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Sie können' nicht, und werden's nie begreifen,
Die Dich bedräut um den verfehmten Mann,
Daß wahre Liebe selbst in Qual nur reifen,
In Gluth sich stählen, doch nicht sterben kann. –
In diesem Glauben will ich Alles tragen,
Was täuschend Du in Liebeslust ersannst,
Und darf Dir unter Tränen lächelnd sagen:
Geh hin! – verlaß – vergiß mich, wenn du kannst! –
H. Hopfen.
Augustchen Spillike kauerte mit hochgezogenen Beinen auf dem geschnitzten Lehnstuhl am Fenster, stützte den Kopf in beide Fäustchen und gab den eigenen Gedanken Audienz. Das geschah meistens nach dem Abendessen, wenn es so recht gut geschmeckt hatte, und Augustchen's sonst so skeptisch angelegte Natur die Welt mit all' ihren Buttersemmeln und delicaten Mondaminspeisen für eine sehr lobenswerthe Einrichtung hielt. Die Begriffe satt und fromm gingen bei Fräulein Spillike Hand in Hand, und wenn der Gürtel immer höher über das runde Bäuchelchen empor rutschte, und der Athem immer tiefer und schwerer ging, dann kam Augustchen plötzlich die Erinnerung an all' die schönen Dinge, welche man ihr Tags über aus der bunt illustrirten Kinderbibel vorgelesen hatte, und sie dachte mit viel Rührung an den lieben Gott, welcher es entschieden so gefügt hatte, daß sie jetzt sehr viel zu essen und gar keine Prügel mehr bekam. In solchen Augenblicken liebte es die Kleine, mit »die gnädige Frau Nennderscheidt« über unerforschte Dinge zu philosophiren. Heute wollte kein rechter Zug in die Unterhaltung kommen. Marie-Luise saß an dem Tisch und neigte das Haupt über die grobe Näharbeit, welche ihr von dem »Frauenverein« zur Fertigstellung in der letzten Versammlung bei der Prinzessin zuertheilt war. Die junge Frau hatte in Hersabrunn gar viele Hemdlein für arme Kinder genäht, voll eifriger Freude, vor Weihnachten oft freiwillig durch lange Nächte hindurch, hier zog sie die Nadel mechanisch und gleichgültig durch das Leinen. Die Wohlthätigkeit, welche hier von den Damen geübt wurde, war ihr durchaus nicht sympathisch, und je öfter sie aus den Versammlungen nach Hause zurückkehrte, desto mehr fühlte sie sich von ihnen abgestoßen. Die Barmherzigkeit war hier ein Paradepferd, welches mit möglichst viel Lärm und Disputationen getummelt wurde. Marie-Luise begriff selber nicht, wie sie den Muth gefunden hatte, der Hofdame der Prinzessin zu erklären, daß sie Beiträge zahlen und Arbeiten liefern, aber künftig hin nicht mehr bei den Zusammenkünsten der Damen erscheinen wolle.
Die hochaufgeschossene Intima der alten Hoheit warf die spitze Nase sehr indignirt zurück und hatte nur ein mitleidiges Achselzucken zur Antwort. Sie hatte der jungen Frau trotz ihres Dulderlächelns nie so recht getraut. Wer noch mit beiden Füßen so völlig in der versumpften Welt steht, kann nicht den hohen Flug zum Himmel nehmen. Die Hofdame aber war eine jener bigotten Damen, welche nach eigenem Ermessen die Billets für das Himmelreich austheilen. Wer es mit ihr verdirbt, ist übel daran. Da fällt mit Müh und Noth noch ein Stehplatz an der Thüre ab, sie selber aber, und all' die wackeren Anderen, welche sich in unzähligen Kaffees zum Wohl der Christenheit heiser geschrieen haben, die sitzen auf rothem Plüschsessel in der Fremdenloge. Es hatte Marie-Luise geschienen, als ob etliche der frommen Damen ihren Gruß sehr steif und förmlich erwiderten, als sie nach der Kirche an ihnen vorüberschritten. Sie kämpfte mit sich, ob sie Olivier von ihrer Vermessenheit berichten solle. Noch während der letzten Sonntagsparade war sie entschlossen gewesen, es zu thun. Dann kam's wie ein Wirbelwind und trieb ihr Lebensschifflein aus seiner ruhigen Bahn in wilde Wogen hinaus. Was war mit Olivier geschehen? Kann eine Tageswende einen Menschen bis zur Unkenntlichkeit verändern? Er, der sie mit lachendem Angesicht bis in die tiefste Seele gekränkt hatte, der sie wie ein Spielzeug in wüster Eigenwilligkeit an seine Seite gerissen, und der sie rücksichtslos wieder von sich stieß, als sie ihre Marionettenrolle auf dem Opernhausball gespielt hatte, er scheint Alles vergessen zu haben, was zwischen ihnen liegt, er greift abermals nach ihrer Hand, sie mit Rosenketten zu umwinden. Vor wenigen Tagen noch hat er weder Blick noch Wort für sein junges Weib gehabt, in verletzendster Weise ist er über sie hinweg geschritten, sich voll leidenschaftlicher Gluth vor die Füße einer Anderen zu werfen, und plötzlich ist all' seine Extravaganz wie abgeschnitten, kaum, daß er Fürstin Tautenstein noch durch die einfachste, ritterliche Zuvorkommenheit auszeichnet. Vor Marie-Luise aber steht er wie ein müder, irrefahrender Wandersmann, welcher mit stummem Blicke fleht: »Weise mich nicht zurück, über Deinem Haupte steht der Stern, welcher mich auf rechten Weg geleitet; geht er abermals unter in Nacht und Sturm, so ist's für immerdar.«
Die junge Frau schlägt die Hände vor ihr Antlitz und erzittert in rathloser Pein. Zu spät, zu spät! Man soll im Herbst nicht Mairosen pflücken wollen, der Frost hat sie geknickt. Ach, daß sie noch an Olivier glauben könnte! Ihr Vertrauen, ihre Zuversicht ist vergiftet, die Wunden, welche er ihrem Herzen geschlagen, vernarben nicht. Sie hat zu viel gelitten, zu viel! Er hat sich müde getollt und den Champagner-Kelch so lange in leidenschaftlichem Zuge geleert, bis er seiner überdrüssig geworden. Von einem Extrem taumelt er in das Andere, und darum streckt er jetzt die Hände nach kühlem Quellwasser aus, und erinnert sich der Lilie auf dem Felde, weil der Rosenduft ihm Kopfweh bereitet hat! Die Lilie, die reine, priesterliche aber hebt stolz das Haupt und weicht zurück vor ihm, unnahbar und unerbittlich wie die Göttin der Gerechtigkeit, welche Schwert und Waage vergeltend in der Rechten hält. Ach, daß sie an ihn glauben könnte! daß sie ihm in das Auge schauen und versichert sein könnte: »es belügt Dich nicht!« In ihrem Herzen klingt und zittert es noch wie der Glockenton, welcher dereinst in Hersabrunn über den See hallte, aber es mischen sich viel gelle Klänge hinein. Aufschrei und Klagelaut eines verrathenen Herzens, und all' die wirren, wüsten Stimmen der Welt, welche sie aushöhnen: »Närrin! Sieh' das schwanke Schilf, es ist eisern gegen Deines Gatten Beständigkeit! Sieh' die Welle, sie ist unwankbar gegen seine Treue! Dein Herz ist der Spielball seiner Laune, hast Du Stolz und Ehrgefühl, so wirf's nicht in den Staub vor seine Füße!«
Ja, sie hat Stolz und Ehrgefühl! Den Pfad, welchen Olivier ihr einst selber vorgezeichnet, wandelt sie, und wenn er auch reuevoll und flehend zurück winkt: »Kehr um, Marie-Luise! es war ein Irrlicht, welches ich Verblendeter Dir zum Wegweiser mitgegeben!« so wird sie mit bitterm Lächeln das Haupt schütteln und antworten: »Der Steg ist abgebrochen hinter mir, wollt' ich auch, ich könnt's nicht. Da giebt es keine Brücke mehr auf der weiten Welt, die solche Kluft überspannen könnte, als die Liebe mit ihrem Regenbogen der Versöhnung; wo aber fände sich Liebe unter guten Kameraden? Die halten nur geduldig und freundschaftlich neben einander aus!« Und Freundschaft will sie ihm treulich halten, so hat sie es geschworen. Mehr aber nie. Marie-Luise hebt das Haupt, ein ernster, fast schmerzvoll düsterer Schatten trotzt auf ihrer Stirn.
Drunten im Portal rollt eine Equipage. Olivier. Ob er wieder zu ihr herauf kommen wird, oder ob er, ärgerlich über ihre Weigerung, den Cavalierball allein besuchen wird? Seit den letzten fünf Tagen war Nennderscheidt viel, sehr viel in den Zimmern seiner Gemahlin aus- und eingegangen. Anfänglich heiter und guter Dinge; dann ward er immer ernster und einsilbiger, eine nervöse Unruhe charakterisirte all' sein Thun und Handeln, und der Blick, mit welchem er sie oft minutenlang schweigend beobachtete, brannte scharf und forschend unter den dunkeln Wimpern hervor.
Ob er wieder kommen wird? ...
Die Nähnadel vibrirt in den Fingern der jungen Frau, sie läßt die Hand unwillkürlich sinken und lauscht auf seinen Schritt. Der Schatten weicht von ihrer Stirn, höher und höher färben sich die Wangen.
Augustchen Spillike beginnt allmählich sich zu langweilen. Sie hat lang genug darüber nachgedacht, warum der Herr Baron gestern Abend so gewaltig über sie gelacht hatte. Im Eßsaal war eine lange Tafel gedeckt gewesen, genau so, wie in dem Hôtel, wo Gustchen's Vater eine Zeit lang Portier gewesen. Blumensträuße, Schalen voll Früchte und Naschwerk, und auf jedem Teller eine sehr schöne bunte Karte, auf welcher etwas Gedrucktes stand. An der Seite des gnädigen Herrn inspicirte Fräulein Spillike die Tafel, und als Marie-Luise eintrat und den Haushofmeister fragte: »Es ist doch Alles in Ordnung?« da nickte Augustchen sehr zufrieden gestellt und entgegnete: »Is man Alles uff'n Tische, wo sich's jehört! och die Rechnung haben se man jleich uff de Teller jelegt!« Was man darüber nun zu lachen braucht?! ...
Die Thüre in einem der Nebensalons klappt, schnelle Schritte nähern sich.
Ein Aufathmen hebt Marie-Luise's Brust, sie weiß selber nicht, warum es sie plötzlich wie eine glückliche Beruhigung überkommt; sie neigt sich über das gelbweiße Leinen und näht just so schnell, wie das Herz klopft...
»Der jnädige Herr, ick höre ihm!!« annoncirt Augustchen, springt behende vom Stuhl und trabt an die Seite der jungen Frau. »Du, Frau Baronin, der Herr kommt!« wiederholte sie im Theaterflüsterton, genau mit dem kleinen Ellenbogenstoß und den listig zwinkernden Aeuglein, wie sie stets die »Schulzen« von der Ankunft des Gatten avertirt hatte, und worauf hin Kümmelflasche und Käsebrod in den Küchenschrank gerettet wurden. Vielleicht war das hier für den Rest des leckeren Puddings auch rathsam; Augustchen stand schon auf dem Sprung, ihn vor dem Appetit des Hausherrn in dem fernsten Winkel der Stube zu flüchten. Der Befehl dazu aber blieb aus ... und nun war's auch schon zu spät, denn die hohe Gestalt des Freiherrn stand bereits auf der Schwelle und richtete die umschatteten Augen fest auf seine Gemahlin, nachdem er mit schnellem Blick das Boudoir überflogen.
»Guten Abend, Marie-Luise, nimmst Du noch Visiten an?« –
Sie hatte sich erhoben und war ihm entgegen getreten. »Visiten? ... bringst Du Graf Goseck mit?« Sie hatte sich in letzter Zeit vor dem Alleinsein mit ihm gefürchtet, darum lag wohl ein freudiger Klang in ihrer Stimme. Er lachte fast herbe auf. »Nein ... Rien que moi. Es ist eine traurige Thatsache, daß Du mit mir allein fürlieb nehmen mußt.«
Sie hatte ihm die Hand gereicht, besorgt blickte sie zu ihm auf. »Was ist zwischen Euch vorgefallen, Olivier? Ihr waret die besten und treuesten Freunde.«
»Wahrlich? war er mir ein treuer Freund?«
Sie schlägt die Wimpern nicht nieder, sie blickt ihm klar und unbefangen in das Auge. »Wie wunderlich Du frägst! Hätte er mir durch einen einzigen Hauch und Laut bewiesen, daß er nicht Dein Freund sei, wie hätte er der meine bleiben können?«
Sein Antlitz sinkt tiefer. »Wie kommst Du auf den Gedanken, daß etwas zwischen uns vorgefallen sei?«
»Früher war Goseck täglicher Gast bei uns, jetzt kommt er gar nicht mehr.«
»Thatsächlich? Du überraschst mich! Machte er Dir gar keinen Besuch mehr?«
»Nein.«
»So hast Du ihn vielleicht beleidigt?«
»Das scheint nicht der Fall zu sein, denn er sendet mir nach wie vor seinen Morgengruß. Sieh' diese köstlichen Blumen.« Marie-Luise wies nach dem duftenden Strauß auf ihrem Schreibtisch, »haben die das Ansehen, als sei ihr Geber im Zorn von mir geschieden?«
Mit hastigem Griff faßte Nennderscheidt die Blumen und hob sie aus der Vase. »Abscheulicher Geruch, wie kann man Bovardias in das Zimmer einer Dame stellen! Alle Nachtschatten sind heimtückisch und ... Du willst Dich doch nicht vom Grafen Goseck in poetischer Form vergiften lassen? Dazu bedarf es erst meiner Erlaubniß.« Mit festem Schritt trat er zu dem Fenster, öffnete es und warf die Blüthen hinaus.
»Na, da muß doch gleich eene olle Wand wackeln! So'n feinet Sträußken is zur besten Jahreszeit in die Markthallen seine Zweie-Fünfzig werth!« bemerkte Augustchen vorwurfsvoll. »Unten trampeln se's höchstens in' Schnee.«
Nennderscheidt wandte sich frappirt zurück und schien die Einzigste seines Portiers jetzt erst zu bemerken. Er lachte leise auf. »Ei sieh' da, Augustchen! Praktisch und vernünftig wie immer! Warum bist Du denn noch nicht in Deinem Bettchen?«
»Weil mir noch Keener rinspedirt hat, und alleene wer' ick mir doch vor so'n Verjnügen nich' melden!«
»Schläfst Du denn nicht viel lieber hier in Deinen schönen, weichen Kissen, als wie bei dem ungezogenen Edchen der Schultzen?«
Die Kleine legte mit altkluger Miene die Händchen auf den Rücken. »Det schon. Die Range machte ewig Radau in den ollen Bettkasten, und kratzte und biß mir. Die Schultzen hatte jesagt, det Jedes von uns die Hälfte von's Bette haben sollte, aber Edchen hat mir ejal jeknufft und verlangt, det er in die Mitte liegen wollte, und ick sollte meine Hälfte zu beiden Seiten von ihm haben!«
Gustchen's Witze waren meist unfreiwilliger Natur, auch jetzt war sie überrascht von der Wirkung ihrer tragischen Geschichte. Selbst die gnädige Frau, welche zuerst böse über die Blumen gewesen war, schaute von der Arbeit, welche sie schweigend wieder ergriffen hatte, auf und lachte gleich dem Herrn Baron.
»Du bist ein Patentfrauenzimmerchen, Auguste.« nickte Olivier plötzlich in bester Laune, die Hand auf den glattgekämmten Kopf der Kleinen legend. »Mein Sorgenbrecher, welcher gleich einem Kasperle in die Comödie des täglichen Lebens eingreift, wenn dieselbe zu ernsten Ton anschlagen will.« Er trat durch die Nebensalons in die Speisezimmer und kehrte nach wenigen Augenblicken mit einer Schale Confect zurück. »Dem Verdienst seine Krone! komm, Augustchen, sei Deinem Mäulchen keine Stiefmutter!«
Marie-Luise hatte sich im Stillen stets über die Art und Weise gefreut, in welcher Olivier mit der Kleinen sprach und verkehrte. Nichts ist bezeichnender für den Charakter eines Mannes, als sein Benehmen gegen Kinder und Thiere.
»Nicht zu viel, Olivier, sie wird krank!«
Er stand dicht neben ihrem Stuhle, neigte sich zu ihr nieder und sah bittend in ihr Auge.
»Schick' sie zu Bett, Marie-Luise, man kann kein Wort ungenirt sprechen!«
Ihr Antlitz war mild und freundlich wie immer, dennoch hob sich ihr Haupt stolz, beinahe unnahbar auf dem schlanken Hals.
»Ich dächte, solche Vorsicht sei unnöthig. Wir haben keine Geheimnisse, und von Unterhaltungen, wie die unsrigen, kann eine ganze Welt Zeuge sein. Früher war Dir nichts peinlicher, als ein tête-à-tête mit mir, und jetzt ist Dir selbst die kleine Unschuld eine zu lästige Gesellschaft! Früher langweiltest Du Dich in einer Parthie zu Zweien, – jetzt thue ich's.«
Wohl fühlte er, daß sie ihn mit eigenen Waffen schlug und ihm mit seiner Münze zurückzahlte, dennoch schüttelte er lächelnd den Kopf.
»Die Zeiten und der Geschmack ändern sich, nicht allein bei mir, sondern hoffentlich auch bei Dir. Mag der Trabant immerhin seinen Stern umkreisen, einmal wendet er sich doch wohl so, daß ein paar Lichtstrahlen auch auf mich fallen. Avanti, Augustchen, Du setzest Dich hübsch artig hier an den Tisch und nimmst ein Spielzeug vor, dann darfst Du noch ein Viertelstündchen aufbleiben!«
»Wat soll ick denn spielen? Wolf und Schäfchens mit die Bonbons hier?!«
»Nein!« Marie-Luise schob die Schale etwas bei Seite; »hol' Dein Buch und kleb' die bunten Bildchen ein, die ich Dir gestern mitgebracht habe!«
Gehorsam trollte Augustchen in das Nebenzimmer, aus ihrer Spielecke das Genannte heran zu holen. Es dauerte nicht lange, so saß sie voll fiebernden Eifers und klebte die unglaublichsten Stillleben auf dem weißen Papier zusammen. Plötzlich schaute sie jählings auf und brachte eine der bunten Oblaten den Lippen des Hausherrn voll energischer Nöthigung so nah, wie es das kurze Aermchen gestatten wollte.
»Du ...Herr Baron ... lecke mal an det Bild hier! een Maikäwer is' et, den ick hier neben den König Napolium jleben will!«
»Fällt mir ja gar nicht ein! Leck' Du doch gefälligst selber!«
»Ick kann ja nich!«
»Warum denn nicht? Du hast es ja bis jetzt stets gethan?«
»Ja, siehste ...« und Augustchen schmatzte wohlig auf »Ick esse man jrade so een' sehr schönen Bonbon, da thut mir meine Spucke leid!«
»Aber Augustchen! Augustchen!!«
Nach kurzer Zeit kam Madame Verdan und holte die Kleine ab, sie zu Bett zu bringen. Marie-Luise konnte es nicht mehr hinaus zögern, dem Kind fielen die Augen zu.
Nennderscheidt hatte sich einen geschnitzten Sessel neben den Platz seiner jungen Frau gerollt. Ein paar Augenblicke sah er zu, wie sie den Faden aus- und einzog, ruhig und gleichmäßig; der Trauring am Finger glänzte, wenn sie das steife Leinen glättete.
Plötzlich legte er seine Rechte auf ihre Hand und hielt sie fest.
Sie zuckte leicht zusammen und blickte jählings auf. »Diese Arbeit ist häßlich, Marie-Luise, warum sitzest Du nicht lieber vor dem Spinnrad? Ich liebe es so sehr.«
»Wann sahst Du mich jemals spinnen?«
Sein Antlitz war so ernst wie nie zuvor. »In einer Stunde, da der gute Engel, welcher mich verzagend in wirren Stunden verlassen hatte, zu mir zurückkehrte und meine blinden Augen sehend machte.« Er strich mit der Hand über die Stirne, dann fuhr er in verändertem Tone fort: »Wie kommt es, daß Du Dich auf eine Kunst verstehst, welche in dieser modernen Zeit schon so lange von den Damen zu Grabe geläutet ist? Wüßten die Frauen, wie viel Poesie und wie viel geheimnißvollen Zauber holder Weiblichkeit sie mit dem Spinnrad aus ihrem Wirkungskreise verbannt haben, so wäre der Flachs ein begehrterer Artikel.«
Sie hatte die Hand zurückziehen wollen; im Lauschen vergaß sie es. »Daß ich in Hersabrunn Sitten übernommen und Künste erlernt habe, die unsern Urgroßmüttern lieb und heilig waren, ist wohl nicht zu verwundern; daß Du aber jemals Gelegenheit hattest, ein Spinnrad zu sehen, das berechtigt mich wohl zu einer gewissen Verwunderung, und der Frage: ›Wie schaut' Dein junges Auge in unsre alte Zeit?!‹«
»Habe ich Dir niemals von meiner Mutter geschrieben?« fragte er verwundert.
Da wand sich die schlanke Hand unter der seinen hervor, als habe sie plötzlich glühendes Eisen berührt. »Deine Briefe schrieb Graf Goseck.«
Glühende Röthe stieg in seine Stirn. »Was ich schriftlich versäumte, darf ich es nicht mündlich nachholen und Alles gut machen, was ich je in wahnwitziger Verblendung in Leichtsinn und Uebermuth fehlte? Ich habe so viel, so unendlich viel an Dir abzubüßen Marie-Luise, daß ich vor der Danaidenarbeit, jemals meine Schuld bei Dir abzutragen, hoffnungslos zurückweichen müßte, wenn Du ein Weib wärest, wie jene Andere, um deretwillen ich zu dem erbärmlichen Kerl geworden bin, vor dessen Hand Du zurückschreckst, wie vor der eines Geächteten!«
Sie hob unterbrechend den Kopf. »Wer sagt Dir, daß ich Dich noch in meiner Schuld wähne? daß ich überhaupt Reu' und Buße verlange? Das Herzeleid, welches Du mir durch Dein grausames Spiel mit meinem Lebensglück bereitetest, habe ich Dir lang vergessen und vergeben« – ein wehmüthiges Lächeln zuckte um ihre Lippen. – »Und außerdem hast Du geflissentlich Alles erfüllt, was Du mir gelobt hattest. Pracht und Reichthum, Ehre und Stellung sind mein eigen geworden, treue Freunde umgeben mich, und Du selbst bist rastlos bemüht, mir das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich vermisse und wünsche nichts mehr, ich bin glücklich.«
»Undenkbar! eines Weibes Leben ohne Liebe, ist kein Leben!«
» Ich habe geliebt.« Groß und furchtbar ernst ruhte ihr Blick auf seinem erbleichenden Antlitz.
» Wen?!« ...
Da verschlang sie die Hände, und die dunkeln Wimpern sanken verschleiernd über die Augen. »Jene edle, hoheitsvolle Traumgestalt, welche das Ideal verkörperte, daß ich mir in einsamen Stunden geschaffen, welche all' mein Sein und Denken zu eigen nahm, welche fromm und treu all' jene Worte, in mein Herz geschrieben, die zu meines Lebens namenlosem Glück und qualvollstem Leid geworden!«
Er hatte sich langsam erhoben, seine Hand krampfte sich vor der Brust, wie ein Auflodern ging's durch sein Auge.
»Goseck! ... Du hast ihn geliebt, und Du liebst ihn noch!«
Sie schüttelte finster das Haupt, auch sie stand ihm hochaufgerichtet gegenüber. »Aus der Asche schlagen keine neuen Flammen auf. Die Liebe, welche Goseck mir durch seine Briefe in das Herz gesenkt, ist bekämpft und überwunden. Wie die Sonne nicht mit Wissen und Willen auf die Erde glüht, die rothen Rosen aus der Knospe zu zwingen, so hat auch Goseck nicht geschrieben, meine Seele für sich zu eigen zu nehmen, er schrieb für Dich und auf Deinen Wunsch. Daß mir der Irrthum klar geworden, ist nicht seine Schuld. Der Sturm aber hat ausgetobt, weder Liebe noch Haß sind geblieben, nur ein treuer, wahrhafter und edler Freund steht mir zur Seite. Derselbe, welcher mich nicht verlassen hat, da die Hand, welche meinen Trauring trug, mich von sich stieß, der Einzige, welcher mir in all' meinem Elend und Herzeleid ein Trost und eine Stütze war. – Goseck!«
Marie-Luise athmete hoch auf. Wie ein wilder Taumel war es über sie gekommen, welcher Alles über die Lippen drängte, was je an Qual und Weh verborgen im Herzen getragen war. Tiefe Schatten senkten sich in Olivier's bleiches Antlitz. Er sprach leise, mit klangloser Stimme:
»Ich habe schwer gefehlt, ich weiß es. Ich habe selber die Steine auf meinen Weg geworfen, und verdiene es, daß sie sich jetzt als Scheidewand zwischen mich und mein Glück bauen. Du kennst nur den tollen Junker, Marie-Luise, nicht aber den, welcher mich dazu gemacht hat. Du Reine, Makellose, siehst mit klarem Auge die Gegensätze, welche Goseck und ich verkörpern. Ich schuldbeladen, belastet durch die tausend Vergehen, mit welchen jemals eines Weibes Herz gefoltert und gekränkt wurde, und Goseck in der vollen Glorie eines Menschen, welcher helfen, retten, schützen und trösten konnte, welcher stets im Lichte stand, seinen Schatten desto dunkler auf mich zu werfen. Verschieden sind wir Beide wie Tag und Nacht, und dennoch glaube mir, Marie-Luise, der Schein trügt!«
Nennderscheidt's Stimme schwoll an, sein Auge flammte auf und hastete mit festem Blick auf ihrem Antlitz. »Die Zukunft wird es vielleicht noch einmal lehren, ob der struppige Pelz sich besser bewährt, wie das Lammfell, aus welchem schließlich doch der Wolf hervor schaut! Bis dahin aber, Marie-Luise, dulde mich in Deiner Nähe, laß mich abbüßen und um Lohn und Liebe werben, wie ein Perseus, welcher erst den Drachen seiner eigenen Schuld bekämpfen muß, ehe ihm eine Andromeda entgegen lächelt!«
Er war neben sie getreten, er faßte ihre Hände und wollte sie an seine Brust ziehen; voll leidenschaftlicher Erregung riß sie sich los von ihm.
»Niemals, Olivier, niemals! Ein vergiftet Herz kann nicht mehr lieben, ich glaube nicht mehr an Dich! ich vertraue Dir nicht mehr! Die Liebe welche Du unter die Füße getreten hast, ist todt auf immerdar.«
So schneidet das Messer des Arztes scharf und tief, aber auch rettend und heilend in das Fleisch eines Kranken.
Secundenlang rang Nennderscheidt, Herr über sich selbst zu werden. Dann lösten sich die gekrampften Hände von der Stuhllehne, auf welche er sich gestützt hatte. Entstellt bis zur Unkenntlichkeit war sein Antlitz.
»So willst Du Dich von mir trennen?« fragte er mit heiserer Stimme.
Sie zuckte zusammen und neigte das Haupt. »Ich will Dir mein Lebenlang das sein, was Du von mir fordertest, und was ich Dir gelobte, ein guter Kamerad!«
Er biß die Zähne zusammen. »Sünder, welche ihre Schuld einsehen, kasteien sich. Auch ich will den bittern Kelch, welchen ich mir selber eingegossen, bis zur Neige leeren; es giebt eine Art Wahnsinn, welcher es als Wollust empfindet, sich selber zu peinigen, welcher voll trotziger Selbstverurtheilung auch das zweite Auge aus dem Kopfe reißt, wenn man das erste zur Strafe geblendet. Du sollst frei sein, Marie-Luise. Du sollst glücklich werden. Gehe mit Dir selber zu Rath und theile mir Deinen Entschluß mit, wenn Du von mir scheiden willst. Magst mich hinaus schicken in die Welt, wenn Du dieses Haus so lange als Heimath bedarfst, bis … bis er … bis Goseck« – – Er unterbrach sich, wie ein Aufstöhnen rang es sich aus seiner Brust, dann trat er einen Schritt näher und reichte ihr die Hand. »Ueberstürze Dich nicht, aber quäle mich auch nicht allzu lang, Marie-Luise! Laß es in drei Tagen entschieden sein ... und bis dahin sollen fremde Augen nicht in unsere .Herzen schauen! Bis dahin sei noch mein!«
Sie sah ihn nicht an, kalt und bebend lag ihre Hand in der seinen. Er umschloß sie mit fast schmerzendem Druck, dann trat er über die Schwelle.
Wie eine Träumende starrte sie vor sich hin in das Leere, dann schlug sie die Hände vor das Antlitz und wankte in ihr Schlafgemach; eine Marmorstatue steht dort, Christus, der Tröster, welcher die Arme öffnet: »Kommet her zu mir. Alle – die ihr mühselig und beladen seid!« – – – – – – – –