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Fünftes Kapitel

»Aber sage mir, Geliebte,
Warum Du so plötzlich roth wirst?« –

Heine.

 

Als vor dreihundert Jahren der Herzog Augustus Ludovicus seine Vermählung mit der Kaiserlichen Prinzessin Eudoxine-Theresia feierte, und die Glocken seines Landes wie ein gewaltiger Jubelklang zum Himmel brausten, als ein Taumel stolzer Freude das Volk ergriff, mit Pauken und Trompeten in den Hochzeitsmarsch ihres geliebten Fürsten einzustimmen, als Jedermann, arm und reich, alt und jung, diesen Tag als den Aufgang einer ewigen Ruhmessonne feierte, da stiftete der junge Herzog zur Erinnerung an diese Stunde einen Orden. Herrlich und verheißungsvoll waren die Symbole, welche er führte, ein köstlich Sinnbild der Zeit und Verhältnisse, der Hoffnungen, welche sich so zuversichtlich mit seinem rothflammenden Bande verknüpften. Ein gekrönter Löwe, das Schwert der Gerechtigkeit tragend, aufrecht schreitend auf zwei gekreuzten Palmenzweigen. –

Wie ein prophetisches Wort schlang sich die Devise: Gerechtigkeit und Treue, den Lohn des siegreichen Friedens versprechend – um jenes Gedenkbild eines glorreichen Tages, und als sei wahrlich mit dem Kaiserlichen Reis eine neue, hochaufstrebende Krone in das Mark des alten Fürstenstammes gesenkt, wuchs und blühte er empor zu nie gekanntem Glanz, zu Macht und lorbeergrüner Herrlichkeit. –

Die Sonne war über den Landen aufgegangen und reifte sie in segensreichem Wachsthum. Wohl zogen die Wetter herauf und brüllten mit Kanonendonner durch die Pulverdampfwolken, wohl rasselten die feindlichen Schwerter über die Saatfelder, tranken die Höhen am Ufer des schmalen Flüßchens das Herzblut der Landessöhne, – aber der Löwe im blausilbern gestreiften Feld schüttelte kampfesmuthig die Mähne, packte das Schwert der Gerechtigkeit mit eisernen Tatzen und jagte den Wolf mit Todesstreichen aus seiner Heerde. – Die Sonne aber trat heller denn je hervor und küßte mit Segensstrahlen die blutenden Wunden gesund. –

Nun waren es dreihundert Jahre, daß man den ersten Löwenorden auf die Brust des Verdienstvollsten geheftet.

Wie eine glänzende Kette reihte sich Zahl an Zahl, wuchs empor und breitete sich aus wie die Zweige eines Baumes, an welchem jedes Jahr die neuen Blätter zuwachsen. Staub und Moder waren schon Unzählige, welchen der Dank des Fürsten den goldnen Löwen auf die Brust geheftet, aber neue Generationen wuchsen heran, und das Schwert der Gerechtigkeit, welches einst den Ahnherrn und Vater zum Ordensritter geschlagen, warf seine Flammenblitze auch über die Verdienste des Sohnes. –

Das dreihundertjährige Ordensjubiläum! – Der regierende Großherzog Friedrich-Ernst hatte beschlossen, diesem außerordentlichen Gedenktag eine besondere, weihevolle Feier angedeihen zu lassen; umfassende Vorbereitungen waren getroffen worden, eine neue Anzahl Orden verschiedener Klassen verliehen und zahlreiche Einladungen ergangen, – das Fest sollte sich nicht nach alt hergebrachtem Ceremoniell richten, sondern weit eher den Charakter eines nationalen Gedenktages tragen.

Es war ein selten schöner Spätherbst und das Ende des Octobers warm und sonnig, wie man sich dessen seit langen Jahren nicht erinnerte; Archivar und Bibliothekar aber hatten die staubigen Chroniken durchstöbert, hatten die Einzelheiten zu Papier gebracht und dieselben seiner Excellenz dem Minister mit tiefem Bückling und glattestem Lächeln überreicht. »Ganz auffallende Thatsache ... dieselbe Witterung wie vor dreihundert Jahren!!« – Ja, die Sonne stand am Himmel und strahlte auf die schmucke, moderne, so reiche und geschmackvolle Pracht der Residenz hernieder. Noch war es dasselbe Domportal, durch welches ehemals der Herzog Augustus Ludovicus des Kaisers Tochter vor den Altar führte, noch war es dasselbe uralte Banner, welches auch heute, den Löwen auf blauweißem Feld im Wappen führend, über der steingehauenen Pforte flatterte. – Die Glocken sangen und klangen von den Thürmen, wie Flammen von Purpur und Gold leuchtete das Laub des wilden Weines am alten Schloßviertel durch den Epheu, welcher die grauen Mauern gleich einem Dornröschenpalast umsponnen hatte. Still und einsam wars dort. Die Schatten wehten, als ob über jene verwitterten Fliesen die Manen aller Jener schritten, welche einst in Rüstung und Koller, im gestickten Höflingskleid und Wamms, im Mantel der Ratsherrn oder Geistlichkeit gekommen waren, ihr Knie vor dem Fürsten zu beugen. Der Wind raschelte im welken Laub, und die Fahnen schlugen einsam klatschend gegen den hölzernen Balkon, auf welchem ehemals wohl die niedlichen Hoffräuleins erwartungsvoll dem reitenden Boten entgegengeschaut, welcher das Nahen der Kaiserlichen Braut verkünden sollte. Jetzt nisten die Sperlinge und Dohlen dort, – zum Aerger der Lakaien und Handwerker, welche in der frühen Morgenstunde die Vorkehrungen zum Feuerwerk dort treffen mußten. –

In dem Banquetsaal des neuen Palais, von Meisterhänden mit den kostbarsten Sculpturen und Gemälden geschmückt, von dem raffinirtesten Geschmack der Neuzeit mit wahrer Märchenpracht ausgestattet, waren die Tafeln gedeckt, an welchen die hohen Herrschaften die bunt zusammengewürfelte Gesellschaft der Ordensritter zum Diner empfingen.

Blumengewinde fielen duftathmend von dem Plafond hernieder, verschmelzend mit den farbenprächtigen Pyramiden, welche in unzähligen Blüthenkelchen aus den silbernen Tafelaufsätzen aufzuwachsen schienen. – Metallschillernde, königliche Pracht! Die Tiefen der Erde schienen sich erschlossen zu haben, ihre gleißenden Silber- und Goldströme über den schneeigen Damast zu gießen; dazwischen glitzerten die hohen Kristallkelche, brachen sich die Lichtstrahlen auf den schaukelnden Peltas, welche die Ordensinsignien als Motive der Gravirung trugen. Ueber Allem aber flammten die gewaltigen Kronleuchter, ein Ranken und Blattgewirr funkelnder Bronce, aus welchen hunderte von Lichtern gleich Feuerlilien emporbrannten.

Vor dem Diner hatte eine Defilircour stattgefunden.

Großherzog Friedrich-Ernst, eine hohe würdevolle Erscheinung, hatte die Uniform seines Leibdragoner-Regimentes angelegt und trug als einzige Decoration den Stern des Löwenordens am carmoisinrothen Bande, desgleichen der Erbgroßherzog Ludwig-Ferdinand in der Uniform des Grenadier-Regimentes, dessen Chef er war, und Prinz Maximilian, welchen der heutige Tag zum Ritter dieses höchsten Landes-Ordens gemacht.

Auf den purpurbelegten Stufen des haut pas, an der Seite ihres erlauchten Gemahls, nahm die Großherzogin Rudolphine-Alexandrowna die Huldigung der Ordensritter entgegen. Eine kostbare Brokatrobe einzig als Schmuck für den heutigen Tag gefertigt, floß in schweren Falten von der fast schmächtig schlanken Figur der hohen Frau hernieder. – Das Unterkleid von weißem Atlas trug in kleiner Goldstickerei ein höchst geschmackvoll componirtes Muster von Palmzweigen und schreitenden Löwen, während über die carmoisinrothe Sammetschleppe, welche Hermelin verbrämt wie ein leuchtender Gluthstrom weit über die Stufen herab in den Saal hineinfiel, die Fürstenkronen, en haut relief gearbeitet, verstreut waren. – Das Ordensband schlang sich über die Brust, und in dem aschblonden, leicht ergrauten Haar lag ein hohes Diadem von Rubinen und Perlen; die gleichen Pretiosen tropften wie funkelnder Thau über Hals, Brust und Arme der erlauchten Trägerin. Auch die Erbgroßherzogin und die bejahrte Schwester Friedrich-Ernsts, Herzogin Caroline, trugen Abzeichen des Ordens; die Erstere im duftig weißen Spitzenkleid, eine frische, liebreizende Erscheinung mit goldlockigem Scheitel, rosig lächelndem Antlitz, und herrlicher Figur, der enthusiastisch verehrte Liebling der Stadt und des Landes. Zu Seiten der Großherzoglichen Familie gruppirten sich in erster Reihe die fürstlichen Gäste, Gesandtschaften und höchsten Chargen, weiter zurück die Damen und Herren des Hofes. –

Es war ein buntes, überaus originelles Bild, welches sich in langem Zuge durch die saalartige Gallerie entrollt hatte. –

Die höchsten Würdenträger, goldstrotzende Uniformen und Waffenröcke des In- und Auslandes, Dreimaster und wehende Helmbüsche, rothe Fracks und Ornate, und dazwischen ein biederer Dorfschulze in Kniestiefeln und Pluderhosen, ein Schutzmann mit mächtigem Vollbart, Feuerwehrmänner und schlichte Kaufleute, – Jene die ersten Classen des Ordens auf der Brust oder um den Hals tragend, diese nicht minder stolz und glücklich die bescheidenere Schleife im Knopfloch.

Und gleich leutselig lächelnd und huldvoll neigten sich die Häupter des Großherzoglichen Paares dankend dem Einen wie dem Andern, ohne Unterschied glänzten die Lichtflammen des Fürstensaales über Hoch und Niedrig, und ein einziger Gedanke schwellte die Brust unter den Farben des Löwenordens, – unbegrenztes Hochgefühl, Freude und Verehrung.

Als die dreimalhunderttausend Teufel voll schäumenden Uebermuths die goldenen Hälse ihres Gefängnisses gebrochen, als das edelste Traubenblut in den Kristallschalen moussirte und die Schaaren der gepuderten Lakaien wie farbige Elias Raben die Banquettafeln umschwirrten, da war auch der letzte Rest scheuer Befangenheit gewichen, welcher anfänglich die Seelen der Neulinge unter dem Einfluß imponirender Etiquette und Pracht gefangen gehalten hatte. Das zwangloseste, heiterste Leben pulsirte an den Tafeln, ein köstliches Schauspiel für die Altgewohnten, welchen der Parquetstaub nicht mehr blendend und verwirrend in die Augen fliegt. –

Dort trinkt ein Schutzmann mit einem wackren Steuermann, der sich unter Prinz Maximilians Augen besonders ausgezeichnet, mit überfließendem Herzen Brüderschaft, – hier beißt ein ahnungsloser, aber verdienstvoller Domänenpächter von den Allüren Onkel Bräsigs herzhaft in eine Aprikose von Fruchteis – schneidet furchtbar entsetzte Grimassen und hält sich die Zähne ... und an jener Ecke, wo sich der Gevatter Dorfschulze und sein Landsmann, der reiche Seifensieder, welcher sich aus Nichts eine stolze Fabrik erarbeitet und der Stadt Terrain zu einer neuen Kaserne geschenkt hat, zusammen fanden, hat das Diner bereits die Zungen gelöst und die Seelen unendlich weich, dankbar und cordial gestimmt. Sie trinken einem Lakaien zu und halten ihn am Rockschoß fest. – »Pst! … August ... uff Dein Specielles! komm doch ran, alter Junge, und gieß Dir einen hinter die Cravatte, wir rücken zusammen!« ... dem Gallonirten wird's schwer, – aber er refüsirt das ehrende Anerbieten mit einem Gemisch von Entrüstung und geschmeichelter Ueberlegenheit.

An dem Ende der Fürsten-Tafel, vor welcher außer den Höchsten Herrschaften und erlauchten Gästen nur die verdienstvollsten Würdenträger ihre Ehrenplätze eingenommen haben, sind auch der Reichsfreiherr von Nennderscheidt und Graf Goseck placirt. Eine auffallende Auszeichnung, welche hauptsächlich von den Fremden bemerkt und im Flüsterton besprochen wird; in heimischen Hofkreisen nimmt man es bereits als selbstverständlich hin, denn Nennderscheidt, der reichste Grundbesitzer des Großherzogthums, repräsentirt in seiner eleganten und ritterlichen Persönlichkeit den Landadel, und Graf Goseck behauptet sich als enfant gâté des diplomatischen Corps an seiner Seite. Man ist es gewohnt, diese Beiden in huldvollster Weise von der Großherzoglichen Familie protegirt, mit Auszeichnungen überhäuft und oft sogar ostensibel bevorzugt zu sehen. Serenissimus hat eine fast väterliche Zuneigung für den Hitzkopf Nennderscheidt, den Sohn seines ehemaligen Hofmarschalls und vertrauten Freundes, dessen tolle Streiche ihm allerdings schon manchmal die Augenbrauen zusammen gezogen haben, die er aber dennoch jedesmal nachsichtig verzeihen und belachen muß, wenn sie der Freiherr, strahlend vor Freude über das gelungene Stückchen, in seiner so eigenthümlich einnehmenden Weise vorträgt. –

In leidenschaftlicher Verehrung hängt Olivier an seinem Fürsten, aber er macht es dennoch wie ein eigensinniges Kind, welches neben aller Liebe doch recht herzlich ungezogen sein kann! Sein Ungestüm bäumt gegen jeglichen Zwang und jede Fessel auf, in jähzorniger Aufwallung kündigt er den Gehorsam und schlägt mit Fäusten jeden guten und treu gemeinten Rath zu Boden; ein einziger Blick des Großherzogs hat ihn dann oftmals zur Vernunft gebracht, ein einziges Wort ihn gefüge gemacht wie ein Lamm; er allein übte einen Einfluß auf den »tollen Junker« aus, und vor der hoheitsvollen, imponirenden Gestalt des Fürsten beugte sich der steife Nacken, als ob Zauber macht ihn zwänge. Leider waren solche private Unterredungen im Audienzzimmer des hohen Herrn sehr selten, denn Friedrich-Ernst war ein, von Regierungssorgen überbürdeter Mann, und Freiherr von Nennderscheidt ein sehr eigenwilliger Gesell, der wohl den Kammerherrntitel als »einen schmeichelhaften Klex Druckerschwärze mehr« auf seinen Visitenkarten acceptirt hatte, dem es aber nicht im Traume einfiel, jemals dienstlichen Pflichten nachzukommen. –

Die erste Klasse des Löwenordens hatte ihm die Gnade seines Landesherrn heute um den Nacken geschlungen, einzig als neues Zeichen der Huld, welche auf das blonde Haupt herniederfiel, wie die Sonnenstrahlen auf junges Frühlingslaub, ohne dessen Zuthun und Verdienst, in verschwenderischer Liebe gebend, ohne zu fordern.

Am Ende der Tafel, direct unter den Flammen des Lüsters, da, wo sich schlanke Palmwedel aus goldenem Füllhorn erheben und funkelnde Strahlen parfümirten Wassers aus der Tischfontaine emporsprühen, sitzt Freiherr von Nennderscheidt und umschließt schon minutenlang den Fuß seines Sectglases mit der Hand, ohne es an die Lippen zu heben.

Seine Tischnachbarin ist die Hofdame der Erbgroßherzogin Fides Wolff von Speyern, die hohe, junonische Erscheinung mit dem sinnend ernsten Antlitz, dessen geradgeschnittene Züge in herber Regelmäßigkeit an eine griechische Priesterin erinnern, und dessen stahlgraue Augen so groß und klar und ruhig in die Welt schauen, als wolle ihr Blick bis in die tiefste Tiefe der Menschenseele hinabdringen.

Baronesse Fides ist eine jener seltenen Frauengestalten, welche eine unbedingte Achtung abnöthigen, welchen man gegenüber tritt mit dem Gefühl: »hier überlege, was Du sprichst. – Marktgeschrei gehört in keine Kirche.« Es giebt eine gewisse Art von Liedern, welche, von glockentöniger Altstimme vorgetragen, einen lang nachhallenden, wundersamen Eindruck bei dem Hörer hinterlassen. Seelenvoll ernst, ohne traurig zu sein, tief und voll reinster, mächtigster Empfindung ... einem solchen Liede vergleichbar war der stille Zauber, welchen Fräulein von Speyern auf die Seelen übte. Nicht auf eine jede; – es gab Zungen in der Gesellschaft, welche die Hofdame eine pedantische, langweilige Sittenrichterin nannten, welche behaupteten, in ihrer kühlen Nähe zu frieren, und welche einen Straußschen Walzer lieber trällerten, als das unendlich altmodische Lied: »Ueb' immer Treu und Redlichkeit!« –

Graf Gosecks Blick huschte durch die schwankenden Fächerblätter zu dem Freunde herüber, welcher mit sinnender Stirn das Gespräch mit seiner Nachbarin führte; ein ironisches Lächeln kräuselte die Lippen des Beobachters, er neigte sich etwas weiter vor. –

»Weiß der liebe Gott, mein gnädiges Fräulein, daß ich es Ihnen auch niemals recht machen kann!« seufzte Olivier mit einem mißglückten Versuch, zu scherzen, »wir Beide stehen doch so brillant zusammen, factisch – ohne Compliment – Sie sind die einzige Dame in der ganzen Gesellschaft, deren Unterhaltung mich interessirt und auf deren Urtheil ich etwas gebe, und trotzdem ... hol's der Teufel, sind wir in unsern Ansichten so verschieden wie Tag und Nacht. Sie schelten permanent, und doch sind Sie meine beste Freundin!«

Ein warmes Aufleuchten ging durch ihre Augen, die Topase in dem dunkelblonden Haar zitterten wie sonnendurchglühte Thautropfen, als sie das Haupt tiefer zur Seite neigte. –

»Ja, Ihre Freundin, Herr von Nennderscheidt!« wiederholte sie mit der vollen und doch so weichen Stimme, »weil ich es bin, muß ich so oft in Ihren Augen als feindlichste Gegnerin Alles dessen dastehn, was Ihnen lieb und werth erscheint. Glauben Sie mir, oft beneide ich die Damen, welche sich Ihnen durch graziöse und scherzende Conversation so trefflich in das Ohr zu schmeicheln verstehn, oft wird es mir selber herzlich schwer, in diesen lieblichen Klang als einziger Mißaccord hinein zu tönen, just wie eine Unke, die in Frühlingsduft und Nachtigallgekose ihre melancholische Unglücksprophezeihung ruft! – Wahrlich, es ist eine schwere Selbstverleugnung, Jemandes gute Freundin zu sein! Es gehört viel Muth und viel Nächstenliebe dazu, dem Freunde in den Kranz des Lebens auch all' die bitteren, heilsamen Arzneikräuter zu winden, welche so wenig Dank ernten, und doch so tausendmal segensreicher sind als die süßen Ionquillen und Rosen, welche nichts Anderes bezwecken, als momentan über ihre eigenen Dornen hinweg zu täuschen!«

Nennderscheidt hob den Kopf, es glühte heißer auf in seinem Auge.

»Wissen Sie, was ich möchte, Baronesse? Sie könnten mich wahrlich curiren mit Ihren bitteren Kräutlein, könnten einen andern Kerl aus mir machen ... bei Gott, ich glaube, wenn es Jemand fertig brächte, so wären Sie es einzig und allein!«

Ein reizendes Lächeln verklärte ihr Antlitz, dennoch schüttelte sie das Haupt. »Was hat unser allergnädigster Herr schon für heilsame – und obendrein noch höchst wohlschmeckende Arzenei für den wilden, ungestümen Sinn des Junker Nennderscheidt gebraut! Hat es etwas genützt? Sie lachen und schütteln selber den Kopf! – die Antwort auf seine letzte Ermahnung, von gefahrbringenden Wetten abzulassen, beantworteten Sie nach acht Tagen damit, daß Sie mit Graf Goseck stritten, ob ein Mensch auf der höchsten, geländerlosen Brüstung des Stadthausthurmes gehen könne, ohne schwindlich zu werden.«

»Natürlich selbstredend! na und hatte ich etwa nicht recht?« Oliviers schlanke Gestalt richtete sich triumphirend empor, sein ganzes Gesicht leuchtete vor Vergnügen, »dreimal rund herum bin ich gegangen und dabei noch den Dohlennestern ausgewichen, in denen die sehr zahlreiche Nachkommenschaft höchst entrüstet über den Hausfriedensbruch nach der Polizei schrie!« – –

Fides lächelte, aber sie sah doch sehr unwillig aus, auch bleicher wie erst. Sie hob den Kopf und sah dem Sprecher fest in das Auge. »Hand auf das Herz, Herr von Nennderscheidt, finden Sie eine solch sinnlose Herausforderung des Schicksals, solch ein Preisgeben Ihres Lebens, dessen Verlust keiner Menschenseele Nutzen gebracht, wahrlich eines Mannes würdig? Für wen schlugen Sie Ihr Leben in die Schanze? für Ehre, Pflicht und Vaterland, welche ein Anrecht darauf haben? Nein, für Ihre Eitelkeit, für ein paar Localblätter, welche sich entzückt dieser neuesten Sensationsnachricht bemächtigten; als ich sie las, was glauben Sie wohl, was ich dabei empfand?«

Er sah plötzlich aus, wie aus allen Himmeln gestürzt; einen Moment schaute er ihr starr in das Antlitz, dann neigte er das Haupt unter dem Einfluß der klaren, ernsten Augensterne wie ein reuiger Sünder und murmelte durch die Zähne: »Na ... natürlich den höchsten Widerwillen ... Entrüstung ... Abscheu ... ich kenne das ja schon an Ihnen« – und plötzlich den Kopf wieder auflachend in den Nacken werfend, fuhr er mit ehrlichem Tone fort: »Weiß der Kukuk, daß gerade Sie mir immer plausibel machen, was für ein schändlicher Kerl ich bin, just Sie, der ich Alles auf's Wort glaube! Sehen Sie ... nämlich das Gesicht, wie Sie eben eins machen, hat die zürnende, an's Schwert greifende Germania anno 70 den Franzosen gezeigt; das einzige Weib, welches mir jemals imponirte, denn es sieht frappant aus, als ob sie sagen wollte, ›entweder Ordre parirt – oder!!‹ ... und wenn man ein Bischen Phantasie hat, dann fühlt man ihre zweischneidige Ruthe bereits auf dem Buckel! – Die Franzosen und ich haben eine egale Ader: solch einem schönen, zürnenden Weibe gehorchen wir. Also was soll ich zur Buße thun? alte Handschuhe aufessen? das einzige Ohrläppchen, welches ich noch besitze, mit grüner Seide languettiren lassen ... oder ...«

Fides schüttelte halb ärgerlich, halb amüsirt den Kopf. »Was hat eigentlich der Großherzog zu Ihrem abscheulich verstümmelten Ohr gesagt?« unterbrach sie kurz.

»Na darüber kam's ja, daß ich ihm versprechen mußte, solche Wetten künftig hin zu unterlassen!«

»Ein trefflich gehaltenes Versprechen!!« –

Er stürzte hastig ein Glas Sect hinab, dann wandte er ihr das Gesicht voll zu, durch die ungeduldig und unbefriedigt flammenden Augen ging es secundenlang wie ein Erlöschen; er athmete tief auf. »Ich verehre und liebe den Großherzog wie keinen zweiten Mann auf der Welt, vor ihm bin ich andächtiger wie in der Kirche, seine hoheitsvolle Güte läßt mich in dem Augenblick, wo ich vor ihm stehe, zusammen schrumpfen, wie einen Schatten vor der Sonne. Aber die Sache dauert nicht an; der Mann kann dem Manne imponiren, solang er ihn mit dem Blicke bannt; geht er, so ist er vergessen. Zwischen Mann und Weib aber giebt es die zarten, unsichtbaren Bande seelischer Attraction, welche eine Brücke, drauf die Gedanken wandeln, selbst über Raum und Zeiten schlagen; da zucken die Funken der Sympathie herüber und hinüber, da hallt ein Echo, welches Worte, von Frauenlippen gehört, unvergeßlich macht. Der Großherzog hat mir schon viel ernste, eindringliche Sachen gesagt; davon weiß ich nichts mehr, aber Ihre Worte, und der Ton, in welchem Sie sagten: »ein trefflich gehaltenes Versprechen!« die Worte vergesse ich sobald nicht, überhaupt nicht ... niemals! – und wahrlich, Fräulein Fides ... wenn ich jemals ein Anderer werden könnte, so ein vernünftiger Kerl, wie sich die Mutter einen Mann für die Tochter wünscht« ...

»Immer wieder Heirathsgedanken?!« Fides lachte leise und amüsirt auf, aber ihre Hand, welche, auf dem Tisch liegend, spielend den goldenen Griff des Dessertmessers drehte, bebte. »Sie sagten unlängst: ›die Nennderscheidt's haben meistens Unglück in der Ehe, darum bleibe ich frei.‹ Haben Sie diesen Entschluß auch schon wieder vergessen, oder sind Sie der Liberta fahnenflüchtig geworden? Wie wenig imponirend ist solche Unbeständigkeit!«

Oliviers Antlitz färbte sich noch höher, sein Blick brannte heißer im Anschauen der Sprecherin, dieser edeln, königlichen Erscheinung. Er schüttelte ungestüm den Kopf. »Es ist nicht so schlimm mit den vielen Convenienzheirathen in meiner Familie; ich habe sie neulich gezählt!«

»Gezählt? ist Ihre Chronika so indiscret, Alles unverblümt mit treffendem Wort zu nennen?«

Der junge Ritter des Löwenordens lachte kurz auf. »O nein, die gute, alte Zeit malte ihre Aufzeichnungen mit Tusche und rother Farbe auf das Papier, erst die moderne Menschheit frequentirt den Gallapfel! Damals hatte man noch poetische Zeichen, um Glück und Unglück auszudrücken. In jenen despotischen Zeiten, da die Kinder in der Wiege verlobt wurden und die Jungen sich heirathen mußten, weil's die Alten so für gut befanden, damals ist wohl manches gebrochene Herz mit dem Wappenschild zugedeckt worden. Die Tradition knüpft an ein altes Stück unseres Familienschmuckes, an ein fünfreihiges Perlenhalsband, das recht bezeichnende Histörchen: »heirathete ein Nennderscheidt eine ungeliebte Frau, so schenkte er ihr zum ersten Angebinde diese Perlenschnur, welche wie erstarrte Thränen über den Nacken seines Weibes rollten; liebte er sie, so streute er funkelnde Pretiosen, gleich den Sonnenstrahlen des Glückes über die junge Herrin. Ich habe mir nun die Ahnengallerie darauf hin angesehen, die meisten Frauenportraits lächeln und tragen blitzendes Geschmeide!«

»So hielten's die Vorfahren, ich hoffe die Nachkommen lachen solcher Märchen?« –

Olivier zuckte lächelnd die Achseln. »Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen; ist die Zeit der Convenienzehe etwa um? übrigens« – er neigte sich näher, sein Antlitz ward ernst: »ich glaube, Baronesse, Ihnen würden Perlen nicht kleidsam sein ... Sie würden niemals in die Lage kommen, daß man sie Ihnen zum Geschenke anbietet, denn Sie müssen einen Jeden beglücken und entzücken« ...

»Nennderscheidt! das ganz spezielle Wohl Deines neuen Engländers – Herrenreiten erster Preis ... wenn's meine ›Zerline‹ erlaubt!!« Graf Goseck hob das Glas, in welchem der Wein in duftigem Schaume über den Rand stieg, und trank seinem Freunde zu; dann wandte er sich, die beiden störenden Fächerblätter einer Palme zurückbiegend, zu Fides und erzählte ihr über den Tisch herüber in sehr langer und umständlicher Rede von der neusten Aquisition des Nennderscheitschen Marstalls. Olivier hatte zuerst recht unwillig über die Unterbrechung den Kopf gewandt, dann weckten ein paar Stichwörter sein Interesse ... er rückte eifrig näher. »ja damals, als Nennderscheidt die famose Wette machte, auf spiegelglattem Eis alle Gangarten zu reiten. Baronesse ... brillant auf Wort ...« – da blitzte sein Auge, da schäumte das »tolle« Blut hinter den Schläfen, da war er ganz bei der Sache, und Alles für den Augenblick zurückgedrängt, was ihm soeben auf den Lippen geschwebt hatte. –

Fräulein von Speyern aber, deren Antlitz in heißer Gluth gebrannt, deren Herzschlag gestockt hatte bei den Worten Olivier's, und in deren Blick es zum ersten Mal im Leben aufgeleuchtet hatte wie Frühlingssonnenschein, – Fräulein von Speyern's Wangen erbleichten Schein um Schein, wie die zarten Blümlein, auf welche plötzlich ein tückischer Reif gefallen.

Die Unterhaltung blieb allgemein, bald wurde die Tafel aufgehoben. –

Noch einmal blickte Fides in das Auge Nennderscheidt's. »Also meine Worte wollen Sie nicht vergessen, Baron?«

Sein Blick glitt über ihre hohe Gestalt, um welche der Atlas seine leuchtenden Falten schlug. Er reichte ihr mit festem Druck die Hand. »Nein, ich vergesse sie nicht, Jungfrau Germania!« entgegnete er lächelnd, »ebensowenig wie diese Hand, welche bestimmt zu sein scheint, das Rad meines Lebens in andere Geleise zu rollen!« –

Sein Auge, der Klang der Stimme sagten noch mehr als die Worte, die schlanken Finger der Hofdame erzitterten in seiner Rechten.

»Also keinen unüberlegten Streich mehr?« –

»Keinen! – denn der, welchen ich jetzt plane, wird der klügste sein von allen, welche ich jemals ausgeführt!«

»Habe die Ehre. Ihnen die Hand zu küssen, meine Gnädigste.« Graf Goseck neigte neben ihnen das wohl frisirte Haupt. –


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