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All eine Straße müssen wir. –
Allen rauscht die Urn' im Umschwung;
früher oder später fällt das Loos
des Schicksals. –
Horaz.
Wenn die Blüthen abgestreift,
Ist nicht gleich die Frucht gereift –
An dem Baum im Garten.
Zwischen der Empfindung Zeit
Und der Zeit, wo That gedeiht,
Liegt ein banges Warten.«
Geibel.
Das war ein Wintertag! Sonnengold fluthete um die Mauern und Säulengänge des großherzoglichen Schlosses, grünlich schillernd, mit hellaufblitzendem Knauf wölbten sich die Kuppeln und stiegen voll märchenhafter Pracht über Zinnen und Thürmchen empor, ihre Conturen scharf gegen den fleckenlosen Himmel zu zeichnen. Wie übersäet von Brillanten glitzerten die Bäume und Gebüsche des Parkes, und die weißen Götterbilder längs der mächtigen Taxusallee hatten duftige Mäntel und Schleier umgehängt; Hebe, welche graziös auf der Fußspitze schwebt, und eine Schaale mit Nektar füllt, scheint die Augen mehr auf dem eleganten Getriebe ringsum, als auf ihrem Krüglein zu haben, schneeiger Schaum steigt hoch über des Bechers Rand und träuft über die zierlichen Hände nieder.
Die Parademusik spielt in der Götterallee, und die höchsten Herrschaften, die Personen ihrer Umgebung und die exclusive Hofgesellschaft promenirt in derselben; weiter ab, in den Nebengängen des Schloßgartens wogt die bunte Menge der Residenzler.
Baron Nennderscheidt ist überrascht gewesen, als seine junge Frau zu ihm geschickt hat, mit der Anfrage, ob sie sich zu diesem Frühcorso rüsten solle!
Olivier bringt die Antwort selber. Ehe er eintritt, streicht er langsam über Stirn und Augen, und ein ungewohnt ernster Ausdruck beherrscht seine Züge, ohne ihnen das Gepräge von Mißstimmung zu geben. Noch nie ist er zu solch früher Stunde bei Marie-Luise eingetreten.
»Befindet sich die gnädige Frau bereits im Salon?« fragt er Madame Verdan, welche ihm auffallend heiter entgegentritt, und bei seinem Anblick die Augen weit aufreißt vor Staunen.
»Ganz recht, Herr Baron, gnädige Frau sind im Speisezimmer und frühstücken mit der kleinen Auguste.«
»Kleinen Auguste?! ... ach ... Das Menschenfischlein, welches meine Frau neulich in trüber Fluth gefangen,« ein schnelles Lächeln fliegt über sein Gesicht. »Anmelden? Bewahre, Madame Verdan, ich denke, mein Kommen wird nicht überraschen!«
Er tritt durch die goldgeschnitzte Thüre, und die alte Frau sieht ihm mit fast triumphirendem Blick nach. »Welch' ein Glück, daß ich heute auf das weiße Morgenkleid mit den fraise-farbenen Schleifen bestand, es steht ihr am besten.«
Sie hat recht, es steht Marie-Luise vortrefflich, namentlich in dem Augenblick, da sie sich über den Stuhl der Kleinen neigt und ihr eine Serviette umbindet.
Olivier bleibt unwillkürlich auf der Schwelle stehen, und erst als das liebliche Weib überrascht aufblickt und ihm dann mit demselben milden und freundlichen Lächeln, welches er im Verkehr mit ihr gewohnt ist, entgegen tritt, schreitet er näher und sieht ihr mit wundersam forschenden Augen in das Antlitz.
Sonst hat er ihre Hand stets geküßt, heute drückt er sie nur kurz und schnell. »Laß Dich, bitte, nicht stören, ich setze mich zu Euch. Ist das kleine Wesen da Augustchen Spillike?«
»Mein kleiner Findling, dessen Aufnahme Du mir so gütig gestattetest. Sie leistet mir Gesellschaft und wird gewiß doppelt artig sein, wenn der gnädige Herr zugegen ist.«
Augustchen hatte sich den Moment, da Marie-Luise ihrem Gatten entgegen trat, zu Nutze gemacht, die große Milchtasse mit beiden drallen Fäustchen ergriffen und die ganze Visage, mit besonderem Nachdruck der Nasenspitze, hineingesenkt. Die Verhandlungen über ihre Person und die Anwesenheit des Herrn Barons irritirten sie wenig; sie beschränkte sich darauf, den unbekannten Besuch über den Rand der Tasse mit neugierig vortretenden Aeuglein anzusehen.
Die junge Frau unterbrach den »Trunk der süßen Labe« mit ernstem Blick und zwingender Hand.
»Du sollst erst Dein Gebet sagen, ehe Du ißt und trinkst,« sagte sie.
»Ich kann ja keens!«
Olivier horchte hoch auf, sein Blick weilte voll sichtlichen Amüsements auf der Tochter seines Portiers.
»Sprichst Du nie ein Morgengebet?«
Augustchen hat bereits die leckeren Brödchen im Auge. »Nee!«
»Aber am Abend?«
»Och nich, erst recht nich. Is' deß Honig da?«
»Honig bekommen nur fromme Kinder zu essen. Hast Du denn überhaupt nie gebetet?«
»Nur wenn's jewitterte und ick mir jraulte!«
Olivier hustet laut auf und tritt an das Fenster, er sieht, daß Marie-Luise selber mit dem Lachen kämpft. Dann muß die Kleine ein schlichtes Sprüchlein hersagen, welches die junge Frau vorspricht; sie faltet dabei die Hände um die des Kindes, und ihre Stimme klingt so weich und selber so kindlich treuherzig, daß es wieder durch Nennderscheidt's Seele zieht, wie ein Klang aus ferner Zeit. Heute aber facht er keinen Sturm an, sondern weht wie säuselnder Segen über keimende Saat.
Augustchen kaut mit vollen Backen, leckt schließlich am Finger und tupft alle Krümchen sorgsam auf. Olivier findet es spaßhaft, sich mit ihr zu unterhalten, sie recognoscirt mit altklug forschenden Blicken das Zimmer und heischt für alles Unbekannte Erklärung. An der Wand hängt ein köstliches Gobelin, die Taufe des Herrn darstellend.
»Det is der Herr Jesus!« ruft Augustchen, mit dem Finger deutend und sichtlich sehr stolz über ihre Kenntnisse, »ick kenne ihm, und da oben in die Wolken is aber noch Eener ... wer is det?«
»Das ist sein Vater, der liebe Gott.«
»Schon ein oller Mann? stirbt balde?«
»Der liebe Gott stirbt niemals, Augustchen!«
Da stemmt die kleine Person in starrem Entsetzen die Händchen in die Seiten: »Stirbt niemals? Na nu hörts uff! Wenn soll'n denn der Herr Jesus endlich mal an die Regierung kommen?«
Olivier konnte nur mit Mühe seine Heiterkeit bemeistern, er reichte Marie-Luise abermals die Hand entgegen: »Diese Frage beantworte Du lieber! Also ich erwarte Dich in der Götterallee, wenn Du zuvor noch einen Gang in die Stadt zu thun hast. Und ...« er sah ihr fast bittend in das Auge: »Gestatte, daß ich künftighin immer meinen Kaffee in Eurer Gesellschaft trinke! Die Kleine macht mir viel Spaß, und es ist so langweilig, stets allein zu frühstücken.«
Sie nickte ihm in ihrer gleichmäßigen Freundlichkeit zu. »Gewiß! Du bist als Ehrenmitglied am Kaffeetisch stets willkommen, nur mußt Du Nachsicht haben, wenn Augustchen zeitweise sehr der Erziehung bedarf,« und fröhlich auflachend, fügte sie hinzu: »Dafür sorgt sie aber für Unterhaltung, und zwar origineller und amüsanter wie manch' großer Gast; ich bin überzeugt, daß sie der Villa Hazard bald unentbehrlich wird!«
– – –
Die Musik spielte ein Potpourri aus »Die lustigen Weiber«, und die elegante Welt promenirte auf's lebhafteste conversirend in der Götterallee auf und nieder.
Fräulein von Gironvale hatte es sich in den Kopf gesetzt, aus dem überprosaischen Seebär Hovenklingen einen idealen Menschen zu machen und darum ließ sie keine Gelegenheit vorübergehen, ihren guten Einfluß auf ihn geltend zu machen. Auch jetzt hatte sie ihn »gestellt.«
»Ich habe mit Ihnen zu conferiren, Monsieur le Baron!« sagte sie, so allerliebst wie möglich die blaugefrorene Nase zu ihm hebend.
Er versenkte die Hände in die beiden Paletottaschen und stand so gelassen und breit und festgewurzelt vor ihr wie ein Baum. »Na, dann machen Sie's mal kurz und schmerzlos.« erwiderte er phlegmatisch.
›Ich bewundere Sie! Gestern haben Sie eine so colossale Fußtour gemacht! Haben den ganzen Weg bis zum Jagd-rendez-vous mit Prinz Maximilian und noch zwei anderen Herrn per pedes zurückgelegt! Fünf Stunden!«
»Das ist doch nicht viel? Wir waren ja unser Vier! Kommt also auf eine Person nur ein und eine viertel Stunde!«
Sie starrte mit offenem Munde in sein ernsthaftes Gesicht. »Ja richtig, mon dieu, was habe ich mir da eigentlich gedacht ...«
Er lachte schallend auf. »Sicherlich etwas, was ich nicht auf einen Pfeifenkopf schreiben möchte.«
»Rechnen alle Seeleute so gut wie Sie?«
»Durchschnittlich. Sind Alle geistreiche Menschen. Darum kommen auch von Marinelieutenants meistens elf auf's Dutzend.«
Esperance liebte keine Unterhaltungen, welche eine gewisse Schlagfertigkeit beanspruchten. Sie drückte den kleinen Muff fester an sich und versuchte das Gespräch auf interessantere Thematas zu lenken.
»Ich muß mein Herz warm halten, daß es nicht vereist, friere schrecklich ... brr ... am ganzen Körper eine Gänsehaut!«
»Ach … das wundert Sie? ... ich denke, das ist ein ganz natürlicher Zustand bei Ihnen.«
Diesmal verstand sie die Pointe.
»Abscheulich! Sie reden gegen Ihre bessere Einsicht, um mich zu ärgern! Sie können keine Gans von einem Schwan unterscheiden ... voilà tout! Aber Sie sind au fond dennoch der poetischste Mensch den's giebt, und wenn Sie auch noch so grob und martialisch thun: ich gewinne meine Wette doch!« und damit drehte sich Fräulein von Gironvale auf dem spitzen Hacken um und schmollte für ein Weilchen.
»Melde mich gehorsamst zur Stelle, Fräulein von Speyern.« Und Hovenklingen klappte die Hacken zusammen und stimmte mit kräftigen Baß in die just erklingende Melodie ein: »›Wie freu' ich mich, wie freu' ich mich, wie treibt mich das Verlangen!‹ Es scheint aber, meine Freude ist sehr einseitiger Natur?«
»O nein, ich freue mich auch, allerdings nur darüber, daß Sie so sehr musikalisch sind!«
»Ich singe sehr hübsch. Wissen Sie, was ich demnächst einstudiren werde?«
Ihr Auge, welches so kühl und gleichgültig an ihm vorüber schweifen wollte, blitzte dennoch in jähem Interesse auf. »Nun?«
»Die neuesten Lieder des Fräulein Fides von Speyern!«
»À bonne heure! Dazu muß man aber vor allen Dingen im Besitz derselben sein.«
Mit unendlich treuherzigem und dennoch schalkhaft keckem Blick lacht er sie an. Seine weißen Zähne blinken wahrhaft in dem hellen Sonnenschein. »Werden Sie mir die Sammlung nicht dediciren und mir ein Freiexemplar schenken?«
»Ich bezweifle.«
»Dann muß ich leider einen tiefen Griff in die Börse thun.
»Schwerlich.« Ein Schatten liegt auf ihrer Stirn, sie wendet sich mit einer jener schroffen Bewegungen zur Seite, welche ihm zeigen, daß sie die Unterhaltung abzubrechen wünscht. »Meine Lieder sind vorläufig nur für mich componirt, und bevor dieselben nicht so volksthümlich geworden sind, daß alle Straßenjungen sie pfeifen, werde ich sie Niemand, selbst Ihnen nicht ›in aller Freundschaft‹ zueignen!«
Hovenklingen schien durchaus nicht die Absicht zu haben, sich zu empfehlen, im Gegentheil – er lachte noch viel verschmitzter wie zuvor, und trat der Hofdame in den Weg.
»Auf Wort? Wenn die Straßenjungen Ihre Melodien pfeifen, bekomme ich die Lieder gewidmet?«
Sie zuckte halb ungeduldig, halb amüsirt die Achseln.
»Dann allerdings!« lächelte sie.
Prinz Maximilian trat ihnen mit seinem japanischen, rothgelb struppigen Hündchen entgegen.
»Ein vortreffliches Abkommen getroffen, Hoheit!« rapportirte der junge Marineoffizier schmunzelnd. »Gott schenke der jungen Brut dieser Stadt gute Lungen und viel Passion für Volkslieder. Wenn das kleine Geniste dereinst durch die Straßen zieht und anstatt ›Aujust sollst mal runter kommen‹ oder, ›Ach – ich – hab – – sie ja nur – –‹ &c., die neuesten Weisen der Baronesse Speyern pfeift, dann ... dann werden Sie etwas Riesiges erleben, Hoheit!«
»Dann widme ich Herrn von Hovenklingen Alles, was ich je an schwarzen Notenköpfen zu Papier gebracht!«
»Pick die Riemen!! ... Da gratulir' ich. Apropos ... ich komme in trauriger Mission! Fräulein von Gironvale behauptet, von Ihnen schwer beleidigt zu sein, und verlangt, daß Sie als reuiger Sünder Abbitte thun.«
»Ich glaub's selber, daß sie mir vor lauter Zorn am liebsten einen Regenschirm in den Magen stieße und ihn dann aufspannte,« nickte Hovenklingen mit viel Phlegma. »Teufel und Pumpstock!«
»Sie werden gut im Fegefeuer braten!«
»Ich seh' nicht hin, wenn's mich brennt.«
»Steuern Sie mal directen Kurs und streichen Sie ein wenig Honig über die ›Gänsehaut‹ ich werde die Sache wieder glatt bügeln. Weiß der Kuckuck, daß die fixesten Kerle, die zu Wasser niemals, selbst im Traum nicht kentern, auf festem Grund und Boden jeden Augenblick ›Havarie‹ verzeichnen!«
Hovenklingen blinzelte Fräulein von Speyern mit gekniffenem Gesicht von der Seite an und folgte mit allen Anzeichen tiefer Zerknirschung dem Prinzen.
»Kann denn nicht erst noch ein Bischen mehr zusammen kommen?« versuchte er zuvor zu unterhandeln. »Bessern werde ich mich schwerlich, und ansammeln wird sich noch gar manch' rauhes, biederderbes Wort der Wahrheit; weiß' selber nicht, wie's kommt, daß ich der Dame Gironvale gegenüber immer ein paar Strich unter dem Kurs liege!«
»Legen Sie die Ruder in Lee und luven Sie etwas an! Wer sich ›Gänsehäute‹ und Bramstag läufer einbrockt, muß sie auch portionsweise aufessen!«
Der Herr Lieutenant zur See hat das tiefbeleidigte Fräulein Esperance mit aller Feierlichkeit um Verzeihung gebeten. Wie er aber dieses Peccavi gestammelt, und wie sehr er sich dabei auf die schwachen deutschen Sprachkenntnisse seiner Gegnerin verlassen, darüber berichtet die chronique scandaleuse noch heutigen Tags mit wahrhafter Begeisterung. Folgendermaßen lautete die Rede des schalkhaften Reuemüthigen, welche er mit treuherzigstem Gesicht und zu außerordentlichem Amüsement aller Umstehenden vor Fräulein von Gironvale gehalten: »Meine Gnädigste, ich habe angenommen, daß eine Gänsehaut natürlicher Zustand bei Ihnen sei, und das ist wahr; auf höchsten Befehl soll ich hierfür um Permission bitten, und das thut mir sehr leid« –
Mademoiselle Esperance war vollkommen versöhnt und aß an demselben Tage noch ein Vielliebchen mit dem »charmanten Sünder Hovenklingen.«
Als der Freiherr von Nennderscheidt in die Götterallee eintrat und Fürstin Tautenstein seiner ansichtig wurde, theilte sie sehr ostensibel ihren Schneeballenstrauß mit Prinz Hohneck. Er grüßte kurz und schritt gelassen an ihr vorüber zu Fräulein von Speyern, um zum ersten Male seit seiner Verheirathung freiwillig ihre Unterhaltung zu suchen. Dieselbe drehte sich hauptsächlich um Marie-Luise, und es lag viel warme Aufrichtigkeit, ja eine für Fides unerklärliche Erreg ung in seiner Stimme, als er ihr für alle Liebe und Freundlichkeit dankte, mit welcher sie der jungen Frau helfend und schützend zur Seite gestanden.
»Sie haben gar oftmals meine Stelle vertreten und sind ihr die treue Stütze gewesen, welche ich eigentlich hätte sein sollen. Ich stehe tief in Ihrer Schuld. Ich weiß auch nicht, wie ich dieselbe abfragen soll, denn der schönste Lohn ist Ihnen bereits geworden, die Liebe und Freundschaft einer der edelsten und bravsten Frauen.«
Ein fast zärtlicher Ausdruck lag auf ihren ernsten Gesichtszügen. »Ja, Sie haben recht, Herr von Nennderscheidt, einer der edelsten und bravsten Frauen! Dem Himmel sei Dank, daß ich dieses Urtheil aus Ihrem Munde hören darf.« Mit jähem, scharf prüfendem Blick schaute sie in sein Auge. »Ich sage ›dem Himmel sei Dank‹ aus egoistischsten Gründen und weiß vielleicht Mittel und Wege, auf welchem Sie Ihre ... soit dit Schuld an mich abtragen könnten!«
»Ich beschwöre Sie, dieselben zu nennen!«
»Ich bin viel beschäftigt, fühle mich all' den Pflichten, welche mir obliegen, kaum noch gewachsen und muß mit jeder Minute geizen. Ich werde mich der Geselligkeit, soweit es meine Stellung erlaubt, künftighin fern halten, und habe auch die letzten Feste nur aus Pflichtgefühl besucht, um Ihrer Frau die flehend erbetene ›Zufluchtsinsel‹ in der Hochfluth der Saison zu sein. Wollen Sie den Posten, welchen ich für Sie verwaltete, nun selber antreten, und wollen Sie mir versprechen, daß Sie mich redlich ersetzen wollen, mit all' meiner Liebe für Marie-Luise, meiner Sorge und meinem klaren Auge, welches über sie wacht?«
Olivier empfand sehr wohl das Eigenthümliche dieser Bitte, welche ihm herber denn jeder Vorwurf seine Versäumnisse vorhielt, und das als Liebenswürdigkeit von ihm forderte, was einfach seine Pflicht war. Dennoch hob er das Haupt und erwiderte voll und fest ihren Blick. »Wenn meine Frau mit diesem Tausche fürlieb nehmen will, so werde ich dadurch meine Verbindlichkeiten Ihnen gegenüber nicht abfragen, sondern mich noch tiefer in dieselben verstricken.«
»Nicht nur im Ballsaal bedarf Marie-Luise des geduldigen Lehrmeisters und Freundes, sondern auch in den vielen Stunden häuslicher Einsamkeit. Ueberlassen Sie Graf Goseck nicht das schönste und reizendste Amt, eine junge Menschenseele unter dem Einfluß geistiger Anregung zur Blüthe zu entfalten, ich bitte Sie inständig darum, um Ihrer selbst willen; lassen Sie keinen fremden Gärtner auf Ihrem Eigenthume walten, er wird nicht allein säen, sondern auch ernten wollen.«
Es lag etwas Zwingendes, angstvoll Warnendes in der Stimme der Hofdame, sie bot ihm die Hand entgegen: »Versprechen Sie es mir!«
Einen Augenblick starrte er erstaunt in ihr Antlitz, dann umschloß er ihre Hand mit festem, fast heftigem Druck. »Ja, ich gelobe es, und ich danke Ihnen. Ich kenne Ihre Aversion gegen meinen Freund und werde sie respectiren, um so mehr, da ich bereits selber den Entschluß gefaßt habe, Eustachs Amt nun persönlich zu verwalten. Ich habe die Ueberzeugung, daß ich einer Zeit entgegen gehe, in welcher ich selber Gärtner sein werde, um viel Unkraut zu roden, welches meine Nachlässigkeit zu einer Wildniß hat aufschießen lassen. Aber ich werde nachholen, was ich versäumte, und will das Paradies, welches ich verloren, und welches ich zur Wüste verkümmern ließ, zurückgewinnen. Warum sehen Sie mich so überrascht an? Klingen meine Worte so wenig glaublich?«
»Daß Sie solche Gedanken hegen, erscheint mir sehr natürlich, daß Sie dieselben aussprechen, frappirt mich allerdings auf das Höchste.«
Ein eigenthümlicher Zug schlich sich um seine Lippen. Bitterkeit und Beschämung. »Ich glaubte Ihnen diese Genugthuung schuldig zu sein,« sagte er mit gepreßter Stimme. »Wenn man über einen Baum, welcher als ›wilder Schößling‹ nicht mehr in die Gesellschaft cultivirter Collegen paßt und darum gefällt werden soll, schirmend die Hände breitet und ihn erhält, dann freut man sich über jedes grüne Blättchen, über jede, selbst die kleinste edle Frucht, welche er trägt. Ich weiß, was Sie für mich gethan haben, Fräulein von Speyern, mehr als je ein Mensch ahnt, mehr als all' die wachsam lauernden Augen der großen Welt beobachten konnten. Darum sollen Sie auch den Erfolg Ihres opfermuthigen Werkes schauen, sollen sich überzeugen, daß hie und da doch noch ein grünes Reis auf trockenem Stamm treibt, und Sie sollen künftighin nicht mehr mit Augen auf Ihren Schützling blicken, so streng, so kalt ... so ... so, ich kann's gar nicht mit Worten sagen, was Alles in Ihrem Blicke liegt, das mich so unsagbar klein vor Ihnen werden läßt! Lassen Sie es anders werden, ich bitte Sie darum!«
Ein Lächeln ging über ihr Antlitz. Anfänglich war ihr Nennderscheidt verändert erschienen, jetzt war er wieder ganz der Alte, der ungestüme Hitzkopf, welcher durchaus kein Talent zum Diplomaten hat. Der Schmetterling, welcher den giftig süßen Kelch der Belladonna umgauckelte, hat plötzlich das Veilchen, das düfteschwere, im Moos entdeckt, und er flattert herzu und umschmeichelt den Dornbusch, unter dessen Schutz und Einfluß die scheue Knospe steht. »Blicke freundlich auf meine bunten Schwingen, welche neben allem Wankelmuth dennoch das Symbol der Unsterblichkeit sind! Und neige Dich, und flüstere dem Veilchen heimlich mein Lob in's Ohr ... und erzähle ihm Gutes von mir; und entschuldige meine Blindheit, die es um eines giftigen Unkrauts willen übersehen konnte!«
Was aber hatte den Blick des Falters inmitten des berauschenden Gifthauches auf die sinnend geneigte Unschuld im Moose gelenkt? Das Unsterbliche, Seelenvolle, welches kaum geahnt in ihm selber schlummert, welches ihn magnetisch hinzieht, ruhelos klopfend in der Brust, bis er unter tausend Blüthen diejenige gefunden, zu welcher der Schmetterling sich sterbend neigt, damit seine Seele, die Unsterblichkeit, sich ihrem Dufte ewiglich vermähle.
Fides sah mit hocherhobenem Haupt in Oliviers Auge. »Gut Freund!« sagte sie, schlicht und fest. »Gut Freund allezeit.«