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»Gott grüße Dich! Kein andrer Gruß
Gleicht dem an Innigkeit.
Gott grüße Dich! –Kein andrer Gruß
Paßt so zu aller Zeit. –«
Julius Sturm.
Fräulein von Speyern war die erste Dame des Hofes, welche den Besuch des Freiherrn von Nennderscheidt und seiner jungen Gemahlin erwiderte. Sie traf Marie-Luise allein zu Hause. Olivier hatte das milde Wetter benutzt, seinen neu angekauften Vollblutwallach im Stadtpark zu produciren.
Mit großer und herzlicher Freude wurde die Hofdame willkommen geheißen; wie ein Küchlein sich instinctiv unter die schirmenden Flügel der Glucke flüchtet, so suchte Marie-Luise ihre Zuflucht bei der hohen Frauengestalt, welche in der qualvollsten Stunde ihres Lebens schützend an ihre Seite getreten war. Und Fides bot der »sturmverschlagenen Schwalbe« auch jetzt liebevoll die Hand entgegen, da die junge Frau ihr mit bebenden Lippen von den Schrecknissen der letzten beiden Stunden erzählte, in welchen sie gezwungen gewesen sei, eine Visite nach der andern zu empfangen. Lauter wildfremde Menschen und so viele Herren, daß sie vor Angst und Herzklopfen gar nicht habe sprechen können! »Ach daß Sie doch früher gekommen wären, liebes Fräulein von Speyern!« schloß sie mit tiefem Seufzer, »ich hätte so viel mehr Muth gehabt, wenn ich es Ihnen am Gesicht hätte ablesen können, ob ich meine Sache recht mache oder nicht!«
»Warum nahmen Sie aber die Besuche an, wenn Ihr Herr Gemahl nicht zugegen sein konnte, und Sie sich – ganz begreiflicher Weise – vor solch' ungewohnten Formen der Geselligkeit ängstigten?«
Marie Luise neigte das Köpfchen. »Olivier wünschte es, daß ich die Leute kennen lernen sollte, und hätte er eine Ahnung davon gehabt, welch' ein thörichter Hasenfuß ich bin, so würde er gewiß zugegen geblieben sein. Er kann sich aber garnicht vorstellen, daß Jemand in einer Welt, darinnen er so völlig zu Hause ist, wie auf glühenden Kohlen steht, daß es überhaupt die beiden Begriffe »Scheu und Verlegenheit« giebt.«
Es lag eine Wolke auf der Stirn der Hofdame, sie schloß die Hände der Sprecherin fest in die ihren. »Arme, beklagenswerthe Seele, welch eine harte Schule hat Ihnen das Schicksal beschieden! Wenn ich bedenke, wie Sie aus tiefster Einsamkeit, wo jedes unbekannte Gesicht ein Ereigniß war, welches Sie in den fernsten Winkel Hersabrunns zurückscheuchte, so plötzlich mitten hinein in das bunteste Leben versetzt worden sind. So ist es mir unfaßlich, daß Sie sich so wacker hinein finden, wie Sie es thun!«
Die Augen der jungen Frau füllten sich mit Thränen, dennoch lächelte sie. »Ich glaube, es geht mir in dieser Beziehung, wie einem Menschen, der schwimmen lernt. Geht er langsam in's Wasser, daß der Boden allmählich unter seinen Füßen weicht, verdoppelt sich seine Furcht und treibt ihn wieder und immer wieder zurück. Stößt ihn herbe Hand sofort in die Tiefe, so zwingt ihn seine eigene Hülflosigkeit, zu lernen, und sich dem fremden Element anzupassen. Hier kann ich mich nicht verstecken wie in Hersabrunn, darum gehe ich all' den fremden Menschen entgegen.«
»Mit so viel festem und klarem Willen werden Sie bald so heimisch auf dem Parquet sein, wie wir, die schon in den Kinderschuhen darauf gestanden!«
»Ach, daß es der gute Willen allein thäte!« Marie-Luise blickte fast flehend in das ernste Antlitz des Fräulein von Speyern. »Mir fehlt alle Erfahrung, alle Anleitung und alle Uebung. Ich weiß nicht, was ich zu thun und zu lassen habe, und darum verstoße ich gewiß unzählige Male gegen Form und Etiquette. Der Gedanke ist aber so schrecklich, daß sich Olivier womöglich meiner schämen muß! Ich möchte ihn so gern davor bewahren, sich in der Wahl seiner Frau lächerlich gemacht zu haben, ach und darum wäre ich so unbeschreiblich glücklich, eine Lehrmeisterin zu finden, welche mich offen und ehrlich auf all' meine Fehler und Vergehen aufmerksam macht!«
Die großen Grauaugen der Hofdame blickten voll und fest in die ihren. »Soll ich diese Lehrmeisterin sein, Frau von Nennderscheidt?«
Da schlangen sich die Arme der jungen Frau plötzlich um den Nacken der Fragerin, und sie jubelte zwischen Thränen: » Nur Sie, Fräulein von Speyern, Sie ganz allein! Weiß ja selber nicht warum, aber ich habe Sie lieb wie sonst keine Andere in dieser ganzen, großen, fremden und schrecklichen Welt!«
Fides neigte sich und drückte einen Kuß auf die Stirn dieser lieblichen Unschuld; über ihr Antlitz ging es wie ein heimliches Beben. Dann hob sie das Haupt, ruhig und ernst wie zuvor.
»Wir werden einander gut verstehen und treue Freundschaft halten, Frau Marie-Luise« sagte sie mit sehr mildem Klang in der Stimme. »Und so Gott will, erkämpfen wir den Sieg, welcher Ihnen zum Glück und mir zum edeln Stolz gereichen wird!«
Von Stund' an war Fides Wolff von Speyern der gute Geist des Nennderscheidt'schen Hauses. Ihr ruhiges und sicheres Wesen war der Anker, an welchem das schwankende Lebensschifflein der jungen Frau seinen festen Halt fand. Schwer ward es ihr nicht, Marie-Luise mit den Formen und Grundregeln des gesellschaftlichen Verkehrs bekannt und vertraut zu machen. Es giebt Frauen, welchen ein vornehmes Wesen angeboren ist, welche so viel Tact und Zartgefühl besitzen, daß sie ganz unbewußt einen Weg wandeln, auf welchem die Mehrzahl ihrer Mitschwestern erst mühsam und Schritt für Schritt das Gehen erlernen muß. Zu solch' feiner Herzensbildung gesellte sich bei Marie-Luise noch jene etwas schwermüthige Resignation, welche ihrem Wesen eine unbewußte Würde verlieh und sie trotz ihrer mädchenhaften Anmuth weit über ihre Jahre erhob.
Olivier hatte mit tiefgeneigtem Haupt die Hofdame in seinem Hause begrüßt und sie mit etwas unsicherer Heiterkeit als gute Freundin willkommen geheißen. Er wich dabei aber ihrem kühlen, so eigenthümlich durchdringendem Blicke aus, wie ein Kind, welches mit bösem Gewissen vor der Mutter steht. Er betrat auch selten die Salons seiner Gemahlin, wenn er Fides anwesend wußte, und fand stets einen triftigen Grund, sich bei den Damen entschuldigen zu lassen. Auch Graf Goseck biß mit finsterem Blick die Zähne zusammen, als ihm Frau von Nennderscheidt leuchtenden Auges von ihrer Zuneigung und Verehrung für Fides sprach.
»Seien Sie vorsichtig« sagte er, mit wunderlichem Lächeln den Kopf schüttelnd. »Sie kennen Welt und Menschen noch nicht. Sie gleichen dem harmlosen Kind, welches voll Entzücken den weißen Armen der Wasserfrau entgegen strebt und nicht ahnt, daß nicht Liebe, sondern Falschheit diese Arme öffnet. Vertrauen Sie nicht blindlings, lassen Sie sich nie zu irgend welchen Entschlüssen oder Thaten bewegen, ohne mit mir zuvor Rücksprache genommen zu haben!«
Marie-Luise hatte zuerst wohl erschrocken zu dem bleichen Antlitz des Sprechers, mit dem nervös fla ckernden Blick, empor geschaut, dann aber lächelnd den Kopf geschüttelt. »Sie mißtrauen Fräulein von Speyern? warum? sprechen Sie deutlicher.«
Er trat an den geöffneten Flügel und schlug ein paar wirre Accorde an, dann klappte er das aufgeschlagene Notenbuch zu und warf es klatschend auf das Instrument. »Ich werde sprechen, wenn es an der Zeit ist, – warum soll ich Ihnen – vielleicht ohne Ursache, die Freude an diesem Verkehr nehmen. Ich wache ja über Sie, ich zertrete der Schlange das Haupt, wenn sie stechen will.« Und jäh abbrechend, blickte er auf das Titelblatt der Noten: »Parzival? Sind Sie eine derartige Künstlerin, gnädige Frau, daß Sie solche Kompositionen spielen?«
Marie-Luise schüttelte eifrig das Köpfchen. »O nein!« lachte sie. »Die Klavierstunden, welche mir Baronesse Röschen in Hersabrunn gegeben, waren sehr einfacher Natur, und haben mir hauptsächlich nur das Verlangen nach guter und meisterlicher Musik erweckt. Ich liebe sie so sehr, und meine erste Freude in diesem Zimmer war die Entdeckung, daß ich allsonntäglich die Parademusik von hier aus hören kann.«
»Und wer spielt Ihnen Parzival?«
»Fräulein von Speyern, zu meiner dankbarsten und unaussprechlichsten Freude.«
»Ah so ... ganz recht, sie soll ja auf dem Conservatorium ausgebildet sein und sogar selbstständig componiren. Hat Ihnen Olivier schon einmal die hohe Schule durch Kreuze und B's vorgeritten?«
»Olivier ist musikalisch? er spielt Klavier?« Die junge Frau zuckte empor, das zarte Incarnat ihrer Wangen färbte sich tiefer.
Goseck grub seine zugespitzten Lackstiefel in den dickflockigen Teppich »Er phantasirt etwas, hat Talent, läßt es aber verkümmern. Ich glaube, ich bin der einzige Mensch, welchen er ein paar mal mit solchem Ohrenschmaus heimsuchte. Er haßt nichts mehr, als dazu aufgefordert zu werden. Wenn er spielt, geschieht es nur, wenn er sehr verliebt ist, und dann ergeht er sich zumeist in den Lieblingsmelodien seiner Angebeteten. Motive aus ›Flick und Flock‹ wenn dieselbe Balleteuse ist, und ›Carmen- oder Don Juan-Arien,‹ wenn sie zu den Primadonnas zählt!« Eustach lachte leise auf, er lag anscheinend sehr behaglich in seinem Sessel, aber sein Fuß wand sich unter dem feinen Lackleder, und um seine Nasenflügel lag ein Zug fast krampfhafter Reizbarkeit.
Sie senkte das Haupt tiefer auf ihre Wollstickerei nieder. »Ernstere Musik cultivirt er gar nicht?«
»Nein.«
»Und Sie? Wie stehen Sie sich mit den schönen Künsten?«
Sein Blick brach wie ein Wetterstrahl durch die dunklen Wimpern. »Ich habe meine Studien Jahre lang vernachlässigt; wenn ich aber zur Belohnung die Erlaubniß erhalte, Ihnen von Zeit zu Zeit unter der Chaperonne des Genius Lust und Leid in Tönen kund zu thun, dann werde ich wieder fleißig sein, und dann werde ich im Streben nach höchstem Lohn auch etwas leisten!«
»Nach höchstem Lohn? nennen Sie meinen Dank so, welcher sich Ihnen doch nur in schlichtem Lorbeerkranze darthun könnte?«
»Auch Leonore wand dem Tasso anfänglich nur einen solch' schlichten Kranz,« – er unterbrach sich und strich langsam mit der Hand über die Stirn. »Frauen geizen stets mit Huld und Lohn, der Künstler ist ein Narr, wenn er auf Almosen wartet. Verspräche mir Euterpe nicht selber die Palme des Sieges, würde ich mich nie zu der Schaar ihrer Jünger gesellen!«
»Sie haben recht,« Marie Luise blickte lebhaft empor, »ich denke mir, der wahre Künstler schöpft aller Mühe und Arbeit Preis aus seinem Schaffen selbst. Wer selber mit Engelszungen singt, dem wird Lob und Tadel von Menschenzungen gleichgiltig sein, und wer mit seinen eigenen Händen Meisterwerke schafft, und sich selber eine Leiter von Zauberklängen in den Himmel baut, der wird nicht viel danach fragen, ob eine Schaar von Lauschern die talentlosen Hände applaudirend zusammenschlägt!«
»Sie irren, gnädige Frau. Die Kunst ist bei all' ihrem göttlichen Ursprung doch ein gar irdisch Pflänzlein. Anerkennung, Lob und Bewunderung sind die Thautropfen, welche es frisch erhalten, und die Kritik, mit ihren scharfen, erbarmungslosen Angriffen ist das Messer des Gärtners, welches mit allen Sauersprossen wohl auch manch schönen, gesunden Zweig hernieder schlägt, aber dennoch nur Gutes bewirkt, wenn das Pflänzlein vom echten Stamm der Kunst ist. Alle Kraft und aller Saft sprießt nicht in ungestümen und wilden Blättlein zu Licht, sondern wird Blüthe und Frucht, desto süßer und reifer, je zorniger man zuvor den jungen Baum gezaust und gerauft hat. Aber Sie haben mich doppelt mißverstanden, Frau Marie-Luise.« Goseck erhob sich und trat neben sie unter die schwankenden Palmblätter im Erker. »Ich bin nicht Enthusiast und Künstler genug, mir an meinen Leistungen selber genügen zu lassen. Ich spiele nur für Sie, und spiele nur, weil Seume die goldene Versicherung giebt: ›Musik ist der Schlüssel zum weiblichen Herzen.‹« –
Seine Stimme war zum Flüstern herabgesunken. Sie hob das Antlitz; groß und klar, und dennoch voll unendlicher Wehmuth blickten ihn die dunklen Augen an. »Sie kennen ja all' mein Denken und Sein von Herzensgrund, Graf Goseck, kennen es aus einer Zeit, da es noch Sonnenschein und Frühling darin war. Jetzt ist's Herbst geworden. Alles Blühen welk und todt, warum zwischen Gräbern wandeln? Das wäre ein trauriger Lohn, welchen die heitere, wonnevolle Musik verleihen würde, und mit welchem Sie sich selber wohl am wenigsten zufrieden geben möchten.«
Er schüttelte fast heftig das Haupt. »Ich will nicht die Liebesblüthe sehen, welche ein Reif getroffen, sondern die, welche unter dem herbstlich gefallenen Laube die jungen Keime hebt.«
»Dazu müßte erst das Glück wiederkommen und solche Keime einsenken!« Es bebte wie Thränen durch ihre Stimme.
Und abermals flüsterte er, tief zu ihr nieder geneigt: »Es ist gekommen. Sie ahnen es nur nicht. Sie wollen es nicht ahnen. Die weißen Briefblätter, welche dort im Kamin verkohlt sind, fielen als Samenkörner in Ihr Herz, und sie werden sprossen und ranken in jungem Hoffnungsgrün, und Sie selber werden solches Frühlingstreiben nicht eher gewahren, als bis Ihnen schließlich rothflammende Blüthenpracht die Augen blendet!«
Sie hatte sich erhoben und stützte sich schwer auf den kleinen Marmortisch, secundenlang starrte ihr Auge in die rote Kamingluth, als sähe sie im Geist die Briefe darin auflodern, sich zusammenziehend und windend wie im Kampf gegen das Verderben. Dann hob sie plötzlich wie in jäher Seelenangst die gefalteten Hände. »Graf Goseck,« flehte sie, so erregt, wie er sie noch nie zuvor gesehen: »Sie sagen, daß Sie mein Freund sind, und daß Sie es gut mit mir meinen, beweisen sie es auch. Sie wissen, daß jene Briefe von mir vernichtet wurden, damit ich Ruh' und Frieden fände. Warum Hoffnungen erwecken, welche sich niemals erfüllen werden? Sie wissen, daß ich nicht das Weib bin, welches Olivier's Liebe gewinnen kann, vertrösten Sie mich darum nicht auf Glück und Maiengrün, an dessen Auferstehung Sie selber nicht glauben! Ich habe mich in mein Schicksal gefunden und verlange nicht mehr nach Besserem; lassen Sie darum jene Asche im Kamin ruhen, wirbeln Sie die verkohlten Blätter nicht wieder auf, mit keinem Wort und keinem Gedanken, ich bitte Sie von Herzen darum, und ich werde Ihrer Freundschaft doppelt dankbar sein, wenn sie sich nicht stets von neuem vergeblich müht, Balsam auf Wunden zu träufeln, welche ja doch nur die Zeit vernarben kann!«
Sprachlos starrte er sie an. Wollte sie ihn nicht verstehen, oder waren all' ihre Gedanken thatsächlich nur bei jenem Einen, welcher keinen, selbst nicht den schwächsten Pulsschlag von Interesse verdiente? Graf Goseck hatte viel die Cour gemacht im Leben, hatte die schablonenhaften Phrasen von der verwelkten und frisch erblühenden Liebesrose wohl schon in jeder Nüance angewendet; daß er nie zuvor aus wahrhaft edelm Frauenmund eine Antwort darauf erhalten hatte, empfand er in diesem Augenblick. Nicht ernüchternd oder erkältend wirkten Marie-Luise's Worte, sie fielen wie Tropfen klaren Oels in die Flamme, welche gleich wie vor einem Heiligenbild auf dem Altar seines Herzens brannte, klein und schwach noch, kämpfend gegen den Pesthauch der Zweifelsucht, welcher sie profaniren und verlöschen will.
Goseck zog die dargereichte Hand stumm an die Lippen, und da einen Augenblick später Fräulein von Speyern angemeldet wurde, verabschiedete er sich.
Der Freiherr von Nennderscheidt begegnete ihm auf der Treppe. »Links um, marsch, alter Junge!« commandirte er lachend. »Es bläst in einer Stunde zum Futterschütten!«
»Bedauere, Olivier, ich kann heute nicht bleiben.«
»Schnacken!«
»Auf Wort, der Legationsrath und Mülich fahren um fünf Uhr mit dem Courirzug nach Wien!«
»Laß sie fahren dahin!«
»Ich habe versprochen, auf dem Bahnhof zu sein!«
»Gräßlich, ich kann doch unmöglich mit meiner Frau allein zu Mittag essen, wir langweilen uns ja todt! Und Du paßt gerade so famos als Strohmann in das Spiel hinein! Ist ein so glückliches Verhältniß zwischen uns Dreien!! Na, dann muß ich mal losziehen und sehen, ob ich nicht ein paar andere Kerle auftreibe! ›Wer ißt mit?!‹ à propos ... Du kommst heute Abend in's Conzert? Loge No. 5! Bringe meiner Frau soeben das Programm!«
»Selbstredend. Loge No. 5?!« und Goseck hob lachend den Finger. »Alter Sünder! Das ›vis-à-pres‹ ist nicht schlecht!«
»Pyramus und Thisbe!!«
»À revoir!«
Olivier war stets Cavalier, und obwohl er sich in den paar Tagen nach dem Opernhausball in fast fieberischer Erregung befand, die Nächte ruhelos durch sein Zimmer lief und die geballten Hände wie ein Rasender gegen die Stirn drückte, versäumte er dennoch keine einzige jener kleinen Galanterien, welche die Ritterlichkeit im Dienst einer Dame erfordert.
Voll fast peinlicher Fürsorge war er bemüht, seiner jungen Frau das Leben so angenehm zu machen, wie nur irgend möglich, und da es der verwöhnte und lebenslustige Mann stets gewohnt war, andere Leute nach sich selber zu bemessen, und da er Marie-Luise sehr fremd war und ihr zu fern stand, um Verständniß für ihr Denken und Fühlen zu haben, so wurden seine Bemühungen, sie durch Vergnügungen zu unterhalten, eine unaussprechliche Qual für sie. Dennoch erkannte Marie-Luise sehr wohl den guten Willen ihres Mannes, und sie fügte sich mit geduldigem Lächeln und wandelte an seiner Seite den martervollen Weg, ihm zu Liebe. Auch jetzt behandelte er sie noch mit jener freundlichen Güte, mit welcher man mit einem Kinde verkehrt: um ihr Launen oder nervöse Ungeduld zu zeigen, war keine Zeit in dem sehr formellen und knappen Verkehr. Nur einmal wagte ihm Marie-Luise eine Bitte auszusprechen. »Erlaube, daß ich mich, wie es sich für eine brave Hausfrau geziemt, auch um Wirthschaftsangelegenheiten bekümmere!«
»Selbstverständlich, mon ange! Du kannst thun und lassen, was Du willst, und Dich beschäftigen, ganz wie es Dir Freude macht!«
»Ich fürchtete, man könne es einer Baronin Nennderscheidt verargen, wenn sie nicht nur in den Salons, sondern auch in der Küche zu Hause ist!«
Er lachte in seiner übermüthigen Weise laut auf und stäubte die Cigarette ab. »Sieh mal, Kind, man muß niemals danach fragen, was die Leute sagen! Was eine Baronin Nennderscheidt thut, das ist immer wohlgethan, und wenn es noch nicht im Modejournal steht, dann macht sie es eben zur haute nouveauté!! Mit zu viel Bescheidenheit kommt man hier nicht durch; geht bei uns genau so zu, wie im Froschteich, wer das Maul am weitesten aufreißt – sans comparaison! – und am lautesten quakt, der sitzt oben auf und giebt den Ton an.« Und Olivier lachte abermals und dehnte die Arme mit dem stolz behaglichen Gefühl eines Menschen, welcher thatsächlich nie nach der Meinung der Leute gefragt hat.
– – –
Im Concerthaus wurde die achte Symphonie F-Dur von Beethoven aufgeführt. In regungslosem Lauschen verharrte das Publikum, keinen einzigen der süßen, schallenden Klänge zu verlieren. Da klappt eine Logenthüre, helles Lachen und Sprechen klingt mißtönend durch die Stille, dann werden Sessel in der, für den Hof reservirten Loge zur Seite geschoben.
Im Parterre hat eine hohe Männergestalt an einer Säule gelehnt und kaum geathmet in andächtigem Entzücken. Mit zusammengezogenen Augenbrauen hebt Pfarrer Collander das Haupt und blickt nach der Ursache der Störung empor. Und dann zuckt er leise zusammen, und ein Lächeln fliegt über sein finsteres Antlitz. Droben in der Loge hat Fürstin Tautenstein Platz genommen und entfaltet den schwarzen Atlasfächer, auf welchem bronceglitzernde Vögel schweben.
Dicht neben ihr, nur durch die Sammetbrüstung getrennt, lehnt Baron Nennderscheidt sich auf die Rampe und dreht aufgeregt seinen Handschuh um die schlanken Finger. Neben ihm sitzt seine junge Gemahlin, Graf Goseck, und weiter zurück in der Loge Herr von Diersdorff und Lieutenant von Hovenklingen, ein Platz in der ersten Reihe ist noch unbesetzt.
Fürstin Tautenstein begrüßt sich durch stummes, lächelndes Kopfneigen mit den anwesenden Mitgliedern der Hofgesellschaft, dann schweift ihr Blick suchend durch das Haus und haftet endlich. Pfarrer Collander sieht, daß ihr Auge auf ihm weilt, nicht wie auf einem Fremden, sondern wie auf Einem, dessen man sich gar wohl erinnert. Wie jähe Freude glüht es durch sein Herz. Er durchlebt noch einmal den Augenblick, wie an dem gestrigen Sonntag, da er auf der Kanzel stand und seine Predigt anhub und hinüber schaute in den großherzoglichen Stuhl. Da grüßten ihm jene dunklen, geheimnißvollen Augen entgegen, die jetzt wieder auf ihn gerichtet sind, in langem, lächelndem Schauen. Als ihm der Küster mit Freude zitternden Lippen verkündet hatte: »Hochehrwürden, soeben sind die Prinzessin Caroline ... und Ihre Königliche Hoheit die Erbgroßherzogin und Prinz Maximilian vorgefahren!« da war es ihm allerdings gewesen, als zucke ein feuriger Blitz vor seinen Augen hernieder, da hatte er die Hände zum Himmel gehoben. »Ich danke Dir, mein Herr und Gott!«, aber seine Gedanken blieben so klar und fest wie zuvor. Da er aber emporsah, und sah plötzlich .in der Fürstin Tautenstein lächelndes Antlitz, da hatte er das Gefühl, als müsse er die Hände über die Augen legen, um seiner Gedanken Herr zu bleiben.
Die Musik schwieg. Claudia wandte das Köpfchen zurück, um der Hofmarschallin und den beiden Hofdamen der Großherzogin, welche später eingetreten waren, zuzunicken und Prinz Maximilian, welcher mit ihr zu gleicher Zeit gekommen, ein paar Worte über diese so mordslangweilige Musik zu sagen; dann kehrte sie sich nach der Nebenloge, um Herrn von Nennderscheidt endlich eines directen Blickes zu würdigen.
Prinz Maximilian trat hinter ihren Sessel und reichte Olivier die Hand, nickte Hovenklingen mit verständnißvollem Gruße zu und unterhielt sich alsdann sehr angelegentlich mit Fräulein von Speyern, welche ebenfalls in der Nennderscheidtschen Loge Platz genommen hatte. Obwohl Marie-Luise noch nicht an Hof präsentirt war, wechselte der Prinz dennoch einen lächelnden und sehr liebenswürdigen Gruß mit ihr, mit langem Blick das zarte Gesichtchen umfassend, welches sich mit freudeglänzendem Blick zu ihm erhob.
Währenddessen wogte der Fächer in Claudia's Händen, und Olivier neigte sich mit heißer Stirn näher.
»Und Sie zürnen mir nicht, Durchlaucht, daß sich mit jenen Rosen all' meine purpurfarbenen Gedanken und all' mein Hoffen und mein Sehnen zu Ihren Füßen niederstürzte?«
»Die Rosen trugen sehr viel Dornen.«
»Er liebt und darum quält er Dich!« recitirte er mit gedämpfter Stimme.
»Und außerdem hätte ich Ihnen mehr Geschmack zugetraut!«
»Zeihen Sie mich meiner Schuld.«
Claudia lehnte sich tiefer in den Sessel zurück, ohne den Blick von ihm zu wenden. »Eine lila Zimmereinrichtung mit rothen Rosen zu verunglimpfen, ist zum mindesten barbarisch.«
»Sorgen Sie dafür, daß ich Ihre Salons kennen lerne, und ich werde alle Schuld sühnen.« Er strich langsam seinen blonden Schnurrbart, das breite Armband, eine goldene Kandare, Wahrzeichen der Garde-Cavallerie, schob sich unter der Manchette vor und blitzte auf. Als sie nicht gleich antwortete, sondern nur etwas brüsk den Fächer hinwarf, und statt seiner einen Strauß Maiglocken und Rosen von der Sammetbrüstung nahm, fuhr er lachend fort: »Da haben Sie mich wohl aus Zorn über meine Geschmacklosigkeit gestern Mittag so arg bei Tafel verketzert? Oder war die erbarmungslose Conduite, welche Sie mir ausstellten, nur eine Opposition gegen die allgemeine Ansicht, daß ich ein sehr netter, schneidiger Kerl bin, der brillant voltigirt, selbst über Abgründe hinweg, welche ich selber zuvor muthwillig aufreiße, und über Schranken hinüber, welche ich selber aus goldenen Ringen geschmiedet habe?«
Sein Auge brannte, es lag ein ungestümer, leidenschaftlicher Klang in seiner Stimme.
Das Orchester setzte zur Ouvertüre zu dem »Prophet« ein; Claudia neigte sich näher, sie athmete tief auf und sah dem schönen Mann an ihrer Seite mit eigenthümlich blitzendem Blick in das Antlitz. »Und wenn ich aus Ueberzeugung geredet hätte?« spöttelte sie in ihrer anmuthigen Weise. »Ich werde Ihnen einmal ein Räthsel aufgeben!«
»Verschleiern Sie sich zuvor, daß ich mein bischen Verstand sammeln kann!«
»Welch ein Unterschied ist zwischen der Maria Stuart und Ihnen?«
»Bless me! ein riesiger!!«
»Durchaus nicht!« Ihre langen Wimpern malten dunkle Schatten auf die Wangen, nachdenklich lehnte sie das goldschimmernde Köpfchen zurück. »Die Maria Stuart war besser als ihr Ruf und bei Ihnen?«
»Ist der Ruf besser wie ich?« Er lachte gedämpft auf. »Wollen Sie mich glauben machen, daß Sie das tadelnswerth finden?«
Auch sie lachte, dann hielt sie die Maiglocken dicht an die Lippen, daß ihr süßer Duft zu Olivier empor wehte, und sah mit zündendem Blick durch die Blüthen zu ihm auf. »Errathen! Gute Menschen sind langweilig. Da ich also nicht aus Rancune gegen Sie demonstrirte, muß ich ein anderes Motiv gehabt haben; welches?«
»Nehmen Sie die Blumen weg, sonst werde ich vor aller Welt zum Raubritter!«
Sie verharrte unverändert, nur huschte ihr Blick nach dem Saal hinab. »Ich frage Sie, welches Motiv?«
»Das Grübeln über die Frage hat mich fast verrückt gemacht! ›Was that ich, daß Du so mir zürnst?‹«
Da lächelte sie ihn hinter dem Blumenstrauß an, daß ihm das Blut siedend in die Schläfen schoß. »Zweifelten Sie an mir? O Sie Kurzsichtiger! Wie könnte ich mir von Ihnen die Cour machen lassen, wenn ich den Leuten versicherte: ›Ich finde ihn bezaubernd?!‹ Ich habe offiziell eine sehr schlechte Meinung von Ihnen, und nur auf allerhöchsten Wunsch beschäftige ich mich mit Ihnen mehr, wie mit andern Cavalieren, um eine gute Meinung zu bekommen! Leuchtet Ihnen das ein?«
»Durchlaucht – –«
»Man lebt mit der öffentlichen Meinung stets im Kampf, muß also hie und da kleine Kriegslisten in Anwendung bringen. Sie sind mein Alliirter, aber tragen Sie meine Farben vorläufig noch auf dem Herzen und nicht auf dem Helm!« Und ohne seine Antwort abzuwarten, wandte sie sich mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt zu Prinz Maximilian, welcher an ihrer Seite Platz genommen hatte, und erzählte ihm, daß die Erbgroßherzogin die entzückende Idee gehabt habe, den Stiftspfarrer von Sanct Brigitten für morgen Vormittag zu einer Audienz zu befehlen, um sich über das Hospital berichten zu lassen.
»Sie sprachen sich gar nicht über seine gestrige Predigt aus, Hoheit?«
Der Prinz zuckte die Achseln. »Ich bin schwerfällig in meinem Urtheil, aber der erste Eindruck ist ein sehr maßgebender, und derselbe war gut.«
»Vortrefflicher Redner, köstliche Suade. Ich begreife daß sich die Menschen wie toll und blind für ihn begeistern. Ich sagte gestern schon Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog, der Mann erinnert mich an einen Königstiger; duldet er's, daß man ihm Fesseln anlegt, kann er zur Zierde und Bewunderung des friedlichen Bürgerstaates werden; beugt er seinen wilden Nacken aber nicht und strebt in eigene Bahnen – –«
»Dann?«
Claudia biß in grausamem Spiel in ein Rosenblatt, so daß sich die scharfen Zähnchen auf seinem Purpursammet in zierlichen Tüpfchen abdrückten. »Dann? Nun ich denke, dann wiederholt sich auch im Sinnbildlichen jener Kampf, von welchem so viele Kinderfabeln reden, und welcher damit endet, daß König Nobel die gewaltige Tatze hebt und dem Tiger in's Gedächtniß ruft, daß es ein übel Ding ist, auf dem Gebiet eines Mächtigern zu jagen!«
Und Fürstin Tautenstein blickte wieder hinab in den Saal und lächelte wie der kleine Engel am Plafond droben, welcher begehrlich die Händchen nach einem Stern ausstreckt, – ihn noch höher zu heben oder ihn herab zu reißen? Man weiß es nicht.
Nennderscheidt's Auge, welches nicht von ihrem Antlitz wich, folgte dem Blick und traf Collander. Wie ein schneller Schatten zog es über seine Stirn.
Als die Symphonie beendet war, hatte sich Goseck zu Marie-Luise gewandt: »Wie gefällt Ihnen eine derartig classische Composition?«
Sie neigte nachdenklich das Köpfchen. »Ich verstehe zu wenig von Musik, um ihre Schönheiten voll zu erfassen, und kenne die großen Meister auch zu wenig, um mich durch ihre Namen beeinflussen zu lassen. Ich stehe jeglichem Werk völlig fremd und unparteiisch gegenüber und lasse die Macht der Klänge auf mich wirken. Was man soeben gespielt hat, war zu wirr, zu unübersichtlich und zu gewaltig für mein schwaches Verständniß, um mich darin zurecht zu finden; ich begreife es nicht, aber ich habe das unbewußte Gefühl, daß es etwas gar Herrliches und Großes war, etwa dasselbe Gefühl, als wenn ich in eine Kirche trete. Ich kann nicht mit einem Blick die mächtigen Hallen, die kostbaren Sculpturen, die Bildwerke und majestätischen Säulen umfassen, aber ich weiß, daß ich auf heiligem Boden stehe, und daß Alles, was mich umgiebt, durch höchste Vollendung geweiht ist, wenn ich auch nicht sagen kann, worin die Kunst und Schönheit liegt. So kann ich auch nicht jene Symphonie mit dem Ohr des Musikers zergliedern, aber ich habe das Bewußtsein, eine unsterbliche Schöpfung zu hören.«
Schlicht und einfach sagte sie's, mit jenem lieben Kinderblick, aus welchem dennoch der Geistesreichthum strahlte, wie leuchtende Goldadern in dunklem Schacht.
Gosecks Antlitz hatte sich belebt, er neigte sich näher. »So ähnlich war auch Ihre Ansicht über Kirchenmusik. Es ist mir unvergeßlich, wie Sie be kannten: ›Das Haus Gottes stimmt mich demüthig und andächtig, aber erst die Musik darin macht mich fromm.‹«
»Und Sie antworteten: »Der Prüfstein wahrer Liebe däucht mir der Wunsch, mit der Herzlieben die Hände zu falten und zu beten. Aller Liebe Ursprung kommt von droben, und je mehr sie uns zum Himmel hebt, und je unbewußter die Sehnsucht ist, sie mit dem Göttlichen zu verschmelzen, desto wahrer und echter ist sie!«
Ihre Wangen glühten auf, wie verklärt schaute sie in das Antlitz des Grafen, welcher mit leise zitternden Lippen hastig weiter flüsterte:
»Und es wurden Pläne geschmiedet, im Sommer als Mann und Weib nach Hersabrunn zurück zu kehren, um als Inbegriff aller Glückseligkeit in die kleine Waldkapelle zu wandeln, in welcher die Sonnenstrahlen als Altarkerzen leuchteten, und die Vöglein das Hochamt halten –«
»Und nach dem See hinaus, auf welchem gelbe Lilien blühen, und das breite Schilf flüstert –«
»Und über welchen die Glockenklänge ziehen und Dir ins Herz läuten: ›Wie hab' ich Dich so lieb, Marie-Luise!‹«
Da gleitet der Fächer aus ihren Händen und schlägt hart auf. Wie ein Zucken und Beben ist es plötzlich durch die schlanke Gestalt der jungen Frau gegangen; bis in die Lippen hinein erbleichend, starrt sie den Mann an, welcher sie weit, weit fortgeführt hat mit ihren Gedanken, in ein verloren Paradies, und welcher ihr in das Auge schaut ... so anders wie sonst ... so unerklärlich anders. –
Er hat sich geneigt, den Fächer aufzuheben. »Wir hatten uns verirrt, gnädige Frau.« murmelte er durch die Zähne. »In der Waldkapelle liegt Schnee, und die Glocken klingen nicht mehr für Solche, deren Herz gebrochen ist.«
Wie ein Schwindel brauste es durch ihren Sinn. Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter, und eine Stimme traf ihr Ohr, so klar und voll, wie das Morgenläuten auf dem See: » Grüß Gott. Marie-Luise!«
Fides von Speyern. – –