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»Du Ring an meinem Finger;
Du goldenes Ringelein;
Ich drücke Dich fromm an die Lippen,
Dich fromm an das Herze mein!«
Chamisso.
Es war bereits dunkle Nacht, als die beiden Herren zurückfuhren. In warme Pelze gehüllt, die Kragen hoch über die Ohren geschlagen, drückten sie sich behaglich in die Wagenecken und besprachen mit viel Humor und Lebhaftigkeit die inhaltsschwere Visite in Hersabrunn.
»Du wirst also fleißig mit Gräfin Herff correspondiren?« unterbrach Goseck etwas unvermittelt den sehr heiteren Vortrag des Freundes, welcher sich mit der Idee trug, keine Verlobungs- sondern nur Vermählungsanzeigen zu schicken, des größeren Effectes wegen; »die Bombe muß den Leuten vor der Nase einschlagen!«
»Donnerwetter ja, gut, daß Du mich an dieses Schreckniß erinnerst!« und Nennderscheidt schlug sich auf's Höchste alterirt gegen die Stirn. »Eine rasende Idee von der Kleinen! ich denke factisch, der blasse Schlag rührt mich, wie sie mir diesen Schreckschuß durch die Glieder jagt! So nett und freundlich, wie sie auch zu bitten versteht, ich hätte die ganze Karre beinahe noch in den Sand gefahren, wenn Du mir nicht zugeblinzelt hättest! Goseck, ich und Briefe schreiben ... Liebesbriefe, »so, wie sie Gott wohlgefallen!« – bei dem Gedanken allein bekomme ich Gähnkrämpfe! Weiß der Kuckuck, daß die Marie-Luise so sentimental beanlagt sein muß, und riesig fromm obendrein! Sie hält die ganze Verlobungsgeschichte für eine Fügung und Gnade des Himmels.«
»Und wirst Du ihr nun schreiben?« Gosecks Stimme klang nervös und ungeduldig.
»Ich ... nee, alter Junge, wie kann ich denn bei meiner angeschossenen Hand? Du hast ja genickt, Du kannst Dich nun für mich hinsetzen und schreiben; ich werde dictiren, so gut ich eben dergleichen verstehe!«
»Angenehme Zumuthung!«
»Eustach, Du hast die ganze Sauce eingerührt, hilf mir nun wenigstens auch die harten Brocken schlucken! Erstens bin ich zu eitel, um mit meinen steifen Fingern loszukritzeln, und dann, was soll ich dem Kind denn schreiben?! Ich meine es ja factisch ganz gut mit ihr, will Alles thun, um ihr das Leben schön und angenehm zu machen, aber ihr Liebesbriefe schreiben, nein! das kann ich beim besten Willen nicht! Du kennst mich ja, Goseck, ich springe lieber in's Wasser, ehe ich etwas thue, was mich langweilt; und Liebesbriefe an das kleine Stiftsfräulein in der räudigen Plüschlacke vom Stapel lassen, wäre für mich ein directer Selbstmordversuch! Du bist ja Gottlob aus anderm Lehm geknetet wie ich, Eustach, Du unternimmst mit kaltem Blut Dinge, welche Dir direct zuwider sind, und als Diplomat und ›homme de lettres‹ ist es gewissermaßen Dein Beruf, zu schreiben. Also ich dictire ein Bischen, und Du hilfst ein, wenn ich stecken bleibe.«
»Genug, genug! Wer sagt Dir, daß ich mich weigere?! Wenn es Dir recht ist, daß ein Anderer Briefe lyrischen Inhalts mit Deiner Braut wechselt, mir kann es gleichgültig sein!«
Es war zu finster, Olivier konnte nicht den wunderlichen Ausdruck sehen, welcher die Züge des Sprechers beherrschte.
»Also Du willst, alter Junge?« lachte er übermüthig auf, den Arm um den Nacken des Grafen legend. »Ein Königreich für diese edle That, welche mir Centnerlasten von dem Herzen rollt! Famos! Da wollen wir uns gleich morgen nach ihrem Befinden erkundigen, das Bouquet und die nöthige Staffette besorge ich selbstredend.«
»Gut.« Goseck athmete tief auf und wechselte fast hastig das Thema; er war plötzlich ganz vortrefflicher Laune, und sein lautes Lachen klang eigenthümlich durch die sternlose und stille Nacht. Nennderscheidt neckte ihn damit in seiner halb gutmüthigen und sarkastischen Weise: »Mach die Jäger nicht irre! die schwören morgen, daß auf der Hersabrunner Chaussee ein Fuchs gebellt hat! à propos, wie gefällt Dir des Spieles Anfang? Cœur habe nicht gezogen, meine Pique-Dame trägt den Immortellenkranz im Haar!«
– – – – – – – – – –
*
Längst hatte es von der alten Marienkirche die zwölfte Stunde geschlagen, als Graf Goseck seine Wohnung betrat.
Er hatte keine Befehle mehr und entließ seinen Kammerdiener, als derselbe den schweren Mantel von den Schultern seines Herrn genommen und noch ein paar Holzscheite in die Kamingluth geworfen hatte.
Briefschaften und Akten, wissenschaftliche Werke und Romanbücher lagen auf dem eleganten Diplomatentisch ausgebreitet, und grimme Cuivredrachen trugen auf barock geformten Flügeln die Lampe mit grünem Schirm.
Ruhelos schritt Goseck auf den dicken Teppichen auf und nieder. Gedankenvoll sank sein Haupt auf die Brust, und die schlanken, sehr weißen und wohlgepflegten Finger bewegten sich, in schnellem Spiele die goldenen Ringe drehend.
Plötzlich blieb er vor dem Vertikow stehen, öffnete die geschnitzte, reich mit Kupferbeschlägen gezierte Thür und zog ein kleines Schubfach hervor. Verschnürte Packen zierlicher Briefe, etliche Ballblumen, gemalte und gestickte kleine Souvenirs lagen, voll peinlicher Sorgfalt und Genauigkeit geordnet, auf der goldfarbenen Auspolsterung. Goseck nahm von einem Stoß Photographien die oberste, trat an den Tisch zurück und ließ sich auf den breiten Kurfürstenstuhl nieder fallen. Langsam schlug er das Seidenpapier zurück und blickte auf das kleine Bild hernieder. Hell beschienen von der Lampe, lächelte der reizendste Frauenkopf, mit großen, geheimnißvollen Augen, mit dem entzückendsten kleinen Mund zu ihm auf. »Claudia Fürstin Tautenstein« stand mit Bleistift an dem Rande.
Lange, regungslos starrte Goseck in das Antlitz, dessen gefährlicher Zauber schon zum Schicksal manches Männerherzens geworden war. Wie goldene Schlangen, genau in der Art des Potoka-Bildes frisirt und mit einem schmalen Reifen zusammengefaßt, ringelten sich die üppigsten Haarmassen über der Stirn empor und rollten zurück auf Schultern und Brust, welche sich, nur flüchtig, durch ein Marie-Antoinettetuch umrahmt, wie blendender Marmor von dem dunklen Hintergrund abhoben.
So schlicht und schmucklos das Bildchen war, lag dennoch ein bestrickender, unaussprechlich verführerischer Reiz darin, und je länger man darauf niederblickte, desto lebendiger wurde es, desto deutlicher trat es hervor ... die Augen leuchten ... und der feuchtglänzende Blick wird heiß und schillert ... und das Mündchen zuckt und öffnet sich süß schmachtend ... Wie die Spitzen auf der Brust zittern! ... wie die Haarwelle von der Schulter gleitet! ... tiefer und tiefer. Goseck hört im Geist ihre Stimme, ihr Lachen, er steht vor ihr und streckt die Hände nach ihr aus, windet die goldenen Haare wie eine Zauberfessel um sich und sie und flüstert ihr triumphirend in das rosige kleine Ohr: »Nun bist Du mein, Kalypso, die Jahre lang mein irrfahrend Herz gefangen hielt!«
Wie oft hat Goseck mit diesen berauschenden Gedanken das Bild der Fürstin Claudia angestarrt, wie hat ihn dieses Lächeln bis in die tiefsten Träume verfolgt, wie hat er sein Hirn zermartert, Mittel und Wege zu finden, um dieses Schmetterlings treulose Schwingen an sein Schicksal zu ketten.
Eine geschiedene Frau! Der Pessimist Goseck lächelte. Die Eine läuft öffentlich davon, die Andere heimlich, »ha falsche Lieb, falsche Treu!« wie hätte der arme fliegende Holländer so lange schon erlöst sein können, gäbe es noch Lieb' und Treu' in Weiberherzen. Goseck glaubt überhaupt nicht an Liebe. Er liebt auch Fürstin Tautenstein nicht, er begehrt sie nur, wie man nach einem Schluck feurigen Weines dürstet, in köstlichster Schale gereicht, der berauscht und entzückt und Gluth und Leben durch die Adern jagt. Auch daran gewöhnt man sich, und schließlich schmeckt er schaal und sauer ... was vermöchte überhaupt noch einen dauernden Reiz auf dieser Welt auszuüben? Das Geld; Fürstin Claudia ist nicht nur schön, sie ist auch reich, und wenn Wolken und Nebel und Langeweile kommen, dann streut man den zauberischen Goldstaub in die Pfanne, opfert der modernen Zeit und läßt sich einschläfern von ihren Weihrauchwolken. Fürstin Claudia ist ein Weib, wie Goseck es verlangt; er ist tolerant und kennt nur einen Wahlspruch: »Leben und leben lassen,« aber die kleine Durchlaucht ist ein Goldfischchen, glatt und geschmeidig, man fängt es nicht so leicht. Und dennoch ... schließlich huscht es von selber in die Netze! Lange hat Goseck daran gearbeitet, sie aufzustellen. Claudia schwärmt für alles Excentrische, Nennderscheidt's tolle Streiche haben sie begeistert. Von Stund an steht der Graf neben Olivier, riskirt Leben, Hab und Gut und übertrumpft den originellen Freund. Unverdrossen, kaltblütig, voll zäher Ausdauer. Und Fürstin Tautenstein interessirt sich endlich auch für ihn, ja sie kommt persönlich, das seltsame Junkerpaar mit eigenen Augen zu schauen. Eine neue Klippe. Der Freiherr von Nennderscheidt ist ein schöner, leidenschaftlicher, leicht enflammirter Mann, jünger und ansprechender wie Goseck. Also: aus dem Weg mit ihm! – unschädlich gemacht, ehe das Spiel beginnt. Fides von Speyern heirathen? Unmöglich. Die Schulmeisterin giebt dem Gatten das Garn auf die Hände und setzt ihn hinter den Ofen. Graf Goseck aber braucht für die tollen Streiche, welche Fürstin Claudia imponiren sollen, einen Gegner, an dem er sich messen und reiben kann. Also eine andere Frau, die bescheidene Null im Rechenexempel des Diplomaten.
Endlich ist das Ziel erreicht, lang, mühselig war der Weg, welcher zu ihm empor führte, und Graf Eustach steht abermals, hält das Bild des entzückendsten Weibes in der Hand und starrt gedankenvoll darauf nieder. Die Uhr tickt ihre einförmige Melodie, wie ein Hagelschauer prasselt es gegen die Scheiben, vor Goseck's Augen aber zerfließt das lächelnde Antlitz Claudia's wie in Dunst und Nebel, die Locken schlängeln sich empor und zischen ihn an, ein zerbrochener Fingerreif gaukelt wie ein blutiger Schatten vor der weißen Stirn.
Hastig wirft er das Bild in sein Schubfach zurück und drückt die Hände gegen die heißen Schläfen. Er ist übermüdet und nervös, seine Augen brennen, und vor seinen Ohren klingt es wie Glockenläuten. Wunderlich, sie muß ein abscheuliches Organ haben, die kleine Marie-Luise, ihre Stimme und ihre Worte verfolgen ihn selbst bis in den unruhigen, oft unterbrochenen Schlaf. Etwas Neues hat immer Reiz, und die Gräfin Herff und ihr madonnenhaftes Wesen waren ihm neu. Noch weiß er nicht, was echt und was gemacht daran ist. Bah, ist Goseck nie düpirt worden, und er wartet mit Ungeduld darauf, zu sehen, wie jämmerlich die kleine Scheinheilige aus der Rolle fallen wird, wenn erst der sichere Trauring am Finger glänzt und die Welt mit giftigem Hauch ihre Stirne küßt! ... haha! ... Gräfin Marie-Luise ist ein Weib, und Goseck kennt die Weiber!
– – – – – – – – – –
Der Freiherr von Nennderscheidt sitzt in seinem Rauchzimmer und langweilt sich angesichts etlicher Zeitungen. Im Nebenzimmer klingen Schritte, und Graf Eustach, welcher jederzeit ungemeldet bei seinem besten Freunde eintreten darf, schlägt die Portière auseinander. Kurze, von Seiten Olivier's sehr fröhliche Begrüßung; Goseck scheint schlechter Laune, sieht ihm nicht in die Augen und wirft sich in einen Sessel. »Famoser Sportartikel ... neues Reiterstückchen unseres österreichischen Rivalen!« und er zieht ein französisches Journal aus der Rocktasche und wirft es dem Freiherrn zu. Sein Blick beobachtet voll Interesse, wie sich Olivier voll lebhaften Eifers sofort an die Lectüre begiebt.
»Ich habe dem Postboten vor dem Hause einen Brief von Deiner Braut abgenommen; soll ich ihn öffnen?«
Nennderscheidt hört kaum. »Natürlich, lies doch vor!« das Papier knistert. – tiefe Stille.
»Soll ich Dir erzählen?«
»Danke, bitte störe mich jetzt nicht ... Nachher! ... Ein verfluchter Kerl, dieser Czepanyi ... famose Leistung.«
»Ich lege den Brief einstweilen zu den andern, kannst ihn ja nachher lesen!«
Olivier knurrt etwas Unverständliches, und Goseck tritt an Jenes Schreibtisch. Ein scharfes Lächeln spielt um seine Lippen, er weiß genau, daß dieser Brief binnen einer Stunde vergessen ist. Als Nennderscheidt die Lectüre beendet, lehnt sich Eustach auf seinen Sessel. »Eine fatale Nachricht, boy, ich muß auf vierzehn Tage verreisen, um eine kleine Gerichtsaffaire in C. abzuwickeln.«
»Donnerwetter ... und unsere Correspondenz mit Luise?«
»Ich habe darüber nachgedacht und werde einfach in Deinem Namen mit ihr weitere Briefe austauschen. Schon der Schrift wegen. Auf der Post habe ich bereits die nöthigen Maßregeln getroffen, daß mir ihre Briefe nachgeschickt werden, und auch die meinen werden hiesigen Stempel tragen!«
»Aber Goseck – ich bitte Dich ... das geht doch auf keinen Fall!«
»Weißt Du andern Rath? nein? na, also! Mein Gott, alter Junge, unter zwei so getreuen Kameraden wie wir, ist's doch ganz egal, wer nun eigentlich schreibt; ich sammle die Briefe, Du liest sie vor der Hochzeit, ich komme ja am Tage vor derselben zurück, und die ganze Sache ist erledigt.
»Ja, zum Teufel aber« ...
»Es ist doch nun mal nicht zu ändern!« Goseck zuckte voll nervöser Ungeduld die Achseln. »Du hast dictiren wollen, also rechne mit den Consequenzen. Lohnt ja garnicht der Worte! Ob ich sie nun nach dem Befinden frage, oder Du! Also vorwärts, komm mit in den Club zum Frühstück.« Eine Weile war Olivier nachdenklich. Goseck aber wußte ihn auf andere Gedanken zu bringen. – –
An dem prächtigen, palaisartigen Neubau, von Parkanlagen umgeben und in nächster Nachbarschaft des Erbprinzlichen Schlosses gelegen, war plötzlich das Schild »Zu verkaufen!« verschwunden, und mit neugierigem Staunen beobachteten die Residenzler das übereifrige Getriebe, welches sich hinter den Mauern abspielte. Die Handwerker hantirten von früh bis spät, die ersten Geschäfte schickten durch hochbepackte Wagen ihre kostbarsten Schaustücke, und fiebernd vor Eile und Aufregung befehligte ein namhafter Deco rateur den Troß Arbeiter, welche mit knisternden Brokat-, Atlas- und Plüschstoffen die Säle und Boudoirs zu wahren Schmuckkästlein austapezirten.
Man zerbrach sich die Köpfe über dies geheimnißvolle Treiben, man forschte, fragte, vermuthete und erfuhr dennoch keine Silbe über den Besitzer und zukünftigen Bewohner der Villa »Hazard!«
Die abenteuerlichsten Gerüchte cursirten in der Residenz, und Baron Nennderscheidt hatte sogar in weinseliger Stimmung einen hohen Preis für denjenigen Schlaukopf ausgesetzt, welcher Aufschluß über den verkappten Märchenprinzen geben könne!
In der Wallung einer Stunde
des Uebermuths hatte er ihr
Geschick an das seine gekettet. –
Georg Ebers. (Homo sum.)
Am letzten December wars. Schneeflocken fielen langsam, gleich großen, leuchtend weißen Federn durch die Luft hernieder. Klar, kalt und windstill. Die Tannen starrten wie einförmige Gebilde am Weg, die niedre Schonung glich einem Meer, welches mit blendend hohen Wogen plötzlich erstarrt ist, und von den dicken Laubholzzweigen glitzerten kleine Eiszapfen. Raben krächzten hoch oben auf einer Pappel, dicht am Vorwerk, sonst Alles todtenstill.
Das blasse, kleine Mädchen im Tagelöhnerhaus hat die Eisblumen vom Fensterchen gehaucht und starrt mit träumerischen Augen auf die Chaussee von Hersa brunn. Ein paar Spatzen sitzen trübselig auf dem Lattenzaun, und der bucklige Jochen schleppt ein Bund Stroh nach dem Pferdestall herüber.
Plötzlich klingelt, rasselt und schnauft es heran! Ein goldener Schwan liegt auf breiten Kufen, gezogen von wilden Rossen, um welche gefleckte Tigerdecken flattern, von deren Häuptern bunte Federn nicken, und deren Rücken köstliche, goldfunkelnde Geläute tragen. Märchenhafte, unfaßliche Pracht, welche pfeilgeschwind vorüberbraust, wie der Zug des Königsohnes, von welchem des Pächters Aeltester aus neuem Weihnachtsbuche vorgelesen.
Die Kleine reibt sich die verschlafenen Aeuglein und preßt das Gesichtchen gegen die kalte Scheibe … vergeblich, der Schlitten ist längst verschwunden, ganz fern tönen noch die Schellen ... und der glatte, weiße Schnee auf der Straße ist zerwühlt und in dicken Schollen zur Seite geschleudert.
Hersabrunn mit seinem schlanken Thurm, dem hochgieblichen Dach und der grünbekränzten Thüre sieht so blendend weiß und feierlich aus, als sei es selber eine Braut, welcher König Winter liebkosend den Schleier über das Haupt gebreitet und die funkelnde Zinkenkrone auf die Stirn gedrückt hat.
Die alten Fräuleins haben Gala angelegt und schluchzen unaufhörlich. Eine Tafel ist im Eßzimmer gedeckt und einfach, aber geschmackvoll mit Tannenreis geschmückt. Auch zwischen dem Sand der weißgescheuerten Dielen duften einzelne Zweiglein wie bescheidene Huldigung empor.
Die Einsegnung soll durch den alten Stiftspfarrer im Betsal vollzogen werden, die Beamten, welche den Akt der Civiltrauung zu »erledigen« haben, bringt der Freiherr mit. Diese letztere Angelegenheit hat ihm Tagelang schlechte Laune bereitet, denn durch sie ist sein so sorgsam und peinlich gehütetes Geheimniß nun doch noch zu guterletzt bekannt geworden. Der Funken ist bereits in das Pulverfaß der Residenz gefallen, die Bombe platzte, und Flammen und Gluthen sprühen lichterloh empor. Und heute Morgen ist die Fürstin Claudia mit den lustigen Schneeflocken in den Carneval der Residenz hereingewirbelt!
Olivier umarmt in Hersabrunn Alles, was ihm in den Weg tritt, er ist ein glückstrahlender, fast allzu übermüthiger Bräutigam. Daß die Damen sämmtlich weinen, däucht ihm unsagbar komisch, »ach hättest Du Schneeberger, um ihn in diese Thränentüchlein zu streuen!« seufzt er in Gedanken und malt sich's aus, wie sie es Alle beniesen würden, wenn er und Marie-Luise ihr lautes und deutliches »Ja!« sagen werden.
Er hat auch an Alles gedacht, hat jeder seiner Verehrerinnen ein kostbares Andenken, ja dem Mops sogar ein Packet Frankfurter Würstchen mitgebracht; nur den Myrthenkranz für Marie-Luise, welchen er in der Stadt besorgen sollte, hätte er beinahe vergessen; zum Glück erinnerte ihn Goseck noch daran.
Der brave Freund geht auch selber zu der Oberin, um ihn zu überreichen. Er wird durch verschiedene Zimmer geführt, bis ihm die ehrwürdige Dame endlich mit leicht gerötheten Augen und einem sehr herzlichen: »Grüße Sie Gott!« entgegen kam. Der Graf küßte die dargereichte Hand und lieferte seine liebliche Bürde mit ein paar ernsten, fast feierlichen Worten der Pflegemutter Marie-Luisens ab.
»Herzlichen Dank, verehrtester Graf, ich habe bereits mit Sorge auf den Kranz gewartet, damit wir unser Bräutchen rechtzeitig dem ungeduldigen Nennderscheidt entgegen führen können. Er hat uns so dringend um Pünktlichkeit ersucht. Sie verzeihen, wenn ich mich wieder zurückziehe; in einem Viertelstündchen auf Wiedersehen!« und mit liebenswürdigem Gruß und fast nervöser Eile nickte sie ihm zu und trat durch die breite Glasthüre und das daran stoßende Zimmer in das Stübchen der Braut zurück.
Goseck stand einen Augenblick und starrte nachdenklich in das Schneegestöber hinaus. Es widerstrebte ihm, sofort wieder hinab zu gehen, um die Neckereien Olivier's mit anzusehen. Nie zuvor hatte er Scrupel gekannt, jetzt mit einem Mal hatte er die Empfindung, als lade er Marie-Luise gegenüber eine furchtbare Verantwortung auf seine Seele. Er kam sich vor, wie ein grausamer, herzloser Knabe, der eine weiße Lilie abreißt, und unter die Füße tritt, damit seine Sohle weicher schreite. Mechanisch ließ er sich auf einen der altmodischen Sessel nieder und griff nach dem Buch, welches aufgeschlagen auf dem kleinen Tischchen neben ihm lag. Eine Stelle war angestrichen:
»Freue Dich jeglicher Freude,
weil jegliche Freude von Gott kommt,
freue Dich jeglichen Leides,
weil jegliches Leid zu Gott führt.«
Langsam, sichtlich frappirt, schlug Goseck die Titelseite des Buches auf. »Lavater.« Und oben mit den klaren, festen Schriftzügen, welche er so wohl kannte, der Name der Eigenthümerin: »Marie-Luise, Gräfin Herff.« Tief sank das Haupt des Lesers auf die Brust. Ja, das war nach Marie-Luisens Herzen, das war ihre Ueberzeugung, ihr kindlich naiver, glückseliger Glauben. » Von Gott«, ob Freud, ob Leid, für sie kam Alles aus der Hand Dessen, welcher unser Vater ist, von Gott.
Ein wunderliches Beben und Zucken ging über das farblose Antlitz des Grafen, er starrte auf die festen und doch so weichen Schriftzüge nieder. Was hatten dieselben in der kurzen Spanne Zeit, welche zwischen seinem ersten und dem heutigen Besuch in Hersabrunn lag, aus ihm gemacht! Mit dem kaltblütigen Wunsch, durch die Briefe den ureigentlichen Charakter Marie-Luise's kennen zu lernen, das Räthsel zu lösen, welches ihm in der bis dahin so fremd gewesenen Art und Weise der jungen Dame entgegen trat, hatte er es zu Wege gebracht, an Olivier's Statt mit dessen Braut zu correspondiren. Und er empfing und las ihre Briefe, und seine erst so kühlen, förmlichen Zeilen wurden beredter und herzlicher, länger und länger, und wie der Opiumraucher schließlich nicht mehr von den holden Gaukelbildern seiner Träume lassen kann, so berauschte sich der Weltverächter Goseck an der köstlichen Reinheit dieses Seelenquells, welcher seine Wogen läuternd über alle Sinne des Lesers ergoß. In ergreifender Einfalt und dennoch voll des reichsten Gemüthslebens erschloß sich ihm ein Mädchenherz, durch dessen Denken und Empfinden es wie ein Klang von Engelszungen tönte.
Keine überspannten Illusionen machten sich in den Zukunftsträumen Marie-Luise's breit; gesunde, klare Ansichten, ein kräftiges Wollen und kindlicher Frohsinn wohnten hinter der weißen Stirn, und dazu gesellte sich eine wahrhaft rührende Demuth und Bescheidenheit, welche überall nur helfen, nur dienen, nur beglücken will. Durch jeglichen Gedanken aber, welchen sie zu Papier gebracht, zog sich gleich goldenem Faden eine tiefe, echte Herzensfrömmigkeit, welche in unerschütterlichem Vertrauen alle Sorge auf den Herrn wirft, welcher Himmel und Erde gemacht hat. Ob lachend oder weinend; Marie-Luise faltete die Hände und dankte ihrem Gott für Glück und Leid.
Goseck athmete tief auf; er fühlte, daß er ein Anderer geworden war, seit die Briefe der Gräfin Herff wie Thautropfen auf sein ödes Herz gefallen waren. Nun keimte und sproßte es darin aus allerlei längst vergessenen Samenkörnlein empor. Wirr und abschüssig waren die Wege gewesen, auf welchen er mit blinden Augen irrte, bis plötzlich ein lichtes Weib an seine Seite trat, die Nebel vor seinem Blick zu theilen und ihm den Pfad zum wahren Glücke zu weisen.
Zu spät! ein Anderer tritt dazwischen, drängt ihn zurück und reißt die Unschuld mit sich fort in den Staub der Welt.
Die Unschuld! noch immer zucken Zweifel und Argwohn, die sterbenden, in seinem Herzen empor. Können denn Briefe nicht lügen? Kann nicht eine jede Zeile voll raffinirtester Berechnung für das Auge des Bräutigams ausgeklügelt sein? Sie schrieb für ihn, waren es aber darum ihre ureigensten Gedanken? O ihr Weiber, die ihr alle den Januskopf auf den schönen Schultern tragt!
Goseck preßte die Stirn in die Hände und schloß die Augen wie ein Schwindelnder.
Leise öffnete sich nebenan eine Thüre, hastige Schritte gingen durch das Nebenzimmer. Eustach konnte von seinem Sessel aus durch die Glasthüre sehen, er richtete sich mechanisch auf und schaute.
Marie-Luise war an das Fenster getreten. Ein schlichtes Brautkleid wallte in schneeigen Falten an der schlanken Gestalt hernieder, die zarte, mädchenhafte Schönheit der Figur zum ersten Mal dem Auge des Beobachters darthuend. Kein Schmuck erglänzte, keine Toilettenkünste waren in Anwendung gebracht, nur ein kleines Myrthensträußchen schloß die Tüllfalten hoch am Hals, und ein duftiger Spitzenschleier von außerordentlicher Schönheit, welcher ersichtlich schon das Haupt der Mutter geschmückt, floß wie verklärend von dem Haupt hernieder. Ganz allein, ganz unbeobachtet wähnte sie zu sein, und so hielt sie den Myrthenkranz in bebenden Händen, blickte auf ihn nieder mit Augen, darin der Glückseligkeit heilige Thränen leuchteten und drückte ihn an die Lippen. Dann aber sank sie auf die Kniee nieder, faltete die Hände um ihr bräutliches und höchstes Kleinod und wandte das Antlitz zum Himmel.
Wie ein Schwerkranker stützte sich Goseck auf den Sessel, seine Brust keuchte, weit offen starrte sein Auge auf die Betende; der Ausdruck ihres Antlitzes prägte sich tief und unvergeßlich in seine Seele, und gleichsam, als risse sich plötzlich ein Abgrund zwischen ihr und ihm auf, ein Abgrund, welchen Graf Eustach mit eigenen Händen mühsam gegraben, wich er jählings zurück und schlug die Hände vor das Gesicht. Durch sein ganzes Sein aber ging es wie ein qualvoller, verzweifelter Aufschrei: »Ja, ich liebe sie!«
Dann kam's über ihn, wie eine wilde, trotzige Entschlossenheit. Hin zu ihr, so lange es noch Zeit ist! An ihre Seite, um sie aus den Armen eines Unwürdigen zu erretten. Alles gewagt, um Alles zu gewinnen! Ohne Marie-Luise kein Leben mehr! und mit pochender Gluth in den Schläfen, zum Aeußersten entschlossen, trat Goseck mit hastigen Schritten zu der Thür. Zu spät. –
Gleicherzeit hatte sich Marie-Luise erhoben, hatte man die Thüre ihres Stübchen geöffnet, um die Oberin eintreten zu lassen; erschrocken fast blickten beide Frauen dem Eindringling entgegen. Noch ehe Eustach Worte fand, polterte es die Treppe empor. Nennderscheidt, den Schwarm alter Damen hinter sich, stürmte mit einem großen Bouquet lachend in das Zimmer und erklärte, die Festung bombardiren zu wollen, wenn man nicht schleunigst die Braut ausliefere; eben sei der Pfarrer schon erschienen.
Und als er die Liebliche stehen sah, eilte er mit offenen Armen auf sie zu und begrüßte sie.
Marie – Luise erglühte wie eine Rose, neigte lächelnd das Köpfchen an seine Brust und blickte zu ihm empor.
Neckend zog er ihr den Schleier über das Antlitz und küßte sie voll väterlicher Herzlichkeit auf die Stirn.
Goseck aber hatte das Gefühl, als wanke der Boden unter seinen Füßen. Zu spät?! ... Nein, und tausendmal nein! Waren ihm jetzt auch alle Fäden abgeschnitten, mußte er mit knirschenden Zähnen dabei stehen und zusehen, wie man die beiden Hände zusammenschmiedete, so hatte er dennoch Selbstvertrauen genug, überzeugt zu sein, Ketten, welche er geschlossen, auch wieder lösen zu können! Ein neuer Eclat, ein neuer Streich, welchem der »tolle Junker« zujubeln wird. Und daß sie zuvor die Gattin eines Andern wird? Bah, Nennderscheidt liebt sie nicht, und Marie-Luise?
Eustach kreuzte mit aufsprühendem Blick die Arme und biß die Zähne aufeinander – »der werde ich rechtzeitig noch die Augen öffnen!«