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Achtes Kapitel

Fiel ein Herz im Drange
Zwischen Reiz und Pflicht,
Mensch, o richte nicht. –
Weißt du, welchem Zwange,
Welchem Unglückstag
Solch' ein Herz erlag? –

Tiedge.

 

Es dunkelte früh. Die Fensterläden in Collander's Studirstube waren geschlossen, und die niedere Lampe mit dem tiefherabfallenden grünen Schirm brannte auf dem Arbeitstisch. Aufgeschlagene Bücher, hohe Stöße von Zeitungen und Manuskripten lagen vor dem Stiftspfarrer von Sanct Brigitten, welcher das Haupt schwer in die Hand stützte und mit brennendem Blick über die weißen Blätter hinaus in's Leere starrte. Gewaltsam riß er sich aus seinen Gedanken auf und faßte die Feder, überlas die letzte Seite des Geschriebenen, einmal und noch einmal, setzte zögernd die Feder an, strich aus, was er kaum niedergeschrieben und rieb sich mit nervöser Ungeduld die Stirn. Wieder hatten ihn giftige Zungen in dem gelesensten Tagesjournale angegriffen, hatten seine letzte Entgegnung auf den Artikel eines seiner Widersacher unter das Messer genommen und sie voll höhnender Schärfe zergliedert. Die Thesen, welche Collander diesmal angeschlagen hatte, waren nicht mit derselben festen und eisernen Klarheit niedergeschrieben, wie ihre Vorgänger. Es war, als habe die Hand des streitbaren Mannes gezittert, als habe ein Nebel über Geist und Augen gelegen, als er diesmal seinen Feinden entgegen getreten. Unsicher, sich sogar in Widersprüche verwickelnd, flüchtig und ungeduldig parirte er diesmal die Angriffe. Sonst hatte er Keulenschläge geführt, wuchtig zutreffend, voll kühner, besonnener Gewalt, jetzt führte seine Hand nur noch einen Stecken, welcher wirr und ziellos in den Wespenschwarm hinein schlägt, nicht zermalmend, sondern nur aufstachelnd zu giftigeren Stichen. Vor ihm lag die Zeitung. Wie boshafte grinsende Gnomengestalten tanzten die schwarzen Buchstaben vor seinen Augen und höhnten: »Antworte! Vernichte uns, Du großer Reformator mit dem kleinen Verstand! Schlag nieder, was sich gegen Dich erhebt, oder wirf die Flinte in's Korn und laß Dich prügeln!«

Antworten! Collander wühlte mit den Händen in seinem dichten Lockenhaar und athmete fast keuchend. Daß er dieses Schlangengezüchte mit den Fäusten packen und würgen könnte! Mit Worten will es ihm heute nicht gelingen, es ist wüst und zerfahren in seinem Kopf, tausend Gedanken schwirren wie Eintagsfliegen mit schillernden Flügeln durch sein Hirn, aber sie sind anderer, ganz anderer Art, sie gerade führen ihn weit ab von diesen ernsten, nüchtern gelehrsamen, dogmatischen und politischen Kämpfen. Und dazu weht ein feines, wundersames Duftgemisch um sein Haupt; die welken, gelben Rosen im Glas, die sorgsam und zärtlich gepflegten, hauchen leisen Gruß, und dicht daneben, aus dem rosigen Couvert mit dem prunkvollen Monogramm unter der Fürstenkrone, steigt es süß und berauschend empor.

Hellmuth Collander schiebt mit fast ungestümer Bewegung sein begonnenes Manuscript zurück und greift nach dem Billet. Er kennt seinen Inhalt auswendig, und dennoch liest er ihn wieder und wieder. Er soll kommen! Zu ihr, dem zauberschönen Weib, dessen Cherubschwingen tief im weltlichen Staube schleppen. Wie eine verworrene Melodie braust und saust es durch seine Sinne.

»Die schönste von den Frauen
Reicht ihm den Becher hin.
Ihm rinnt ein süßes Grauen
Seltsam durch Herz und Sinn.
Er leert ihn bis zum Grunde.
Da spricht am Thor der Zwerg:
›Der unsre bist zur Stunde.
Dies ist der Venusberg!‹«

Ja Tannhäuser! Toller, Wahnwitziger! ach, und dennoch beneidenswerth Glückseliger!

Collander springt empor und durchmißt sein Zimmer mit erregten Schritten.

»Die Nachtigall ruft: zurück, zurück!«

Nein, er wird kein Narr sein, der sich Auge und Vernunft blenden läßt, wie der Knabe im Hörselberg; er wird mit klarem Blick den Abgrund zwischen einer Fürstenkrone und einem Hirtenhute sehen, er wird nicht kommen wie ein Dürstender und Fieberkranker, sondern wie ein Arzt, welcher die Seele heilen und retten will. Ja, er wird hingehen zu Fürstin Tautenstein. Glaube und selige Hoffnung, und das beste, edelste Streben gehen mit. Wohl ist sich Collander bewußt, was er wagt. Ein Hazard ist es, in welchem er Alles auf eine einzige Karte setzt. Kann er den lieblichsten Engel, welcher dem Paradies entflohen, Kraft seiner Ueberzeugung und seines Glaubens zurück führen, so hat er ein köstliches, ein hohes Spiel gewonnen; gelingt es ihm aber nicht, sind die weißen sammetweichen Händchen kräftiger wie all jene gewaltigen Ecksteine, welche das Fundament seines ganzen Daseins stützen, schüttern sie daran und reißen sie dieselben ein – dann – Collander schlug schwerathmend die Hände vor das Antlitz – »dann Gnade mir Gott!«

Wiederum hob er lächelnd und siegesfreudig das Haupt, barg Martha's Bild auf dem Herzen und trat zum Fenster, die Schalter aufzustoßen und zu dem klaren Nachthimmel aufzuschauen. »Der Preis, um den ich kämpfe, ist zu hoch und wundervoll, um vor Gefahren zu erschrecken, ich vertraue Dir, Du mein guter Stern, und wage das Hazard!« Sein Haupt wandte sich, und sein Blick streifte die Uhr. Noch volle zwei Stunden, ehe er bei Fürstin Claudia eintreten darf. Soll er sich niedersetzen und es abermals mit seiner Arbeit versuchen? Dieselbe pressirt und muß vor Mitternacht in den Händen der Redaction sein, soll das Morgenblatt die Entgegnung bringen. Man ist es gewohnt, daß Collander mit schnellen Waffen kämpft, Hieb und Gegenhieb, Schlag und Stich, man wird sich wundern und fragen, warum er plötzlich so saumselig und apathisch geworden? Gleichviel, es ist ihm unmöglich, einen ruhigen und klaren Gedanken zu fassen, er muß im Geiste mit dem schönsten Weihe debattiren und die Geistesschwingen prüfen, ob sie stark und kühn genug sind, sich um einen Seraph schlagend, denselben zur Pforte des Himmelreichs zurück zu tragen. Wenn er von Claudia heimkehrt, wird er angeregt und begeistert sein, dann wird er sich an's Werk machen und die Scharte auswetzen, welche er sich selber durch seine letzte, flüchtige Refutation geschlagen. Kann die Schrift alsdann noch selber in die Druckerei tragen. Zuvor aber zu ihr, zu Claudia, Lichtfunken in's Herz zu holen!«

Langsam wandelte der Stiftspfarrer in dem Zimmer auf und nieder, sah seiner Gewohnheit gemäß zu dem Bilde Martin Luther's empor und wandte jählings das Haupt. Finster sahen die Augen des Reformators auf ihn nieder, die Hand krampfte sich fester um die Bibel, und die Lippen schauten just so aus, als wollten sie voll zornigen Vorwurfs sprechen:

»Ist Dir wohl, so bleib davon,
daß Du nicht kriegest bösen Lohn!«

Wie sollte es noch einen Helden geben, wenn ein Jeder so denken wollte? Durch Kampf zum Sieg! »Liebe und Ruhe trinken ... und träumen seligen Traum ...« Leiser – immer leiser klang's ... und dazwischen schluchzte das bleiche Weib, welches neben dem Todtenbette auf den Knieen lag ... Seine Hand glitt über ihr Haupt ... sein Blick traf das Kind ... und dann ein tiefes Aufseufzen. Das Lied war aus. Dann kam eine lange, einsame Zeit im Giebelstübchen, ein Entbehren ... Lernen ... Schmeicheln und Trösten um das einsame Mütterchen. Hunger und Kälte. Ein Stipendium ermöglichte dem Knaben das Studium, er wollte Pfarrer werden. Hatte Sommers über oft Tage lang mit der Mutter auf dem Flieder überhangenen Grab gesessen, hatte auf der Kirchschwelle gespielt, wenn die Sonnenstrahlen durch die bunten Fensterscheiben huschten und die Schwalben zwitschernd über seinem Haupte dahin schossen, und er hatte den Gottesgarten mit all' seinem Frieden, seinem Blüthenduft und seiner Wehmuth lieb gewonnen. Ja, er wollte Pfarrer werden, und seine Mutter faltete die Hände und nickte mit verklärtem Angesicht. Eines Tages aber fand er sie vor dem Klavier im Sessel sitzen, bleich und kühl, das Haupt vornüber gesunken, als schlafe sie. Jahre lang war das Instrument verschlossen gewesen, jetzt stand ein offen Notenheft darauf – »unter dem Palmenbaum ... und Liebe und Ruhe trinken ... und träumen seligen Traum ...« Ein gellender Aufschrei – er schlang die Arme um die Schläferin, er starrte in das Antlitz und preßte seine Lippen darauf. Die Palmen des ewigen Friedens und das ist ein billig Gewinnen, dem kein Wagen vorausgegangen ist!

Collander begann sich anzukleiden, viel sorgsamer und gewählter denn sonst. Er stand vor dem Spiegel und betrachtete zum ersten Male seit langer Zeit wieder sein Antlitz mit demselben Interesse, wie damals, als er, ein frischer Studio in Erlangen, nicht allein der Alma Mater sein »vivat, floreat, crescat!« zujauchzte. Ein Lächeln ging über sein Antlitz, als er den dunklen Vollbart in glänzende Wellen bürstete, und durch seine Seele zog es wie Nebelbilder. Erinnerungen, meist trübe, schwere Wolken, zwischen welchen sich ein einsamer Wanderer kampfmuthig dem fernen, hohen Ziel entgegenarbeitet.

Hellmuth Collander war eines Kapellmeisters Sohn. Kaum daß er seinen Vater gekannt hatte. Ein einziges Erinnern an ihn war ihm geblieben, wirr und angstvoll. Blaß und hager, mit langem Bart und Haupthaar, lag er als Schwerkranker in den Kissen. Wilde Fieberphantasien rissen ihn empor, seine Augen rollten, seine Hand tactirte die Oper, seine erste Composition, welche das Publikum ausgepfiffen hatte, und dazu schrie und wimmerte er die Melodien ... und sank schließlich matt zurück ... stierte mit gläsernem Blick in's Leere und declamirte voll dumpfen, röchelnden Pathos ... »der Rest ist Schweigen … Schweigen« – Und eines Nachts erwachte Hellmuth in seinem Bettchen über leisem, wundersamen Gesang.

»Dort wollen wir niedersinken,
unter dem Palmenbaum,
und Ruhe und Liebe trinken …
und träumen seligen Traum …«

Leiser – immer leiser klang's … und dazwischen schluchzte das bleiche Weib, welches neben dem Todtenbett auf den Knieen lag … Seine Hand glitt über ihre Haupt … sein Blick traf das Kind … und dann ein tiefes Aufseufzen. Das Lied war aus. Dann kam eine lange einsame Zeit im Giebelstübchen, ein Entbehren … Lernen … Schmeicheln und Trösten um das einsame Mütterchen, Hunger und Kälte. Ein Stipendium ermöglichte dem Knaben das Studium, er wollte Pfarrer werden. Im Sommer hatte er oft tagsüber mit der Mutter auf dem fliederüberhangenen Grab gesessen, hatte auf der Kirchschwelle gespielt, wenn die Sonnenstrahlen durch die bunten Fensterscheiben huschten und die Schwalben zwitzschernd über seinem Haupte dahinschossen, und er hatte den Gottesgarten mit all seinem Frieden, seinem Blütenduft und seiner Wehmuth liebgewonnen. Ja, er wollte Pfarrer werden, und seine Mutter faltete die Hände und nickte mit verklärtem Angesicht. Eines Tages aber fand er sie vor dem Clavier im Sessel sitzen, bleich und kühl, das Haupt vornübergesunken, als schlafe sie. Jahrelang war das Instrument verschlossen gewesen, jetzt stand ein offen Notenheft darauf –

»unter dem Palmenbaum ...
und Liebe und Ruhe trinken …
und träumen seligen Traum …«

Ein Aufschrei – er schlang die Arme um die Schläferin, er starrte in das Antlitz und preßte seine Lippen darauf. Die Palmen des ewigen Friedens rauschten über der Dulderin. Hinaus in die Fremde! Einsam, arm und rastlos fleißig. Nur einmal brach Sonnenschein durch die Wolken, dort in Erlangen, wo der steinerne Markgraf im Schloßgarten über die ehrgeizigen Pläne des jungen, hitzköpfigen Studenten lächelte. Dann ward er Hauslehrer bei einem kränklichem Knaben, fern ab von aller Welt, begraben in rothblühender, sonniger oder schneebedeckter, lautloser Einsamkeit der Haide.

Nichts von elegantem Leben, nichts von Lust und Freude, zwischen schlichtem Landvolk ein ruhelos studirender, alleinstehender Mann. Aber Schritt um Schritt vorwärts, immer arm und vereinsamt, und dennoch kämpfend und ringend nach dem Ziel, dem leuchtenden, welches er sich gesteckt. Und allmählich reiften die Früchte am Dornenreis, und die Sonne brach durch die Wolken und lockte die schneeigen Myrthenblüthen aus der Knospe. Lichtblicke in dem Wettersturm des Kampfes, welcher ihn plötzlich mit jähem Wirbel empor riß und ihn in eine neue Welt verschlug. Und nun endlich stand er am hohen Ziel! Pracht und Herrlichkeit um ihn her. Fürstenhuld und blendende Frauenschöne, und wie er den steinigen Weg hinab blickt, den er erklommen, schwindelt und durchschauderts ihn. Wer lang in der Dunkelheit gewandert und plötzlich in grelles Lichtgefunkel tritt, steht zag und unsicher wie ein Blinder, und wer zuvor nur klares, armseliges Quellwasser geschlürft und hält plötzlich einen güldenen Becher voll Feuerweins an die Lippen, der wird taumeln wie ein Berauschter.

Hellmuth Collander strich mit der Hand über die Stirn, als wolle er jene Bilder der Vergangenheit aus seinen Gedanken verwischen. Er sah an sich nieder, über seine breite, markige Brust. Der schwarze Rock däuchte ihm plötzlich recht kahl und düster. Ein farbig Bändlein im Knopfloch würde gar guten Platz hier finden ... und Fürstin Tautenstein würde ihm mit wohlgefälligem Lächeln, die weiße, goldgeschmückte Hand reichen und sagen: »Keinen Glückwunsch zu Selbstverständlichem, Herr Hofprediger, dem Verdienst seine Krone.« Noch hatte er keinen Orden, aber Collander zuckte leicht zusammen und erröthete plötzlich wie ein Mädchen. Lächerlich, was für närrische Gedanken einem doch kommen können!

»In Sammet und Seide
War er nun angethan,
Hatte Bänder auf dem Kleide
Und auch ein Kreuz daran –
Und war sogleich Minister
Und trug den großen Stern – –«

Er lachte hell auf und schüttelte den Kopf. Beinahe hätte er vergessen, welch' eifriger Widersacher er stets gegen den Trödelmarkt gewesen war, auf welchem bunte Bändchen feil gehalten, erhandelt und verschleudert werden! So ein Stern sieht so harmlos klein und freundlich blitzend aus ... und dennoch ist er ein schwer, schwer Gewicht, welches selbst den steifsten Nacken und stolzesten Rücken krumm biegt, krumm bis in den Staub.

Behaglich, mit voller Altstimme sang die Schwarzwälderin nebenan im Zimmer die achte Stunde. Collander beendigte hastig seine Toilette und griff nach Mantel und Hut.

Auf der Treppe begegnete ihm die alte Liese aus dem Spital drüben. »Ob der Herr Pfarrer heute Abend den Thee bei Fräulein Martha trinken werde?«

»Nein, Mütterchen, bestell' einen schönen Gruß und sag' dem Fräulein, ich sei in das Schloß befohlen!«

Der Pfarrer sagte es langsam, mit viel Betonung, und weidete sich an dem ehrfurchtsvoll aufgerissenen Mund des braven Weibleins.

»Was soll denn da aber aus dem schönen Speckkuchen werden, den Fräulein Marthchen zur Ueberraschung gebacken hat?«

»Et'n up, leivet, leivet Liesing!« sang Hellmuth fast übermüthig lachend, klopfte die Alte auf die Schulter und eilte an ihr vorbei, die Treppe hinab. – –

Die Kuppellampen im Salon der Fürstin Tautenstein waren mit rosa Schleiern verhängt. Dämmerig, warm und duftig war es, die Möbel auf schwellenden Teppichen dicht zusammen gedrängt, jede Ecke ausgefüllt mit Blüthensträußen, mit Marmorgestalten, mit weit ausgespreizten Atlas- oder Federfächern. Crystallprismen tropften bunt funkelnd, gleich nieder fallenden Edelsteinen, von der Decke. Amoretten schwebten um den Wandspiegel und rafften geschäftig die schwere Brokatportière vor dem Glas zurück, und auf dunkelm Sockel, gleichsam zwischen den Blattpflanzen des Trumeauvorsatzes aufwachsend, stützte eine Venus träumerisch das Haupt und spiegelte den schneeigen Körper im Glas. Vor das Kaminfeuer war die Chaiselongue geschoben, auf welcher Fürstin Claudia lag und in lichtblauseidener Morgenrobe den Stiftspfarrer von Sanct Brigitten empfangen hatte. Sie war erkältet und klagte über die abscheuliche nordische Schneeluft, welche sie durchaus nicht ertragen könne. Kurze Hustenanfälle unterbrachen sie öfters mitten in der Rede, und dann drückte sie die schmalen, weißen Händchen gegen die Brust, und zwischen die Augenbrauen senkte sich eine feine Linie des Schmerzes. Sonst aber war ihr Wesen unverändert, sie lachte und scherzte und kritisirte mit einer oft kaustischen Beurtheilung alles dessen, was sonst dem Menschenherzen lieb und heilig ist.

Mademoiselle de Gironvale stelzte auf hohen Stöckelschuhen von einem Zimmer in das andere, behütete hier den Samovar auf dem Theetisch und lehnte sich dort auf die Lehne eines Fauteuil, den Stiftspfarrer von Sanct Brigitten durch zwinkernde Augenwimpern ungenirt und stumm zu mustern. Sie schien schlechter Laune zu sein und durfte sie nicht zeigen. Die Theetassen klirrten unter ihren Händen, als würden sie recht unwirsch behandelt, und der Lakai erfuhr durch scharfe Flüsterworte, welche ihm ununterbrochen Verweise ertheilten, daß er der tölpelhafteste und unbrauchbarste Michel sei, welchen jemals das deutsche Vaterland gezeitigt. Der Thee wurde in kleinen chinesischen Täßchen auf Befehl der Fürstin in dem Salon servirt. Pikante Schnitten und vielerlei Delicatessen, welche Collander fremd waren, wurden in schneller Reihenfolge gereicht, starke Weine funkelten in geschliffenen Kelchen, und auf den silbernen Platten bauten sich »Diplomatenschüsselchen« und »Heroldsbrödchen« in appetitlichsten und kunstvollsten Arrangements auf. Unwillkürlich dachte der Stiftspfarrer an Martha's Speckkuchen, welchen sie, mit dunkel gerötheten Wangen, persönlich aus der Küche herzuholt, ihn mit dem großen Hirschhornmesser in derbe Stücke theilt und auf schlichtem Steingut darreicht. Mit großem Appetit hatte er ihn in der Regel gegessen, während ihm hier die Kehle zugeschnürt ist, und er kaum weiß, ob er Süßes oder Saueres zu Munde führt. Die Befangenheit eines ersten Besuchs; er wird bald in den Salons der Fürstin Tautenstein heimisch werden und es schließlich selbstverständlich finden, daß der Theetisch ein silberblitzendes Memento an Lucullus ist.

Esperance aß sehr viel und sehr hastig, dieweil ihre Gebieterin sich darauf beschränkte, ein paar Mal an einem Glase Malaga zu nippen und dazu ein paar Süßigkeiten zu naschen. Die Unterhaltung war allgemein und sehr heiter. Claudia lachte gern und anmuthig. Sie erzählte ohne jede Prüderie von ihren »Kunstreisen« durch Paris, von ihrem Aufenthalt in Italien, und dem entzückend amüsanten, schrecklich verderbten Sodom und Gomorrha des Südens, Alexandria. Und Collander, welcher sie Anfangs ein paar Mal sehr betroffen angesehen hatte, erinnerte sich, daß der Ton in der großen Welt überall, sei es bei der Aristokratie des Blutes, des Geistes oder des großen Portemonnaies, ein ziemlich freier geworden, daß Zola gelesen, und Sardou im Residenz-Theater allabendlich beklatscht wird, und es war ihm peinlich, sich durch spießbürgerlichen Rigorismus sofort als völlig fremdes Element auf dem Parquet zu erweisen. Claudia plauderte so amüsant, und Alles, was sie sagte, klang harmlos und ganz wie selbstverständlich; sie sah sich mit offenen Augen in der Welt um und alterirte sich nicht über Dinge, die unabänderlich sind. Leben und leben lassen, und Welt und Menschen nehmen, wie sie die Zeit just mit sich bringt! Und dabei schmiegte sie sich so behaglich und geschmeidig in die schwellenden Polster, wie ein weißes Kätzchen, das sich mit eingezogenen Krallen sonnt.

Fräulein von Gironvale hatte sich darauf beschränkt, hie und da einmal mitzulachen, oder eine kleine Schmeichelei für Claudia in die Reden einzuflechten dann chicanirte sie wieder den Lakai, welcher voll nervöser Hast den Theetisch im Beisein der Herrschaften abzuräumen hatte, und warf sich schließlich noch für kurze Zeit in einen Schaukelstuhl, um durch sehr viel Oscitanz zu zeigen, daß sie sich nur dann bemüht, liebenswürdig zu sein, wenn es sich – lohnt. Bald verschwand sie ganz in dem Nebenzimmer, und das monotone Geräusch umgeschlagener Buchseiten bekundete, daß sie interessant unterhalten war.

Claudia rollte die goldschimmernden Haarlocken, welche leicht und duftig, und ohne jeglichen Zwang einer Frisur, über Brust und Schultern fielen, um die Finger und blickte plötzlich voll träumerischen Ernstes in Collander's Auge.

»Setzen Sie sich jetzt in diesen bequemen, kleinen Sessel, lieber Pfarrer, und erzählen Sie mir Ihre Lebensgeschichte, Alles, und ganz genau, ich interessire mich dafür!«

Er gehorchte und begann in großen, flüchtigen Strichen den Pfad zu zeichnen, auf welchem er gewandelt, und was er verschweigen wollte, erfragte sie, und wobei er sich länger aufhalten wollte, das schnitt sie voll beinahe auffälliger Beharrlichkeit ab. Wie es schien, wünschte sie dem Gespräch keine ernstere Wendung zu geben, namentlich ignorirte sie es vollständig, wenn er ihr auf religiösem Gebiet den Fehdehandschuh hinwarf, und er that es anfänglich oft, beinahe voll Ungeduld; dann fügte er sich ihrer Laune, welche heute nur scherzen und lachen wollte. »Ich habe Sie ja nicht in der Reverenda, sondern im harmlosen, weltlichen Bratenrock eingeladen, bester Collander! Erinnern Sie mich doch nicht so consequent daran, daß Sie zu den Hirten gehören, welche unbarmherzig auf jedes selbstständig grasende Schaf losprügeln! Sie wissen, ich habe eine Aversion gegen die Herren vom Presbyterium! Schnell ein wenig geputzt, daß ich mir einbilden kann, Sie wären dem monotonen Schwarz abtrünnig geworden!« und Claudia riß das lange, blaßblaue Band ihrer Gürtelschleife ab und warf es ihm voll bezaubernder Anmuth um den Hals. »Steht Ihnen vortrefflich! Wenn es roth wäre, würde ich mir einbilden, ein schneidiger Hauptmann säße mir gegenüber ... d. h. nein! ich würde es mir nicht einbilden können!«

»Und warum nicht, Durchlaucht?« stotterte Collander; die Fürstin hatte sich zu ihm hinüber geneigt und knüpfte das Band lachend unter seinem Kinn zur Schleife, das Haar wogte um ihre Arme, und die weißen Händchen schimmerten dicht vor seinen Lippen.

»Weil mir ein Hauptmann die Cour machen würde, anstatt mich von Hölle und Fegefeuer zu unterhalten!«

Er neigte sich schnell und küßte ihr die Hand, zum Dank für das Band nur, aber dennoch wurde er dunkelroth dabei. »Wollen sich Durchlaucht gnädigst erinnern, daß ich hierher befohlen wurde, um eine ernste Lebensgeschichte zu erfahren, die mir von dem Wettersturm erzählen sollte, welcher die Passionsblume des Glaubens so grausam entblätterte! Ich war der Ansicht, daß wir heute mit Geisteswaffen eine ernste Schlacht schlagen würden ...«

Sie unterbrach ihn, mit leiser Stimme aus dem Gasparone-Walzer singend:

»›Plaudern vom Seelenheil,
oder vom Gegentheil ...‹

Ich bin dafür, daß wir heute beim ›Gegentheil‹ bleiben! Wir sind zu ungleiche Gegner! Sie ein Mann der Wissenschaft, welcher mit niederschmetterndsten Stichwörtern, mit gesunder Kraft und klarem Kopf zu Felde zieht, und ich eine kranke, momentan zu allem Denken und Debattiren unlustige Frau, welcher Sie alle Walzer- und Cotillontänzer heute Abend ersetzen müssen.«

Mit gesunder Kraft und klarem Kopf! Wüßte sie es nur, die Hexe Loreley mit dem leuchtenden Haar, welch' ein Wirbelsturm von Gefühlen den Nachen des bethörten Fischers hin und her schleudert!

Kein Kampf also! Süßer, lachender Frieden, ein fröhlich Plaudern und Wortgeplänkel, ein tiefer Zug aus güldenem Becher; zeitweilig rollt ein Gifttropfen hinein, aber er schmeckt nicht bitter, er wird unbemerkt geschlürft.

Elf silberne Schläge. Collander erhebt sich hastig, sich zu verabschieden. Die Stunden sind verflogen wie Minuten.

»Warum eilen Sie so sehr? Ich bin es gewohnt, bis spät in die Nacht hinein zu wachen, schlafe dafür Morgens desto länger. Der Vormittag ist Zuckerwasser, der Nachmittag solider Rheinwein, der Abend aber moussirt wie Champagner, und vollends um Mitternacht schlagen Flammen aus dem faustischen Verjüngungsbecher!«

Wohl pflichtet er ihr bei, dennoch scheidet er, um eine dringende Arbeit noch zur Redaction zu befördern. Sie forscht, welch eine. Dann zuckt sie mit vornehm-vertraulicher Geste die Achseln. »Mon Dieu, bester Collander, wozu dieser Lärm in Zeitungsspalten! Es ist so unfein, sich mit Creti und Pleti öffentlich herum zu zanken! Ignoriren Sie doch solch' kleinliche Attacken! Sie stehen ja auf festen Füßen, man interessirt sich bei Hofe für Sie. Prinz Maximilian wird nächsten Sonntag wieder vor Sanct Brigitten vorfahren, und ich sorge dafür, daß Sie eine Einladung zum Ball im Erbgroßherzoglichen Palais erhalten, was wollen Sie mehr! Seien Sie zu stolz, um von Schlangen, die drunten im Staube zischen, überhaupt Notiz zu nehmen!«

Collander ging. Das blaue Band schlang sich wie ein glühender Reifen um seinen Hals, wie Irrlichtflammen tanzte der Schein der Laterne, welche ein Lakai ihm voraus durch den innern Schloßhof trug, vor seinen Füßen über die glitzernden Basaltplatten.

Sturm und phantastisch jagende Wolken. Kein Stern am Himmel, dunkel, dräuende Nacht.

Das Manuscript ist unvollendet in den Papierkorb geworfen, der Stiftspfarrer von Sanct Brigitten schwieg auf die verläumderischen Anklagen seiner Feinde.


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