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Zehntes Kapitel

»Die Frauen machen aus den Männern, was sie wollen. Sollen diese daher groß und tugendhaft werden, so lehret die Frau, was Größe und Tugend ist!«

Rousseau.

 

In der glänzend erleuchteten und festlich decorirten Flurhalle der Villa »Hazard« stand Graf Goseck, das junge Paar im eigenen Heim willkommen zu heißen. Abermals duftete ein köstlicher Blumenstrauß in seiner Hand, gewunden aus Orangen, Myrthen und Gardenen, aus deren Mitte der weiße und ernste Kelch einer Christrose stieg. Eine seltene und dennoch äußerst sinnige Zusammenstellung, welche Graf Goseck persönlich getroffen und dem Gärtner angegeben hatte. Die Dienerschaft starrte neugierig der jungen Herrin entgegen, welche langsam und schwer auf den Arm ihres Gatten gestützt, gleich einer Kranken, die breite Marmortreppe emporstieg.

Tiefe Blässe lag auf ihrem Antlitz, um den Mund senkten sich Linien, als erdulde sie physischen Schmerz, und die großen, dunklen Augen blickten glanzlos in's Leere.

Wie im Traum schritt sie unter den Blüthengewinden dahin, und die Wimpern sanken tief auf die Wange, als blende sie das grelle Licht.

Goseck's Stimme schlug an ihr Ohr. Sie zuckte zusammen und starrte ihn an, eine Blutwelle ergoß sich über ihr Gesicht, und die kleine Hand, welche seine Blumen empfing, zitterte. Welch ein wundersamer, unerklärlicher Blick war es, welcher in Eustach's Auge tauchte! er stockte in seiner wohlgesetzten Rede, neigte sich und küßte die Rechte, welche sich ihm in stummem Dank entgegen bot. Olivier umarmte ihn voll ausgelassener Heiterkeit, aber sein Lachen klang etwas gezwungen, und seine Eile trug das Gepräge nervöser Ungeduld. »Sehr nett, alter Junge, daß Du die Rolle des guten Hausgeistes übernommen hast, danke Dir tausendmal! Aber nun avanti ... wir sind bis in das Mark hinein erfroren! »Ein Königreich für ein Glas Punsch!« nicht wahr, Marie-Luise?«

Sie bewegte nur leicht das Köpfchen, ihr Blick hing an der Christrose.

»Lange Zeit haben wir nicht, meine Frau wird sich bald zurückziehen müssen, um Toilette zu machen. Sie da! ... Madame Verdan! ist Alles bereit und vollständig?«

Die statiöse Matrone im schwarzen Seidenkleid, welche zuvorderst an der Reihe des Spalier bildenden weiblichen Personals stand, trat einen Schritt vor und knixte.

»Gnädigste Baronin brauchen blos die Auswahl zu befehlen, Ew. Gnaden; die Toiletten sind bereits von mir aufgestellt.«

»Eh bien; also bitte, in dem Speisezimmer auf Wiedersehn, Eustach; ich führe meine bessere Hälfte nur an die Grenzen ihres engsten Reiches, und hoffe, sie wird uns den Thee credenzen, wenn ihre Arme aus dem Pelz gewickelt sind!«

Goseck trat hastig an Nennderscheidt's Seite. »Unmöglich, Olivier, mein Schlitten wartet. Ich hoffe, gnädigste Frau, daß mir der Vorzug zu theil wird, heute Abend noch meinen Namen auf Ihre Tanzkarte schreiben zu dürfen!« und er zog abermals ihre Hand an die Lippen und schaute frappirt in ihr Antlitz, welches sich voll räthselhafter Verwirrung, abermals wie in peinlichster Verlegenheit erglühend, auf die Brust neigte.

»Durch die Lappen gehen?« Nennderscheidt legte die Hand auf die Schulter des Freundes. »Was soll denn das heißen? Du richtest das Haus so zu sagen ein, bist die Seele des Ganzen und rückst für meine Frau jeden Sessel bequem, und wenn die Stunde des Triumphes kommt, willst Du es nicht einmal mit ansehn, wie Marie-Luise Deine großartigen Arrangements bewundert?«

Goseck war während der letzten Worte bereits etliche Treppenstufen hinab geeilt, er wandte sich lachend zurück und hob den Hut: »Der echte Feinschmecker stürzt den Inhalt eines goldenen Bechers nicht mit einem Zug hinab, sondern schlürft ihn langsam mit unend lichem Genuß! Mir geht es genau so; ich berausche mich an der Anerkennung aus schönem Munde gern ... tropfenweise!« Und dabei lächelte er zu der Gemahlin seines »Herzbruders« empor, grüßte kurz und trat hastig durch das hochgewölbte Portal.

Olivier aber führte Marie-Luise über die Teppiche der goldgegitterten Treppe empor zu ihren Gemächern.

»Ein netter Mensch, der Goseck!« fuhr er im leichtesten Plauderton fort, als die junge Frau mit gleichgültig gesenkten Wimpern an all der pomphaften Pracht, welche der raffinirteste Geschmack moderner Künstler hier entfaltet hatte, vorüberschritt. »Um jede Kleinigkeit hat er sich bekümmert und ist jeden Tag mindestens sechs mal hierher geprescht, um Dein Boudoir so behaglich und lauschig wie nur denkbar zu machen! Hat famosen Geschmack, der Goseck, und mehr Interesse für dergleichen wie ich, weißt Du ... meine Passion ist mehr der Pferdestall ...« und dabei führte er die schweigsame Gefährtin durch eine Flucht Salons, welche feenhaft beleuchtet, die Augen schier blendeten. Hier funkelte und schimmerte es aller Ecken und Enden! Goldbroncene Engel schwebten von der Decke hernieder und hielten die wuchtige Pracht der wappendurchwirkten Seidenstoffe. Krystallgehänge sprühten farbige Strahlengarben, und weithin über das Parquet schleppte es von Sammet, knisterndem Atlas oder duftigen Spitzengeweben. – Dann gedämpftes Licht. – Palmwedel nicken ... rosiger Ampelschein überhaucht die marmornen Nixenleiber, welche träumerisch die weißen Arme heben und sich in dem schilfbemalten Trumeau spiegeln. Süße Duftwogen wehen wie ein Hauch der Sehnsucht um sie her. – Immer neue Bilder. – Feuer flackert im Kamin. Bärenfelle dehnen sich vor hohen Sesseln, und blanke Rüstungen glänzen von dem Holzgetäfel der Wand herüber, trutzigliche, altdeutsche Behäbigkeit mit Butzenscheiben und dem erhöhten Erkerlein, drum her der Epheu seine Zweige spinnt.

»Gefällt es Dir in Deinen vier Wänden?« fragt Olivier mit vergnügtem und doch etwas erwartungsvollem Gesicht und macht Marie-Luise auf einzelne Raritäten aufmerksam, wie ein Kind, welchem man erst die Spielsachen in die Hand legen muß, damit es sich des sichern Besitzes freue!

Sie schaut mit todten Blicken darüber hin wie eine Fremde, denkt an ihr liebes, steinhartes und vielgeflicktes Sopha von Hersabrunn und beißt die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschluchzen vor Heimweh und Herzeleid.

Als sie durch ihr Boudoir schreiten, wagt sie nicht, rechts noch links zu schauen; dasselbe Parfüm, welches ihr entgegen wehte, als sich Goseck beim Diner über ihren Stuhl geneigt, zieht auch hier wie eine stille Mahnung an ihn durch die sinnige, blumengeschmückte Einsamkeit.

Die Pendule verkündet mit leisem Silberschlag die siebente Stunde, und Olivier, welcher just im Begriff steht, an Gosecks Geschmack Kritik zu üben, unterbricht sich und giebt den Arm seiner Frau frei. »Blitz und Knall, schon sieben Uhr! Die höchste Zeit, liebes Kind, daß Du Friseur und Kammerfrau in Aktion setzest! Ich lasse Dir, des kürzeren Verfahrens wegen, den Thee hier oben serviren und bitte Dich herzlich, sei präzise in zwei Stunden fertig!«

Da kommt zum ersten Mal wieder Leben in die bleiche Frau an seiner Seite. Sie faltet die Hände und hebt sie voll zitternder Angst zu ihm empor.

»Olivier!« fleht sie. »Muß ich Dich wahrlich begleiten, kann mich nichts von dieser Qual erretten? ... Sei barmherzig ... laß mich heute keine Tanzweisen hören ... kein Lachen und Scherzen ... ich ertrag's nicht!« Thränen ersticken ihre Stimme.

Auf's Höchste überrascht, sah er sie an. »Aber Luise, mach doch keine Schnacken! Das wäre ja ewig jammer und schade, wenn Du mir nun noch zu guter Letzt einen Strich durch die Rechnung machen wolltest! So ein Kind vom Lande wird doch keine Nerven haben? Ist ja Einbildung mit Deiner Angst; gieb mal acht, wie Du Dich amüsirst, schon allein über die Augen, mit welchen Dich Fürstin Claudia anstarrt! Giebt ja einen Capitalscherz und darum ›an die Pferde‹ meine Gnädigste; bringe Dir auch nachher den Familienschmuck herauf, damit Dein Herzchen bei solchem Anblick lache, also à revoir mein guter Kamerad! Immer in gleichem Schritt und Tritt mit marschiren!« und er wollte den Arm vertraulich um ihre Taille legen und sie zur Nebenthüre führen. Sie wich von ihm zurück. Eine starre, fast unheimliche Ruhe lag plötzlich auf ihrem Antlitz, stolz und kühl blitzte das dunkle Auge ihn an.

»Ich gehe; in zwei Stunden bin ich bereit.« Leise, langsam klang's von ihren Lippen, sie legte die Hand auf die Thürklinke und trat in ihr Ankleidezimmer.

»Das ist vernünftig, mon ange, tausend Dank!« hallte es ihr nach.

Die Kammerfrau erwartete ihre junge Herrin, nahm ihr den Mantel ab und musterte etwas erstaunt das schwarze Wollkleid, welches der schlanken Gestalt eine sehr altmodische Façon gab.

»Wollen Frau Baronin gütigst die Toilette bestimmen,« und sie schlug die Portière zurück und wies in eine sehr geräumige Garderobe, in welcher eine Anzahl köstlicher, farbenprächtigster Toiletten zur Auswahl auf den Puppen standen. »Wir müssen sofort anproben, falls an der Corsage geändert werden muß.«

Marie-Luise blickte kaum auf die entzückende Ausstellung hin. »Das Erste,« sagte sie kurz, mit seltsam harter Stimme.

»Also den Silberbrokat, sehr wohl,« und Madame Verdan schellte einer Jungfer und begann hastig die Anprobe.

Für Alles war gesorgt. Von der Wäsche, fein und spitzenbesetzt, mit Stickereien von außerordentlicher Schönheit, bis herab auf die verschiedenfarbigsten Ballschuhe, bis auf Fächer und Shawls, – ein fürstlicher Trousseau.

Stumm und resignirt fügte sich die junge Frau der Metamorphose, welche die flinken Hände der Zofen an ihr vollzogen.

Der Friseur kam und zauberte aus dem Haupt mit dem schlichten Nonnenscheitel ein unendlich anmuthiges Köpfchen, um dessen weiße Stirn duftige Löckchen wehen, und in dessen toupirten Haarwellen ein Vögelchen mit silbernem Gefieder schwebt. Dann meldet ein Diener, der Thee sei im Boudoir der Frau Baronin servirt.

Marie-Luise hat vor dem Spiegel gesessen und zum höchsten Erstaunen des bedienenden Publikums kaum einen Blick hinein geworfen. Die Wimpern senkten sich tief auf die Wangen, und das blasse Gesichtchen mit dem starren Zug um den Mund sieht aus, als liege es in tiefem Schlaf.

Sie athmet auf und erhebt sich. »Rufen Sie mich, wenn die Abänderungen an dem Kleid vorgenommen sind, Madame Verdan.« Dann schließt sich die Thüre hinter ihr, sie ist endlich, – endlich allein. Und da sie es fühlt, ist auch ihre Kraft, ihre Beherrschung dahin. Sie bricht zusammen auf dem weichen Sessel, schlägt die Hände vor das Antlitz und weint bitterlich. Die ganze, unaussprechliche Qual des Heimwehs faßt ihre Seele und schüttelt sie, wie ein Sturmwind die weiße Lilie auf dem Feld zu Boden peitscht. Ganz allein, ganz verlassen auf der Welt! Verrathen und betrogen von dem, welchem sie geglaubt und vertraut hat, welcher wie ein lichtes, hoheitsvolles Gnadenbild all ihr Denken und Sein erfüllte, der jede Faser und jeden Nerv ihres Herzens zu eigen genommen, den sie geliebt hat mit der lautersten Innigkeit ihrer Seele. Den sie geliebt hat? ... Wie ein eisiger Hauch ist es gekommen und hat das spiegelhelle Bild in ihrem Herzen getrübt; verzerrt, herniedergerissen von seiner Höhe, alles dessen beraubt, was ihm zuerst die Glorie verliehen, starrt es sie an, fremd, entsetzlich fremd. Wie ein Aschenregen fällt und die königliche Pracht eines Pompeji begräbt, so rieseln kleine, schwarze Buchstaben über dieses Bild und decken es zu mit Enttäuschung und Verachtung, daß nichts von ihm übrig bleibt, als die bleischwere Last der Ketten, welche es für ewige Zeiten an das Herz des Weibes geschmiedet.

Wie ein Aufstöhnen ringt es sich von Marie-Luise's Lippen. Ewige Zeiten! ... Muß sie es ertragen, kann sie es? Was soll sie an seiner Seite? Als guter Kamerad in gleichem Schritt und Tritt marschiren, mit lachen, mit tollen ... repräsentiren in feinen Salons. Wie ein Traum klingt es durch ihre Seele, steht es plötzlich wieder vor ihren Augen, was ihr jener Andere ... jener Mann geschrieben, dessen Zeilen sie so tausendmal voll heißen Entzückens an die Lippen gedrückt. »Es muß ein Wunderbares sein, um's Lieben zweier Seelen, sie schließen ganz einander ein, sich nie ein Wort verhehlen, und Glück und Leid, und Schmerz und Noth, so mit einander tragen, vom ersten Kuß bis in den Tod, sich nur von Liebe sagen!« – und unter dem Vers hieß es weiter: »Eine köstliche, unglaubliche, fast unmögliche Poesie. Ich habe dieses Glaubensbekenntniß der Liebe für eine überspannte Schwärmerei gehalten, zu welcher stets die wichtigsten Bedingungen fehlen werden, die Menschen, welche fähig sind, so völlig, so wankellos, so unermeßlich zu lieben. Ich habe zuvor kein Weiberherz gekannt, welches mir lauter genug däuchte, solcher Göttlichkeit der Liebe als Tempel zu dienen, bis durch Deine Stimme die Glocken läuteten, welche mir den Pfad zu jenem Zauberland gewiesen, darinnen es noch: Ein Wunderbares um das Lieben zweier Seelen ist. Ja, Marie-Luise, ich liebe Dich! und der Gedanke, Deine lichte Seele meinem Dasein zu verweben, Deine fromme Liebe, gleich einem Opferbrande läuternd durch mein Herz glühen zu lassen, der ist so weihevoll, daß er dem Sterne gleicht, welcher einen Verirrten zur Heimath weist.«

Wie die Worte so lebendig werden, wie die Pulse der Denkerin fiebern, wie sie erbebend die Augen schließt, als drücke sie Scham und Scheu zu Boden! All diese Bekenntnisse hat nicht Olivier in ihre Seele geschrieben, sondern ein Anderer, all ihre Liebesgrüße empfing nicht der Mann, welchem sie sich verlobte, sondern ein Fremder, welcher sie mehr verstanden, welcher sie besser erkannt, wie derjenige, dessen Bild sie mit unverdienten Blüthen der Liebe geschmückt.

Ein Anderer! ... Mit blinden Augen haben Leichtsinn und Glück ihre Fäden gesponnen, haben sich zwei Pfade vereint, zwischen welche doch die Unmöglichkeit ihren gähnenden Abgrund gerissen. Wie soll sie ihm künftighin noch gegenübertreten, ihm, welchem sie die heiligsten und tiefinnersten Gedanken vertraute, welcher ihrem Herzen theuer und werth und welcher all ihrem Wesen und Sein mit tausend Fäden und Wurzeln geistigen Lebens verwachsen ist?

Die Stirn der Denkerin glüht wie im Fieber, ihr Auge brennt, und die Lippen zittern. »Wie edel, wie herrlich und gut muß Graf Goseck, wie leichtsinnig, gewissenlos und verächtlich ihr Gatte sein! Und doch ... giebt es denn überhaupt noch Treu und Glauben auf der Welt? Wer sagt ihr, daß Goseck in den Briefen seine Gedanken niederschrieb? Es giebt wohl mancherlei altmodische Bücher, in welchen man wohlklingende Reden findet, mancherlei Gedichtbücher, darin gewandte Federn ein poetisches Märchen in Klang und Reim gebracht ... Graf Goseck aber schreibt einen ›famosen‹ Styl und setzt die glänzende Mosaik zusammen« – Marie-Luise schüttelt mit bitterem Auflachen das Haupt und schlingt die Hände leidenschaftlich ineinander – »und belügt und betrügt die Einfalt vom Lande gleich wie sein Freund! Es giebt keinen Glauben, keine Treue mehr!« Da streift es kühl und zart ihren Arm. Der Blumenstrauß, welchen sie auf den Tisch gelegt und welchen der Diener neben ihr Theegedeck geschoben, sinkt bei der hastigen Bewegung der jungen Frau zur Seite, und die weiße Christrose hebt den ernsten Kelch, als wolle sie der Zweiflerin mahnend in das Auge schauen.

Ein Zittern überfliegt die schlanke Gestalt, ein tiefes, tiefes Aufseufzen ... und das bleiche Antlitz neigt sich, selber einer sturmgebrochenen Blüthe gleich, zu dem Strauß hernieder und küßt das Kreuz in dem Kelch der Passionsblume. Eine wundersame Ruhe überkommt Marie-Luise, es ist, als seien Sturm und Wolken verzogen, als fließe silbernes Mondenlicht wie Balsam in ihr wehes Herz.

»Ja es giebt dennoch Glauben und Treue, und wohl Denen, die verlassen im Lebensschifflein treiben und bei Wetter und Wind dennoch ihren Anker auf sichern Grund werfen!«

Langsam erhob sich die junge Frau, ihr Blick schweifte durch das stille, kleine Gemach. Ueberall hatte eine zarte und liebevolle Hand gewaltet. In dem Erker, versteckt zwischen rankendem Immergrün, stand eine zierliche, elfenbeingeschnitzte Kapelle, ein Kleinod an Kunst und Werth. Aus den geöffneten Thüren lächelt das Bild der Madonna. Graf Goseck ist katholisch.

Auf dem Marmortischchen dicht daneben liegt ein Prachtwerk, durch silberne Beschläge geziert und alterthümliche Krampen geschlossen. Eine Bibel. Wie verklärt leuchtet der Blick des bräutlichen Weibes zu ihr nieder. Nein, ein Mann, welcher derartigen Zimmerschmuck auswählt, kann nicht mit den heiligsten und ernstesten Gefühlen spielen! Und dennoch ... war es recht und ehrenwerth von Goseck, die Hand zu bieten, da es galt, ein nichtswürdiges Possenspiel zu treiben? Marie-Luise legt die kühlen Hände angstvoll gegen die Schläfen. Groll und Bitterkeit wollen wieder emporschäumen im Herzen. Sie schüttelt hastig das Köpfchen.

»Goseck hat die wahre Lage der Dinge nicht geahnt. Er wähnt sie geliebt und verehrt von ihrem Gatten, würde er sie sonst geheirathet haben? Und da Olivier ungeschickte Briefe schreibt, so wollte er für seines, des Freundes Glück ein sicher Fundament bauen.« Abermals stürzen Thränen aus den Augen der Einsamen. »O Goseck, wenn Du wüßtest, wie elend, wie unglücklich ich bin! … Ahnt er es wahrlich nicht? Er muß doch Nennderscheidt's Wesen und Charakter kennen, hält er es für möglich, daß ein Kartenhaus von Illusionen dem langen Lebenssturme stand hält? ... »Ja ich liebe Dich, Marie-Luise,« – bedenkt er nicht, daß solche Worte nachklingen und nachhallen müssen in dem öden Herzen, daß es aufschreien muß in seiner Verlassenheit und anklagend vor ihn hintreten wird: »Halte, was Du versprochen hast, wandle den trügerischen Flitter, mit welchem Du mich locktest, in echtes Gold, und lasse mich nicht in der Wüste verschmachten, da Du meinem Blick ein Paradies geöffnet!« Wie will er sich rechtfertigen? Er wird antworten: »Ich wollte Gutes thun und Segen stiften; den Frühling Deiner jungen Liebe habe ich durch strahlend Sonnenlicht verklärt, damit Du eines Glückes gewiß warest, und ein Kleinod in die sengende Qual des Sommers mit hinüber nehmen konntest – die Erinnerung an den Lenz!«

Ein Aufstöhnen entrang sich ihrer Brust. »Ein langer Sommer, der alles Leben zu Tode brennt, ein kühler Herbst voll Reif und Frost, ... ein kalter, einsamer Winter ... O Herr mein Gott, werde ich die Kraft haben, den dornigen Pfad durch dieses Leben zu wandeln? werde ich im Kampf bestehen, welcher durch meine Seele tobt, werde ich stark genug sein, mein eigen Herz ohne Fehl und Makel durch alle Versuchung zu tragen, welche mich mit starken Netzen umstrickt? Die Gattin eines Mannes, an dessen Seite ich kühl und stumm einherschreiten werde, wie ein guter Kamerad, dessen Seele mir klein und erbärmlich däuchen wird, den ich nicht lieben und nicht schätzen kann, und dessen Bild mir dennoch in der Seele fortleben wird, wie ein schönes, unendlich liebes Märchen, dessen Ende in bitteren Thränen starb! ... Und neben ihm die hohe, edle Gestalt jenes Andern, welcher mir zum Inbegriff der Vollkommenheit geworden, welchen das Schicksal mir selber an die Seite stellt, daß sein leuchtend Auge mich blende, daß seine Lippe Worte spricht, welche tausendfaches Echo in dem Herzen wecken werden – – Allmächtiger hilf mir, gieb mir den Muth, vor Olivier zu treten und ihn anzuflehen: bring' mich fort in die stille Einsamkeit, des Lebens Last ist mir zu schwer in dieser fremden Welt!«

Außer sich, verzweifelt hob Marie-Luise die gefalteten Hände und ließ sie kraftlos sinken und schaute wie gebannt in zwei ernste, stolze Männeraugen, welche wie zürnend auf sie niederschauten.

Olivier's Bild. Die Kerzen auf den Girandoles flackerten, wie Schatten zog es über das Antlitz des Freiherrn. Es däuchte Marie-Luise, er habe die Lippen geöffnet und gesprochen: »Ungerechte, wie gewissenlos verdammst Du mich! Kann ich nicht erwerben, was mir fehlt, kann ich nicht werden, was ich noch nicht bin? Wer aber soll mir den Weg des wahren Glückes zeigen, wenn Du von mir gehst?«

Langsam, wankend trat die junge Frau näher. Schritt um Schritt. Und die Flammen knisterten hell auf, und das Bild lächelte. Das fröhliche, übermüthige Lachen, welches von Grund des Herzens kam und jedesmal bat: »Ich bin ja so glücklich und zufrieden, lacht doch mit mir!« Und die Augen ... die blitzten so keck und siegesfreudig in die Welt, unbesonnen, ungestüm, toll und verwegen! aber Falschheit und Hinterlist lag nicht darin, und die freie Stirn und der fast gutmüthige Zug, welcher Mund und Kinn beherrschte, schienen treuherzig zu versichern: »Ich bin ja nicht so schlimm, wie's zumeist den Anschein hat!«

Marie-Luise athmete tief auf: »Ach, daß Deine Seele so schön und edel wäre wie Dein Antlitz, ach, daß ich mächtig wäre, sie ihm gleich zu machen! Was aber bin ich an Deiner Seite, was vermag ich Armselige mit meiner geringen Kraft? Wehe mir, daß ich ein schwaches Weib bin, kraft- und nutzlos, ein überflüssiger Schatten!« Und mit einem muthlosen, tief erschöpften Aufseufzen sank sie auf den Sessel vor dem Bilde nieder, rathlos was beginnen, geängstigt und gequält.

Da gewahrte sie neben sich auf einer Marmorconsole ein aufgeschlagenes Buch, auf welches, ziemlich auffallend, eine rothe Rose gelegt war. Mechanisch nahm es Marie-Luise zur Hand, eine Stelle war angestrichen, sie neigte sich und las: »Wem könnte man sich wohl sicherer anvertrauen, wem mehr und lieber sein Herz öffnen, sein Herz ganz hingeben, von wem mehr Theilnahme, mehr Mitgefühl und ungeheuchelte Liebe erwarten, als von einem liebenden und edeln« ... das folgende Wort » Weib« war durchstrichen und statt seiner » Freund« mit festen Federzügen darüber geschrieben. Gosecks Handschrift. Ein neuer Beweis seiner Güte und Fürsorge, welche in der reinen und lautern Seele der jungen Frau nur ein Gefühl unendlicher Dankbarkeit erweckte. Ihr Blick schweifte durch Thränen verschleiert weiter, plötzlich schärfte er sich: » Die Frauen machen aus den Männern, was sie wollen. Sollen diese daher groß und tugendhaft werden, so lehret die Frau, was Größe und Tugend ist.« Rousseau. – Da stand es so still und klar und deutlich, das Zauberwort, welches in einem einzigen Augenblick allem Zweifel und Wirrsal ein Ende machte, welches emporflammte wie eine Sonne, um die dunkle Herzensnacht zu theilen und als göttliche Leuchte einen Weg zu weisen, welchen die weinenden Augen nicht zu finden vermochten.

»So lehret die Frau, was Größe und Tugend ist!« flüsterte Marie-Luise mit durchgeistigtem Blick, und sie faltete die Hände und blickte zu dem Bilde ihres Gatten empor: »Nun weiß ich es, Olivier, warum mich Gott an Deine Seite gestellt, nun kenne ich das schwere, schmerzensreiche Amt, dessen ich walten soll, und nun werde ich muthig den Weg gehen, welcher über Dorn und Stein dennoch zum Ziele führt!«

Hoch aufgerichtet stand ihre schlanke Gestalt, eine ernste, wundersame Milde leuchtete von der klaren Stirn, eine Opferfreudigkeit und fromme Zuversicht, wie sie den Blick einer Märtyrerin verklärt, die bereit ist, den Pfad voll Leid und Qualen zu betreten.

Auf der Straße drunten lärmten ein paar voreilige Stimmen; – »Neujahr! ...Neujahr!« ... und Marie-Luise legte die Hand auf das stille, ruhig schlagende Herz. »Ja, ein neues Jahr und ein neues Leben wird beginnen, und das Vergangene muß vergessen sein!«

Als Madame Verdan ihre junge Herrin in das Ankleidezimmer zurückrief, blickte sie überrascht in das liebliche Antlitz, welches voll Engelsfrieden zu ihr nieder lächelte.

Marie-Luise erröthete bei dem Anblick ihres Spiegelbildes. Das geschliffene Glas betrog sie, zeigte nicht das schlichte, rührende Bild des kleinen Stiftsfräuleins, welches in Arbeit und Entbehrung groß geworden, sondern war eine geheimnißvolle Thür, durch welche ihr die Lichtgestalt einer guten Fee entgegen schwebte. Wie es in leuchtenden Falten an ihr hernieder floß, wie es, als silberner Nebel, in duftigen Spitzen lang über den Teppich rieselte, wie die weißen Marabus gleich Schneeflocken auf glitzerndem Grunde verschwammen! Rosig und zart, in keiner üppigen, aber desto lieblicheren Form schmiegten sich Hals und Arme dem Glanze an, und wie sich die Wangen momentan höher färbten, und das Köpfchen voll ungläubiger Scheu sich zur Brust neigte, wie eine junge Taube, welche die schneeige Pracht ihrer Schwingen kaum zu entfalten wagt, da nickte Madame Verdan leise vor sich hin und begriff urplötzlich den Geschmack des Freiherrn von Nennderscheidt.

Olivier klopfte an die Boudoirthür und rief den Namen seiner jungen Frau. Auf das Höchste frappirt, trat er einen Schritt zurück und starrte die Eintretende einen Augenblick sprachlos an, dann setzte er sich voll humoristischer Umständlichkeit den Kneifer auf und musterte sie von oben bis unten.

»Heiliger Gerson, Herzog und Seidenheese, daß Gott Euch erhalten möge!« und er stemmte die Arme in die Seiten und pfiff leise: »ach Du lieber Augustin« durch die Zähne. »Famos, haste sehr nett gemacht Luischen ... weiß der Teufel, was es doch für eine ewige Wahrheit ist, daß Kleider Leute machen! ... Dreh' Dich mal rum, fahr' die Angelegenheit mit dem Vogel da oben auch mal im Profil vor! ein ganz verschmitzter kleiner Lämmergeier, gieb Acht, der wird imponiren!« Und Nennderscheidt blinzelte seiner Frau noch einmal sehr anerkennend zu und trat seitlich an den Tisch, auf welchem ein mächtiger Juchtenkasten mit schweren Silberbeschlägen stand.

»Komm mal näher, petite ... jetzt giebts eine Arznei für Deine blassen Wangen und einen Julclap, für welchen ich mir zum Lohn ein Lächeln erbitte! Hier der Schlüssel. Ich lege ihn in Deine Hand und ernenne Dich, als Freifrau von Nennderscheidt, feierlichst zur Herrin des Familienschmuckes, welcher von nun an Deinen Nacken zieren wird.«

Das kleine, barock gearbeitete Schloß öffnete sich mit leisem Knax. Mit langsamer Behaglichkeit nahm Olivier eines der schweren Etuis empor und schlug den Deckel zurück.

Auf violettem Sammet funkelte, glühte und sprühte ein Brillantdiadem von königlicher Pracht.

Der Blick des Freiherrn haftete erwartungsvoll auf dem Antlitz Marie-Luise's, welches zart und bleich, unendlich gleichgültig auf die blendende Herrlichkeit herabschaute.

»Na? ... großartig ... was?«

Sie nickte stumm; sie hätte wohl auch dieselbe Antwort gegeben, wenn er gefragt hätte: »Protzig und sehr geschmacklos, was?«

Er war sichtlich enttäuscht, nahm einen zweiten Kasten und öffnete. Brillanten, lauter Brillanten! Sie legte die Hand über die thränenmüden Augen, das grelle Aufblitzen that weh.

»Aha?! ... Ich sage es ja, doch wenigstens eine Anerkennung!« lachte der Grundherr von Gadebusch und Roggerswyl, schlug abermals ein Etui auf und präsentirte ein köstliches Perlenhalsband. »Ich glaube wirklich. Luise, Du hältst all diese Perlen und Steinchen für Producte des Fünfzig-Pfennigbazars, oder sind sie Dir so gleichgültig, weil ich sie zum Geschenk mache?«

»Welch eine häßliche Frage! Selbst im Scherz gethan, muß sie mich kränken!« Die dunklen Augen begegneten zum ersten Mal wieder seinem Blick, mild und vorwurfsvoll, ganz anders wie zuvor, da sie noch seine Braut gewesen.

»Bist Du mir noch böse, kleine Frau?« er fragte es in neckendem Ton, und doch wurde sein Antlitz ernster. »Wegen des kleinen Scherzes ... Du weißt ja, die Briefe!«

Ein unaussprechlich wehes Lächeln irrte um ihre Lippen und verlieh dem lieblichen Gesichtchen einen dulderhaft, rührenden Ausdruck. »Nein, Olivier ich weiß ja, daß Du es nicht böse gemeint hast!«

»Wahrlich nicht, mein Wort darauf!« und in eifriger Versicherung legte er die Hand auf die Brust. »Für so wichtig habe ich die Sache überhaupt nicht gehalten, und denke ... na, Schwamm drüber, ist höchstens ein famoser Anfang zu einer Humoreske! Aber siehst Du, Luise, das finde ich riesig nett von Dir, daß Du nicht übelnehmisch bist und womöglich vierzehn Tage lang mit mir schmollst; solche launischen Weiber sind gräßlich, geradezu gräßlich! … Wenn man sich mal ganz colossal zankt und danach einen schnellen Frieden schließt, wie das schließlich in jeder Ehe vorkommt, dann liegt immer noch Musik darin und ... ich will Dir mal einen guten Rath geben.« Olivier nahm den Arm der jungen Frau und wand ein paar glitzernde Spangen um ihr Handgelenk. »Du bist eine ganz allerliebste Frau, eigentlich viel zu hübsch für meine Verhältnisse, wie ich plötzlich bemerkt habe, und wirst entschieden den Kreis Deiner Verehrer finden. Wenn Du aber geradezu unwiderstehlich sein willst, dann mußt Du ein anderes Gesicht machen. Solch fromme Büßermiene und so ein paar Nonnenaugen und das gesenkte Köpfchen haben auf den Beschauer die Wirkung, als säße er mit leerem Magen in der Kirche. Ein Bischen leichter ... graziöser ... meinetwegen eine Portion Koketterie dazu ... und etwas prickelnden Humor ... siehst Du, Schatz, dann triffst Du auf meinen Geschmack!« Er lachte leise auf und zog ihre Hand an die Lippen: »Unsere Zeit ist zu sehr Patientin und zu morsch bis in das Mark hinein. Limonade ist längst bei Seite gestellt, sie erhält sich mit feuerblütigerem Saft am Leben!«

Leuchtend, in tiefstem Ernste traf ihn der Blick des dunklen Auges. »Um so nothwendiger ist die rettende Arzenei! Schon manch eine schwere Krise hat die unsterbliche Kranke erlebt, nach welcher sie sich aufraffte und die Krücken von sich warf! nach welcher sie die lahmen Füße, wund getanzt bei den Klängen der Operette, sehnsüchtig zu dem gewaltigen Arzt schleppte, dessen Haus von Choral und Oratorien widerhallt. Auch für uns werden solche Zeiten wiederkommen, Olivier!« Marie-Luise umschloß voll warmer, zuversichtlicher Begeisterung seine Hand und fuhr mit leiser Innigkeit fort: »Wenn's auch nicht auf Markt und Gassen ausposaunt wird, und in flatterndem Banner über Heereshaufen seinen Sieg verkündet ... die Zeit wird allmählig gesund. Glied um Glied ... und wenn es eines Tages an Dein Herz klopft wie eine selige Ahnung, und wenn Dein Puls wieder frisch und kräftig schlägt wie vor Jahren ... da Du Dich noch an einem Becher reiner und milder Limonade erquicktest ... dann ist die Stunde gekommen, wo auch Dein Geist die Krücken von sich wirft und wo Dir das geneigte Haupt und die fromme Büßermiene Deines Weibes lieber ist, als der ›prickelnde Humor‹, mit welchem Andere Dir feuerblütigen Saft kredenzten!«

Auf das Höchste überrascht, beinahe betroffen schaute Olivier in das verklärte Antlitz, welches mit lächelnden Lippen ein so ernstes Prophetenwort sprach.

»Wo um Alles in der Welt hast Du denn solche Ideen aufgefischt?« fragte er langsam, dann das Haupt lauschend emporrichtend und sich hastig unterbrechend. »Der Wagen … Blitz und Knall, es ist ja die höchste Zeit! Haha! ... wollten gerade anfangen zu philosophiren ... lauter Weltschmerz, und das vor einem Opernhausball!! ... Schnell, Kind, leg' ein Collier an und übergieb Deine Herrlichkeiten dem Haushofmeister ... er ist der Argus für unsere eisernen Schränke! ... und dann schnell in den Pelz gestiegen! Ich warte drunten!«

Die Portière fiel hinter ihm zusammen. Marie-Luise aber verschlang mit schmerzlichem Aufblick die Hände. Es war ihr, als schaue sie fern, fern den lichten Sonnenglanz des Glückes, aber der Weg, welcher ihm entgegen führte, war dunkel und grausig, feucht von Thränen und Tausende, welche ihn zuversichtlich betreten, brechen zusammen, oder folgen in blinder Angst dem Irrlicht, welches sie auf irre, wirre Pfade lockt ...

»Hilf Du mir, allbarmherziger Gott, das Ziel erreichen!« flehte die junge Frau mit zitternder Lippe, und sie schob die luftsprühenden Brillanten zur Seite und wand die weiße Perlenschnur um den Nacken.


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