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Erster Band

Erstes Kapitel

»Ein Veilchen auf der Wiese stand,
in sich gebückt und unbekannt:
Es war ein herzig Veilchen!«

Goethe.

 

Ein köstlicher Septembertag! – Der Himmel spannt sich weit und fleckenlos über die Ebene in einem wunderlichen Farbengemisch von Grau und Blau, welches trotz seiner Klarheit aussieht, als zittere ein ganz feiner Dunstschleier darüber hin. Nach dem Horizonte zu färbt sich derselbe gelblich. –

Ueber den Stoppelfeldern schwirren die Lerchen und Staare, schwankt hie und da noch eine nachgewachsene Kornblume wie ein treues Sternchen, welches über dem Grab des Sommers Wache hält. – Ein paar gelbe Lupinenäcker ziehen sich wie ein Teppich mit grell abstechendem Rand noch an dem flachen Hügel empor, und seitwärts liegen in graubraunen Schwaden die gemähten Erbsen, in deren starrem Stroh es geheimnißvoll raschelt, wenn ein eiliges Feldmäuslein hindurch huscht. – Der Wald, welcher sich jenseits der Chaussee mit kurzen Unterbrechungen hinzieht, hat sich nur wenig gefärbt. Ein paar Eichenwipfel schauen wie gebräunte Gesichter über die junge Tannenschonung, und die Linden an der Fahrstraße streuen vereinzelte gelbe Blätter; zeitweise ragt wohl auch ein Birkenbäumchen mit falbem Laub aus dem unverändert tiefschattigen Buchengrün.

Eine unbeschreibliche, sonntäglich feierliche Ruhe liegt über dem Land, über den kleinen morastigen Teichen, welche in häufiger Wiederkehr die Eintönigkeit der Waldlisiére unterbrechen, über dem Dörfchen, welches sich fernab mit rothen Dächern und glockenförmigem Kirchthurm im Grünen versteckt, und über der Schafheerde, welche wie aufgestelltes Puppenspielzeug auf bräunlicher Hude weidet. – Die Chaussee hebt sich mehr und mehr einem Vorwerk entgegen, welches auf mäßiger Anhöhe, wie ein freundlicher Wächter sein Gebiet überschaut.

Hufschlag erklingt, – wie ferner Donner rollt es in flottestem Tempo die Fahrstraße entlang.

Ein Spitzreiter in keckem Jockeykostüm, mit der Cocarde in den Farben des Großherzogthums an der Mütze und der kurzstieligen Phantasie-Peitsche in der Hand, jagt auf schlankem Goldfuchs drei Hofequipagen voran, welche in knappen Distanzen, nur wenige leichte Staubwolken hinter sich zurücklassend, dem Vorwerk entgegen sausen.

Vier überaus reich geschirrte Rosse, vom Sattel aus gelenkt, schnaufen vor dem ersten der Wagen, welcher Ihre Königlichen Hoheiten die Großherzogin Rudolphine Alexandrowna und die Erbgroßherzogin Margarethe in lichtgrauen Seidenplüschpolstern aufgenommen hat.

Auf dem Rücksitz ist der Ehrendame der Großherzogin, Gräfin Molay, der vielersehnte Platz angewiesen worden, dieweil ihr Gemahl, der Kammerherr, die nachfolgende Equipage der beiden Hofdamen bestiegen hat.

Zuletzt fährt die Hofdame der Erbprinzessin, Fräulein Fides Wolff von Speyern in Begleitung des Baron Olivier von Nennderscheidt und des Reisemarschalls, Excellenz von Wolter.

Hier ist die Unterhaltung am animirtesten. Excellenz ist etwas schwerhörig und beständig in zitternder Angst, ein Wort des Gespräches zu verlieren; mit halboffenem Mund und dem stieren Ausdruck »geistiger« Gier, sitzt er vornübergebeugt, um dem »tollen Junker« die Worte von den Lippen zu lesen.

Und Olivier trägt fast allein die Kosten der Unterhaltung, obwohl Fräulein von Speyern voll seltener Lebhaftigkeit die Fäden des Themas lenkt und ausspinnt.

Ihr stolzes, regelmäßiges Antlitz verschmäht es, einen Schleier zu tragen und der Windzug, welcher sich vergeblich bemüht, die schweren, schlicht in die Stirn gelegten Haarwellen zu zerzausen, begnügt sich damit, das sonst etwas bleiche Antlitz mit warmem Roth zu überhauchen.

Es fällt Nennderscheidt auf, wie trefflich es ihr steht, wie die grauen Augen plötzlich einen Glanz haben, den er zuvor nicht an ihnen gekannt. Er hat just von seiner Passion für solche Fahrten durch herbstlich Land gesprochen, von feinem Vorsatz, stets den Aufenthalt auf seinem Schloß zu nehmen, sobald der Wind über die ersten Stoppeln weht, – natürlich, wenn er erst verheirathet sei. – eine Solopartie auf dem Lande sei entsetzlich.

Und dabei hatte er Fräulein von Speyern so lachend in die Augen geschaut, daß sie ihren Sonnenschirm jäh gesenkt hatte, als blende sie urplötzlich die Sonne, deren Strahlen doch die Lindenbäume mit dichtem Laubdach abwehrten. –

»Bis Sie einmal heirathen, Herr von Nennderscheidt, haben Ihre Passionen längst die Farbe gewechselt; man sagt ja, der Geschmack ändere sich alle sieben Jahre.«

Olivier strich amüsirt den blonden Schnurrbart. »Und zu einer etwas früheren Heirath bekomme ich nicht Ihren Consens?«

Fides schüttelte lächelnd den Kopf; ein wunderlicher Ausdruck beherrschte ihre Züge, halb Regen und halb Sonnenschein.

»Die Ehe ist ein Hazardspiel, Herr von Nennderscheidt, bei welchem sämmtliche Karten blind gezogen werden, denn wenn Sie selbst im günstigsten Fall wissen, ob Sie Herz oder Schellen in der Hand haben, der feine glitzernde Schleier der »Politur« liegt doch darüber ausgebreitet, welcher Ihnen verbirgt, ob sie die Hoffnungen erfüllt, welche darauf gesetzt sind. Sie sind nun ein ungestümer und wagehalsiger Spieler. Baron; wenn Sie verloren haben, werfen Sie die Karten ungestüm auf den Tisch, zahlen Ihr »Reugeld« und Sie sind frei wie zuvor. In dem Hazard der Ehe aber heißt es »ausgehalten!« – Die Parthie, welche Sie darin begonnen haben, hat kein Ende, und die Karte, welche Sie gezogen, gleich viel, ob sie Glück oder Unglück bringt, ist mit tausend unsichtbaren Ketten an Ihr Schicksal geschmiedet. Würden Sie jemals die Geduld haben, Ihr Leben lang Bank zu halten, selbst wenn Ihnen jede neue Enttäuschung sagte, daß Sie rettungslos – verspielt haben?« –

Excellenz Wolter nickte mit offenem Munde Beifall, die junge Dame aber dabei anstarrend, als dächte er im tiefsten Herzen: »Eine, die nicht angelt?! O ewiges miraculum!!«

Olivier drückte das Kinn auf den kostbaren Knopf seines kleinen Spazierstockes und blickte Fräulein von Speyern lächelnd, mit leicht zusammen gekniffenen Augen an.

»Wie kann ein Mann verspielen, der auf Cœurdame setzt!«

»Der welcher thatsächlich die Cœurdame gewinnt, hat ein seltenes Glück!« –

Die klare Stimme der Hofdame klang etwas verschleiert, und die Sonne, welche durch die jetzt weiter stehenden Linden schien, malte das Muster der niederhängenden Schirmguipure wie zitternde Schatten auf das ernste Antlitz. –

»Bin ich ein Pechvogel? Vor der Schwelle meines Ahnenschlosses liegt ein Stein eingemauert, auf welchem unsere Vorväter der Siona opferten; Niemand ist erkenntlicher für zarte Rücksichten als gestürzte Größen, und ich denke mir, auch vertriebene Gottheiten führen ein Tagebuch, darin die Namen einzelner Sterblicher roth unterstrichen sind. Ist Siona aber meine Freundin, wie könnte die Cœurdame meine Feindin sein?«

»Ein Schmetterling taumelt glückberauscht an den Kelch der Rose und liebt sie, weil er weiß, daß er jeden Augenblick wieder davon flattern kann; nähme sie ihm aber die Freiheit und wollte sie ihn festhalten, er würde ihrer überdrüssig werden und um der Dornen willen auch die Blüthe hassen!«

»Aber Gnädigste, welche ein Pessimismus!! Ein Schmetterling. Ja ... aber zwischen ihm und mir läßt sich doch wohl keine Parallele ziehen?«

Fides mußte lachen. »Die sichtbaren Flügel gehen Ihnen ab, Herr von Nennderscheidt, sonst würden Sie sich gleichen wie ein Ei dem andern!«

»Das nehme ich übel, – das ist geradezu eine Injurie!«

»In wie fern? Können Sie ableugnen, daß es gleich wie bei dem Schmetterlinge Ihre Natur ist, im Sonnenglanz von Blume zu Blume zu flattern, voll liebenswürdigsten Leichtsinnes nicht einen Augenblick bedenkend, ob Netze und Fallen lauern, ob Sie sich bei übermüthigem Spiel den Hals brechen oder nicht?«

»Aha – unser Thema!« – Olivier seufzte voll Humor auf: »Was habe ich denn schon wieder pexirt, gestrenge Herrin, daß ich Vorwürfe verdiene?! Uebermüthig! ... Du lieber Gott, wann war ich zuletzt im Leben mal übermüthig!!«

»In diesem Augenblick!«

»Ah?« ...

»Was ist diese Fahrt von Ihnen anderes als tollster, veritabelster Uebermuth?«

Der Freiherr lachte schallend auf. »Wißbegierde ist es! ich brenne darauf, zu erfahren, wie es in einem alten Jungfernstift um's Kaffeestündchen aussieht! Heilige Diana, Deine Jüngerinnen müssen des Anschauens werth sein, verdienen es, daß ein junger Cavalier über Land fährt, um sich mit eigenen Augen an der unendlichen Komik zu ergötzen, welche man neidisch hinter den Mauern von Hersabrunn versteckt!«

»Da haben wir's! ... Mokiren wollen Sie sich, die Geißel Ihres Spottes über den armen alten Damen schwingen, welche sich aus der abscheulichen Welt in dieses stille Heim geflüchtet! – Man braucht Sie ja blos anzusehen, um sofort die Motive Ihrer Wißbegierde illustrirt zu haben! Ich gebe gern zu, daß es für einen so heiter beanlagten Menschen wie Sie einen außerordentlichen Reiz haben muß –«

»Katakomben zu besuchen!«

»Abscheulich!«

»Also keine Skelette? Ich habe nur ein einziges Mal im Leben eine Stiftsdame gesehen, – die hatte aber überall, wo man sie ansah, eine Lücke ... brr ... dieses böse Gesicht! ... als ob ich etwas dazu gekonnt hätte! ... Bitte, bitte schnell etwas Zückerchen, damit es wieder gut Wetter giebt!« – Und Olivier zog hastig eine Bonbonière aus der Brusttasche und offerirte mit allen Zeichen tödtlichster Angst und Hast, dieweil er sich vor innerem Lachen schüttelte. »Eine Marone, auf meinem Herzen geröstet – pikant und empfehlenswerth ... ich hatte sie eigentlich für diejenige Hersabrunner Schöne bestimmt, welche die wenigsten Zähne hat« – –

Ganz eigenthümlich zuckt es um die Lippen der Hofdame, kämpfend zwischen Unwillen und Heiterkeit; die Miene einer Mutter, die dem Liebling zürnen will und dennoch lächeln muß.

»Unglaublich! Wollen Sie mit diesen kandirten Katapulten Bresche in die Herzen der »Antiken« schleudern? Sie sind ein gefährlicher Mensch, Herr von Nennderscheidt, ein Adler im Taubenschwarm, vor welchem man warnen muß! Hand auf's Herz, Baron, auf welche der Damen haben Sie es abgesehen?«

»Wenn ich einen Spiegel hier hätte, würde ich sie Ihnen sofort zeigen!«

Die schlanke, nicht allzu kleine Hand der jungen Dame, welche sich seitwärts auf den Wagenschlag stützte, zuckte leicht zusammen. Langsam sanken die Wimpern über die klaren, ernsten Augensterne.

»Daß Sie doch niemals ihr diplomatisches Talent verleugnen können! Ein Gegner, welcher selber die Waffe aus der Hand wirft, ist unschädlich gemacht.«

Excellenz Wolter hatte das Monocle eingeklemmt und grüßte huldvoll die kleine Schaar Dörfler, welche mit offenen Mäulern, tief respektvoll am Wege Spalier bildeten; niedere Bauernhäuschen säumten rechts und links die Straße, und fern über die Wipfel eines ausgedehnten Parks erhob sich der wunderlich geformte, schiefergedeckte Thurm des Stiftes Hersabrunn.

Olivier neigte sich näher zu Fräulein von Speyern, dämpfte die Stimme und sagte mit einem selten weichen und herzlichen Ausdruck: »Und warum müssen Sie stets das – Verrückteste und Schlimmste von mir glauben? – Wäre es nicht viel natürlicher, daß es mich um der Spazierfahrt und nicht um des Besuches willen nach Hersabrunn gezogen? Wenn man zwei Stunden lang eine Rose an der Brust tragen darf, nimmt man schließlich am Ziele auch den Ruinen-Epheu mit in den Kauf! Das Kind muß doch einen Namen haben, Fräulein Fides, und ... für gewöhnlich nehmen Sie mich ja nicht mit, wenn Sie über Land fahren!«

Die schwarzen Spitzen wogten über der Brust der Hofdame, und die reichen Schmelzperlen glitzerten und blitzten auf, als glühe tief innen ein Feuer, flammend und allgewaltig, das seine Funken emporsprüht, als wolle es die engen Schranken durchbrechen.

Sie antwortete nicht; als aber die Equipage eine viertel Stunde danach in dem gepflasterten Schloßhof, vor dem Portale hielt, Olivier sich mit schnellem Sprunge aus dem Wagen schwang und, dem Lakai zuvorkommend, Fräulein von Speyern die Hand bot, da ging es wie ein leichtes Beben durch ihre hohe Gestalt, und als sich Blick in Blick senkte, da däuchte es dem Freiherrn, als sei plötzlich das Eis geschmolzen, welches ihr graues Auge bisher so kühl und stolz verschleiert.

– – – – – –

Hersabrunn ist ein uraltes Schlößchen; die Chroniken nennen die Markgräfin Wilhelmine Dorothea, †1509, seine Stifterin.

Ursprünglich zum Wittwensitz fürstlicher Gemahlinnen bestimmt, wurde es später Domäne, eine Zeit lang Lazareth, Waisenhaus, wieder Domäne und endlich, als ein Geschenk des Großherzogs, ein Stift für unbemittelte, hochbetagte adlige Fräuleins. – Die weiten Säle, die niederen, enggewölbten Corridore und schmalen Holzstiegen hatten schon mancherlei Leben und Wandel an sich vorüber ziehen sehen. Zuerst wehten die düstern Wittwenschleier, rauschten verbrämte Brokatschleppen und glitten unhörbare Höflingssohlen, dann lagerten hohe Getreideschütten auf gebräuntem Parquet, raschelten Ratten und Mäuse im Bohnenstroh, und lärmten wiederum fröhliche Kinderschaaren durch die lange Flucht der Säle. – Jetzt endlich herrschte von all' dem ein buntes Gemisch. Auf dem Stroh, unter alten Ahnenbildern breitete sich die Obsternte der Stiftsdamen aus; im würdigen, langschleppenden Ornat schritten etliche Fräuleins, der Oberin nacheifernd, feierlich einher, dieweil der größte Theil ihrer Genossinnen ein wundersames Illustrationswerk längst vergessener Moden bildete. –

An den grauen Mauern des dreigiebligen Frontgebäudes rankten Wein und Spalierobst,, und ein rebenumsponnenes Holzgelände zog sich wie eine Art Laubengang vor dem schmalen Trottoir her.

Ein uraltes Brunnenhäuschen stand inmitten des Hofes, hohes Gras wucherte zwischen den Pflastersteinen, und das Rasen-Rondel, auf welchem kleine Beete mit Astern und Georginen prangten, sah aus wie ein Pelz, in welchem die Motten gewesen.

Sämmtliche Bewohnerinnen des Stiftes waren vor dem Hause versammelt, die höchsten Herrschaften zu begrüßen. Vornan stand die Oberin, eine mittelgroße, untersetzte Frauengestalt, welche das ergraute Haupt voll natürlicher Würde auf den Schultern trug und in jeder Geste und Miene ihre Stellung auf das Vornehmste repräsentirte.

Sie war die einzige der Damen, welche einen schwarzen Kopfputz, ähnlich einem hohen Crèpe-Diadem, von welchem ein schwarzer Schleier lang über den Rücken herniederfällt, trug; die Stiftstracht hatte aus einer Zeit freiwilliger Krankenpflege eine steife weiße Leinenhaube beibehalten, welche das Antlitz gleichwie mit ein paar Scheuledern umrahmte, und welche ausnahmslos von sämmtlichen Bewohnerinnen Hersabrunns zur Gala getragen wurde.

Gleich einer Nonnenschaar, eine wie die andere im schwarzseidenen Kleid mit dem großen goldenen Wilhelminen-Kreuz auf der Brust, rangirten die Stifts-Fräuleins voll peinlicher Genauigkeit nach Titel und Rang hinter der Oberin eine der originellsten Auslesen vornehmer alter Frauen-Physiognomien.

Geradezu frappirend wirkte inmitten dieser gleichmäßig gekleideten Damen die Erscheinung einer uralten kleinen Frauengestalt, welche sich voll ostensibeler Eigenwilligkeit nicht neben, sondern sogar vor die Oberin drängte.

Bunt wie ein Papagei stach sie gegen die Genossinnen ab, so eigenartig und wunderlich, so unsagbar altmodisch und doch in jedem Zwirnsfaden so echt und originell, als habe sich eines jener Gräber hinter der Kapelle geöffnet, um eine Tochter lang versunkener Jahre unverändert an das Licht treten zu lassen.

Ein ganz, ganz enges, grasgrünes Seidenkleid, in welches köstliche, durch die Zeit etwas gebleichte Bouquets eingestickt waren, schloß sich wie ein Funeral um die kleine, zusammengeschrumpfte Figur in kurzer Taille, hoch unter der Brust durch einen rosa Atlasgürtel mit aufsteigender Schneppe geschlossen.

Eine dicke, etwas chiffonirte Tolle schloß den Rock über dem Knöchel und gab einen Fuß frei, welcher in hackenlosem, grünen Atlasschuh mit Kreuzbändern kokett den seidenen, ehemals rosa gewesenen Strumpf zeigte.

Der Hals war trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit tief entblößt und nur geschmückt mit einem schmalen, schwarzen Sammetband, an welchem sich ein Pastellbildchen – einen Offizier mit gepuderter Perrücke darstellend, von Brillanten umrahmt, wiegte.

Gelb und entsetzlich dürr war der Hals, ebenso fleischlos und verdorrt wie die Aermchen, welche aus den dicken Puffärmeln hervorstachen und vielfach geflickte Filethandschuhe trugen. Ein florartiger Shawl lag niedergeglitten über den Ellenbogen, und ein dickgefüllter, grellbunter Pompadour schaukelte sich an dem Handgelenk.

Ein ganz undefinirbares Chaos von Blumen, Federn und Bandschleifen aber balancirte auf dem Kopf, welchen ohne jegliche Anstrengung von Discretion eine sehr fuchsig gewordene Perrücke bedeckte.

Silberweiße Haarsträhnchen hatten sich naseweis unter den Lockenringeln auf die Stirn hervor gestohlen, und die grellrothen, abgezirkelten Flecken auf den Backenknochen waren nun und nimmermehr auf natürlichem Wege dahin gekommen.

Die kleine Dame hatte keinen Zahn mehr im Munde, nicht ein faltenloses Fleckchen mehr im Gesicht, dessen scharf vorspringendes Näschen ihm einen eigenthümlich, vogelartigen Ausdruck gab; aber die kleinen, stechenden Schwarzäuglein flimmerten und blitzten wie zwei Sternlein unter den weißen Brauen, und in dem ganzen, winzigen Figürchen lag eine solch' quecksilberige und jugendliche Behendigkeit, daß man vollständig an dem Exempel irre wurde –: »wie alt mag die wohl sein!«

Die Großherzogin war Protectorin des Stiftes und kümmerte sich voll liebenswürdigsten Interesses um all' die kleinen Leiden und Freuden, welche sich hinter seinen grauen Mauern abspielten. – Alljährlich am Gedenktage der Einweihung begab sich die hohe Frau persönlich nach Hersabrunn, um unter den drei historischen Linden den Kaffee bei den alten Fräuleins zu trinken.

Ehe die Oberin dem hohen Besuch respektvollst entgegen treten konnte, hatte sich die wunderliche kleine Person im grünen Kleide bereits auf das Graziöseste wippend und knixend vorgedrängt, streckte Rudolphine Alexandrowna beide Hände entgegen und überfluthete sie mit einem Schwall kaum verständlicher Worte: »Grüße Sie Gott, allergnädigste Herrin! – sehr wohl – sehr wohl zur Stelle! freut mich, freut mich bitte allerschönstens näher zu treten, näher zu treten; der Kaffee wird am Ende sonst kalt, am Ende kalt, und dann schmeckt er nicht, wissen Sie, liebe gnädige Frau! ja, ja, schmeckt nicht! ... Sehen aber recht wohl aus, – recht wohl, und ein nettes Mäntelchen ... gewiß recht theuer gewesen, ei ja, recht theuer gewesen ... auch gutes Stöffchen dafür ... freut mich, freut mich! ... bitte allerschönstens, hübsch näher zu treten –«

Die Oberin wurde dunkelroth und blickte mit wahrhaft verzweifeltem Blick auf diese mehr wie eigenthümliche Gruppe; die Großherzogin aber lächelte in ihrer so unendlich gütigen Weise, ließ freundlich ihre Hände drücken und sagte, die kleine Dame wie eine gute Bekannte grüßend: »Guten Tag, meine liebe Frau von Körberitz, wieder frisch und munter, wie im vergangenen Jahr! Sogar ganz jugendlich im decolletirten Kleid – werden Sie sich nicht erkälten?«

»Erkälten hihihi! ... nein, meine Liebe ... Jugend hat ja warmes Blut ... sehr warmes Blut ... und Sie wissen, daß ich erst viel viel später wie all' diese Damen geboren bin ... ja wohl geboren bin, wenn die neidischen Schlangen mir auch zum Aerger behaupten wollen, ich sei mit Ansbach und Baireuth dermalen schon an Preußen abgetreten ... hihi ... lauter Neid ... sind boshafte Kröten, die Dämchen da ... ja wohl, boshafte Kröten! ... empfehle mich Ihnen, meine anderen Herrschaften –« und Frau von Körberitz wandte sich knixend, ohne jeden Uebergang an das Gefolge der Großherzogin und klopfte Prinzessin Margaretha mit dem Fächer zärtlich-graziös die Wange. »Das liebe Schwiegertöchterchen, nicht wahr? ... freut mich ungemein, ganz ungemein ..., habe schon viel von Ihnen gehört ... sehr viel ... wie geht es denn dem schönen Gatten und den Kinderchen? ... ganz recht, den Kinderchen ... nicht viel Pflaumen essen lassen ... böse Zeit jetzt – so eine junge Mutter ist ja uner fahren, natürlich unerfahren ... und dann ist's Malheur da!... Und Sie da?... Wer sind Sie denn? aha, kann mir schon denken, mit zwei hundert Thalern Gehalt und freier Station ... bekam ich auch als Hofdame ... kürzlich noch ... ich bin ja noch in den besten Jahren und nur wegen Marie-Luischen hier ... wegen Marie-Luischen, wissen Sie ... Wo ist denn das Kind? ... nicht hier? ... oh! oh! ... Luischen! ... Luischen!« ... und Frau von Körberitz wandte ihren Gästen jählings den Rücken und flatterte wie ein Backfischchen die Treppe empor.

Fides warf einen Blick nach Nennderscheidt. Der tolle Junker stand regungslos, – starr, – versunken im Schauen. Sein ganzes Gesicht strahlte Vergnügen, aus weit aufgerissenen Augen folgte sein Blick der närrischen kleinen Person, deren rosa Schärpenbänder noch von dem Hausflur her zurück leuchteten.

Dann wandte er sich hastig zu Fräulein von Speyern. – »Also das war die ergebene Körberitz,« jubelte er, ohne die Stimme zu dämpfen, »ist ja ein göttlicher Spaß! In die Alte verliebe ich mich, die muß mit in die Residenz – die muß ich mir malen lassen, so etwas findet sich ja gar nicht zum zweiten Mal!«

»Warum nennen Sie das arme, kindische Geschöpf »ergebene« Körberitz?«

»Na das ist doch die, welche ihre Briefe an Königliche Hoheit nie anders unterzeichnet als wie: ›Mit schönstem Gruß Ihre ergebene Körberitz!‹ weil sie behauptet, sie sei keinem Menschen unterthänig, sie bezahle im Stift und habe keinem Menschen etwas zu danken ...«

Fides lächelte. »Wie gut Sie unterrichtet sind! Woher stammen diese Kenntnisse?«

Olivier zuckte die Achseln: »Ein Mann, der auf Freiers Füßen geht, muß sich doch unter den Schönen des Landes umschauen! Halten Sie mir den Daumen, daß mich der neckische kleine Grünspecht nicht heimschickt. – Mit Ansbach und Baireuth annectirt ... Heilige Unverwüstlichkeit – das sind ja bald hundert Jahre!!« – – –

Unter den mächtigen weitverzweigten Parklinden waren drei Tafeln gedeckt, an welchen die Hohen Herrschaften Platz genommen hatten. Die Lakaien trugen in weiß geflochtenen Körben das Gebäck herzu, welches die Großherzogin alljährlich zur Feier des Tages mitzubringen pflegte, und welches von gar Vielen der alten Fräuleins mit entzücktem Schmunzeln auf Güte und Quantität eingehendst geprüft wurde.

Als man sich bereits niedergesetzt hatte, tauchte zwischen den Gebüschen abermals die farbige Gestalt der Frau von Körberitz auf. Sie führte, resp. zog ein junges Mädchen ebenfalls in das Ornat der Stiftsdamen gekleidet, nach sich.

Angesichts der Gesellschaft sank das Köpfchen in der unförmigen Haube wie gebrochen auf die Brust, willenlos ließ sie sich dirigiren, und die Hand, welche einen schlicht gebundenen Strauß Herbstblumen trug, zitterte ersichtlich. »Aber Luischen ... kleines Gänschen Du ... willst Du sofort der Allergnädigsten Deine Aufwartung machen, ja, ja, Aufwartung machen! Habe doch bei Gott nicht umsonst meine schönen Astern geschnitten, – ja wohl ja, Astern, – augenblicklich wirst Du sie geben, Luischen!« ... und Frau von Körberitz zerrte ihr Schlachtopfer neben den Sessel Rudolphine Alexandrowna's und fuhr, behende sich wiegend und wippend wie ein Bachstelzchen, fort: »Dies ist nämlich Marie-Luischen, meine Großnichte, liebe Serenissima, ein allerliebstes junges Mädchen ... jawohl, sehr junges Mädchen, welchem die andern alten Giftspinnen, wie gesagt Giftspinnen, Angst vor Ihnen machten ... wollten uns alle Beide rausbeißen, weil wir die Jüngsten sind! ... haha ... offenbar die Jüngsten! Die Blumen sind von mir, wohlverstanden, Luischen darf sie nur überreichen!« Mit tiefem, feierlichem Knix sank die überschlanke, noch sehr kindlich eckige Gestalt Marie-Luises in sich zusammen; glühendes Roth färbte das schmale Gesichtchen, welches sich noch tiefer hinter den Haubenklappen zu verstecken schien.

Die fürstlichen Damen wandten sich mit liebenswürdigsten Worten an die so wunderlich Präsentirte; Frau von Körberitz klemmte sich ungenirt einen Stuhl zwischen die Oberin und die Großherzogin und sorgte auf das Lebhafteste für Unterhaltung.

Marie-Luise aber trat auf den Wink einer Stifts dame an den Nebentisch und betheiligte sich daran, die Kaffeetassen aufzutragen.

Mit den verschiedensten Blicken war die originelle Scene beobachtet worden. Etliche der alten Fräuleins schienen Gift und Galle über die unverfrorene Dreistigkeit der »Körberitzen,« andere lachten und amüsirten sich in nachsichtigster Weise.

Olivier wandte sich an seine Nachbarin, ein äußerst angenehmes und würdevolles Fräulein von Bohlen und bat um den Commentar zu dieser wunderlichen Erscheinung.

»Frau von Körberitz ist die einzige verheirathete Dame des Stiftes,« erhielt er zur Antwort, »welche durch besondere Fürsprache der hochseligen Großherzogin Mutter bei uns aufgenommen wurde, da sie keinerlei Familienanhalt mehr auf der Welt hat. Sie ist durch und durch Original und lebt so zu sagen mit uns in ewiger Fehde, weil etliche grillenhafte und nervöse Genossinnen ihr öfters Opposition machen.« –

»Und wer ist Luischen?« –

»Ihre Großnichte, Marie-Luise, Gräfin Herff. Ein höchst beklagenswertes kleines Wesen, welches völlig allein auf der Welt steht und darum, ebenfalls ausnahmsweise, bei der einzigen Anverwandten hier im Stifte Aufnahme fand.« –

Olivier schaute mitleidig nach der Genannten hinüber, welche voll peinlichster Verlegenheit, herzlich ungeschickt ihres Amtes waltete. Soeben schritt sie abermals um die Tafel, geleerte Tassen abzunehmen.

Sie schien den Blick zu fühlen, schaute jäh empor und starrte ihn an. Die Betroffenheit gab ihr etwas Lächerliches und verzog das hagere Gesichtchen in unschöner Weise. Olivier nickte ihr zu und hob seine Tasse.

Wieder flammte es über ihre Stirn, wie ein schmaler dunkelrother Strich hob sich das Antlitz aus den Leinentollen. Schnell kam sie herzu, stolperte über eine Wurzel und stieß einen Lakai an; dann endlich stand sie hinter ihm, streckte den Arm aus und nahm die Kaffeeschale. Eine rothe, verarbeitete Hand tauchte an sehr magerem Arm aus dem weiten Aermel.

Olivier wandte sich lachend zurück. »Nicht zu voll schänken, Fräulein Luischen, ich trinke diese zweite Auflage nur noch Ihnen zu Ehren!« Wieder starrten ihn die großen, dunkeln Augen einen Augenblick an, dann schrak sie zurück wie ein scheues Reh und eilte davon.

»Sie ist wohl sehr schüchtern?« fragte Nennderscheidt seine Nachbarin.

»Mehr wie das! Wie soll es auch anders sein? Das arme kleine Ding sieht ja außer uns fast nie ein fremdes Gesicht.« –

»Wird sie stets hier bleiben?« –

»Davor möge sie Gott bewahren!« Fräulein von Bohlen seufzte leise auf, »ich habe die Kleine lieb und wünsche ihr ein freundlicheres Geschick. – Gott aber weiß allein, wie das zu bewerkstelligen sei!« –

»Hat sie Geld?« –

»So gut wie nichts.« –

»Hm … und sonderlich hübsch scheint sie auch nicht zu sein; nun kommt Zeit, kommt Rath.«

Der Freiherr brach ab und wandte sich chevaleresk zurück, um sich vor der zurückkehrenden jungen Dame zu erheben und die Tasse in Empfang zu nehmen. Marie-Luise aber hatte das nicht vorausgesehen, sie war hastig herzugetreten und prallte gegen seinen Arm.

Der heiße Kaffee floß über und verbrühte ihre Hand; ohne zu zucken, setzte sie die Tasse nieder. Olivier aber stieß einen leisen Laut des Schreckens aus, riß sein duftendes Taschentuch aus der Brusttasche und erfaßte die Rechte der Comtesse, um die verletzten Finger zu trocknen. Sie wich zurück. Fast entsetzt barg sie die Hand auf dem Rücken; abermals schlugen sich die dunklen Wimpern empor. – Dann schüttelte sie so heftig den Kopf, daß die weiße Haube ihr um die Wangen schlug, und das sah wieder unendlich komisch aus.

»Sie haben sich verbrannt, Fräulein Luischen! es giebt womöglich Blasen!!« – Seine Stimme klang, als spräche er zu einem Kinde. Sie lächelte, wurde abwechselnd blaß und roth. »Es thut nicht weh!« – Sehr leise sagte sie es, und der Ausdruck ihres Gesichtchens hatte in feiner sanften, geduldigen Lieblichkeit etwas Rührendes. Dann war sie fortgehuscht.

Als man später eine Tour durch den Park gemacht hatte und durch die Anlagen zurück kam, räumte Marie-Luise in Gemeinschaft mit einer alten Magd den Kaffeetisch ab.

Mit einem Tablett voll Tassen kam sie dem Freiherrn und Fräulein von Speyern entgegen. – Olivier war sehr animirt, klemmte den Kneifer auf die Nase und trat der jungen Dame in den Weg.

»Nun Comteßchen, wie geht es den Fingern? Darf ich mir die Patienten einmal betrachten, ob es nothwendig ist, daß ich Marie-Luischen mit in die Residenz zu dem Herrn Doctor nehme?« –

Wieder dieses stumme, angstvolle Anstarren und Erglühen. Die Tassen klirrten leise auf, der Kopf sank jählings nieder und, mit hastigem Schritt seitwärts auf den Rasen ausweichend, floh sie an ihm vorüber.

Nennderscheidt sah ihr lachend nach. –

Marie-Luise aber blieb verschwunden. –


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