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»Und immer spricht's die schöne Maid,
O gieb mir Deine Seligkeit!«
Heine.
Fürstin Tautenstein faßte einen Laurostinuszweig und zog ihn hernieder, die Wange an die kühlen, weißen Blüthen zu legen. Ihr Auge hatte mehr und mehr seinen träumerischen Ausdruck verloren, und jetzt blitzte es so gar grell und eigenthümlich darin, wie die phosphorescirend grünen Funken, welche im Dunkeln aus Katzenaugen zucken.
»War das nicht Ihre junge Frau, welche soeben mit Goseck vorüber ging?«
»Ich glaube wohl, ich habe nicht hingesehen.«
Sie zog die weißen Schultern mit einer halb ironischen, halb ungeduldigen Bewegung empor. »Warum nicht?«
»Weil meine Augen im Dienste der Königin Minne stehen!«
Sie sah erstaunt aus wie ein Kind und legte den Finger an die rosige Lippe. »Mon Dieu ... das klingt ja gerade so, als ob Sie in mich verliebt wären?«
Er zog eine rothe Rose aus dem Bouquet, welches sie neben sich auf die Bank geworfen hatte, und befestigte sie in seinem Knopfloch. »Und wenn ich Dich liebe, was geht's Dich an?« recitirte er lachend.
Sie schüttelte leise kichernd das Köpfchen. »Nichts, ich werde es weder erlauben, noch verbieten; auch der Mond muß es sich gefallen lassen, in verschiedensten Tonarten angebellt zu werden!«
»Recht schmeichelhafter Vergleich. Also derart Turandot, derart kühl bis an's Herz hinan, daß es Ihnen nicht einmal eine schlaflose Nacht bereiten würde, wenn unter Ihrem Fenster eine Pistole knallt?«
»Nein, man könnte eine Katze oder Ratte getroffen haben!«
»Und just wie solch' einen leicht verschmerzbaren Verlust würden Sie auch Nennderscheidt's durchlöchertes Herz ignoriren?«
Ihr Auge schmachtet zu ihm empor. Mit dem lächelnden Mündchen, von welchem man nie recht weiß, ob es ehrlich spricht oder spottet, entgegnet sie langsam und bedeutungsschwer: »Nein!«
Er neigt sich hastig tiefer und sieht ihr mit brennenden Blick in das bezaubernde Antlitz. »Was würden Sie thun?«
»Ich würde Ihnen zur Beerdigung einen Kranz schicken, mit einer schwarzen Schleife, auf welcher jedoch mit Goldbuchstaben etwas geschrieben stünde!«
Der Fächer wogt vor ihrer Brust, die gelben Narzissen duften berauschend aus dem Blumenparterre empor.
Seine Stirn färbt sich heißer. »Und was stünde darauf?«
»p. p. c.!!« p.p.c.: pour prendre congé, frz.: »um Abschied zu nehmen«; auf Karten. Anm. d. eBook-Hrsg. – Ein helles, silberhelles Auflachen, abermals ein Gemisch von Spott und Uebermuth. Es wechselt auf ihrem Gesicht wie Licht und Schatten, man wird sich nicht klar darüber, ob es raffinirteste Koketterie oder die liebreizendste Naivetät ist.
Olivier richtet sich jählings empor und beißt sich auf die Lippe, dann lacht er mit. »Wo soll ich aber jenseits der Wolken ein Bouquet auftreiben, um mich bei unserm nächsten Wiedersehen für so viel Huld und Güte zu revanchiren?!«
Ihr Blick bekommt plötzlich etwas Starres, aber dennoch schillert's darin. »Sie meinen im Himmel?« fragt sie gedehnt.
»Wo sonst!«
»Bedauere, ich komme nicht in den Himmel!«
Er ist mehr über den Klang ihrer Stimme als über die Worte selbst frappirt. »Und warum nicht, wenn man fragen darf? die Zeiten der Lucrezia Borgia sind doch wohl vorüber!«
»Sagen wir zur Disposition gestellt. Aber daran liegt' s nicht. Ich bleibe nur consequent, und da ich Zeitlebens keine Damenkaffee's besuchte, so will ich's auch nach dem Tode nicht; ich hasse alle Langeweile!«
»Damenkaffee' s ... im Himmel?«
Der golddurchwirkte Stoff glitzert um ihre geschmeidige Gestalt, als tanzten alle Flämmchen des Fegefeuers um sie her.
»Gewiß! Sie sollten es doch am besten wissen, daß heut zu Tage keine Herren mehr in das Paradies kommen! dazu ist das neunzehnte Jahrhundert zu flott ... zu aufgeklärt ... und zu verwöhnt! Wen wird man oben antreffen? Diakonissinnen ... sehr viele alte Jungfern, tugendhafte Hausfrauen, die streng darauf halten, daß auch unter dem Baume der Erkenntniß ›Familien Kaffee kochen können!‹; na und dann im günstigsten Fall ein paar Whistspielende Missionare, die aufgefressen wurden, ehe sie Europas Cultur beleckte! In der Hölle aber muß es höchst amüsant sein! Da sieht man alle guten Bekannten wieder, die spornklirrend hier oben unseren Lebensweg in Walzertakten kreuzten, und was man neu dazu kennen lernt, sind durchweg Leute, welche im Leben so viel Rosen gepflückt haben, daß sie nach demselben noch die Hölle damit pflastern können!«
Die beißende Ironie und Frivolität ihrer Worte wurde vollkommen maskirt durch das melodische Lachen, welches sie durchtönte, durch die prickelnde Lebendigkeit, welche sie amüsant machten. Alles Außergewöhnliche frappirt, und Fürstin Claudia war so reizend und anmuthig, so originell und bei aller Extravaganz so weich und schmiegsam, daß man mit Entzücken jeglichen Trank schlürfen mußte, welchen sie credenzte, gleichviel, ob er Gift oder Wein des Lebens ist!
Nennderscheidt zwirbelte lachend den blonden Schnurrbart. »Meine Frau kommt gewiß einmal in den Himmel, soll ich wirklich so ungalant sein, ihr zu diesem Wege nicht den Arm zu bieten?«
»Es scheint, Sie bereiten sich schon jetzt recht gründlich darauf vor!« um Claudias Lippen ging ein scharfes Zucken. »Aber nur unbesorgt, ich bin überzeugt, daß eine ganze Menge Seligkeitsmüder einen Abstecher zu uns machen, wenn sie im Himmel ihren Ausgeh-Sonntag haben! Auch können Sie im Nothfall correspondiren. Briefe aus der Hölle sind modern. À propos ... wie viel Stunden sind Sie eigentlich schon verheirathet?«
Olivier zuckte die Achseln. »Keine einzige lohnte der Mühe, sie zu zählen.«
»Der Gedanke, daß Sie aus glühender Liebe den Ring tragen, scheint mir vermessen!«
»Sehr vermessen.«
»Ich finde Ihre Frau weder schön noch amüsant, alle Madonnengesichter sind mir unsympathisch. Wir scheinen doch sonst einen sehr ähnlichen Geschmack zu haben, darum erstaunt mich Ihre Wahl doppelt. Hat sie Geld?«
Er lachte laut auf. »Wie Heu! ... Das aber auf anderer Leute Grund und Boden wächst.«
Claudias Köpfchen sank noch tiefer in die Blumenzweige zurück, sie zupfte mechanisch die kleinen Blüthenflocken des Goldregens und streute sie auf Nennderscheidt's Hand, welche sich weiß und aristokratisch auf die Banklehne stützte. »Mais mon Dieu ... wie kamen Sie denn überhaupt auf die absurde Idee, sie zu heirathen?«
»Die Tollheit handelt nicht nach Motiven.«
Ihr Auge bekommt wieder den träumerischen Glanz, als mache der Blumenduft sie müde. »Sie weichen meiner Frage aus. Aber gleichviel, mögen Sie sich in Champagnerlaune oder nach Empfang des serieusesten Briefes einer Erbtante in das Ehejoch gespannt haben, ich rechne nur mit der Thatsache und finde es entzückend, daß Sie verheirathet sind!«
Unverhohlene Betroffenheit malt sich auf Olivier's Zügen, er setzt sich langsam neben die Fürstin nieder.
»Nun schlag' aber Gott einen Türken todt. Durchlaucht, der Sinn dieser Rede ist mir dunkel, denn seit einer halben Stunde habe ich den Spaß an meinem letzten tollen Streiche vollständig verloren!«
»Thatsächlich?« Fürstin Tautenstein wartet, bis eine etwas dreist belorgnettirende Gesellschaft fremder Leute vorüber geschritten ist, dann neigt sie sich näher und flüstert mit aufglühendem Blick: »Wahrlich? Je nun, die Ansichten sind verschieden. Säßen Sie als Junggeselle neben mir, würde ich Ihnen nicht das sagen können, was ich Ihnen jetzt unverhohlen beichten kann und will. Wissen Sie, warum ich mein sonniges Italien verließ, um hierher in diese lauwarme, nüchterne und langweilig solideste aller Hofluft kam? Nein? ... Um Sie kennen zu lernen.« – Nennderscheidt wollte ungestüm unterbrechen. Claudia aber legte gebieterisch den Fächer auf seinen Arm. »Still ... keinen Laut jetzt, bis ich ausgeredet habe. – Sie sollen überhaupt keine Silbe erwidern, sonst verschließen Sie mir für ewige Zeit die Lippen. Also stramm gesessen, Sie alter, ehrwürdiger Ehemann, denn ob ich Sie liebe ... was geht Sie das jetzt noch an?« ...
Ihr Auge flimmerte, das kleine Teufelchen der Bosheit schnitt Olivier eine Grimasse draus entgegen. Er sah's nicht, wie ein Nebel lag's über all seinen Sinnen, und das Blut hämmerte in den Adern.
»Um Ihretwillen kam ich her, Baron, der tolle Junker mit all den amüsanten, fast unglaublichen Histörchen, welche sich wie ein Kometenschweif an seinen Namen heften, hatte es mir angethan. Ich ließ mir sein Bild kommen und sah es lange, lange an. Dann befahl ich, die Koffer zu packen. Es lag etwas Magnetisches in dem Blick des Freiherrn von Nennderscheidt, und ich ließ mich willenlos von ihm locken. Wohl war ich mir der Gefahr bewußt, in welche ich mich begeben wollte. Gab es noch einen Pfeil in Amors Köcher, welcher meinem Herzen verhängnißvoll werden konnte, so war es nur eine Hand, welche den Bogen des Venussöhnleins dirigiren konnte, den Meisterschuß zu thun, eine starke, edle, kühne und ritterliche Hand« – Claudia seufzte leise auf und heftete den Blick momentan auf die Rechte Olivier's, welche sich noch krampfhafter denn zuvor um die Broncestange der Banklehne spannte – »für welche ein Trauring viel zu eng und viel zu unerträglich ist!« Die letzten Worte hatten trotz des weichen Stimmklangs wieder einen Anflug von Ironie, und wie ein Schmetterling von einer Blüthe, an welcher er träumend gehangen, emporflattert und plötzlich in ganz veränderten Farben schillert, so richtete sich auch Claudia's graziöse Gestalt jählings auf, dem Freiherrn von Nennderscheidt wie völlig verwandelt gegenüber zu stehen.
»Wie gut, daß ich jetzt aller Sorge überhoben bin, und daß Sie statt meiner die Fesseln tragen, welche nothwendig sind, um unsern Verkehr möglichst harmlos zu gestalten!« Sie lachte wunderlich auf. »Ein Löwe im Käfig flößt keine Furcht mehr ein, man zahlt ihm keinen Tribut mehr, sondern speist ihn mit Almosen.«
»Es giebt Beispiele, daß Löwen ihre ehernen Banden sprengten und wieder frei wurden!« murmelte Olivier durch die Zähne.
Ein scharfer, durchdringender Blick zuckte zu ihm empor. »Und ist solche Freiheit immer ein Glück? Wer sonst dem Gefangenen den Pelz streichelte, liebkoste und schmeichelte, flieht plötzlich vor ihm.«
»Die Furcht ist nicht die mächtigste der Göttinnen!«
»Sie haben Recht; Wankelmuth und Untreue sind noch größer.«
Er schüttelte finster das Haupt. »Diese beiden Begriffe stehen überhaupt nicht in dem Lexikon meines Lebens verzeichnet!«
»Dann muß es eine sehr alte Ausgabe sein! Uebrigens« ... sie entfaltete den Fächer und blinzelte über seinen Rand zu ihm empor ... »zerbrochene Ketten sind doch meiner Ansicht nach weder ein Symbol der Beständigkeit, noch Treue, oder war es dem Löwen nicht so ernst mit seiner Drohung?«
»So lange ihm schöne Hände Sand in die Augen streuen, sieht er das Gitter nicht, welches ihn von denselben trennt, und da er von Natur kein zahmer, gefüger Bursche ist, soll man sich wohl hüten, ihn aus dem Traum zu wecken; begreift er erst, was er verloren, giebt es kein Besinnen mehr, sondern gesprengte Fesseln!«
Wie Genugthuung triumphirte es momentan von ihrer weißen Stirn, dann ging ein Erstarren durch ihr Auge. »Gut, so lassen wir ihn schlafen.« entgegnete sie mit dem kühlen Ton, welcher eben so unmotivirt war, wie der fortdauernde Wechsel zwischen Licht und Schatten, in welchem ihr ganzes Wesen schillerte, und sie hob die Lorgnette und richtete sie nach der Thüre. »Ein Pfarrer? ... auf dem Opernhausball? ... Wie kommt dieser fromme Hirt unter die Schaar der Kinder der Welt?«
Olivier blickte flüchtig nach der hohen Flügelthüre, zwischen deren Portièren eine markige Priestergestalt lehnte, heiteren Blickes die einzelnen Passanten musternd. Er ignorirte Claudia's Frage.
»Und wenn es nun bereits zu spät wäre, wenn ein Sonnenstrahl die Augen des Schlafenden getroffen hätte, daß sie plötzlich sehend geworden wären, daß sie« ...
»Welch ein originelles Gesicht der Mann hat! Ich glaube, ich habe Sie schon einmal gefragt, Herr von Nennderscheidt, wer jener Pharisäer und Schriftgelehrte dort am Eingange ist?« und Fürstin Tautenstein fuhr ungenirt fort, den Genannten zu lorgnettiren, und schien so lebhaft interessirt, daß sie für Andere weder Augen noch Ohren hatte.
Olivier biß sich auf die Lippe und sandte einen nicht gerade freundlichen Blick zu dem Pfarrer herüber, welcher soeben auf das reizende Weib unter den Blüthenzweigen aufmerksam wurde und ihren Blick mit großen, geistsprühenden Augen erwiderte, wie ein Künstler etwa, der plötzlich vor einem schönen Gemälde steht, oder wie ein fröhlicher Wandergesell, vor welchem sich eine sonnige, blühende Landschaft ausbreitet, so recht zum frommen Entzücken und Bewundern geschaffen!
»Jener dort? Der neue Stiftspfarrer Collander. Vortrefflicher Redner, aber ein zu hitziger und eifersvoller Reformator für unsern alten, gemüthlichen Zopf hier. Wirbelt viel Staub auf und wird in Folge dessen viel angefeindet. Beehren Sie ihn nächsten Sonntag in Sanct Brigitten und neigen Sie so beschämt das Köpfchen auf den köstlichen Zobelpelz wie weiland die eleganten Damen vor der Kanzel eines Abraham a Santa Clara!«
»Bedauere, ich gehe nicht in die Kirche.« – Claudia ließ die Hand mit der Lorgnette in der ihr eigenen, etwas trägen Weise niedersinken, und blickte unverwandt zu Collander herüber. »Selbst dann nicht, wenn ein neuer Ekkehard, wie dieser Stiftspfarrer von Sanct Brigitten, den Virgil unter vier Augen mit mir lesen würde. Schade, daß solch schöner Mann in die Kutte gekrochen ist!«
»Er ist Protestant und glücklicher Bräutigam, also durchaus nicht mit dem Mönch von dem Hohen Twiel zu vergleichen!« zuckte Nennderscheidt ungeduldig die Achseln.
»Gleichviel, er ist doch Pastor!!«
»Sie scheinen nicht besonders für Talar und Bäffchen eingenommen?«
Sie schob den außerordentlich kleinen Fuß unter dem Saum des Kleides vor und ließ das Licht auf dem gelben Atlasschuh spiegeln. »Nein ... nicht im mindesten,« sagte sie nachlässig, aber ihr Blick kokettirte unter den dunkelen Wimpern hervor nach Collander herüber.
Nennderscheidt hatte eine gottesfürchtige, edle und brave Mutter gehabt, er hatte seit Kind auf von Frauenlippen die gläubigsten und frommsten Worte gehört, und darum starrte er einen Moment auf's Höchste frappirt zu der Sprecherin hernieder, deren eigenthümliches Wesen ihm vorläufig noch ein Räthsel war.
»Und warum diese Aversion, wenn man fragen darf, Fürstin?«
Ein schneller, forschender Blick streifte ihn. »Weil ich alle Dogmatiker hasse, welche sich zum Bannerträger überspannter und phantastischer Probleme machen!« entgegnete sie mit schneidender Stimme, »oder halten Sie die Theologie vielleicht etwas Anderes, als einen Paroxysmus, welcher sich in unserer nüchternen Zeit der Wissenschaft überlebt hat?«
»Ich muß gestehen, daß ich niemals über diese Dinge nachgedacht und niemals gewagt habe, überhaupt einen Zweifel aufkommen zu lassen!«
»Sie scheinen ein rührend guter Mensch zu sein!« spottete Claudia mit leisem Auflachen, »der Alles glaubt, was man ihm vorredet, und als gehorsamer Comparse in der großen Comödie des Deismus die Hände faltet und nachsingt, was Andere anstimmen!«
Glühende Röthe stieg langsam in die Stirn des Freiherrn. Die Antwort, welche er in diesem Augenblick gegeben haben würde, hätte er in ernstem Disput seine Glaubensansichten zu vertheidigen gehabt, schien ihm einer Fürstin Tautenstein gegenüber lächerlich. Dieses elegante, spottende, geschmeidige Weib mit den Räthselaugen und der einschmeichelnden Stimme wollte nicht ernstlich philosophiren, sie wollte nur ganz anders sein, wie alle anderen Frauen. Und diese Koketterie durfte nur sie allein wagen, denn die bestrickendste Anmuth und Schönheit waren ihre Verbündeten, und einem schönen Weibe glaubt und verzeiht man Alles, weil man ihr in das leuchtende Auge sieht, während das Mündchen noch so finstere Dinge spricht. Und wenn auch Olivier mit Claudia' s Ansichten absolut nicht einverstanden war, so überkam es ihn dennoch wie ein Gefühl von Beschämung, von ihr verspottet zu werden. Er, den alles Außergewöhnliche und Neue reizte und zur Nachahmung zwang und der so unwillkürlich in die Bahnen des Excentrischen einlenkte, wie sich das Eisen vom Magnete angezogen fühlt, er warf den Kopf lachend zurück und fand es sehr spaßhaft, auf ihren frivolen Ton einzugehen.
»Wissen Sie nicht, daß der Schein gewaltig trügen kann. Durchlaucht? Wie könnte ich künftighin noch ein rührend guter Mensch sein, wenn all meine Sehnsucht mich hinab in das lustige, feuerfarbene Reich zieht, aus welchem uns Rowel Druckfehler für »Deiwel«? - Anm.d.eBook-Hrsg. die charmantesten Briefe schreibt und in welchem Sie künftig die Honneurs machen werden?«
Sie erhob sich und legte die Hand auf seinen Arm. »Es wäre auch ewig schade, wenn Sie Ihren Freund Collander und mich nur noch aus der Vogelperspective beobachten könnten!«
»Collander? ... soll der etwa auch in die Hölle?«
»Ja, ich werde ihn einladen.« Sie sagte es scherzend, mit jenem wunderlichen Gemisch von Sarkasmus und kecker Herausforderung, welches so gar nicht zu dem engelsmilden Lächeln paßte, mit welchem sie im nächsten Augenblick im Vorüberschreiten zu dem jungen Stiftspfarrer empor schaute.
Olivier nickte ihm übermüthig zu, und Collander trat einen Schritt vor, das Haupt respectvoll vor der strahlenden Erscheinung der Fürstin Tautenstein und vor ihrem Cavalier zu neigen.
Die Brillanttropfen in Claudia's Haar schossen farbige Blitze, und jeder Blitz ward ein goldgefiederter Pfeil, und jedes Pfeiles Spitze war in Gift getaucht. Wehe dem, welchen er in's Auge trifft, er muß erblinden und irregehen, und wehe dem, dessen Herz er verwundet, er wird nimmerdar gefunden.
Collander wandte das Antlitz und schaute der zierlichen Gestalt nach. Leise knirschend streifte der schwere Goldstoff ihrer Schleppe die Thürschwelle und stürzte sich wie funkelnde Czerna-Wogen die wenigen Treppenstufen, welche in den Vorflur führten, hernieder. Ein Läufer-Halter hatte sich gelockert, und hielt mit gebogener Krampe den Saum des Kleides fest. Collander beugte sich hastig und löste ihn, und Claudia drehte das Köpfchen und neigte es in stummem Dank, und da er wieder aufsprang und sie anschaute, leuchteten die träumerisch dunkelen Augen ganz nah zu ihm auf, wie die Sterne mit geheimnißvollem Glanz aus tiefem See empor schimmern, lockend und winkend.
Da stand er abermals, schaute ihr nach und dachte im Herzen: »Wie schön ist sie!« und freute sich des Glückes, von ihr eines Grußes gewürdigt zu sein. In seiner Brust, welche voll männlicher Kraft, ehern und markig vorwärts strebt im ernsten Kampf für Wahrheit und Recht, in dieser Brust schlug ein Kinderherz voll Treue und Redlichkeit und schlug nicht um einen Pulsschlag schneller, da das reizendste Weib, welches er je geschaut, seiner so auffällig wahrnahm und mit zauberischen Blick zu ihm auflächelte. Wie ein Meteor leuchtend, majestätisch und schwindelnd hoch seine Bahn am Himmel zieht, bewundert mit dem Bewußtsein, daß er sich unerreichbar und ewig fern wieder in der Unendlichkeit des Alls verlieren wird, so schwebte Fürstin Claudia's Bild an dem Auge des jungen Priesters vorüber, nicht ungewürdigt, aber auch nicht mit dem leisesten Gedanken begehrt. Solch Feuer glüht und prunkt, aber es wärmt nicht. Collander kannte eine weit bescheidenere kleine Flamme, die warf nicht grellen Schein, aber sie brannte hell und still auf heiligstem Altar, eine andachtsvolle Luft für Jeden, der sie schaut. Daneben gleißte nichts von Pracht und Herrlichkeit, von Gold und Silber, Sammet und Seide, und darum her wölbten sich keine Marmorhallen, sondern ein niedrig Dach der Armuth, über welches jedoch der Engel des Friedens segnend seine Flügel breitet. Und wie Collander an das trauliche Stübchen dachte, darin sich zwei kleine Mädchenhände in rastlosem Fleiße regen, mit tausend Stichen das Glück an das schneeige Brautkleid festzunähen, da ward es ihm zu heiß und schwül in dem Saal, und zog ihn wie mit magischen Banden nach der Thür, in die frische, sternhelle Winternacht hinaus. Sein langjähriger Wunsch war ja erfüllt. Er hatte den Großherzog und seine erlauchte Familie geschaut, ganz nah, ganz deutlich, und er hatte sich jeden Gesichtszug klar und fest in die Seele geprägt und sich an all der Majestät und freundlichen Würde einmal so recht von Herzen satt gesehen! Nun hielt ihn nichts, gar nichts mehr in diesem schimmernd farbigen Meer von Atlaswogen und Walzerklängen, selbst die dunklen Augen der Fürstin Claudia nicht; wie ein entzückender Traum gaukelten sie ihm noch vor der Seele, und darum strich sich Collander mit kühler Hand über die Stirn, athmete lächelnd auf und trat hastig in das Treppenhaus hinaus. Schnell den Mantel umgeschlagen, die lärmenden Straßen durcheilt und langsam die stille, kleine Gasse der Vorstadt durchwandelt, in welcher noch ein Lichtlein aus wohlbekanntem Fenster zu ihm nieder grüßt ...
Der Schnee wirbelt und knirscht unter der Sohle, der schwarze Schatten tanzt im flackernden Laternenschein an den Häusern hin, und Hellmuth Collander breitet die Arme nach dem Lichtlein empor, und durch seine Seele zieht es wie traute Studentenweise:
»Geh' ich einsam durch die schwarzen Gassen.
Schweigt die Stadt als wär' sie unbewohnt.
Aus der Ferne rauschen nur die Wasser,
Und am Himmel zieht der bleiche Mond.
Bleib ich lange stehn vor jenem Haus.
Drin das liebe, liebe Liebchen wohnt! …
- Breit ich lange sehnend meine Arme
Nach dem lieben, lieben Liebchen aus!«
In der großen Hofloge wogte es aus und ein. Fürstin Tautenstein hatte sich »für einen Augenblick« in einem Sammetfessel niedergelassen, um den Saal einmal von dieser Seite aus zu überblicken! Wieder war es Baron Nennderscheidt, welcher den Platz zu ihrer Linken behauptete, diesmal von allen Seiten vertraulich gegrüßt, angelächelt und beglückwünscht. Hatte man doch, frappirt durch die Liebenswürdigkeit, mit welcher Fräulein von Speyern die junge Frau von Nennderscheidt auszeichnete, die Hofdame sofort mit athemlosen Fragen umringt.
»Um Alles in der Welt, liebste Fides, ist etwa das Gerücht von großherzoglicher Ungnade ein Märchen?« Momentan hatte die Gefragte die Lippen wie in rathloser Verlegenheit zusammengepreßt, dann aber stolz und frei das Haupt gehoben und erwidert: »Man hat in der Gesellschaft ausgesprengt, Baron Nennderscheidt habe auch die höchsten Herrschaften durch seine Vermählungsanzeige in rücksichtsloser Weise überrascht, eine Verläumdung, welche ich durch die einfache Thatsache widerlegen kann, daß der Freiherr in längerer Audienz Seine Königliche Hoheit den Großherzog von seinem Vorhaben unterrichtet hat.«
»Ah ... thatsächlich? ...verehrtester Major, können Sie das ebenfalls bestätigen?«
Der Flügeladjutant neigte in seiner ernsten und gemessenen Weise bejahend das Haupt, und die Stimmen schwirrten aufgeregt durcheinander, und der Fächer der Fürstin Claudia ließ vollends einen neuen Wind daher blasen, welcher die zwiefarbenen Mäntlein gar Mancher urplötzlich drehte. Fräulein von Gironvale hatte mit zusammengekniffenen Lippen bemerkt, daß der »allerliebste Seeräuber« Hovenklingen sich zum Schatten der Fräulein von Speyern gemacht. Gewandt wie ein rothgetupftes Forellchen schlängelte sie sich an seine Seite und drohte ihm neckisch mit dem Finger. »Wer hatte denn mit mir tanzen wollen?« Der Marine offizier blickt mit sehr nüchternem Gesichtsausdruck zu dem kleinen Persönchen hernieder. »Ich nicht!«
»Mais fi donc! wenn Sie nicht sofort eine Ecxüse machen und sagen › warum nicht,‹ dann ist es eine Beleidigung!«
»Weil ich nicht mit jeglicher Dame tanzen kann; schlingere so wie so schon beim Walzer wie eine holländische Kuff platt vor dem Winde! Wenn ich's mal riskire und lossteure, dann muß ich eine schlanke Edeltanne als Mast im Arme halten, damit ich über Wasser bleibe; wenn ich mich zu so einer kleinen Barkasse, wie zu Ihnen, herab krümmen sollte, bräche ich mir ja bei der ersten Schwenkung das Rückgrat!«
Sie kicherte leise auf. »Ihr Seeleute seid doch entsetzlich grob, aber so sehr amüsant dabei! denn ich weiß genau, das Alles nur Verstellung ist; es giebt gar keine poesievolleren Menschen wie Marinesoldaten!«
»Gott stärke Sie in diesem Glauben!«
»Zum Beispiel so ein tüchtiger Seesturm mit seiner großartigen Pracht und Majestät, so wie ihn Salzmann malt, wo Himmel und Wogen verschmelzen und man die Donnersprache göttlicher Allmacht über die Fluthen rollen hört.« Esperance schwärmte plötzlich mit feucht glänzendem Blick. »Sagen Sie selber, cher baron ... macht solch ein erhabenes Naturschauspiel nicht ganz unwillkürlich den Menschen poetisch?
»Nein; höchstens seekrank.«
Fides, welche bis jetzt theilnamlos bei Seite gestanden, wandte das Haupt und streifte Hovenklingen mit schnellem Blick; um ihre Lippen zuckte es wie Lachen.
Esperance fuhr mit einer kleinen Grimasse empor »Abscheulich, Sie verläugnen Ihre lyrische Seele. Warten Sie nur, auch Ihnen wird die Stunde schlagen, in welcher Sie melancholisch durch das bull-eye in den Himmel starren und zarte Gedichte verfassen!«
»Gott sei mir Sünder gnädig! Verse schmieden ist der Gipfel der Verzweiflung im Hungerthurm.«
»Pardon, nur beim Kater Hidigeigei kam zum Seelenleide auch noch der Appetit; Menschen dichten aus Liebe!«
»Gott sei Dank, dann inclinire ich gar nicht dazu!«
»Ach, Sie waren schon verliebt?«
Hovenklingen machte nur eine Geste und ein Gesicht, welche beide den Stoßseufzer »o Du mein Grundgütiger!!« illustrirten.
»Und immer glücklich?« Fräulein von Gironvale vergaß vor Erstaunen den Mund wieder zuzumachen.
»Riesig glücklich! Ich versichere Sie, so was von einem fidelen Kerl wie ich, wenn ich verliebt bin, haben Sie überhaupt noch gar nicht gesehen, nur ... na, mit der Gegenliebe, da hat's in der Regel gehapert –!«
Fides trat schnell ein paar Schritte seitwärts und beugte sich über Marie-Luises Sessel. Sie wollte doch den kecken Marinelieutenant, welcher sie bei den letzten Worten mit gar zu verschmitzten Blauaugen angelacht hatte, nicht glauben machen, daß sie sich für seine geistvollen Seemannsscherze interessire!
An der Logenthüre wurde Graf Goseck von einem jungen Civilisten mit auffallend blassen, charakterlosen und verlebten Gesichtszügen ersucht, ihn so schnell wie möglich mit Frau von Nennderscheidt bekannt zu machen.
Ein ironisches Lächeln streifte ihn. »Wollen Sie in dem Hause verkehren, Herr von Diersdorff?«
»Selbstredend ... charmante Frau ... ›Das hohe, minnigliche Weib,‹ wie ich es in der Dichtung seit jeher zu meinem Ideal gemacht!«
»So viel ich mich entsinne, haben Sie sich nie besonders freundschaftlich über den dazu gehörigen Gatten geäußert?« ...
»Pah ... kleine Reibereien ... längst vergessen! vous comprenez, ich bin jetzt wieder für längere Zeit hier –«
»Gewiß, und Nennderscheidt's werden jederzeit offenes Haus haben, gehen wir also!«
Ein unbeschreiblich sarkastisches Lächeln zuckte dabei um Gosecks Lippen. Ja, er verstand den Herrn von Diersdorff! Einen freien Abendtisch, ein Absteigequartier ... eine kleine Courmacherei mit dem »minniglichen« Weib und ein jeu'chen mit dem Hausherrn, das war das stehende Programm des verschuldeten Gutsbesitzers, um dessentwillen er Alles vergaß, was er vor wenig Wochen in gehässigster Weise über Nennderscheidt scandalirt hatte. Heute so und morgen so, heute »Hosianna« und morgen »steinigt ihn!« Herr von Diersdorff liebte und haßte die Menschen, je nachdem sie ihn verköstigten, und verlangte von Andern all die feudalen, nicht materiellen und eleganten Eigenschaften, welche ihm selber abgingen.
Lautes Gelächter klang von der Logenbrüstung herüber. Fürstin Tautenstein belorgnettirte den Tanzsaal und amüsirte ihre Umgebung durch ihre scharfe, übermüthige Kritik.
»Wer ist jene kernige Jungfrau dort im weißen Kleid mit den Generalstabsstreifen? ... Hofgesellschaft, sie spricht und tanzt mit Garde-du-Corps!«
»Generalstabsstreifen?«
»Ah – portion ... es waren ja ihre Arme!! ... sie hielt dieselben so steif an sich herunter!«
Allgemeiner Jubel, sämmtliche Gläser richten sich nach den blaurothen »Menschenflossen«
»Baronesse Södermann! einer der vier unvermeidlichen Töchter der alten Excellenz Södermann, einer Schwester des Fürsten York.«
»Polizeiwidrig gesund aussehend, aber sehr nette, liebe Mädchen!«
»Und stets auf dem Posten! die einzigen Damen, welche Nennderscheidt jemals zu einer Dichtung begeistert haben!«
»Kostbar! ... recitiren Sie, Baron, wir seufzen an der richtigen Stelle!«
»Hört! … hört:
Kein Frühling ohne Liebesglanz,
Kein Ballfest ohne Södermanns!«
»Bravo! ... niederträchtig, aber sehr talentvoll gemacht!«
»Wer ist jener arme, verängstigte Tintencaspar, den sie eben an der Longe hat?«
»Leise! leise! ihr glühender Verehrer. Schüchterner Junge, Referendar ... blutarm, lieben sich auf die Sterbesakramente des alten York hin!«
»Sie hat viel zu große Handschuhe an, und nicht ordentlich zugeknöpft! Sehen Sie doch, wie sie ihrem Opfer die Pranke in den Arm schlägt!«
»Nu man losgearbeitet!!«
»Mit muß er! Sie ist energisch! rechtsum ... linksrum; ich wette, er zählt laut den Tact in seiner Herzensangst!«
Marie-Luise hatte ebenfalls das bewitzelte Paar im Gewühl heraus gefunden und beobachtet. Glückselig waren sie. Die Augen leuchteten, die Blicke trafen sich verstohlen, unendlich schüchtern und dennoch voller Liebe, kein Mensch war für diese Beiden weiter im Saal.
Ein wehes und dennoch neidloses Gefühl der Theilnahme schlich sich in Marie-Luises Herz. Das blühend frische Mädchen mit den ungraziösen und ungeschickten Bewegungen däuchte ihr lieber und angenehmer als Fürstin Claudia's elastische Grazie, welche auf den Fußspitzen über das glatte Parquet schwebt; stützen und verlassen kann man sich nicht darauf.