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Viertes Kapitel

»In einen krystallen Wasserpalast
Ist plötzlich verzaubert der Ritter.
Er staunt, und die Augen erblinden ihm fast
Von alle dem Glanz und Geflitter.
Doch hält ihn die Nixe umgarnet gar traut ...«

Heine.

 

Die Schneeflocken feierten Carneval. Sie waren noch nie so toll und übermüthig durch die Luft gewirbelt, hatten noch nie so phantastische Tänze aufgeführt, als wie in dieser Stunde, wo der Stiftspfarrer von Sanct Brigitten eilig und mantelgehüllt durch sie hin schritt. Sie gaben ihm das Geleit durch den menschenleeren Park, in welchem der Wind leise klingend durch die starren Zweige strich, und sie warfen sich wie ungestüme Grüße an seine Brust und glitzerten durch den dunkelbraunen Vollbart, welcher das geistvolle Antlitz mit weichen Wellen umrahmte.

Sonst hatte er stets eine herzliche Freude an solchem Gestöber gehabt, hatte die kleinen Flocken mit dem Blick verfolgt, wie sie sich hin und her jagten und ihm den dunkeln Mantel mit Silbersternchen stickten; heute senkte er das Haupt, wie in tiefen Gedanken und schritt sogar quer über die sammetweichen Rasenflächen, um ein Stücklein Weges zu profitiren.

Unter der glasverdeckten Auffahrt des Erbprinzlichen Palais blieb er endlich stehen, den Schnee von sich abzuschütteln, und trat alsdann an dem Huissier mit dem dreieckigen Hut und der rothfarbenen Schärpe über reicher Livrée, welcher voll stummer Höflichkeit die Thüre aufriß, vorüber in die warme, hochgewölbte Flurhalle.

Breite Gobelins deckten die Wände, unter langgeschlitzten Palmwedeln plätscherte eine Girande, und rechts und links wanden sich gußeiserne, teppichbelegte Treppen zwischen dunkeln Porphyrsäulen empor.

Zwei Lakaien sprangen von dem altdeutschen Tisch, auf dessen Kante sie schwatzend gesessen, auf und glitten fragenden Blicks näher.

»Ich bin für ein Uhr zur Audienz befohlen, wohin habe ich mich zu wenden?«

»Sehr wohl, Hochehrwürden! Wollen der Herr Pfarrer sich zuvor einschreiben? Die Bücher der Herrschaften liegen im Nebenzimmer offen!«

»Man schreibt sich jedesmal vor einer Audienz ein?«

Der eine Gallonirte zuckte die Achseln, sein College jedoch neigte diensteifrig das Haupt: »Fast ausnahmslos; Hochehrwürden sind zu der Frau Erbgroßherzogin befohlen? Dann bitte mir zu folgen!« und er schlug die Memphisportière zurück und schritt auf lautlosen Sohlen in ein kleines Seitenkabinet.

Während Collander schrieb, lehnte er sich gegen den mächtigen grünen Kachelofen, welcher eine kleine Imitation desjenigen im Artushof zu Danzig schien, und rückte mit dem Fuß die Postakifelle zurecht, welche Fußboden und Holzsessel bedeckten. Der Pfarrer wechselte die Handschuh, strich den Zylinder glatt und folgte alsdann dem führenden Gallonirten.

Es ist eine ganz eigenartige Luft, welche durch Fürstenschlösser weht. Feierliche Ruhe trägt sie auf den Schwingen, und der zarte Dufthauch, welcher sie balsamirt, legt sich wie ein feiner, ganz feiner Nebel über die Sinne derjenigen, welche sie zum ersten Mal athmen.

Ein Kammerdiener stand droben an der Treppe. »Die Frau Erbgroßherzogin haben soeben erst den Herrn Baumeister Dr. Siebert, welcher die Pläne für die Neubauten von Charlottenruh bringt, empfangen. Da Königliche Hoheit sich sehr für diese Entwürfe interessiren, wird die Besichtigung wohl etliche Zeit in Anspruch nehmen, und läßt Hochdieselbe den Herrn Pfarrer ersuchen, doch einen Augenblick zu verweilen!«

Collander verneigte sich zustimmend und betrat durch eine schmale Gallerie einen der Empfangssalons.

»Bitte Platz zu nehmen! dort an dem Tisch finden Hochehrwürden auch Lectüre!«

Der Stiftspfarrer von Sanct Brigitten dankte, und die Thüre rollte leise hinter ihm zu.

Einen Augenblick legte er die Hand über die Augen, dann schaute er um sich. Welch' eine ruhige, gediegene Pracht ringsum. Zwischen den breiten Goldleisten der Wände die Gemälde fürstlicher Ahnen, in Ordenstracht und Hermelinmantel, hoheitsvolle, wohlbekannte Heldenhäupter aus der vaterländischen Geschichte. Von der Decke glitzern Broncegehänge, mit rothen Wachslichtern besteckt, ein Pfau breitet vor dem Kamin sein metallschimmerndes Federrad aus, und zwischen den schwellenden Sammetpolstern, welche in alterthümlich barocke Formen gedrängt sind, erheben sich Säulen, Büsten und Vasen. Eine kleine Stramindecke mit sehr einfacher, nicht allzu accurater Stickerei fällt dem Beschauer auf. Er tritt näher an das Tischchen heran. »Meiner lieben Mutter, von Elisabeth Charlotte. Weihnachten 1886.« – ist mit rother Seide in das mittelste Medaillon gestickt. Eine Arbeit der kleinen Prinzessin! Es ist Collander zu Muth, als müsse er vor Rührung und Ueberraschung zärtlich mit der Hand über all' die Stiche und Kreuzchen streichen.

Wie der Schneesturm wirbelt! Wie die Parkbäume draußen sich winden und neigen, und mit den kahlen Zweigen fast gegen die hohen Spiegelscheiben schlagen. Im Kamine saust und faucht es, und die Schatten im Zimmer verdunkeln sich.

's ist wie ein Traum.

Die Thüre hinter ihm wich leise knarrend zurück, und Collander, welcher just einen Prachtband, Georg Ebers: »Egypten in Wort und Bild« aufschlagen wollte, wandte das Haupt. Jählings klappte der schwere, goldgepreßte Buchdeckel hernieder.

Zwischen den Portièren stand Fürstin Tautenstein und trat dem Stiftspfarrer von Sanct Brigitten mit ihrem langsamen, etwas müden Schritt entgegen.

Schwarzer Sammet schleppte mit weichem, pelzverbrämten Saume lang hinter ihr her, die zierliche Figur zu düsterer Majestät empor wachsen lassend; ein kronenartiger Kamm von Topasen funkelte in dem lichten Haar. Sie lächelte Collander zu, wie einem Altbekannten, und da er sich überhastig vor ihr verneigte, und dunkle Gluth ihm in Wangen und Schläfen schoß, neigte sie das Köpfchen in kaum merklichem Gruß und musterte dabei seine stattliche Erscheinung von oben bis unten.

»Ich wußte, daß Sie hier sind, Herr Pfarrer, und bin in der Hoffnung gekommen, Sie zu sehen!«

»Durchlaucht sind unendlich gnädig ...«

»Durchaus nicht, nur neugierig. Sie hatten das Unglück, mich von dem Augenblick an zu interessiren, als Sie sich auf dem Opernhausball meiner Lorgnette aussetzten.« Sie ließ sich auf dem Divan nieder und gestattete ihm durch eine kleine, nachlässige Geste, an ihrer Seite Platz zu nehmen. »Sie müssen sich dem zu Folge einer Weiberlaune fügen und mir jetzt Red' und Antwort stehen!«

»Wenn Durchlaucht eine solch' beneidenswerthe Auszeichnung Unglück nennen, möchte mir zum ersten Mal der Wunsch kommen, Zeitlebens ein unglücklicher Mensch zu sein!« stotterte Collander, der redegewandte Mann, vor dessen Ohren es in diesem Augenblick sauste und brauste wie Meeresbrandung, und dem durchaus keine bessere Antwort einfallen wollte.

»Sie sind zu der Erbgroßherzogin befohlen, wissen Sie auch, wem Sie das zu verdanken haben?«

Sein Blick leuchtete auf. »Ich wage es kaum zu vermuthen!«

»Das würde ich bedauern. Ich hielt Sie für einen der tollkühnsten Wagehälse, welcher weder Scheu, noch Furcht und Schranke kennt. Und weil solche Menschen mir ungemein sympathisch sind, stellte ich mich an Ihre Seite und ward Ihr Anwalt! Danken Sie es mir?« –

Er preßte die Hände gegen die Brust. »Wenn Einer sich hinaus wagt auf die hohe See, nichts unter den Füßen als die beiden morschen Planken ›Muth und Zuversicht‹, welche ein einziger Schicksalsschlag zermalmen kann, nichts in Händen als das Steuer ›Gottvertrauen‹, welches erst geprüft werden soll, ob es sich als treu und fest bewähre, und nichts zu Häupten als ein Himmelreich von Glauben und Hoffnung, über welches jeder Sturm seine Wolken treiben kann, dann ist's ein Mann, welcher aus eigener Kraft durch Nacht zum Licht gelangen will, ein Mann, der furchtlos wagt, um zu gewinnen. Und dennoch ist der Heldenhafteste nur ein schwacher Mensch. Wenn der Sturm kommt, und die Wogen wilder brausen, und kein Sonnenstrahl den Kämpfer trifft, dann blickt er dennoch zum Strand zurück, ob er wahrlich ganz verlassen sei. Nicht Hülfe verlangt er, denn er will allein an's Ziel, aber zwei weiche, zarte Frauenhände möchte er sehen, welche sich im Gebet für ihn falten, und zwei Augen, welche gleich Sternen durch die Finsterniß leuchten: ›Wir verstehen Dein Ringen und Wagen, und wir wachen über Dich!‹«

Mit wachsender Erregung hatte Collander gesprochen, wie ein frischer Luftzug war's gekommen und hatte die Nebel der Befangenheit zerstreut. Und dann sah er plötzlich ein feines, wunderliches Zucken um ihre Lippen gehen, und der Duft süßer Narzissen wehte zu ihm empor und spann zarte Schleier, dichter und blendender, denn aller Nebel zuvor.

»Wie ideal Sie Ihren Beruf auffassen!« lachte sie leise. »und wie der Redner von Sanct Brigitten sich mit Sphärenklängen in das Frauenohr zu schmeicheln versteht! Just so, als ob er auf der Kanzel stünde, um durch sein bilderreiches Evangelium des Volkes Herz im Sturm zu nehmen! Ihr Gleichniß war sehr schön, bester Herr Pfarrer, wiewohl ich mit gefalteten Händen eine Parodie auf mich selber abgeben würde. Wir sind ja jetzt ganz unter uns, reden wir also ganz ehrlich zusammen, so nüchtern und prosaisch, wie nun einmal Alles auf der Welt ist, wenn kein phantastisches Mäntelchen darum gehängt wird!«

Er starrte sie betroffen an. »Ich verstehe nicht. Durchlaucht ...«

Sie löste die beiden köstlichen Marechal-Nil-Rosen von der Brust und hob sie lässig an die Lippen empor, ihr Auge aber blitzte ihn halb schelmisch, halb herausfordernd an. »Mon dieu, Sie wollen mich doch nicht etwa glauben machen, all' die schönen Dinge, welche Sie mit noch schöneren Worten predigen, all Ihr heiliger Zorn über die verderbte Welt, und Ihre Begeisterung für das ›große Vielleicht‹ des Jenseits sei Ihre Ueberzeugung?« Und sie lachte wieder und schüttelte vertraulich das Köpfchen. »Mir gegenüber können Sie getrost die Maske fallen lassen, ich gehöre nicht zu der sentimentalen Menge, welche auf Erbsen kniet!«

Fast bestürzt blickte er auf, und dennoch völlig befangen von dem bestrickenden Zauber dieses eigenartigen Wesens. »Sie hielten mich für einen Mann, welcher sich auf einen Vulkan stellt, nur um die Menschheit mit wohltönenden Worten zu überschreien, und Sie kamen dennoch zu mir in die Kirche?«

»Um Ihrer Persönlichkeit, nicht um Ihrer Predigt willen!« .

»Und Sie gingen, um nichts in Ihrer Meinung über mich gebessert, wieder von dannen?« Er athmete schwer auf, ihre letzten Worte hatten ihm wieder eine jähe Blutwelle in die Schläfen getrieben; sie erstickte die Worte, welche sich ihm heftig auf die Lippen drängen wollten.

»Meine Meinung über Sie war immer gut und erhöht sich noch von Minute zu Minute,« sagte sie leise über die duftigen Blüthen hinweg. »Ich hielt Sie stets für einen geistreichen, in jeder Weise gefährlichen Mann, und jetzt bin ich überzeugt, daß Sie auch ein recht geschickter Diplomat sind, welcher keine Ausnahme von der Regel macht und sich von Niemand in die Karte sehen läßt. Sie haben auch ganz recht. Für das Volk und die große Menge ist ein religiöser Cultus unerläßlich, und je straffer die Zügel angespannt werden, desto braver marschirt Alles in Reih' und Glied. Ich bin dem großen Reformator Luther absolut nicht dankbar für das Licht der Aufklärung, welches er der Welt angezündet hat. Damals war es vielleicht eine wohlthuende Leuchte, jetzt ist's zur wüsten Feuerlohe angewachsen, aus welcher der Dynamit wie drohend Wetterleuchten zuckt.«

Collander zog die Augenbrauen zusammen. »Sie sind Katholikin, Durchlaucht?«

Sie lachte herb auf. »Ich war es.«

»Und sind protestantisch geworden?« Wie ein Jubelruf klang es von seinen Lippen.

Da schüttelte sie das Köpfchen, daß die Topase im Haar hell aufblitzten. – »Nein« –

Entgeistert wich er zurück. »Was glauben Sie sonst?«

Langsam neigte sie sich ihm zu, so nah, daß die goldigen Löckchen dicht vor seinen Augen zitterten. Wie eine schwarze, unheimliche Fluth wogte die Sammetschleppe, in tiefem Schatten liegend, vor seinen Füßen, und die dunkelen Augen trafen in langem Blick die seinen, fascinirend, voll düsterer Gluth. »Ich bete an die Macht der Liebe, keinen anderen Gott. Ich bin ein echtes Kind unserer aufgeklärten Zeit, frei an Leib und Seele, frei von allem Ballast, welcher den Geist im Staube hält. Wie das gekommen ist? Keinem Menschen habe ich es noch anvertraut. Ihnen aber will ich es erzählen, wenn Sie's hören wollen. 's ist ein und derselbe Tropfen Weisheit, welcher hinter unser beider Stirne gährt, der Tropfen der Erkenntniß, welcher über conventionelle Ammenmärchen hinweg in neue Bahnen drängt. Suchen Sie mich im Schlosse auf, wir wollen des Näheren darüber plaudern!« Und sie erhob sich und reichte ihm die Hand entgegen.

Klein und weich und kühl war sie, und Collander neigte sich wie betäubt darauf nieder, sie zu küssen. »Durchlaucht gestatten, daß ich von dieser Erlaubniß Gebrauch mache,« stammelte er, und dann sah er noch, wie sie ihm lächelnd zunickte, wie sie lautlos, gleich einem Schatten über die weichen Teppiche schwebte und die golddurchwirkten Portièren hinter ihr zusammen rauschten.

Wie ein Geblendeter stand er und starrte ihr nach und hob die Hände und drückte sie gegen die Stirn. Minutenlang wirbelten die Gedanken hinter derselben wie die Schneeflocken im Sturmwind draußen. Dann hob ein tiefer Athemzug die Brust. »Unglückliches Weib, daß ich Dir helfen, daß ich der Gottesbote werden könnte, welcher Deine schöne Stirn mit der Palme des Friedens rührt, welcher dem Himmelreich seinen lichtesten Seraph zurück schenkt!« Die beiden gelben Rosen lagen vergessen auf dem Divan. Collander neigte sich hastig, sie aufzunehmen, und preßte seine brennenden Augen auf die Blättchen, welche soeben noch ihre Lippen berührt hatten. Wie Schauer bebte es durch seine Seele. Dann richtete er sich hoch auf und barg die Blüthen auf seiner Brust. »Ich werde sie meiner Martha mitbringen, und ihr von der schönen, wundersamen Frau erzählen, welche sie am Herzen getragen! Habe ich ihr doch so wie so versprochen, gleich zu ihr zu kommen, um zu berichten, wie es im Fürstenschlosse ausschaut!«

Sonst weilten Collander's Gedanken nirgends lieber als bei seiner Braut, heute verschwamm Martha's Bild wie etwas ganz Fernes, ganz Wesenloses zwischen all' den neuen Eindrücken, welche blendend an seinem Auge vorüberzogen.

Er schrak zusammen, als der Lakai meldete, daß Ihre Königliche Hoheit, die Frau Erbgroßherzogin den Herrn Stiftspfarrer erwarte.

Während der Audienz hatte Collander etwas auffallend Verwirrtes und Benommenes in seinem ganzen Wesen, was die hohe Frau wohl bei dem wortgewandten und geistvollen Mann befremdete, was aber keineswegs ungnädig von ihr aufgenommen wurde.

Mit hochklopfendem Herzen schritt der Stiftspfarrer endlich die teppichbelegten Stufen wieder hinab, er widerte zerstreut die Grüße der Dienerschaft und trat in die kalte Schneeluft hinaus. Im Sturmschritt verfolgte er seinen Weg, im Geist die leidenschaftlichsten Debatten mit Fürstin Tautenstein führend. Seine Beredtsamkeit, die Kraft seines Glaubens werden sie überzeugen; er wird öfters aus und ein gehen bei ihr, sie wird neben ihm sitzen wie heute, spöttisch lachend ... mit schneeweißen Händen eine Rose zerpflückend, und dennoch immer ernster, immer leuchtender mit den dunklen Augen zu ihm aufschauend, und endlich wird sich das süße, kleine Angesicht thränenbethaut zu ihm heben, und er legt ihr die gefalteten Hände auf das Haupt, und spricht mit jauchzendem Herzen: »Wohl mir, daß ich Deine Seele rettete.« Ein tollkühn' Spiel, ein Hazard ist es, aber er wagt's!

Erst, als er die Treppe zu seiner Wohnung emporstieg, fiel ihm ein, daß er direct zu Martha hatte gehen wollen. Einen Augenblick überlegte er, dann öffnete er die Thüre und stellte die beiden gelben Rosen in Wasser. Was sollte Martha damit? Sie kannte ja Fürstin Claudia gar nicht. Dann wechselte er seine Kleider, hob die Blüthen noch ein paar Mal empor, ihren Duft zu athmen, und schritt zur Thüre zurück. Auf dem Tisch lagen ein paar Zeitungen mit rothangestrichenen Artikeln. Man hatte wohl eine seiner öffentlichen Wahlreden wieder angegriffen. Sonst hatte er voll kühnen Eifers nicht gegessen und getrunken, bis er solche Anfeindungen Schlag auf Schlag widerlegt und erwidert hatte, heute schob er die Blätter ungeduldig bei Seite; er hatte sogar keine Gedanken dafür, er mußte erst zu Martha, sich über Alles auszusprechen, was er an diesem Tage erlebt. Ueber Alles? ... je nun, über Alles, was sie interessirt.

Schmal und ausgetreten waren die drei Holztreppen, welche zu der Wohnung des Professor Clepius empor führten. Tag ein, Tag aus saß der alte Herr in dem Taback durchräucherten Zimmer, welches seine Fenster nach den Hintergärten öffnete, tief über die Bücher geneigt, eine Tasse starken Kaffees neben sich, und arbeitete an dem botanischen Werk, welches schon lange Jahre hindurch all' seine Gedanken und all seine Zeit in Anspruch nahm. Seine Enkelin Martha, die schlanke, ernste, rastlos fleißige Waise, führte ihm den kleinen Haushalt, neigte das sinnende Antlitz über die Stickereien, mit welchen sie ein karges Tagelohn verdiente, und schritt voll aufopfernder Nächstenliebe und Barmherzigkeit schon seit Jahren in das Brigittenhospital hinüber, sich in der freien Zeit an freiwilliger Krankenpflege zu betheiligen. Dort wollte sie für immer in die Reihen der Diakonissinnen treten, wenn der Großvater dereinst die müden Augen geschlossen. Aber das Schicksal fügte es anders. Der neue Stiftspfarrer Collander trat dem lieblichen Mädchen entgegen und reichte ihr dankend die Hand, und wie sie einander in die Augen sahen, da war es Beiden, als sei ihnen ein Gruß aus der Heimath geworden. Als aber die Astern auf den Beeten welkten, und das Laub wie fließend Gold zur Erde tropfte, da lehnte Martha ihr glückverklärtes Antlitz an die Brust des geliebten Mannes und war sein eigen für Zeit und Ewigkeit. – – Die Wanduhr in dem langen Gehäuse sang ihr monotones Lied, und in dem eisernen Ofen prasselte das Feuer, summte der Wasserkessel in der Röhre. Arm und alt war Alles in dem Stübchen, aber sauber und wundersam traulich. Im Glasschrank prangten ein paar bunte Tassen. Muscheln. Korallenzweige und fremdartig getrocknete Pflanzen, welche der Großvater einst, als Jüngling vom Strand der Adria heimgebracht. Am Fenster stand die Nähmaschine, und unter alten Kupferstichen »der Erzähler« und »Hermann und Dorothea« fristete ein steiflehniges Sopha sein langes Dasein. Neben der Prachtbibel auf dem Tisch duftete ein frischer Tannenstrauß gleich weihnachtlichem Rückerinnern.

Auf der Treppe klangen Schritte. Martha wußte, daß so fest und sicher nur ein Einziger auftrat, sie sprang von der Arbeit empor und eilte ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen, und da er sie an seine Brust zog und küßte, glühte sie in lieblicher Scham, wie eine thauschwere Blüthe, deren Haupt man heben muß, will man ihr in das Antlitz schauen. Und Martha ließ heute die Hände ruhen und schmiegte sich an seine Seite, und schaute mit leuchtendem Blick zu ihm empor, wie er von seinem Besuch im Schloß erzählte.

Collander sprach viel und erregt, er ward nicht müde, die Hoheit und zauberhafte Anmuth der Erbprinzessin, die wundersame Schönheit der Fürstin Tautenstein zu rühmen. Und der Letzteren verdankt er all' sein Glück! Sie protegirt ihn, und hilft ihm mächtig empor über die Felsen, welche ihm seine Widersacher in den Weg thürmen. Da klingt es wie ein leiser Jubellaut von Martha's Lippen, sie schlingt die Arme um seinen Nacken und blickt mit den sanften Augen, in welchen sich das reinste und frommste Entzücken spiegelt, zu ihm auf.

»Wie stolz bin ich auf Dich, Hellmuth, und wie danke ich Gott für all das Glück, welches er uns beschieden.« Er faßt ihre Hand. Sie ist hart gearbeitet und leicht geröthet unter dem Einfluß von Wärme und Kälte, gegen welche sie nicht geschützt werden kann; die Fingerspitzen sind rauh und zerstochen. Wie weich und blüthenzart hatte Claudia' s Rechte sich in die seine geschmeichelt, umblitzt von Goldreifen und Demanten. Aber Fürstin Tautenstein arbeitet auch nicht um ihr täglich Brod, wie diese rastlos schaffende, wackere Mädchenhand! Collander nimmt sie voll aufquellender Zärtlichkeit empor und drückt die Lippen auf die Spuren von Fleiß und demüthiger Geschäftigkeit. Wie still, wie friedlich ist es hier, aber auch wie eng und armselig. Das Sopha hat Collander nie so hart gedäucht wie heute. Martha ist heiterer und gesprächiger denn je. Sie erzählt von ihrem Gang durch das Hospital, und von dem überfahrenen Kind, welches sie auf Hellmuths Wunsch besucht hat. Er hört zu und nickt Beifall, aber seine Gedanken schweifen weit ab. Wie ihre aschblonden, dicken Flechten so schlicht um das schlanke Haupt gewunden sind! In Claudia's goldzitternden Löckchen flimmerte ein Krönlein wie auf dem Scheitel einer Königin. Lächerlich ... beinah hätte er gesagt: »Martha, Du mußt Dich etwas moderner frisiren!« Als ob ihre köstlichen Zöpfe nicht stets sein Entzücken gewesen wären! Und eine Pfarrfrau, welche als Samariterin in die Hütten der Armuth tritt, kann kein Krönlein eitler Pracht und Prunksucht über der Stirn tragen. Aber ein Tannenreislein zieht er aus dem Glase und schmückt sie.


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