Brief entgegen, und mit strahlenden Augen, heißer erglühend wie in den Tagen ihres kurzen Brautstandes, flüchtet sie ihrem Schatz in den duftigen Wald, am Ufer des Seees seine Zeilen zu lesen.

Wo er heute nur bleibt? Einsam und menschenleer ist die lange, schnurgerade Allee. Ganz in der Ferne nur rollt ein kleiner Korbwagen herzu, dessen magerer Fuchs von der Botenfrau des Stiftes gelenkt wird, und dahinter taucht noch ein Wagen auf, eine elegante Karosse, vor welcher die Rappen ausgreifen, als gälte es ein tolles Wettjagen. Näher und näher rollt's heran. Marie-Luise bleibt regungslos stehen und drückt unwillkürlich die Hände auf ihr stürmendes Herz. Näher ... ganz nah ... auf dem Kutscherbocke ein bekanntes Gesicht ... und daneben der brave, alte Landbote, welcher der jungen Frau die wunderlichsten Zeichen macht. Die Rosse pariren. »Heute bringe ich ihn selbst!« ruft der Nante mit grinsendem Gesicht vom Wagen herunter, gleicherzeit aber fliegt der Schlag zurück, und Olivier springt zur Erde. »Zufahren!« ruft er mit Löwenstimme. Die Hufe knattern, und die Aeste der Kirschbäume, welche der hohe Tressenhut streift, schütteln ein Schneegestöber von Blüthen hernieder. Marie-Luise sieht es nicht mehr Himmel und Erde schlagen in Sonnengluthen, über ihrem Haupt zusammen, an seiner Brust!

– – – – – – – –

Das Schilf flüstert und erzählt den kleinen Wellen im See viel liebe, uralte Märchen. Vom Glück, der blauen Wunderblume, welche nur solche Menschenkinder finden, die zum Himmel empor schauen, wenn sie danach suchen.

Die Abendglocken läuten, und im Walde wird's still, als neigten alle Bäume und Blumen die Häupter im Gebet.

Olivier faltet die Hände um die seines jungen Weibes. Er hat sie noch einmal an das moosige Ufer geführt, ehe der Reisewagen sie hinausflüchtet in die weltverschollene Blüthenpracht des eigenen Heims. Er blickt ihr in das Auge; er sieht ebenso aus, wie damals, als die Glocken über den See hallten und er sein Haupt entblößte und Gott die Ehre gab.

»Zum zweiten Mal wirst Du mir in das Leben folgen, Marie-Luise,« sagte er leise, voll feierlichen Ernstes, »zum zweiten Mal mein Schicksal zu dem Deinen machen. Diesmal werden die Karten nicht zu einem Hazard gemischt, es gilt kein Wagen und Einsetzen mehr, der Gewinn, der köstlichste, ist schon mein eigen. Damals schritt nur ein guter Kamerad für die kurze Spanne Erdenleben an meiner Seite, heute aber halte ich ein Lieb im Arm, und der goldene Ring der Treue hat keinen Anfang und kein Ende.«

Rosige Lichter wehen über den See, und das Abendroth vergoldet die Wolken, zu welchen zwei jubelnde Schwalben emporfliegen, höher und höher, unbedroht von Falk und Habicht, in den offenen Himmel hinein.

Fester schmiegt sich Marie-Luise in den Arm des geliebten Mannes, ihre Antwort ist ihr stummer Blick, ihre ganze Seele liegt in dem Händedruck, mit welchem sie sich ihm angelobt für Zeit und Ewigkeit. Ueber Olivier's Lippen aber ringt es sich wie ein glückseliger, einziger Jubellaut: » Mein Weib

 

Ende.


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